Farids Hoffnung



Und nun war er tot und seine Seele ins Sonnenlose Land geflüchtet.

Philip Reeve, Großstadtjagd


Als die Wachen kurz vor Sonnenuntergang schon zum zweiten Mal Alarm schlugen, befahl der Schwarze Prinz allen, tief in die Stollen hinabzusteigen, dorthin, wo Wasser in den engen Gängen stand und man glaubte, die Erde atmen zu hören. Aber einer kam nicht mit. Fenoglio. Als der Prinz Entwarnung gab und Meggie mit den anderen wieder hinaufstieg, die Füße nass, das Herz immer noch voll Angst, kam Fenoglio auf sie zu und zog sie mit sich. Mo sprach zum Glück gerade mit Resa und bemerkte es nicht.

»Hier. Aber ich garantiere für nichts«, raunte Fenoglio ihr zu, während er ihr das Notizbuch wieder in die Hand drückte. »Vermutlich ist dies ein weiterer Fehler, schwarz auf weiß, wie die anderen, aber ich bin zu müde, um darüber nachzudenken. Füttere sie, die verfluchte Geschichte, füttere sie mit neuen Worten, ich werd nicht zuhören. Ich leg mich schlafen. Das war endgültig das Letzte, was ich in meinem Leben geschrieben habe.«

Füttere sie.

Farid schlug vor, dass Meggie dort las, wo Staubfinger und er geschlafen hatten. Staubfingers Rucksack lag noch neben seiner Decke, die beiden Marder hatten sich links und rechts davon zusammengerollt. Farid hockte sich zwischen sie und presste den Rucksack an seine Brust, als klopfte Staubfingers Herz darin. Erwartungsvoll sah er Meggie an, aber sie schwieg. Blickte auf die Buchstaben und schwieg. Fenoglios Schrift verschwamm ihr vor den Augen, als sträubte sie sich zum ersten Mal, von ihr gelesen zu werden.

»Meggie?« Farid sah sie immer noch an. Es war so viel Traurigkeit in seinen Augen, so viel Verzweiflung. Für ihn, dachte sie. Nur für ihn - und kniete sich auf die Decke, unter der Staubfinger geschlafen hatte.

Schon bei den ersten Worten spürte sie, dass Fenoglio seine Sache wieder einmal gut gemacht hatte. Sie spürte es wie Atem auf ihrem Gesicht. Die Buchstaben lebten. Die Geschichte lebte. Sie wollte wachsen, mit diesen Worten. Sie wollte es! Hatte Fenoglio dasselbe gespürt, als er sie niederschrieb?

»Eines Tages, als der Tod wieder einmal reichlich Beute gemacht hatte«, begann Meggie, und es war ihr fast, als lese sie in einem vertrauten Buch, das sie eben erst zur Seite gelegt hatte, »beschloss Fenoglio, der große Dichter, nicht mehr zu schreiben. Er war der Worte müde und ihrer Macht der Verführung. Er war es leid, dass sie ihn betrogen und verhöhnten und schwiegen, wenn sie hätten sprechen sollen. Also rief er einen anderen, jünger als er, Orpheus mit Namen - geschickt mit den Buchstaben, auch wenn er sie noch nicht so meisterlich zu setzen verstand wie Fenoglio selbst -, und beschloss, ihn in seiner Kunst zu unterweisen, wie jeder Meister es irgendwann tut. Für eine Weile sollte Orpheus an seiner statt mit den Worten spielen, mit ihnen verführen und lügen, schaffen und zerstören, vertreiben und zurückholen - während Fenoglio darauf wartete, dass die Müdigkeit verging, dass die Lust an den Buchstaben erneut in ihm erwachte und er Orpheus zurückschicken würde in die Welt, aus der er ihn gerufen hatte, um seine Geschichte am Leben zu erhalten mit frischen, unverbrauchten Worten.«

Meggies Stimme verklang. Sie hallte unter der Erde, als hätte sie einen Schatten. Und als die Stille sich gerade breit machte, hörte man Schritte.

Schritte auf dem feuchten Stein.




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