»Du trägst ja deinen Kranz gar nicht! Ich hab gehört, du schläfst sogar damit«, höhnte Suetonius, als Julius zur Wache erschien.
Julius ignorierte ihn, weil er wusste, dass eine Antwort nur zu einem weiteren Wortwechsel führen würde, der die Abneigung zwischen den beiden Offizieren einer offenen Feindschaft noch näher bringen würde. Momentan tat Suetonius wenigstens noch höflich, solange die anderen Männer in Hörweite waren. Jeden zweiten Morgen jedoch, wenn sie beide alleine Wache standen, ließ er seiner Verbitterung freien Lauf. Am ersten Tag auf See, nachdem sie die Insel wieder verlassen hatten, hatte einer der Männer einen Blätterkranz an die Spitze des Mastes gebunden, als wolle er damit zeigen, dass das ganze Schiff diese Ehre verdient hatte. Viele Legionäre hatten in der Nähe des Mastes gewartet, um zu sehen, wie Julius reagierte. Sein erfreutes Grinsen ließ sie alle jubeln. Suetonius hatte gelächelt wie die anderen auch, aber seine Abneigung gegen Julius war von diesem Moment an noch stärker geworden.
Julius hielt den Blick aufs Meer und die afrikanische Küste am Horizont gerichtet. Er verlagerte sein Gewicht mit den Bewegungen der Accipiter, die in der Dünung sanft auf und nieder ging. Trotz Suetonius’ höhnischer Bemerkung hatte er den Kranz seit ihrem Abmarsch aus Mytilene nicht getragen. Nur ein- oder zweimal hatte er ihn in der Abgeschiedenheit seiner winzigen Koje unter Deck aufgesetzt. Die Eichenblätter waren schon trocken und braun geworden, doch das machte nichts. Man hatte ihm das Recht verliehen, einen solchen Kranz zu tragen, und sobald er wieder in Rom war, würde er sich einen frischen binden lassen.
Sein Tagtraum machte es ihm leicht, Suetonius zu ignorieren. Er träumte davon, an einem schönen Tag zum Wagenrennen in den Circus Maximus zu gehen und zu sehen, wie Tausende Römer sich für ihn allein erhoben. Zuerst würden diejenigen in seiner Nähe aufstehen, dann würde in einer riesigen Wellenbewegung die ganze Menge folgen. Er lächelte leise vor sich hin, und Suetonius schnaubte verärgert.
Selbst in der Stille des Morgengrauens gingen die Ruder unter ihnen rhythmisch auf und nieder, während die Accipiter ruhig durch die Wellen glitt. Julius wusste mittlerweile, dass sie nicht gerade das wendigste Schiff war. Seit sie Mytilene vor Monaten verlassen hatten, waren ihnen zwei Piratenschiffe ohne Mühe entkommen. Mit ihrem geringen Tiefgang kam sie im Wasser nur schwer voran, und selbst das Zwillingssteuerruder änderte nichts daran, dass die Accipiter Schwierigkeiten hatte, rasch den Kurs zu wechseln. Ihre einzige Stärke war ihre plötzliche Beschleunigung durch die Ruderer. Doch selbst mit zweihundert Sklaven, die ihr Bestes gaben, erreichte sie keine größere Geschwindigkeit als ein forscher Wanderer an Land. Gaditicus schien ihre Unfähigkeit, die Feinde einzuholen, keine Sorgen zu bereiten. Ihm reichte es, sie von den Küstenstädten und den großen Handelsrouten zu verjagen. Damals, als er an Bord dieses Schiffes gegangen war, hatte Julius sich etwas anderes erhofft. Ihm hatten schnelle und erbarmungslose Hetzjagden vorgeschwebt. Die Erkenntnis, dass sich die römische Kriegskunst nicht auch auf den Seekampf erstreckte, war bitter.
