25

Antonidus ging mit vor Wut fleckigem Gesicht in dem luxuriös eingerichteten Raum auf und ab. Außer ihm befand sich nur die massige Gestalt des Senators Cato in dem Zimmer, die ausgestreckt auf einem purpurroten Sofa lag. Die Augen, die Antonidus beobachteten, wirkten in der fleischigen Fläche des schwitzenden Gesichts klein und gingen dort fast verloren. Sie glitzerten hinterhältig, während sie den Schritten von Sullas ehemaligem Oberbefehlshaber der Truppen auf dem Marmorboden folgten. Cato verzog ein wenig das Gesicht, als er den Straßenstaub sah, der an Antonidus haftete. Eigentlich hätte er klug genug sein müssen, sich erst zu waschen, bevor er bei ihm um eine Unterredung bat.

»Ich habe keine neuen Informationen, Senator. Überhaupt keine«, sagte Antonidus.

Cato seufzte theatralisch, griff mit einer feisten Hand nach der Lehne des Sofas und zog sich daran hoch. Die Finger, die das Holz ergriffen hatten, glänzten noch klebrig von den süßen Überresten der Mahlzeit, die von Antonidus’ Besuch unterbrochen worden war. Träge leckte Cato sie sauber und wartete darauf, dass sich der gereizte Mann beruhigte. Sullas Hund war noch nie ein geduldiger Mensch gewesen, das wusste er. Selbst als Sulla noch am Leben gewesen war, hatte Antonidus um mehr Einfluss und Handlungsspielraum geschmeichelt und intrigiert, auch wenn das überhaupt nicht nötig gewesen war. Nach dem ziemlich schäbigen Attentat hatte er geradezu empörend reagiert und bei der Suche nach den Mördern seine Befugnisse weit überschritten. Als seine Taten im Senat diskutiert worden waren, hatte Cato sich gezwungen gesehen, ihm seine Unterstützung zuteil werden zu lassen, sonst hätten diejenigen, die Antonidus gekränkt hatte, ihn zur Strecke gebracht. Es war auch so nur ein brüchiger Schutz gewesen, und Cato fragte sich, ob der auf und ab gehende Feldherr wohl wusste, wie dicht er am Abgrund stand. Antonidus hatte in den vergangenen Monaten fast jeden vor den Kopf gestoßen, der in der Stadt Rang und Namen hatte, indem er selbst diejenigen verhört hatte, die über jeden Verdacht erhaben waren.

Cato überlegte, wie Sulla die grimmige Gesellschaft seines Feldherrn hatte ertragen können. Ihm wurde sie schon jetzt manchmal zu viel.

»Hast du schon einmal in Betracht gezogen, dass du vielleicht den, der das Attentat befohlen hat, niemals finden wirst?«, fragte er.

Antonidus blieb stehen, wirbelte herum und blickte den Senator an.

»Ich gebe nicht auf. Es hat länger gedauert, als ich dachte, aber irgendwann wird jemand reden, und irgendwo wird sich jemand finden, der mit blutigem Finger auf jemanden zeigt, und dann habe ich meinen Täter.«

Cato beobachtete ihn genau und sah das Funkeln des Wahnsinns in seinen Augen. Eine gefährliche Besessenheit, dachte er, und überlegte, ob er den Mann in aller Stille beseitigen lassen sollte, ehe er noch mehr Ärger machte. Man hatte alle angemessenen Anstrengungen unternommen, doch auch wenn Sullas Tod ungesühnt bleiben sollte, ging das Leben in der Stadt weiter, ob Antonidus nun Erfolg hatte oder nicht.

»Es könnte noch Jahre dauern«, fuhr Cato fort. »Oder du könntest sterben, ohne den Schuldigen gefunden zu haben. Das wäre nicht außergewöhnlich. Hätte sich jemand freiwillig stellen wollen oder wäre durch einen anderen verraten worden, so wäre das kurz nach der Tat geschehen, denke ich, aber dein blutiger Finger ist nirgendwo aufgetaucht. Vielleicht wird er sich nie finden, und vielleicht ist es an der Zeit, die Jagd zu beenden, Antonidus.«

Die schwarzen Augen schienen ihn zu durchbohren, aber Cato blieb vollkommen ruhig. Die Besessenheit des anderen war ihm fremd, auch wenn er es eine Zeit lang durchaus zufrieden gewesen war, ihn in den Häusern Roms wüten zu lassen. Sulla war tot und vergessen. Vielleicht wurde es jetzt Zeit, den Hund wieder an die Leine zu nehmen.

Antonidus schien die Gedanken hinter dem gelangweilten Gesichtsausdruck zu erahnen, mit dem Cato seinen wütenden Blick beantwortete.

»Gib mir noch etwas Zeit, Senator«, bat er. Sein zorniger Blick war mit einem Mal einer verhaltenen Vorsicht gewichen.

Vielleicht war es ihm ja doch bewusst, dass ihn Cato vor der Rache der anderen Senatoren beschützt hatte, sinnierte der fette Mann. Gelangweilt wandte er den Blick ab, und Antonidus sprach hastig weiter.

