Kapitel 16


Während in London der Sommer in den Herbst überging, befand sich Charlie drei endlose Wochen lang in einem halb unwirklichen Zustand, schwankte sie zwischen Fassungslosigkeit und Ungeduld, zwischen erregtem Bereitsein und krampfhaftem Entsetzen. Früher oder später holen sie dich, sagte er immer wieder. Das geht gar nicht anders. Und er machte sich daran, sie innerlich zu wappnen und aufzubauen.

Aber warum mussten sie sie eigentlich holen? Sie wusste es nicht, und er sagte es ihr nicht, benutzte aber sein Fernsein wie einen Schild. Ob wohl Mike und Marty Michel irgendwie an sich banden, so wie sie Charlie an sich gebunden hatten? An manchen Tagen stellte sie sich vor, dass Michel eines Tages die Fiktion, die sie für ihn aufgebaut hatten, einholen, bei ihr auftauchen und leidenschaftlich einfordern würde, was sie ihm als Geliebten schuldig war. Joseph bestärkte sie sanft in diesem gespaltenen Zustand und führte sie immer näher an seinen abwesenden Stellvertreter heran. Michel, ach mein geliebter Michel, komm zu mir. Liebe Joseph, aber träume von Michel. Zu Anfang hatte sie kaum in den Spiegel zu blicken gewagt, so sehr war sie davon überzeugt, dass ihr Geheimnis durchschimmerte. Ihr Gesicht war bis zum Zerreißen gespannt wegen der ungeheuerlichen Informationen, die sich unmittelbar unter der Oberfläche verbargen; ihre Stimme und ihre Bewegungen hatten eine Unterwasser-Langsamkeit, die sie weit vom Rest der Menschheit entfernte: Ich spiele rund um die Uhr eine Ein-Mann-Show; erst die ganze Welt, dann ich.

Doch als die Zeit verging, wich ihre Angst vorm Entdecktwerden allmählich einer gewissen liebevollen Geringschätzung gegenüber den Unschuldigen um sie herum, die einfach nicht sahen, was sich Tag für Tag unter ihrer Nase abspielte. Sie sind dort, wo ich herkam, dachte sie. Sie sind ich, ehe ich durch den Spiegel schritt.

Joseph selbst gegenüber bediente sie sich einer Technik, die sie auf ihrer Fahrt durch Jugoslawien vervollkommnet hatte. Er war der Vertraute, auf den sie jede Handlung und jede Entscheidung bezog; er war der Geliebte, für den sie ihre Witze riss und für den sie sich schön machte. Er war ihr Stecken und Stab, ihr bester Freund, überhaupt das Beste, was es gab. Er war der Kobold, der an den unmöglichsten Orten auftauchte und schon immer im voraus ganz genau wusste, wo sie war -mal an einer Bushaltestelle, dann wieder in einer Bibliothek oder in der Automaten-Wäscherei, wo er im Neonlicht unter den schlampigen Muttis saß und zusah, wie seine Hemden sich drehten. Nie jedoch gab sie seine Existenz zu. Er hatte mit ihrem Leben nicht das allergeringste zu tun, war außerhalb von Zeit und Raum - bis auf ihre verstohlenen Rendezvous, die sie aufrechterhielten. Bis auf seinen Ersatz, Michel. Für die Proben zu Wie es euch gefällt hatte das Theater eine alte Übungshalle der Territorial-Armee in der Nähe der Victoria Station gemietet; dorthin ging sie jeden Morgen, und jeden Abend wusch sie sich den Geruch von schalem Soldatenbier aus dem Haar.

Sie ließ sich von Ned Quilley zum Lunch ins Bianchi ausführen und fand ihn sonderbar. Er schien sie vor etwas warnen zu wollen, doch als sie rundheraus fragte, wovor denn, hüllte er sich in Schweigen und erklärte, Politik sei jedermanns eigene Sache; dafür habe er im Krieg bei den Green-Jackets gekämpft. Dann betrank er sich ganz furchtbar. Nachdem sie ihm geholfen hatte, die Rechnung abzuzeichnen, mischte sie sich wieder unter die Menge auf der Straße und hatte das Gefühl, vor sich selbst herzulaufen; ihrer eigenen flüchtigen Gestalt zu folgen, die ihr in der dichten Menschenmenge immer wieder entschlüpfte. Ich bin vom Leben getrennt. Ich finde nie wieder zurück. Doch noch während sie dies dachte, spürte sie, wie eine Hand ihren Ellbogen streifte, Joseph einen Moment neben ihr herging und dann im Eingang von Marks & Sparks untertauchte. Sein unverhofftes Auftauchen hatte bald eine ganz ungewöhnliche Wirkung auf sie: Sie war dadurch unablässig auf der Hut und, wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, auch voller Verlangen. Ein Tag ohne ihn war ein Un-Tag; erhaschte sie aber auch nur einen einzigen flüchtigen Blick von ihm, flogen ihm Herz und Körper zu wie bei einer Sechzehnjährigen.

