Mithridates spähte hinaus in den Morgennebel und fragte sich, ob noch ein weiterer Angriff erfolgen würde. Er zerrte sich den dicken Umhang enger um die Schultern und zitterte, wobei er sich einredete, dass es nur an der Morgenkühle lag. Es war schwer, keine Verzweiflung aufkommen zu lassen.
Die nächtlichen Angriffe waren immer tollkühner geworden, und kaum einer der Soldaten in dem riesigen Feldlager konnte noch ruhig schlafen. Jeden Abend losten sie, wer Wache halten musste, und diejenigen, die das Los traf, blickten sich gegenseitig mit rot geränderten Augen an, zuckten die Achseln und rechneten bereits mit dem Tod. Wenn es sie nicht traf, kehrten sie in die Sicherheit des Hauptlagers zurück, mit wiedergewonnener Zuversicht, die so lange anhielt, bis sie das nächste Mal die falsche Marke aus dem herumgereichten Topf zogen.
Zu oft kehrten sie nicht zurück. Jeden Morgen fehlten Hunderte von Wachposten beim Appell. Mithridates zweifelte nicht daran, dass sich die Hälfte davon still und leise aus dem Staub gemacht hatte, doch es sah so aus, als wäre das Lager von einem unsichtbaren Feind umgeben, der sich nach Lust und Laune aussuchen konnte, wen er umbrachte. Manche der Posten fand man mit Pfeilwunden; die Spitzen waren sorgfältig aus dem Fleisch geschnitten worden, damit man sie wieder verwenden konnte. Es schien keine Rolle zu spielen, wie viele Soldaten gemeinsam Wache standen, oder wo er sie aufstellte– jeden Tag kamen weniger Männer ins Lager zurück.
Finster starrte der König in den feuchten Nebel, der seine Lunge mit der Kälte des Winters zu verstopfen schien. Manche seiner Männer glaubten, sie würden von den Geistern vergangener Schlachten angegriffen, und erzählten Geschichten von uralten, weißbärtigen Kriegern, die sie einen Augenblick lang erblickt hätten, ehe sie lautlos wieder verschwunden seien. Immer ohne jedes Geräusch.
Mithridates begann die Reihe seiner Männer abzuschreiten. Sie waren ebenso erschöpft wie ihr König, aber trotzdem hielten sie die Waffen bereit und warteten darauf, dass sich der Nebel lichtete. Er versuchte zu lächeln und ihre Moral zu heben, aber es war schwer. Das Gefühl der Machtlosigkeit, Woche für Woche weniger zu werden, hatte vielen seiner Männer den letzten Mut geraubt. Er schauderte wieder und verfluchte den weißen Dunst, der noch über den Zelten zu hängen schien, während der Rest der Welt erwachte. Manchmal dachte er, wenn er nur auf ein Pferd steigen und schnell davonreiten würde, könnte er in den Sonnenschein hinausreiten, und wenn er sich umblickte, würde er erkennen, dass nur das Tal vom Schleier verhüllt war.
Ein Leichnam lag unbeachtet zwischen den Zelten. Der König blieb stehen und betrachtete ihn, wütend und beschämt, weil der junge Krieger nicht beerdigt worden war. Mehr noch als die stumpfen Blicke seiner Männer bewies ihm dies, wie weit es mit ihnen gekommen war, seit sie die Hügel mit spitzen Pfählen gesichert und auf ihren Erfolg und die Vernichtung Roms angestoßen hatten. Wie er diesen Namen hasste.
Vielleicht hätte er mit seiner Armee abziehen sollen. Doch das weckte immer wieder diesen quälenden Gedanken, dass der Feind genau darauf hoffte, dass sie in die Ebene hinauszogen. Irgendwo da draußen, den Blicken seiner Späher verborgen, stand eine Legion Männer, mit einem Befehlshaber, der anders war als alle anderen, mit denen es Mithridates bisher zu tun gehabt hatte. Er schien sie Stück für Stück vernichten zu wollen. Plötzlich heranfliegende Pfeilsalven durchbohrten die Körper eines jeden, der einen Offiziershelm oder eine Standarte trug. Es war so weit gekommen, dass sich Männer geweigert hatten, die Fahnen zu tragen, und sich lieber zur Strafe auspeitschen ließen, als den in ihren Augen sicheren Tod zu riskieren.
