32

Die Verhandlung begann, als der Himmel im Osten Roms hell wurde, jene falsche Dämmerung, die die Arbeiter weckte und die Diebe und Huren zu Bett schickte. Der Abschnitt des Forums, der gerichtlichen Belangen vorbehalten war, war noch immer von Fackeln erleuchtet, und an seinen Rändern hatte sich eine beträchtliche Menschenmenge versammelt. Nur eine dichte Reihe Soldaten aus der Stadtkaserne hielt die Zuschauer zurück. Direkt dem Kommando des Prätor unterstellt, der der Verhandlung vorstand, war es ihre Aufgabe, im Falle eines unpopulären Urteilsspruchs für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und die Menge sah sich vor, nicht in die Reichweite ihrer Knüppel zu geraten. Sogar die Bänke zu beiden Seiten des für die Advokaten reservierten Bereichs waren besetzt, was für eine scheinbar unbedeutende Angelegenheit ungewöhnlich war. Viele von denen, die Julius aus dem Senat kannte, waren gekommen; entweder auf seine Einladung hin oder auf die des Antonidus. Seine eigene Familie war auf dem Gut geblieben. Cornelia und seine Tochter mussten unter dem Schutz der Primigenia bleiben, außerdem wollte Julius Tubruk trotz all seiner Versicherungen, dass man ihn nicht erkennen würde, nicht in der Nähe von Antonidus oder den anderen Senatoren wissen.

Julius’ suchender Blick fand Brutus in der zweiten der drei Reihen, direkt neben einer Frau, die den Kopf hob, um seinen Blick zu erwidern. Etwas in ihrem kühl taxierenden Blick war irritierend, und er fragte sich, wieso sie aus der Menge um sie herum herauszustechen schien, als säße sie ein wenig näher als alle anderen. In einem zeitlosen Augenblick lehnte sie sich ein wenig zurück und hielt seine Aufmerksamkeit gefangen. Sie trug das Haar offen, und bevor er die Willenskraft aufbrachte, den Blick abzuwenden, hob sie eine Hand, um eine Haarsträhne zurückzustreichen, die ihr über das Gesicht gefallen war.

Er musste sich zwingen, sich zu entspannen und zu konzentrieren; tief atmete er die warme Luft ein und ging noch einmal die einzelnen Punkte durch, die er in den Wochen nach den offiziellen Vorladungen mit den Rechtsgelehrten ausgearbeitet hatte. Wenn der Fall gerecht verhandelt wurde, hatte er eine hervorragende Chance, zu gewinnen, doch wenn einer der drei Richter von einem seiner Feinde bezahlt worden war, konnte die Verhandlung rasch in ein lächerliches Spektakel umschlagen, bei dem alles gewonnen wurde, nur nicht das abschließende Urteil. Sein Blick wanderte über die noch immer anwachsende Menge, die genau zu wissen schien, was heute für ihn auf dem Spiel stand. Sie waren der Unterhaltung wegen gekommen, bereit, kluge Argumente zu bejubeln oder niederzumachen. Julius hoffte, dass einige von ihnen auch der Gerüchte wegen gekommen waren, die seine Anwälte in der Stadt gestreut hatten, dass die Verhandlung nichts anderes sei als der Versuch, die Ehre des Marius wiederherzustellen. Es schienen sehr viele Plebejer darunter zu sein, und die Händler, die gebratenen Fisch und warmes Brot feilboten, machten schon jetzt hervorragende Geschäfte, während die Leute ungeduldig auf das Erscheinen der Magistrate und des Prätors warteten.

Julius sah noch einmal zu den mit Stoff verhüllten Schilden hinüber, die Alexandria fertig gestellt hatte, und bemerkte, dass viele aus der Menge die Hälse reckten, um ebenfalls einen Blick darauf zu erhaschen und dabei eifrig mit den Fingern zeigten und sich unterhielten. Nur Alexandria, Tabbic und er selbst wussten, was sich unter den schweren Stofffalten verbarg, und Julius verspürte eine leise Erregung bei dem Gedanken an die Reaktionen, die sie auslösen würden, wenn er sie schließlich enthüllte.

Hinter ihm gingen seine drei Anwälte noch einmal mit gebeugten Köpfen und unter leisem Gemurmel ihre Unterlagen und Notizen durch. Es hatte ihn zwei Talente Gold gekostet, Quintus Scaevola damit zu beauftragen, den Fall für ihn vorzubereiten, aber es gab nur wenige Männer in Rom, die sich in den Zwillingsverordnungen der Zwölftafelgesetze und des Gewohnheitsrechts besser auskannten als er. Es hatte bereits einer beträchtlichen Summe bedurft, um ihn aus dem Ruhestand zu locken, doch trotz seiner steifen Gelenke hatte sich der Verstand hinter den Augen mit den schweren Lidern als ebenso scharf erwiesen, wie man es Julius berichtet hatte. Er sah zu, wie Quintus den Unterlagen für die Verhandlung eine Fußnote beifügte, und fing seinen Blick auf, als er nachdenklich aufschaute.

»Nervös?«, fragte Quintus und wedelte mit dem Bündel Pergamente zu dem Gericht und der dunklen Menge dahinter hinüber.

»Ein wenig schon«, gestand Julius. »Es steht viel auf dem Spiel.«

»Denk an den Streitwert. Diesen Punkt lässt du immer aus.«

»Ich weiß, Quintus. Wir sind es oft genug durchgegangen«, erwiderte Julius. Der alte Rechtsgelehrte war ihm ans Herz gewachsen, auch wenn der Mann nur für das Gesetz zu leben schien und sich um die anderen Belange der Stadt nicht zu scheren schien. Julius hatte ihn in der ersten Woche ihrer Zusammenarbeit scherzhaft gefragt, was er täte, wenn er erführe, dass sein Sohn ein Haus in der Stadt angezündet hatte. Nachdem er eine ganze Weile schweigend überlegt hatte, hatte Quintus erwidert, dass er den Fall nicht annehmen könne, da das Gesetz es verböte, sich selbst als Zeugen aufzurufen.

Quintus drückte Julius mit strenger Miene die Unterlagen in die Hand. »Scheue dich nicht, um Rat zu fragen. Sie werden versuchen, dich zu vorschnellen Äußerungen zu verleiten. Wenn du das Gefühl hast, dass dir die Argumente entgleiten, wende dich ab, und ich werde dich beraten, so gut ich kann. Erinnerst du dich noch an den Abschnitt aus den Zwölftafelgesetzen?«

Julius hob gereizt die Augenbrauen. »Der, den wir alle schon als Kinder auswendig gelernt haben? Ja, den kenne ich.«

Quintus rümpfte angesichts dieses Sarkasmus die Nase. »Vielleicht solltest du ihn noch einmal aufsagen, um sicherzugehen.«

Julius wollte etwas entgegnen, wurde aber vom fröhlichen Jubel der Menge unterbrochen.

»Der Magistrat und der Prätor. Nur eine Stunde zu spät, Meister Scaevola«, zischte einer der jüngeren Anwälte Quintus zu. Julius folgte ihren Blicken und sah die Gruppe aus dem Senatsgebäude kommen, in dem sie sich vorbereitet hatte.

