24

Mithridates hatte keine Wachposten rings um sein Lager mehr, aber er wusste es noch nicht. Julius hatte seine äußere Postenkette fast eine Stunde lang beobachtet, ehe er lächelnd erkannt hatte, was für ein einfaches System der griechische König verwendete. Jede der Wachen stand neben einer brennenden Fackel, die auf einer hölzernen Stange steckte. In unregelmäßigen Zeitabständen nahmen sie sie ab und winkten mit der Flamme über ihren Köpfen, was von dem inneren Ring und den anderen Posten um sie herum erwidert wurde.

Mithridates mochte ein König sein, von Taktik jedoch verstand er nicht viel, wie Julius inzwischen wusste. Die Wölfe hatten den Verteidigungsring mit Bogenschützenpaaren überwunden: Einer hatte den Wächter ausgeschaltet, nachdem er sein Signal gegeben hatte, und der andere hatte seinen Posten eingenommen. Das war schnell erledigt gewesen, und danach hatten sie sich den inneren Ring vornehmen können. Hier standen die Posten dichter beieinander. Sie durch ihre eigenen Männer zu ersetzen, hatte fast eine Stunde gedauert. Julius hatte die anderen zur Vorsicht gemahnt, doch selbst er wurde nervös, als sie auf das Zeichen des Letzten warteten, der nicht ahnte, dass ihm nur noch Römer antworten konnten.

Cabera schoss den letzten Pfeil ab, und der feindliche Soldat sank lautlos zu einem dunklen Haufen zusammen. Wenige Augenblicke später fiel das Licht auf eine andere dunkle Gestalt, die ruhig dastand, als sei nichts geschehen. Als kein Alarm ertönte, ballte Julius triumphierend die Faust.

Das Lager am Fuß der Hügel wurde von den gleichen, auf Stangen aufgesetzten Fackeln beleuchtet, die auch die Wachen benutzt hatten. Aus der Ferne betrachtet, wurde die dunkle Winternacht von einem Meer goldener Punkte durchbrochen, die die Römer wie starre Augen anblickten, während sie auf Julius’ Signal warteten. Für den jungen Feldherrn schien die ganze Welt von seinem Wort abzuhängen. Er trat an den am nächsten Stehenden seiner falschen Wachposten heran und nickte Cabera zu, der einen in Öl getränkten Pfeil an der Fackel entzündete und sofort abschoss, ehe die Flammen seine Finger erreichten.

Gaditicus sah den flammenden Splitter in den Himmel steigen und zeigte mit ausgestrecktem Schwert auf das vor ihnen liegende Lager. Die Männer gingen von ihren gestaffelten Positionen aus ohne einen einzigen Schrei oder Schlachtruf vor. Sie rannten in gespenstischer Stille auf die Lichtflecken zu, die das Lager markierten, und bildeten mit der Ventulus von zwei Seiten her eine Zange, um größtmögliche Panik und Verwirrung zu verbreiten.

Die griechische Armee hatte sich im Vertrauen auf ihre weit gestaffelten Ringe von Wachposten, die sie bei einem Angriff rechtzeitig warnen würden, bei Einbruch der Nacht zur Ruhe gelegt. Viele bemerkten die Gefahr erst, als ihre Lederzelte aufgerissen wurden und unsichtbare Schwerter in ihre schlafenden Leiber fuhren. Auf diese Weise wurden in den ersten Sekunden viele Dutzende niedergemacht. Rufe mischten sich mit Schreien. Das schlafende Lager begann zu erwachen und nach den Waffen zu greifen.

