Der Schwarze Prinz



»Also können Bären sich ihre eigene Seele machen.«, sagte Lyra.

Es gab so vieles auf der Welt, wovon sie nichts wusste.

Philip Pullman, Der goldene Kompass


Der Schwarze Prinz war nicht allein. Natürlich nicht. Wie immer war sein Bär bei ihm. Wie ein zottiger Schatten hockte er hinter seinem Herrn am Feuer. Fenoglio erinnerte sich noch genau an den Satz, mit dem er den Prinzen erschaffen hatte. Gleich am Anfang von Tintenherz, zweites Kapitel. Fenoglio sprach die Worte leise vor sich hin, während er auf ihn zuschritt: »Ein elternloser Junge, die Haut fast so schwarz wie das krause Haar, mit dem Messer ebenso schnell wie mit der Zunge, immer bereit, die zu beschützen, die er liebte - ob es nun seine zwei jüngeren Schwestern waren, ein misshandelt er Bär oder Staubfinger, sein bester Freund, sein allerbester

». der trotzdem einen höchst dramatischen Tod gestorben wäre, wenn es nach mir gegangen wäre!«, setzte Fenoglio leise hinzu, während er dem Prinzen zuwinkte. »Aber das weiß mein schwarzer Freund zum Glück nicht, sonst wäre ich an seinem Feuer wohl kaum noch willkommen!«

Der Prinz erwiderte seinen Gruß. Vermutlich glaubte er, dass man ihn seiner Hautfarbe wegen den Schwarzen Prinzen nannte, aber Fenoglio wusste es besser. Er hatte den Namen für ihn gestohlen - aus einem Geschichtsbuch seiner alten Welt. Ein berühmter Ritter hatte ihn einst getragen, Sohn eines Königs und ein großer Räuber dazu. Hätte es ihm gefallen, dass ein Messerwerfer seinen Namen trug, ein König der Spielleute? Nun, wenn nicht, so kann er trotzdem nichts daran ändern, dachte Fenoglio, denn seine Geschichte ist schon lange zu Ende.

Zur Linken des Prinzen saß der elende Stümper von einem Bader, der Fenoglio beim Zähneziehen fast den Kiefer gebrochen hatte, und rechts von ihm hockte der Rußvogel, ein lausiger Feuerspucker, der von seinem Handwerk ebenso wenig verstand wie der Bader vom Zähneziehen. Bei dem Bader war Fenoglio nicht ganz sicher, doch der Rußvogel war auf keinen Fall seine Erfindung. Weiß der Himmel, wo der herkam! Jeder, der ihn Feuer spucken sah, stümperhaft und voll Angst vor den Flammen, hatte sofort einen anderen Namen auf der Zunge: Staubfinger - Feuertänzer - Flammenzähmer.

Der Bär grunzte, als Fenoglio sich zu seinem Herrn ans Feuer setzte, und betrachtete ihn mit seinen kleinen gelben Augen, als wollte er feststellen, wie viel Fleisch noch von so alten Knochen zu nagen war. Selbst schuld, dachte Fenoglio, warum musstest du dem Prinzen einen zahmen Bären zur Seite stellen. Ein Hund hätte es auch getan. Die Händler auf dem Markt erzählten jedem, der es hören wollte, der Bär sei ein verhexter Mensch, verzaubert von Feen oder Kobolden (von wem nun genau, darüber waren sie sich nicht einig), aber Fenoglio wusste auch dies besser. Der Bär war ein Bär, ein echter Bär, der es dem Schwarzen Prinzen hoch anrechnete, dass er ihn vor vielen Jahren von seinem Nasenring und seinem alten Herrn befreit hatte, denn der hatte ihn mit dem Dornenstock geschlagen, damit er auf den Märkten tanzte.

Noch sechs weitere Männer saßen mit dem Prinzen am Feuer.

Nur zwei von ihnen kannte Fenoglio. Der eine war ein Schauspieler, Fenoglio vergaß immer wieder seinen Namen. Der andere war ein Starker Mann, der sein Brot damit verdiente, auf den Marktplätzen Ketten zu zerreißen, erwachsene Männer in die Luft zu stemmen und Eisenstangen zu verbiegen. Sie alle schwiegen, als Fenoglio zwischen sie trat. Er war geduldet, doch zu ihnen gehörte er noch lange nicht.

