Kapitel 13

Das Kloster lag zwei Kilometer von der Grenze entfernt in einer von Felsen und Riedgras umgebenen Senke: ein trauriger, entweihter Ort, die Dächer waren eingedrückt, die Zellentüren zum Innenhof aufgebrochen, die Steinmauern mit psychedelischen Hula-Mädchen bemalt. Ein Nach-Christ haue versucht, hier eine Diskothek einzurichten, dann jedoch genauso das Weite gesucht wie zuvor die Mönche. Auf dem Betongeviert, das als Tanzfläche hatte dienen sollen, stand der rote Mercedes wie ein Streitross, das zur Schlacht fertig gemacht wird; daneben die Amazone, die es lenken sollte, und neben ihr Joseph, der Aufseher über alles. Bis hierhin hat dich Michel gebracht, um die Nummernschilder auszuwechseln und wo er Abschied von dir nimmt, Charlie; hier hat er dir die falschen Papiere und die Wagenschlüssel ausgehändigt. Rose, wisch die Tür bitte noch mal ab. Rachel, was ist das für ein Stück Papier dort auf dem Boden? Er war wieder Joseph, der Perfektionist, der sich auch noch um das winzigste Detail kümmerte. Der Lieferwagen der Funker stand neben der Außenmauer, und seine Antenne schwankte sanft im heißen Wind.

Die Münchener Nummernschilder waren bereits festgeschraubt, das CD durch ein verstaubtes deutsches D ersetzt worden. Unerwünschte Abfälle waren entfernt worden. Peinlich genau und sehr umsichtig verteilte Becker an ihrer Stelle beredte Erinnerungsstücke: einen oft durchgeblätterten Akropolis-Führer, in die Seitentasche des Wagenschlags geschoben und vergessen; Traubenkerne für den Aschenbecher, kleine Reste von Apfelsinenschalen auf dem Boden; Hölzchen von griechischem Eis-am -Stiel, Schnipsel von Schokoladenpapier. Dann zwei abgerissene Eintrittskarten für die antiken Stätten von Delphi, eine Esso-Straßenkarte von Griechenland, die Route Delphi - Saloniki mit Filzstift eingezeichnet und versehen mit ein paar von Michel auf Arabisch hingekritzelten Randbemerkungen in der Nähe der Stelle, wo Charlie in den Hügeln einhändig die Pistole abgefeuert und vorbeigeschossen hatte. Ein Kamm mit ein paar schwarzen Haaren darin, dessen Zähne mit Michels stark riechendem deutschen Haarwasser bestrichen waren. Ein paar Autohandschuhe aus Leder, leicht besprüht mit Michels Körperspray. Ein Brillenetui der Firma Frey, München - das Etui, das zu der Sonnenbrille gehört hatte, die entzweigegangen war, als ihr Besitzer an der Grenze versucht hatte, Rachel mitzunehmen. Zuletzt unterzog er Charlie selbst einer nicht minder aufmerksamen Begutachtung, die ihre gesamte bekleidete Erscheinung erfasste, von den Schuhen bis zum Kopf und wieder über das Armband zurück, ehe er sie -widerstrebend, wie ihr schien - an einen kleinen Klapptisch führte, auf dem der durchgesehene Inhalt ihrer Handtasche bereitgelegt worden war. »So, jetzt räum das bitte ein«, sagte er schließlich, nachdem er nochmals alles überprüft hatte, und sah zu, wie sie alles auf ihre Art einpackte: Taschentuch, Lippenstifte, Führerschein, Kleingeld, Brieftasche, kleine Andenken, Schlüssel sowie den ganzen sorgfältig ausgesuchten Kleinkram, der, wenn man ihn genau untersuchte, geeignet war, die komplexen Fiktionen ihrer verschiedenen Leben zu bestätigen.

»Was ist denn mit seinen Briefen?« sagte sie. Josephs-Pause. »Wenn er mir doch all diese heißen Liebesbriefe geschrieben hat, trage ich die überall mit mir herum - oder?«

»Das erlaubt Michel nicht. Du hast strikte Anweisungen, seine Briefe an einer sicheren Stelle in deiner Wohnung aufzubewahren und sie vor allen Dingen niemals bei einem Grenzübertritt dabeizuhaben. Allerdings…« Aus der Seitentasche seines Jacketts hatte er ein in schützendes Zellophan eingewickeltes Notizbüchlein herausgezogen: es war in Stoff gebunden und hatte einen kleinen Bleistift im Rücken. »Da du kein Tagebuch führst, haben wir beschlossen, es für dich zu tun«, erklärte er. Beherzt nahm sie es entgegen und riss die Zellophanhülle ab. Sie zog den Bleistift heraus. Kleine Einbissdellen wiesen darauf hin, was sie immer noch mit Bleistiften machte: sie kaute darauf herum. Sie durchblätterte ein halbes Dutzend Seiten. Schwilis Eintragungen waren sparsam, aber dank Leons Einfühlungsgabe und Miss Bachs elektronischem Gedächtnis waren es ihre eigenen. Über die Nottingham-Periode nichts. Michel war wie aus heiterem Himmel auf sie herniedergeschossen. Bei York ein dickes in mit Fragezeichen daneben, das Ganze umkringelt. In der Ecke desselben Tages ein langer, nachdenklicher Krakel, so wie sie sie machte, wenn sie Tagträumen nachhing. Ihr Auto tauchte auf: 9 Uhr Fiat zu Eustace. Und ihre Mutter: In einer Woche Mum Geburtstag. Geschenk kaufen! Und auch Alastair: A auf die Isle of Wight - Werbefilm für Kellogg’s? Er war nicht gefahren, wie sie sich jetzt erinnerte; Kellogg’s hatte einen besseren und nüchterneren Schauspieler gefunden. Für ihre Tage Schlangenlinien, und ein- oder zweimal die witzige Eintragung: Nicht einsatzfähig. Als sie zu den Ferien in Griechenland weiterblätterte, fand sie den Namen Mykonos in großen, nachdenklichen Druckbuchstaben und daneben Abflug-und Ankunftszeit der Chartermaschine. Doch als sie zum Tag ihrer Ankunft in Athen kam, flatterte ihr auf der Doppelseite ein Schwarm auffliegender Vögel entgegen, mit rotem und blauem Kugelschreiber wie die Tätowierung auf dem Arm eines Matrosen gezeichnet. Sie ließ das Notizbuch in die Handtasche fallen und den Verschluss zuschnappen. Es war zuviel. Sie kam sich schmutzig und vereinnahmt vor. Sie sehnte sich nach neuen Menschen, die sie noch überraschen konnte -Menschen, die ihre Gefühle und ihre Handschrift nicht so gut nachmachen konnten, dass sie selbst sie nicht einmal mehr vom Original unterscheiden konnte. Vielleicht wusste Joseph das. Vielleicht entnahm er das ihrer brüsken Art. Hoffentlich! Mit behandschuhter Hand hielt er ihr die Autotür auf, und sie stieg rasch ein.

»Sieh noch mal nach den Papieren«, befahl er.

»Brauche ich nicht«, sagte sie und sah geradeaus.

»Autonummer?«

Sie nannte sie ihm.