»Wölfe!«, brüllte Julius, der fand, dass die Zeit des Schweigens vorbei war. Die Begeisterung übermannte ihn wie ein Rausch, während er und seine Männer durch das Lager rannten und jeden töteten, der aus den Zelten gestolpert kam. Er hatte seinen Männern aufgetragen, jeweils zwei Feinde zu töten und sich dann den Rückweg freizukämpfen, doch er selbst hatte schon drei mit dem Schwert niedergestreckt, ehe der erste Rausch vorüber war. Er konnte die Panik unter Mithridates’ Männern spüren. Ihre Offiziere reagierten nur langsam auf den Angriff, und ohne Befehle waren es Hunderte von Einzelkämpfern, die sich den dunklen Angreifern stellten und in Massen durch die Schwerter der Veteranen starben. Julius’ Schrei wurde von Gaditicus’ Kohorte beantwortet, die mit Hunderten von Stimmen noch mehr Verwirrung und Angst unter den Feinden stifteten. Cabera feuerte seine restlichen Pfeile in die dunklen Zelte, und Julius streckte einen nackten Mann nieder, der gerade sein Schwert heben wollte. Es herrschte allgemeines Chaos, und in dem Durcheinander hätte Julius fast den Augenblick verpasst, den nicht zu missachten er geschworen hatte.

Er kam nach ein paar Minuten, als Hörner erklangen und die durcheinander rennenden Griechen sich zu Einheiten zusammenzuschließen begannen. In den Zelten, die die Römer übersehen hatten, hatte sich der Feind bewaffnet und begann nun Widerstand zu leisten. Befehle auf Griechisch gellten durch den Lärm der Schwerter.

Julius wirbelte herum und schlug einem Mann, der sich gerade auf ihn stürzte, die Hand am Gelenk ab. Jeder Streich seiner schweren Klinge richtete schreckliche Verwüstungen an, doch sein nächster Schlag wurde geschickt abgewehrt. Er sah sich zwei Männern gegenüber, und von allen Seiten kamen weitere angerannt. Sie hatten die Überraschung überwunden, und es wurde Zeit, sich zurückzuziehen, ehe seine Wölfe niedergemetzelt wurden.

»Absetzen!«, schrie er, während er mit einem tiefen Hieb dem ihm am nächsten stehenden Mann einen schweren Treffer am Fußgelenk versetzte. Der Zweite stürzte im Herbeistürmen über den zusammenknickenden Körper, und Julius drehte sich um und rannte davon, wobei seine Sandalen im blutigen Staub rutschten. Seine Männer folgten seinem Beispiel, drehten sich um und flohen, sobald sie sich vom Feind lösen konnten.

Abseits der Fackeln des Lagers bot die Nacht ein dunkles Versteck. Bei Julius’ Befehl zum Rückzug waren alle Fackeln der Wachen gelöscht worden, und sobald die Römer den Außenbezirk des Lagers, in dem sie Trümmer und Leichen zurückließen, hinter sich hatten, zerstreuten sie sich und wurden unsichtbar.

Die griechischen Einheiten hielten am Rand des Lichtkreises an, weil sie sich nicht in die Dunkelheit hinauswagten, in der der Feind zu Tausenden zu lauern schien – ein Feind, der angeblich noch mehr als eine Woche entfernt war und sich aus einer anderen Richtung nähern sollte. Überall ertönten konfuse Befehle, während die Griechen noch zögerten und die Wölfe entkamen.

Mithridates tobte vor Wut. Schreie am anderen Ende des Lagers hatten ihn aus dem Schlaf gerissen. Sein eigenes Zelt stand in der Mitte der schmalen Senke, und als der Schlummer langsam aus seinem Kopf wich, wurde ihm klar, dass sie von der sicheren Seite her angegriffen wurden, auf der seine Männer alle römischen Siedlungen zwischen dem Lager und den verängstigten Städten an der Ostküste ausgelöscht hatten.

Seine zehntausend Mann waren weit über das Tal verteilt, und bis er mit seinen Offizieren zum Schauplatz des Angriffs gelangt war und die Ordnung wiederhergestellt hatte, waren die Römer schon wieder verschwunden.

Grimmig überschlugen sie die Zahl der Toten. Nach Meinung der überlebenden Offiziere waren sie von mindestens fünftausend Mann überfallen worden, die mehr als tausend Griechen tot am Boden zurückgelassen hatten. Mithridates brüllte vor Kummer, als er die Haufen der Toten in den Zelten sah, die gestorben waren, ehe sie sich dem Feind hatten stellen können. Es war ein Blutbad, und ihn überkam dasselbe Gefühl der Ohnmacht, das er verspürt hatte, als Sulla vor Jahren Jagd auf ihn gemacht hatte.

