Als Enron in sein Hotel zurückkehrte, am späten Nachmittag in Valparaiso Nuevo, war alles aufgeräumt, das Bett frisch gemacht, in der Luft nicht der leiseste Hauch von schweißiger Lust. Man hätte glauben können, dass sich außer Jolanda seit dem Morgen niemand hier aufgehalten hatte. Enron hatte sich mit Kluge getroffen, der bisher keinen Erfolg gehabt hatte, Davidov oder einen von den anderen Leuten aus Los Angeles aufzuspüren, und danach war er ruhelos durch das Habitat gestreift, stundenlang, um sich die Zeit zu vertreiben, war in Cafés gesessen, hatte auf gut Glück da und dort seine Nase hineingesteckt und gewartet, bis er gefahrlos zurückkehren konnte.
»Und?«, fragte er Jolanda. Sie hatte sich inzwischen umgezogen, trug nun einen leuchtendbunten Kaftan mit irisierenden grünen, rosa und gelben Kringeln an den Flanken, die kühn die Üppigkeit ihres Körpers noch betonten. Ihr Gesicht wirkte deutlich erschöpft: sie sackte wohl gerade von ihrem letzten Hyperdex-High, dachte Enron. »Und? Wie war es, mit einem Typ zu ficken, der keine Augen hat?«
»Marty!«
»Ich bitte dich! Wir sind doch keine Kinder, wir zwei. Du hast ihn hierher gebracht, das Zimmer hat ein Bett und eine verschließbare Tür; ich habe Verständnis für das, was passiert sein muss. Das war doch überhaupt die Absicht, oder? Dass du ihn herzitierst unter dem Vorwand, ihn für eine Skulptur abzumessen – und mit ihm ins Bett zu steigen?«
»Es war kein Vorwand!« Jolandas Stimme klang leicht hitzig. Sie saß mit dem Rücken zum Fenster und zu dem bestürzend schönen Bild, dem schwarzen Samtvorhang und den flammenden prachtvollen Sternen und Planeten und rasch vorbeigleitenden L-5-Welten. »Ich habe ihn tatsächlich vermessen. Ich habe die ganz ehrliche Absicht, ihn zu porträtieren. Schau – da sieh hin.« Jolanda deutete auf einen kleinen Stapel Datenwürfel. »Ich habe sämtliche Maße da drin.«
»Hat er dir gesagt, wie du für ihn aussiehst? Weißt du, für ihn ist alles bloße Geometrie. Eine sehr sonderbare Geometrie.«
»Er hat gesagt, ich bin schön.«
»Ja. Das bist du. Mir hat er einmal gesagt, wie eine bestimmte Frau für ihn aussah, und ich habe es nie vergessen. Das war damals, als wir einander begegneten, auf dieser Konferenz in Caracas, bei der es um die Gewinnung von Molybdän und Beryllium aus Seewasser ging. Diese Frau kam aus Peru oder Chile, oder so einem von diesen Ländern, und sie sah übrigens dir ein wenig ähnlich, massig wie eine Kuh obenrum, überhaupt eine mächtige Frau rundum, nicht richtig fett, aber gutgepolstert und extrem …«
»Marty! Das interessiert mich nicht!«
»Wir saßen am Pool, Farkas und ich, und sie tauchte aus dem Wasser wie Aphrodite, weißt du? Eine sehr mächtige, großzügige Aphrodite wie von Rubens. Mit mächtigen Brüsten und Armen so dick wie Schenkel, und ihre Schenkel waren sogar noch dicker, aber alles höchst wohlgeformt und alles in vollkommenen Proportionen, nur eben – gewaltig! Genau wie du, fast. Und ich machte eine Bemerkung über ihren Körper zu Farkas und hatte im Moment ganz vergessen, dass er ja keine Augen hat, aber der lachte nur und sagte: ›Für mich sieht sie etwas anders aus.‹ Er sagte, glaube ich, sie wirke auf ihn wie drei seitlich liegende Fässer, verbunden durch eine Flammenkordel. Oder vielleicht waren es auch fünf Tonnen. Aber für ihn war das etwas sehr Schönes, sagte er. Für ihn sieht jeder Mensch ganz verschieden aus, weißt du, und besitzt eine ganz persönliche Gestalt. Die Informationen, die er über seine Sinneswahrnehmungen empfängt, sind ganz anders als bei uns.« Enron lächelte. »Ich freue mich, dass er dich für schön gehalten hat. Das bist du, weißt du. Fast auf die gleiche Art wie damals diese Frau in Caracas. Und im Bett bist du wundervoll. Wie er sicher feststellen durfte.«
»Hast du eine Ahnung, wie du im Moment auf mich wirkst?«, fragte Jolanda. »Wie ein Wolf. Ein kleiner magerer Wolf mit grünen Augen und sabbernden Lefzen.«
»Möchtest du nicht von mir eine Skulptur machen? Da! Nimm doch auch bei mir die Maße ab! Er begann den Hosengurt zu lösen.«
»Das ist lausig, Marty. Ich kann eifersüchtige Männer nicht ausstehen. Wenn du nicht wolltest, dass ich mit ihm ins Bett gehe, wieso hast du ihn mir dann dermaßen aufgedrängt?«
»Weil ich bestimmte Informationen haben wollte. Und das schien mir der effizienteste Weg, sie zu kriegen. Und das war dir doch sicher klar?«
»Ja. Ja, ich glaube, das habe ich.« Sie schoss ihm einen heißen Blick zu. »Jetzt, wo ich ein bisschen drüber nachdenke. Aber verstehst du, dass ich sowas nie in Betracht gezogen hätte, wenn ich ihn nicht attraktiv fände? Ich bin kein Spielzeug, das man herumreicht, Marty. Und ich bin auch kein Köder. Ich wollte mit ihm ins Bett. Und genau das habe ich getan. Und ich bin glücklich darüber. Ich habe es enorm genossen!«
»Aber klar doch, das hast du.« Enron änderte den Ton; statt grober männlicher Großspurigkeit versuchte er es nun mit sanfteren beschwichtigerenden Tönen. »Er ist ein ungewöhnlicher Mensch. Es muss eine ungewöhnliche Erfahrung gewesen sein.« Er trat zu ihr, legte ihr die Hände auf den Nacken und begann sanft das Fleisch und die Muskeln darunter zu kneten. »Meinst du wirklich, ich bin eifersüchtig, Jolanda?«