»Ich bin mir fast sicher, dass der Mord auf Befehl eines von drei Männern geschehen ist. Jeder von ihnen hätte die Mittel dazu gehabt, und vor dem Krieg waren sie alle Anhänger von Marius.«

»Wer sind diese gefährlichen Männer?«, erkundigte Cato sich hochmütig, obwohl er die Namen ebenso leicht hätte aufzählen können wie der Feldherr. Nicht umsonst erstatteten die Informanten zuerst ihm Bericht, ehe sie zu Antonidus gingen, denn es war Catos Geld, das in ihren Geldbeuteln klingelte.

»Am wahrscheinlichsten sind Pompeius und Cinna, denke ich. Am ehesten vielleicht Cinna, da sich Sulla… für seine Tochter interessiert hat. Und schließlich noch Crassus. Alle drei besitzen genug Geld und Einfluss, um einen Mord zu bezahlen, und sie waren keine Freunde von Sulla. Sie könnten auch gemeinsam gehandelt haben, zum Beispiel könnte Crassus für das Geld und Pompeius für die Kontakte gesorgt haben.«

»Da hast du ein paar sehr mächtige Männer genannt. Ich hoffe, du hast deinen Verdacht noch niemand anderem gegenüber geäußert. Ich würde dich nicht gerne verlieren«, sagte Cato spöttisch.

Antonidus schien den Spott nicht einmal zu bemerken. »Ich habe meine Gedanken so lange für mich behalten, bis ich genug Beweise zusammen hatte, um sie anklagen zu können. Sie haben von Sullas Tod profitiert und im Senat offen gegen seine Anhänger gestimmt. Mein Instinkt sagt mir, dass es einer von ihnen war, oder dass sie zumindest ins Vertrauen gezogen worden sind. Wenn ich sie doch nur verhören könnte, um sicher zu sein!« Er knirschte vor Wut mit den Zähnen, und Cato musste warten, bis die roten Flecke im Gesicht des Generals wieder verblassten und der Wutanfall verging.

»Du darfst ihnen nicht zu nahe treten, Antonidus. Die drei sind durch die Traditionen des Senats und ihre Leibwachen zu gut beschützt. Selbst wenn du Recht haben solltest, könnten sie dir entkommen.«

Er sagte das in erster Linie, um zu sehen, ob man Antonidus dazu bringen konnte, vollkommen die Kontrolle über sich zu verlieren, und mit Genugtuung sah er auf Stirn und Hals des anderen violette Adern anschwellen. Cato lachte, und der General vergaß vor lauter Überraschung über das plötzliche Geräusch seine Wut. Wie hatte ihn Sulla nur ertragen können?, fragte sich Cato. Der Mann war so naiv wie ein Kind und genauso leicht zu manipulieren.

»Es gibt eine ganz einfache Lösung, Antonidus. Du heuerst selber Meuchelmörder an, wobei du natürlich dafür sorgen musst, dass sie nichts von dir erfahren.« Jetzt war ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit des Generals sicher, wie er mit Befriedigung bemerkte. Cato spürte, dass er von dem Wein Kopfschmerzen bekam, und wünschte, der wütende kleine Bursche würde endlich verschwinden.

»Schick deine Mörder zu ihren Familien, Antonidus. Such dir eine geliebte Ehefrau aus, eine Tochter, einen Sohn. Hinterlass ein Zeichen, damit sie sehen, dass es im Andenken Sullas geschehen ist. Einer deiner Pfeile wird sein Ziel treffen, die anderen hingegen…? Nun, diese Männer waren noch nie Freunde von mir. Es wird von Vorteil sein, wenn sie eine Zeit lang ihre Verletzlichkeit spüren. Damit lass es gut sein. Stell dir dann vor, dass Sulla auf angemessene Weise ruht, so wie es einem guten Geist zusteht.«

Er lächelte, während Antonidus sich die Idee durch den Kopf gehen ließ und sein Gesicht vor Grausamkeit zu strahlen begann. Die Sorgenfalten auf der Stirn des Generals, die sich dort in den Monaten seit dem Giftmord eingegraben hatten, glätteten sich. Cato nickte in dem Wissen, sein Ziel erreicht zu haben. Er überlegte, ob er vor dem Schlafen noch ein wenig kalten Braten essen sollte, und bemerkte kaum, wie Antonidus sich verbeugte und mit schnellen, erregten Schritten den Raum verließ.

Als sich Cato wenig später langsam kauend den Mund voll stopfte, seufzte er verärgert, als sich seine Gedanken wieder dem Problem zuwandten, das ihm sein idiotischer Sohn und Renius bereiteten. Er erinnerte sich, den Mann in der Arena kämpfen gesehen zu haben, und erschauerte leicht, als er an die beherrschte Grausamkeit dachte, die sogar die johlende Menge Roms zum Verstummen gebracht hatte. Ein Mann, der sein Leben so billig aufs Spiel setzte, würde nicht leicht umzustimmen sein. Was konnte er für seinen Sohn anbieten? Der junge General Brutus war hoch verschuldet. Vielleicht war er mit Gold zu gewinnen. Macht war etwas so Launisches, und dort, wo Geld und Einfluss versagten – womit er stets rechnete–, brauchte er Werkzeuge wie Antonidus. Es wäre schade gewesen, ihn zu verlieren.