»Zulassungsdatum?«

Sie gab auf alles eine Antwort: eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte. Das Auto war Eigentum eines Münchener Modearztes, dessen Namen sie parat hatte und der im Augenblick ihr Liebhaber war. Versichert und auf seinen Namen zugelassen, siehe die falschen Papiere.

»Warum ist er denn nicht bei dir, dein tüchtiger Doktor? Michel fragt dich dies, verstehst du?«

Sie verstand. »Er musste heute Morgen wegen eines dringenden Falles von Saloniki nach Hause fliegen. Ich habe mich bereit erklärt, den Wagen für ihn zurückzufahren. Er war in Athen, um dort einen Vortrag zu halten. Wir sind zusammen unterwegs gewesen.« »Wie hast du ihn denn überhaupt kennen gelernt?« »In England. Er ist ein guter Freund meiner Eltern - heilt sie von ihrem Katzenjammer. Meine Eltern sind ungeheuer reich, Andeutung, Andeutung.«

»Für den Notfall hast du Michels tausend Dollar in der Handtasche, die er dir für die Reise geliehen hat. Vielleicht solltest du daran denken, diesen Leuten für die Überstunden und die Umstände, die du ihnen verursacht hast, eine Kleinigkeit zukommen zu lassen. Wie heißt seine Frau?«

»Renate, ich hasse diese Ziege.« »Und die Kinder?«

»Christoph und Dorothea. Ich würde ihnen eine wunderbare Mutter sein, wenn nur Renate den Platz freimachte. Ich möchte jetzt fahren. Noch was?«

»Ja.«

Dass du mich liebst, schlug sie in Gedanken vor. Dass es dir ein bisschen leid tut, mich mit einem Wagen voll von erstklassigem russischen Plastik-Sprengstoff durch halb Europa zu scheuchen.

»Sei nicht allzu selbstsicher«, riet er ihr mit nicht mehr Gefühl, als wenn er ihren Führerschein überprüft hätte. »Nicht jeder Grenzbeamte ist ein Trottel oder ein Sexungeheuer.«

Sie hatte sich vorgenommen, nicht Lebewohl zu sagen, und vielleicht hatte Joseph dasselbe getan.

»Also, Charlie«, sagte sie und ließ den Motor an. Er winkte ihr nicht nach, noch lächelte er. Vielleicht wiederholte er: »Also, Charlie«, doch wenn er es tat - sie hörte es nicht. Sie kam auf die Hauptstraße; das Kloster und seine zeitweiligen Bewohner verschwanden aus dem Rückspiegel. Mit großer Geschwindigkeit fuhr sie ein paar Kilometer, dann erreichte sie einen alten gemalten Pfeil mit der Aufschrift: Jugoslawien. Sie fuhr langsam weiter, folgte dem allgemeinen Verkehr. Die Straße verbreiterte sich und wurde zu einem Parkplatz. Sie sah eine Schlange von Reisebussen, eine Autoschlange und die Flaggen aller Nationen, von der Sonne zu Pastelltönen gebleicht. Ich bin Engländerin, Israeli, Deutsche und Araberin. Sie reihte sich hinter einem offenen Sportwagen ein. Zwei junge Männer saßen vorn, zwei Mädchen hinten. Sie fragte sich, ob es wohl Josephs Leute wären. Oder Michels. Oder irgendwelche Polizei. Sie lernte die Welt auf diese Weise betrachten: jeder gehört zu irgendwem. Ein grau-uniformierter Beamter winkte sie ungeduldig voran. Sie hatte alles bereit. Falsche Papiere, falsche Erklärungen. Kein Mensch war daran interessiert. Sie war drüben.

Auf der Hügelspitze hoch über dem Kloster ließ Joseph seinen Feldstecher sinken und kehrte zu dem wartenden Lieferwagen zurück.

»Ladung auf den Weg gebracht«, sagte er kurz angebunden zu David, der die Wörter gehorsam in seinen Apparat tippte. Für Becker hätte er alles getippt - alles riskiert, jeden erschossen. Becker war für ihn eine lebende Legende, vollkommen in all seinen Fähigkeiten, jemand, dem er unermüdlich nacheifern sollte. »Marty erwidert: Gratuliere«, sagte der junge Mann ehrfürchtig. Doch der große Becker schien ihn nicht zu hören.

Sie fuhr eine Ewigkeit. Sie fuhr, die Arme schmerzten, weil sie das Steuer zu fest gepackt hatte, und der Nacken tat ihr weh, weil sie die Beine zu steif hielt. Sie fuhr, und ihr wurde flau im Magen, weil sie die Bauchmuskeln zu wenig anspannte. Dann wieder wurde ihr flau, weil sie zuviel Angst hatte. Dann noch flauer, als der Motor stotterte und sie dachte: Hurra, jetzt haben wir eine Panne. Sollte das geschehen, gib ihn einfach auf, hatte Joseph gesagt. Fahr ihn in eine Abzweigung, lass dich per Anhalter mitnehmen, verlier die Papiere und nimm einen Zug. Vor allem aber mach, dass du so weit wie möglich von dem Ding wegkommst. Nur, jetzt, nachdem sie einmal unterwegs war, glaubte sie nicht, dass sie das tun könnte: das wäre ja, als ob sie mitten in einer Aufführung von der Bühne liefe. Zuviel Musik machte sie ganz taub, und so stellte sie das Radio ab und wurde nun taub von dem Geratter der Lastwagen. Sie war in einer Sauna, sie fror sich zu Tode, sie sang. Es gab kein Vorankommen, nur Unterwegssein. Aufgeräumt plauderte sie mit ihrem toten Vater und ihrer Scheiß-Mutter: »Tja, ich hab’ da diesen bezaubernden Araber kennen gelernt, Mutter, phantastisch gut erzogen und schrecklich reich und kultiviert; wir haben in einer Tour nur gevögelt, von morgens bis abends und wieder zurück…« Sie fuhr, ihr Gehirn war leergefegt, und bewusst hing sie keinen Gedanken nach. Sie zwang sich, nur an der Oberfläche der Erfahrung zu bleiben. Ach, schau, ein Dorf, oh, sieh mal, ein See, dachte sie und gestattete sich nie, zu dem darunter liegenden Chaos durchzustoßen. Ich bin frei und entspannt und genieße einfach in vollen Zügen. Mittags aß sie Obst und Brot, das sie am Kiosk einer Tankstelle gekauft hatte. Und Eis - sie hatte plötzlich einen Heißhunger auf Eis, wie eine Schwangere. Gelbes, wässriges jugoslawisches Eis mit einem Mädchen mit strotzenden Brüsten auf dem Einwickelpapier. Einmal fuhr sie an einem jungen Anhalter vorüber und verspürte den überwältigenden Drang, sich über Josephs Befehl hinwegzusetzen und ihn mitzunehmen. Ihre Einsamkeit war plötzlich so grauenvoll, dass sie zu allem bereit gewesen wäre, ihn bei sich zu behalten: ihn in einer der kleinen Kapellen auf den baumlosen Hügeln zu heiraten, ihn im gelben Gras am Straßenrand zu vergewaltigen. Aber kein einziges Mal in all den Jahren und auf all den Kilometern, die sie fuhr, gestand sie sich ein, dass sie zweihundert Pfund erstklassigen russischen Plastik-Sprengstoff durch Jugoslawien schmuggelte, in Halb-Pfund-Stäbe aufgeteilt und in Volant, Verstrebungen, Deckenverkleidung und Sitzen versteckt. Noch dass ein älteres Modell vorteilhafterweise Kastensegmente und Träger hatte. Noch dass es sehr guter Stoff war, ordentlich gepflegt, imstande, große Hitze und Kälte zu ertragen und bei allen Temperaturen einigermaßen schmiegsam.

