Kapitel 26

Davidov sagte: »Wir werden in jeder Speiche eine Bombe platzieren, sieben insgesamt, jeweils fünfhundert Meter von der Nabe entfernt. Das sind sechs mehr, als wir wirklich brauchen, aber Redundanz ist der Schlüssel zum Erfolg bei diesem Vorhaben. Ich zweifle nicht an der Fähigkeit der Staatssicherheitskräfte des Generalissimo, zwei oder drei der versteckten Explosivkörper aufzuspüren, doch alle sieben innerhalb der zur Verfügung stehenden Warnfrist zu entdecken, das dürfte wahrscheinlich die Kapazitäten jedes Staatssicherheitssystems übersteigen. Außerdem – wir wollen ja sogar, dass sie einen oder zwei Sprengsätze finden.«

»Und weshalb?«, fragte Carpenter.

»Damit sie wissen, dass wir es ernst meinen.« Davidov lächelte ihn freundlich-überheblich an, als wäre er ein Kind.

Dies fand in einem kleinen unauffälligen Hotelzimmer statt; in der Gemeinde Concepción in der B-Speiche von Valparaiso Nuevo. Anwesend: Davidov, Carpenter, Enron, Jolanda, Farkas. Sie waren im Verlauf mehrerer Tage getrennt aus Los Angeles angereist: zuerst Davidov, dann Farkas, der zuvor noch einen Abstecher zu dem Forschungssatelliten Cornucopia von Kyocera; danach traf Enron mit Jolanda ein. Carpenter kam allein, als letzter, als unauffälliger Froschungsassistent, offiziell als Angestellter von Kyocera registriert, wie Farkas das durch irgendeinen Hokuspokus arrangiert hatte. Jetzt waren knapp zwei Stunden vergangen seit er im Terminal durch den Zoll mit der Hilfe eines Kuriers namens Natathaniel, den ebenfalls Farkas besorgt hatte, eingereist war, der alles für ihn erledigt hatte.

Enron saß getrennt von den anderen in einer Ecke und blickte düster in sein Glas. Von Anfang an hatte er das Gefühl gehabt, dass es ein Fehler von Farkas war, Carpenter mit in die Operation einzubeziehen; und die naive Fragerei von dem Mann bestärkten ihn nun nur noch mehr in dieser Überzeugung, was Carpenters Qualitäten anging. Es war kaum vorstellbar, dass Farkas zu so einer Dummheit fähig sein sollte. Dieser Carpenter war nicht bloß ein richtiger Jonas, ein Unglücksrabe, ein Pechvogel, ein Verlierer, von dem man sich möglichst fernhalten musste, weil er gefährlich war – und außerdem war der Mann auch noch ein Narr.

Nur ein ausgesprochener Narr konnte so blöd sein, diese Schiffbrüchigen da lebend im Pazifik herumpaddeln zu lassen und zu riskieren, dass es Überlebende gab, die berichten konnten, dass er sie in Seenot im Stich gelassen hatte. Und nur ein ausgesprochener Narr konnte nicht begreifen, weshalb es wichtig war, dass der Colonel Olmo, der Chef der örtlichen Guardia Civil von Valparaiso Nuevo, begriff, dass die Sache kein Bluff war – dass Davidovs Leute tatsächlich in dem Raumhabitat diverse Bombenbauteile versteckt hatten, die als Maschinenersatzteile deklariert eingeführt worden waren, die sie erfolgreich zusammensetzen und an verschiedenen Orten innerhalb der Satellitenwelt verstecken und sie durchaus einzeln oder alle auf einmal zünden konnten, sollten nicht die getreuen Mitarbeiter ihrem geliebten Generalissimo Callaghan zu dem überfälligen schleunigen Ende seines überlangen Lebens verhelfen.

Natürlich, überlegte Enron dann, zu seinem plötzlichen Erstaunen, wäre es auch denkbar, dass dieser Carpenter gar nicht der Trottel ist, als der er einem vorkommt. Aber in dem Fall wäre er dann für unsere Interessen sogar noch viel gefährlicher. Und Farkas hat uns diese Natter direkt ins Nest geholt.