Als die vier Männer mit ihren Leibwachen in den Gerichtsbereich schritten, verstummte die Menge wieder. Julius musterte sie eingehend. Der Prätor war ihm nicht bekannt, ein kleiner, rotgesichtiger Mann mit Halbglatze. Er ging mit geneigtem Kopf, wie ins Gebet vertieft, und nahm auf dem erhöhten Podium Platz, das eigens für die Verhandlung aufgebaut worden war. Julius sah, wie der Prätor dem Zenturio der Wachen zunickte und den Magistrates das Zeichen gab, sich neben ihm niederzulassen.

Diese Männer waren ihm vertraut, und er stieß einen stummen Seufzer der Erleichterung aus, als er sah, dass ihm keines der Gesichter aus den Fraktionen des Senats bekannt war. Seine schlimmste Furcht war die, dass sie Catos Handlanger sein könnten, doch als einer von ihnen ihm zulächelte, hellte sich seine Stimmung auf. Der Volkstribun nahm als ältester der Richter seinen Platz als Letzter ein. Die Menge ließ vielstimmigen Jubel für ihren Vertreter vernehmen, und der Mann lächelte zurück und hob kurz die Hand. Sein Name war Servius Pella, viel mehr konnte sich Julius über ihn nicht in Erinnerung rufen. Sein Haar war bis dicht an den knochigen Schädel geschoren, die tief liegenden Augen sahen im trüben Licht der Fackeln fast schwarz aus. Julius bedauerte flüchtig, dass er sich nicht die Zeit genommen hatte, den Mann am Rande einer Senatssitzung kennen zu lernen, schob den Gedanken aber sofort wieder beiseite. Er wusste, dass es sinnlos war, sich der Magistrates wegen Sorgen zu machen. Wenn es ihm gelang, mit dem gespreizten Auftreten von Antonidus’ Advokat Rufus fertig zu werden, so hatte er gute Aussichten. Sollte er gedemütigt werden, verlor er nicht nur das Haus, das einmal Marius gehört hatte, sondern auch einen Großteil seines Ansehens im Senat und in der Stadt selbst. Doch er bereute keines der Risiken, die er eingegangen war, um diese Verhandlung zu erzwingen. Marius hätte nicht weniger erwartet.

Julius warf einen Blick zu Cato hinüber und sah, dass dessen starrer Blick auf ihm ruhte. Wie immer war Bibulus an Catos Seite, ebenso Catalus. Julius sah, dass Suetonius neben seinem Vater saß, das gleiche überhebliche Lächeln auf beiden Gesichtern. Selbst wenn sie ihm nicht bekannt gewesen wären, hätten ihre Mienen sie als Verwandte ausgewiesen.

Julius wollte seinen Zorn nicht zeigen und schaute weg. Catos Anhänger würden noch rechtzeitig lernen, ihn zu fürchten, wenn er die Pfeiler ihres Einflusses einen nach dem anderen einriss.

Quintus klopfte Julius auf die Schulter und setzte sich zu den anderen Anwälten. Die Menge scharrte mit den Füßen und flüsterte, da sie spürte, dass die Verhandlung jeden Augenblick beginnen musste. Julius warf noch einmal einen Blick auf die Schilde, ob keine der Hüllen verrutscht und auch nur ein Teil der Bronzeplatten zu sehen war.

Der Prätor erhob sich langsam und strich die Falten seiner Toga glatt. Auf seine Handbewegung hin wurden die Fackeln erstickt, und alle warteten darauf, bis alle verloschen waren und das Forum nurmehr vom grauen Licht des jungen Tages erhellt wurde.

»Dieses erhabene Gericht ist am vierundneunzigsten Tag des konsularischen Jahres zusammengetreten. So soll es in den Annalen verzeichnet werden. Vor dem Angesicht der Götter fordere ich alle Anwesenden auf, hier nichts als die Wahrheit zu sprechen, unter Androhung der Verbannung. Wer auch immer vor diesem Gericht falsches Zeugnis ablegt, dem wird Feuer, Salz und Wasser verweigert, und er wird weit von dieser Stadt fortgeschickt, auf dass er nie wieder zurückkehre, so wie es die Edikte vorschreiben.«

Der Prätor hielt inne und drehte sich zur Seite, um zunächst Antonidus und dann Julius ins Auge zu fassen. Beide Männer verneigten sich zum Zeichen ihres Einverständnisses, und er fuhr mit schneidender Stimme fort, die bis in die schweigenden Reihen der Zuschauer drang.

»Wer ist in diesem Fall der Kläger?«

Antonidus trat vor.

»Das bin ich, edler Herr. Antonidus Sertorius, Oberbefehlshaber der Truppen. Ich klage gegen die unrechtmäßige Aneignung meines Grund und Bodens.«

»Und wer spricht in deinem Auftrag?«

»Rufus Sulpicius ist mein Rechtsbeistand«, erwiderte Antonidus. Seine Worte riefen aufgeregtes Getuschel in der Menge hervor, was den Prätor dazu veranlasste, einen strengen Blick auf die Zuschauer zu werfen.

»Der Beklagte trete vor«, sagte er laut.

Julius stieg von der Plattform, auf der die Schilde standen, und trat Antonidus gegenüber.

»Ich bin Gaius Julius Cäsar, der Beklagte in diesem Rechtsstreit. Ich beanspruche den Besitz meines Grund und Bodens. Ich spreche selbst für mich.«

»Hast du einen Teil davon als Symbol mitgebracht?«

»Allerdings, hohes Gericht«, erwiderte Julius. Er ging zu der Reihe der drapierten Stoffhüllen und zog mit kräftigem Schwung eine davon zur Seite, womit er den ersten Bronzeschild vor dem Gericht enthüllte. Ein Aufkeuchen ertönte aus der Menge, und überall wurde aufgeregt geflüstert.

Der Schild bewirkte genau das, was Julius sich erhofft hatte. Alexandria hatte alles gegeben, um ihn zu erschaffen, in vollem Bewusstsein dessen, dass sie sich damit vor dem Gericht und dem Senat an einem einzigen Tag einen Namen machen konnte.

Der Schild war mit einem Bronzewulst eingefasst, doch alle Augen richteten sich auf das Gesicht und die Schultern der Gestalt des Marius, ein lebensgroßes Relief, das auf die Versammelten herabblickte. Das Flüstern verstummte, doch dann erhob sich Jubel in der Menge, die sich bemühte, ihre Anerkennung für den toten Feldherrn zu zeigen.

Antonidus sprach wütend mit seinem Advokaten, und der Mann räusperte sich laut, um die Aufmerksamkeit des Gerichts auf sich zu lenken. Der Lärm der Zuschauer wurde auch dem Prätor zu viel, und er gab dem Zenturio der Gerichtswache mit der flachen Hand ein Zeichen. Die Soldaten stießen die Enden ihrer langen Stäbe auf das Pflaster und die Menge beruhigte sich wieder, aus Angst vor einer Tracht Prügel. Jetzt trat Rufus vor, ein knochiger Geier von einem Mann, gekleidet in eine dunkle Robe. Mit einem verächtlichen Schnauben zeigte er auf den Schild.

