30

Julius brachte seine Männer eine Stunde vor Morgengrauen in die Unterkünfte der Primigenia. Wie Brutus gesagt hatte, waren sowohl die Gebäude als auch der Exerzierhof sehr eindrucksvoll, und Julius pfiff leise durch die Zähne, als er unter dem äußeren Bogen des Haupttores hindurchmarschierte und die gut positionierten Wachposten und befestigten Stellungen dahinter erblickte.

Die Wachen am Tor mussten angewiesen worden sein, ihn zu erwarten, denn sie winkten die Soldaten einfach durch. Sobald er drinnen war und sich das schwere Tor hinter ihnen geschlossen hatte, erkannte Julius, dass er sich in einem schmalen Hof befand, ganz ähnlich dem Bereich zwischen der äußeren und der inneren Mauer von Mytilene. Jedes der Gebäude, die den Hof umstanden, konnte mit Bogenschützen besetzt sein, und da ihnen der Rückweg versperrt war, gab es als einzigen Weg nach vorne nur einen sehr schmalen Pfad, der wiederum von Schießscharten für noch mehr Bogenschützen durchbrochen war. Julius zuckte die Achseln. Seine Zenturien blieben ordnungsgemäß stehen und richteten ihre Reihen aus, bis sie in dem Zwischenhof ein exaktes Quadrat bildeten.

Julius fragte sich, wie lange ihn Brutus wohl warten lassen würde. Es war nicht leicht einzuschätzen, nachdem er so lange von seinem ältesten Freund getrennt gewesen war. Der Junge, den er einst gekannt hatte, wäre schon längst da gewesen, der Mann jedoch, der die Überreste der Primigenia anführte, hatte sich in der Zeit, da sie sich aus den Augen verloren hatten, sehr verändert – vielleicht so sehr, dass er den Jungen in sich begraben hatte. Noch wusste er das nicht zu sagen.

Ohne sich seine Ungeduld anmerken zu lassen, stand Julius mit seinen Männern reglos da, während sich die Minuten dehnten. Er brauchte die Unterkünfte, und nach allem, was Tubruk gesagt hatte, waren sie so gut, wie Brutus behauptet hatte. Da Crassus hinter ihrem Erwerb stand, war der Geldbeutel wohl prall genug gefüllt gewesen, um das Beste zu kaufen, was die Stadt zu bieten hatte. Beim Warten dachte Julius darüber nach, ob er Crassus einen Teil der Baracken abkaufen sollte. Persönlich stimmte er Tubruk zu, dass die Beziehung, die der reiche Senator nährte, sich in der Zukunft zu einem Dorn entwickeln könnte, egal, wie freundlich er sich gegenwärtig gab.

Brutus kam in Begleitung von Renius aus dem Hauptgebäude geschritten. Interessiert betrachtete Julius den mit einer Lederkappe bedeckten Stumpf von Renius’ linkem Arm, verzog jedoch keine Miene. Brutus sah wütend aus, und Julius’ Hoffnung erstarb.

Als Brutus vor ihm stand, blieb er steif stehen und salutierte wie vor einem Mann gleichen Ranges. Julius erwiderte den Gruß ohne zu zögern. Einen Augenblick verspürte er Schmerz angesichts der Kluft, die sie trennte, bevor seine Entschlossenheit die Oberhand gewann. Er würde nicht nachgeben. Brutus war kein Mensch, den er mit seiner Klugheit umschmeicheln und beherrschen wollte. Diese Art der Manipulation sparte er sich für seine Feinde oder formelle Verbündete auf, nicht für den Jungen, mit dem er vor so vielen Jahren einen Raben gefangen hatte.

»Ich heiße dich im Quartier der Primigenia willkommen«, sagte Brutus.

Julius schüttelte den Kopf über den offiziellen Tonfall. Etwas stachelte ihn an, deshalb wandte er sich an Renius, ohne auf Brutus einzugehen. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, alter Freund. Kannst du ihm nicht verständlich machen, dass diese Männer hier nicht zur Primigenia gehören?«

Renius erwiderte seinen Blick einen Augenblick lang unberührt, bevor er antwortete.

»Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um deine Kraft zu teilen, mein Junge. Der Wahltag auf dem Campus ist für dieses Jahr vorbei – es wird keine zusätzlichen Männer mehr für eine weitere Legion geben. Ihr beide solltet endlich damit aufhören, euch so voreinander aufzublasen, und Frieden schließen.«

Julius schnaubte gereizt. »Bei den Göttern, Brutus, was soll ich deiner Meinung nach denn tun? Die Primigenia kann nicht zwei Befehlshaber haben, und meine Männer sind allein auf mich eingeschworen. Ich habe sie in kleinen Dörfern gefunden und sie von Grund auf zu Legionären gemacht. Du erwartest doch nicht im Ernst, dass ich sie jetzt, nach allem, was sie mit mir durchgemacht haben, einem anderen Kommandeur übergebe.«

»Ich dachte… dass gerade dir etwas daran liegen würde, die Primigenia wieder stark zu sehen.«

»Als Tribun kann ich Truppen für dich ausheben. Ich lasse das ganze Land danach durchkämmen. Ich schwöre dir, ich lasse die Primigenia wieder auferstehen. Ich schulde Marius ebenso viel wie du, wenn nicht mehr.«

Brutus suchte in Julius’ Augen, urteilte über seine Worte.

»Aber wirst du auch deine eigene Legion aufbauen? Wirst du um einen neuen Namen ersuchen, der den Verzeichnissen hinzugefügt wird?«

Julius zögerte. Renius räusperte sich. Er wollte etwas sagen. Aus jahrelanger Gewohnheit warteten die beiden jüngeren Männer gehorsam auf seine Worte. Er blickte Julius streng in die Augen und hielt seinen Blick fest.

»Treue ist ein seltenes Gut, mein Junge, aber Brutus hat sein Leben für dich riskiert, als er die Primigenia wieder in die Rollen hat eintragen lassen. Jetzt hat er Männer wie Cato gegen sich, und das alles hat er für dich getan. Da gibt es keinen Konflikt. Die Primigenia ist deine Legion, begreifst du das nicht? Deine Männer können ihren Diensteid neu schwören und immer noch dir verpflichtet sein.«

Julius sah die beiden Männer an, und es war wie ein Blick zurück in seine Kindheit. Widerstrebend schüttelte er den Kopf.

»Es kann nicht zwei Befehlshaber geben«, sagte er.

Brutus starrte ihn an.

»Verlangst du, dass ich den Eid auf dich schwören soll? Dass ich dir das Kommando übergebe?«

»Wie sonst könntest du mein Schwert sein, Brutus? Aber ich kann nicht von dir verlangen, dass du den Rang niederlegst, von dem du schon immer geträumt hast. Das wäre zu viel verlangt.« Julius ergriff sanft seinen Arm.

»Nein«, murmelte Brutus mit plötzlicher Entschlossenheit. »Es ist nicht zu viel verlangt. Zwischen uns bestehen ältere Schwüre, und ich habe dir geschworen, dass ich immer da sein werde, wenn du mich rufst. Rufst du mich jetzt?«

Julius atmete tief und langsam ein, musterte seinen Freund und spürte, wie sein Herz in seiner Brust jäh schneller zu schlagen begann.

»Ich rufe dich«, sagte er leise.

Brutus nickte entschlossen. Seine Entscheidung war gefallen. »Dann werde ich gemeinsam mit deinen Wölfen hier den Eid leisten, und wir beginnen diesen Tag mit einer wiedergeborenen Primigenia.«

Nur von einer fünfköpfigen Wache begleitet, schritt Julius durch die geschäftigen Straßen der Stadt und folgte dabei der Wegbeschreibung, die Tubruk ihm gegeben hatte. Froh gelaunt bewegte er sich durch die Menschenmengen. Er hatte das Haus seines Onkels sicher in seinen Besitz gebracht und wusste es von zwanzig Soldaten gut bewacht. Noch wichtiger war, dass er auch das Problem mit der Primigenia gelöst hatte. Insgeheim pries er Brutus und Renius ob ihrer Loyalität ihm gegenüber, doch sogar in seinem Stolz wusste er, dass er ihre Liebe zu ihm letztendlich ebenso eiskalt ausgenutzt hatte, wie es auch jeder Feind getan hätte. Er sagte sich, dass er keine andere Wahl gehabt hätte, doch seine innere Stimme wollte nicht verstummen.