Farkas, der mit dem Rücken zum Fenster und der grandiosen Sternennacht stand, die ihn nicht zu beeindrucken schien, sagte zu Davidov: »Und wie schnell soll ich mich mit Olmo in Verbindung setzen?«

»Gleich als erstes morgen früh. Du rufst ihn an und sagst ihm, was los ist, und du gibst ihm bis Mittag, was zu unternehmen.«

»Ist denn das genug Zeit?«

»Es wird eben genug sein müssen«, sagte Davidov. »Das Mittagsshuttle zur Erde fliegt um Viertel nach zwölf. Falls was schiefläuft und Olmo nicht funktioniert, sollten wir damit abhauen. Wenn wir Olmo so 'ne kurze Frist setzen, hilft ihm das, sich besser auf seinen Job konzentrieren zu können.«

»Er wird das ganz bestimmt«, sagte Farkas. »Olmo weiß zu gut, was am besten für Olmo ist.« Er machte eine Pause. »Übrigens ist er über das Komplott informiert.«

Enron und Davidov äußerten gleichzeitig Erstaunen.

»Aber ja«, fuhr Farkas fort. »Er hörte schon vor geraumer Zeit über Gerüchte von der Sache, durch seine üblichen geheimen Informanten, nehme ich an. Schon lange bevor ich selbst in die Sache eingeschaltet war, wandte er sich an mich und fragte, ob ich ihm vielleicht behilflich sein könnte, die Verschwörer ausfindig zu machen. Schließlich ist es ja seine Aufgabe, nicht wahr, die Herrschaft des Don Eduardo Callaghan zu schützen. Aber ich sehe da keine Probleme. Meint ihr nicht, dass er die Chance packt, sich auf die Seite der Umstürzler zu stellen, sobald ihm bewusst wird, dass der Staatsstreich unvermeidlich ist?«

Jolanda fragte: »Was wird dann hinterher aus diesem Olmo? Können wir dem weiter trauen? Und wird er dann hier der neue Generalissimo sein?«

»Selbstverständlich«, sagte Farkas. »Seit langem besteht zwischen ihm und Kyocera schon die Abmachung, dass er der Nachfolger sein soll. Und obwohl es sich hier nicht um ein reines Kyocera-Projekt handelt und wir durch direktes Eingreifen das Ende des Callaghan-Regimes nur beschleunigen helfen, sind wir doch überzeugt, dass Olmo die beste Wahl als Nachfolger ist. Selbstverständlich sind wir nicht daran interessiert, Valparaiso Nuevo zu destabilisieren, sondern ausschließlich daran, uns die hier vorhandenen Ressourcen zunutze zu machen. Und dazu gehört eben Olmo.«

»Du hast ihn früher einmal als die Nummer Drei bezeichnet«, sagte Enron. »Wer ist die Nummer Zwei hier?«

»Ein alter Stierkämpfer namens Francisco Santiago, Callaghans Busenfreund aus der alten Zeit in Chile. Offiziell ist er Präsident des Staatsrats. Den kann man vergessen. Er ist neunzig und senil, und außerdem besitzt er keinerlei wirkliche Macht. Olmo wird sich um ihn kümmern.«

»Aber welche Garantie haben wir, dass dieser Olmo sich auch tatsächlich um die Entsorgung des Generalissimo kümmern wird?«, fragte Carpenter. »Für mich hört der sich bisher ziemlich glitschig an. Was ist, wenn er uns an Callaghan verkauft, gegen das Versprechen, seine Nachfolge anzutreten? Der Mann könnte doch ganz leicht versuchen, beide Seiten auszuspielen. So oder so kann er die Nachfolge in dem Laden hier übernehmen. Und dazu braucht er sich nicht die Finger mit einem Staatsstreich schmutzig zu machen.«

»Und?« Davidov wandte sich an Farkas. »Olmo ist dein Mann. Können wir ihm trauen?«

»Wir werden Olmo vor die Wahl stellen, entweder er lässt Don Eduardo im Stich und ist morgen Nachmittag selber Regierungschef in Valparaiso Nuevo – oder er stirbt mit dem Generalissimo und allen anderen, wenn das alles hier explodiert. Was meint ihr, wofür der sich entscheiden wird?«

»Und falls er dann hinterher beschließt, wenn alles erledigt ist, dass er lieber doch nicht mit einem Haufen von brutalen eiskalten Kriminellen aus Los Angeles gemeinsame Sache machen will und mit dem unheimlichen gespenstischen Multikonzern und dem Imperialstaat Israel, die hinter diesen kleinen Kriminellen stehen und sie finanzieren?«, fragte Carpenter.