Sie las die seriösen Sonntagszeitungen, studierte die neuesten überraschenden Enthüllungen über die SackvilleWest - oder war es die Sitwell? - und wunderte sich darüber, wie hoch die herrschende englische Meinung die eigene Bedeutungslosigkeit einschätzte. Sie sah sich das von ihr bereits vergessene London an und fand überall ihre Persönlichkeit als Radikale, die sich dem Weg der Gewalt verschrieben hatte, bestätigt. Die Gesellschaft, wie sie sie kannte, war abgestorben; Charlies Aufgabe war es, sie zu beseitigen und den Boden für etwas Besseres zu bereiten. Die hoffnungslosen Gesichter der Leute, die sich beim Einkaufen wie geschlagene Sklaven durch die neonbeleuchteten Supermärkte schleppten, sagten ihr das, die verzweifelnden Alten und die Polizisten mit den giftigen Augen desgleichen. Ebenso die ziellos herumbummelnden schwarzen Jugendlichen, die die Rolls-Royces vorbeirauschen sahen und die schimmernden Banken mit ihrem Air verweltlichter Anbetung und ihren rechtschaffenen, leuteschindenden Managern vor Augen hatten. Die Baufirmen, die die Irregeleiteten in ihre Eigentumsfallen lockten; die Schnapsläden, die Wettbüros, der Auswurf - es brauchte nicht viel, und die ganze Londoner Szene bot sich Charlie als ein überquellender Mülleimer voller aufgegebener Hoffnungen und enttäuschter Seelen dar. Dank Michels Anregungen schlug sie im Geiste Brücken zwischen der kapitalistischen Ausbeutung der Dritten Welt und hier in ihrer unmittelbaren Umgebung, Camden Town.

Da sie dies so eindeutig lebte, schickte ihr das Leben sogar das überfrachtete Symbol eines hilflos umher getriebenen Menschen. Als sie am Sonntag morgen zeitig einen Spaziergang am Treidelpfad des Regent’s Canal entlang machte - in Wirklichkeit war sie zu einem der wenigen verabredeten Treffen mit Joseph unterwegs -, hörte sie den Klang eines tiefen Saiteninstruments, das einen Negro-Spiritual sägte. Der Kanal erweiterte sich, und in der Mitte eines von aufgegebenen Speichern umrahmten Hafenbeckens sah sie einen alten Schwarzen, der direkt aus Onkel Toms Hütte kam, auf einem festgemachten Floß sitzen und einer Gruppe von hingerissen lauschenden Kindern auf dem Cello vorspielen. Eine Szene wie aus einem Fellini-Film; Kitsch; Fata Morgana; eine ihrem Unterbewussten entstiegene erleuchtete Vision.

Was immer es war, etliche Tage lang wurde es für sie zum persönlichen Bezugspunkt für alles, was sie um sich herum sah - zu persönlich, um selbst Joseph davon zu erzählen; sie hatte Angst, er würde sie auslachen oder, noch schlimmer, eine rationale Erklärung dafür anbieten.

Sie schlief ein paar Mal mit Al, weil sie keine Auseinandersetzung mit ihm wollte und weil ihr Körper ihn nach der langen Dürre mit Joseph brauchte; außerdem hatte Michel ihr das befohlen. Sie vermied jedoch, dass er sie in ihrer Wohnung besuchte, denn er hatte wieder einmal kein Dach überm Kopf, und sie fürchtete, dass er versuchen würde, bei ihr zu bleiben, was er früher schon öfter getan hatte, bis sie seine Kleider und seinen Rasierapparat auf die Straße geworfen hatte. Außerdem barg ihre Wohnung neue Geheimnisse, und nichts auf der Welt hätte sie dazu gebracht, sie mit ihm zu teilen: Ihr Bett war Michels Bett, seine Pistole hatte unter dem Kopfkissen gelegen, und es gab nichts, was Al oder sonst jemand tun konnte, um sie zu bewegen, es zu entweihen. Sie war auch vor Al auf der Hut, weil Joseph sie gewarnt hatte, dass aus seinem Filmangebot nichts geworden sei, und sie wusste aus Erfahrung, wie schlimm er werden konnte, wenn sein Stolz verletzt war. Ihr erstes leidenschaftliches Wiedersehen fand in einer Stammkneipe statt, wo sie den großen Philosophen von einer Schar seiner Jüngerinnen dicht umringt fand. Als sie auf ihn zuging, dachte sie: Er wird Michel riechen; er ist in meinen Kleidern, meiner Haut, meinem Lächeln. Aber Al war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Gleichgültigkeit zu demonstrieren, um irgendetwas zu riechen. Mit dem Fuß schob er einen Stuhl für sie zurück, und beim Hinsetzen dachte sie: Gott bewahre, es ist noch keinen Monat her, da war dieser Zwerg mein Hauptberater, wenn es darum ging, was mit der Welt los ist. Als die Kneipe zumachte und sie in die Wohnung eines Freundes gingen und dessen zweites Zimmer mit Beschlag belegten, erschrak sie, als sie sich bei der Vorstellung ertappte, es sei Michel, der in ihr war, Michels Gesicht, das auf sie herab starrte, und Michels olivfarbener Körper, der sich ihr im Halbdunkel aufdrängte - Michel, ihr geliebter kleiner Killer, der sie in Ekstase versetzte. Dabei gab es hinter Michel noch einen anderen - Joseph, der endlich ihr gehörte; seine lodernde, aufgestaute Sexualität, für die es endlich kein Halten mehr gab; sein narbenbedeckter Körper und seine narbenbedeckte Seele, endlich ihr.