Es war schlimm, die Moral der Armee aus solcher Höhe abstürzen zu sehen. Er hatte den Gruppen von Wachposten befohlen, jeden Mann zu töten, der zu desertieren versuchte, doch in der folgenden Nacht waren noch mehr verschwunden. Er wusste nicht einmal genau, ob sie gefallen oder davongelaufen waren. Manchmal fand er nur einen Haufen Rüstungen, als hätten sie sich des Metalls und ihrer Ehre einfach entledigt, manchmal jedoch waren die Haufen auch voller Blutflecken.
König Mithridates rieb sich das müde Gesicht und brachte etwas Farbe in seine Wangen zurück. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal geschlafen hatte, weil er sich jetzt, wo während der Nacht jederzeit mit Angriffen zu rechnen war, nicht mehr zu betrinken wagte. Sie waren wirklich wie Geister, dachte er bleiern. Tödliche, flinke Gespenster, die weißes Fleisch hinter sich auf dem Gras zurückließen.
Seine Söhne hatten Eingreiftruppen zusammengestellt, damit immer frische Kämpfer als Verstärkung zur Verfügung standen, aber es hatte nichts genützt. Mithridates fragte sich, ob seine Soldaten absichtlich langsam vorrückten, um nicht als Erste auf den Feind zu treffen und getötet zu werden. Wenn die Römer verschwunden waren, erschien die Verstärkung mit viel Gebrüll und unter dem Klirren von Schwertern und Schilden. Dann umringten sie die Verwundeten und schrieen Beleidigungen in die Nacht hinaus, doch das war nur eine hohle Geste des Trotzes, das letzte Rufen oder Lachen eines Feiglings, nachdem er sich in Sicherheit wusste.
Nach und nach lichtete sich der Nebel, und Mithridates kniff sich mit den kräftigen Daumen in die Wangen, um die Kälte zu vertreiben. Bald würde er die Berichte über die in der Nacht verschwundenen Wachposten erhalten. Er hoffte innig, heute wäre einer der Morgen, an dem alle Männer zurückkehrten und ihr eigenes Glück kaum fassen konnten, während sie vor Erleichterung nach Stunden der Anspannung und Angst taumelten.
Einmal hatte er versucht, den Feind mit einer Truppe von hundert Soldaten, die sich in der Nähe von zwei Wachtposten versteckten, in einen Hinterhalt zu locken. Jeden einzelnen dieser Männer hatten sie am nächsten Morgen tot und starr aufgefunden. Danach hatte er es nicht noch einmal versucht. Geister.
Eine Brise erhob sich um ihn, und er zog den Umhang noch fester um sich. Nach wenigen Minuten hatte sich der Nebel in wehenden Wirbeln aufgelöst und gab den Blick auf die dunkle Ebene frei. Mithridates erstarrte vor Angst, als er die Reihen der Soldaten sah, die dort in vollkommener Stille warteten. Legionäre, in perfekter Schlachtordnung, in Reih und Glied. Das silberne Funkeln ihrer Rüstungen verschwamm schmerzhaft vor seinen Augen. Zwei Kohorten. Eintausend Mann. Sie standen in zweitausend Fuß Entfernung und warteten auf ihn.
Sein Herz schlug schmerzhaft unter den kräftigen Muskeln seiner Brust. Ihm wurde ein wenig schwindelig. Er hörte, wie Rufe durch das Lager hallten, als die überlebenden Offiziere die Männer aus dem Schlaf rissen, damit sie aufstanden und ihre Positionen einnahmen. Da wallte Panik in ihm auf. Eintausend Mann auf einer Seite. Wo war der Rest?
»Sendet die Späher aus!«, brüllte er.
Männer rannten zu ihren Pferden und galoppierten durch das Lager.
»Bogenschützen zu mir!«, fuhr er fort. Der Befehl wurde weitergegeben.
Hunderte von Bogenschützen kamen auf die in den Umhang gehüllte Gestalt zugeströmt. Er versammelte ihre Offiziere um sich.