Wie konnten sie in seinen Rücken gelangt sein?, fragte er sich schweigend, während er zwischen den verdreht daliegenden Toten umherlief. Die Wut überkam ihn, als er in das dunkle Gestrüpp blickte, und er schleuderte sein Schwert in die Nacht, das sofort von der Dunkelheit verschluckt wurde.

»Die Wachen sind tot, Herr«, meldete ein Offizier.

Mithridates starrte ihn an. Seine Augen waren rot vom Rauch und vom unterbrochenen Schlaf.

»Stellt noch mehr Posten auf und brecht das Lager ab, damit wir bei Tagesanbruch losmarschieren können. Ich will, dass sie zur Strecke gebracht werden.« Nachdem der Offizier losgerannt war, um seine Befehle auszuführen, betrachtete Mithridates die Verwüstung um sich herum. Er hatte tausend Mann verloren und dazwischen nur wenige tote Römer entdecken können. Warum hatten sie sich zurückgezogen? Welche Legion es auch immer gewesen sein mochte, es sah so aus, als hätten sie das gesamte Lager noch vor Tagesanbruch überrennen können, so groß war die Panik und Unordnung unter seinen Männern gewesen. Wo waren sie sicher, wenn nicht mitten in ihrem eigenen Land, in ihrem eigenen Lager?

Als er an diesem Abend schlafen gegangen war, hatte er es in dem Gefühl getan, über die größte Armee zu gebieten, die er jemals versammelt, jemals gesehen hatte. Jetzt würde er nicht mehr ohne die Angst einschlafen können, dass man sich über ihre Stärke lustig machen und ihnen mit verwegener Leichtigkeit das Leben rauben konnte, das wusste er. Er sah in die Gesichter um sich herum, aus denen Angst und Entsetzen nur langsam wichen. Zweifel stiegen in ihm auf. Er hatte geglaubt, von Löwen umgeben zu sein, doch jetzt musste er feststellen, dass es nur Lämmer waren.

Er versuchte die Verzweiflung abzuschütteln, aber sie lastete schwer auf ihm. Wie konnte er hoffen, es mit Rom aufzunehmen? Diese Männer hatten sich nach ein paar schnellen Siegen gegen die verhassten Römer seiner Fahne angeschlossen, doch es waren junge Männer, erfüllt von Träumen von Sparta, Theben und Athen. Träumen von Alexander, die er vielleicht nicht erfüllen konnte. Er senkte den Kopf und ballte die schweren Fäuste, während die Männer um ihn herumrannten und nicht wagten, den wütenden König anzusprechen.

»Wir sollten noch einmal umkehren«, sagte Suetonius. »Ein schneller Angriff, während sie das Lager abbrechen. Damit rechnen sie niemals.«

»Und wie sollen wir ihnen entkommen, wenn der Tag anbricht?«, fragte Julius gereizt. »Nein. Wir marschieren so lange, bis wir gute Deckung finden.« Er wandte den Blick ab, um den mürrischen Gesichtsausdruck nicht sehen zu müssen, den seine Worte unweigerlich hervorriefen. Doch selbst der wäre leichter zu ertragen als die bösartige Freude, die den jungen Offizier seit dem Überfall ergriffen hatte. Sie bereitete ihm Übelkeit. Für Julius war es eine kurze, ruhmlose Schlacht gewesen, eine einfache und praktische Methode, um den Gegner zu dezimieren. Der heiße Rausch, der während des Kampfs durch seine Adern geflossen war, war verebbt, sobald er wieder in Sicherheit war, Suetonius jedoch hatte das leichte Töten beinahe körperlich erregt wie eine Liebesnacht.

Auch die Veteranen hatten sich so schnell wie möglich aus dem griechischen Lager zurückgezogen, und zwar ohne zu jubeln, wie Julius aufgefallen war, und ohne auf kleinere Verletzungen zu achten. Sie marschierten schweigend dahin, wie Julius es befohlen hatte. Nur Suetonius schnatterte unentwegt, und schien gar nicht mehr aufhören zu können, sich selbst zu loben.