»Ehrenwerter Prätor. Mein Mandant besteht darauf, dass dieser… dieser Gegenstand niemals Teil des fraglichen Hauses gewesen ist. Es kann unmöglich als Symbol gelten, wenn es nicht ein Teil des zu verhandelnden Besitzes war.«

»Ich kenne das Gesetz, Rufus. Versuch nicht, mich zu belehren«, erwiderte der Prätor streng. Dann wandte er sich an Julius. »Was hast du darauf zu sagen?«

»Es ist wahr, dass kein solcher Schild an den Wänden hing, solange Antonidus im unrechtmäßigen Besitz des Hauses des Marius war, aber er hing heute Morgen dort und taugt deshalb so gut wie jeder andere Gegenstand als Symbol für in Frage gestelltes Eigentumsrecht. Ich habe Zeugen, die das bestätigen können«, verkündete Julius gewandt.

Der Prätor nickte. »Das wird nicht notwendig sein, Cäsar. Ich akzeptiere dein Argument. Der Schild ist gültig.«

Er furchte die Stirn, als erneut Jubel in der Menge ringsumher aufbrandete, und wollte gerade die Hand heben, um den Wachen abermals ein Zeichen zu geben. Schon das genügte, um die Leute verstummen zu lassen. Sie wussten, dass sie seine Geduld nicht überstrapazieren durften.

»Kläger und Beklagter, begebt euch nun zu dem Symbol und vollendet den Ritus des Disputs«, sagte er laut.

Antonidus überquerte den Gerichtsplatz mit einem schlanken Speer in der Hand. Julius stieg mit ihm auf die Plattform und ließ sich keinerlei Triumphgefühle anmerken, die das Gericht als Anmaßung empfinden könnte. Er berührte mit seinem Speer den Schild. Ein metallisches Klingen ertönte, und er trat zurück. Antonidus senkte die Spitze seines Speers und seine Lippen wurden schmal, als jemand aus der Menge diese Geste bejubelte. Dann drehte er Julius den Rücken zu und ging wieder zu Rufus, der mit verschränkten Armen dastand, scheinbar unberührt von dem Schlagabtausch.

»Das Eigentum ist als Gegenstand des Disputs gekennzeichnet. Die Verhandlung möge beginnen«, verkündete der Prätor und machte es sich auf seinem Sitz bequem. Sein Anteil an der Zeremonie war damit erledigt, bis es an der Zeit war, die Sitzung aufzulösen. Die drei Richter erhoben sich und verneigten sich vor ihm, ehe einer von ihnen sich vernehmlich räusperte.

»Da du der Kläger bist«, sagte der Magistrat zu Antonidus, »muss dein Advokat als Erster sprechen.«

Rufus verneigte sich und trat drei Schritte vor, um den Schauplatz besser beherrschen zu können.

»Prätor, Magistrates, Senatoren«, fing er an. »Es handelt sich hier um einen sehr einfachen Fall, auch wenn die Strafen, die er nach sich ziehen kann, zu den drastischsten unseres Rechtswesens zählen. Vor fünf Wochen hat der Beklagte zum Zwecke der Gewaltanwendung bewaffnete Männer in die Stadt gebracht. Ein solches Vergehen kann mit dem Tod oder mit Verbannung bestraft werden. Dazu kommt, dass der Beklagte seinen Männern befohlen hat, in ein Privathaus einzubrechen, das Haus des Klägers, des Heerführers Antonidus. Die Strafe dafür wäre mit einfachem Auspeitschen abgegolten, was nach dem Tod jedoch als unnötige Grausamkeit angesehen und damit vernachlässigt werden kann.« Er hielt inne, während hier und da in den Bankreihen verhaltenes Lachen zu vernehmen war. Die Menge außerhalb des Gerichtsplatzes blieb stumm.

»Sowohl die Diener als auch die Wachen des Hauses wurden grob behandelt, und als der Eigentümer zurückkehrte, wurde ihm von ebenjenen Soldaten der Zutritt zu seinem Hause verwehrt.

Er ist kein rachsüchtiger Mann, aber die gegen ihn verübten Vergehen sind schwer wiegend und vielfältig. Als sein Advokat verlange ich die härteste, die Höchststrafe. Der Tod durch das Schwert ist die einzig mögliche Antwort auf eine derartige Missachtung der Gesetze Roms.«

Höfliches Klatschen kam von den Männern rings um Cato, und Rufus nickte ihnen kurz zu, als er seinen Platz wieder einnahm. Seine flammenden Augen straften die Gelassenheit Lügen, die er zur Schau trug.

»Und nun der Beklagte«, fuhr der Magistrat fort. Nichts in seinem Verhalten verriet, ob ihn Rufus’ Worte beeindruckt hatten. Trotzdem trat Julius mit einem flauen Gefühl im Magen vor. Er hatte gewusst, dass die Gegenpartei die Todesstrafe fordern konnte; es hier jedoch in aller Öffentlichkeit vor Gericht zu vernehmen, machte das Ganze zu einer Realität, die sein Selbstvertrauen erschütterte.

»Prätor, Magistrates, Senatoren, Volk von Rom«, begann Julius so laut, dass seine Worte bis in die Zuschauermenge getragen wurden. Dies wurde mit Jubelrufen quittiert, doch der Prätor sah ihn nur finster an. Bevor er weitersprach, ordnete Julius seine Gedanken. Instinktiv spürte er, dass die Verteidigung des Marius eher das Volk, das unter Sulla gelitten hatte, ansprechen würde als die schweigenden Magistrates. Doch darauf einzugehen, war ein gefährliches Spiel, das die Richter sogar dazu bringen konnte, gegen einen recht eindeutigen Fall zu entscheiden. Er musste äußerst vorsichtig vorgehen.

»Die Geschichte dieses Falles reicht weiter zurück als fünf Wochen«, fing er an. »Sie beginnt an einem Abend vor drei Jahren, an dem sich die Stadt für den Bürgerkrieg bereit machte. Marius war der rechtmäßige Konsul von Rom, seine Legion hatte die Stadt gegen feindliche Angriffe befestigt…«

»Verehrtes Gericht, ich bitte doch sehr, ihm diesen ausschweifenden Diskurs zu untersagen«, fiel ihm Rufus ins Wort und erhob sich. »Es geht hier um den Besitzanspruch auf das Haus, nicht um längst geschlagene Schlachten der Geschichte.«

Die Richter besprachen sich kurz, dann erhob sich einer von ihnen.

»Unterbrich nicht, Rufus. Der Beklagte hat ein Recht darauf, seinen Fall so darzustellen, wie er es für richtig befindet«, sagte er.

Rufus fügte sich und nahm wieder Platz.