»Das muss eine List sein, ein Trick. Ihr müsst diese Seite des Lagers schützen. Schießt alle Pfeile ab, die ihr habt, um sie auf Distanz zu halten. Tötet sie alle, wenn ihr könnt. Ich verteidige die andere Seite des Tals, wo der Hauptangriff stattfinden wird. Benutzt alle Pfeile, ohne Zögern. Sie dürfen uns nicht in den Rücken fallen, wenn die anderen angreifen. Das würde unsere Kampfmoral nicht überstehen.«
Die Offiziere nickten, verbeugten sich und spannten noch beim Aufrichten geschickt ihre Bogen. In ihren Gesichtern waren die ersten Anzeichen der Erregung zu sehen, von der Freude an der Macht, den Tod in stechenden Schwärmen auszusenden, während sich die eigenen Männer in Sicherheit befinden.
Mithridates ließ sie ihre Einheiten bilden, nahm sein Pferd von dem Burschen entgegen, der es bereithielt, und trabte durch das Lager zur anderen Seite des Tals. Die Verzweiflung fiel von ihm ab und er reckte sich im Sattel, als er seine Männer überall bereitstehen sah. Es war Tag, und bei Tag konnten sogar Geister getötet werden.
Julius stand an der rechten Flanke der Veteranen, an der Spitze der Ventulus-Kohorte. Drei Reihen zu je einhundertsechzig Soldaten standen hinter ihm; sechs Zenturien zu je achtzig Mann, wobei die Veteranen in der ersten und dritten und die schwächsten Kämpfer in der zweiten Reihe standen, wo sie nicht zaudern oder weglaufen konnten. Zusammen mit Gaditicus und den Männern der Kohorte Accipiter nahmen sie fast eine Meile ein, schweigend und bewegungslos. Jetzt wurden keine Spiele mehr gespielt. Jeder der Wölfe wusste, dass er tot sein konnte, ehe die Sonne hoch am Himmel stand, doch sie hatten keine Angst. Sie hatten ihre Gebete gesprochen. Jetzt ging es ans Töten und Sterben.
Es war bitterkalt. Einige Männer zitterten, während sie darauf warteten, dass sich der Nebel hob. Keiner sprach ein Wort, und die neu ernannten Optios brauchten nicht einmal ihre Stöcke einzusetzen, um die jungen Männer zum Schweigen zu bringen. Alle Soldaten schienen die Bedeutung des Augenblicks zu spüren, als der Dunst endlich vom auffrischenden Wind vertrieben wurde. Ihre Köpfe hoben sich wie die von Hunden, die Witterung aufgenommen haben, denn sie waren sich der Wirkung, die ihr Anblick haben würde, wohl bewusst.
Ein paar Veteranen hatten den Angriff noch im Morgennebel beginnen wollen, aber Julius erklärte ihnen, dass sie dem Feind vor der letzten Attacke gehörig Angst einjagen wollten, woraufhin sich alle seinen Befehlen ohne Murren gebeugt hatten. Nach drei Wochen vernichtender Überfälle auf das Lager begegneten sie ihrem jungen Kommandeur mit einer Haltung, die an Ehrfurcht grenzte. Er schien jeden Schachzug des Mithridates im Voraus zu kennen und ihm gnadenlos zu begegnen. Wenn Julius sagte, die Zeit für einen letzten offenen Schlag sei gekommen, um die Griechen zu vernichten, dann würden sie ohne ein weiteres Wort mit ihm marschieren.
Julius betrachtete die Zeltreihen mit Interesse und genoss den Augenblick. Er fragte sich, welche der aufgeregt hin und her laufenden Gestalten der König sein mochte, aber er war sich nicht sicher. Als das Licht der Sonne das Tal erleuchtete, überfielen ihn einen Moment lang Zweifel. Auch wenn in den letzten Nächten wieder Hunderte gestorben oder desertiert waren, sah das gegnerische Lager immer noch riesig aus und ließ seine eigene Streitmacht im Vergleich dazu winzig wirken. In Erwartung dessen, was da kommen sollte, bleckte er die Zähne und wischte seine Zweifel beiseite, denn er wusste, wie stark der Gegner wirklich war. Viele der Zelte standen leer.
An jedem Tag des Abwartens war Julius von Unentschlossenheit gequält worden. Gefangen genommene Deserteure hatten von sinkender Moral und schlechter Organisation berichtet. Er wusste alles über ihre Offiziere, ihre Ausrüstung und ihre Kampfeslust. Zu Anfang hatte er sich mit den nächtlichen Angriffen zufrieden gegeben, mit denen er Stücke aus Mithridates’ Armee reißen wollte, bis dieser die Nerven verlor und den Legionen, die von der Küste kamen, in die Arme lief. Aber die Wochen vergingen, und die Griechen machten keinerlei Anstalten, das Lager abzubrechen, während von der römischen Verstärkung weiterhin nichts zu sehen war.