Bis auf sonntags las sie sporadisch kapitalistische Zeitungen, hörte die auf die Konsumenten zugeschnittenen Nachrichten im Radio, hörte aber nichts von einer rothaarigen Engländerin, die im Zusammenhang mit der illegalen Einfuhr hochexplosiven russischen Plastiksprengstoffs nach Österreich gesucht wurde. Dazu kam es nie. Das waren zwei völlig verschiedene junge Frauen, eines meiner kleinen Hirngespinste. Ansonsten interessierte sie der Zustand der größeren Welt um sie herum so gut wie gar nicht mehr. Sie las von einem palästinensischen Bombenattentat in Aachen und von einem israelischen Vergeltungsangriff auf irgendein Flüchtlingslager im Libanon, bei denen eine große Anzahl von Zivilisten den Tod gefunden haben sollte. Sie las von wachsender öffentlicher Empörung in Israel und erschauerte entsprechend bei einem Interview mit einem israelischen General, der versprach, das Palästinenser-Problem »von Grund auf zu lösen«. Doch nach ihrem Schnellkurs in Verschwörung hatte sie kein Vertrauen mehr zur offiziellen Darstellung der Ereignisse und würde es nie wieder haben. Die einzigen Nachrichten, die sie einigermaßen getreulich verfolgte, betrafen eine riesige Panda-Bärin im Londoner Zoo, die sich nicht paaren wollte, obwohl Feministinnen behaupteten, es sei Schuld des Männchens. Außerdem gehörte der Zoo zu Josephs Lieblingstreffpunkten. Sie trafen sich dort auf einer Bank, und sei es nur, um eine Zeitlang Händchen zu halten wie ein Liebespaar, ehe jeder wieder seines Weges ging.

Bald, sagte er dann wohl. Bald.

Charlie ließ sich auf diese Weise treiben, schauspielerte die ganze Zeit über für ein unsichtbares Publikum, wappnete sich mit jedem Wort und jeder Geste gegen eine momentane Unachtsamkeit und stellte dann fest, dass sie sich zunehmend auf ein Ritual stützte. Am Wochenende fuhr sie für gewöhnlich zu ihrem Jugend-Klub in Peckham, und in einer großen Halle mit gewölbter Decke, die so groß war, dass man darin Brecht hätte aufführen können, brachte sie diese Schauspiel-Gruppe von Jugendlichen wieder in Schwung, und sie

genoss das. Sie planten für Weihnachten eine Rock-Pantomime, ein Stück reinster Anarchie.

Freitags ging sie manchmal in Als Kneipe, und mittwochs nahm sie immer zwei Dreiviertelliter-Flaschen dunkles Ale zu Miss Dubber mit, einer abgetakelten Nutte, die gleich um die Ecke wohnte. Miss Dubber litt unter Arthritis, Rachitis und Holzwürmern sowie unter etlichen ernsthaften Gebrechen und verfluchte ihren Körper mit einem Eifer, wie sie ihn früher nur für knauserige Freier übrig gehabt hatte. Charlie revanchierte sich damit, dass sie Miss Dubbers Ohr mit wunderbaren erfundenen Geschichten über das skandalöse Geschehen in der Welt des Show-Business füllte; die beiden schütteten sich darüber so vor Lachen aus, dass die Nachbarn den Fernseher lauter stellten, um den Lärm zu übertönen. Sonst konnte Charlie keine Gesellschaft ertragen, obwohl ihre Arbeit als Schauspielerin sie mit einem Halbdutzend Cliquen bekannt gemacht hatte, bei denen sie sich jederzeit hätte melden können, wenn ihr danach gewesen wäre.