Tabbics Laden war nicht weit von Marius’ Haus entfernt. Julius fand ihn ohne Schwierigkeiten. Je näher er ihm kam, desto aufgeregter wurde er. Er hatte Alexandria seit seinem Hochzeitstag nicht mehr gesehen und hatte Tubruk ängstlich gefragt, ob sie die wüsten Kämpfe in der Stadt nach seiner eigenen Flucht überlebt hatte. Zögernd legte er die Hand auf die Tür und verspürte einen Anflug der alten Unsicherheit, die ihn in ihrer Gegenwart immer befallen hatte. Er schüttelte belustigt den Kopf, dann trat er ein. Seine Männer blockierten den schmalen Gehsteig vor dem Laden.

Alexandria stand nur wenige Schritte von der Tür entfernt und drehte sich um, um den Eintretenden zu begrüßen. Sie lachte, als sie ihn erkannte, mit der schlichten Freude, mit der man einen alten Freund begrüßte. Eine Goldkette um den Hals, stand sie da, während Tabbic hinter ihr stand und an der Schließe arbeitete.

Julius ließ ihren Anblick auf sich wirken. Der Glanz des Goldes ließ ihren Hals strahlen, und sie schien eine Gelassenheit oder ein Selbstvertrauen gewonnen zu haben, das er an ihr so noch nicht kannte.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte er und machte die Ladentür hinter sich zu.

»Das liegt daran, weil ich so dicht neben Tabbic stehe«, erwiderte sie leichthin.

Tabbic blickte knurrend von seiner Arbeit auf, musterte den Mann, der den Laden betreten hatte, und richtete sich auf, eine Hand ins Kreuz gedrückt.

»Willst du kaufen oder verkaufen?«, fragte er und nahm dabei die Kette von Alexandrias Hals, was Julius bedauerte.

»Weder noch, Tabbic. Julius ist ein alter Freund«, erklärte Alexandria.

Tabbic nickte einen verhaltenen Gruß. »Ist das der, der sich um Octavian kümmert?«

»Dem Jungen geht es gut«, sagte Julius.

Tabbic schniefte. Es gelang ihm nicht ganz, ein kurzes, wohlwollendes Lächeln zu verbergen. »Das freut mich«, sagte er leise, bevor er mit der Kette in einem Hinterzimmer des Ladens verschwand und die beiden allein ließ.

»Du siehst dünn aus, Julius. Gibt dir deine hübsche Frau nicht genug zu essen?«, fragte Alexandria frei heraus.

Julius lachte. »Ich bin erst seit ein paar Tagen wieder zurück. Ich habe mir Marius’ altes Haus als Stadtvilla zurückgeholt.«

Alexandria blinzelte erstaunt. »Das ging ja schnell«, sagte sie. »Ich dachte, dort wohnt jetzt Sullas Heerführer.«

»Er hat dort gewohnt. Ich muss vor dem Gericht des Forums erscheinen, um es zu behalten, aber das Haus gibt mir die Möglichkeit, Marius’ Namen in dieser Stadt wieder reinzuwaschen.«

Ihr Lächeln verschwand bei dieser Erinnerung an die schlimmen Zeiten, und sie beschäftigte sich damit, ihre Schürze auszuziehen, und fluchte, als der Knoten sich ihren Fingern widersetzte. Julius wollte ihr helfen, unterdrückte den Impuls jedoch mühsam. Es überraschte ihn, dass er sich sofort wieder so heftig wie ehedem zu ihr hingezogen fühlte, sobald er den Laden betreten hatte. Das beunruhigte ihn so sehr, dass er ihr lieber nicht näher kommen wollte. Also wartete er, bis sie die Bänder selbst gelöst hatte.

Du bist ein verheirateter Mann, wies er sich streng zurecht, errötete aber unwillkürlich, als sie ihn wieder anschaute.