Enron hieb sich in Verzweiflung die Hand auf die Stirn. Dagegen muss man doch etwas tun, dachte er.

»Begreifst du denn nicht«, sagte Enron mit eiskaltem Ton, »dass Kyocera und der Staat Israel eben deshalb in das Projekt eingestiegen sind, um das zu verhindern? Und dass Olmo nur eine Kreatur von Kyocera ist? Er ist nicht dumm genug, sich gegen die zu wenden, die ihn an die Macht gebracht haben. Und ich vermute, er hat auch kein Verlangen danach, Ärger mit Israel zu kriegen.«

»Wohl kaum«, sagte Carpenter.

»Also dann«, sagte Davidov. »So sei es. Die Bomben werden gerade zusammengebaut und heute Nacht platziert. Morgen um 07:00 Uhr setzt du dich mit Olmo in Verbindung, Farkas. Um exakt zwölf Uhr brauchen wir von ihm die Bestätigung, dass der Generalissimo tot ist, Codebezeichnung IDEN DES MÄRZ, sehr subtil und wunderbar passend. Wir warten bereits im Terminal. Unsere Ausreiseformalitäten sind geklärt. Wenn das Signal nicht zum festgesetzten Zeitpunkt kommt, gehen wir an Bord des Shuttle um 12:15 und fliegen weg. Carpenter, deine Aufgabe ist es, im Verlauf des Vormittags zum Terminal zu fahren und dort auf uns zu warten. Das Shuttle darf keinesfalls ohne uns abfliegen, hast du verstanden? Dafür bist du verantwortlich. Wenn nötig, verwickelst du dich mit den Beamten dort in irgendeine blöde Auseinandersetzung über deinen Pass oder sonst was, möglichst lautstark, oder was immer dir an Ablenkung geeignet scheint, den Start bis zu unserem Eintreffen zu verzögern oder bis du auf deinem Flex das Signal bekommst: IDEN DES MÄRZ!«

»Und was passiert mit den Bomben, wenn Olmo sich nicht meldet?«, fragte Jolanda. »Gehen die dann hoch?«

»Ihre Zeitzünder sind auf halb zwei gestellt. Damit bleibt uns ein gewisser Spielraum, falls Olmo in letzter Minute auf Schwierigkeiten stößt.«

»Und falls das so käme? Hauen wir dann einfach ab und das Ganze hier wird zerstört?«, fragte sie.

»Ja. Alles oder nichts«, sagte Davidov gelassen.

»Das mag ich aber gar nicht, Mike. Abgesehen von der moralischen Fragwürdigkeit, die recht bedeutsam ist, weil hier Tausende von unschuldigen Menschen leben, aber was für einen Nutzen würde das irgend jemand bringen, wenn wir das hier alles in die Luft jagen?«

»Olmo wird uns nicht enttäuschen«, sagte Davidov. »Das hier ist die große Chance für ihn, genau wie für uns.« Er stand auf. »Die Sitzung ist beendet«, sagte er. »Ihr wisst, wo ihr mich findet, wenn ihr mich braucht.«

»Möchte irgendwer was trinken?«, fragte Jolanda. »Drunten gibt's 'ne Bar.«

»Gehen wir runter«, sagte Carpenter.

Im Flur drängte sich Enron an Farkas' Seite.

»Könnte ich dich einen Moment sprechen?«, fragte er.


Farkas hatte Enron von Anfang an nicht gemocht, und im Verlauf ihrer Geschäftspartnerschaft waren diese Gefühle nicht wärmer geworden. Er konnte ihm seine Arroganz verzeihen, sein stures, verbissenes zielstrebiges Beharren auf einem Vorhaben, ungeachtet der dabei benutzten Mittel; selbst die kaum verhohlene Verachtung für jeden, der nicht das Glück hatte, Meshoram Enron zu sein, fand Farkas verzeihlich; er verstand derlei Verhaltensweisen durchaus.

Aber Enron nervte! Er war wie eine schillernde Fliege, die einem andauernd vor der Nase herumschwirrt. Er gab nie auf; und das war höchst ärgerlich. Aber alles in allem, sie waren Partner. Und Farkas wusste Enrons rasche quecksilbrige Intelligenz durchaus zu schätzen, auch wenn er seinen Charakter und seine Persönlichkeit und auch seine Tischmanieren nicht mochte. Also hörte er aufmerksam zu, was Enron ihm da in dem schäbigen engen Flur des bescheidenen Hotels in der Gemeinde Concepción in Speiche B von Valparaiso Nuevo zu sagen hatte.