»Ja. Verdammt, das glaube ich. Du wolltest, dass es passiert, aber es gefällt dir gar nicht. Das merkte ich schon, als du in dem Restaurant aufgetaucht bist. Du glaubtest, du musst in unserer Nähe herumhängen, um ja nicht die Kontrolle zu verlieren, nicht einmal in dem Moment, wo du mich ihm in die Arme getrieben hast.«
Für Enron kam diese Anschuldigung ein wenig überraschend. War es wirklich so? Er hatte gedacht, dass er sich in dem Restaurant Jolanda und Farkas nur deshalb aufgedrängt hatte, um diesem die Nachricht zu signalisieren, dass sie sich unterhalten müssten, sobald Farkas sein Geturtel mit Jolanda hinter sich gebracht hatte. Aber vielleicht steckte ja mehr dahinter. Sicher, er hätte bis zum nächsten Tag warten können, den Kontakt zu Farkas aufzunehmen. Doch es war möglich, dass er ihm zu verstehen geben musste auf Jolanda so etwas wie ein Prioritätsrecht zu besitzen, einen Eigentumsanspruch, ehe die beiden ins Bett hüpften.
Achselzuckend sagte er: »Egal, hast du was Brauchbares von ihm erfahren?«
»Das hängt davon ab. Was verstehst du unter brauchbar?«
»Na, hat er zum Beispiel gesagt, weshalb er hier oben ist?«
»Er hat mir im Restaurant gesagt, weshalb er hergekommen ist. In Urlaub, sagte er.«
»Natürlich. Urlaub – du bist wirklich ziemlich dumm, nicht wahr?«
»Besten Dank.«
»Er ist hier, um für Kyocera zu spionieren. Das weißt du doch.«
»Na und? Spioniert er eben für Kyocera. Aber wir haben über nichts geredet, was irgendwie mit Kyocera zu tun hatte. Ich habe ein paar Messungen an seinem Gesicht und seinem Schädel vorgenommen, und dann fragte er, ob ich mit ihm ins Bett gehe, und dann …«
»Ja ja. Schon gut.«
»Im Bett wirkt er jedenfalls nicht wie ein Blinder, Marty. Auch nicht wie einer, der eine schöne Frau anschaut, und dabei einen Stapel Fässer sieht. Er wusste recht genau, wo alles hingehört.«
»Bestimmt«, sagte Enron und atmete langsam tief durch. »Okay, jetzt hör mir mal genau zu. Ich denke mir, Jolanda, dass die von Kyocera-Merck irgendwie die Finger in dem kleinen Komplott haben, das deine Freunde aus Los Angeles sich da ausgekocht haben, und dass der Ungar als Schlüsselmann für K-M hier ist, sich mit den Verschwörern treffen und ihnen helfen soll.«
Jolanda rückte auf ihrem Sitz herum und blickte zu ihm hoch. »Wie kommst du darauf? Keiner hat je was von Kyocera gesagt, als sie mir von ihrem Plan erzählten.«
»Wozu hätten sie das tun sollen? Aber ein solches Unternehmen kostet Geld. Jemand muss die Waffen kaufen und für den Transport hierher bezahlen. Die Leute müssen ausgebildet werden. Die Einreisezollgebühren, die Schmiergelder, was es eben so kostet, sich den Zugang an einen Ort wie den hier, der so gut abgeschirmt ist, für eine kleine Armee zu erkaufen. Also, was denkst du, wer finanziert deine Freunde?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie haben nie was davon gesagt.«
»Der einzige Zweck meines Aufenthalts hier – erinnerst du dich? – ist der, deine Freunde zu treffen und ihnen zu erklären, dass mein Land bereit ist, ihnen jegliche nötige finanzielle Unterstützung zu bieten, die sie brauchen. Aber jetzt zeigt sich die Möglichkeit, dass sie bei ihrem Vorhaben bereits einen sehr potenten Partner haben.«
»Du meinst Kyocera-Merck?«
»Es hat allmählich ganz den Anschein.«
»Aber weshalb sollten die von Kyocera-Merck den Diktator von Valparaiso Nuevo stürzen wollen?«
»Vielleicht aus purem Imperialismus. Man sagt, Kyocera steckt derzeit in einer stark expansiven Phase, vielleicht wollen sie einfach noch ein paar L-5-Welten mehr in ihrer Sammlung haben. Oder aber es leben hier ein paar Leute, die sie gern in die Finger kriegen wollen. Ich weiß es nicht, Jolanda. Aber dass Farkas hier ist, wenn ein Staatsstreich geplant ist, dann sagt mir das, dass er für K-M dabei irgendwie mitmischt.«
»Und wenn?«
»Dann muss ich mich in den Deal einschalten. Ein Partner-Venture, geteilte Kosten, geteilter Profit. Kyocera kann das Habitat haben, wenn sie es wollen. Aber ein paar Leute, die sich hier verborgen halten, die wollen wir haben – und wir kriegen sie – so oder so.«
Enron gönnte sich gerade genüsslich eine ausgiebige üppige Dusche vor dem Essen, als Jolanda die Kabinentür aufschob, den Kopf hereinsteckte und sagte: »Der Kurier ist am Apparat. Er glaubt, er hat Davidov ausfindig gemacht. Willst du ihn sprechen?«
»Sag ihm, er soll warten.«
Enron trat wieder unter die Brause, ließ sich das Wasser genüsslich über den dichten seifigen Haarpelz auf der Brust strömen. In Israel gab es selbstverständlich immer ausreichend Wasser für luxuriöses Duschen. Doch er war kurz zuvor noch in Kalifornien gewesen und hatte die spartanischen Zwänge zum Wassersparen erlebt, die durch die endlosen Dürreperioden an der Westküste verordnet werden mussten, und so genoss er es, hier in Valparaiso Nuevo unbegrenzt Wasser vergeuden zu können, wo alle Ressourcen mit höchster Effizienz in Recyclingprozesse eingebunden waren und wo es für nichts Rationierungen gab.