Julius sah zur Seite, wo sich die Doppelreihe der Ruder einträchtig hob und senkte und im Gleichtakt ins Wasser eintauchte. Er fragte sich, wie man diese riesigen Ruderblätter Stunde um Stunde bewegen konnte, ohne zu ermüden, selbst wenn drei Sklaven gemeinsam ein Ruder bedienten. Im Zuge seiner Aufgaben war er ein paar Mal unten auf dem Ruderdeck gewesen, doch es war eng und voll und stank fürchterlich. Die Bilge stank nach Jauche, die zweimal täglich mit ein paar Eimern Meerwasser hinausgespült wurde. Der Gestank hatte ihm den Magen gehoben. Angeblich bekamen die Sklaven mehr zu essen als die Legionäre. Als er das Heben und Senken der riesigen Ruderbalken betrachtete, konnte er verstehen, warum das nötig war.
Weil die Accipiter gerade gegen einen Westwind ankämpfte, wurde die mörderische Hitze von der afrikanischen Küste auf dem Oberdeck durch eine steife Brise gemildert. Von seiner Position aus konnte Julius deutlich sehen, dass die Accipiter wohl nicht auf Schnelligkeit, dafür aber auf den Kampf ausgerichtet war. Das offene Deck, eine breite Fläche aus Holz, im Laufe der Jahrzehnte von der sengenden Sonne ausgebleicht, war frei von Hindernissen. Nur am hinteren Ende erhob sich ein Aufbau mit den Kabinen von Gaditicus und Prax. Der Rest der Zenturie schlief in engen Quartieren unter Deck. Ihre Ausrüstung war im Waffenlager untergebracht, wo sie jederzeit schnell erreichbar war. Regelmäßige Drills und Übungen sorgten dafür, dass sie in weniger als einer Umdrehung des Sandglases von Schlaf zu Gefechtsbereitschaft wechseln konnten. Sie waren eine sehr disziplinierte Mannschaft, dachte Julius. Könnten sie jemals ein anderes Schiff einholen, wären sie mit Sicherheit unschlagbar.
»Offizier an Deck!«, bellte ihm Suetonius plötzlich ins Ohr, und Julius schreckte auf und nahm Haltung an. Gaditicus hatte einen sehr viel älteren Mann zu seinem Optio gewählt. Julius schätzte, dass Prax nur noch ein oder zwei Jahre vom Ruhestand trennten. Er hatte bereits einen leichten Bauchansatz, den er jeden Morgen sorgfältig gürten musste. Aber er war ein anständiger Offizier, dem die Spannungen zwischen Julius und Suetonius bereits in den ersten Wochen an Bord aufgefallen waren. Es war Prax gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie zusammen Wache stehen mussten. Den Grund dafür hatte er ihnen nicht genannt.
Er nickte ihnen freundlich zu, als er über das Oberdeck schlenderte und mit seinem allmorgendlichen Rundgang anfing. Prax überprüfte jedes Tau, das zu dem flatternden viereckigen Segel über ihnen hinaufführte, und ließ sich auf die Knie hinunter, um die sichere Vertäuung der Deckkatapulte zu kontrollieren. Erst nachdem die sorgfältige Inspektion beendet war, kam er auf die jungen Offiziere zu und erwiderte beiläufig ihren Gruß. Er ließ den Blick über den Horizont wandern, lächelte vor sich hin und rieb sich zufrieden das frisch rasierte Kinn.
»Vier… nein, fünf Segel«, sagte er gut gelaunt. »Der Handel der Nationen. Aber nicht genug Wind für diejenigen, die sich nur auf ihn verlassen.«
Mit der Zeit war Julius klar geworden, dass sich hinter Prax’ freundlichem Äußeren ein Verstand verbarg, dem nichts auf der Accipiter entging, sei es über oder unter Deck. Wenn man die oft belanglosen Gesprächseröffnungen überstanden hatte, waren seine Ratschläge meistens überaus wertvoll. Suetonius hielt ihn für einen alten Narren, schien jedoch immer mit lebhaftem Interesse zuzuhören. Diese Strategie verfolgte er bei allen höher gestellten Offizieren.