Mit Lucy hielt sie ein Schwätzchen am Telefon, und sie nahmen sich vor, sich zu treffen, ließen es jedoch offen. Robert spürte sie in Battersea auf, doch die Mykonos-Clique war wie Schulfreunde von vor zehn Jahren; in ihrem Leben gab es nichts mehr, was sie mit ihnen teilen konnte. Sie traf sich mit Willy und Pauly zum Curry-Essen, doch die beiden dachten daran, sich zu trennen, und das Ganze war ein Reinfall. Sie versuchte es mit ein paar Busenfreunden aus früheren Existenzen, doch auch das war kein Erfolg, und danach wurde sie eine alte Jungfer. Wenn es eine Zeitlang nicht regnete, begoss sie die jungen Bäume in ihrer Straße und hängte in Drahtnetzen an der Fensterbank frische Nüsse für die Spatzen auf, denn das war eines der verabredeten Zeichen für ihn, genauso wie der ›Ent-rüstet euch‹ -Aufkleber an ihrem Auto und das Messing-›C‹ auf dem Lederanhänger ihrer Schultertasche. Er nannte das ihre Sicherheitssignale und probte wiederholt deren Anwendung mit ihr. Verschwand eines von ihnen, bedeutete das einen Hilfeschrei. Und in ihrer Handtasche hatte sie einen brandneuen weißen Seidenschal, aber nicht für die Kapitulation, sondern um zu sagen: ›Sie haben sich gemeldet‹ , falls das jemals der Fall sein sollte. Sie führte ihr kleines Tagebuch weiter und nahm die Eintragungen dort auf, wo der Bildungskreis aufgehört hatte, sie schloss die Reparatur eines Stickbildes ab, das sie gekauft hatte, ehe sie in Urlaub gegangen war, und das Lotte zeigte, wie sie sich am Grabe Werthers verzehrte. Wieder ich, diesmal in einer klassischen Rolle. Sie schrieb ihrem verschollenen Mann endlose Briefe, hörte jedoch nach und nach auf, sie einzuwerfen.

Liebster Michel, ach, Michel, hab Erbarmen und kehr zu mir zurück!

Aber sie hielt sich von den Versammlungsorten und alternativen Buchhandlungen in Islington fern, wo sie sich früher häufig zu schwunglosen Sitzungen bei Kaffee eingefunden hatte; vor allem aber machte sie einen Riesenbogen um die finstere St. Pancras-Gang, deren im Koksrausch geschriebene Flugblätter sie zu verteilen pflegte, weil niemand sonst das tun wollte. Von Eustace, ihrem Kfz-Mechaniker, bekam sie endlich ihr Auto, einen frisierten Fiat, zurück, den Al ihr zu Schrott gefahren hatte, und an ihrem Geburtstag nahm sie ihn das erste Mal wieder und fuhr damit zu ihrer Scheiß-Mutter nach Rickmansworth, um ihr die Tischdecke zu bringen, die sie auf Mykonos für sie gekauft hatte. In der Regel hatte sie großen Bammel vor diesen Besuchen: diese sonntäglichen Essens-Fallen mit dreierlei Gemüse und Rhabarbertorte als Dessert, der dann ihre Mutter im allgemeinen eine höchst detaillierte Zusammenfassung all dessen folgen ließ, was die Welt falsch gemacht hatte, seit sie zum letzten Mal zusammengewesen waren. Diesmal stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass sie ganz wunderbar mit ihr konnte. Sie blieb die Nacht über, band am nächsten Morgen ein dunkles Kopftuch um - auf keinen Fall das weiße -, fuhr sie zur Kirche und bemühte sich, nicht an das letzte Mal zu denken, als sie ein Kopftuch aufgehabt hatte. Als sie kniete, regte sich ein unerwarteter Rest von Frömmigkeit in ihr, und sie legte Gott ihre verschiedenen Identitäten zu Füßen. Als sie dem Orgelspiel zuhörte, musste sie weinen, und das brachte sie dazu, darüber nachzudenken, wie sehr sie sich eigentlich unter Kontrolle hatte. Es liegt daran, weil ich es nicht über mich bringen kann, in meine Wohnung zurückzukehren, dachte sie.