Nur der Prinz lächelte ihm zu. »Ah, der Tintenweber!«, sagte er. »Bringst du uns ein neues Lied über den Eichelhäher?«

Fenoglio nahm den Becher mit heißem Honigwein entgegen, den ihm einer der Männer auf einen Wink des Prinzen reichte, und hockte sich auf die steinige Erde. Seine alten Glieder konnten keinen rechten Geschmack daran finden, auf dem Boden zu hocken, auch wenn die Nacht mild wie diese war, aber die Spielleute waren keine Freunde von Stühlen oder anderen Sitzgelegenheiten.

»Eigentlich bin ich hier, um dir das hier zu geben«, sagte er und griff unter seinen Kittel. Er sah sich um, bevor er dem Prinzen den versiegelten Brief reichte, aber in dem Gewimmel war kaum auszumachen, ob sie jemand beobachtete, der nicht zum Bunten Volk gehörte. Der Prinz nahm den Brief mit einem Kopfnicken entgegen und schob ihn sich unter den Gürtel. »Ich danke dir«, sagte er.

»Gern geschehen!«, erwiderte Fenoglio und versuchte, nicht allzu sehr auf den schlechten Atem des Bären zu achten. Der Prinz konnte nicht schreiben, ebenso wenig wie die meisten seiner bunten Untertanen, aber Fenoglio erledigte das gern für ihn, vor allem, wenn es um ein Schriftstück wie dieses ging. Der Brief war für einen Waldaufseher des Speckfürsten bestimmt. Drei Mal schon hatten seine Männer Spielfrauen und ihre Kinder auf der Straße überfallen. Niemanden scherte das, weder den Speckfürsten in seinem Kummer noch die Männer, die an seiner statt Recht sprechen sollten, denn es ging um Spielleute. Also würde ihr Anführer sich darum kümmern. Schon in der kommenden Nacht würde der Mann Fenoglios Brief auf seiner Schwelle finden. Was darin stand, würde ihn nicht mehr ruhig schlafen lassen und künftig hoffentlich von bunten Röcken fern halten. Fenoglio war ziemlich stolz auf seine Drohbriefe, fast ebenso stolz wie auf die Räuberlieder.

»Hast du schon das Neueste gehört, Tintenweber?« Der Prinz strich seinem Bären über das schwarze Maul. »Der Natternkopf hat eine Belohnung ausgesetzt - auf den Eichelhäher.«

»Den Eichelhäher?« Fenoglio verschluckte sich an seinem Wein, und der Bader schlug ihm so heftig auf den Rücken, dass er sich das heiße Gebräu auch noch über die Finger goss. »Na, das ist nicht schlecht!«, stieß er hervor, als er wieder Luft bekam. »Da soll noch einer sagen, Worte seien nichts als Schall und Rauch! Nun, nach diesem Räuber kann die Natter lange suchen!«

Wie sie sich ansahen. Als wüssten sie mehr als er. Aber was?

»Hast du es noch nicht gehört, Tintenweber?«, sagte der Rußvogel mit leiser Stimme. »Deine Lieder scheinen wahr zu werden! Zwei Mal schon sind Steuereintreiber des Natternkopfes ausgeraubt worden, von einem Mann mit einer Vogelmaske, und einen seiner Jagdaufseher, bekannt für seinen Spaß an Grausamkeiten aller Art, soll man tot im Wald gefunden haben, mit einer Feder im Mund. Rate, von welchem Vogel?«

Fenoglio sah ungläubig zum Prinzen hinüber, aber der blickte nur ins Feuer und stocherte mit einem Stock in der Glut.