Alexandria zögerte einen Augenblick, ehe sie an das Tor des Gutshofs klopfte, den sie so gut kannte. Die fünf Meilen aus der Stadt heraus waren ihr wie eine Reise in die Vergangenheit vorgekommen. Das letzte Mal hatte sie als Sklavin hier gestanden. Viele Erinnerungen stürzten auf sie ein… wie Renius sie ausgepeitscht, wie Julius sie in den Ställen geküsst hatte, wie sie bei Wind und Wetter bis zum Umfallen gearbeitet hatte, und wie sie auf dem Höhepunkt der Unruhen im Schatten der Mauern Männer mit dem Küchenmesser getötet hatte. Wenn Julius sie nicht mit in die Stadt genommen hätte, würde sie immer noch hier arbeiten, gebrochen unter der Last der Jahre.

Alte Gesichter fielen ihr wieder ein, und die Zeit, die seitdem vergangen war, schien sich in Luft aufzulösen, so dass sie ihren gesamten Mut aufbringen musste, um die Hand zu heben und gegen das schwere Holz zu klopfen.

»Wer ist da?«, rief eine fremde Stimme, begleitet von schnellen Schritten, die drinnen zur Mauerkrone hinaufeilten. Ein ihr unbekanntes Gesicht schaute absichtlich ausdruckslos auf sie herab. Der Sklave musterte sie und den kleinen Jungen, den sie an der Hand hielt. Trotzig hob sie unter diesem prüfenden Blick den Kopf und erwiderte ihn so selbstsicher, wie sie nur konnte, obwohl ihr Herz raste.

»Alexandria. Ich möchte zu Tubruk. Ist er da?«

»Warte bitte einen Augenblick, meine Dame«, erwiderte der Sklave und verschwand.

Alexandria holte schnell Luft. Er hatte sie für eine freie Frau gehalten. Ihre Schultern reckten sich noch mehr, ihr Selbstvertrauen wuchs. Es fiel ihr nicht leicht, Tubruk gegenüberzutreten, und sie musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben, während sie auf ihn wartete. Octavian schwieg trotzig. Er war mit der Entscheidung, die sie für ihn getroffen hatte, ganz und gar nicht einverstanden.

Als Tubruk das Tor öffnete und zu ihr heraustrat, wäre sie fast in sich zusammengesunken. Sie drückte Octavians Hand so fest, dass er quietschte. Tubruk schien sich kein bisschen verändert zu haben, während sich die restliche Welt rasend schnell weitergedreht hatte. Er lächelte sie mit aufrichtiger Freundlichkeit an, und sie spürte, wie die Anspannung in ihr langsam nachließ.

»Wie ich gehört habe, ist es dir gut ergangen«, sagte er. »Seid ihr hungrig? Soll ich euch etwas zu essen bringen lassen?«

»Vielen Dank. Wir sind nur durstig von dem langen Marsch. Das ist Octavian.«

Tubruk beugte sich hinab, um sich den kleinen Jungen anzusehen, der sich mit ängstlichem Gesicht hinter Alexandria zu verstecken versuchte.

»Guten Tag, mein Junge. Du hast doch bestimmt mächtig Hunger?« Octavian nickte knapp, und Tubruk lachte. »Mir ist noch kein junger Bursche begegnet, der keinen Bärenhunger gehabt hätte. Kommt rein, ich lasse uns ein paar Erfrischungen bringen.«

Tubruk hielt einen Augenblick nachdenklich inne.

»Marcus Brutus ist hier«, sagte er, »zusammen mit Renius.«

Alexandria zuckte kurz zusammen. Der Name Renius weckte bittere Erinnerungen. Auch Brutus war ein Name aus ihrer vergessenen Vergangenheit, süß und schmerzhaft zugleich. Sie hielt Octavian fest an der Hand, als sie zusammen durch das Tor traten, mehr um ihrer selbst als um seinetwillen.

Die schattige Kühle des Innenhofs jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Dort hatte sie gestanden… und einen Mann erstochen, der sie packen wollte, und dort neben dem Tor war Susanna gestorben. Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft. Wie leicht man sich doch in der Vergangenheit verlor, vor allem hier.

»Ist die Herrin daheim?«, fragte sie.

Als Tubruk antwortete, veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und mit einem Mal sah er deutlich älter aus.