Durcheinander brachte sie, wie ihre Wohnung auf gespenstische Weise verändert worden war, um der neuen Persönlichkeit zu entsprechen, in die sie so sorgsam hineinwuchs: ein Szenenwechsel, dessen Ausmaß nur ganz allmählich deutlich wurde. Die tückische Umgestaltung ihrer Wohnung während ihrer Abwesenheit war das Beunruhigendste an ihrem ganzen neuen Leben. Bis jetzt hatte sie die Wohnung für den sichersten Ort überhaupt gehalten, eine Art architektonischer Ned Quilley. Sie hatte sie von einem engagementslosen Schauspieler geerbt, der - nachdem er Einbrecher geworden war - in Pension gegangen war und sich zusammen mit seinem Freund nach Spanien abgesetzt hatte. Sie lag am Nordrand von Camden Town über einer goanesisch-indischen Fernfahrer-Kneipe, in der es um zwei Uhr morgens lebendig wurde und wo man bis sieben Samosas und warmes Frühstück bekommen konnte. Um zu ihrer Treppe zu gelangen, musste man sich zwischen Klo und Küche hindurchzwängen und einen kleinen Hinterhof überqueren, und bis dahin hatten einen der Wirt, der Koch und der freche Freund des Kochs genau unter die Lupe genommen - ganz zu schweigen von demjenigen, der vielleicht gerade zufällig auf dem Klo saß. Oben an der Treppe war eine zweite Tür, durch die man hindurch musste, ehe man den geheiligten Bereich betrat, der aus einem Dachzimmer mit dem besten Bett der Welt bestand, einem Bad und einer Küche, alle separat und der Mietpreisüberwachung unterliegend. Und jetzt hatte sie plötzlich diesen Trost der Sicherheit verloren. Man hatte ihn ihr gestohlen. Ihr war, als hätte sie die Wohnung für die Dauer ihrer Abwesenheit an jemand vermietet gehabt und der hätte, um ihr einen Gefallen zu tun, alle möglichen unpassenden Veränderungen daran vorgenommen. Wie sie jedoch unbemerkt hereingekommen waren, blieb ein Geheimnis. Als sie in der Kneipe nachfragte, hatten sie dort keine Ahnung. Da war zum Beispiel ihre Schreibschublade, in die ganz hinten Michels Briefe hineingestopft worden waren - sämtliche Originale, von denen sie in München die Fotokopien gesehen hatte. Da war ihre Kampfreserve von dreihundert Pfund, alles in alten Fünfern hinter der rissigen Wandverkleidung im Bad versteckt, wo sie in der Zeit, als sie noch Marihuana geraucht hatte, ihr Gras aufbewahrt hatte. Sie verbarg sie nun in einem Zwischenraum unter den Dielenbrettern, dann wieder im Badezimmer und dann wieder unter den Dielenbrettern. Da waren ihre Souvenirs, die zusammengetragenen Bruchteile ihrer Liebesgeschichte vom Tag Eins in Nottingham an: Zündholzheftchen aus dem Motel; der billige Kugelschreiber, mit dem sie ihre ersten Briefe nach Paris geschrieben hatte; die allerersten gold-braunen Orchideen, gepresst und zwischen den Seiten ihres Mrs. Beeton-Kochbuchs aufgehoben; das erste Kleid, das er ihr gekauft hatte - damals in York, sie waren zusammen in den Laden gegangen; die schaurigen Ohrringe, die er ihr in London geschenkt hatte und die sie wirklich nicht tragen konnte, höchstens, um ihm eine Freude zu machen. Derlei Dinge hatte sie halb erwartet; Joseph hatte sie praktisch darauf vorbereitet. Was sie jedoch so beunruhigte, war, dass diese Kleinigkeiten, als sie anfing, mit ihnen zu leben, mehr sie selbst wurden, als sie es selber war: in ihrem Bücherregal die oft durchgeblätterten Hochglanz-Informationsbroschüren über Palästina, die mit den vorsichtigen Widmungen von Michel versehen waren; an der Wand das pro-palästinensische Poster mit den froschähnlichen Zügen des israelischen Premierministers, das sich alles andere als schmeichelhaft über die Umrisse arabischer Flüchtlinge breitete; daneben waren die farbigen Landkarten gepinnt worden, auf denen der Verlauf der israelischen Expansion seit 1967 eingezeichnet war - samt ihrem eigenhändigen Fragezeichen über Tyrus und Sidon, nachdem sie bei Ben Gurion gelesen hatte, dass die Israelis sie beanspruchten; und der Stapel schlechtgedruckter antiisraelischer Propaganda in englischer Sprache. Das bin ich durch und durch, dachte sie, als sie sich langsam durch die Sammlung wühlte; sobald sie mich beim Schlafittchen kriegen, kann ich mir einen Strick nehmen. Nur, dass ich es niemals war. Sie waren es.

Doch das auszusprechen half ihr nichts, und überhaupt verwischten sich mit der Zeit die Unterschiede. Michel, um Himmels willen, haben sie dich erwischt?

Bald nach ihrer Rückkehr nach London suchte sie weisungsgemäß das Postamt in der Maida Vale auf, wies sich aus und nahm nur einen einzigen Brief in Empfang. Er war in Istanbul abgestempelt und offensichtlich angekommen, nachdem sie nach Mykonos abgereist war. Liebling. Jetzt nicht mehr lange bis Athen. Ich liebe Dich. Unterschrift: M. Eine hingekritzelte Nachricht, um sie nicht verdursten zu lassen. Doch der Anblick dieser lebendigen Nachricht verstörte sie tief. Ein Schwall verschütteter Bilder stieg vor ihr auf und suchte sie heim. Michels Füße, die in Gucci-Schuhen die Treppe heruntergeschleift wurden. Sein schöner, in sich zusammengesunkener Körper, von seinen beiden Gefängniswärtern gestützt. Sein Rehkitz-Gesicht, zu jung für die Einberufung. Seine Stimme, zu volltönend, zu harmlos. Das Goldamulett, das sanft über seiner olivfarbenen Brust hin und her schaukelte. Joseph, ich liebe dich. Danach ging sie jeden Tag auf die Post, manchmal sogar zweimal, und wurde dort zu einer vertrauten Erscheinung, und sei es nur, weil sie jedes Mal mit leeren Händen wieder abzog und jedes Mal ein verzweifeltes Gesicht machte: ein zartes, klug ausgedachtes Rollenspiel, an dem sie sorgsam arbeitete und das Joseph in seiner Eigenschaft als heimlicher Repetitor mehr als einmal persönlich beobachtete, während er am Nachbarschalter Briefmarken kaufte.