Und was Enron ihm zu sagen hatte, war ärgerlich und eine Beleidigung: es ging nämlich nur darum, dass er, Farkas, es fertig gebracht hätte, durch seine Unachtsamkeit so ganz nebenbei einen Spion und Agenten der Samurai Industries in ihr gemeinsames, so delikates Kooperationsprojekt zu infiltrieren. Diese Beschuldigung traf Farkas zutiefst in seinem Gefühl für Kompetenz und Urteilsvermögen.

Aber was ihn wirklich furchtbar ärgerte: Farkas war mehr als halb davon überzeugt, dass Enron möglicherweise recht haben könnte.

»Sieh die Sache doch mal so«, sagte Enron. »Wir haben da einen Mann, der unter komplizierten Umständen in einem Entscheidungsdilemma einen schweren Fehler machte und der dafür von Samurai gefeuert wurde, hauptsächlich aus Imagegründen bei Samurai, weil der Mann so dumm war, einen Haufen von Kyocera-Leuten in Seenot am Leben zu lassen, damit sie dann die Geschichte breittreten konnten; ein Typ, der jetzt im Multikonzernsystem nicht die geringsten Chancen mehr hat. Also hat er sich für ein Leben als Krimineller entschieden, ja? Genau! Aber wann hast du schon mal was von einem Angestellten mit Elferrang gehört, der gefeuert wurde, egal ob mit oder ohne Grund, der das ohne Widerspruch so einfach hingenommen hätte? Aus einem Elferrang wird niemand so einfach gefeuert. Keiner!«

»Aber du hast es ja gerade gesagt, was Carpenter getan hat, war ein sehr gravierender Entscheidungsfehler.«

»War es das wirklich? Er hatte einen klapprigen kleinen Eisbergschlepper und keinen Platz für zusätzliche Passagiere, und da warteten wer weiß wie viele von den Kyoceraleuten darauf, dass er sie an Bord nimmt. Was hättest denn du an seiner Stelle getan?«

»Ich hätte mich von Anfang an nicht so weit auf das Ganze eingelassen«, sagte Farkas.

»Genau. Aber angenommen, es wäre doch passiert?«

»Ja, aber weshalb reden wir jetzt darüber?«

»Weil ich glaube, dass Carpenter, nachdem er seine Karriere ein für allemal endgültig in der Geschäftswelt auf Grund gefahren hat, aber immer noch im Glauben, dass er noch dazugehört, vielleicht versucht, sich bei Samurai wieder in gutes Licht zu setzen, indem er Don Eduardo deinen und meinen Arsch verkauft.«

»Klingt ziemlich weit hergeholt.«

»Für mich nicht«, sagte Enron. »Überleg doch mal. Wer ist der beste Freund von Carpenter, schon seit ihren Jugendtagen? Der Spitzengenetiker von Samurai, Nick Rhodes. Wenn Carpenter im Dreck steckt, rennt er zu Rhodes, und Rhodes, der – unter uns gesagt – ein ziemlich konfuser, schüchterner Lahmarsch ist, der leider eben zum Glück für ihn ein Genie ist, sagt zu Carpenter, nehmen wir mal an, dass der sein Leben nur wieder in die Reihe kriegt, wenn er sich auf die Großindustriespionage verlegt. Und damit wird aus zwei Übeln vielleicht was Gutes: Du erwischst Kyocera oder Toshiba oder so etwas in der Größenordnung bei einer Schweinerei und lässt das so beiläufig die Oberschlitzaugen von Samurai wissen, damit die dem bösen Kerl auf die Patschen schlagen können, und pronto stehst du in der Firma wieder ganz hoch oben auf der Begünstigungsliste, sagt Rhodes zu ihm. Sagen wir, Rhodes sagt ihm, unsere liebe Jolanda hat sich morgen Abend einen gewissen Victor Farkas zum Dinner eingeladen, einen Topfighter von Kyocera; und du tauchst da auch auf und schmeißt dich an diesen Farkas ran, und dabei kriegst du vielleicht raus, dass Farkas für Kyocera irgendeine Gemeinheit plant, weil es zehn zu eins steht, dass Farkas in etwas Scheußliches verwickelt ist, und …«

»Du konstruierst da was ganz Großes aus dem Nichts«, sagte Farkas.