»Und was führt dich in unseren bescheidenen kleinen Laden? Ich bezweifle, dass du lediglich vorhattest, mich zu besuchen.«

»Trotzdem wäre das gut möglich. Es hat mich sehr gefreut, als ich von Tubruk erfahren habe, dass du überlebt hast. Ich habe gehört, dass Metella sich das Leben genommen hat.« Wie früher suchte er in ihrer Gegenwart ständig nach Worten und ärgerte sich dabei über seine Unbeholfenheit.

»Hätte ich gewusst, was sie vorhatte, hätte ich sie niemals allein gelassen.« Alexandria sah ihn mit funkelnden Augen an. »Bei den Göttern, ich hätte sie mit hierher zu Tabbic gebracht. Sie war ein Opfer, ebenso wie die Männer, die dieser Hundesohn Sulla auf den Straßen hat umbringen lassen. Mir tut es nur Leid, dass er, wie man berichtet, schnell gestorben ist. Ich hätte ihm einen langsamen Tod gewünscht.«

»Ich habe nichts vergessen, auch wenn der Senat anscheinend vergessen möchte«, sagte Julius mit bitterer Stimme. Sie wechselten einen Blick stummen Einvernehmens, eine Erinnerung an die, die sie verloren und an eine Vertrautheit, die zwischen ihnen noch lebendiger war, als sie vermutet hatten.

»Wirst du sie bezahlen lassen, Julius? Mir wird immer noch übel bei dem Gedanken an den Abschaum, den ich damals in den Straßen habe toben sehen. Rom ist ein viel schmutzigerer Ort, als man es vom Forum aus sehen kann.«

»Ich tue, was ich kann. Ich werde damit anfangen, dass ich sie Marius ehren lasse; eine Kröte, an der sie ziemlich zu schlucken haben dürften«, antwortete er ernst.

Sie lächelte ihn wieder an. »Bei den Göttern, bin ich froh, dein Gesicht nach so langer Zeit wiederzusehen. Es bringt mir die ganze Vergangenheit wieder«, sagte sie, und er errötete abermals, woraufhin sie leise auflachte. Mit ihrem Selbstvertrauen als freie Frau war sie fast nicht wiederzuerkennen, trotzdem spürte er, dass sie jemand war, dem er einfach deshalb vertrauen konnte, weil sie ein Teil der Vergangenheit war. Die zynischere Stimme in ihm argwöhnte, dass er hoffnungslos naiv war. Sie alle hatten sich verändert, und Brutus hatte ihm das bereits deutlich genug gezeigt.

»Ich habe dir nie für das Geld gedankt, das du bei Metella für mich zurückgelassen hast, für die Zeit, wenn ich frei sein würde«, sagte sie. »Ich habe mir einen Anteil an diesem Laden dafür gekauft. Es hat mir sehr viel bedeutet.«

Er tat ihren Dank mit einer flüchtigen Handbewegung ab.

»Ich wollte dir helfen«, erwiderte er.

»Bist du hergekommen, um nachzusehen, wie ich es angelegt habe?«

»Nein. Ich weiß, ich könnte sagen, dass ich dich nur um unserer alten Freundschaft willen wiedersehen wollte, aber ehrlich gesagt…« Er stockte.

»Ich wusste es! Du suchst ein Ohrgehänge für deine Frau, oder eine schöne Brosche? Ich fertige dir etwas ganz Besonderes an, etwas, das zu ihren Augen passt.« Ihre Heiterkeit stand im krassen Gegensatz zu seiner ernsthafteren Stimmung. Er war ganz anders als der stammelnde Knabe, den sie gekannt hatte.

»Nein, es ist für die Verhandlung, und danach. Ich möchte Bronzeschilde zu Ehren von Marius in Auftrag geben. Sie sollen sein Bild tragen, seine Schlachten darstellen, sogar seinen Tod, als die Stadt gefallen ist. Ich möchte, dass sie seine Lebensgeschichte erzählen.«

Alexandria strich mit einer Hand über ihr zusammengebundenes Haar und hinterließ einen schmalen Streifen Goldspäne auf ihrer Wange. Wenn sie sich bewegte, fing sich das Licht darin, und er verspürte unwillkürlich den Drang, mit dem Daumen über ihre Haut zu fahren, um sie wegzuwischen. Seine Regungen verwirrten ihn, und er versuchte sich zu konzentrieren.