In derselben Zeit schickte sie in der Hoffnung, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen, drei an Michel gerichtete Briefe nach Paris ab, bat ihn, ihr zu schreiben, liebte ihn und verzieh ihm schon im Voraus sein Schweigen. Es waren die ersten Briefe, die sie selbst entwarf und schrieb. Und geheimnisvollerweise verschaffte es ihr Erleichterung, sie abgeschickt zu haben; sie verliehen den Vorgängern Authentizität und den Gefühlen, die sie zu haben vorgab, etwas Echtes. Jedes Mal, wenn sie einen schrieb, brachte sie ihn zu einem für sie ausgesuchten Briefkasten, und sie nahm an, dass Leute da wären, die ihn abfingen, doch hatte sie gelernt, sich nicht neugierig umzublicken und nicht darüber nachzudenken. Einmal entdeckte sie Rachel, die äußerst schlampig und englisch aussah, hinter dem Fenster eines Wimpy-Imbisses. Einmal knatterten Raoul und Dimitri auf einem Motorrad an ihr vorüber. Den letzten ihrer Briefe an Michel schickte sie per Eilboten, und zwar vom selben Postamt, wo sie vergeblich immer wieder nach postlagernden Briefen fragte, und nachdem sie ihn bereits frankiert hatte, schrieb sie noch »Liebling, ach, bitte, bitte, bitte schreib« an den oberen Rand des Umschlags, während Joseph geduldig hinter ihr wartete.

Nach und nach dachte sie an ihr Leben in diesen Wochen als in Großgedrucktem und in Kleingedrucktem. Das Großgedruckte, das war die Welt, in der sie lebte, und das Kleingedruckte die Welt, in die sie hinein- und aus der sie wieder hinausschlüpfte, wenn die große Welt nicht zusah. Keine Liebesaffäre, nicht einmal mit verheirateten Männern, war bei ihr jemals so von Heimlichkeiten bestimmt gewesen.

Zu ihrem Ausflug nach Nottingham kam es an Charlies fünftem Tag, Joseph traf ganz besondere Vorsichtsmaßnahmen. Er holte sie an einem Samstag abend in einem Rover von einem entlegenen U-Bahnhof ab und brachte sie am Sonntag nachmittag wieder nach Hause. In einem Koffer hatte er ihr eine blonde, besonders gute Perücke sowie etwas Kleidung zum Wechseln mitgebracht, unter anderem einen Pelzmantel. Außerdem hatte er ein spätes Abendessen vorbestellt, und es war genauso schlimm wie das Original: mitten beim Essen gestand Charlie eine absurde panische Angst ein; sie fürchtete, die Bedienung könne sie trotz ihrer Perücke und des Pelzmantels erkennen und sie mit Fragen nach ihrem wirklichen Geliebten und was aus ihm geworden sei, bestürmen. Dann gingen sie auf ihr Zimmer: zwei keusche Doppelbetten, die sie in der Fiktion zusammengeschoben und deren Matratzen sie quer gelegt hatten. Einen Augenblick dachte sie sogar, genau dies werde geschehen. Als sie aus dem Badezimmer kam, lag Joseph der Länge nach ausgestreckt auf dem Bett und sah sie an; sie legte sich neben ihn und bettete ihren Kopf auf seine Brust, hob dann das Gesicht und fing an, ihn zu küssen, das heißt ihm schwerelose, ausgewählte Küsse auf Lieblingsstellen an den Schläfen, Wangen und schließlich auf die Lippen zu geben. Seine Hand hielt sie am Rücken, kam dann hoch zu ihrem Gesicht, und er küsste sie seinerseits, hielt die Hand an ihrer Wange und hielt die Augen offen. Dann schob er sie sehr behutsam von sich und setzte sich auf. Und küsste sie noch einmal: Wiedersehen! »Horch!« sagte er und nahm seinen Mantel.

Er lächelte. Sein schönes, gütiges Lächeln, sein allerbestes. Sie horchte und hörte, wie der Nottinghamer Regen gegen ihr Fenster prasselte - der gleiche Regen, der sie zwei Nächte und einen ganzen Tag lang im Bett hatte verbringen lassen.