»Lass mich erst mal zu Ende reden, ja? Carpenter taucht also auf der Party auf, und irgendwie kommt ihr ins Gespräch, was von Anfang an geplant war. Carpenter lauert nur auf die Gelegenheit dazu, etwas Brauchbares in die Finger zu bekommen. Und auf einmal fühlst du dich dazu inspiriert und ziehst ihn in unser Projekt hinein, diesen völlig Fremden, einen Kerl, dessen Karriere bei Samurai Schiffbruch erlitt. Und weshalb tust du das? Das weiß nur der Himmel allein. Aber du tust es. Und für Carpenter ist das wie ein Wunder. Er wird Kyocera mit der Rolle bei etwas wirklich gigantisch Scheußlichen bloßstellen, neben dem seine paar in Seenot gelassenen Tintenfischfänger wirken werden wie eine harmlose Kinderfete. Don Eduardos Guardia wird uns verhaften, und dieser Carpenter steht als Held da. Und er bekommt eine neue Identität und rückt zwei Stufen nach oben.«

»Nach meiner Beurteilung besteht nicht die Wahrscheinlichkeit, dass deine Hypothese irgendwie …«

»Moment! Es kommt noch mehr! Wusstest du, dass er auch einer von Jolandas Liebhabern ist? Am Abend, an dem ich diesen ganzen Leuten zum ersten Mal begegnete, war Carpenter ihr Begleiter. Und er hat sie in der Nacht mit in sein Hotel genommen.«

Dieser unerwartete Hieb traf Farkas tief. Doch er parierte, so gut es ging.

»Na und? Sie ist ja nicht gerade wegen ihrer Sexualabstinenz berühmt.«

»Jolanda war in die Sache eingeweiht, bevor du oder ich dazukamen«, sagte Enron. »Sie hat mich dazu gebracht, ist dir das klar? Und jetzt hat sie ihren Freund Carpenter da ebenfalls mit hineingeschmuggelt, weil der in der Luft hängt und sie ihm helfen will. Jolanda weiß, dass Kyocera als einer der Drahtzieher bei diesem Staatstreich mitmischt, und dann findet Jolanda heraus, dass Samurai gerade ihrem Freund Carpenter die Eier abgeschnitten hat, um Kyocera einen Gefallen zu tun, und sie entdeckt eine Möglichkeit, wie sie sie ihm wiedergeben kann. Also veranstaltet sie dieses kleine Dinner, bei dem du ihm zufällig begegnest, ihn freundlicherweise ins Vertrauen ziehst und in unsere Projektplanung einbaust. Könnte es sein, dass sie dich genau dahin manövriert hat, damit ihr lieber Carpenter dich und mich und Davidov verkaufen kann – die ebenfalls Jolandas Bettgenossen waren, aber was spielt das schon für eine Rolle? – an die Guardia Civil, damit er sich so seine Karriere bei Samurai wieder aufbauen kann?«

»Du beschreibst sie, als wäre sie eine Teufelin«, sagte Farkas.

»Vielleicht ist sie ein Weibsdämon«, sagte Enron. »Oder vielleicht liebt sie diesen Carpenter, und wir anderen sind weiter nichts als Spielfiguren für sie.«

Farkas erwog das eine Weile bei sich.

Er fühlte sich tief verunsichert. Enron schien da zu einem ganzen Bündel von Schlussfolgerungen zu springen. Doch je länger er über die ganze Affäre nachdachte, desto deutlicher erkannte er, dass er durchaus von Carpenters Freunden dahingehend manipuliert worden sein könnte, etwas für den in Ungnade gefallenen Mann von Samurai zu unternehmen. Was für einen Grund gab es für ihn, Carpenter überhaupt in die Geschichte einzubeziehen, wenn nicht den, bei Jolanda Punkte zu gewinnen? Sie hatte ihn doch geradezu gedrängt, etwas zu tun, damit Carpenter wieder auf die Beine kam. Schön, und in einem wilden unkontrollierten Augenblick von Spontaneität hatte er sich auf dieser Party bei Jolanda hinreißen lassen; und damit hatte er sie alle – sich selbst, Davidov, Enron, sogar die Firma als solche – unnötigerweise auf sträflich erschreckende Weise verletzbar gemacht.