»Vielen Dank, hohes Gericht«, fuhr Julius fort. »Dass Marius mein Onkel war, ist allgemein bekannt. Er hat die Verteidigung der Stadt übernommen, als Sulla nach Griechenland zog, um Mithridates zu besiegen. Eine Aufgabe, die Sulla nur sehr unvollständig erfüllt hat.«

Bei dieser Bemerkung ging ein Lachen durch das Publikum, das jedoch sogleich verklang, als der Prätor seinen funkelnden Blick hob. Julius redete weiter: »Marius war überzeugt, dass Sulla mit dem Ziel in die Stadt zurückkehren würde, die Macht vollends an sich zu reißen. Um das zu verhindern, ließ er die Mauern Roms befestigen und bereitete seine Männer darauf vor, die Bewohner der Stadt gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen. Hätte sich Sulla den Stadtmauern ohne Gewalt genähert, hätte er seinen Konsulposten ohne weiteres wieder einnehmen können und der Frieden der Stadt wäre nicht gebrochen worden. Stattdessen hat er Attentäter innerhalb ihrer Mauern zurückgelassen, die den Marius feige im Schutz der Dunkelheit überfielen, um ihn zu ermorden. Sullas Männer haben die Tore geöffnet und ihren Herrn in die Stadt eingelassen. Ich glaube, es war der erste bewaffnete Angriff auf Rom seit über zweihundert Jahren.«

Julius machte eine Atempause und musterte die Magistrates, um zu sehen, wie sie auf seine Worte reagierten. Sie sahen ihn mit unbeeindruckten Gesichtern an, die nicht verrieten, was dahinter vorging.

»Mein Onkel wurde ermordet, von einem Dolch aus Sullas eigener Hand, und obwohl seine Legion mehrere Tage lang heldenhaft kämpfte, musste sie sich dem Eindringling am Ende geschlagen geben.«

»Das ist zu viel!«, rief Rufus und sprang auf. »Unter dem Schutz dieser Verhandlung besudelt er den Namen eines geliebten Anführers von Rom. Ich beantrage, ihm für diese Posse einen Tadel auszusprechen.«

Der Magistrat, der schon zuvor gesprochen hatte, beugte sich vor und wandte sich an Julius.

»Du strapazierst unsere Geduld, Cäsar. Sollte das Ergebnis zu deinen Ungunsten ausfallen, darfst du sicher sein, dass wir deine Respektlosigkeit bei der Urteilsfindung berücksichtigen. Hast du verstanden?«

Julius nickte und schluckte, um seine mit einem Mal ausgetrocknete Kehle zu befeuchten.

»Gewiss, aber die Worte müssen ausgesprochen werden«, sagte er.

Der Magistrat zuckte die Achseln. »Es geht um deinen Kopf«, meinte er, als Julius noch einmal tief durchatmete, bevor er wieder das Wort ergriff.

»Das meiste, was darauf folgte, ist bekannt. Der Sieger Sulla beanspruchte den Titel des Diktators für sich. Über diese Periode in der Geschichte der Stadt werde ich keine weiteren Worte verlieren.«

Der Magistrat nickte knapp, und Julius fuhr fort.

»Obwohl er die Stadt treu nach dem Gesetz verteidigt hatte, wurde Marius zum Verräter erklärt, seine Besitztümer vom Staat verkauft. Sein Haus wurde öffentlich versteigert und von Antonidus, dem Kläger dieses Prozesses, gekauft. Die Legion des Marius wurde aufgelöst, ihr Name aus den Ehrenrollen des Senats getilgt.«

Julius hielt inne und neigte den Kopf, als schäme er sich für diese Tat. Ein Murmeln ging durch die Reihen der lauschenden Senatoren, die einander Fragen und Kommentare zuflüsterten. Dann hob Julius den Kopf, und seine Stimme erhob sich über die Richter und alle Anwesenden.

»Mein Fall stützt sich auf drei Tatsachen. Die erste ist, dass die Primigenia wieder ehrenhaft in die Heeresrollen aufgenommen wurde. Wenn sie keinen Makel zurückbehalten hat, wie kann es da sein, dass ihr Befehlshaber als Verräter gilt? Zweitens: Wenn Marius zu Unrecht verurteilt wurde, sollte sein Besitz an seinen Erben übergehen – an mich. Und schließlich habe ich, als ich mir das Haus von den Dieben zurückgeholt habe, die es zwischenzeitig bewohnten, in dem Bewusstsein gehandelt, dass mir mein Vorgehen angesichts des ungerechten Schicksals des Marius vom Gericht verziehen werden würde. Ein großes Unrecht ist geschehen, aber ich bin nicht sein Verursacher, sondern sein Opfer.«

Die Menge johlte, und die Wachen mussten abermals ihre Stöcke auf den Boden stoßen.

Die Magistrates steckten die Köpfe zusammen. Kurz darauf gab einer Rufus ein Zeichen, er möge auf Julius’ Rede antworten. Rufus stand auf. Er seufzte theatralisch.

»Cäsars Versuche, die Angelegenheit zu verwirren, sind hinsichtlich der Ernsthaftigkeit ihres Vortrags zu bewundern, doch das Gesetz sieht alles in einem klaren Licht. Ich bin sicher, dass die Richter diesen kleinen Ausflug in die Geschichte ebenso sehr genossen haben wie ich, aber ich vermute, dass auch sie sich dessen bewusst sind, dass die Interpretation der Vorfälle durch die persönliche Beziehung des Beklagten zu dem Heerführer geprägt ist. So gern ich die Vision, die er hier als Tatsache dargestellt hat, ins rechte Licht rücken würde, entspricht es doch meinem Wunsch, den Fall auf seine rechtlichen Grundlagen zurückzuführen und die Zeit aller Anwesenden nicht länger als nötig zu vergeuden.« Er sah zu Julius hinüber und lächelte ihn freundlich an, damit alle sehen konnten, dass er dem jungen Mann seine Torheiten verzieh.

»Mein Mandant hat das Haus, wie wir gehört haben, bei einer Auktion auf völlig legale Weise erworben. Sein Name steht auf der Besitzurkunde und auf dem Kaufvertrag. Ihm sein Eigentum durch bewaffnete Wachen stehlen zu lassen, stellt einen Rückgriff auf das Recht des Stärkeren dar. Gewiss haben alle Anwesenden gesehen, wie die Speere zu Beginn dieser Verhandlung diesen ansehnlichen Schild berührt haben. Ich möchte daran erinnern, dass der symbolische Akt der Auseinandersetzung genau das beinhaltet. In Rom greifen wir nicht zum Schwert, um Meinungsverschiedenheiten auszutragen – wir unterwerfen uns dem Gesetz.

Ich kann die Argumente des jungen Cäsar nachvollziehen, aber sie haben mit dem hier vorliegenden Fall nicht das Geringste zu tun. Ich bin sicher, dass er liebend gern noch weiter in die Vergangenheit abschweifen und uns die Geschichte des Hauses von seiner Grundsteinlegung an erzählen würde, doch zu einer derartigen Ausweitung der Angelegenheit besteht keinerlei Anlass. Ich muss meinen Antrag auf das Schwert wiederholen, auch wenn ich es bedauere, dass Rom einen so leidenschaftlichen jungen Advokaten verlieren soll.«

Als er sich wieder gesetzt hatte und ein paar Worte mit Antonidus wechselte, der Julius mit zusammengekniffenen Augen beobachtete, zeugte sein Gesichtsausdruck von Betrübnis über die zu erwartenden harschen Strafen.