Gegen Anfang der dritten Woche erwog Julius die Möglichkeit, dass die Legionen nicht kommen würden, ehe Mithridates aus seiner passiven Lethargie erwachte und anfing, wie ein richtiger Heerführer zu denken. In dieser Nacht, als griechische Wachposten zu Dutzenden desertierten und, ohne es zu ahnen, nur wenige Fuß entfernt an seinen eigenen Männern vorbeikamen, fing Julius an, Pläne für einen offenen Angriff zu schmieden.
Jetzt bildete der Hauptteil der griechischen Armee zehn Mann tiefe Blöcke, und Julius nickte grimmig, als ihm die Lektionen seines alten Tutors einfielen. So würden sie nicht so viele Schwerter einsetzen können wie seine breit gestaffelte Linie, aber die zehn Reihen würden eine planlose Flucht verhindern, jetzt, da ihnen der Feind, der sie seit Ewigkeiten in der Dunkelheit umgebracht hatte, auf der Ebene gegenüberstand. Das Schlucken tat ihm weh, während er das Gelände genau betrachtete und auf den richtigen Augenblick wartete, um den Befehl zum Angriff zu geben. Er sah, wie ein hoch gewachsener Mann auf ein Pferd sprang und davongaloppierte und sich danach Hunderte von Bogenschützen zu Einheiten formierten. Ihre Pfeile würden die Morgenluft schon bald verdunkeln.
»Das sind tausend Mann«, flüsterte er vor sich hin. Seine Männer hatten jetzt alle Schilde; viele stammten von den Griechen, die sie Nacht für Nacht getötet hatten. Trotzdem würde jede erfolgreiche Salve einige das Leben kosten, selbst wenn sie die Schilde zusammenhielten und darunter Schutz suchten.
»Blas zum Vorrücken – schnell!«, fuhr er den Cornicen an, der ein verbeultes Horn ansetzte und die Doppelnote blies. Die beiden Kohorten setzten sich wie ein Mann in Bewegung, und die griechische Erde dröhnte unter ihrem Gleichschritt. Julius schaute kurz nach rechts und grinste wild, als er sah, wie die Veteranen mitten in der Bewegung die Linie begradigten, beinahe ohne es selbst zu merken. Keiner blieb zurück. Die alten Männer hatten sehnsüchtig auf einen solchen Angriff gewartet, dessen Notwendigkeit sie beinahe ebenso begriffen wie Julius, und jetzt hatte ihre Ungeduld ein Ende.
Zuerst kamen sie nur langsam näher. Julius wartete darauf, dass die Bogenschützen feuerten, und erstarrte fast, als er Tausende langer, schwarzer Pfeile durch die Luft auf sich zukommen sah. Sie waren gut gezielt, aber diese Veteranen hatten schon in allen Ländern Roms gegen Bogenschützen gekämpft. Sie bewegten sich ohne Hast, kauerten sich nieder und zogen Arme und Beine ein, während ihre Schilde die ihrer Waffenbrüder neben sich berührten. So bildeten sie eine undurchdringliche Mauer, und die Pfeile prasselten wirkungslos gegen Holz und Messing.
Einen Augenblick lang war alles still, dann erhoben sich die Veteranen wie auf ein Zeichen unter wildem Geschrei. Ihre Schilde steckten voller Pfeilschäfte, doch sie hatten keinen einzigen Mann verloren. Sie rückten erneut zwanzig schnelle Schritte vor, ehe erneut lautes Sirren die Luft erfüllte und sie sich wieder unter ihre Schilde duckten. Irgendwo schrie ein Römer vor Schmerz auf, aber sie rückten weitere drei Mal vor und ließen dabei nur wenige Tote hinter sich auf dem Feld zurück.
Jetzt waren sie nah genug für einen Sturmangriff. Julius gab den Befehl, und die drei Töne des Signals hallten durch die Reihen. Die Wölfe rannten los. Plötzlich waren sie nur noch wenige hundert Fuß von den Bogenschützen entfernt, und die schwarze Wolke flog über sie hinweg.