Prax nickte nachdenklich und fuhr fort: »Wir brauchen die Ruder, um nach Thapsus zu gelangen, aber von da ab haben wir eine einfache Fahrt die Küste hoch. Nachdem wir die Soldkisten abgeliefert haben, müssten wir Sizilien in wenigen Wochen erreicht haben. Das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit nicht noch ein paar Seeräuber aus unseren Gewässern verjagen müssen. Sizilien ist einfach herrlich.«
Julius nickte. Er fühlte sich bei Prax weitaus weniger angespannt als in der Gesellschaft des Kapitäns, trotz jenes vertrauteren Moments nach dem Einsatz in Mytilene. Prax war bei der Erstürmung der Festung nicht dabei gewesen, doch das schien ihm nichts ausgemacht zu haben. Julius vermutete, dass Prax mit den leichteren Aufgaben an Bord der Accipiter durchaus zufrieden war. Er wartete auf seinen wohl verdienten Ruhestand und darauf, bei einer Legion in der Nähe von Rom abgesetzt zu werden, so dass er seinen ausstehenden Sold abholen konnte. Das war einer der Vorteile davon, mit Gaditicus Piraten zu jagen. Die fünfundsiebzig Denare, die den Legionären jeden Monat zustanden, sammelten sich an, weil es kaum Gelegenheiten gab, das Geld auszugeben. Selbst abzüglich der Kosten für die Ausrüstung und dem Zehnten, der für die Witwen- und Begräbnisrücklage einbehalten wurde, hatten die meisten Männer eine hübsche Summe angespart, wenn ihre Zeit um war. Selbstverständlich nur, wenn sie das Geld bis dahin nicht verspielt hatten.
»Herr, warum fahren wir mit Schiffen, die den Feind nicht einholen können? Wir könnten das Mare Internum in weniger als einem Jahr säubern, wenn wir sie zwingen würden, sich uns im Kampf zu stellen.«
Prax lächelte, er schien sich über die Frage zu freuen.
»Im Kampf zu stellen… Ach, das passiert von Zeit zu Zeit, aber sie sind einfach bessere Seeleute als wir. Meistens rammen und entern sie uns, bevor wir unsere Männer hinüberschicken können. Wenn wir aber unsere Legionäre auf ihr Deck kriegen, haben wir den Kampf natürlich gewonnen.«
Langsam blies Prax die Luft aus seinen geblähten Wangen und versuchte eine Erklärung. »Wir brauchen mehr als leichtere und schnellere Schiffe – aber ich werde es wohl nicht mehr erleben, dass Rom das nötige Geld bereitstellt, die zu bauen –, wir brauchen eine professionelle Mannschaft an den Rudern. Diese drei senkrechten Bänke, die sie so präzise zu nutzen wissen… Kannst du dir vorstellen, was unsere muskelbepackten Sklaven damit anstellen würden? Sie würden sie zu Kleinholz machen, noch bevor wir zum ersten Mal Höchstgeschwindigkeit erreicht hätten. So wie wir ausgerüstet sind, brauchen wir keine Experten, und vom Standpunkt des Senats aus betrachtet, brauchen wir deshalb auch keinen Sold zu zahlen, um welche zu bekommen. Man braucht nur einmal Geld, um die Sklaven zu kaufen, und danach trägt sich das Schiff praktisch selbst. Und immerhin versenken wir ein paar von ihren Schiffen, auch wenn es so aussieht, als gäbe es trotzdem immer mehr Piraten.«
»Es ist nur manchmal… ziemlich frustrierend«, erwiderte Julius. Eigentlich hätte er gerne gesagt, dass es schlichtweg irrwitzig war, wenn die mächtigste Nation der Welt von der Hälfte der Schiffe auf dem Meer geschlagen werden konnte. Aber Prax schien trotz seiner Freundlichkeit ein wenig reserviert, deshalb unterließ er diesen Kommentar. Es gab eine unsichtbare Grenze, die von einem Jüngeren nicht überschritten werden durfte, auch wenn diese Grenze bei Prax nicht ganz so deutlich gezogen war wie bei anderen.
