Alles verloren



’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, Und rede Du darein!

’s ist leider Krieg - und ich begehre Nicht schuld daran zu sein.

Matthias Claudius, Kriegslied


Nach ein paar Tagen Ruhe ging es Staubfingers Bein viel besser, und Farid erzählte den beiden Mardern gerade, wie sie sich nun bald alle in die Nachtburg schleichen und Meggie und ihre Eltern retten würden, als schlimme Nachrichten den Dachsbau erreichten. Einer der Männer brachte sie, die die Straße nach Ombra beobachteten. Das Blut lief ihm übers Gesicht, und er konnte kaum stehen.

»Sie bringen sie um!«, stammelte er nur immer wieder. »Sie bringen sie alle um.«

»Wo?«, fragte der Prinz. »Wo genau?«

»Keine zwei Stunden von hier«, brachte der Bote heraus. »Immer nach Norden.«

Der Prinz ließ zehn Männer beim Dachsbau. Roxane versuchte Staubfinger zu überzeugen, ebenfalls zu bleiben. »Dein Bein wird nie heilen, wenn du es nicht schonst«, sagte sie. Aber er hörte nicht auf sie, und so kam sie auch mit auf dem hastigen, schweigsamen Marsch durch den Wald.

Sie hörten den Kampfeslärm schon lange, bevor sie etwas sahen. Schreie drangen an Farids Ohren, Schmerzensschreie und das Wiehern von Pferden, schrill vor Angst. Irgendwann gab der Prinz ihnen ein Zeichen, langsamer zu gehen. Ein paar geduckte Schritte, und vor ihnen fiel die Erde steil zu der Straße ab, die irgendwann, nach vielen Meilen, vor dem Tor von Ombra endete. Staubfinger zog Farid und Roxane zu Boden, obwohl niemand in ihre Richtung sah. Hunderte von Männern kämpften unter ihnen zwischen den Bäumen, aber es waren keine Räuber darunter. Räuber tragen keine Kettenhemden, keine Brustpanzer, keine Helme, geschmückt mit Pfauenfedern, sie haben selten Pferde und niemals Wappen, auf seidene Mäntel gestickt.

Staubfinger drückte Roxane fest an sich, als sie zu schluchzen begann. Die Sonne senkte sich hinter die Hügel, während die Soldaten des Natternkopfes Cosimos Männer erschlugen, einen nach dem anderen. Vermutlich ging der Kampf schon lange. Die Straße war bedeckt von Toten. Dicht an dicht lagen sie. Nur eine kleine Schar hielt sich immer noch auf den Pferden, inmitten des großen Sterbens. Cosimo selbst war unter ihnen, das schöne Gesicht verzerrt von Wut und Angst. Für einen Moment schien es fast, als könnten die wenigen Reiter sich eine Bresche bahnen, doch dann fuhr der Brandfuchs zwischen sie mit einer Schar Gepanzerter, glänzend wie tödliche Käfer. Sie mähten Cosimo und seine Gefolgschaft nieder wie trockenes Gras, während die Sonne hinter den Hügeln versank, so rot, als spiegelte sich das vergossene Blut am Himmel. Der Brandfuchs selbst stach Cosimo vom Pferd, und Staubfinger verbarg sein Gesicht in Roxanes Haar, als wäre er es müde, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Farid aber wandte den Kopf nicht ab. Mit starrem Gesicht sah er dem Gemetzel zu und musste an Meggie denken - Meggie, die vermutlich immer noch glaubte, in dieser Welt könnte etwas Tinte alles heilen. Würde sie es auch noch glauben, wenn ihre Augen sehen müssten, was seine gerade sahen?

Nur wenige von Cosimos Männern überlebten ihren Fürsten. Kaum ein Dutzend floh zwischen die Bäume. Keiner gab sich die Mühe, ihnen zu folgen. Die Soldaten des Natternkopfes brachen in Siegesgeschrei aus und begannen die Leichen zu plündern wie ein Schwarm Geier in Menschengestalt. Nur Cosimos Leiche bekamen sie nicht. Der Brandfuchs selbst scheuchte seine Soldaten fort, ließ den schönen Toten auf ein Pferd laden und fortschaffen.

»Warum tun sie das?«, flüsterte Farid.

»Warum? Weil seine Leiche der Beweis ist, dass er diesmal wirklich tot ist!«, antwortete Staubfinger bitter.

»Ja, das ist er wohl«, flüsterte der Schwarze Prinz. »Vermutlich hält man sich für unsterblich, wenn man einmal von den Toten zurückgekommen ist! Aber er war es nicht, ebenso wenig wie seine Männer, und nun besteht fast ganz Ombra aus Witwen und Waisen.«

Es dauerte viele Stunden, bis die Soldaten des Natternkopfes endlich davonzogen, beladen mit dem, was sie den Toten hatten rauben können. Es wurde schon wieder dunkel, als es endlich still wurde zwischen den Bäumen, so still, wie es nur in Anwesenheit des Todes wird.

Roxane war die Erste, die sich einen Weg den Hang hinunter suchte. Sie weinte nicht länger. Ihr Gesicht war starr, ob vor Zorn oder Schmerz, hätte Farid nicht sagen können. Die Räuber folgten ihr nur zögernd, denn unten zwischen den Toten standen schon die ersten Weißen Frauen.

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