Fahr weiter, Mädchen, sagte sie sich immer wieder entschlossen, manchmal sogar laut. Es ist ein sonniger Tag, und du bist eine reiche Hure, die den Mercedes ihres Liebhabers fährt. Sie rezitierte ihre Verse aus Wie es euch gefällt und Stellen aus der ersten Rolle, die sie überhaupt gespielt hatte. Sie rezitierte Textstellen aus der Heiligen Johanna. Doch an Joseph dachte sie überhaupt nicht; sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Israeli kennen gelernt, sich nie nach ihm gesehnt, nie um seinetwillen ihre Ansichten oder ihre Religion gewechselt oder war sein Geschöpf geworden, während sie vorgab, das Geschöpf seines Feindes zu sein; sich nie über die geheimen Kriege, die sich in ihm abspielten, gewundert oder aufgeregt.

Abends um sechs sah sie das gemalte Schild, nach dem Ausschau zu halten kein Mensch ihr aufgetragen hatte, und obwohl sie am liebsten die ganze Nacht weitergefahren wäre, sagte sie sich: »Ach, das sieht nett aus; hier versuch’ ich’s mal.« Einfach so. Sie sagte das laut, putzmunter, wahrscheinlich zu ihrer Scheiß-Mutter. Sie fuhr zwei Kilometer in die Berge hinein, und da stand es, genauso, wie der-den-es-nicht-gab es ihr beschrieben hatte: ein in eine Ruine hineingebautes Hotel mit Swimming-pool und Minigolf-Anlage. Und als sie die Halle betrat - wem musste sie da in die Arme laufen, wenn nicht ihren alten Kumpels Dimitri und Rose, die sie auf Mykonos kennen gelernt hatte. Nein, sieh doch nur, Liebling, da ist ja Charlie - was für ein Zufall! Warum essen wir nicht gemeinsam zu Abend? Sie aßen Gegrilltes am Swimmingpool und schwammen, und als der Swimming-pool geschlossen wurde und Charlie nicht schlafen konnte, spielten sie wie Gefängniswärter am Abend vor ihrer Hinrichtung in ihrem Zimmer mit ihr Scrabble. Sie döste ein paar Stunden, doch um sechs Uhr in der Frühe war sie wieder auf der Straße, und am späten Nachmittag erreichte sie die Autoschlange vor der österreichischen Grenze, wo ihr Aussehen plötzlich verzweifelt wichtig für sie wurde.

Sie trug eine ärmellose Bluse aus Michels Aussteuer; sie hatte sich das Haar gebürstet und sah in jedem ihrer drei Spiegel großartig aus. Die meisten Autos wurden einfach durchgewinkt, doch darauf durfte sie sich nicht verlassen - nicht noch einmal. Die übrigen mussten ihre Papiere vorweisen, und einige wenige wurden rausgepickt und gründlich durchsucht. Sie fragte sich, ob die Grenzbeamten willkürlich vorgingen oder ob sie vorgewarnt worden waren oder ob sie nach bestimmten, für andere nicht erkennbaren Anhaltspunkten vorgingen. Zwei Uniformierte kamen gemächlich an der Reihe der wartenden Autos entlang und blieben an jedem Wagenfenster stehen. Der eine trug eine grüne, der andere eine blaue Uniform, und der blaue hatte das Käppi schief aufgesetzt, um wie ein Flieger-As auszusehen. Sie sahen sie an und gingen dann langsam um den Wagen herum. Sie hörte, wie einer von ihnen gegen ihre Hinterreifen trat, und ums Haar hätte sie geschrieen: »Au, das tut weh!« doch sie verkniff es sich, weil Joseph, an den sie nicht zu denken wagte, gesagt hatte: Lass sie in Ruhe, halt Abstand, überleg dir, was du für nötig hältst, und halbiere das dann. Der Grünuniformierte fragte sie etwas auf Deutsch, und sie sagte »Sorry?« auf Englisch. Sie hielt ihm ihren englischen Pass hin; Beruf: Schauspielerin. Er nahm ihn, verglich sie mit dem Passbild und reichte ihn an seinen Kollegen weiter. Es waren gutaussehende junge Männer; ihr fiel erst jetzt auf, wie jung sie waren. Blond, voller Saft und Kraft, offener Blick und die ewige Bräune der Bergbewohner. Es ist Spitzenqualität, war sie in einer schrecklichen Anwandlung von Selbstvernichtung versucht zu sagen: Ich bin Charlie, nehmt mich mal genau unter die Lupe.

Vier Augen waren unablässig auf sie gerichtet, während sie ihre Fragen stellten - jetzt bist du an der Reihe, jetzt ich. Nein, sagte sie - nur hundert griechische Zigaretten und eine Flasche Ouzo. Nein, sagte sie, keine Geschenke, ehrlich. Sie sah sie nicht an, widerstand der Versuchung, mit ihnen zu flirten. Na ja, eine Kleinigkeit für ihre Mutter, aber völlig wertlos. Sagen wir: zehn Dollar. Allerweltssachen: damit sie was zum Nachdenken hatten. Sie machten ihre Tür auf und forderten sie auf, ihnen die Flasche Ouzo zu zeigen, doch sie hatte den starken Verdacht, dass sie - nachdem sie einen tiefen Blick in den Ausschnitt ihrer Bluse geworfen hatten - jetzt auch noch scharf darauf waren, ihre Beine zu sehen und festzustellen, ob alles gut zusammenpasste. Der Ouzo lag in einem Korb auf dem Boden neben ihr. Sie lehnte sich über den Beifahrersitz und holte die Flasche heraus, und während sie das tat, sprang ihr Rock auf, zu neunzig Prozent war es Zufall, doch für einen Augenblick war ihre ganze linke Hüfte bis hinauf zum Slip zu sehen. Sie hob die Flasche hoch, um sie ihnen zu zeigen, und fühlte im selben Augenblick, wie etwas Feuchtes und Kaltes auf ihr nacktes Fleisch auftraf. Himmel, jetzt haben sie mich gestochen! Sie stieß einen Schrei aus, klatschte mit der Hand auf die Stelle und erblickte dann mit Erstaunen auf ihrem Oberschenkel einen tintenblauen Einreisestempel mit dem Datum ihres Eintreffens in der Republik Österreich. Sie war so wütend, dass sie sie fast angefaucht hätte; sie war so dankbar, dass sie fast in schallendes Lachen ausgebrochen wäre. Hätte Josephs Mahnung zur Vorsicht sie nicht gebremst, sie hätte sie beide hier und jetzt für ihre unglaubliche, liebenswerte und harmlose Großzügigkeit umarmt. Sie war durch, sie hatte großes Schwein gehabt. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie die beiden Goldjungen ihr etwa fünfunddreißig Minuten lang schüchtern nachwinkten, ohne ein Auge für alle nach ihr Kommenden zu haben. Nie hatte sie Autorität so sehr geliebt.