»Wir sind eben Landbewohner, meine Herren, auch wenn einige von uns die See am Ende doch lieben lernen, so wie ich. Der Senat betrachtet unsere Flotte lediglich als Transportmöglichkeit, um unsere Soldaten schneller in anderen Ländern zum Einsatz zu bringen. Wie zum Beispiel in Mytilene. Vielleicht begreifen auch die Senatoren eines schönen Tages, dass es genauso wichtig ist, das Meer zu beherrschen. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das noch zu meinen Lebzeiten geschieht. In der Zwischenzeit ist die Accipiter eben etwas schwerfällig und langsam, aber das bin ich auch, und sie ist schon doppelt so alt wie ich.«
Suetonius lachte pflichtbewusst, was Julius zusammenzucken ließ, doch Prax schien es nicht zu bemerken. Prax’ Worte riefen Erinnerungen in Julius wach. Ihm fiel ein, dass Tubruk einmal etwas Ähnliches gesagt hatte. Er hatte ihn die dunkle Erde des Guts in den Händen halten lassen und ihn an all die Generationen vor ihm erinnert, die sie mit ihrem Blut getränkt hatten. Die Erinnerung daran schien aus einem anderen Leben zu stammen. Damals hatte sein Vater noch gelebt, Marius war Konsul mit einer rosigen Zukunft gewesen. Er fragte sich, ob jemand wohl ihre Gräber pflegte. Einen Moment lang drängten die dunklen Sorgen, die seine Gedanken immer unterschwellig beschäftigten, an die Oberfläche. Wie immer, wenn das passierte, redete er sich selbst gut zu. Tubruk würde sich ganz sicher um Cornelia und seine Mutter kümmern. Er vertraute niemandem auch nur halb so sehr wie diesem Mann.
Prax versteifte sich plötzlich, als sein Blick wieder über die Küste glitt. Sein freundlicher Gesichtsausdruck war verschwunden, und seine Züge verhärteten sich.
»Geh nach unten und schlag Alarm, Suetonius. Ich will innerhalb von fünf Minuten alle Männer kampfbereit an Deck haben.«
Suetonius salutierte hastig und mit weit aufgerissenen Augen, lief zu dem steilen Niedergang und kletterte flink nach unten. Julius blickte in die Richtung, in die Prax zeigte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. An der Küste stieg eine große schwarze Rauchwolke fast kerzengerade in den Morgenhimmel.
»Waren das Piraten, Herr?«, fragte er schnell, obwohl er die Antwort eigentlich schon wusste.
Prax nickte. »Sieht so aus, als hätten sie ein Dorf überfallen. Vielleicht erwischen wir sie, wenn sie wieder in See stechen. Jetzt könntest du deine Chance bekommen, sie ›im Kampf zu stellen‹, Cäsar.«
Die Accipiter machte sich gefechtsklar. Jeder lose Ausrüstungsgegenstand wurde sicher verstaut, die Katapulte wurden gespannt und Steine und Öl als Geschosse bereitgestellt. Die Legionäre traten eilig an Deck an, und eine Gruppe baute bereits den Corvus zusammen. Eilig schlugen sie Eisenstifte zwischen die Einzelteile, bis die große Enterrampe hoch über dem Deck stand und zum Einsatz bereit war. Sobald die Halteseile losgemacht wurden, würde sie auf die Reling oder die Planken des feindlichen Schiffes fallen, wo sich ihr eiserner Haltedorn unlösbar festkrallte. Über diese Rampe würden die besten Kämpfer der Accipiter an Bord stürmen und so schnell wie möglich eine Bresche schlagen, damit die anderen folgen konnten. Das war eine sehr gefährliche Aufgabe, doch nach jedem Kampf wurden diese Plätze immer heiß gehandelt und erzielten in den langweiligen Monaten zwischen den Einsätzen hohe Wettquoten.
Unter Deck gab der Sklavenaufseher brüllend den zweifachen Rudertakt an, und die Ruder bewegten sich in eiligerem Rhythmus. Da der Wind von der Küste her wehte, wurde das Segel eingeholt und säuberlich zusammengelegt. Schwerter wurden auf Scharten und Risse geprüft, die Rüstungen sorgfältig geschnürt. Die wachsende Anspannung an Bord, die nur durch lange geschulte Disziplin in Zaum gehalten wurde, war überall zu spüren.
Das brennende Dorf lag am Rande einer kleinen, natürlichen Bucht; sie sichteten das Piratenschiff, als es gerade an der felsigen Landzunge vorbeisegelte und die offene See erreichte. Gaditicus ordnete volle Kampfgeschwindigkeit an, um dem Feind möglichst wenig Platz für entscheidende Manöver zu lassen. Mit der Küste im Rücken konnte das Piratenschiff der Accipiter kaum ausweichen, die unbeirrt durch die Wellen pflügte, und Jubel erhob sich in den Reihen der Römer. Die Langeweile der eintönigen Reise von einem Hafen zum anderen war in der frischen Morgenbrise mit einem Mal verflogen.