War es wirklich möglich, überlegte er, dass er sich in seiner schuljungenhaften Verliebtheit in die üppigen seidigen Schenkel und prachtvollen Brüste dieser Frau aus Kalifornien zu einer dermaßen katastrophalen Torheit hatte verrennen können?

»Ich glaube, ich muss mal mit Jolanda sprechen«, sagte er zu Enron.


Jolanda und Carpenter saßen in der Bar: an einem Tisch, einander gegenüber; es sah keineswegs kompromittierend aus. Als Enron und Farkas herankamen, entschuldigte sich Carpenter und verschwand in Richtung Toiletten.

»Keine schlechte Idee«, sagte Enron. »Lässt du mir einen Scotch-Soda kommen, Jolanda?«

Während Enron hinter Carpenter herging, setzte sich Farkas neben Jolanda. Mit gedämpfter Stimme, als könnte Enron ihn sogar noch durch die halbe Bar hindurch hören, bat er: »Bleibst du heute Nacht bei mir?«

»Es geht nicht. Das weißt du doch. Marty wäre wütend.«

»Bist du mit ihm verheiratet?«

»Wir reisen zusammen. Wir haben hier ein gemeinsames Hotelzimmer. Da kann ich doch nicht so einfach mit dir weggehen.«

»Aber du möchtest es«, sagte er. »Ich spür doch die Hitze, die von dir ausgeht.«

»Natürlich möchte ich gern. Aber ich kann nicht, wenn Marty da ist. Schon gar nicht heute Abend. Er ist grässlich nervös, weil irgendwas schiefgehen könnte.«

»Also, das bin ich auch«, sagte Farkas. Es ärgerte ihn, dass sie ihn zurückwies; und es bedeutete, dass er das, was er wissen musste, in den paar Momenten herausfinden musste, die ihm blieben, bis Enron und Carpenter an den Tisch zurückkehrten. Er hoffte, Carpenter würde sich Zeit lassen, oder Enron würde sich etwas einfallen lassen, ihn aufzuhalten. »Was mich aber beunruhigt, das ist dein Freund Carpenter«, sagte er.

»Paul? Aber wieso denn?«

»Was weißt du über ihn? Und wie vertrauenswürdig ist der Mann wirklich?«

Er sah den Wechsel in Jolandas Körperausstrahlung: sie wurde nun vorsichtig, strahlte weiter oben im Spektrum ein zitteriges ultraviolettes Signal aus. Sie sagte: »Ich verstehe dich nicht. Wenn du kein Vertrauen zu ihm hast, wieso hast du ihn dann in die Sache hereingenommen?«

»Du hattest mich darum gebeten.« Ihre Spektralstrahlung stieg weiter an.

»Ich habe nur angedeutet, dass du vielleicht bei Kyocera für ihn eine Möglichkeit siehst«, sagte Jolanda. »Ich habe nicht erwartet, dass du ihn zu dieser Sache einladen wirst.«

»Aha. Ich verstehe.« Und Carpenter kam noch immer nicht zurück. »Meinst du, es ist riskant, dass er hier bei uns mitmacht?«

»Selbstverständlich nicht. Warum bist du ihm gegenüber auf einmal so misstrauisch?«

»Nerven, nehme ich an. Auch ich habe Nerven.«

»Das hätte ich nie vermutet.«

»Es ist aber so. Aber sag mir eins, Jolanda. Wie gut kennst du Carpenter eigentlich wirklich?«

»Er ist eigentlich nur der Freund von Freunden.«

»Mehr nicht?«

»Nun…«

Farbe stieg ihr ins Gesicht. Farkas fühlte die Infrarotstrahlung.

»Ich rede jetzt nicht vom Bett. Wie lange kennst du ihn schon? Ein Jahr? Drei?«

»O nein, nicht so lange. Ich traf ihn vor ein paar Monaten bei einem Abendessen mit Nick Rhodes und Isabelle und Marty. Er war gerade von irgendwo im Norden nach San Francisco gekommen, und Nick bat mich als Partnerin für ihn dazu. Viel mehr war an diesem Abend eigentlich nicht los.«

»Verstehe«, sagte Farkas. »An diesem einen Abend.«

Er fühlte, wie ihm das Herz in die Hosen sank. Du hast zugelassen, dass dieses dumme Weib aus dir einen noch größeren Narren machen konnte, als dir klar geworden ist, dachte er düster.