Shimon Litvak trat seine lange Wache frühmorgens an, acht Stunden bevor die Meldung durchkam, Charlie habe die Grenze sicher überschritten, und zwei Nächte und einen Tag nachdem Joseph in Michels Namen die beiden gleichlautenden Telegramme an den Anwalt in Genf zur Weiterleitung an seinen Klienten geschickt hatte. Es war jetzt Nachmittag, und Litvak hatte die Wache dreimal ablösen lassen; trotzdem langweilte sich keiner, hätte man von keinem sagen können, dass er weniger als wachsam gewesen wäre; sein Problem bestand nicht dann, das Team wach zu halten, sondern sie zu bewegen, sich in der dienstfreien Zeit richtig auszuruhen. Von seiner beherrschenden Position am Fenster der Hochzeitssuite eines alten Hotels sah Litvak auf einen hübschen Kärntner Marktplatz hinab, dessen Hauptmerkmale ein paar traditionelle Wirtshäuser mit Tischen vor der Tür, ein kleiner Parkplatz und ein liebenswürdig alter Bahnhof mit Zwiebeltürmen über dem Büro des Stationsvorstehers waren. Das ihm am nächsten gelegene Wirtshaus hieß Zum schwarzen Schwan und bot als besondere Attraktion einen Akkordeonspieler, einen in sich gekehrten jungen Mann, der zu gut spielte, um zufrieden zu sein, und ein finsteres Gesicht machte, wenn Autos vorüber fuhren, was recht häufig geschah. Das zweite nannte sich Zimmermanns Rüstzeug und hatte ein schönes goldenes Wirtshausschild aus Schreinerwerkzeugen draußen hängen. Zimmermanns war etwas Besonderes, weiße Tischtücher und Forellen, die man sich aus einem Wasserbehälter draußen selbst aussuchen konnte. Um diese Tageszeit waren nur wenige Fußgänger unterwegs; druckende, staubige Hitze verlieh der ganzen Szene etwas angenehm Verschlafenes. Vor dem Schwan tranken zwei Mädchen Tee und schrieben kichernd gemeinsam einen Brief; ihre Aufgabe war es, die Kennzeichen aller Autos festzuhalten, die auf dem Platz ankamen oder abfuhren. Draußen vor dem Zimmermann nippte ein ernster junger Priester an seinem Wein und las das Brevier, und im südlichen Österreich fordert kein Mensch einen Priester auf wegzugehen. Der richtige Name des Priesters lautete Udi, die Kurzform für Ehud, der Linkshändige, der den König der Moabiter erschlug. Wie sein Namensvetter war er bis an die Zähne bewaffnet und linkshändig - und saß für den Fall da, dass gekämpft werden musste. Unterstützt wurde er von einem mittelalterlichen englischen Paar, das auf dem Parkplatz in seinem Rover saß und für alle Welt sichtbar die Wirkungen eines guten Mittagessens ausschlief. Dennoch hatten sie Schusswaffen zwischen den Füßen stecken und eine Reihe anderer Eisenwaren in Reichweite bereitliegen. Ihr Radio war auf den Funk-Lieferwagen eingestellt, der zweihundert Meter weiter auf der Straße nach Salzburg abgestellt war. Litvak hatte alle zusammengenommen neun Männer und vier Frauen. Er hätte auch sechzehn gebrauchen können, aber er beschwerte sich nicht. Er liebte es, gut geschützt im Hinterhalt zu liegen, und die Spannung erfüllte ihn stets mit einem Gefühl des Wohlbehagens. Dazu bin ich geboren, dachte er: Das dachte er immer, wenn endlich etwas zum Klappen kam und es losging. Er trieb wie ein Schiff bei Windstille dahin, Geist und Körper befanden sich in einem tiefschlafähnlichen Zustand, seine Leute lagen an Deck, hingen Tagträumen über Freunde oder Freundinnen und sommerliche Streifzüge durch Galiläa nach. Sobald jedoch die geringste Brise aufkam, würde jeder einzelne von ihnen auf seinem Posten sein, noch ehe die Segel anfingen, sich zu blähen.

Litvak murmelte ein Routine-Losungswort in das Mikrofon seines Kopfhörers und erhielt eines als Antwort. Sie sprachen deutsch, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Zur Tarnung benutzten sie mal ein Funk-Taxi-Unternehmen in Graz, dann wieder einen Hubschrauber-Rettungsdienst, der in Innsbruck stationiert war. Sie wechselten häufig die Wellenlänge und verwendeten eine Reihe von verwirrenden Rufzeichen.

Um vier rollte Charlie mit dem Mercedes auf den Marktplatz, und einer der Beobachter gab drei Fanfarentöne über sein Funkgerät von sich. Charlie hatte Probleme, einen Parkplatz zu finden, doch Litvak hatte bestimmt, dass ihr dabei nicht geholfen werden durfte. Lasst sie es spielen, wie es kommt; warum ihr gleich einen Stuhl unter den Hintern schieben. Eine Parklücke wurde frei, sie fuhr hinein, stieg aus, streckte sich, rieb sich den Rücken und holte Schultertasche und Gitarre aus dem Kofferraum. Sie ist gut, dachte Litvak, während er sie durch seinen Feldstecher beobachtete. Ein Naturtalent. Jetzt den Wagen verschließen. Sie tat es. Jetzt den Schlüssel ins Auspuffrohr stecken. Auch das tat sie, mit einer wirklich geschickten Bewegung, während sie sich bückte, um ihr Gepäck aufzuheben. Dann machte sie sich müde zum Bahnhof auf und schaute dabei weder links noch rechts. Litvak machte es sich bequem, um weiter zu warten. Die Ziege ist angebunden, dachte er, sich an einen von Kurtz’ Lieblingsaussprüchen erinnernd. Jetzt fehlt nur noch der Löwe. Er sprach ein Wort in das Gerät und hörte, wie der Befehl bestätigt wurde. Er stellte sich vor, wie Kurtz in der Münchener Wohnung über dem kleinen Fernschreiber hockte, während im Funk-Lieferwagen das Signal durchgetickert wurde. Er stellte sich die dazugehörende unbewusste wischende Bewegung seiner knubbeligen Finger vor, wie sie nervös an seinem ständigen Lächeln herumzupften; wie er den dicken Unterarm hob, um - ohne richtig hinzusehen - einen Blick auf die Uhr zu werfen. Endlich geht’s hinaus ins Dunkel, dachte Litvak, während er beobachtete, wie die frühe Dämmerung einsetzte. Und auf das Dunkel haben wir uns all diese Monate über gefreut. Eine Stunde verging. Der gute Priester Udi bezahlte seine bescheidene Rechnung und verschwand frommgemessenen Ganges in einer Seitenstraße, um sich auszuruhen und in der sicheren Wohnung sein Äußeres zu verändern. Die beiden Mädchen waren endlich mit ihrem Brief fertig und brauchten eine Briefmarke. Als sie eine hatten, gingen sie aus demselben Grund. Zufrieden beobachtete Litvak, wie die Ablösungen ihre Positionen einnahmen: ein ziemlich mitgenommener Wäschereiwagen; zwei Anhalter, die ein spätes Mittagessen brauchten; ein italienischer Gastarbeiter mit einer Mailänder Zeitung, der einen Kaffee trank. Ein Polizeiauto fuhr auf den Platz und drehte langsam drei Ehrenrunden, aber weder der Fahrer noch sein Kollege zeigten auch nur das geringste Interesse für einen geparkten roten Mercedes mit dem Zündschlüssel im Auspuffrohr. Um zwanzig vor acht marschierte - was die Erregung der Beobachter beträchtlich steigerte - eine fette Frau direkt auf den Wagenschlag zu, zwängte einen Schlüssel ins Schloss, bot die komödienreife Darstellung einer Spätzündung und fuhr statt dessen mit einem roten Audi davon. Sie hatte sich einfach im Wagen geirrt. Um acht drehte ein schweres Motorrad rasch eine Runde und knatterte so schnell wieder davon, dass keiner Zeit fand, sich das Kennzeichen zu notieren. Beifahrer auf dem Soziussitz, lange Haare, könnte eine Frau gewesen sein; sahen aus wie zwei junge Leute auf einer Spritztour. »Kontakt?« erkundigte sich Litvak über Funk.