Julius betrachtete das feindliche Schiff ganz genau und dachte an die Unterschiede, die Prax ihnen erklärt hatte. Er sah, wie die Dreierreihen der Ruder trotz ihrer unterschiedlichen Längen in perfektem Gleichklang in die kabbelige See eintauchten. Das Schiff war höher und schmaler gebaut als die Accipiter und am Bug mit einem langen bronzenen Stachel versehen. Julius wusste, dass dieser Rammsporn selbst die schweren Zedernholzplanken der römischen Schiffe leicht durchschlagen konnte. Prax hatte Recht. Der Ausgang eines solchen Kampfes war immer ungewiss. Dieses Gefecht jedoch konnte nicht mehr vermieden werden. Sie würden mit Sicherheit nahe genug herankommen, um den Corvus fallen zu lassen, und dann die besten Kämpfer der Welt auf das feindliche Deck schicken. Er bedauerte, dass er sich keinen der ersten Plätze hatte sichern können, doch sie waren alle schon lange vor Mytilene zugewiesen worden.
Er war so beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken und Erwartungen, dass er den plötzlich veränderten Klang im Ruf des Ausgucks zunächst gar nicht richtig wahrnahm. Als er aufblickte, trat er unwillkürlich einen Schritt von der Reling zurück. Soeben, gerade als sie das erste Schiff an der Bucht vorüber verfolgten, tauchte ein zweites daraus auf. Es hielt direkt auf sie zu, und Julius sah den Rammsporn aus den Wellen auftauchen, die es in voller Fahrt durchpflügte. Das Segel des Schiffes stand straff im Wind und mühte sich, die Ruderer nach Kräften zu unterstützen. Der bronzene Stachel befand sich auf Höhe der Wasserlinie, und das Deck war voll bewaffneter Männer, deutlich mehr, als normalerweise auf den schnellen Piratenschiffen zu finden waren. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass der Rauch nur eine List gewesen war. Es war eine Falle, und sie hatten sie gekonnt zuschnappen lassen.
Gaditicus zögerte nicht. Auch er hatte die Gefahr sofort erkannt und schrie jetzt ohne zu zögern seinen Offizieren neue Befehle zu.
»Steigert den Schlag bis zum dritten Grad! Sie kommen direkt an uns vorbei!«, brüllte er, und der Trommler unter Deck schlug seinen zweitschnellsten Rhythmus. Die Rammgeschwindigkeit, die noch darüber lag, konnte nur für eine sehr kurze Zeitspanne durchgehalten werden, bevor die Sklaven zusammenbrachen. Auch dieses nur geringfügig langsamere Tempo bedeutete für sie eine ungeheure Strapaze. In früheren Schlachten hatte schon so manches Herz dabei seinen Dienst versagt. Wenn das geschah, konnte die Leiche die anderen Ruderer behindern und so ein ganzes Ruder aus dem Takt bringen.
Das erste Schiff kam schnell näher, und Julius sah, dass die Ruder rückwärts schlugen und das Schiff kampfbereit beidrehte. Es war alles nur eine gut geplante List gewesen, um das römische Schiff möglichst nahe an die Küste zu locken. Als Preis hatten sich die Piraten ohne Zweifel die Kisten voller Silber unten im Laderaum auserkoren, aber die würden sie nicht so leicht kriegen.
»Feuert die Katapulte auf meinen Befehl auf das erste Schiff… Jetzt!«, schrie Gaditicus und verfolgte die Flugbahn der Steingeschosse, die über seinem Kopf hinwegflogen.
»Zwei Strich nach unten!«, rief der Ausguck am Bug den beiden Mannschaften an den Katapulten zu, und die schweren Waffen wurden in Windeseile justiert. Dicke Holzpflöcke wurden in die entsprechenden Löcher geschlagen und der korrigierte Winkel fixiert. Dies alles geschah, während die Winden bereits wieder neu aufgezogen wurden. Die Legionäre schwitzten, weil sie ein Rosshaarseil spannen mussten, das zweimal so dick war wie der Oberschenkel eines Mannes.