Die griechischen Bogenschützen hielten ihre Stellung zu lange, weil sie verbissen diejenigen zu töten versuchten, die ihnen so schwer zugesetzt hatten. Ihre erste Reihe wollte vor den heranstürmenden Römern fliehen, doch es geschah planlos. Die Wölfe stürzten sich auf sie, als sie in ihrer Verwirrung, die zu Entsetzen wurde, zu entkommen versuchten.
Julius jubelte, als die Linie der Römer geradezu durch sie hindurchraste und sich mit blutiger Gewandtheit eine Bresche durch die Quadrate schlug. Die Reihen der Griechen lösten sich schon nach Sekunden in schreiendes Chaos auf. Julius befahl der Accipiter, sie weiter unter Druck zu setzen, und Gaditicus hielt sich mit seinen Männern etwas nach links, um den Winkel des vernichtenden Angriffs zu erweitern.
Panik fegte wie ein Sturm durch die griechischen Linien. Als sie ihre eigenen Männer vor Entsetzen brüllen hörten und sie aus der vordersten Linie davonrennen sahen, als die Luft von den Schreien der Sterbenden widerhallte, begannen die Griechen vor den Linien der Wölfe zurückzuweichen. Sie lösten sich von ihren Einheiten und warfen ihre Waffen von sich, während die Offiziere sie hilflos anschrieen.
Immer mehr begannen wegzulaufen, und irgendwann flohen so viele, dass selbst die Tapfersten kehrtmachten und sich der davonjagenden Menge anschlossen.
Die Wölfe griffen an wie im Rausch. Die Veteranen droschen mit der Erfahrung und Geschicklichkeit aus hundert Schlachten auf die Feinde ein, und die jüngeren Männer streckten die Griechen mit jener rohen Energie und der Freude an der Jagd nieder, die ihre Hände beben und ihre Augen wild leuchten ließ, während sie, schrecklich anzuschauen, mit roten Gliedern ihrem tödlichen Handwerk nachgingen.
Der Feind stürzte in alle Richtungen davon. Zwei Mal versuchten die Offiziere ihre Soldaten zu sammeln, und Julius sah sich gezwungen, die Accipiter beim Angriff auf die größte Gruppe zu unterstützen. Die verängstigten Haufen leisteten nicht einmal eine Minute Widerstand und stoben dann wieder auseinander.
Das Lager wurde zu einer blutigen Walstatt aus zertrampelten Leichen und geborstenen Rüstungsteilen. Allmählich wurden die Veteranen müde, ihre Arme schmerzten nach Hunderten von Streichen.
Julius befahl Ventulus, die Säge-Formation einzunehmen, bei der sich die mittlere Reihe zu den anderen versetzt nach links und rechts bewegte, um Lücken zu schließen und die schwächsten Stellen zu unterstützen. Seine Kohorte fegte durch das Lager, und es kam ihnen vor, als hätten sie schon den ganzen Tag getötet.
Gaditicus war schon weiter vorgerückt, und es waren seine Männer, die auf Mithridates und seine Söhne stießen, die von fast tausend Mann umgeben waren. Sie schienen als Anker für die Deserteure zu wirken, die um sie herumrannten, langsamer wurden und dann endlich kehrtmachten, um sich dem letzten Gefecht anzuschließen. Julius gab den Befehl zum Keil, um die feindliche Linie zu durchbrechen. Seine Männer schüttelten ein letztes Mal ihre Müdigkeit ab; Julius selbst lief in der zweiten Reihe, hinter Cornix, der an der Spitze ging. Jetzt mussten sie den letzten Widerstand schnell brechen. Diese Männer waren nicht davongelaufen, sondern standen ausgeruht unter den Augen ihres Königs da und warteten.