Eine ganze Weile später erst tauchte er auf und rubbelte sich trocken. Dann ging er ins Schlafzimmer. Aus dem Visor sah ihm Kluges ernstes dickliches Gesicht entgegen. Enron wickelte sich nachlässig das Badetuch um die Hüften und trat auf Sichtnähe heran.
»Also?«
»Speiche C«, sagte Kluge. »Hotel Santa Eulalia in der Ortschaft Remedios. Vier Mann mit kalifornischen Pässen stiegen da letzte Woche ab. Das war einer von ihnen. Er geht unter dem Namen Dudley Reynolds, aber ich denke, er ist der, den du suchst. Ich pumpe dir sein Bild rüber.«
Das Visorbild verschwamm kurz durch Download-Interferenz. Kluge stöpselte sein Flexterminal in den Output. Dann war das Bild wieder klar, und Enron sah vor sich das Solido-Bild eines Mannes mit quadratischem Kopf, kurzem Hals, nüchternen blauen Augen und fast farblos blonden, sehr kurz geschnittenen Haaren. Die Haut, die wohl ursprünglich von slawischer Blässe gewesen war, wies eine schwarzpurpurne Tönung von zu hohen Screendosen auf und war fleckig und gedunsen. Ein erschreckendes Gesicht mit breitem Kinn, fast lippenlos, eine viehische Visage.
Enron fragte Jolanda: »Was meinst du?«
»Das ist Davidov, ja. Genau.«
»Er sieht aus wie ein Tier.«
»Aber er ist wirklich ganz sanft«, sagte sie.
»Bestimmt.« Er befahl Kluge wieder vor die Kamera. »Gut. Du hast ihn gefunden. Gute Arbeit. Wo sind sie jetzt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was?«
»Sie sind vor zwölf Stunden ausgezogen. Vielleicht sind sie auf die Erde zurück.«
»Sauerei«, knurrte Enron. »Sie sind uns entwischt.«
»Da bin ich nicht ganz sicher. Meine Kontaktleute bei der Emigration haben mir bisher noch keine Information geliefert, dass sie abgereist wären. Aber Tatsache bleibt, sie haben ihr bisheriges Hotel verlassen. Ich suche weiter.«
»Ja, mach das.«
»Ich könnte einen Vorschuss auf mein Honorar brauchen«, sagte Kluge. »Meine Ausgaben für die Sache bisher sind ziemlich hoch gewesen.«
»Wie viel brauchst du?«, fragte Enron.
»Tausend Callaghanos?«
»Ich gebe dir zweitausend. Das erspart mir den Ärger, dass du in ein, zwei Tage wieder mit ausgestreckter Hand ankommst.«
Kluge wirkte tatsächlich sehr überrascht. Auch Jolanda schaute Enron verwirrt an.
Enron nahm sein Terminal von der Kommode, tippte Kluges Kontonummer und transferierte die Summe. Kluge stammelte dankbar, dann verschwand er vom Bildschirm.
Jolanda fragte: »Weshalb gibst du ihm so viel Geld?«
»Was spielt das für eine Rolle? Geld ist nicht knapp. Ich wäre bereit gewesen, ihm fünf zu zahlen.«
»Aber sie respektieren dich nicht, wenn du zu großzügig mit Geld um dich wirfst.«
»Sie werden mich respektieren, das versichere ich dir. Kluge hat früher schon mit Israelis zu tun gehabt.«
»Woher weißt du das?«
»Wir führen Buch«, sagte Enron. »Denkst du, ich hätte mich nicht über ihn erkundigt, bevor ich ihn engagierte?« Er knäulte sein Badetuch zu einem Ball und warf es quer durch den Raum, dann suchte er sich die Sachen, die er für den Abend tragen wollte. »Bist du fertig, damit wir dann zum Dinner ausgehen können?«
»Gleich.«
»Fein. Während ich mich anziehe, rufst du Farkas in seinem Hotel an. Du sagst ihm, wir wollen gerade zum Essen ausgehen und würden ihn gern einladen.«
»Weshalb willst du das tun?«
»Um herauszufinden, ob er irgendwas über diesen Plan weiß, den Generalissimo zu entmachten. Und ob er mir sagen kann, wo dieser Davidov sich befindet.«
»Wäre es nicht besser, du redest erst mit Davidov selber, bevor du Farkas irgendwelche Fragen dazu stellst? Du vermutest doch nur, dass Farkas da mit drinsteckt. Und wenn das nicht so ist, dann bringst du ihn bloß darauf, was da los ist, und am Ende erfährt dann Kyocera von Sachen, die du denen lieber nicht preisgeben möchtest.«
Enron starrte sie bewundernd an. Er ließ langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht entstehen und sich ausbreiten.