Das Piratenschiff war schon wieder ein Stück näher, als die Katapulte zum zweiten Mal abgefeuert wurden. Dieses Mal waren die porösen Steine mit Öl getränkt und flogen brennend, einen Rauchschweif hinter sich herziehend, auf die feindliche Trireme zu. Ihr Einschlag auf dem Deck wurde von einem Krachen begleitet, das auf der Accipiter gut zu hören war. Die Männer an den Katapulten jubelten und drehten die Seilwinden erneut.
Die zweite Trireme raste derweil weiter auf sie zu, und Julius zweifelte nicht mehr daran, dass ihr Rammsporn die Accipiter irgendwo am Ende des Hecks durchbohren würde. Damit wäre sie bewegungsunfähig, und sie würden den Feind auch nicht mehr entern können. Hilflos an Deck festgenagelt, würden sie einer nach dem anderen unter Bogenbeschuss fallen. Als ihm das klar geworden war, schrie Julius seinen Männern zu, sofort die Schilde an Deck zu holen und auszuteilen. Beim Entern waren Schilde eher ein Hindernis als eine Hilfe. Aber jetzt, da die Accipiter zwischen zwei Schiffen eingekeilt war, die auf Schussweite heranzogen, wurden sie dringend gebraucht.
Tatsächlich regneten kurz darauf von beiden feindlichen Schiffen Pfeile auf sie herab. Sie hatten keinerlei Anordnung oder klare Ziele. Die Schützen feuerten einfach ziellos, aber stetig in hohem Bogen in die Luft, in der Hoffnung mit einem ihrer langen schwarzen Schäfte einen Legionär zu treffen.
Vielleicht wäre das Schiff, das sie zu durchbohren versuchte, noch achtern an ihnen vorbei aufs offene Meer geglitten. Doch da die erste Trireme der Accipiter den Weg abschnitt, musste sie ausweichen, indem alle Ruder der einen Schiffsseite in die andere Richtung schlugen. Die Schläge waren zwar unbeholfen, doch so ging es trotzdem schneller, als wenn sie alle Ruder auf dieser Seite aus dem Wasser gehoben hätten, während die Ruderer der anderen Seite die Accipiter drehten. Es machte sie zwar langsamer, aber Gaditicus hatte erkannt, dass sie auf die Außenlinie zuhalten mussten, wollten sie sich nicht zwischen zwei Schiffen einkeilen lassen, wenn das zweite Piratenschiff längsseits beikam.
Die Accipiter schrammte am Bug des ersten Dreideckers entlang und erzitterte, als ihr plötzlich die Fahrt genommen wurde. Gaditicus hatte den Sklaventreiber schon auf den nächsten Zug vorbereitet, sodass unter Deck die Ruder blitzschnell eingezogen wurden. Die Ruderer der Trireme jedoch waren nicht schnell genug. Die Accipiter zerbrach im Vorbeigleiten die Ruderstangen jeweils in Dreiergruppen, und jedes dieser Ruder zerquetschte tief im Bauch des feindlichen Schiffes einen Mann zu Brei. Doch ehe die Accipiter auch nur die Hälfte der Ruder des ersten Schiffes zerstört hatte, wurde sie vom bronzenen Rammsporn des zweiten durchbohrt. Man hörte das ohrenbetäubende Krachen und Splittern der Balken, und beim Aufprall schien das ganze Schiff wie ein waidwundes Tier aufzustöhnen. Die Sklaven unter Deck stimmten in panischer Angst einen Chor entsetzlichen Geschreis an. Sie waren an ihren Bänken festgekettet, und wenn das Schiff unterging, würden sie mit ihm versinken.
Pfeile bohrten sich ziellos in das Deck der Accipiter, aber darin, wenn auch sonst nirgends, zeigte sich der Mangel an Kampfdisziplin bei den Piraten. Als er sich unter einem Pfeil wegduckte, der böse über seinen Kopf surrte, dankte Julius dem Schicksal, dass sie offensichtlich nicht darauf trainiert waren, in Salven zu schießen. Die Schilde schützten die Männer gegen die meisten ihrer Pfeile. Dann kippte der schwere Corvus vornüber, schien, als die Seile durchschnitten wurden, einen Augenblick in der Luft zu hängen, fiel dann doch hinab und schlug krachend auf das Deck des Feindes. Sein eiserner Dorn hielt das gegnerische Schiff fest und sicher, genauso sicher wie die Vergeltung, die nun folgen würde.