Julius erhob sich und trat erneut vor die Richter.

»Da Rufus sich auf eine Urkunde und einen Kaufvertrag bezieht, schlage ich vor, dass er sie dem Gericht zur Begutachtung vorlegt«, sagte er rasch.

Die Magistrates blickten zu Rufus hinüber, der das Gesicht verzog. »Würde es sich bei dem Besitz um ein Pferd oder um einen Sklaven handeln, hohes Gericht, so könnte ich euch dergleichen selbstverständlich vorweisen. Da es sich unglücklicherweise um ein Haus handelt, zumal um eines, das völlig überraschend und mithilfe einer Streitmacht überfallen wurde, befanden sich die Dokumente innerhalb seiner Mauern, was Cäsar sehr wohl weiß.«

Der Magistrat, der für die anderen zu sprechen schien, warf Julius einen skeptischen Blick zu.

»Befinden sich diese Papiere in deinem Besitz?«, fragte er.

»Ich schwöre, dass ich sie nicht habe«, antwortete Julius. »Im Haus des Marius findet sich kein einziger Hinweis auf ihre Existenz, bei meiner Ehre.« Er setzte sich wieder. Da er beide Dokumente auf Anraten von Quintus am Vorabend verbrannt hatte, war sein Gewissen rein.

»Also kann der Besitz von keiner der beiden Parteien nachgewiesen werden?«, fuhr der Magistrat gleichmütig fort. Julius schüttelte den Kopf, und Rufus tat es ihm mit vor Zorn versteinertem Gesicht nach. Er erhob sich, um noch einmal das Wort an die Richter zu richten.

»Mein Mandant hat bereits vermutet, dass solche wichtigen Dokumente vor der Verhandlung ›verschwinden‹ würden«, sagte er mit kaum verhüllter Verachtung in Julius’ Richtung. »Stattdessen haben wir einen Zeugen, der bei der Auktion dabei war und den legalen Verkauf an den Heerführer Antonidus bezeugen kann.«

Der Zeuge trat von seinem Platz neben Antonidus nach vorne. Julius erkannte ihn als einen derjenigen, die im Senat in Catos Nähe gesessen hatten. Er war ein gebeugter, gebrechlich wirkender Mann, der sich beim Sprechen ständig eine Locke seines schütteren Haars aus der Stirn strich.

»Ich bin Publius Tenelia. Ich kann den rechtmäßigen Verkauf bezeugen.«

»Darf ich diesen Mann befragen?«, erkundigte sich Julius und trat vor, als er die Erlaubnis dazu erhielt.

»Warst du bei der gesamten Auktion anwesend?«, wollte Julius von Publius wissen.

Der Mann zögerte ein wenig, bevor er antwortete: »Ich habe den betreffenden Titel gesehen.« Seine Augen waren nervös. Julius wusste, dass er die Wahrheit ausschmückte.

»Dann hast du also nur einen flüchtigen Blick auf das Dokument geworfen?«, drängte er weiter.

»Nein, ich habe es deutlich gesehen«, antwortete der Mann jetzt selbstbewusster.

»Wie viel hat Antonidus dafür bezahlt?«

Hinter dem Mann lächelte Rufus über diesen Trick. Er würde nicht funktionieren, da der Zeuge sorgfältig auf derlei Fragen vorbereitet worden war.

»Eintausend Sesterzen«, antwortete der Mann triumphierend, doch sein Lächeln erstarb, als er das höhnische Gelächter der Menge außerhalb des Platzes vernahm. Viele Köpfe wandten sich den Plebejermassen zu, und Julius bemerkte ebenso wie die Magistrates, dass sich die Straßen seit Beginn der Verhandlung beträchtlich gefüllt hatten. Die Magistrates wechselten viel sagende Blicke, und der Prätor schürzte beklommen die Lippen. Ein derart zahlreiches Publikum vergrößerte die Gefahr, dass es Störungen geben könnte, und er überlegte, ob er einen Läufer zur Kaserne schicken und mehr Soldaten anfordern sollte, um den Frieden zu wahren.

Als die Menge sich wieder beruhigt hatte, sprach Julius weiter.

»Bei der Vorbereitung auf diese Verhandlung, hohes Gericht, habe ich das Haus schätzen lassen. Würde ich es heute Vormittag verkaufen, so würde ein Käufer ungefähr eine Million Sesterzen dafür bezahlen, nicht eintausend. In den Zwölftafelgesetzen findet sich ein Passus, der sich auf solche Fälle bezieht.«

Als er sich anschickte, aus der uralten Schrift zu zitieren, hob Rufus gelangweilt die Augen, und der Zeuge, der noch immer nicht entlassen war, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

»›Eigentum darf nicht vom Verkäufer an den Käufer wechseln, es sei denn, dass sein Gegenwert dafür gezahlt wurde‹«, sagte Julius laut. Die Menge bejubelte seinen Schachzug, und hier und dort erhoben sich lebhafte Gespräche, als den Umstehenden der Sachverhalt erklärt wurde.

»Eintausend Sesterzen für einen Besitz, der eine Million wert ist, ist alles andere als dessen ›Gegenwert‹, hohes Gericht. Der Verkauf war eine Gefälligkeit, die Parodie einer Versteigerung. Da nicht einmal eine Quittung zum Beweis für den Verkauf vorliegt, hat überhaupt keine legale Transaktion stattgefunden.«

Rufus erhob sich langsam. »Cäsar will uns in dem Glauben wiegen, jedes vorteilhafte Geschäft sei ein Verstoß gegen die Tafeln.«

Die Menge johlte spöttisch, und der Prätor schickte seinen Läufer nach mehr Soldaten aus.

»Ich sage, Cäsar versucht, das Gericht durch belanglose Abschweifungen zu verwirren. Der Zeuge beweist, dass der Verkauf tatsächlich stattgefunden hat. Die Summe tut nichts zur Sache. Mein Mandant ist ein gerissener Verhandlungspartner.«

Er setzte sich und tat alles, um sich seinen Zorn über diesen Streitpunkt nicht anmerken zu lassen. Er durfte nicht zugeben, dass die Versteigerung für Sulla lediglich eine Farce gewesen war, mit der er seine Favoriten belohnt hatte, obwohl Cäsar dies für alle Anwesenden deutlich gemacht hatte, falls sie es nicht ohnehin schon gewusst hatten. Die Menge hatte es jedenfalls noch nicht gewusst, und viele wütende Blicke trafen Antonidus, der auf seinem Platz sichtlich zusammenschrumpfte.