»Wir könnten unsere Bogenschützen hinschicken, sie aus der Deckung heraus feuern und sich wieder zurückziehen lassen«, schlug er vor. Sein Mund öffnete sich feucht bei dieser Vorstellung. »Hast du gesehen, wie ich den Wachposten erledigt habe? Genau in die Kehle, es war einfach perfekt.«

»Sei still!«, fuhr Julius ihn an. »Zurück ins Glied, und halt den Mund.« Er hatte genug von ihm, und seine Freude über das Gemetzel widerte ihn an. Bei den Gefechten auf See war sie anscheinend nicht zum Vorschein gekommen, aber schlafende Männer zu töten hatte etwas Hässliches in dem jungen Offizier geweckt, das Julius so weit wie möglich von sich wegschieben wollte. Die Erinnerung an die Kreuzigungen kam ihm in den Sinn, und er schauderte und fragte sich, ob Suetonius wohl Gnade gezeigt oder bis zum letzten Mann weitergemacht hätte. Er argwöhnte, dass es unter Suetonius’ Befehl sehr lange gedauert hätte.

Als der junge Wachoffizier nicht augenblicklich gehorchte, hätte ihn Julius beinahe geschlagen. Er schien zu glauben, dass zwischen ihnen eine besondere Beziehung bestände, die auf gemeinsamen Erinnerungen beruhte, auch auf denen in der Zelle auf Celsus’ Schiff. Julius sah ihm ins Gesicht, das vor Gehässigkeit verzerrt war. Der Mund bewegte sich, als wolle er etwas auf den Befehl erwidern.

»Zurück, oder ich töte dich auf der Stelle!«, fauchte ihn Julius an, und die schlanke Gestalt trollte sich endlich zwischen die Männer, die in der Dunkelheit hinter ihm marschierten.

Einer der Veteranen stolperte und fluchte. Ohne Mondlicht passierte das nur allzu leicht. Sie hatten von Anfang an ohne zu murren ein strammes Marschtempo angeschlagen. Jeder von ihnen wusste, dass Mithridates zur Verfolgung ansetzen würde, sobald es hell genug war, um etwas sehen zu können. Ihnen blieben weniger als zwei Stunden bis Tagesanbruch. Bei vollem Marschtempo konnten sie in dieser Zeit knapp zehn Meilen zurücklegen.

Mit den Verwundeten würde es weniger sein. Die Männer, denen das Laufen schwer fiel, wurden von zwei anderen gestützt, ohne darum bitten zu müssen, aber die meisten waren nur leicht verwundet. Durch die Art des Kampfes waren die Römer entweder tot oder unversehrt geblieben. Julius hatte noch keine Zeit gehabt, ihre Verluste zu schätzen, aber seiner Vermutung nach hatten sie sich gut geschlagen, viel besser, als er zu hoffen gewagt hatte.

Während er dahinmarschierte, überlegte er, wie er die griechische Armee verteidigt hätte, wenn er für sie verantwortlich gewesen wäre. Als Erstes hätte er ein besseres Wachsystem eingeführt. Diese Schwachstelle hatte sie bis ins Herz des Lagers gelangen lassen, ohne dass Alarm gegeben wurde. Die Wölfe hatten Glück gehabt, wie es schien, aber bei all seinen Fehlern war Mithridates kein Trottel. Das nächste Mal würde es nicht so leicht gehen. Mehr Römer würden sterben. An der Spitze der langen Kolonne blieb Julius in der Stille der Nacht endlich ein Augenblick Zeit, um den Erfolg einzuschätzen. Trotz seiner abstoßenden Begeisterung hatte Suetonius Recht gehabt. Der Überfall war perfekt gewesen.