Die Soldaten der Ventulus-Kohorte bildeten den Keil, als hätten sie schon ihr ganzes Leben lang zusammen gekämpft. Sie hielten die Schilde hoch, um die Seiten der vielköpfigen Pfeilspitze zu schützen, und als sie in die griechischen Reihen einbrachen, schoben sie sie mit unbändiger Wucht ineinander. Nur der Mann an der Spitze war ungeschützt, und Cornix fiel unter den ersten Hieben. Blutüberströmt erhob er sich wieder und hielt sich mit einer Hand den Bauch zu, während er mit der anderen wieder und immer wieder zuschlug, bis er erneut zu Boden stürzte. Dieses Mal stand er nicht wieder auf. Julius übernahm die Spitze, und der Riese Ciro rückte an seine Seite. Jetzt konnte Julius Mithridates sehen, der mit manischem Blick durch die eigenen Reihen auf die Römer zukam. Julius spürte, wie die Vorwärtsbewegung ins Stocken geriet, und er hätte vor Freude aufschreien können, als er sah, wie der König seine Männer beiseite schob, um sich auf seine Feinde zu stürzen. Er wusste, dass sie den griechischen König niemals hätten erreichen können, wenn er sich im Hintergrund gehalten hätte. Stattdessen brüllte Mithridates Befehle, und die Soldaten in seiner Nähe machten ihm Platz, um ihn an den Feind heranzulassen.
Der König war ein Baum von einem Mann, in einen purpurroten Umhang gehüllt. Er versuchte gar nicht erst, sich zu verteidigen, sondern holte weit über dem Kopf aus und schlug mit aller Kraft zu. Julius wich aus, und der Stoß, mit dem er erwiderte, wurde mit einem solchen Scheppern abgeblockt, dass sein Arm taub wurde. Sein Gegner war stark und schnell. Rings um sie herum gingen Griechen zu Boden, als die Veteranen mit lautem Kampfgebrüll erneut vorrückten, die Leibwache zurückwarfen und sie mit einem Regen von Hieben niedermetzelten. Mithridates schien gar nicht zu bemerken, wie sich die Linie an ihm vorbeischob, und er brüllte, als er einen weiteren brutalen Streich gegen Julius’ Brust führte, der den jungen Mann zurückstolpern ließ und seinen Brustpanzer zerbeulte. Beide Männer schnappten vor Erschöpfung und Wut keuchend nach Luft. Eine von Julius’ Rippen fühlte sich an, als wäre sie gebrochen, aber jetzt befand sich Mithridates weit hinter der Kampflinie. Julius wusste, dass er nur zu rufen brauchte, damit sich seine Männer von allen Seiten auf ihn stürzten.
Als die Leibgarde sah, dass ihr König alleine und in Not war, versuchte sie verzweifelt zu ihm zu gelangen. Die Veteranen waren nun erschöpft und wichen zurück, weil ihre Kraft nachließ. Mithridates schien das zu spüren.
»Zu mir, meine Söhne!«, rief er. »Kommt zu mir!« Und sie kämpften umso wütender.
Julius wich einem Schlag durch eine Bewegung nach hinten aus, ging sofort zu einem schnellen Gegenangriff über und landete mit seiner schartigen Klinge einen Treffer an der Schulter. Mithridates wankte, als Ciro ihm das Schwert in die gewaltige Brust bohrte. Das Blut des Königs schoss hervor, und das Schwert glitt ihm aus den erschlaffenden Fingern. Einen Moment noch sah er Julius in die Augen, dann fiel er zwischen die im Schlamm liegenden Leichen. Julius streckte triumphierend seinen blutigen Gladius empor, und die Accipiter stürzte sich in die Flanke der Griechen, woraufhin der Widerstand endgültig zusammenbrach und die letzten Überlebenden die Flucht ergriffen.
Weil sie nicht genügend Öl zum Verbrennen der Leichen hatten, ließ Julius hinter dem Lager große Gruben ausheben. Es dauerte eine Woche, bis sie tief genug waren, um die gefallenen Soldaten des Mithridates aufzunehmen. Julius hatte jede Siegesfeier verboten, da noch so viele Soldaten der geschlagenen Armee am Leben waren. Die Ironie, eine Kette von Wachposten um das Lager aufzustellen, das er so oft angegriffen hatte, war ihm vollkommen bewusst. Aber nun, da der charismatische König tot war, war das Risiko, dass sich die Überlebenden zu einem weiteren Angriff sammelten, nur gering. Ihnen würde die Lust am Kämpfen endgültig vergangen sein, hoffte Julius, doch obwohl auch Mithridates’ Söhne zuletzt gefallen waren, waren nach Gaditicus’ Schätzung mehr als viertausend Mann entkommen. Julius wollte das Tal verlassen, sobald die Verwundeten wieder auf den Beinen oder gestorben waren.