Der erste der Legionäre stürmte trotzig johlend über die Planke und prallte auf die wartenden Gegner. Normalerweise waren die Römer zahlenmäßig überlegen, aber nicht so bei diesen Piratenschiffen. Beide schienen randvoll mit Kämpfern, deren Rüstungen eine bunte Mischung war aus Alt und Neu und aus jedem Hafen entlang der Küsten.
Julius erblickte Cabera an seiner Seite, doch dessen gewohntes Lächeln war nicht zu sehen. Der alte Mann hatte einen Dolch und einen Schild in den Händen, trug jedoch sein übliches Gewand, was ihm Gaditicus erlaubt hatte, solange es zweimal im Monat auf Läuse untersucht wurde.
»Ich glaube, ich bleibe lieber bei dir, als da unten im Dunkeln«, murmelte Cabera, während er das ausbrechende Chaos beäugte. Beide duckten sich schnell hinter ihre steifen hölzernen Schilde, als plötzlich Pfeile auf sie zuzischten. Einer prallte knapp oberhalb von Julius’ Hand auf den Schild und er taumelte rückwärts. Als er sah, dass die mit Widerhaken bewehrte Spitze durchgedrungen war, stieß er einen leisen Pfiff aus.
Schwere bronzene Haken verbissen sich in die Planken der Accipiter und zogen lange Taue hinter sich her. Männer schwangen sich an Deck, und ringsumher ertönte lautes Kampfgetümmel, aufeinander klirrende Schwerter und Schreie des Triumphs und der Verzweiflung.
Julius sah, dass Suetonius seine Männer in einer Reihe aufstellte, um dem Feind entgegenzutreten. Hastig befahl er seinen zwanzig Männern, ihnen zu Hilfe zu eilen, obgleich er vermutete, dass sie auch ohne seinen Befehl losgestürmt wären, falls er noch lange damit gewartet hätte. Jeder von ihnen wusste, dass sie die gerammte Accipiter nicht einfach dem Feind überlassen konnten. Wütend griffen sie an und die Ersten, die über den Corvus gelangten, kümmerten sich nicht um Verletzungen und räumten das feindliche Deck vor sich für die anderen frei.
Als er voranstürmte, hielt sich Cabera dicht neben ihm. Seine Anwesenheit wirkte tröstlich und beruhigend auf Julius, denn sie erinnerte ihn an all die anderen Schlachten, die sie zusammen durchgestanden hatten. Vielleicht war der alte Heiler ja eine Art Glücksbringer, dachte er. Dann war er in Reichweite der feindlichen Klingen, und er hieb die Gegner nieder, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sein Körper bewegte sich in dem Rhythmus, den ihm Renius Jahr um Jahr eingebläut hatte.
Julius duckte sich unter einer Streitaxt weg und versetzte dem Axtträger, der das Gleichgewicht verloren hatte, einen Stoß. Der Mann landete vor Pelitas’ Füßen, der in der klassischen Schlachtfeldreaktion des Legionärs ohne lange zu überlegen fest zutrat: Alles, was steht, wird niedergemacht, alles was liegt, wird zertrampelt.
Auf dem Corvus drängten sich Soldaten, die schoben und drückten, um zur anderen Seite zu gelangen. Sie waren leichte Beute für die Bogenschützen. Als er zwischen ihren eigenen Männern hindurchspähen konnte, sah Julius, wie eine der Reling der Trireme zugewandte Gruppe mehrere Treffer einstecken musste. Auf diese kurze Entfernung war der Beschuss vernichtend, und mehr als ein Dutzend Legionäre ging zu Boden, bevor diejenigen an Bord die Bogenschützen in einem wahren Blutrausch niedermähten wie Weizenhalme. Julius nickte zufrieden. Er verspürte den gleichen Hass auf Bogenschützen wie jeder andere Legionär, der die furchtbare, entmutigende Wirkung ihrer Angriffe auf weite Entfernung kennen gelernt hatte.