»Des Weiteren«, fuhr Julius fort, als hätte Rufus überhaupt nichts gesagt, »möchte ich, da die Frage nach dem Wert des Hauses nun einmal von Antonidus’ eigenem Zeugen aufgeworfen wurde, die Aufmerksamkeit des Gerichts noch auf einen anderen Punkt richten. Sollte das Urteil zu meinen Gunsten ausfallen, werde ich die Miete für die zwei Jahre einfordern, die Antonidus in dem Haus verbracht hat. Eine wohlwollende Schätzung beläuft sich auf ungefähr dreißigtausend Sesterzen, die ich meinem Anspruch auf das Haus hinzufüge, Geld, das meiner Familie während der Zeit, die er dort wohnte, verweigert worden ist.«

»Was? Wie kannst du es wagen?«, sprudelte es zornig aus Antonidus hervor, und er erhob sich. Rufus zog ihn mit einiger Anstrengung wieder herunter und flüsterte ihm eindringlich ins Ohr.

Sobald Antonidus ruhig war, wandte sich Rufus wieder an die Richter.

»Indem er meinen Mandanten auf so unverschämte Weise angreift, hohes Gericht, fügt er seinen Vergehen auch noch das der öffentlichen Missachtung und Beleidigung hinzu. Als General Antonidus das Haus nach dem Kauf rechtmäßig in Besitz nahm, war es leer. Hier steht keine Miete zur Debatte.«

»Meine Familie hat es absichtlich leer gelassen, wie es ihr gutes Recht war. Trotzdem hätte ich das Geld verdienen können, wäre nicht dieser Mieter gewesen, den du hier vertrittst«, gab Julius barsch zurück.

Der Magistrat räusperte sich und neigte dann den Kopf, um den anderen beiden zuzuhören, bevor er antwortete. Nach einem Gedankenaustausch, der etwa eine Minute in Anspruch nahm, erhob er wieder die Stimme.

»Der Fall ist allem Anschein nach ausgiebig dargelegt worden. Hat eine der beiden Parteien noch etwas hinzuzufügen, bevor wir uns zur Entscheidung zurückziehen?«

Julius dachte angestrengt nach, doch alles, was er hatte sagen wollen, war gesagt worden. Sein Blick glitt hinüber zu den Bronzeschildern, die immer noch verdeckt waren, aber er widerstand dem Drang, sie vor der Menge zu enthüllen, denn er wusste, dass die Richter ihm dies als billige Effekthascherei auslegen würden. Er war sich keinesfalls sicher, wie das Urteil ausfallen würde, und als er sich zu Quintus umdrehte, zuckte der alte Mann mit ausdruckslosem Gesicht die Achseln.

»Nein, das war alles, hohes Gericht«, sagte Julius.

Die Menge jubelte ihm zu und stieß Beleidigungen gegen Rufus aus, als auch er seine Darlegungen zum Abschluss brachte. Die drei Magistrates erhoben sich und verneigten sich vor dem Prätor, bevor sie ins Senatsgebäude hinübergingen, wo sie über ihr abschließendes Urteil beratschlagen würden. Die zusätzlichen Soldaten, die im Eilschritt aus ihren Unterkünften herbeimarschiert waren, machten ihnen den Weg frei. Diese Truppe war nicht mit Stöcken bewaffnet, sondern mit Schwertern.

Als sie fort waren, stand der Prätor auf, wandte sich an die Menge und sprach mit so kräftiger Stimme, dass sie über sämtliche Köpfe hinwegtrug.

»Wenn die Richter zurückkommen, will ich keine Störungen erleben, ganz egal, wie das Urteil ausfällt. Seid versichert, dass jede Feindseligkeit rasche und unwiderrufliche Strafen zur Folge haben wird. Alle gehen friedlich nach Hause, und jeder, der meiner Aufforderung nicht Folge leistet, bekommt meinen Unmut zu spüren.«

Er setzte sich wieder und ignorierte die hasserfüllten Blicke, die das Volk von Rom ihm zuwarf. All dies dauerte nur wenige Sekunden, dann rief eine einzelne Stimme: »Ma-ri-us!« und wurde rasch von weiteren Stimmen ringsumher unterstützt. Nach wenigen Augenblicken brüllte die ganze Menge den Namen und stampfte dazu rhythmisch mit den Füßen. Die versammelten Senatsmitglieder sahen sich nervös um, denn mit einem Mal wurde ihnen bewusst, dass zwischen ihnen und dem Pöbel nur eine schmale Reihe Soldaten stand.

Julius hielt den richtigen Zeitpunkt für gekommen, Alexandrias restliche Werke zu enthüllen, und schritt mit staatsmännischer, würdevoller Langsamkeit darauf zu. Als er den rauen Stoff über dem nächsten Schild ergriff, fing er ihren Blick auf und sah, dass sie vor Aufregung lachte. Dann riss er den Stoff weg, und die Menge brach in tosenden Jubel aus. Es waren die drei gekreuzten Pfeile der Primigenia, Marius’ geliebter Legion. Auch Brutus hielt es nicht mehr auf seinem Platz. Er sprang auf und fiel in den lauten Jubel der Menge ein, und alle rings um ihn herum folgten seinem Beispiel.

Der Prätor knurrte Julius einen Befehl zu, der jedoch im Lärm der ausgelassenen Menge unterging, und Julius machte sich unverzüglich daran, die Hüllen von den verbliebenen Schilden zu reißen. Bei jedem wurde die Menge lauter, und diejenigen, die etwas sehen konnten, gaben ihre Beschreibungen brüllend nach hinten weiter. Kleine Kinder wurden auf die Schultern ihrer Eltern gehoben, damit sie besser sehen konnten, Fäuste wurden voller Begeisterung in die Luft gereckt. Auf den Schilden waren Szenen aus Marius’ Leben abgebildet, seine Schlachten in Afrika, der Triumphzug durch die Straßen Roms, sein stolzer Widerstand, als er auf den Mauern der Stadt auf Sulla wartete.

Vor dem letzten Schild angekommen, legte Julius eine effektvolle Pause ein, und wie auf ein geheimes Signal hin verstummte die Menge. Dann zog er den Stoff herunter und enthüllte den letzten Schild. Er glänzte im Morgenlicht, war aber völlig leer.

In die Stille hinein sprach Julius mit lauter Stimme: »Volk von Rom! Das letzte Bild gestalten wir am heutigen Tag!«, und die Zuschauer brachen in tosenden Jubel aus. Der Prätor stand auf und rief seinen Wachen Befehle zu. Der Abstand zwischen Zuschauermenge und Gericht wurde vergrößert, indem die Soldaten die Leute mit ihren Stöcken zurückdrängten. Die Menge wich nur widerwillig, stieß trotzige Drohungen aus und verhöhnte Antonidus. Dann wurde abermals Marius’ Name skandiert, und es klang, als stimme ganz Rom ein.

Cornelia sah im grauen Licht, wie sich Tubruk zu Clodia neigte und sie küsste. Er war so zärtlich, dass es fast schmerzte, dabei zuzusehen, aber sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie hielt sich hinter einem dunklen Fenster vor ihnen versteckt und fühlte sich einsamer als je zuvor. Clodia würde um ihre Freiheit bitten, dessen war sie sich sicher, und dann hatte sie niemanden mehr.