»Das ist ein gutes Argument.«
»Siehst du? Ich bin also wirklich nicht ganz so dumm.«
»Ja, vielleicht habe ich dich unterschätzt.«
»Du kannst einfach nicht glauben, dass eine Frau, die so gut im Bett ist wie ich, auch logisch denken kann.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Enron. »Ich war schon immer davon überzeugt, dass intelligente Frauen die besten Bettgenossinnen abgeben. Aber manchmal, wenn eine Frau einfach zu schön ist, entgeht mir, wie enorm gescheit sie außerdem auch noch ist.«
Jolanda glühte vor Befriedigung. Es war, als hätte Enron mit einem einzigen schiefen Kompliment alle die grausamen Bemerkungen ausgelöscht, die er ihr gegenüber geäußert hatte.
Nein, sie ist wirklich extrem blöd, dachte er. Dennoch, darin hatte sie recht, dass er mit Farkas besser behutsam vorgehen sollte.
»Es ist leider so«, sagte er, »dass die Zeit vergeht und dass wir deine Freunde noch immer nicht ausfindig gemacht haben. Ich könnte also wirklich ruhig mal Farkas ein bisschen abzutasten anfangen. Klar, da besteht das Risiko, von dem du sprichst, doch da ist ebenfalls die Möglichkeit, dass ich von ihm etwas rauskriegen kann. Ruf ihn an. Lade ihn ein, mit uns heute Abend zu essen, oder aber für morgen zum Lunch.«
Als Jolanda an den Tisch trat, leuchtete das Telefonsignal auf. Sie blickte unsicher zu Enron.
»Geh ran«, sagte er.
Es war noch einmal Kluge. »Ich habe deinen Davidov für dich gefunden. Er ist noch hier, hat bloß das Hotel gewechselt. Alle vier Mann. Speiche B, die Residencia San Tomás in Santiago.«
»Sind denn hier alle Hotels nach Heiligen benannt?«, fragte Enron.
»Viele. Der Generalissimo ist sehr religiös.«
»Ja. Man möchte es meinen. Wie nennt sich unser Mann denn jetzt?«
»Immer noch Dudley Reynolds. Die anderen heißen James Clark, Phil Cruz und Tom Barreyt, laut ihren Pässen.«
Enron blickte zu Jolanda. Sie zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
»Möglicherweise sind es die, die wir suchen«, sagte Enron zu Kluge. »Schön. Behalte sie im Auge. Und bleib mit mir in Verbindung. Wenn ich nicht rangehe, leg den Ruf auf Suchschaltung. Ruf mich überall an, jederzeit, wenn es was Neues gibt. Ich will wissen, wohin sie gehen, mit wem sie sich treffen.«
Als Enron den Kontakt abgebrochen hatte, fragte Jolanda: »Versuchen wir heute Abend mit ihnen Kontakt aufzunehmen?«
»Bist du eng mit denen befreundet?«
»Mike Davidov kenne ich sehr gut. Die anderen Namen habe ich noch nie gehört, aber die sind natürlich sowieso alle falsch.«
»Wie gut kennst du Davidov? Je mit ihm im Bett gewesen?«
»Was hat das denn zu tun mit …«
»Ich bitte dich«, sagte Enron. »Deine Keuschheit kümmert mich einen Dreck, auch nicht das Gegenteil! Ich muss wissen, wie deine Beziehungen zu diesem Davidov waren.«
Jolandas Gesicht färbte sich dunkel. Ihre Augen loderten.
»Ich habe mit ihm geschlafen, ja. Ich habe mit einer Menge Leuten geschlafen.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber im Moment frage ich dich nach Davidov. Ihr zwei wart mal zusammen, und jetzt tauchst du hier mit mir auf, einem israelischen Touristen. Wie wird er darauf reagieren? Wird ihn das stören?«
»Wir waren bloß Freunde. Als ich in L. A. war, wohnte ich bei ihm. Es war alles ziemlich simpel und beiläufig, weiter nichts.«
»Es wird ihm nichts ausmachen, meinst du?«
»Nicht im geringsten.«
»Schön«, sagte Enron. »Dann rufst du ihn jetzt an. Residencia San Tomás in Santiago. Verlang Dudley Reynolds zu sprechen. Sag ihm, du bist hier mit einem israelischen Journalisten, den du in San Francisco getroffen hast, und sag ihm, dass ich sehr gern so bald wie möglich mit ihm sprechen möchte.«
»Soll ich sagen, worüber ihr reden wollt?«
»Nein. Das kann er sich selbst denken. Ruf jetzt an.«
»Also gut.« Jolanda gab die Zahlen ein, und fast sofort meldete sich eine synthetische Stimme: »Mister Reynolds befindet sich nicht in seinem Zimmer. Soll ihm eine Nachricht übermittelt werden?«
»Hinterlass deinen Namen und unsere Zimmernummer hier im Hotel«, befahl Enron. »Bitte ihn, jederzeit zurückzurufen, sobald er zurück ist.«
»Und was jetzt?«, fragte sie hinterher.