Die Ansichten waren geteilt. Zu unbekümmert, sagte eine Stimme. Zu schnell, ließ sich eine andere vernehmen - warum riskieren, von der Polizei angehalten zu werden? Litvak selbst war anderer Meinung. Eine erste Erkundung, da war er ganz sicher, sagte das jedoch nicht, weil er die anderen nicht in ihrem Urteil beeinflussen wollte. Er stellte sich darauf ein, weiter zu warten. Der Löwe hat erste Witterung aufgenommen, dachte er. Wird er zurückkommen?

Es war zehn Uhr. Die Gaststätten leerten sich. Tiefe ländliche Ruhe legte sich über die Stadt. Doch der rote Mercedes stand unberührt da, und das Motorrad war nicht zurückgekehrt.

Wer je eines beobachtet hat, weiß, dass ein leeres Auto wirklich etwas Dummes ist, wenn man es anstarrt, ohne es je aus den Augen zu lassen - und Litvak hatte schon eine ganze Menge leerer Autos beobachtet. Einfach, weil man es im Auge behält, fällt einem mit der Zeit ein, was für ein albernes Ding ein Auto eigentlich ist, wenn der Mensch fehlt, um ihm einen Sinn zu geben. Und was für ein albernes Wesen der Mensch ist, so etwas überhaupt erfunden zu haben! Nach ein paar Stunden ist so ein Auto der schlimmste Schrotthaufen, den man je im Leben gesehen hat. Man fängt an, von Pferden oder von einer Welt von Fußgängern zu träumen. Davon, von dem Schrott-Leben wegzukommen und wieder zu Fleisch und Blut zurückzukehren. Oder von dem Kibbuz, aus dem man stammt, und von seinen Orangenhainen. Von dem Tag, da die ganze Welt endlich begreift, wie gefährlich es ist, jüdisches Blut zu vergießen.

Man möchte sämtliche feindlichen Autos in der Welt in die Luft jagen und Israel für immer befreien.

Oder einem fällt ein, dass ja Sabbat ist; und dass es im Gesetz heißt, es sei besser, eine Seele durch Arbeit zu retten, als den Sabbat zu beachten und die Seele nicht zu retten.

Oder dass von einem erwartet wird, ein hausbackenes und sehr frommes Mädchen zu heiraten, aus dem man sich nicht sonderlich viel macht, sich in Herzlia mit einer Hypothek niederzulassen und in die Babyfalle hineinzutappen, ohne sich mit einem Wort dagegen zu wehren.

Oder man denkt über den jüdischen Gott und gewisse Stellen in der Bibel nach, die Parallelen zu der Situation aufweisen, in der man gerade steckt.

Aber was man auch denkt oder nicht denkt, und was immer man tut, wenn man so gut ausgebildet ist wie Litvak und wenn man das Kommando führt und wenn man einer von denen ist, für die die Aussicht auf einen Schlag gegen die Verfolger des Judentums eine Droge ist, von der man nie wieder loskommt, lässt man die Augen

keine Sekunde von dem Auto.

Das Motorrad war zurückgekehrt.

Nach dem Leuchtzifferblatt auf Shimon Litvaks Armbanduhr war es fünfeinhalb ewige Minuten auf dem Bahnhofsvorplatz gewesen. Von seinem Platz am Fenster des dunklen Hotelzimmers - wie eine Kugel fliegt, keine zwanzig Meter entfernt - hatte er es die ganze Zeit über beobachtet. Es war eine Maschine der Oberklasse -japanisches Modell, Wiener Kennzeichen; der hochragende Lenker war eine Sonderanfertigung. Mit abgestelltem Motor, auf leisen Sohlen wie ein Flüchtling, war es auf den Platz gerollt, mit einem in Leder gekleideten Fahrer mit Sturzhelm - ob Mann oder Frau, musste sich noch herausstellen - und auf dem Soziussitz ein breitschultriger Mann, augenblicklich als der Langhaarige von vorhin erkannt, in Jeans und Turnschuhen, ein heroisches Halstuch um den Hals geknotet. Sie hatten das Motorrad in der Nähe des Mercedes abgestellt, doch nicht so nahe, dass man hätte meinen können, sie hätten es darauf abgesehen. Litvak hätte es genauso gemacht. »Truppe eingetroffen«, sagte er leise ins Mikro und empfing sofort vier bestätigende Töne. Litvak war sich seiner Sache so sicher, dass - hätten die beiden es mit der Angst bekommen und wären in diesem Augenblick davongebraust - er, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, den Befehl gegeben hätte, selbst wenn das das Ende des Unternehmens bedeutet hätte. Aaron, der Mann aus dem Wäschereiwagen, hätte sich erhoben und die beiden auf dem Platz in Stücke geschossen; dann wäre Litvak nach unten gegangen und hätte einen Sprengsatz in die Schweinerei gerollt, um ganz sicherzugehen. Aber sie suchten nicht das Weite, und das war weit, weit besser. Sie blieben auf ihrer Maschine sitzen, nestelten an ihren Kinnriemen und Schnallen herum und saßen - wie es ihm vorkam - stundenlang da, wie Motorradfahrer eben dasitzen können; in Wirklichkeit ungefähr zwei Minuten. Sie nahmen weiterhin Witterung auf und sicherten, registrierten Abfahrten und geparkte Autos und die höher gelegenen Fenster wie das von Litvak; aber seine Leute hatten längst dafür gesorgt, dass absolut nichts zu sehen war. Nachdem die Zeit des Überlegens vorüber war, stieg Langhaar lässig vom Soziussitz herunter, ging langsam mit unschuldig schräg gelegtem Kopf am Mercedes vorüber und registrierte vermutlich den Schlüsselbart, der aus dem Auspuff hervorschaute. Aber er stürzte sich keineswegs darauf, was Litvak als Mitspieler ihm hoch anrechnete. Er ging am Wagen vorüber gemächlich auf den Bahnhofsplatz zu und von dort weiter auf die öffentliche Toilette, aus der er sofort wieder auftauchte, offensichtlich in der Hoffnung, mit irgend jemand zusammenzustoßen, der so unklug sein sollte, ihm zu folgen. Es folgte ihm jedoch keiner. Die Frauen konnten das ohnehin nicht, und die Männer waren viel zu gewitzt. Langhaar ging ein zweites Mal am Mercedes vorüber, und Litvak legte ihm sehr, sehr dringend nahe, sich zu bücken und den Schlüssel herauszuziehen, da er eine allerletzte Bestätigung haben wollte. Doch diesen Gefallen tat Langhaar ihm nicht. Er kehrte vielmehr zum Motorrad und zu seinem Gefährten zurück, der im Sattel sitzen geblieben war, zweifellos um ein reibungsloses Entkommen zu gewährleisten, falls sich das als nötig erweisen sollte. Langhaar sagte etwas zu seinem Gefährten, nahm dann den Sturzhelm ab und wandte sein Gesicht mit einem Kopfrucken sorglos ins Licht.