Weniger als fünfhundert Wölfe hatten den Angriff auf das Lager überlebt. Die meisten Verluste hatte es bei dem letzten Gefecht um den griechischen König gegeben. Julius hatte die römischen Toten einzeln begraben lassen, und niemand hatte sich über die Arbeit beschwert. Die Bestattungsfeierlichkeiten dauerten fast einen ganzen Tag, und der stinkende schwarze Rauch, der von den Begräbnisfackeln aufstieg, schien ihrem Opfer angemessen.
Nachdem alle Toten beerdigt waren und man sämtliche Trümmer im Lager weggeräumt hatte, versammelte Julius seine Offiziere um sich. Als Vertretung der Veteranen wählte er die zehn rangältesten Zenturios aus. Er war traurig, weil Cornix die Schlacht nicht überlebt hatte und nicht mehr dabei sein konnte, doch er wusste, dass der alte Krieger die Art seines Todes selbst und ohne Bedauern gewählt hatte. Quertorus kam mit den anderen, und erst als sie sich gesetzt hatten, bemerkte Julius, dass auch Suetonius unter ihnen war, obwohl er keine Befehlsgewalt hatte. Der junge Mann trug einen dicken Verband um den verwundeten Arm, und bei diesem Anblick beschloss Julius, ihn nicht wieder fortzuschicken. Vielleicht hatte er sich seinen Platz ja verdient, auch wenn sich Julius unwillkürlich fragte, ob ihm die Feldschlacht genauso viel Spaß gemacht hatte wie die nächtlichen Angriffe, die er so genossen hatte.
»Ich möchte weiter zur Küste ziehen und mich dort mit Durus und Prax treffen. Falls der Senat inzwischen nicht vollkommen den Verstand verloren hat, muss sich eine Legion irgendwo auf dem Weg vom Meer hierher befinden. Wir werden ihnen Mithridates’ Leiche übergeben und dann nach Hause segeln. Hier hält uns nichts mehr.«
»Wirst du die Armee auflösen?«
Julius sah ihn an und lächelte.
»Ja, aber erst an der Küste. Es haben zu viele von der griechischen Armee überlebt, um die Männer jetzt schon nach Hause zu schicken. Außerdem sind einige der Männer, mit denen ich in eure Stadt gekommen bin, im Kampf gefallen, und ihr Gold will ich unter den Überlebenden verteilen. Es scheint mir gerecht, allen, die mitgekämpft und überlebt haben, einen Anteil zu geben.«
»Hast du vor, diese Anteile von deiner Hälfte zu nehmen?«, fragte Suetonius schnell.
»Nein, das werde ich nicht tun. Die Lösegelder werden ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben, so, wie ich es versprochen habe. Was von dieser Hälfte übrig bleibt, wird unter den Wölfen aufgeteilt. Wenn dir das nicht gefällt, würde ich vorschlagen, du erklärst es ihnen. Sag ihnen, dass ihnen für ihre Taten nicht ein bisschen Gold zusteht, mit dem sie in ihre Stadt und ihre Dörfer zurückkehren können.«
Suetonius zog ein finsteres Gesicht, aber er schwieg, während ihn die Veteranen gespannt ansahen. Er wich ihren Blicken aus.
»Über wie viel Gold reden wir denn hier?«, fragte Quertorus neugierig.
Julius zuckte die Achseln.
»Über zwanzig, vielleicht dreißig Aurei pro Mann. Die genaue Summe rechne ich aus, wenn wir Durus treffen.«
»Dieser Mann hat das ganze Gold auf seinem Schiff«, wandte ein anderer ein. »Und du glaubst, dass er zum verabredeten Treffpunkt kommt?«
»Er hat mir sein Wort gegeben. Und ich habe ihm meins gegeben, dass ich ihn jage und ihn umbringe, wenn er es nicht hält. Er wird dort sein. Also, in einer Stunde sollen alle Männer marschbereit sein. Ich möchte nicht länger in diesem Lager bleiben. Und von Griechenland habe ich auch genug.«
Er blickte Gaditicus wehmütig an.
»Jetzt können wir nach Hause fahren«, sagte er.
