Feentod



Und in das alles fern hinauszuschauen: Männer und Frauen, Männer, Männer, Frauen und Kinder, welche anders sind und bunt;

Rainer Maria Rilke, Kindheit


Staubfinger wollte Farid zuerst nicht glauben, als er ihm erzählte, was er in Fenoglios Kammer gesehen und gehört hatte. Nein, so verrückt konnte doch nicht einmal der Alte sein, dass er sich anmaßte, dem Tod ins Handwerk zu pfuschen. Doch dann, noch am selben Tag, berichteten ein paar Frauen, die bei Roxane Kräuter kauften, dasselbe wie der Junge: dass Cosimo der Schöne zurückgekehrt war, zurück von den Toten.

»Die Frauen sagen, die Weißen Frauen hätten sich so sehr in ihn verliebt, dass sie ihn schließlich wieder hätten ziehen lassen«, sagte Roxane. »Und die Männer sagen, er hätte sich eine Weile vor seiner hässlichen Frau versteckt.«

Verrückte Geschichten, aber nicht halb so verrückt wie die Wahrheit, dachte Staubfinger.

Von Brianna hatten die Frauen nichts zu berichten gewusst. Dass sie auf der Burg war, gefiel ihm nicht. Keiner wusste, was dort als Nächstes geschehen würde. Angeblich war der Pfeifer noch immer in Ombra, mit einem halben Dutzend Gepanzerter. Die Übrigen hatte Cosimo vor die Stadtmauern verbannt. Sie warteten auf die Ankunft ihres Herrn. Denn so hieß es überall: Der Natternkopf würde selbst kommen, um sich diesen von den Toten auferstandenen Fürsten anzusehen. Er würde sich nicht so leicht damit abfinden, dass Cosimo seinem Enkel den Thron wieder fortnahm.

»Ich werde selbst hinreiten und nachsehen, wie es ihr geht«, sagte Roxane. »Dich lassen sie vermutlich nicht mal durchs Äußere Tor. Aber du kannst etwas anderes für mich erledigen.«

Die Frauen waren nicht nur der Kräuter und des Tratsches über Cosimo wegen gekommen. Sie hatten Roxane eine Bestellung überbracht - von der Nessel, die in Ombra war, um bei den Färbern zwei kranke Kinder zu behandeln. Eine Feentod-Wurzel brauchte sie, gefährliche Medizin, denn sie tötete ebenso oft, wie sie heilte. Für welchen armen Teufel sie die Wurzel brauchte, hatte die Alte nicht gesagt. »Für irgendeinen Verletzten im Geheimen Lager, die Nessel will noch heute dorthin zurück. Und da ist noch etwas. Wolkentänzer ist mit ihr gekommen, er soll eine Nachricht für dich haben.«

»Eine Nachricht? Für mich?«

»Ja. Von einer Frau.« Roxane sah ihn einen Augenblick lang an, dann ging sie ins Haus, um die Wurzel zu holen.

»Du gehst nach Ombra? « Farid stand so plötzlich hinter Staubfinger, dass er zusammenschrak.

»Ja, und Roxane reitet auf die Burg«, sagte er, »also bleibst du hier und hast ein Auge auf Jehan.«

»Und wer passt auf dich auf?«

»Auf mich?«

»Ja.« Wie er ihn ansah. Ihn - und den Marder. »Damit es nicht geschieht.« Farid sprach so leise, dass Staubfinger ihn kaum verstand. »Das, was in dem Buch steht.«

»Ah, das.« Wie besorgt der Junge ihn musterte. Als könnte er im nächsten Moment tot umfallen. Staubfinger musste sich ein Lächeln verkneifen, obwohl es um seinen Tod ging. »Hat Meggie dir davon erzählt?«

Farid nickte.

»Na gut. Vergiss es, hörst du? Die Worte sind geschrieben. Vielleicht werden sie wahr, vielleicht nicht.«

Aber Farid schüttelte den Kopf, so heftig, dass das schwarze Haar ihm in die Stirn fiel. »Nein!«, sagte er. »Nein, sie werden nicht wahr werden! Ich schwör’s. Ich schwör’s bei den Dschinn, die nachts in der Wüste heulen, und bei den Geistern, die die Toten fressen, ich schwör’s bei allem, was ich fürchte!«

Staubfinger sah ihn nachdenklich an. »Verrückter Kerl!«, sagte er. »Aber der Schwur gefällt mir. Lassen wir Gwin also besser hier, damit du ihn halten kannst!«

Gwin gefiel das nicht. Er biss Staubfinger in die Hand, als er ihn an die Kette legte, schnappte nach seinen Fingern - und keckerte nur noch zorniger, als Schleicher sich in seinen Rucksack zwängte.

»Du nimmst den neuen Marder mit, und der alte muss an die Kette?«, fragte Roxane, als sie ihnen die Wurzel für die Nessel brachte.

»Ja. Weil jemand behauptet hat, dass er mir Unglück bringt.«

»Seit wann glaubst du denn an so etwas?«

Ja, seit wann?

Seit ich einen alten Mann getroffen habe, der behauptet, dich und mich erfunden zu haben, dachte Staubfinger. Gwin fauchte immer noch, er hatte den Marder selten so wütend gesehen. Wortlos löste er die Kette wieder von seinem Halsband. Und ignorierte Farids erschrockenen Blick.

Auf dem ganzen Weg nach Ombra hockte Gwin auf Farids Schultern, als wollte er Staubfinger zeigen, dass er ihm noch nicht verziehen hatte. Und sobald Schleicher die Nase aus seinem Rucksack schob, entblößte Gwin die Zähne und knurrte so bedrohlich, dass Farid ihm ein paar Mal das Maul zuhielt.

Die Galgen vorm Stadttor waren leer, nur ein paar Raben hockten auf den Balken. Noch immer sprach die Hässliche Recht in Ombra, wie sie es schon zu Lebzeiten des Speckfürsten getan hatte, trotz Cosimos Rückkehr, und sie hielt nicht viel vom Aufhängen, vielleicht, weil sie als Kind zu viele Männer an einem Strick hatte baumeln sehen, mit blauen Zungen und aufgedunsenen Gesichtern.

»Hör zu«, sagte Staubfinger zu Farid, als sie zwischen den Galgen stehen blieben, »während ich der Nessel die Wurzel bringe und Wolkentänzer nach der Nachricht frage, die er angeblich für mich hat, holst du Meggie her. Ich muss mit ihr reden.«

Farid wurde rot, aber er nickte. Staubfinger musterte spöttisch sein Gesicht. »Was ist das? Ist an dem Abend, an dem du bei ihr warst, noch etwas anderes passiert als Cosimos Rückkehr von den Toten?«

»Das geht dich nichts an!«, murmelte Farid und verfärbte sich nur noch mehr.

Ein Bauer trieb fluchend einen mit Fässern beladenen Karren auf das Stadttor zu. Die Ochsen stellten sich quer und die Wachen griffen ungeduldig in die Zügel.

Staubfinger nutzte die Gelegenheit und schob sich mit Farid an ihnen vorbei. »Bring Meggie trotzdem her«, sagte er, als sie sich hinter dem Tor trennten. »Aber verlauf dich nicht vor lauter Liebe.«

Er sah dem Jungen nach, bis er zwischen den Häusern verschwunden war. Kein Wunder, dass Roxane ihn für seinen Sohn hielt. Manchmal hatte er sein Herz in Verdacht, dass es dasselbe tat.



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