Sie runzelte nachdenklich die Stirn, dann nahm sie einen Griffel und eine Wachstafel aus einem Regal.

»Sie sollten groß sein, vielleicht drei Fuß im Durchmesser, damit man auch aus einiger Entfernung noch etwas erkennen kann.«

Sie fing an, Skizzen in die Wachsfläche zu ritzen, wobei sie ein Auge fast zukniff. Julius sah zu, wie sie sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn strich. Tubruk hatte gesagt, sie sei gut, und normalerweise konnte man sich auf das Urteil dieses Mannes verlassen.

»Die Erste sollte ein Porträt sein. Wie findest du die Idee?«

Sie drehte sich um, und Julius war erleichtert, als die Skizze ein Gesicht zeigte, das er wiedererkannte. In den Zügen lag etwas von der Strenge, an die er sich erinnerte, obwohl die einfachen Linien niemals mehr sein konnten als der Widerhall der Lebendigkeit, die Marius erfüllt hatte.

»Das ist er. Ich wusste gar nicht, dass du das so gut kannst.«

»Tabbic ist ein hervorragender Lehrer. Ich kann dir deine Schilde anfertigen, aber schon das Metall ist teuer. Ich möchte nicht mit dir handeln, Julius, aber wir reden hier über mehrere Monate Arbeit. Mit diesem Auftrag könnte ich mir in der ganzen Stadt einen Namen machen.«

»Die Kosten spielen keine Rolle. Ich vertraue darauf, dass du mir einen angemessenen Preis machst, aber ich brauche sie in drei Wochen, nicht Monaten. Der Senat dürfte die Verhandlung nicht lange aufschieben, denn Antonidus tobt wegen dem Verlust seines Hauses. Ich brauche das Beste, was du herstellen kannst, und das so schnell wie möglich.«

»Tabbic?«, rief Alexandria.

Der ergraute Kunstschmied kam aus dem Hinterzimmer, die Werkzeuge immer noch in Händen. Sie erklärte ihm rasch die Lage, und Julius lächelte, als das Gesicht des Mannes vor Interesse aufleuchtete. Schließlich nickte er.

»Ich kann die normale Arbeit im Laden übernehmen, aber die bestellten Broschen müssen wir dann verschieben. Aber denk dran«, er rieb sich nachdenklich über das Kinn, »das könnte den Preis für diejenigen in die Höhe treiben, die du bereits fertig hast, was ja nicht verkehrt wäre. Wir müssen ein größeres Lager anmieten, und eine viel größere Schmiede. Mal sehen…« Er holte noch eine Tafel aus dem Regal, woraufhin die beiden eine ganze Weile schrieben und sich leise unterhielten, während Julius ungeduldig zusah. Schließlich waren sie sich einig, und Alexandria drehte sich wieder zu ihm um. Das Gold in ihren Haaren funkelte immer noch.

»Ich nehme den Auftrag an. Der Preis hängt davon ab, wie viel Ausschuss wir haben, und ob wir noch einmal neu gießen müssen. Wenn du ein paar Stunden Zeit hast, müssen wir uns darüber unterhalten, welche Szenen du haben willst.«

»Du weißt, wo du mich findest«, sagte er. »Wenn du mich brauchst, kannst du jederzeit zu mir hinauskommen.«

Alexandria hantierte mit ihrem Stylus herum, plötzlich fühlte sie sich unbehaglich.

»Mir wäre es lieber, wenn du hierher kommst«, sagte sie, ohne ihm näher erklären zu wollen, wie sehr sie das alte Gut auf die Probe gestellt hatte, als sie das letzte Mal das Tor passiert hatte.

Julius verstand, was sie nicht gesagt hatte.