Als der Morgen graute, waren die meisten Männer erschöpft. Verbissen zwang Julius sie mit pausenlosen Befehlen und Drohungen, sich noch weiterzuschleppen. Nach einigen weiteren Meilen kamen sie zu einer Kette steiler, bewaldeter Hügel, in denen sie sich während des Tages verstecken konnten, ohne entdeckt zu werden. Dort konnten sie essen und schlafen, doch als er hörte, wie die Veteranen stöhnten und selbst ihr eiserner Wille bei dem endlosen Marsch nachließ, vermutete er, dass sie sich noch eine Weile versteckt würden halten müssen, bis sie ihre Kräfte wiedererlangten.

Bei Tagesanbruch schickte Mithridates seine wenigen Reiter in Gruppen zu zwanzig Mann los, mit dem Befehl, ihm den Feind zu melden, sobald sie ihn entdeckten. Sein ursprünglicher Plan, das gesamte Lager abzubrechen, um sich auf die Suche zu machen, hatte ihm Sorgen bereitet. Vielleicht wollten sie ja genau das erreichen, ihn dazu bringen, den offensichtlichen Schutz des kleinen Tals zu verlassen und hinaus in die Ebene zu ziehen, auf der die verborgene Legion sie auseinander nehmen konnte. Von hilfloser Wut gequält, schritt er in seinem Zelt auf und ab und verfluchte seine Unentschlossenheit. Sollte er sich in eine Stadt zurückziehen? Sie gehörten alle den Römern, und die würden ihre Mauern bis zum letzten Mann verteidigen. Aber wo konnte er auf der Ebene Sicherheit finden? Es war durchaus möglich, dass weitere Legionen von Westen herankamen, um den Aufstand niederzuschlagen, das wusste er, und er spielte mit dem Gedanken, seine Armee aufzulösen und die Männer nach Hause zu schicken, zurück auf ihre Höfe und in ihre Täler. Nein, das konnte er nicht tun. Die Römer würden sie auf der Suche nach den Rebellen einen nach dem anderen finden. Damit wäre überhaupt nichts gewonnen.

Er knirschte in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen. Seit er in der vergangenen Nacht die Leichen seiner Männer gesehen hatte, brodelte es in ihm. Würde sich Alexander zwischen den Legionen in die Falle locken lassen?

Plötzlich blieb er stehen. Nein, das würde Alexander auf keinen Fall tun. Alexander würde ihnen entgegenmarschieren und sie zur Schlacht herausfordern. Aber in welcher Richtung? Wenn er mit seiner Armee nach Osten aufbrach, konnten ihn die, die von der Küste kamen, immer noch einholen. Marschierte er nach Westen, auf die römischen Häfen zu, würden die nächtlichen Mörder seiner Nachhut keine ruhige Minute gönnen. Die Götter mochten ihm verzeihen, aber was würde Sulla tun? Wenn die Späher ohne Neuigkeiten zurückkehrten und er nicht handelte, würden seine Männer anfangen zu desertieren, davon war er überzeugt.

Mit einem Seufzer goss er sich einen dritten Becher Wein ein, trotz des sauren Gefühls in seinem leeren Magen, der gegen eine solche Behandlung so früh am Tag rebellierte. Gereizt ignorierte er das unangenehme Gefühl und stürzte den Wein hinunter. Bald würde er seinen Söhnen sagen müssen, dass sie schuld am Tod vieler Männer waren, weil sie in der Nacht nicht schnell genug reagiert hatten.

Er trank mehr und mehr, während der Tag verging und die Späher auf schweißnassen Pferden ohne Nachrichten zurückkehrten. Von allen Männern im Lager war Mithridates, der König, der Einzige, der sich bei Einbruch der Nacht in den Schlaf getrunken hatte.

Julius wusste, dass die Einschätzungen des kurzen nächtlichen Überfalls ungenau oder übertrieben sein würden. Es lag in der Natur der Soldaten, größere Erfolge in Anspruch zu nehmen, als sie errungen hatten. Doch selbst eingedenk dieser Tatsache hatten sie Mithridates’ Streitmacht um achthundert bis tausend Mann dezimiert und dabei selbst nur elf Männer verloren. Diese Legionäre würden nicht unter den Augen der römischen Götter begraben werden. Sie hatten keine Zeit gehabt, ihre Toten mitzunehmen, trotzdem war es den Veteranen, die ihre eigenen Leute noch nie gerne in den Händen der Feinde zurückgelassen hatten, ein Dorn im Fleisch.