»Jetzt rufst du Farkas an und lädst ihn ein, mit uns zu dinieren.«
»Aber sollten wir nicht besser warten, bis …?«
»Manchmal habe ich es satt zu warten«, sagte Enron. »Es ist ein kalkuliertes Risiko. Ich muss die Dinge etwas beschleunigen. Also, ruf Farkas an!«
Sie verabredeten sich in Cajamarca in einem Café dicht am Außenrand, nicht weit entfernt von Farkas' Hotel. Dass sie sich an einem Ort trafen, der so quasi sein eigener Rasen war, erschien Enron als eine gute Idee. Er wollte, dass Farkas sich sicher fühlte, entspannt, locker. Wir schaffen uns eine großartige neue Freundschaft, wir zwei, wo wir sowieso schon verbunden sind durch unsere uralten Erinnerungen an Caracas, und jetzt durch unsere brüderliche Vertrautheit mit der grandiosen Körperlichkeit von Jolanda Bermudez, so dachte er sich das. Wir können einander trauen. Wir können einander bedeutsame Geheimnisse anvertrauen, die uns beiden nützen. Ja, genau.
Farkas kam verspätet in das Café. Das fand Enron ärgerlich. Doch während sie warteten, behielt er sich strikt unter Kontrolle, bestellte sich einen alkoholfreien Drink und einen zweiten. Jolanda trank etliche Cocktails, blaugrünliche Longdrinks, die Enron nicht kannte, die aber wahrscheinlich süßlich und klebrig waren. Dann, endlich, mit fast halbstündiger Verspätung, kam der Augenlose herein.
Als er Farkas so grandios, fast königlich hereinschreiten sah, war Enron sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob es ihm so leicht werden würde, eine Art kumpelhafter gegenseitig profitabler Manipulationsbasis zu bauen. Er hatte vergessen – oder sich vielleicht auch nie die Mühe gemacht, zu bemerken –, was für eine dominierende Gestalt dieser Farkas war: extrem groß, beinahe ein Riese, mit breiten Athletenschultern und geschmeidigen Bewegungen. Es war nicht nur Faszination durch das Besondere, was Jolanda zu ihm hingezogen hatte. Farkas bewegte sich mit wunderbarer Selbstsicherheit zwischen den Tischen hindurch, ohne je anzuecken, nickte und winkte dem Barkeeper und den Obern, dem Hilfskellner, sogar ein paar anderen Gästen zu.
Und er war so verdammt sonderbar. Wie zum ersten Mal erblickte Enron mit vor Staunen und Ekel gemischtem Blick diese hohe weiße Halbkuppel seines Schädels wie ein Stück Marmor auf dem langen muskulösen Nacken, diese schimmernde Stirn, die sich ohne Unterbrechung vom Nasenrücken zum hohen zurückgesetzten Haaransatz erstreckte. Er wirkte fast nicht menschlich. Wie eine sonderbare Mutantenkreatur mit einem Monsterkopf auf einem Menschenkörper. Aber natürlich war er ja genau das – ein scheußlicher Mutant.
Da ist geschicktes Vorgehen vonnöten, dachte Enron.
Doch im Grunde war er überzeugt, dass alles gut gehen werde. So war er immer. Und bisher hatte er da auch stets richtig gelegen.
Farkas glitt mühelos auf den freien Platz zwischen Enron und Jolanda. Er nickte grüßend und lächelte Jolanda zu, mit genau der richtigen Mischung aus Takt und Freundlichkeit und streckte fast gleichzeitig Enron herzlich die Hand hin. Enron gefiel das. Was sich vorher zwischen Farkas und Jolanda abgespielt hatte, wurde wortlos bestätigt, ohne es ihm, Enron, direkt unter die Nase zu reiben.
»Ich bedaure meine große Verspätung«, sagte Farkas. »Aber gerade als ich gehen wollte, kamen ein paar dringende Anrufe für mich. Musstet ihr lange warten?«
»Nur so fünf, zehn Minuten«, log Enron. »Wir haben uns schon mal was zu trinken bestellt. Du musst dich beeilen, uns einzuholen.«
»Stimmt«, sagte Farkas. Er kümmerte sich nicht um das Keyboard am Tisch, sondern winkte dem Kellner zu, der ihm wie selbstverständlich einen großen Schwenker mit einem Klacks irgendeiner dunklen alkoholischen Flüssigkeit brachte.
Zweifellos sein gewohnter Drink, dachte Enron. Er scheint hier wirklich gut bekannt zu sein.
»Pisco«, sagte Farkas. »Ein Brandy aus Peru. Du würdest ihn mögen, glaube ich. Darf ich dir einen bestellen?«
Wieder gab er dem Ober einen Wink.
»Ich bin kein großer Trinker«, warf Enron rasch ein.
»Ich nehme einen«, sagte Jolanda, beugte sich eifrig zu Farkas hinüber und lächelte ihn so strahlend an, dass Enron innerlich vor Ärger kochte. Ihr letzter Drink stand noch halbvoll vor ihr.
»Du kommst bestimmt oft hierher«, sagte er zu Farkas.
»Praktisch jeden Tag. Ein recht erfreulicher Ort, sehr angenehm und auch sehr hübsch. Sofern einen die Statuen und Holobilder von El Supremo nicht stören, mit denen sie das Lokal ausgeschmückt haben.«
»Ach, daran gewöhnt man sich«, sagte Enron.