»Luigi«, sagte Litvak in sein Funkgerät und sprach damit den Decknamen aus, auf den sie sich geeinigt hatten. Und dabei erfüllte ihn das seltene und zeitlose Wonnegefühl reiner Genugtuung. Du bist es also, dachte er ruhig. Rossino, der Apostel der friedlichen Lösung. Litvak kannte ihn wirklich gut. Er kannte Namen und Adressen seiner Freundinnen und Freunde, seiner rechts stehenden Eltern in Rom und seines links stehenden Mentors von der Musikakademie in Mailand. Er kannte die exklusive neapolitanische Zeitschrift, die immer noch seine wortreichen Artikel veröffentlichte, in denen darauf hingewiesen wurde, dass Gewaltlosigkeit der einzig gangbare Weg sei. Er kannte den in Jerusalem lange gehegten Verdacht seine Person betreffend, kannte die ganze Geschichte ihrer wiederholten fruchtlosen Versuche, Beweise zu erbringen. Er wusste, wie er roch und welche Schuhgröße er hatte; er erriet jetzt allmählich, welche Rolle er in Bad Godesberg und an etlichen anderen Orten gespielt haben musste, und hatte - wie sie alle - sehr klare Vorstellungen davon, was man am besten mit ihm machte. Aber noch nicht. Noch ziemlich lange nicht. Bevor nicht die ganze qualvolle Reise hinter ihnen lag, konnte diese Rechnung nicht beglichen werden.

Die viele Mühe mit ihr hat sich ausgezahlt, dachte er freudig. Allein, dass wir in diesem ganz bestimmten Fall Klarheit gewonnen haben, lohnt die Umstände ihrer langen Reise bis hierher. Sie war eine rechtschaffene Nichtjüdin und gehörte nach Litvaks Einschätzung damit einer seltenen Spezies an.

Jetzt stieg endlich der Fahrer selbst ab. Stieg ab, streckte sich, machte den Kinnriemen auf, und Rossino übernahm den Platz an dem Speziallenker ein.

Nur, dass der Fahrer eine Frau war.

Ein schlankes blondes Mädchen, durch Litvaks lichtverstärkendes Fernglas trotz ihrer Fahrkünste auf dem Motorrad mit einem zartknochigen Gesicht und überhaupt sehr ätherisch wirkend. Und Litvak weigerte sich in diesem kritischen Augenblick strikt, darüber nachzudenken, ob ihre Reisen sie vielleicht jemals von Paris-Orly nur dem Anschein nach Madrid geführt haben mochten und ob sie die Gewohnheit hatte, bei schwedischen Freundinnen Koffer voller Schallplatten abzugeben. Denn hätte er diesen Gedanken verfolgt, der geballte Hass ihrer Einsatzgruppe hätte womöglich jedes Gefühl für Disziplin bei ihnen beiseite gefegt; die meisten von ihnen hatten irgendwann schon mal einen Menschen erschossen und kannten in Fällen wie diesem nicht die geringsten Bedenken. Infolgedessen ließ er über Funk kein Wort verlauten und es dabei bewenden, dass sie selbst tastend Mutmaßungen über die Identität der Observierten anstellten. Jetzt war das Mädchen an der Reihe, die Toilette aufzusuchen. Nachdem sie eine kleine Tasche vom Gepäckträger genommen und Rossino den Helm zum Aufbewahren gegeben hatte, ging sie ohne Kopfbedeckung über den Markt und direkt in die Bahnhofsvorhalle, wo sie, im Gegensatz zu ihrem Gefährten, blieb. Wieder wartete Litvak darauf, dass sie sich nach dem Zündschlüssel bückte, doch sie tat es nicht. Wie Rossino hatte auch sie einen geschmeidigen und mühelosen Gang, zögerte sie nicht. Es ließ sich nicht leugnen, sie war ein außerordentlich attraktives Mädchen - kein Wunder, dass sie es dem unseligen Arbeits-Attache sofort angetan hatte. Er schwenkte mit dem Fernglas zurück zu Rossino. Dieser hatte sich auf dem Vordersattel leicht erhoben und den Kopf auf die Seite gelegt, als ob er auf etwas horchte. Aber selbstverständlich, dachte Litvak und spitzte seinerseits die Ohren, um das schwache Rattern des Zehn-Uhr-Vierundzwanzig-Zuges aus Klagenfurt zu hören, der jeden Augenblick einlaufen musste. Mit einem langgezogenen Quietschen kam der Zug am Bahnsteig zum Stehen. Die ersten müde aussehenden Reisenden tauchten auf dem Bahnhofsvorplatz auf. Ein paar Taxis zogen vor und blieben wieder stehen. Ein paar Privatwagen fuhren davon. Eine abgespannte Gruppe von Ausflüglern kam, eine ganze Busladung voll, jeder von ihnen mit den gleichen Gepäckanhängern.

Tu‘s jetzt, bekniete Litvak sie. Nimm den Wagen und hau im allgemeinen Verkehr damit ab. Macht endlich, wozu ihr hier seid. Er war immer noch nicht auf das gefasst, was sie dann tatsächlich taten. Ein älteres Paar stand am Taxistand, und hinter ihnen ein gesetzt aussehendes junges Mädchen, eine Kinderschwester oder Gesellschafterin. Sie trug ein doppelreihiges braunes Kostüm und einen schlichten braunen Hut mit heruntergezogener Krempe. Litvak nahm sie wahr, so wie er eine ganze Menge anderer Leute auf dem Vorplatz wahrnahm - mit geübtem, klaren, durch die Spannung womöglich noch klareren Blick als sonst. Eine hübsche junge Frau mit einer kleinen Reisetasche in der Hand. Das ältere Paar winkte gemeinsam ein Taxi heran; die junge Frau stand dicht hinter ihnen und sah zu, wie der Wagen heran rollte. Das ältere Paar stieg ein; das Mädchen half ihnen, reichte ihnen ihre Siebensachen hinein - offensichtlich ihre Tochter. Litvak blickte wieder zum Mercedes hinüber, dann zum Motorrad. Falls er sich überhaupt Gedanken über das Mädchen im braunen Kostüm machte, dachte er wohl, dass sie ins Taxi gestiegen und mit ihren Eltern davongefahren war. Natürlich. Erst als er seine Aufmerksamkeit der müden Gruppe von Ausflüglern zuwandte, die im Gänsemarsch zu zwei wartenden Reisebussen über den Bürgersteig gingen, wurde ihm mit einem Aufwallen reinen Entzückens klar, dass sie sein Mädchen war, unser Mädchen, das Mädchen vom Motorrad; sie hatte sich in der Toilette in Windeseile umgezogen und ihn übertölpelt. Und sich danach der Reisegruppe angeschlossen, um unbemerkt über den Marktplatz zu gelangen. Das Herz hüpfte ihm immer noch vor Freude, als sie das Auto mit einem eigenen Schlüssel aufschloss, ihre Reisetasche hineinwarf und sich so tugendhaft hinterm Steuer zurechtsetzte, als sollte es in die Kirche gehen; als sie losfuhr, glänzte der Schlüsselbart immer noch im Auspuffrohr. Auch diese Besonderheit begeisterte ihn. Wie nahe liegend! Wie überlegt! Doppelte Telegramme, doppelte Schlüssel; unser Anführer setzt darauf, seine Chancen zu verdoppeln.