»Aber. aber das ist ja wunderbar!«, rief Fenoglio aus -und senkte hastig die Stimme, als er sah, wie besorgt die anderen sich umsahen. »Das sind ja wunderbare Neuigkeiten!«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Was auch immer da vor sich geht - ich werde gleich ein neues Lied schreiben! Schlagt etwas vor! Na los! Was soll der Eichelhäher als Nächstes anstellen?«

Der Prinz lächelte, aber der Bader musterte Fenoglio voll Verachtung. »Du redest, als wäre das alles ein Spiel, Tintenweber!«, sagte er. »Du sitzt in deiner Kammer und schreibst ein paar Wörter aufs Papier, aber wer immer deinen Räuber spielt, riskiert seinen Hals damit, denn er ist bestimmt nicht aus Worten gemacht, sondern aus Fleisch und Blut!«

»Ja, aber keiner kennt sein Gesicht, denn der Eichelhäher trägt eine Maske. Sehr klug von dir, Tintenweber. Wie soll der Natternkopf wissen, nach welchem Gesicht er suchen muss? So eine Maske ist ein praktisches Ding. Es kann sie jeder aufsetzen.« Es war der Schauspieler, der das sagte. Baptista. Natürlich, so hieß er. Hab ich den erfunden?, fragte Fenoglio sich. Egal. Niemand verstand mehr von Masken als Baptista, vielleicht, weil sein Gesicht von Pockennarben entstellt war. Viele Schauspieler ließen sich von ihm ein ledernes Lachen oder Weinen aufs Gesicht schneidern.

»Ja, aber in den Liedern ist er ziemlich genau beschrieben.« Der Rußvogel sah Fenoglio forschend an.

»Stimmt!« Baptista sprang auf die Füße. Er legte die Hand an den schäbigen Gürtel, als hätte er dort ein Schwert, spähte um sich, als suchte er nach einem Feind. »Hoch gewachsen soll er sein. Das ist keine Überraschung. Helden wird das meistens nachgesagt.« Baptista begann auf den Zehenspitzen auf und ab zu gehen. »Sein Haar«, er strich sich über den Kopf, »ist dunkel, dunkel wie Maulwurfsfell. Wenn wir den Liedern glauben. Das ist ungewöhnlich. Die meisten Helden haben goldenes Haar, was immer man sich darunter vorzustellen hat. Wir erfahren nichts über seine Herkunft, aber bestimmt«, Baptista setzte eine vornehme Miene auf, »fließt in seinen Adern das reinste Fürstenblut. Wie sonst sollte er so edel und mutig sein?«

»Irrtum!«, unterbrach Fenoglio. »Der Eichelhäher ist ein Mann aus dem Volk. Was soll das für ein Räuber sein, der auf einer Burg geboren wurde?«

»Ihr hört den Dichter!« Baptista tat, als wischte er sich die Vornehmheit mit der Hand von der Stirn. Die anderen Männer lachten. »Kommen wir zu dem Gesicht hinter der Federmaske.« Baptista fuhr sich mit den Fingern über das eigene zerstörte Gesicht. »Natürlich ist es schön und vornehm - und blass wie Elfenbein! Die Lieder sagen darüber nichts, aber wir alle wissen, dass diese Hautfarbe bei einem Helden selbstverständlich ist. Entschuldigt, Euer Hoheit!«, setzte er hinzu und verbeugte sich spöttisch vor dem Schwarzen Prinzen.

»Oh, bitte, bitte, dagegen hab ich gar nichts«, sagte der nur, ohne die Miene zu verziehen.

»Vergiss die Narbe nicht!«, sagte der Rußvogel. »Die Narbe an seinem linken Arm, dort, wo die Hunde ihn gebissen haben. In jedem Lied kommt sie vor. Na los, die Ärmel hoch. Lasst sehen, ob der Eichelhäher vielleicht zwischen uns sitzt?« Auffordernd sah er sich um, aber nur der Starke Mann schob lachend die Ärmel hoch. Die anderen schwiegen.

Der Prinz strich sich das lange Haar zurück. Drei Messer trug er am Gürtel. Spielleuten war es verboten, Waffen zu tragen, selbst dem, den sie ihren König nannten, doch warum sollten sie sich an Gesetze halten, die sie nicht beschützten? Er trifft das Auge einer Libelle, sagte man über die Messerkünste des Prinzen. Genau so, wie Fenoglio es einst geschrieben hatte.

»Wie immer der aussieht, der meine Lieder zu Taten macht, ich trinke auf ihn. Soll der Natternkopf ruhig nach dem Mann suchen, den ich beschrieben habe. Er wird ihn nie finden!« Fenoglio prostete der Runde zu. Er fühlte sich großartig, wie berauscht, und das kam gewiss nicht von dem hundsmiserablen Wein. Na bitte, wer sagt es denn, Fenoglio?, dachte er. Du schreibst etwas und es geschieht! Auch ohne Vorleser.