»Ja, das stimmt.« Farkas nippte an seinem Brandy. »Eins muss man dem alten Tyrannen lassen, was? Die perfekte Reinkarnation eines Diktators einer Bananenrepublik im 19. Jahrhundert, der sich irgendwie eine ganze Satellitenwelt unter den Nagel gerissen hat und sie seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Griff lässt. Ein ganz privates Empire. Vorausgesetzt, natürlich, dass er überhaupt noch lebt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Kein Mensch sieht ihn jemals leibhaftig, weißt du. Keiner außer seinen allerengsten Vertrauten. Der Regierungsbezirk in Valparaiso Nuevo ist absolut abgeschottet. Keiner könnte sagen, ob Don Eduardo nicht schon vor zehn Jahren gestorben ist und man das geheim gehalten hat. Aber das würde nicht den geringsten Unterschied machen, was die Organisation hier angeht. Es ist wie im alten Rom, wo manchmal der Kaiser schon seit Wochen oder Monaten tot war, und die Hofbeamten führten einfach alles weiter wie bisher, ohne jemandem etwas zu sagen.«
Enron lachte, so herzhaft und fröhlich, wie es gerade noch plausibel erscheinen mochte. »Eine drollige Bemerkung, das. Aber es steckt was Wahres drin, oder? Wie bei jeder anständigen Art von Autokratie, erledigen die höheren Beamten des Hofes das ganze Interfacing mit der dreckigen Realität, und der Alleinherrscher hält sich erhaben fern.«
»Und heute ist sowas natürlich noch weitaus leichter, wo man Don Eduardo für jedes Auftreten in der Öffentlichkeit elektronisch abrufen kann, ohne den Generalissimo dafür in seinem Bau stören zu müssen.«
Wieder lachte Enron, diesmal nicht ganz so heftig. Er blickte Farkas fröhlich und leicht verwirrt an, das beste, was er zustande brachte, um wie ein kleiner Naivling zu wirken. »Aber sag mir eins, Victor – ich darf dich doch Victor nennen? –, du denkst doch nicht im Ernst, Callagher könnte tot sein?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich habe nur so ein bisschen Spekulationen angestellt, verstehst du. In Wahrheit vermute ich, dass er noch arg lebendig ist.«
Enron betrachtete Farkas genau, als er sagte: »Es ist bemerkenswert, dass er sich dermaßen lange gehalten hat, wenn das denn tatsächlich der Fall ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Menge Leute gibt, die sich die Finger lecken würden nach einer einträglichen kleinen Welt wie Valparaiso Nuevo, so voll wie es steckt von höchst gesuchten Flüchtlingen. Dass Don Eduardo es bisher geschafft hat, einen Staatsstreich zu verhindern, erscheint mir wie ein Wunder, wenn man bedenkt …«
Enron spähte nach einer Reaktion bei Farkas – ohne sichtbaren Erfolg.
Oder war da ein winziges flüchtiges unwillkürliches Zucken in Farkas' linker Gesichtshälfte? Es kam und war sofort wieder weg, und Farkas lächelte heiter, zeigte höfliches Interesse, aber nicht mehr. Er ist sehr, sehr gut, dachte Enron. Aber er weiß etwas. Bestimmt!
Farkas sagte: »Wie ich gerade sagte, er ist total abgeschirmt. Darin liegt vielleicht das Geheimnis seiner Langlebigkeit.«
»Bestimmt.« Und sehr vorsichtig setzte Enron hinzu: »Und, was denkst du, könnte der Supremo gestürzt werden, wenn jemand sowas richtig plante?«
»Mit der richtigen Planung könnte der Teufel sogar Gott von seinem Himmelsthron stoßen.«
»Schön. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich. Bei Don Eduardo dagegen …«
»… der sterblich und verletzbar ist«, warf Farkas ein. »Doch, ich glaube, es wäre durchführbar. Und ich bin auch sicher, dass es Leute gibt, die mit dem Gedanken spielen.«
Also!
Enron nickte eifrig. »Das glaube ich auch. Bestimmt. Tatsächlich habe ich sogar schon Gerüchte über so etwas gehört. Ziemlich glaubwürdige.«
»Ach wirklich?« Noch immer nicht mehr als freundliches Interesse. Doch auch diesmal wieder das verräterische leichte Zucken im Gesicht.
»Doch, tatsächlich.« Zeit, ein paar Karten auf den Tisch zu legen. »Eine nordamerikanische Gruppe. Aus Kalifornien, glaube ich.«
Und nun kam eine deutlichere Reaktion, ein deutlicheres Zucken, und die geisterhafte Stirn zog sich in Falten. Er beugte den Kopf unmerklich Enron zu. Er schien jetzt begriffen zu haben, dass sie verhandelten.
»Wie interessant«, sagte Farkas dann. »Weißt du, auch ich habe so ähnliche Geschichten gehört.«
»Wirklich?«
»Auch bloß Gerüchte, natürlich. Eine geplante Übernahme des Satelliten, organisiert von … – ja, es hieß aus Kalifornien.« Farkas schien in einer trüben undeutlichen Erinnerung nach etwas zu suchen, das er gehört hatte, das aber für ihn weiter nicht von Bedeutung war.
»Es geht also rum.«
»Na, wie solche Gerüchte eben immer.«
»Könnte dahinter einer von den Großmultis stecken, was meinst du?«, fragte Enron.
»Hinter dem Gerücht – oder hinter dem Putsch?«
»Hinter einem von beidem oder beidem, vermutlich.«
Farkas zuckte die Achseln. Er versuchte immer noch den Eindruck zu erwecken als sei das ganze Gespräch rein hypothetisch, dachte Enron. »Könnte ich unmöglich sagen. Sie würden Unterstützung brauchen, diese Verschwörer, nicht?«
»Natürlich. Ein Staatsstreich ist ein kostspieliges Vergnügen.«
»So etwas könnte wirklich nur eine von den Mega-Corporations durchziehen, genau«, sagte Farkas. »Oder eins der reicheren Länder. Zum Beispiel deines.« Plötzlich war da ein wenig mehr Betonung; die Stimme war dunkler, sozusagen ein kleiner akustischer Rippenstoß.