Nachdem sie die Accipiter erfolgreich durchbohrt hatte, war die zweite Trireme zurückgerudert und hatte sich beinahe schon wieder von dem römischen Schiff gelöst. Gaditicus beobachtete ihr Manöver und hielt ein paar Einheiten zurück, um ihren Angriff abwehren zu können, sobald er kam. Die Situation änderte sich viel zu rasch, um vorhersagen zu können, was als Nächstes geschehen würde, doch er wusste zumindest ganz sicher, dass die Piraten nicht einfach tatenlos zusehen würden. Die Accipiter würde vielleicht sinken, doch sie würde noch eine Weile durchhalten. Die Legionäre konnten sich immer noch auf die andere Trireme durchkämpfen und dort das Kommando übernehmen. Es war nicht gänzlich unmöglich, dass sie doch noch eine Art Sieg davontrugen, wenn ihnen noch eine Stunde blieb und man sie in Ruhe ließ. Darum war sich Gaditicus auch sicher, dass das zweite Schiff sie erneut angreifen würde, sobald es seinen Rammsporn freibekommen und dann nahe genug an sie heranmanövriert hatte, damit seine Kämpfer entern konnten. Er fluchte, als der letzte Balken krachte und der spitze Bug des Schiffes von der Accipiter loskam. In einer Mischung aus Griechisch und Vulgärlatein brüllten die Piraten ihren Ruderern neue Befehle zu.
Gaditicus schickte seine zurückgehaltene Reserve auf die andere Seite der Accipiter, weil er annahm, sie würden von dort entern, um die Mannschaft zwischen zwei Fronten aufzureiben. Seine Entscheidung war ein geschickter Schachzug und erfüllte ihren Zweck. Wenn sie die erste Trireme jetzt schnell genug einnahmen, konnten alle seine Männer beim Zurückschlagen der zweiten Angriffswelle eingesetzt werden; dann war noch nicht alles verloren. Obwohl er wusste, dass ihm seine Wut nichts nützte, ballte Gaditicus die Hand am Schwertgriff zur Faust. Hatte er etwa erwartet, dass sie ihm offen gegenübertraten und sich von seinen Soldaten in Stücke hauen ließen? Das hier waren Diebe und Bettler, die es auf das Silber in seinem Laderaum abgesehen hatten. Sie kamen ihm vor wie ein Rudel kleiner Hunde, das den großen römischen Wolf besiegte. Er zitterte, als er sah, wie die Ruder des zweiten Dreideckers auf einer Seite eingezogen wurden und der Feind auf sein geliebtes Schiff zudrehte. Unter Deck hörte man immer noch die Schreie der Sklaven. Sie brüllten in einem angstvollen Chor, der an seinen Nerven zerrte.
Julius, der gerade einem Mann sein Schwert über das Gesicht zog, bekam einen schweren Schlag auf seine Rüstung. Er stöhnte auf, und noch ehe er wusste, woher der Angriff kam, trat schon ein bärtiger Riese vor ihn hin. Angesichts der gewaltigen Größe und der breiten Schultern des Kriegers, der einen schweren, mit Blut und Haaren verklebten Schmiedehammer in den Pranken hielt, wurde ihm ein wenig mulmig. Der Mann hatte die Zähne gefletscht und grölte, als er seine Waffe über den Kopf schwang und zum Schlag ausholte. Julius wich zurück und hob unwillkürlich den Arm, um den Schlag abzuwehren. Er spürte, wie der Hammer Knochen seines Handgelenks zerschmetterte und schrie vor Schmerz laut auf.
Cabera sprang mit einem Satz zwischen sie und rammte dem Mann seinen Dolch in den Hals. Doch der Krieger brüllte lediglich auf und hob erneut den Hammer, um den gebrechlichen Heiler niederzuschlagen. Julius versuchte die rasenden Schmerzen der aneinander reibenden Knochen zu ignorieren und tastete mit der linken Hand nach seinem eigenen Dolch. Ihm wurde schwindelig und plötzlich fühlte er sich völlig unbeteiligt. Obwohl dem bärtigen Riesen das Blut aus der Halswunde sprudelte, war er noch lange nicht unschädlich gemacht.
Die bullige Gestalt wankte aufrecht vorwärts und schwang in blindem Schmerz erneut den Hammer. Die Waffe traf Julius’ Kopf, und er brach zusammen. Blut rann ihm langsam aus Nase und Ohren, während der Kampf um ihn herum weitertobte.