»Aurelia geht es nicht gut. Du wirst nicht mit ihr sprechen können, falls du deswegen gekommen bist.«

»Es tut mir Leid, das zu hören, aber ich bin hier, um mit dir zu reden.«

Er führte sie in einen stillen Raum, den sie in ihrer Zeit als Sklavin nur selten betreten hatte. Der Boden war warm, und das Zimmer machte einen gemütlichen und bewohnten Eindruck. Tubruk verließ sie, um sich um das Essen zu kümmern, und Alexandria wurde noch ruhiger. Sie warteten. Octavian zappelte unruhig neben ihr herum und scharrte mit den Sandalen über den Teppich, bis sie seine schaukelnden Beine mit einem festen Griff um seine Knie zur Ruhe zwang.

Als Tubruk zurückkehrte, stellte er ein Tablett mit einem Krug sowie Schüsseln mit frisch aufgeschnittenem Obst vor sie hin. Octavian machte sich gierig darüber her. Tubruk lächelte über den gesunden Appetit des Jungen. Er setzte sich hin und wartete, was Alexandria zu sagen hatte.

»Ich möchte mit dir über Octavian sprechen«, sagte sie nach einer Pause.

»Soll ihm jemand mal die Stallungen zeigen?«, fragte Tubruk schnell.

Sie zuckte die Achseln. »Er weiß, was ich sagen werde.«

Tubruk goss ihr einen Becher kühlen Apfelsaft ein, und sie trank, während sie ihre Gedanken sammelte.

»Mir gehört ein Teil von einer Metallschmiede in der Stadt. Dort haben wir Octavian als Lehrling eingestellt. Ich will dich nicht anlügen und dir erzählen, er hätte keine Fehler. Eine Zeit lang war er ein recht wildes Kind, aber er hat sich sehr verändert.« Der Anblick Octavians, der sich gerade Melonenscheiben in den Mund zu stopfen versuchte, ließ sie verstummen.

Tubruk sah ihren Blick und stand plötzlich auf.

»Das reicht fürs Erste, mein Junge. Geh mal raus und sieh dich in den Ställen um. Nimm ein paar Apfelstücke für die Pferde mit.«

Octavian sah Alexandria an. Als sie nickte, grinste er, nahm eine Hand voll Äpfel und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Kurz darauf waren seine Schritte verklungen.

»Er kann sich nicht mehr an seinen Vater erinnern, und er ist mehr oder weniger auf der Straße aufgewachsen, bevor wir ihn zu uns genommen haben. Du solltest sehen, wie sehr er sich verändert hat, Tubruk! Der Junge ist fasziniert von den Dingen, die ihm Tabbic beibringt. Er hat sehr geschickte Hände, und ich glaube, dass aus ihm mal ein guter Handwerker werden könnte.«

»Und warum hast du ihn zu mir gebracht?«, hakte Tubruk sanft nach.

»Seit einem Monat können wir ihn nicht mehr auf die Straßen lassen. Tabbic muss ihn jeden Abend nach Hause bringen und dann alleine im Dunkeln zurückkehren. Selbst für ihn sind die Straßen heutzutage nicht sicher, aber Octavian ist dreimal schlimm verprügelt worden, seit wir ihn bei uns aufgenommen haben. Das erste Mal ist ihm ein Silberring gestohlen worden, und wir glauben, dass sie ihm auflauern, um zu sehen, ob er noch etwas bei sich hat. Eine Bande von Jungen steckt dahinter. Tabbic hat sich bei ihren Herren beschwert, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, wer sie sind, aber gleich danach ist Octavian das dritte Mal verprügelt worden. Der Junge geht daran zugrunde, Tubruk. Tabbic hat ihm ein Messer gemacht, aber er will es nicht annehmen. Er sagt, wenn er vor ihnen ein Messer zieht, bringen sie ihn um, und ich glaube, er hat Recht.« Sie holte tief Luft, ehe sie fortfuhr.

»Seine Mutter ist verzweifelt, und ich habe ihr versprochen, dass ich dich frage, ob du ihn aufnehmen und ihm ein Handwerk beibringen könntest. Wir haben gehofft, du könntest ihn ein oder zwei Jahre auf dem Gut arbeiten lassen, bis er alt genug ist, um in die Werkstatt zurückzukehren und seine Lehre fortzusetzen.« Sie hatte das Gefühl, wirr zu plappern, und hielt inne. Tubruk betrachtete seine Hände, und sie sprach schnell weiter, damit er ihr die Bitte nicht sofort abschlagen konnte.

»Seine Familie ist entfernt mit der von Julius verwandt. Ihre Großväter waren Brüder oder verschwägert oder so etwas. Du bist der Einzige, den ich kenne, der ihn vor den Straßenbanden schützen kann, Tubruk. Du rettest ihm damit das Leben. Ich würde dich nicht bitten, wenn es jemand anderen gäbe, aber…«

»Ich werde ihn aufnehmen«, sagte Tubruk plötzlich. Alexandria blinzelte überrascht, und er lachte leise. »Hast du etwa gedacht, ich würde es nicht tun? Ich kann mich noch daran erinnern, wie du dein Leben für dieses Haus riskiert hast. Du hättest weglaufen und dich im Stall verstecken können, aber du hast es nicht getan. Das ist für mich Grund genug. Auf einem Gut wie diesem gibt es immer Arbeit, auch wenn wir etwas von unserem Land verloren haben, seitdem du das letzte Mal hier warst. Keine Angst, er wird sich sein Essen schon verdienen. Willst du ihn gleich hier lassen?«

Alexandria hätte den alten Gladiator am liebsten umarmt.