»In Ordnung. Vielleicht bringe ich sogar den Jungen mit, wenn ich komme. Tubruk sagt, er redet die ganze Zeit von dir und…äh… Tabbic.«

»Tu das. Wir vermissen ihn beide sehr. Seine Mutter besucht ihn, so oft es geht, aber es muss schwer für ihn sein, von ihr getrennt zu sein«, antwortete Alexandria.

»Er ist die reinste Landplage. Vor ein paar Tagen hat Tubruk ihn dabei erwischt, wie er auf meinem Pferd über die Wiesen geritten ist.«

»Er hat ihn doch nicht etwa geschlagen?«, fragte Alexandria zu hastig.

Julius schüttelte lächelnd den Kopf. »Das würde er nie tun. Der Junge hat Glück gehabt, dass ihn Renius nicht geschnappt hat, obwohl ich nicht weiß, wie der ihn mit einer Hand verprügeln könnte. Sag seiner Mutter, sie braucht sich keine Sorgen zu machen. Er ist von meinem Blut. Ich kümmere mich um ihn.«

»Er hat nie einen Vater gehabt, Julius. Ein Junge braucht einen Vater mehr als ein Mädchen.«

Julius zögerte, unwillig, die Verantwortung zu übernehmen.

»Unter den Fittichen von Renius und Tubruk dürfte er nicht schlecht geraten.«

»Sie sind keine Blutsverwandten, Julius«, erwiderte sie und hielt seinem Blick so lange stand, bis er wegsah.

»Na schön! Ich nehme ihn mit, obwohl ich keine einzige Sekunde lang meine Ruhe hatte, seit ich die Stadt betreten habe. Ich kümmere mich um ihn.«

Sie grinste ihn spitzbübisch an. »›Es gibt im Leben eines Mannes keine größere Herausforderung als die Erziehung seines Sohnes‹«, zitierte sie.

Julius seufzte. »Das hat mein Vater immer gesagt.«

»Ich weiß. Und er hatte Recht. Es gibt keine Zukunft für den Jungen, wenn er sich auf den Straßen dieser Stadt herumtreibt. Überhaupt keine. Wo wäre Brutus, wenn deine Familie ihn nicht aufgenommen hätte?«

»Ich habe mich einverstanden erklärt, Alexandria. Du brauchst nicht noch weiter darauf herumzureiten.«

Ohne Warnung hob sie die Hand und berührte die weiße Narbe auf seiner Stirn.

»Lass mich dich ansehen«, sagte sie, kam einen Schritt näher und pfiff leise. »Du hast Glück, dass du noch am Leben bist. Ist dein Auge deshalb anders?«

Er zuckte die Achseln und wollte die Unterhaltung eigentlich abbrechen, doch dann sprudelte die Geschichte nur so aus ihm heraus: der Kampf auf der Accipiter, die Kopfwunde, die ihm monatelang zu schaffen gemacht hatte, die Anfälle, die ihm davon geblieben waren.

»Seit ich weggegangen bin, ist nichts mehr so, wie es einmal war«, sagte er. »Oder aber doch, und nur ich habe mich so sehr verändert, dass ich es nicht mehr erkenne. Cabera meint, die Anfälle könnten bis zu meinem Lebensende bleiben oder schon morgen aufhören. Niemand kann das mit Gewissheit sagen.« Er hob die linke Hand und musterte sie, doch sie zitterte nicht einmal.

»Manchmal glaube ich, das Leben ist nichts weiter als ein einziger Schmerz, unterbrochen von kurzen Augenblicken der Freude«, antwortete sie. »Du bist stärker als früher, Julius, sogar mit dieser Wunde. Ich habe mir angewöhnt, den Schmerz durchzustehen und die Momente des Glücks auszukosten, ohne mich um die Zukunft zu sorgen.«

Er ließ die Hand fallen und schämte sich plötzlich dafür, dass er so freimütig von seinen Ängsten geredet hatte. Diese Last hatte weder sie noch sonst jemand zu tragen, sondern einzig und allein er. Er stand der Familie vor, er war römischer Tribun und Befehlshaber der Primigenia. Wie eigenartig, dass er sich nicht daran freuen konnte, obwohl er einst davon geträumt hatte.

»Hast du… Brutus gesehen?«, fragte Julius nach einer Pause.