Nur achtzig Meilen von der Küste entfernt stießen sie auf die erste der zwei Legionen, die unter dem Kommando von Severus Lepidus stand. In dem schwer bewachten Lager übergaben Julius und Ciro die Leiche des Mithridates auf einer hölzernen Totenbahre. Ciro schwieg, während sie den Leichnam in einem leeren Zelt auf einen niedrigen Tisch legten, aber Julius sah, wie sich seine Lippen in einem stillen Gebet bewegten, mit dem er dem besiegten Feind seinen Respekt erwies. Als Ciro geendet hatte, spürte er Julius’ Blick auf sich ruhen und erwiderte ihn ohne Verlegenheit.
»Er war ein tapferer Mann«, sagte er schlicht, und Julius fiel verblüfft auf, wie sehr er sich verändert hatte, seit sie sich das erste Mal in einem winzigen afrikanischen Dorf begegnet waren.
»Hast du zu den römischen Göttern gebetet?«, fragte er ihn.
Der große Mann zuckte die Achseln. »Die kennen mich noch nicht. Wenn ich nach Rom komme, werde ich zu ihnen sprechen.«
Der römische Gesandte schickte eine Soldateneskorte, die die Wölfe zum Meer begleiten sollte. Julius protestierte nicht gegen diese Entscheidung, obwohl ihm die Begleitung mehr wie eine Gefangeneneskorte als wie ein Garant für eine sichere Reise vorkam.
Durus war an Bord seines Schiffs, als sie endlich im Hafen ankamen und nach ihm riefen. Er schien sich nicht gerade übermäßig darüber zu freuen, dass sie noch am Leben waren, doch seine Laune besserte sich schnell, als Julius ihm anbot, ihm nicht nur seine Zeit, sondern auch eine Überfahrt nach Brundisium zu bezahlen, dem nächstgelegenen Hafen auf dem römischen Festland.
Es war seltsam, wieder an Bord eines Schiffes zu sein. Julius verwendete einen Teil seines neuen Reichtums darauf, jedes Fass Wein im Hafen für eine große Abschlussfeier aufzukaufen. Ungeachtet der Einwände von Suetonius wurde der Piratenschatz unter den überlebenden Wölfen aufgeteilt, und viele von ihnen würden, gemessen an ihren vormaligen Lebensumständen, als reiche Männer nach Hause zurückkehren, selbst wenn sie sich eine teure Heimreise mit einer Karawane oder zu Pferd leisteten.
Die Veteranen hatten Julius um eine letzte Unterredung gebeten, ehe sie in Richtung Osten in ihre Heimat aufbrachen. Er hatte ihnen Posten in Rom angeboten, aber sie hatten nur gelacht und sich gegenseitig zugezwinkert. Es war schwer, Männer in ihrem Alter anzuwerben, die Gold in ihren Beuteln hatten, und er hatte auch nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie mitkommen würden. Quertorus hatte ihm im Namen aller seinen Dank ausgesprochen, dann hatten sie ihn hochleben lassen, dass es durch das ganze Schiff hallte. Anschließend waren sie gegangen.
Durus segelte ohne große Vorankündigung mit der Morgenflut. Die jungen Überlebenden unter den Wölfen waren alle geblieben, und sie freuten sich mit der Begeisterungsfähigkeit junger Menschen über ihre kurze Erfahrung als Seeleute. Das Meer war ruhig, und schon nach wenigen Wochen legten sie im Hafen von Brundisium an und gingen von Bord.
Diejenigen, die von Anfang an dabei gewesen waren, schauten sich einen langen Augenblick wie benommen an, während drei Zenturien der Wölfe eine Kolonne für den Marsch nach Rom bildeten. Der soeben zum Befehlshaber über fünfzig Mann beförderte Ciro richtete die Reihen aus und fragte sich verwundert, wie es wohl sein würde, die Stadt zu sehen, die ihn gerufen hatte. Er fröstelte und bewegte die Schultern. Hier war es kälter als auf seinem kleinen Hof in Afrika, aber das Land kam ihm trotzdem vertraut vor. Er spürte, wie die Geister seiner Vorfahren ihren Sohn begrüßten und ihn mit Stolz betrachteten.
Julius fiel auf die Knie und küsste mit Tränen in den Augen den staubigen Boden. Er war zu überwältigt, um etwas sagen zu können. Er hatte Freunde verloren und Verletzungen davongetragen, die ihn für sein restliches Leben zeichnen würden, aber Sulla war tot und er war wieder zu Hause.