Sobald sie den Schutz der Bäume auf den Hügeln erreicht hatten und Julius die Erlaubnis zum Wegtreten gab, mussten die jüngeren Männer einen Teil der nächtlichen Anspannung abreagieren. Sie schrieen und jubelten, bis sie heiser waren, während die Veteranen ihnen lächelnd zusahen und sich lieber mit dem Reinigen und Ölen ihrer Ausrüstung beschäftigten, als zu feiern.

Quertorus hatte fünfzig der besten Jäger losgeschickt, um für Fleisch zu sorgen, und am frühen Vormittag stand ein dampfendes Mahl aus Igeln, Hasen und Rehen bereit, die über kleinen Feuern brieten. Jede Flamme bedeutete ein Risiko, doch die Bäume würden den Rauch verteilen. Julius wusste, wie sehr die Männer die Wärme des heißen Fleisches brauchten, um ihre Lebensgeister zu wecken, und bestand lediglich darauf, dass die Feuer gelöscht wurden, sobald die letzten Tiere, die die Jäger zur Strecke gebracht hatten, gebraten waren.

Der Altersunterschied wurde an diesem Nachmittag besonders deutlich. Die jungen Rekruten hatten sich vollkommen erholt und liefen plaudernd und lachend im Lager umher. Die Veteranen schliefen wie Tote, ohne sich auch nur im Schlaf umzudrehen, und erwachten steif und verkrampft. Blutergüsse zeigten sich auf ihrer Haut, wo in der Nacht noch nichts zu sehen gewesen war. Die Jüngeren taten ihre Wunden mit einem Kopfschütteln ab, machten sich jedoch nicht über die Steifheit der Veteranen lustig. Sie sahen in erster Linie ihr Können, nicht ihr Alter.

Julius hatte Cornix nahe der Feuerstellen gefunden, wo er fröhlich vor sich hinkaute und offensichtlich die Wärme in seinen alten Knochen genoss.

»Du hast also überlebt«, sagte Julius, der sich ehrlich darüber freute, dass der alte Mann das Chaos des Angriffs überstanden hatte. Sein Knie war immer noch dick umwickelt und ruhte flach auf dem Boden.

Cornix winkte zum Gruß lässig mit einem Stück Fleisch. »Sie haben mich nicht umbringen können, das stimmt«, pflichtete er Julius bei. Er saugte an dem Fleisch, ehe er es in die Backentasche schob, um es vor dem Kauen aufzuweichen. »Es waren eine ganze Menge, ist mir aufgefallen.« Seine Augen suchten Julius’ Blick, voller Interesse an dem jungen Mann.

»Wir glauben, es sind noch acht- oder neuntausend übrig«, meinte Julius.

Cornix runzelte die Stirn. »Es wird ewig dauern, so viele zu töten«, bemerkte er ernst, während er auf dem Stück Fleisch herumkaute und es im Mund hin und her schob.

Julius grinste den alten Mann an. »Ja, nun. Gut Ding will Weile haben«, sagte er.

Cornix nickte zustimmend, und gegen seinen Willen machte sich ein Lächeln auf seinem zerfurchten Gesicht breit.

Julius ließ ihn essen und suchte nach Gaditicus. Gemeinsam gingen sie durch das Lager und schritten sämtliche Wachtposten ab, die immer zu dritt standen, damit bei einem drohenden Angriff einer sofort die Meldung ins Lager tragen konnte. Jede dieser um das gesamte Lager postierten Dreiergruppe befand sich in Sichtweite der nächsten. Das erforderte zwar viele Männer, aber Julius hatte kurze Wachen von nur zwei Stunden angeordnet, so dass die Männer bald abgelöst wurden.

Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Als es am Abend des folgenden Wintertages wieder früh dunkel wurde, marschierten sie aus dem Wald hinaus und griffen Mithridates’ Lager erneut an.

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