»Ja, wenn es dir recht ist. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Vielen Dank. Darf ihn seine Mutter von Zeit zu Zeit besuchen kommen?«

»Da muss ich Aurelia fragen, aber ich denke, das müsste möglich sein, wenn es nicht zu oft ist. Ich erzähle ihr von der Familienverbindung, das gefällt ihr bestimmt.«

Alexandria stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

»Vielen Dank«, sagte sie wieder.

Sie drehten beide die Köpfe, als sie von draußen schnelle Schritte nahen hörten. Octavian kam aufgeregt und mit rotem Gesicht hereingestürzt.

»Da sind Pferde im Stall!«, verkündete er, und die beiden Erwachsenen mussten lächeln.

»Es ist lange her, dass wir Knaben in diesem alten Gemäuer hatten. Ich freue mich darauf, ihn hier zu haben«, sagte Tubruk.

Octavians Blick wanderte zwischen ihnen hin und her, während er nervös von einem Fuß auf den anderen trat.

»Dann darf ich also bleiben?«, fragte er leise.

Tubruk nickte. »Auf dich wartet hier jede Menge harte Arbeit, mein Junge.«

Der Kleine sprang vor Freude in die Luft. »Es ist wunderschön hier!«, sagte er.

»Er hat die Stadt seit seiner frühesten Kindheit nicht mehr verlassen«, sagte Alexandria verlegen. Sie umfasste Octavians Hände und hielt ihn mit ernstem Gesicht fest.

»Also, tu alles, was man dir sagt. Deine Mutter kommt dich besuchen, sobald du dich eingelebt hast. Arbeite ordentlich und lerne, so viel du kannst. Hast du mich verstanden?«

Octavian nickte und strahlte sie an.

»Danke, Tubruk. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.«

»Hör mal, Mädchen«, sagte er knurrend. »Du bist jetzt eine freie Frau. Du hast den gleichen Weg hinter dir wie ich. Selbst wenn du bei dem Aufstand nicht mitgekämpft hättest, würde ich dir helfen, so gut ich kann. Ab und zu müssen wir uns um einander kümmern.«

Sie sah ihn an und verstand mit einem Mal. Ihr ganzes junges Leben lang war er immer nur der Gutsverwalter gewesen. Sie hatte vergessen, dass er genauso viel über die Sklaverei wusste wie sie, dass zwischen ihnen eine Verbindung bestand, die ihr nie klar gewesen war. Sie ging mit ihm zum Tor, und alle Anspannung wich von ihr.

Dort standen Brutus und Renius, hielten zwei junge Stuten am Zügel und unterhielten sich leise. Als Brutus Alexandria erblickte, schaute er sie überrascht an. Ohne ein Wort reichte er Renius die Zügel, stürzte auf sie zu, umarmte sie und hob sie hoch.

»Bei den Göttern, Mädchen! Dich habe ich ja seit Jahren nicht mehr gesehen.«

»Lass mich runter«, verlangte sie wütend, und Brutus hätte sie bei diesem eisigen Tonfall beinahe fallen lassen.

»Was hast du denn? Ich dachte, du würdest dich freuen, mich zu sehen, nach all den…«

»Ich lasse mich von dir nicht behandeln wie eines deiner Sklavenmädchen!« Ihre Wangen brannten. Am liebsten hätte sie selber über ihren plötzlichen Anfall von Stolz gelacht, doch das ging ihr alles zu schnell. Stumm vor Verlegenheit hielt sie die Hand hoch, an der der Ring fehlte, der sie als Sklavin auswies.

Brutus lachte.

»Ich wollte dich nicht kränken, Herrin«, sagte er und verbeugte sich tief.

Sie hätte ihn am liebsten getreten, aber vor den Augen Octavians und Tubruks musste sie seinen fröhlichen Spott über sich ergehen lassen. Unausstehlich! So war er schon immer gewesen. Ihr fiel etwas ein, das ihr Julius erzählt hatte, und als sich Brutus wieder aufrichtete, holte sie zu einer Ohrfeige aus.

Er wollte nach ihrem Handgelenk greifen, überlegte es sich dann jedoch anders und ließ sie zuschlagen. Er lächelte immer noch.

»Wofür das auch immer gewesen sein mag, ich hoffe, die Sache ist damit erledigt. Ich…«

»Julius hat mir erzählt, du hättest mit mir angegeben«, unterbrach sie ihn. Es lief alles so schrecklich verkehrt. Sie hätte sich am liebsten mit dem jungen Wolf von einem Mann, den sie früher gekannt hatte, hingesetzt und gemeinsam mit ihm gelacht, aber alles, was er sagte, schien sie nur noch wütender zu machen.