Sie drehte sich weg und beschäftigte ihre Hände damit, die Werkzeuge von Tabbics Werkbank zu räumen.

»Wir sehen uns gelegentlich«, sagte sie.

»Oh. Ich habe ihm nicht gesagt, dass wir…ähm…«

Alexandria lachte plötzlich und schaute ihn über die Schulter an.

»Das lässt du auch besser bleiben. Ihr wetteifert auch so schon genug, auch ohne dass ich zwischen euch stehe.«

Zu seiner Verwunderung stellte Julius fest, dass ein Stachel der Eifersucht sich in seine Gedanken bohrte. Er wehrte sich dagegen. Alexandria gehörte nicht ihm, und abgesehen von einer jahrealten, wie unter Glas aufbewahrten Erinnerung hatte sie ihm auch nie gehört. Als er sie ansah, schien sie das Durcheinander seiner innersten Gedanken nicht zu spüren.

»Behalte ihn in deiner Nähe, Julius. Rom ist gefährlicher als du denkst«, sagte sie.

Julius hätte bei dem Gedanken an die Gefahren, die er bereits überlebt hatte, beinahe gegrinst, doch die Tatsache, dass sie sich um sein Leben sorgte, ernüchterte ihn.

»Ich behalte ihn in meiner Nähe«, versprach er.

Julius stieg vom Pferd, um die letzten zwei Meilen bis zum Landgut außerhalb der Stadt zu Fuß zu gehen. Sein Kopf schwirrte vor Plänen, während er dahinschritt, die Zügel um den Arm geschlungen. Seit seiner Heimkehr hatten sich die Ereignisse förmlich überschlagen. Er hatte den Posten als Tribun bekommen, hatte sich das Haus des Marius zurückgeholt und das Kommando über die Primigenia übernommen. Und er hatte Alexandria wiedergetroffen. Octavian. Cornelia. Sie kam ihm vor wie eine Fremde. Er legte die Stirn in Falten und ging völlig in Gedanken versunken dahin, wie betäubt von dem gleichmäßigen Rhythmus der Hufe neben ihm im Staub. Die Erinnerung an sie hatte ihm über die schlimmsten Zeiten seiner Gefangenschaft hinweggeholfen. Das Verlangen, zu ihr zurückzukehren, war die geheime Kraft tief in ihm gewesen, die ihn Verletzungen, Krankheit und Schmerz hatten überstehen lassen. Und doch… als er sie schließlich in den Armen gehalten hatte, war es ihm vorgekommen, als sei sie eine andere. Er hoffte, dass sich das mit der Zeit gab, doch ein Teil von ihm sehnte sich immer noch nach der Gemahlin, die er liebte, obwohl sie nur eine Meile entfernt war und auf ihn wartete.

Die juristische Auseinandersetzung, der er sich bald stellen musste, beunruhigte ihn nicht im Geringsten. Er hatte mehr als sechs Monate Monotonie in einer Schiffszelle zur Verfügung gehabt, um eine Verteidigung für Marius aufzubauen. Wenn Antonidus ihm nicht die Gelegenheit verschafft hätte, so hätte er die Angelegenheit auf irgendeine andere Weise zur Sprache gebracht. Jedenfalls war es ihm unmöglich, seinen Onkel weiterhin der Verachtung der Stadt ausgeliefert zu sehen.

Cornelia kam ihm zur Begrüßung aus dem Tor entgegen. Er küsste sie. Verspätet wurde ihm bewusst, dass es noch andere Dinge zwischen Ehegatten gab, die er in den zwei Nächten seit seiner Rückkehr vernachlässigt hatte. Er war sicher, dass die körperliche Nähe auch seine Liebe zu ihr wieder aufleben lassen würde. Die Anstrengungen seiner Reisen wichen rasch von ihm; er küsste sie wieder, diesmal ausgiebig, und so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, bemerkte er nicht, dass sie plötzlich wie in panischer Angst in seinen Armen erstarrte. Er gab das Pferd in die Obhut des Sklaven, der bereits im Hintergrund gewartet hatte.

»Geht es dir gut?«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. Der Duft ihres Parfüms drang kühl in seine Lunge. Sie nickte schweigend.