Er gab den aus einem einzigen Wort bestehenden Befehl und beobachtete, wie die Verfolger sich unauffällig auf den Weg machten: die beiden Mädchen im Porsche; Udi in seinem großen Opel mit der Europaflagge am Heck, die er selbst dort angebracht hatte; Udis Partner auf einem Motorrad, das sehr viel weniger protzig war als Rossinos. Litvak blieb am Fenster stehen und sah zu, wie der Marktplatz sich langsam wie nach einer Vorstellung leerte. Die Autos fuhren los, die Reisebusse fuhren los, die Fußgänger gingen, die Beleuchtung um die Bahnhofshalle herum verlosch, und er hörte ein Rasseln, als jemand das Eisengitter zumachte und für die Nacht abschloss. Nur die beiden Wirtshäuser waren noch wach. Endlich kam kratzend das Kodewort, auf das er wartete, über den Kopfhörer. Ossian: der Mercedes fährt nach Norden. »Und in welche Richtung fährt Luigi?« erkundigte er sich. »In Richtung Wien.«

»Warte!« sagte Litvak und nahm sogar den Kopfhörer ab, um klarer denken zu können.

Er musste auf der Stelle eine Entscheidung treffen, und um Augenblicksentscheidungen ging es bei seiner Ausbildung. Beiden - Rossino und dem Mädchen - zu folgen war unmöglich. Dazu fehlten ihm die Mittel. Theoretisch gesehen sollte er dem Sprengstoff und damit dem Mädchen folgen - dennoch zögerte er, denn Rossino verstand es, sich jedem Zugriff zu entziehen, und war die weitaus wichtigere Beute, wohingegen der Mercedes an sich schon auffällig war und sein Ziel praktisch feststand. Litvak schwankte noch einen Augenblick länger. Im Kopfhörer knisterte es, doch er ignorierte das und ging noch einmal rasch die Logik der Fiktion durch. Die Vorstellung, dass Rossino ihm durch die Lappen gehen sollte, war ihm schier unerträglich. Denn Rossino war mit Sicherheit ein wichtiges Glied in der Kette des Gegners, und Kurtz hatte wiederholt darauf hingewiesen: Wenn die Kette nicht hielt, wie sollte Charlie dann in ihre Fallstricke geraten? Rossino würde mit der Überzeugung nach Wien zurückkehren, dass bis jetzt nichts gefährdet war. Er war ein entscheidendes Verbindungsglied, aber auch ein entscheidender Zeuge. Das Mädchen dagegen -das Mädchen übte nur bestimmte Funktionen aus: als Fahrerin, als Bombenlegerin, stellte das austauschbare Fußvolk innerhalb ihrer großen Bewegung dar. Außerdem hatte Kurtz für die Zukunft Großes mit ihr vor; Rossinos Zukunft konnte warten.

Litvak setzte den Kopfhörer wieder auf. »Hängt euch an den Wagen. Lasst Luigi laufen.«

Nachdem er seine Entscheidung gefällt hatte, gestattete Litvak sich ein zufriedenes Lächeln. Er kannte die Formation genau. Den Vorreiter machte Udi auf seinem Motorrad, dann kam das Mädchen in dem roten Mercedes, der wiederum der Opel folgte. Weit hinter dem Opel und hinter allen fuhren die beiden Mädchen in dem Reserve-Porsche, bereit, auf Befehl den Platz mit einem der beiden anderen zu tauschen. In Gedanken ging Litvak noch einmal die stationären Beobachter durch, die den roten Mercedes bis zur deutschen Grenze überwachten, und malte sich das Ammenmärchen aus, das Alexis sich ausgedacht haben musste, um zu gewährleisten, dass sie reibungslos durchkam.

»Geschwindigkeit?« fragte er und warf einen Blick auf die Uhr. Udi meldet, dass sie ziemlich langsam fährt, kam die Antwort. Diese Dame möchte nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ihre Ladung macht sie nervös.

Dazu hat sie auch allen Grund, dachte Litvak zustimmend, als er den Kopfhörer abnahm. Wäre ich das Mädchen, hätte ich auch einen Heidenschiss vor der Ladung.

Die Aktenmappe in der Hand stieg er die Treppe hinunter. Er hatte die Rechnung schon beglichen, doch wenn sie ihn gebeten hätten, er hätte sie noch einmal bezahlt; er war verliebt in die ganze Welt. Sein Kommandowagen wartete auf dem Hotelparkplatz auf ihn. Mit einer Selbstzucht, die das Ergebnis langer Erfahrung ist, machte er sich auf, um hinter dem Konvoi herzufahren. Wie viel mochte sie wissen? Und wie viel Zeit mochte ihnen zur Verfügung stehen, das herauszufinden? Immer mit der Ruhe, sagte er sich; zuerst die Ziege anbinden. Seine Gedanken kehrten zu Kurtz zurück, und ein Gefühl schmerzlicher Freude befiel ihn, als er sich ausmalte, wie dessen durchdringende, unerschöpfliche Stimme ihn in schauderhaftem Hebräisch mit Lob überhäufte. Der Gedanke, Kurtz ein so üppiges Opfer zu überbringen, tat Litvak ausgesprochen wohl.

Salzburg hatte vom Sommer noch nichts gehört. Eine frische Frühlingsluft fegte von den Bergen herunter, und die Salzach roch nach Meer. Wie sie dorthin gekommen waren, war für sie immer noch zur Hälfte ein Rätsel, denn sie hatte unterwegs immer wieder geschlafen. Von Graz waren sie nach Wien geflogen, doch hatte der Flug für sie nur fünf Sekunden gedauert; sie musste also im Flugzeug geschlafen haben. In Wien wartete ein Leihwagen auf ihn, ein flotter BMW. Wieder hatte sie geschlafen, und als sie in die Stadt hineinfuhren, glaubte sie für einen Augenblick, der Wagen müsse brennen, doch war es nur die Abendsonne, die sich im roten Lack brach, als sie die Augen aufmachte.

»Wieso denn überhaupt Salzburg?« hatte sie ihn gefragt. Weil es eine von Michels Städten sei, hatte er erwidert. Und weil es auf dem Weg liegt.

»Auf dem Weg wohin?« fragte sie, wieder einmal betroffen von seiner Zurückhaltung.

Ihr Hotel hatte einen überdachten Innenhof mit alten, vergoldeten Geländern und Topfpflanzen in Marmorgefäßen. Ihre Zimmer gingen auf den rasch dahin fließenden braunen Fluss hinaus; dahinter mehr Kuppeln als im Himmel. Jenseits der Kuppeln erhob sich die Burg mit der Seilbahn, deren Kabinen den Berg hinauf- und hinunterglitten.