Brutus’ Gesicht hellte sich auf, als er jäh begriff.

»Er hat gesagt, ich hätte angegeben…? Oh. Dieser raffinierte Halunke. Er denkt voraus, unser Julius. Wenn wir ihn wiedersehen, erzähle ich ihm gleich, wie wunderbar sein Plan funktioniert hat. Das wird ihm gefallen. Eine Ohrfeige vor Renius’ Augen. Einfach großartig!«

Renius räusperte sich.

»Bis du mit Spielen fertig bist, bringe ich schon mal dein Pferd in den Stall«, knurrte er und führte die Stuten in die herabsinkende Dämmerung hinein.

Alexandria schaute ihm mit gerunzelter Stirn nach und sah, wie er die beiden Zügel geschickt um sein Handgelenk wickelte. Er hatte sie nicht willkommen geheißen.

Ohne Vorwarnung traten ihr die Tränen in die Augen. Bis auf die Anwesenheit Octavians schien sich seit der Nacht des Angriffs auf dem Gutshof nichts verändert zu haben. Alle waren noch da, und sie war die Einzige, die die Jahre, die hinter ihnen lagen, zu spüren schien.

Tubruk trat von einem Fuß auf den anderen und betrachtete den kleinen Octavian, der Alexandria fasziniert anstarrte.

»Mach den Mund zu, Junge. Vor dem Schlafengehen gibt es heute noch eine Menge Arbeit.« Er nickte Alexandria zu. »Ich lasse euch beide in Ruhe reden und weise Octavian in seine Aufgaben ein.« Er schüttelte den Kopf über Brutus und führte Octavian dann mit festem Griff davon.

Brutus und Alexandria standen alleine in dem immer dunkler werdenden Hof. Dann setzten sie beide gleichzeitig zum Reden an, hielten inne und versuchten es erneut.

»Es tut mir Leid«, sagte Brutus.

»Nein, ich habe mich wie eine Idiotin benommen. Es ist so lange her, seit ich zum letzten Mal hier war, und als ich Tubruk und dich… und Renius gesehen habe, ist mir alles wieder eingefallen.«

»Ich habe Julius nie erzählt, wir hätten miteinander geschlafen«, fuhr er fort und trat näher an sie heran. Ihm fiel auf, wie schön sie war, eine jener Frauen, die im Zwielicht am besten aussahen. Ihre Augen waren groß und dunkel, und als er sah, wie sie den Kopf hielt, hätte er sie am liebsten geküsst. Er erinnerte sich, dass sie sich einmal geküsst hatten, ehe ihm Marius die Papiere für die Legion in Griechenland gegeben hatte.

»Tubruk hat gar nicht gesagt, ob Julius hier ist«, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Wir warten immer noch auf Nachrichten. Er wurde in Afrika gefangen gehalten, aber das Lösegeld ist bezahlt worden, und er müsste inzwischen längst auf dem Rückweg sein. Eigentlich ist nichts mehr so wie früher, weißt du. Du bist eine freie Frau, ich bin Zenturio gewesen, und Renius kann nicht mehr jonglieren.«

Bei der Vorstellung musste sie kichern, und er nutzte den Augenblick, um sie in die Arme zu nehmen. Dieses Mal erwiderte sie seine Umarmung, doch als er sie küssen wollte, drehte sie den Kopf zur Seite.

»Darf ich dich denn nicht einmal anständig willkommen heißen?«, fragte er überrascht.

»Du bist schrecklich, Marcus Brutus. Ich habe mich nicht gerade vor Sehnsucht nach dir verzehrt, weißt du«, sagte sie.

»Ich schon. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst«, erwiderte er und schüttelte traurig den Kopf. »Ich möchte dich gerne besuchen kommen, und wenn ich das nicht darf, kann es sein, dass ich vollends vergehe.«

Er seufzte wie ein beschädigter Blasebalg, und sie lachten beide, offen und ohne Verlegenheit.

Ehe sie antworten konnte, ertönte ein Ruf von dem Wachposten auf dem Tor, der Alexandria aufschrecken ließ.

»Da kommen Reiter und ein Karren!«, rief der Sklave hinunter.

»Wie viele sind es?«, antwortete Brutus und löste sich von Alexandria. Alle Schäkerlaune war von ihm gewichen, und eigentlich gefiel er ihr so viel besser.

»Drei Männer zu Pferde, und ein Karren, der von einem Ochsen gezogen wird. Die Männer sind bewaffnet.«

»Tubruk! Renius! Primigenia zum Tor«, befahl Brutus. Soldaten kamen aus den Wohngebäuden des Gutes, eine Reihe von zwanzig Männern in Rüstung, die Alexandria den Atem verschlug.

»Marius’ alte Legion ist jetzt also bei dir«, sagte sie erstaunt.