»Schläft das Kind?«

Sie lehnte den Kopf zurück und sah ihn an.

»Was hast du denn vor?«, fragte sie und bemühte sich, gelassen zu bleiben.

»Wenn du willst, zeige ich es dir«, erwiderte er und küsste sie wieder. Ihre Haut war blass und wunderschön. Gemeinsam gingen sie ins Haus, wo sie vor ungebetenen Blicken geschützt waren.

Im Schlafzimmer kam er sich ungeschickt vor und überspielte seine Nervosität mit Küssen, zwischen denen er seine Kleider auf den Boden schleuderte. Etwas stimmte nicht dabei, wie sie seine Zärtlichkeiten erwiderte, doch er war sich nicht sicher, ob es nur an ihrer langen Trennung lag. Alles in allem kannten sie sich noch so gut wie überhaupt nicht, so dass er keine rückhaltlose Vertrautheit erwarten durfte. Also streichelte er ihren Hals, damit sie sich entspannte, und fuhr mit den Händen zärtlich ihren Rücken hinunter, als sie nackt beieinander saßen und das gedämpfte Licht der einzigen Lampe das Zimmer in Gold tauchte.

Cornelia erwiderte seine Küsse und wollte das, was in ihr verletzt worden war, am liebsten herausschluchzen. Sie hatte niemandem erzählt, was Sulla getan hatte, nicht einmal Clodia. Sie hatte gehofft, die Schande vergessen zu können, hatte sie irgendwo tief in sich vergraben, bis es ihr vorkam, als wäre es nie geschehen. Als sie spürte, dass Julius immer erregter wurde, schloss sie sich seinem Rhythmus an, empfand jedoch nichts außer Angst, als die Erinnerungen an den letzten Besuch des Diktators ungewollt in ihr aufblitzten. Wieder hörte sie den Schrei ihrer Tochter in der Wiege neben ihrem Bett, während Sulla sie niederdrückte. Tränen rannen aus ihren Augen, als die Grausamkeit mit entsetzlicher Wucht an die Oberfläche ihrer Erinnerung stieg.

»Ich glaube, ich kann nicht, Gaius«, sagte sie mit brechender Stimme.

»Was hast du denn?«, fragte er, erschrocken über ihre Tränen.

Cornelia schmiegte sich an ihn, und er schlang die Arme um ihren Körper, legte den Kopf auf den ihren, als sie von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde.

»Hat dir jemand etwas getan?«, flüsterte er, und eine große Leere breitete sich in seiner Brust aus, kaum dass er diesen schrecklichen Gedanken ausgesprochen hatte.

Zuerst konnte sie ihm nicht antworten, aber dann begann sie mit fest geschlossenen Augen zu flüstern. Nicht das Schlimmste, sondern den Anfang, von den Schrecknissen ihrer Schwangerschaft, der grausamen Gewissheit, dass niemand in ganz Rom Sulla aufhalten konnte.

Julius spürte, wie ihn eine große Traurigkeit niederdrückte, als er zuhörte. Ohne Vorwarnung liefen ihm Tränen des Zorns und der Ohnmacht über das Gesicht. Was hatte Cornelia durchmachen müssen! Er riss sich mit aller Macht zusammen, hielt die Frage zurück, die ihm auf den Lippen brannte, diese sinnlose, dumme Frage, die überhaupt nichts brachte, sondern sie beide nur noch schlimmer verletzen würde. Das alles zählte nichts, nur die Tatsache, dass er sie in den Armen hielt, so lange, bis ihr Schluchzen langsam zu schmerzlichem Zittern verebbte.

»Er ist tot, Lia. Er kann dir nichts mehr tun«, sagte er.

Er erzählte ihr, wie ihre Liebe ihn hatte durchhalten lassen, als er glaubte, in der dunklen Zelle wahnsinnig zu werden, wie stolz er bei der Hochzeit gewesen sei, wie viel sie ihm und seinem Leben bedeutete. Seine Tränen trockneten mit den ihren, und als der Mond schon fast untergegangen war, schliefen sie ein und glitten voneinander fort.

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