Aber der Starke Mann verdarb ihm die Stimmung. »Also ehrlich gesagt, Tintenweber, mir ist nicht nach Feiern«, brummte er. »Es heißt, der Natternkopf bezahlt neuerdings mit gutem Silber für die Zunge jedes Spielmanns, der Spottlieder auf ihn singt. Er soll schon eine ganze Sammlung haben.«

»Die Zunge?« Fenoglio tastete unwillkürlich nach der eigenen. »Fallen meine Lieder etwa auch darunter?«

Keiner antwortete ihm. Die Männer schwiegen. Aus einem Zelt hinter ihnen drang der Gesang einer Frau - ein Wiegenlied, so friedlich und süß, als stammte es aus einer anderen Welt, einer Welt, von der man nur träumen konnte.

»Ich sag es meinen bunten Untertanen immer wieder: Tretet nicht in der Nähe der Nachtburg auf! « Der Prinz schob dem Bären ein Stück fetttriefendes Fleisch ins Maul, wischte das Messer an seiner Hose ab und steckte es zurück in den Gürtel.

»Ich sage ihnen, dass wir Krähenfutter sind für den Natternkopf, Rabenbrot! Aber seit der Speckfürst lieber weint als lacht, haben sie alle leere Taschen und einen leeren Bauch. Das treibt sie nach drüben. Es gibt viele reiche Händler auf der anderen Seite des Waldes.«

Teufel. Fenoglio rieb sich die schmerzenden Knie. Wo war seine gute Laune hin? Verflogen - wie der Duft einer Blume, die jemand zertreten hatte. Missmutig nahm er noch einen Schluck Honigwein. Erneut kamen die Kinder zu ihm, bettelten um eine Geschichte, aber Fenoglio schickte sie fort. Ihm fiel nichts ein, wenn er schlechte Laune hatte.

»Da ist noch etwas«, sagte der Prinz. »Der Starke Mann hat heute im Wald ein Mädchen und einen Jungen aufgegriffen. Sie haben eine seltsame Geschichte erzählt: dass Basta, Capricorns Messermann, zurück sein oder kommen soll und sie hier sind, um einen alten Freund von mir vor ihm zu warnen -Staubfinger. Sicher hast du schon von ihm gehört?«

»Ähm«, Fenoglio verschluckte sich an seinem Wein vor Überraschung. »Staubfinger? Ja, sicher, der Feuerspucker.«

»Der beste, den es je gab.« Der Prinz warf dem Rußvogel einen schnellen Blick zu, aber der zeigte dem Bader gerade einen entzündeten Zahn. »Er galt als tot«, fuhr der Prinz mit gesenkter Stimme fort. »Seit mehr als zehn Jahren hat niemand von ihm gehört. Es gab tausend Geschichten darüber, wie und wo er gestorben ist, zum Glück scheinen sie alle nicht wahr zu sein. Aber das Mädchen und der Junge suchen nicht nur nach Staubfinger. Das Mädchen hat auch nach einem alten Mann gefragt, einem Dichter, der das Gesicht einer Schildkröte hat. Könnte das vielleicht auf dich passen?«

Fenoglio fand nicht ein Wort in seinem Kopf, das als Antwort getaugt hätte. Der Prinz griff nach seinem Arm und zog ihn auf die Füße. »Komm mit!«, sagte er, während hinter ihnen der Bär grunzend auf die Tatzen kam. »Die beiden waren halb verhungert, haben irgendwas erzählt davon, dass sie tief im Weglosen Wald waren. Die Frauen füttern sie gerade.«

Ein Mädchen und ein Junge. Staubfinger. Fenoglios Gedanken überschlugen sich, aber leider war sein Kopf nicht mehr der frischeste nach zwei Bechern Wein.

Unter einer Linde am Rand des Lagers hockten mehr als ein Dutzend Kinder im Gras. Zwei Frauen schenkten Suppe an sie aus. Gierig löffelten sie die dünne Brühe aus den Holzschalen, die sie in die schmutzigen Finger gedrückt bekamen.