Am nächsten Morgen legten sie wehmütig die kleinen Ausflüge zurück, die sie und Michel in die ländliche Umgebung gemacht hatten, bis sie das Verlangen wieder ins Motel zurückgebracht hatte; alles wegen der sichtbaren Erinnerungen, wie Joseph ihr ernst versicherte, und wegen der zusätzlichen Sicherheit, es wirklich gesehen zu haben. Zwischen solchen Lektionen brachte er ihr - und das war eine gewisse Erleichterung - andere Dinge bei. Stumme Signale, wie er sie nannte: und eine Methode, auf der Innenseite einer Marlboro-Schachtel eine Geheimschrift anzubringen, etwas, was sie irgendwie nicht ernst nehmen konnte. Mehrere Male trafen sie sich bei einer Kostümbildnerin hinterm Strand, für gewöhnlich nach den Proben.

»Sie kommen wegen der Anprobe, nicht wahr, meine Liebe?« sagte eine riesenhafte, in wallende Gewänder gehüllte Blondine um die Sechzig jedes Mal, wenn Charlie zur Tür hereinkam. »Hier entlang, bitte«, sagte sie und führte Charlie in ein nach hinten hinaus gehendes Schlafzimmer, wo Joseph wie der Freier einer Hure auf sie wartete. Herbst steht dir, dachte sie; dass sein Haar leicht meliert war, fiel ihr ebenso wieder auf wie der rosige Hauch auf seinen hageren Wangen; das wird immer so sein.

Am meisten beunruhigte sie, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ihn erreichen könne: »Wo wohnst du? Wie kann ich mich mit dir in Verbindung setzen?«

Durch Cathy, sagte er dann wohl. Du hast die Sicherheitssignale, und du hast Cathy.

Cathy war ihre Rettungsleine, Josephs Vorzimmer, die Hüterin seiner Unnahbarkeit. Jeden Abend zwischen sechs und acht betrat Charlie eine Telefonzelle, immer eine andere, und wählte eine Nummer im West End, damit Cathy den Tag mit ihr durchgehen konnte: wie es auf der Probe gewesen sei, ob sie etwas Neues von Al oder der Clique gehört habe, wie es Quilley gehe und ob sie über neue Rollen gesprochen hätten, ob sie schon für den Film vorgesprochen habe und ob sie irgend etwas brauche? - oft über eine halbe Stunde oder länger. Zuerst hatte Charlie etwas gegen Cathy, sah in ihr eine Beschneidung ihrer Beziehung zu Joseph, doch nach

und nach freute sie sich auf ihr Geplauder, denn wie sich herausstellte, konnte Cathy umwerfend witzig sein und besaß eine gute Portion gesunden Menschenverstand. Charlie stellte sie sich als jemand Warmherziges und Realistisches vor, möglicherweise eine Kanadierin: eine von jenen Psychotherapeutinnen, die nichts erschüttern konnte und die sie in der Tavistock Clinic aufgesucht hatte, als sie aus der Schule geflogen war und gedacht hatte, sie drehe durch. Das war gar nicht so dumm von Charlie, denn wenn Miss Bach auch Amerikanerin war und keine Kanadierin, ihre Vorfahren waren seit Generationen Ärzte gewesen.

Das Haus in Hampstead, das Kurtz für seine Leute gemietet hatte, war sehr groß und lag an einer stillen Seitenstraße, eine beliebte Übungsstraße der Fahrschule Finchley. Die Hausbesitzer hatten sich auf den Vorschlag ihres guten Freundes Marty aus Jerusalem klammheimlich nach Marlow verzogen, doch ihr Haus war eine Feste stiller und intellektueller Eleganz geblieben. Im Salon hingen Bilder von Nolde und im Wintergarten ein Foto von Thomas Mann mit Widmung; ein Vogel im Käfig sang, wenn man ihn aufzog, in der Bibliothek standen knarrende Lederstühle und im Musikzimmer ein Bechsteinflügel. Im Keller gab es eine Tischtennis-Platte, und nach hinten hinaus einen ziemlich verwilderten Garten mit einem unebenen grauen Tennisplatz, der allerdings schon so verwahrlost war, dass die jungen Leute ein neues Spiel dafür erfanden, eine Art Tennis-Golf, das man auch in den Löchern spielen konnte. Vorn gab es ein winziges Torhüterhäuschen, an dem sie ihr Firmenschild anbrachten: »Studiengruppe für hebräistische und humanistische Studien. Eintritt nur für Studenten und Lehrkörper«, worüber in Hampstead kein Mensch die Nase rümpfte. Mit Litvak waren sie vierzehn Mann, doch verteilten sie sich mit einer solchen diskreten und katzengleichen Disziplin über die vier Stockwerke, dass man sich fragte, ob überhaupt jemand in dem Haus wohnte. Ihr Kampfgeist war nie ein Problem gewesen, und das vornehme Haus in Hampstead hob ihn womöglich noch. Die dunklen Möbel gefielen ihnen, und sie mochten das Gefühl, dass jedes Stück um sie herum mehr zu wissen schien als sie selbst. Am liebsten arbeiteten sie den ganzen Tag und oft auch noch die halbe Nacht hindurch und kamen gern in diesen Tempel kultivierten jüdischen Lebensstils zurück - und lebten dieses Erbe auch. Wenn Litvak Brahms spielte, und zwar sehr gut, legte sogar Rachel, die ganz verrückt auf Pop-Musik war, ihre Vorurteile ab und kam nach unten, um ihm zuzuhören; dabei hatte sie sich zunächst - wie sie ihr immer wieder unter die Nase rieben - mit Händen und Füßen gegen die Vorstellung gewehrt, nach England zurückzukehren, und hatte eigensinnig darauf bestanden, nicht mit einem britischen Pass zu reisen.