Cornelia erkundete die wunden Stellen ihrer Erinnerungen und lächelte bitter. Es hätte alles ganz anders sein sollen. Julius wirkte so voller Kraft und Leben, während er Rom in seine Hände nahm, aber nichts davon blieb für sie übrig. Sie erinnerte sich an die Worte, die damals, als Marius noch am Leben war, aus ihm herausgesprudelt waren. Sie hatte ihm eine Hand auf den Mund legen müssen, damit die Sklaven ihres Vaters nicht hörten, dass er heimlich bei ihr war, mit ihr sprach und mit ihr lachte. Damals war so viel Freude in ihm gewesen. Jetzt war er ein Fremder, und obwohl sie ihn ein- oder zweimal dabei ertappt hatte, dass er sie mit dem alten Feuer ansah, war es doch so alsbald wieder erloschen. Früher einmal hatte sie den Mut gefunden, ihn zu ermuntern, mit ihr zu schlafen, um das Eis zu brechen, das sich zwischen ihnen zu bilden drohte. Sie wollte es, träumte sogar davon, doch jedes Mal machte die Erinnerung an Sullas grobe Finger ihre Entschlossenheit zunichte, und sie versank wieder in ihren einsamen Albträumen. Sulla war tot, sagte sie sich, doch sie sah immer noch sein Gesicht vor sich, und manchmal nahm sie im Wind seinen Geruch wahr. Dann trieb sie das Entsetzen in ihr Bett, wo sie sich vor der Welt verkroch.

Tubruk legte den Arm um ihr Kindermädchen, und Clodia lehnte den Kopf an seine Schulter, flüsterte ihm etwas zu. Cornelia hörte sein leises, brummendes Lachen und beneidete die beiden um das, was sie gefunden hatten. Sie würde es nicht fertig bringen, Clodia ihre Bitte abzuschlagen, auch wenn der Gedanke, ihr Leben hier als vergessene Ehefrau zu verbringen, während Julius sich im Glanz der Stadt und seiner Legion sonnte, unerträglich war. Sie kannte sie, diese giftigen römischen Matronen mit den Ammen für ihre Kinder und den Sklaven, die die Hausarbeit verrichteten. Sie verbrachten ihre Tage damit, teure Kleider zu kaufen oder einen Kreis von Freundinnen zu unterhalten, was Cornelia wie einen vorzeitigen Tod empfunden hätte. Wie sie sie bemitleiden würden, wenn sie die Wahrheit über ihre lieblose Ehe aus ihr herauspressten.

Wütend rieb sie sich die Augen. Sie war zu jung, um sich von so etwas zugrunde richten zu lassen, sagte sie sich. Wenn es ein Jahr dauern sollte, um wieder zu genesen, dann würde sie eben so lange auf die Genesung warten. Obwohl Julius sich in der Gefangenschaft verändert hatte, steckte immer noch der junge Mann in ihm, den sie einst gekannt hatte. Derjenige, der sein Leben und den Zorn ihres Vaters riskiert hatte, um über die glatten Dächer in ihr Zimmer zu steigen. Wenn sie diesen Mann in Erinnerung behielt, wäre sie wieder fähig, mit ihm zu reden, und vielleicht würde auch er sich wieder an das Mädchen erinnern, das er einmal geliebt hatte. Vielleicht würde die Unterhaltung nicht in einem Streit enden, und keiner von beiden würde den anderen allein lassen.

Ein Schatten bewegte sich im Hof, und Cornelia hob den Kopf. Es hätte einer der Soldaten auf seiner Runde sein können, dachte sie, dann atmete sie erleichtert auf, als das graue Licht der Nacht ihn enthüllte. Es war Octavian, der die Liebenden heimlich beobachtete. Wenn sie ihn anrief, wäre der innige Augenblick zwischen Clodia und Tubruk zerstört, und sie hoffte nur, dass der Junge schlau genug war und sich nicht zu nahe heranwagte.

Auch Julius war in diesen Mauern aufgewachsen, und auch er war einmal ebenso wie Octavian von der Liebe fasziniert gewesen.

Schweigend sah sie zu, wie sich Octavian hinter einen Wassertrog kauerte und zu Tubruk hinüberspähte. Das Paar küsste sich wieder, und Tubruks Hand fuhr suchend auf dem Boden herum, während er abermals leise lachte. Als er das, was er suchte, gefunden hatte, sah Julia, wie sein Arm plötzlich nach hinten und wieder nach vorne schnellte und einen kleinen Stein dorthin schleuderte, wo sich Octavian versteckte.

»Marsch ins Bett!«, rief Tubruk dem Jungen zu.

Cornelia lächelte und nahm sich vor, der Aufforderung ebenfalls Folge zu leisten.

»Die Tore des Senats öffnen sich!«, sagte Quintus, der schräg hinter Julius stand.

Julius drehte sich um und sah die Richter aus dem Gebäude kommen.

»Das ging aber schnell«, sagte er ein wenig nervös zu dem Anwalt.

Der alte Mann nickte.

»Schnell ist bei einem Eigentumsstreitfall nicht gut«, murmelte er düster.

Mit einem Mal verspürte Julius Angst. Hatte er genug getan? Falls die Entscheidung gegen ihn ausfiel und die Richter dem Antrag auf Todesstrafe stattgaben, wäre er noch vor Sonnenuntergang tot. Er hörte ihre Sandalen auf den Steinen des Forums, als mäßen sie seine letzten Sekunden ab. Julius spürte, wie ihm der Schweiß unter der Toga herablief und auf der Haut kalt wurde.

Gemeinsam mit allen anderen erhob er sich, um die Richter zu empfangen, und verneigte sich bei ihrem Eintreffen. Die Soldaten, die sie vom Senatsgebäude begleitet hatten, nahmen ihre Posten in einer zweiten Reihe zwischen der Menge und dem Gericht ein. Ihre Hände ruhten auf den Schwertknäufen. Julius sank der Mut. Wenn sie Ärger erwarteten, dann wahrscheinlich deshalb, weil die Richter sie von ihrem Urteilsspruch in Kenntnis gesetzt hatten.

Die drei Magistrates schritten mit maßvoller Würde zu ihren Plätzen. Julius suchte ihre Blicke, um dort etwas von dem zu lesen, was ihm bevorstand. Sie gaben jedoch nichts preis, und die Menge verstummte abwartend, als die Spannung stieg.

Der Magistrat, der während der Verhandlung gesprochen hatte, erhob sich gewichtig und mit grimmiger Miene.

»Vernimm unser Urteil, Rom!«, rief er. »Wir haben nach der Wahrheit gesucht und sprechen als das Gesetz, und unsere Worte sind Gesetz.«

Julius hielt unbewusst den Atem an, und die Stille, die ihn umgab, kam ihm nach dem donnernden Jubel und den Gesängen beinahe schmerzhaft vor.

»Ich befinde zugunsten von General Antonidus«, sagte der Mann, Kopf und Hals starr gereckt. Die Menge heulte vor Wut auf, verstummte jedoch sogleich wieder, als sich der zweite Richter erhob.

»Auch ich befinde zugunsten von Antonidus«, sagte er und ließ den Blick über das Chaos der Menge schweifen. Wieder brandete höhnisches Geschrei auf, und Julius verspürte einen leichten Schwindel.