Enron kicherte. »Ja, ich nehme an, wir könnten das Geld für sowas aufbringen. Wenn wir dafür Gründe hätten, meine ich.«
»Habt ihr keine?«
»Eigentlich nicht. Nicht mehr jedenfalls als Kyocera-Merck, möchte ich sagen, oder Samurai. Sicher, hier leben Leute im Asyl, die wegen schwerer Verbrechen gegen den Staat Israel gesucht werden. Ausländische Spione, ein paar von unseren eigenen besonders korrupten Staatsdienern und so. Aber es gibt hier auch massenhaft pensionierte Experten der Industriespionage, Veruntreuer fremder Gelder, Verhökerer von geheimen Firmengeheimnissen – Leute, die sich auf Kosten dieser oder jener Megafirma ungeheure Gewinne ergaunert haben und deren Rückführung auf die Erde, um sie vor Gericht zu stellen, ganz im Sinn dieser Gesellschaften wäre. Ich könnte mir fast schon ein Joint Venture vorstellen, das die starten, um die Flüchtigen von hier wegzuholen: Sagen wir mal, ein Großmulti und ein reiches Prosperitätsland finanzieren die Sache auf Fifty-Fifty-Basis. Aber das ist natürlich alles bloß so daherphantasiert, nicht?« Enron schnippte die Vorstellung mit den Fingerspitzen fort. »Es wird hier keine Staatstreiche geben. Das ist ein bezaubernder Kleinplanet, und kein Mensch auf der Erde würde dem was Böses antun wollen. Außerdem habe ich gehört, dass Generalissimo Callaghan über eine recht effiziente Geheimpolizei verfügt. Man hat mir gesagt, dass hier jeder überwacht wird.«
»Sehr genau, ja«, sagte Farkas. »Es dürfte sehr schwer sein, hier irgendeinen Aufstand in Gang zu setzen, es sei denn vielleicht einen, der von innen kommt – an dem die Hofadministration selbst beteiligt wäre.«
Enron zog eine Braue hoch.
Warf Farkas ihm da einen Hinweis hin? Waren die Übernahmepläne bei Kyocera bereits weit über die Absichten dieses Mr. Davidov und seiner Mitverschwörer hinausgediehen? Nein, dachte Enron, nein. Jetzt spielt Farkas nur rein spekulativ Möglichkeiten durch. Denn wenn tatsächlich eine Verschwörung unter den engsten Mitarbeitern des Generalissimo im Gange sein sollte und Farkas daran beteiligt war, würde er es niemals riskieren, darüber in einem öffentlichen Lokal zu reden, und bestimmt nicht mit einem israelischen Agenten, ja nicht einmal mit jemand, der ihm sehr vertraut war. Er würde versuchen, das Geheimnis sogar vor sich selbst zu verbergen. Das jedenfalls hätte Enron in diesem Fall getan, und er glaubte nicht, dass Farkas in der Hinsicht unbesonnener war als er selbst.
Aber es ergab sich keine Gelegenheit, dem weiter nachzugehen. Jolanda, die dem ganzen Geplänkel schweigend zugehört hatte, klopfte Enron auf den Arm. »Der Kellner winkt dir, Marty. Ich glaube, da ist ein Anruf für dich.«
»Das kann warten.«
»Und wenn es unser Freund Dudley ist? Du wartest doch so ungeduldig auf Nachricht von dem.«
»Recht hast du«, gab Enron widerwillig zu. »Schön. Wenn du mich entschuldigst, Victor. Bin gleich wieder da.«
Er nahm den Ruf in der abgeschirmten Kabine hinten im Restaurant entgegen. Aber das Gesicht, das auf dem Visor auftauchte, war nicht die massige brutale Visage Mike Davidovs, sondern er blickte wieder in das weichere plumpe Gesicht von Kluge, seinem Kurier. Er wirkte aufgeregt.
»Also?«
»Er ist weg! Dein Typ aus Los Angeles.«
»Du meinst Dudley Reynolds? Wohin?«
»Zurück auf die Erde.« Kluges Stimme klang rau vor Beschämung. »Er hat uns reingelegt. Er war nie in dem Hotel in Santiago. Die haben sich dort eingetragen, dann verschwanden sie sofort und fuhren direkt zum Terminal und stiegen unter vier ganz neuen Namen ins Shuttle zur Erde. Die Schweine müssen einen Koffer voll mit Pässen haben.«
»Mohammeds Mamma!«, sagte Enron. »Kommen an und verschwinden. Einfach so.«
»Sehr schlüpfrige Leute.«
»Ja. Sehr schlüpfrig.« Enrons Achtung vor Davidov war um einige Grad gestiegen. Der Mann konnte kein gewöhnlicher freibeuternder Gangster sein, wenn es ihm gelang, sich so geschickt hier herein- und hinauszutänzeln und dabei ein so cleveres Bürschchen wie Kluge abzuhängen – seine Geschäfte für seinen kleinen Aufstand hier vorläufig abzuschließen und dann direkt unter Kluges Nase zu verduften.
Enron überlegte, ob Davidov sich mit Farkas getroffen haben könnte. Aber er sah nicht, wie er das rasch aus Farkas herausholen sollte, ohne diesem Informationen preiszugeben, zu denen er noch nicht bereit war. Vielleicht gab es ja andere Möglichkeiten.
»Soll ich jetzt noch was anderes für dich erledigen?«, fragte Kluge.