In diesem schönen Team-Geist richteten sie sich darauf ein, gewissenhaft zu warten. Ohne dass man es ihnen eigens eingeschärft hätte, mieden sie die Pubs, Restaurants und jeden unnötigen Kontakt mit den Leuten, die in diesem Viertel wohnten. Auf der anderen Seite kümmerten sie sich darum, sich gegenseitig Briefe zu schicken, Milch und Zeitungen zu kaufen und all die Dinge zu tun, die Neugierigen dann auffallen, wenn sie nicht geschehen. Sie fuhren viel Rad und waren ganz aus dem Häuschen, als sie entdeckten, was für erlauchte und manchmal fragwürdige Juden schon vor ihnen hier gewesen waren, und nicht einer von ihnen versäumte es, dem Haus von Friedrich Engels oder dem Grab von Karl Marx auf dem Highgate-Friedhof einen Besuch abzustatten. Ihr Fuhrpark war eine hübsche kleine, rosa gestrichene Reparaturwerkstatt hinter Haverstock Hill; im Schaufenster stand ein alter silberner Rolls-Royce mit einem Plakat: NICHT ZU VERKAUFEN, der Besitzer war ein gewisser Bernie. Bernie war ein großer, bärbeißiger Mann mit dunklem Gesicht, blauem Anzug und einer halbgerauchten Zigarette und einem blauen Homburg, ähnlich dem Schwilis, den er selbst dann trug, wenn er eigenhändig etwas tippte. Er hatte Lieferwagen und PKWs und Motorräder und Nummernschilder, soviel man wollte, und am Tag ihrer Ankunft hängte er ein Plakat auf: NUR VERTRAGS-ARBEITEN. KEINE KUNDENANNAHME. »Ein paar Mist-Puper«, erklärte er seinen Geschäftsfreunden grob. »Behaupteten, eine Film-Gesellschaft zu sein. Haben meinen ganzen Mist-Laden gemietet und mich mit neuen Mist-Lappen bezahlt - wie, verdammter Mist, kann man da schon nein sagen?« Was alles aufs Haar genau stimmte, denn das war die Fiktion, auf die sie sich mit ihm geeinigt hatten. Allerdings wusste Bernie sehr wohl, wie der Hase lief. Bernie hatte früher selbst bei der einen oder andren Sache mitgemischt.

Inzwischen liefen über die Londoner Botschaft fast täglich Nachrichtenleckerbissen ein, wie Meldungen von fernem Schlachtgetöse. Rossino hatte Yanukas Münchener Wohnung wieder einen Besuch abgestattet, diesmal in Begleitung einer Blonden, die ihre Theorien über die unter dem Namen Edda bekannte Frau bestätigten. Soundso hatte Soundso in Paris oder Beirut, Damaskus oder Marseilles besucht. Seit Rossinos Identifizierung hatten sich eine ganze Reihe neuer Wege aufgetan, die in alle Himmelsrichtungen führten. Bis zu dreimal wöchentlich hielt Litvak eine Lagebesprechung mit freier Aussprache ab. Wo Aufnahmen gemacht worden waren, gab es zusätzlich noch eine Laterna-magica-Vorstellung, dazu Kurzreferate über bekannt gewordene Decknamen, Verhaltensweisen, persönliche Vorlieben und Geschäftsgebaren. Ab und zu veranstaltete er sogar ein Quiz, bei dem für die Gewinner lustige Preise ausgesetzt wurden.

Gelegentlich, wenn auch nicht oft, stieß unauffällig auch der große Gadi Becker zu ihnen, um die letzten Neuigkeiten zu hören; er setzte sich dann wohl hinten im Raum ganz allein hin und ging, sobald die Besprechung vorüber war. Von dem Leben, das er fern von ihnen führte, hatten sie keine Ahnung, erwarteten das aber auch nicht: Er war der Agentenführer, eine Spezies für sich; er war Becker, unbesungener Held von mehr Geheimmissionen, als die meisten von ihnen Geburtstage aufweisen konnten. Liebevoll nannten sie ihn ›Steppenwolf‹ und erzählten sich gegenseitig beeindruckende, halbwahre Geschichten über seine Heldentaten. Das entscheidende Wort traf am Tag achtzehn ein. Ein Fernschreiben aus Genf versetzte sie in Alarmbereitschaft, und ein Telegramm aus Paris war die Bestätigung. Binnen einer Stunde waren zwei Drittel des Teams unterwegs und fuhren durch schwarzen Regen gen Westen.

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