Jetzt erhob sich der Tribun, schaute erst auf die Menge hinab, dann zu den Bronzebildern des Marius, und ließ den Blick schließlich auf Julius ruhen.

»Als Tribun habe ich das Recht, ein Veto gegen die Urteile meiner ehrenwerten Kollegen einzulegen. Von dieser Möglichkeit würde ich niemals leichtfertig Gebrauch machen, und ich habe die Argumente sorgfältig gegeneinander abgewogen.« Er legte eine kleine Pause ein, um seinen Worten Gewicht zu verleihen, und alle Augen waren auf ihn gerichtet.

»Heute mache ich von meinem Vetorecht Gebrauch. Das Gericht urteilt zugunsten von Cäsar«, verkündete er.

Die Menge geriet außer sich vor Freude, und der Ruf »Ma-ri-us!« brandete erneut auf, lauter als zuvor.

Julius sank auf seinen Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Gut gemacht, mein Junge.« Quintus lächelte ihn zahnlos an. »Jetzt kennen viele Leute deinen Namen, falls du dich jemals um ein höheres Amt bewerben solltest. Mir persönlich hat besonders gefallen, wie du diese Schilde eingesetzt hast. Dramatisch, aber sie mögen das. Meine Glückwünsche.«

Julius atmete lange und tief aus. Bei dem Gedanken, wie dicht er am Rande einer Katastrophe gestanden hatte, wurde ihm immer noch ein wenig schwindelig. Seine Beine fühlten sich zittrig an, als er zu Antonidus hinüberging. Laut genug, dass ihn die Richter trotz des Geschreis und Gejohles vernehmen konnten, nahm er den ersten Teil seiner Rache für Cornelia.

»Ich lege Hand an dich, für die Summe von dreißigtausend Sesterzen«, sagte er und packte Antonidus grob am Gewand.

Der Mann versteifte sich in hilfloser Wut, seine Augen suchten Cato in den Zuschauern auf den Bänken. Auch Julius drehte sich um, ohne jedoch seinen Griff zu lockern. Er sah, wie sich Catos und Antonidus’ Blicke trafen, und wie Cato mit angewiderter Miene langsam den Kopf schüttelte. Antonidus schien von der plötzlichen Wendung, die sein Glück genommen hatte, wie betäubt.

»Ich habe das Geld nicht«, sagte er.

Jetzt mischte sich Rufus ein: »Es ist üblich, für die Zahlung einer solchen Schuld eine Frist von dreißig Tagen einzuräumen.«

»Nein«, erwiderte Julius mit humorlosem Lächeln. »Ich will das Geld sofort, andernfalls wird Antonidus augenblicklich gefesselt und auf dem Markt als Sklave verkauft.«

Antonidus wand sich heftig in seinem Griff, konnte sich jedoch nicht losreißen.

»Das darfst du nicht! Cato! Du kannst doch nicht zulassen, dass ich festgenommen werde!«, rief er, als Cato ihm den Rücken zukehrte und sich daranmachte, den Gerichtsplatz zu verlassen. Auch Pompeius befand sich unter den Zuschauern und betrachtete die Szene mit lebhaftem Interesse. Der ehemalige Heerführer bewahrte gerade noch so viel Geistesgegenwart, um die Geheimnisse der Attentäter nicht hervorzustammeln. Nach einer solchen Enthüllung hätte ihn entweder Pompeius oder Cato foltern und töten lassen.

Jetzt kam Brutus nach vorne zu Julius. Er hatte einen Strick in der Hand.

»Fessle ihn, Brutus, aber nicht zu grob. Ich möchte auf dem Sklavenmarkt einen möglichst hohen Preis für ihn erzielen«, sagte Julius schroff und ließ einen Augenblick lang seinem Zorn und seiner Verachtung freien Lauf.

Brutus erledigte seine Aufgabe schnell und gewissenhaft und verpasste Antonidus zum Schluss noch einen Knebel, um dessen Gebrüll zu ersticken. Die Richter schauten zu, ohne einzugreifen, denn sie wussten, dass dies in Übereinstimmung mit dem Gesetz geschah, obwohl die beiden, die gegen Julius entschieden hatten, vor unterdrücktem Zorn dunkelrot waren.

Als er fertig war, machte sich Rufus mit einer Hand auf Julius’ Arm bemerkbar.

»Du hast gut gesprochen, Cäsar, aber Quintus ist zu alt, als dass er dich auch in Zukunft vertreten sollte. Ich hoffe, dass du dich an meinen Namen erinnerst, falls du selbst einmal einen Rechtsbeistand brauchst.«

Julius starrte ihn an. »Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass ich deinen Namen vergesse«, sagte er.

Nachdem Antonidus gefesselt und von Cäsar für die Sklaverei beansprucht war, hob der Prätor die Sitzung auf, und die Menge brach abermals in lauten Jubel aus. Obwohl Cato als Erster gegangen war, entfernten sich auch die anderen Senatoren möglichst rasch; sie fühlten sich in der Gegenwart einer so großen Menge der Bürger, die sie repräsentierten, sichtlich unwohl.

Gemeinsam schleiften Julius und Brutus den Feldherrn über den Boden und lehnten ihn grob an die Plattform mit den Schilden.

Alexandria kämpfte sich durch die Menge der Senatoren zu Julius durch. Ihre Augen leuchteten triumphierend.

»Gut gemacht. Einen Augenblick dachte ich schon, es wäre vorbei.«

»Ich auch. Ich muss mich bei dem Tribun bedanken. Er hat mir das Leben gerettet.«

»Vergiss nicht: Er ist ein Mann des Volkes«, schnaubte Brutus. »Wenn er sich so wie die anderen gegen dich entschieden hätte, hätten sie ihn in der Luft zerrissen. Bei den Göttern, schaut euch das bloß an!« Brutus zeigte auf die Bürger, die sich so nahe wie möglich herandrängten, um einen Blick auf Julius zu erhaschen.

»Stell dich zu den Schilden und zeige dich den Leuten«, sagte Alexandria und strahlte ihn an. Was immer auch geschehen mochte, sie wusste, dass ihre Arbeit nun gefragt war und bei den wichtigen und wohlhabenden Bürgern Roms fortan hohe Preise erzielen würde.

Julius drehte sich um, und die Menge jubelte ihm zu. Ein neuer Gesang wurde laut, und als er nach und nach verstand, dass Marius’ Name durch den seinen ersetzt wurde, schoss ihm eine freudige Röte in die Wangen.

Dann hob er grüßend den Arm und wusste, dass Quintus Recht hatte. Der Name Cäsar würde ihnen in Erinnerung bleiben, und wer wusste, wohin ihn das noch bringen mochte?

Die Morgensonne war inzwischen so hoch gestiegen, dass sie das Forum beschien und ihr Glanz sich auf den Oberflächen der Bronzeschilde brach, die Alexandria gefertigt hatte. Als Julius sie glänzen sah, musste er lächeln. Er hoffte, dass Marius sie sehen konnte, wo immer er auch war.

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