»Aber ich denke ganz bestimmt nicht«, sagte Jolanda, »dass er irgendwie die geringste Gefahr für uns ist. Alles, was ich von ihm weiß, veranlasst mich, ihn für einen Mann von extremer Intelligenz und Fähigkeit …«

»Schon gut«, unterbrach sie Farkas. »Das reicht. Er kommt zurück.«


Sie hatten geplant, sich an dem Abend zu trennen und separat zu essen: Enron und Jolanda, Farkas mit Carpenter, Davidov mit seiner geheimnisvollen Bande aus Los Angeles. Als sie sich im Foyer trennten, zog Jolanda Carpenter beiseite und flüsterte ihm zu: »Hüte dich vor Farkas.«

»Was meinst du damit? Mich hüten, inwiefern?«

»Er traut dir nicht.«

»Er hat mich doch überhaupt erst in die Sache reingebracht.«

»Weiß ich. Aber jetzt hat er Bedenken. Vielleicht hat Marty was gegen dich zu ihm gesagt.«

»Marty? Aber der hat doch keinen Grund anzunehmen, dass ich irgendwie …«

»Aber du weißt doch, wie diese Israelis sind. Paranoia ist bei denen ein Nationalsport.«

»Was meinst du, was los ist?«, fragte Carpenter.

Sie schüttelte den Kopf. »Weiß ich nicht recht. Farkas hat mich vorhin einiges über dich gefragt. Ob ich glaube, dass es gefährlich ist, dass du bei der Gruppe bist. Und wie gut ich dich kenne. Er sagt, es sind bloß seine Nerven. Kann sein, aber ich an deiner Stelle wäre vorsichtig mit ihm.«

»Ja, das werde ich sein.«

»Lass ihn nicht aus den Augen. Er ist völlig skrupellos, und er ist enorm schnell und stark, und er kann in sämtliche Richtungen gleichzeitig sehen. Er kann gefährlich werden. Ich weiß, wozu er fähig ist«, sagte sie. »Ich war mal mit ihm im Bett, ein einziges Mal, und sowas habe ich noch nie von einem Mann erlebt. Sowas von heftig und stark.« Dann griff sie in ihre Tasche und holte drei kleine achteckige gelbe Tabletten heraus. »Da, nimm die und behalte sie bei dir. Und wenn du irgendwie in Schwierigkeiten kommst, können sie dir helfen.« Sie drückte Carpenter die Pillen in die Hand.

»Hyperdex?«, fragte er.

»Ja. Hast du das schon mal genommen?«

»Hin und wieder.«

»Dann weißt du ja Bescheid. Eine reicht unter normalen Umständen. Zwei für ganz außergewöhnliche.«

Carpenter sagte: »Bist du wirklich sicher, dass Farkas schlecht von mir denkt? Oder entwickelst jetzt auch du nervöse Zustände?«

»Vielleicht bin ich paranoid. Aber er hat noch vor 'ner Minute mich über dich ausgefragt. Ob ich dir traue und so. Es klang gar nicht gut, aber vielleicht steckt ja nichts dahinter. Aber pass auf dich auf, mehr will ich nicht.«

»Mach ich.«

»Und deine Nerven? Keine Probleme?«

»Nein«, sagte Carpenter. »Mir ist inzwischen alles scheißegal geworden. Ich glaube, bei mir hat das ganze Nervensystem vor einiger Zeit 'nen Kurzschluss erlebt.« Er sah sie grinsend an und verpasste ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Danke für die Kuller«, sagte er. »Und die Warnung.«

»Gern geschehen.«


Ein frühes Abendessen. Allein in seinem Hotel. Dann eine Session mit Videos, allein im Zimmer. Dann ins Bett. Morgen war der große Tag. Früh zu Bett und früh aus den Federn, macht 'nen Knaben zäh und ledern.

Ich weiß, wozu er fähig ist, hatte Jolanda gesagt. Ich war mal mit ihm im Bett, ein einziges Mal.

Nur einmal? Was für eine Überraschung. Das Mädchen kam ganz schön herum.

Na ja, dachte er. Morgen wird's sich zeigen.

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