Brutus sah sie kurz an. »Die, die überlebt haben. Julius wird einen Truppenführer brauchen, wenn er zurückkehrt«, sagte er. »Am besten gehst du nicht zu nah ans Tor, bis wir wissen, was los ist, in Ordnung?«

Sie nickte, und er ließ sie einfach stehen. Ohne seine Nähe fühlte sie sich plötzlich einsam. Erinnerungen an Kampf und Blut brachen über sie herein. Sie schauderte und ging auf die Lichter der Gebäude zu.

Tubruk kam aus den Stallungen. Octavian schien er völlig vergessen zu haben, er ließ den Jungen auf dem Pflaster im Hof stehen, stieg die Treppe neben dem Tor hinauf und blickte auf die Soldaten hinunter, die scheppernd Halt machten.

»Es ist ein bisschen spät für einen Besuch, oder?«, rief er hinunter. »Was ist euer Begehr?«

»Cato schickt uns, um mit Marcus Brutus und dem Gladiator Renius zu sprechen«, antwortete eine tiefe Stimme knurrend.

Tubruk blickte in den Hof hinunter und nickte zufrieden, als er die Bogenschützen sah, die rings um den Hof Aufstellung genommen hatten. Sie waren gut ausgebildet, und jeder, der es wagte, das Haus anzugreifen, würde in Sekundenschnelle niedergestreckt werden. Hinter dem Tor hatte Brutus seine Soldaten in einem Verteidigungsring aufgestellt, und Tubruk gab ihm das Zeichen zum Öffnen.

»Keine hastigen Bewegungen, wenn euch euer Leben und eure Gesundheit lieb sind«, warnte er Catos Männer.

Das Tor ging auf und wurde schnell wieder geschlossen, nachdem Karren und Reiter es passiert hatten. Vor den gespannten Bogen stiegen die Reiter langsam und sichtlich nervös ab. Renius und Brutus traten auf sie zu, und ihr Anführer nickte, als er Renius erkannte.

»Mein Herr Cato ist der Ansicht, dass ein Irrtum geschehen ist. Sein Sohn wurde fälschlicherweise bei der Primigenia vereidigt, obwohl er bereits einer anderen Legion versprochen war. Mein Herr versteht durchaus, dass seine jugendliche Begeisterung auf dem Campus Martius mit ihm durchgegangen ist, aber zu seinem größten Bedauern kann sein Sohn nicht bei euch dienen. Als Entschädigung für den Verlust schickt er diesen Karren voller Gold.«

Brutus ging um den schwitzenden Ochsen herum und warf die Plane zur Seite, unter der zwei schwere Kisten zum Vorschein kamen. Er öffnete eine davon und stieß beim Anblick der Goldmünzen einen leisen Pfiff aus.

»Dein Herr schätzt den Wert seines Sohnes für die Primigenia hoch ein«, bemerkte er.

Der Soldat betrachtete das Vermögen gleichgültig.

»Das Blut eines Cato ist unbezahlbar. Das da ist nur ein Zeichen der Anerkennung. Ist Germinius hier?«

»Du weißt doch genau, dass er hier ist«, erwiderte Brutus und riss seinen Blick von dem Gold los. In Anbetracht der Schulden, die er bei Crassus hatte, war das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, doch es war trotzdem eine zu große Summe, um sie einfach zurückzuweisen. Er sah Renius an, der mit den Achseln zuckte; er wusste, dass die Entscheidung alleine bei Brutus lag. Es wäre ein Leichtes, die Tür von Germinius’ Kammer aufzuschließen und ihn auszuliefern. In Rom würde man Brutus für einen solchen Schachzug schätzen und ob seines Verhandlungsgeschicks achten, mit dem er Cato in diese Lage gebracht hatte. Er seufzte. Legionäre waren nicht das Eigentum ihrer Befehlshaber. Man konnte sie nicht kaufen und verkaufen.

»Nehmt es wieder mit«, sagte er und warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das Gold. »Danke deinem Herrn für die Geste und sag ihm, dass sein Sohn bei uns gut behandelt wird. Ich will mir keine Feinde machen, aber Germinius hat einen Eid abgelegt, und der kann nur durch den Tod gelöst werden.«

Der Soldat neigte steif den Kopf. »Ich werde ihm die Botschaft überbringen, aber mein Herr wird sehr ungehalten darüber sein, dass du dich nicht in der Lage siehst, diesem bedauerlichen Irrtum ein Ende zu bereiten. Gute Nacht, meine Herren.«

Das Tor wurde wieder geöffnet, und ohne ein weiteres Wort zog der kleine Trupp in die Dunkelheit hinaus. Die Rinder brüllten traurig, als sie ihr Treiber mit dem Stock dazu antrieb, dem Gut den Rücken zu kehren.

»Ich hätte das Gold genommen«, sagte Renius, als das Tor wieder geschlossen wurde.

»Nein, das hättest du nicht getan, alter Freund. Und ich konnte es auch nicht tun«, erwiderte Brutus. Insgeheim fragte er sich, was Cato wohl tun würde, wenn er davon erfuhr.