»Ich muss unbedingt einen Spaziergang machen«, sagte sie. Sie nahm ein Bad und schlief in der Wanne ein, und er musste an die Tür hämmern, um sie zu wecken. Sie zog sich an, und wieder wusste er, was sie sich ansehen sollte und welche Dinge ihr am meisten gefielen.

»Es ist unsere letzte Nacht, nicht wahr?« sagte sie, und diesmal versteckte er sich nicht hinter Michel.

»Ja, es ist unsere letzte Nacht, Charlie; morgen müssen wir noch einen Besuch machen, und dann kehrst du nach London zurück.« Sie umklammerte seinen Arm mit beiden Händen und streifte mit ihm durch die engen Gassen und Plätze, die ineinander übergingen wie Wohnräume. Sie standen vor Mozarts Geburtshaus, und die Touristen erschienen ihr wie das Publikum einer Matinee-Vorstellung: fröhlich und ahnungslos.

»Ich hab’s gut gemacht, nicht wahr, Jose? Ich habe meine Sache wirklich gut gemacht. Sag’s mir!«

»Du hast es ganz ausgezeichnet gemacht«, sagte er - doch irgendwie bedeutete ihr seine Zurückhaltung mehr als sein Lob. Die Spielzeug-Kirchen waren schöner als alles, was sie je gesehen hatte; sie hatten prächtige, vergoldete Altäre, wollüstige Engel und Grabmale, in denen die Toten immer noch von Freuden des Diesseits zu träumen schienen. Ein Jude, der sich als Moslem ausgibt, zeigt mir mein christliches Erbe, dachte sie. Doch als sie Näheres von ihm wissen wollte, war das Äußerste, wozu er bereit war, ihr einen auf Hochglanzpapier gedruckten Fremdenführer zu kaufen und die Rechnung in die Brieftasche zu stecken. »Ich fürchte, Michel hat bis jetzt noch nicht die Zeit gefunden, sich aufs Barock zu stürzen«, erklärte er auf seine trockene Art. Und doch spürte sie in ihm die Schatten irgendeiner unerklärten Hemmung.

»Sollen wir jetzt zurückgehen?« fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Lass es doch noch dauern. Es wurde dunkler, die Menge zerstreute sich; aus Toren, wo man es überhaupt nicht erwartet hätte, drang der Gesang von Chorknaben. Sie saßen am Fluss und lauschten auf die tauben alten Glocken, die unverdrossen miteinander um die Wette läuteten. Sie gingen weiter, und plötzlich war sie so schlapp, dass sie seinen Arm um die Hüfte brauchte, bloß um sich aufrecht zu halten.

»Essen«, befahl sie, als er sie in den Aufzug führte. »Champagner. Musik.«

Doch als er die Zimmerbedienung angerufen hatte, lag sie schon fest schlafend auf dem Bett, und nichts auf Gottes Erdboden, nicht einmal Joseph, würde sie wecken.

Sie lag da, wie sie auf Mykonos im Sand gelegen hatte: den linken Arm angewinkelt und das Gesicht in die Armbeuge gedrückt; und Becker saß auf dem Lehnstuhl und wachte über sie. Der erste schwache Schimmer des grauenden Tages drang durch die Vorhänge. Es roch nach frischem Laub und Holz. In der Nacht hatte es ein Gewitter gegeben, so laut und plötzlich, als ob ein Expresszug das Tal heraufgedonnert wäre. Vom Fenster aus hatte er beobachtet, wie die Stadt unter dem langen und langsamen Angriff der Blitze zusammenzuckte und der Regen auf die schimmernden Kuppeln prasselte. Charlie jedoch hatte so regungslos dagelegen, dass er sich sogar über sie gebeugt und das Ohr an ihren Mund gelegt hatte, um sicherzugehen, dass sie wirklich noch atmete. Er warf einen Blick auf die Uhr. Plane, dachte er. Beweg dich! Mach durch Handeln die Zweifel zunichte. Der Tisch mit dem unberührten Abendessen stand im Fenstererker; die ungeöffnete Champagnerflasche schwamm im Schmelzwasser des Eiskübels. Er benutzte nacheinander beide Gabeln, um das Hummerfleisch aus den Schalen zu kratzen, beschmutzte Teller, rührte die Salate durcheinander, zerdrückte die Erdbeeren und fügte den vielen Fiktionen, die sie bereits durchlebt hatten, eine letzte hinzu: die ihres Gala-Essens in Salzburg. Charlie und Michel feiern Charlies erste erfolgreiche Mission für die Revolution. Er trug die Champagnerflasche ins Badezimmer und schloss die Tür, damit der Knall des Korkens sie nicht weckte. Er leerte den Champagner ins Waschbecken und ließ Wasser nachlaufen; Hummerfleisch, Erdbeeren und Salat spülte er durchs Klo und musste warten und spülte dann noch einmal, weil beim ersten Mal nicht gleich alles verschwunden war. Er ließ so viel Champagner übrig, dass er ein wenig in sein eigenes Glas gießen konnte, und für Charlies Glas holte er den Lippenstift aus ihrer Handtasche und beschmierte den Rand damit, ehe er den Rest der Flasche hineingoss. Dann trat er wieder ans Fenster, wo er einen großen Teil der Nacht verbracht hatte, und starrte hinüber zu den regennassen blauen Bergen. Ich bin ein müder Bergsteiger, dachte er, der die Berge leid ist.

Er rasierte sich, er zog seinen roten Blazer an. Er trat ans Bett, streckte die Hand aus, um sie zu wecken, und zog sie wieder zurück. Ein Zögern, großer Müdigkeit vergleichbar, bemächtigte sich seiner. Er ließ sich wieder im Lehnstuhl nieder, hatte die Augen geschlossen und zwang sich, sie aufzumachen; zusammenfahrend, wachte er auf und spürte das Gewicht des Wüstentaus, der sich auf seinen Kampfanzug gelegt hatte, hatte den Geruch feuchten Sandes in der Nase, ehe die Sonne ihn trockensengte. »Charlie?« Wieder streckte er die Hand aus, diesmal, um ihr über die Wange zu streichen, doch statt dessen berührte er sie am Arm. Charlie, es ist ein Triumph; Marty sagt, du bist ein Star; du hättest ihn mit einer Reihe von neuen Charakterrollen beschenkt. Er hat seinen Gadi in der Nacht angerufen, doch du bist nicht davon aufgewacht. Besser als die Garbo, sagt er. Es gibt nichts, was wir zusammen nicht erreichen könnten, sagt er. Charlie, wach auf! Wir müssen an die Arbeit. Charlie!

Doch laut sprach er nur ihren Namen aus, ging dann hinunter, bezahlte die Rechnung und erhielt die letzte Quittung. Durch den Hintereingang ging er hinaus, um den Leih-BMW zu holen, und die Morgenfrühe war so, wie das Abenddämmer gewesen war: frisch und noch immer nicht sommerlich.

»Du winkst hinter mir her, und dann tust du so, als machtest du einen Spaziergang«, sagte er zu ihr. »Dimitri bringt dich separat nach München.«


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