»Nun sieh dir an, wie viele sie schon wieder eingesammelt haben!«, raunte der Prinz Fenoglio zu. »Wir werden noch alle verhungern wegen der weichen Herzen unserer Frauen.«

Fenoglio nickte nur, während er die mageren Gesichter musterte. Er wusste, wie oft der Prinz selbst hungrige Kinder auflas. Wenn sie sich nicht allzu dumm anstellten beim Jonglieren, Kopfstehen oder sonst einem Kunststück, das den Leuten ein Lachen aufs Gesicht und paar Münzen aus den Taschen lockte, dann nahm das Bunte Volk sie auf, ließ sie mit sich ziehen, von Markt zu Markt, von Ort zu Ort.

»Das da sind die beiden.« Der Prinz wies auf zwei Köpfe, die sich besonders tief über die Schalen beugten. Als Fenoglio auf sie zutrat, hob das Mädchen den Kopf, als hätte er ihren Namen gerufen. Ungläubig starrte sie ihn an - und ließ den Löffel sinken.

Meggie.

Fenoglio erwiderte ihren Blick so fassungslos, dass sie lächeln musste. Ja, sie war es tatsächlich. An das Lächeln erinnerte er sich sehr genau, auch wenn sie nicht oft Anlass dazu gehabt hatte, damals, in Capricorns Haus.

Mit einem Satz sprang sie auf, drängte sich an den anderen Kindern vorbei und schlang ihm die Arme um den Hals. »Ach, ich wusste, dass du noch hier bist!«, stieß sie hervor, zwischen Lachen und Weinen. »Aber musstest du unbedingt Wölfe in deiner Geschichte vorkommen lassen? Und dann die Nachtmahre und die Rotkappen. Sie haben Farid mit Steinen beworfen und uns mit ihren Krallenfingern ins Gesicht gegriffen. Zum Glück hat Farid es geschafft, Feuer zu machen, aber.«

Fenoglio öffnete den Mund - und klappte ihn hilflos wieder zu. Tausend Fragen füllten ihm den Kopf: Wie kam sie hierher? Was war mit Staubfinger? Wo war ihr Vater? Und was war mit Capricorn? War er tot? Hatte ihr Plan funktioniert? Wenn ja, wieso hieß es dann, dass Basta noch lebte? Wie summende Insekten übertönten die Fragen einander, und Fenoglio wagte nicht eine von ihnen zu stellen, während der Schwarze Prinz neben ihm stand und ihn nicht aus den Augen ließ.

»Ich sehe, du kennst die beiden«, stellte er fest.

Fenoglio nickte nur. Woher kannte er den Jungen, der neben Meggie gehockt hatte? Hatte er ihn nicht bei Staubfinger gesehen, damals, an jenem denkwürdigen Tag, an dem er zum ersten Mal einem seiner Geschöpfe gegenübergestanden hatte?

»Ähm, die zwei sind. Verwandte von mir«, stotterte er. Was für eine klägliche Lüge für einen Geschichtenerfinder!

Der Spott in den Augen des Prinzen schlug Funken. »Verwandte. so, so. Ich muss sagen, ähnlich sehen sie dir beide nicht.«

Meggie löste die Arme von Fenoglios Hals und starrte den Prinzen an.

»Meggie, darf ich vorstellen?«, sagte Fenoglio. »Der Schwarze Prinz.«

Der Prinz verneigte sich mit einem Lächeln vor ihr.

»Der Schwarze Prinz! Ja.« Meggie wiederholte seinen Namen fast andächtig. »Und das da ist sein Bär! Farid, komm her. Sieh doch!«

Farid, natürlich. Jetzt erinnerte Fenoglio sich. Meggie hatte oft von ihm gesprochen. Der Junge stand auf, aber nicht, bevor er noch hastig den letzten Rest Suppe aus seiner Schale geschlürft hatte. In sicherem Abstand von dem Bären blieb er hinter Meggie stehen.