»Momentan nicht, nein. Ach doch, etwas: Könntest du die Bewegung von Davidov in Valparaiso etwas detaillierter nachzeichnen. Bisher weiß ich nur, dass er kurz in dem Hotel war, dann vermutlich unter anderem Namen in ein weiteres Hotel umzog und jetzt auf dem Rückflug zur Erde ist. Kannst du feststellen, wie lange er hier war und mit wem er sich getroffen hat? Ganz besonders will ich wissen, ob er mit dem Augenlosen Kontakt aufgenommen hat. Farkas, du weißt.«
»Ich mach mich gleich dran«, versprach Kluge. »Ich kann versuchen, seine Spur von heute nach rückwärts aufzurollen.«
»Gut, gut. Ja, setz dich gleich dahinter.«
Enron brannte vor Ärger und Enttäuschung, als er an den Tisch zurückkehrte. Den ganzen weiten Weg hier herauf für nichts gemacht zu haben – nun, nicht gerade gar nichts, zumindest hatte er Farkas getroffen und durch ihn die Verbindung zwischen Kyocera und dem Aufstand gegen den Generalissimo hergestellt. Aber das war bisher allerdings alles noch bloße Annahme. Und jetzt, vorausgesetzt, er wollte das alles überhaupt weiter verfolgen, würde er Davidov in Los Angeles aufspüren müssen. Verdammt. Verdammt!
Er brauchte seine ganze beträchtliche Selbstdisziplin, um sich in Zaum zu halten. Aus ihrer Körpersprache entnahm er, dass zwischen Jolanda und Farkas während seiner Abwesenheit wieder ein leichter Flirt stattgefunden haben musste, und er war erneut von Wut erfüllt.
Farkas, der sich Jolanda in offenkundig zärtlicher Weise zugeneigt hatte, richtete sich geschmeidig und rasch wieder gerade auf, während Enron noch zwanzig Schritte von dem Tisch entfernt war. Interessant, dachte Enron, Augen im Hinterkopf. Jolanda hatte aus Farkas' hastigem Zurückziehen das Signal empfangen, dass Enron wieder herankam, und auch sie hatte sich hastig gerade hingesetzt, doch es gelang ihr nicht, ihr Aussehen schnell zu reparieren; ihr Gesicht war gerötet, die Augen flammten. Aus jeder ihrer Poren strömte der Duft ihrer erregten sexuellen Hitzigkeit. Das irritierte ihn, erregte bei ihm jedoch die Lust des Rivalen. Soll Farkas sich doch mit ihr vergnügen, wenn ich es nicht sehe, dachte er. Aber er wird sie nie wieder anfassen. Aber ich, ich werde es ihr besorgen, wie sie's noch nie gekriegt hat, sobald wir wieder im Hotel sind.
»Du siehst ärgerlich aus«, sagte Jolanda. »Schlechte Nachrichten?«
»Gewissermaßen. Von Dudley. Sein Vater ist sehr krank, und er fliegt sofort zur Erde zurück. Es wird also nichts aus unserm Lunch morgen mit ihm.«
»Das ist echt schlimm.«
»Ja, genau. So ein lieber Kerl – er tut mir sehr leid. Wir müssen ihn gleich anrufen, sobald wir wieder auf der Erde sind, ja?«
»Unbedingt«, sagte Jolanda.
Kaum hatte Enron sich gesetzt, als Farkas lächelnd aufstand. »Entschuldigt mich, bitte. Ich bin gleich wieder da.«
Enron sah ihm nach. Er überlegte, ob Farkas vielleicht die geheime Bedeutung seiner Bemerkung entziffert hatte und jetzt selbst ein paar Telefonate führen wollte. Doch nein, der Augenlose ging bloß zur Toilette.
Zu Jolanda sagte Enron: »Der steckt bis zum Hals in der Geschichte. Da bin ich mir sicher. Er ist hier, um für Kyocera als treibende Kraft hinter den Kulissen bei der Operation deiner Freunde die Dinge zu arrangieren. Daran kann es keinen Zweifel geben.«
»Er denkt, dass du hier bist, um genau das für Israel zu tun«, entgegnete Jolanda.
Was für eine aberwitzige Vorstellung! Enron riss die Augen weit auf. Die Frau war außergewöhnlich. Ihre Gedanken schwirrten andauernd mit kolibrihafter Schnelligkeit in die unerwartetsten Richtungen.
Aber dann kam ihm der beunruhigende Gedanke, dass sie möglicherweise sogar recht haben könnte.
»Sagte er dir das, als ich am Telefon war?«, fragte er beklommen.
»Nein. Natürlich nicht. Aber ich konnte sehen, wie er das dachte. Er ist genauso davon überzeugt, dass Israel insgeheim hinter der Sache steckt, wie du, dass es Kyocera ist.«
Er verspürte unendliche Erleichterung. Es war wieder einmal nichts weiter als ihre üblichen wirrköpfigen Spekulationen.
»Nun, da irrt er sich«, sagte Enron.
»Und wenn ihr euch alle beide irrt? Wenn es überhaupt keinen geheimen Finanzier gibt?«
»Du hast keine Ahnung von sowas.« Jetzt ärgerte Enron sich über ihre letzte Bemerkung.
»Stimmt«, sagte Jolanda. »Ich bin eine dumme Kuh, weiter nichts. Du bewunderst an mir bloß meine Titten.«
»Jolanda, bitte!«
»Ich habe sehr schöne Titten, da geb ich dir recht. Das haben mir viele Männer gesagt, und es fällt mir nicht im Traum ein, ihnen zu widersprechen. Aber es steckt mehr in mir, glaub mir, Marty. Und wenn du Glück hast, findest du's vielleicht raus.«
»Du missverstehst mich. Ich habe den allergrößten Respekt vor …«
»Ja. Ich bin sicher, das hast du.«
Jolanda blickte an seiner Schulter vorbei. Farkas war zurück und ragte nun über ihm auf.
»Und jetzt zum Dinner«, sagte er herzlich, während er sich setzte. »Wie gesagt, ich habe hier schon oft gespeist. Wenn ihr gestattet, kann ich euch ein, zwei Spezialitäten empfehlen.«