Als Pompeius sein Heim auf dem Aventinischen Hügel betrat, rief er sogleich nach seinen Töchtern. Das ganze Haus war vom Duft nach warmem Brot erfüllt, den er tief einatmete, als er das Anwesen auf der Suche nach ihnen durchstreifte und in den Garten ging. Ein langer, erschöpfender Tag voller Berichte über die fortschreitende Offensive gegen Mithridates lag hinter ihm. Wenn es nicht so verzweifelt ernst gewesen wäre, hätte er fast über die Absurdität der Lage gelacht. Nach wochenlangen Debatten hatte der Senat endlich zwei Befehlshabern gestattet, ihre Legionen nach Griechenland zu führen. Pompeius’ Meinung nach hatten sie die unfähigsten und am wenigsten ehrgeizigen Männer ausgewählt, die unter dem Befehl des Senats standen. Der Grund dafür war nur allzu offensichtlich, aber die übervorsichtigen Feldherren waren nur langsam in das Land vorgestoßen und nicht das geringste Risiko eingegangen. Auch die kleinste Siedlung hatten sie vorsichtig umstellt und nötigenfalls belagert, und waren dann erst weitergezogen. Allein beim Gedanken daran wurde Pompeius übel.

Er hatte selbst das Kommando über eine Legion übernehmen wollen, ein Wunsch, der sofort auf den Widerstand der Sullaner gestoßen war. Sie hatten geschlossen gegen seine Ernennung gestimmt, als sein Name auf der Liste erschienen war. Ihr Bestreben, ihre Karrieren auf Kosten der Stadt zu sichern, war in Pompeius’ Augen ein obszönes Schauspiel; trotzdem hatten sie ihn bezwungen. Wenn er, von Crassus finanziert, eine Armee von »Freiwilligen« aufstellte, würden sie ihn zum Feind der Republik erklären, noch ehe er die Schiffe erreicht hätte. Die Enttäuschung wuchs mit jedem Tag, an dem die Berichte wieder nur den fast vollständigen Mangel an Erfolg der Entsatzkräfte verkündeten. Sie hatten noch nicht einmal die Hauptstreitmacht gefunden.

Er rieb sich den Nasenrücken, um den Druck etwas zu lindern. Im Garten war es wenigstens kühl, auch wenn der Wind seine Nerven nicht beruhigen konnte. Dass solch kleine Hunde nach dem Gewand des Senats schnappten! Wütende kleine Terrier, ohne Visionen und ohne Sinn für Ruhm. Krämerseelen allesamt – und sie regierten Rom!

Langsam schritt Pompeius durch den Garten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, in Gedanken versunken. Er spürte, wie die Anspannung des Tages langsam von ihm wich. Seit Jahren hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Arbeitstag mit einem kurzen Spaziergang durch den friedlichen Garten von seinem Privatleben zu trennen. Anschließend konnte er sich erfrischt beim Abendessen zu seiner Familie gesellen und mit seinen Töchtern spielen und lachen, wobei er den elenden Senat bis zum nächsten Morgen vergaß.

Beinahe hätte er seine jüngste Tochter, die mit dem Gesicht nach unten in den Büschen nahe der Außenwand lag, übersehen. Als er zu ihr hinüberblickte, musste er lächeln, denn er erwartete, dass sie in der nächsten Sekunde aufsprang und ihn umarmte. Sie erschreckte ihn immer gerne, wenn er nach Hause kam, und lachte dann hemmungslos, wenn sie sah, dass er vor Schreck zusammenzuckte.

Dann erst sah er die dunkelbraunen Blutflecke. Sein Gesicht erschlaffte langsam in einem Kummer, dem er nichts entgegenzusetzen hatte.

»Laura? Komm schon, Mädchen… steh auf.«

Ihre Haut war unnatürlich blass, und er sah den blutigen Schnitt an der Stelle, wo ihr Hals auf den gemusterten Saum ihres Kinderkleides traf.

»Komm schon, Liebling, steh doch auf«, flüsterte er.

Er ging zu ihr hinüber und setzte sich in das feuchte Laub, das ihre kleinen Arme und Beine umgab.

Lange strich er ihr über das Haar, während die Sonne unterging und die Schatten um sie herum immer länger wurden. Ihm war vage bewusst, dass er um Hilfe rufen, schreien und weinen sollte, doch er wollte sie nicht alleine lassen, nicht einmal so lange, wie es dauerte, um seine Frau zu holen. Er dachte daran, wie er sie im Sommer auf den Schultern getragen hatte, und wie sie stets alles, was er sagte, mit ihrer hellen, klaren Stimme nachplapperte. Er hatte bei ihr gewacht, als sie Zähne bekommen hatte und wenn sie krank gewesen war, und nun saß er das letzte Mal bei ihr, sprach leise mit ihr und zog den Kragen des Kleids höher, damit er die rot geränderte Wunde verdeckte, die das einzige Farbige an ihr war.

Nach einer Weile stand er auf und ging steif zurück ins Haus. Die Zeit verging, und eine Frau schrie vor Schmerz laut auf.

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