»Sie wollte unbedingt mit!«, sagte er und fuhr sich mit dem Arm über den fettverschmierten Mund. »Wirklich! Ich wollte sie nicht herbringen, aber sie ist dickköpfig wie ein Kamel.«

Meggie wollte darauf etwas sicherlich nicht Freundliches erwidern, doch Fenoglio legte ihr den Arm um die Schultern. »Mein lieber Junge«, sagte er. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich darüber bin, dass Meggie hier ist! Man könnte fast sagen, sie ist das Einzige, was mir in dieser Welt noch zu meinem Glück fehlte!«

Hastig verabschiedete er sich von dem Prinzen und zog Meggie und Farid mit sich. »Kommt!«, raunte er, während er sich mit ihnen an den Zelten vorbeidrängte. »Wir haben viel zu bereden, unendlich viel, aber das tun wir besser in meiner Kammer, unbelauscht von fremden Ohren. Es ist ohnehin schon spät, und die Wache am Tor lässt uns nur bis Mitternacht wieder in die Stadt.«

Meggie nickte nur abwesend und betrachtete mit großen Augen das Treiben um sie her, aber Farid befreite seinen Arm unsanft aus Fenoglios Griff. »Nein, ich kann nicht mitkommen. Ich muss Staubfinger suchen!«

Fenoglio sah ihn ungläubig an. Es war also tatsächlich wahr? Staubfinger war - »Ja, er ist zurück«, sagte Meggie. »Die Frauen haben gesagt, Farid kann ihn vielleicht bei der Spielfrau finden, mit der er früher zusammen war. Sie hat einen Hof, dort oben auf dem Hügel.«

»Spielfrau?« Fenoglio blickte in die Richtung, in die Meggies Finger wies. Der Hügel, von dem sie sprach, war nur ein schwarzer Umriss in der mondhellen Nacht. Natürlich! Roxa-ne. Er erinnerte sich. Ob sie wirklich so wunderbar war, wie er sie beschrieben hatte?

Der Junge wippte ungeduldig auf den Zehen. »Ich muss gehen«, sagte er zu Meggie. »Wo kann ich dich finden?«

»In der Gasse der Schuster und Sattelmacher«, antwortete Fenoglio an Meggies Stelle. »Frag einfach nach Minervas Haus.«

Farid nickte - und sah immer noch Meggie an.

»Es ist keine gute Idee, sich bei Nacht auf den Weg zu machen«, sagte Fenoglio, auch wenn er das Gefühl hatte, dass der Junge nicht an seinem Rat interessiert war. »Die Straßen hier sind nicht gerade sicher. Erst recht nicht bei Nacht. Räuber, Landstreicher.«

»Ich weiß mich zu wehren.« Farid zog ein Messer aus dem

Gürtel. »Pass auf dich auf.« Er griff nach Meggies Hand, dann drehte er sich abrupt um und verschwand zwischen den Spielleuten. Fenoglio entging nicht, dass Meggie sich noch einige Male nach ihm umsah.

»Himmel, der arme Kerl!«, brummte er, während er ein paar Kinder aus dem Weg scheuchte, die ihn schon wieder wegen einer Geschichte anbettelten. »Er ist verliebt in dich, oder?«

»Lass das!« Meggie zog ihre Hand aus der seinen, aber er hatte sie zum Lächeln gebracht.

»Schon gut, ich halte meinen Mund! Weiß dein Vater, dass du hier bist?«

Das war die falsche Frage. Das schlechte Gewissen stand ihr auf die Stirn geschrieben.

»Oje! Nun gut, das wirst du mir alles erzählen. Wie du hergekommen bist, was das Gerede über Basta und Staubfinger bedeutet, einfach alles! Du bist groß geworden! Oder bin ich geschrumpft? Gott, Meggie, was bin ich froh, dass du hier bist! Nun werden wir diese Geschichte wieder an die Zügel nehmen! Mit meinen Worten und deiner Stimme.«

»An die Zügel nehmen? Wie meinst du das?« Misstrauisch musterte sie sein Gesicht. Genauso hatte sie ihn damals auch oft angesehen, als sie Capricorns Gefangene gewesen waren, die Stirn gerunzelt, die Augen so klar, als könnten sie ihm geradewegs ins Herz blicken. Aber dies war nicht der Ort für Erklärungen.

»Später!«, raunte Fenoglio und zog sie weiter. »Später, Meggie. Hier gibt es zu viele Ohren. Verflixt, wo steckt jetzt nur mein Fackelträger?«



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