Kapitel 8

Fragment aus den

Erinnerungen des Ludlow Fitch

Ich blieb, während Joe draußen war, in der Tür stehen und sah zu, wie die Dorfleute, einer nach dem anderen, zu ihm gingen. Jeder reichte ihm die Hand, und er nahm sie und umschloss sie mit der seinen. Dabei beugte er sich vor und sagte etwas. Was immer das sein mochte, es brachte die Frauen zum Lächeln, und die Männer strafften ihre Schultern und warfen sich in die Brust. Ich musste unwillkürlich grinsen, ohne zu wissen warum.

Während Joe noch dabei war, Hände zu schütteln, entstand in den hinteren Reihen eine leichte Unruhe. Ich reckte den Kopf und sah einen unförmigen Mann mit schweißglänzendem Gesicht, der sich durch die Menge nach vorn drängte. Unwillig machten die Leute Platz, um ihn durchzulassen. Als er schließlich im Schnee stehen blieb, nahm er eine derart großspurige Haltung an, dass man hätte denken können, er werde allein von seiner Selbstgefälligkeit gestützt. Er neigte seinen großen Kopf zur Seite und warf einen flüchtigen Blick auf die goldenen Kugeln über dem Eingang.

Der Mann hatte etwas Unangenehmes an sich: Sein massiger Körper wirkte abstoßend, seine Haltung aggressiv. Ich hatte keine Lust, seine Bekanntschaft zu machen, und blieb deshalb, wo ich war.

Ich glaube, Joe hatte ihn längst bemerkt, doch übersah er ihn geflissentlich. Endlich, nachdem der Mann sich unweit vor ihm aufgebaut und dreimal laut gehustet hatte, nahm Joe seine Anwesenheit wahr und stellte sich ihm vor.

»Joe Zabbidou«, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen.

Der Mann musterte Joe, als wäre der eine Schnecke auf seinem Schuh.

»Ratchet«, sagte er schließlich, ohne Joes Hand zu ergreifen. »Jeremiah Ratchet. Geschäftsmann hier am Ort. Mir gehört der größte Teil des Dorfes.«

Ich spitzte die Ohren, als ich diesen Namen hörte. Das also war Jeremiah Ratchet, der Mann, der mich unbeabsichtigt nach Pagus Parvus und somit in ein neues Leben geführt hatte. Mit dieser ziemlich prahlerischen Erklärung erntete er leises, verächtliches Schnauben aus der Menge, hier und da sogar ein Zischen. Seine breite Stirn kräuselte sich ärgerlich. Er stemmte die Hände in die Hüften und sog dabei die Luft ein, laut prustend wie ein nach Wurzeln grabender Eber. Hätte ich in der Menge gestanden, hätte ich ihm in null Komma nichts seinen Geldbeutel geklaut. Er gehörte genau zu der Sorte von Menschen, die es verdienten, dass ihnen die Taschen ausgeräumt wurden. Als mir plötzlich einfiel, dass ich das ja längst getan hatte, musste ich mir zum zweiten Mal ein Grinsen verkneifen.

Die beiden Männer standen einander gegenüber, und Joes ruhiger Blick wanderte über Ratchets Gestalt. Alles an Jeremiah roch nach Geld: von seinem parfümierten Haar bis zu dem dunklen, dreiviertellangen Wollmantel; von seinen senfgelben Kniehosen bis zum glänzenden Leder seiner Reitstiefel. Leider roch nichts an ihm nach gutem Geschmack.

»Hört zu, Mr Zappelhut oder wie Ihr Euch nennt. Hier könnt Ihr kein Geschäft machen. Hier werdet Ihr nicht gebraucht. Diese Leutchen besitzen nichts von Wert.« Jeremiah lachte unfreundlich und reckte seine Brust noch weiter heraus. »Ich muss es schließlich wissen, die meisten sind bei mir mit der Miete im Rückstand.«

»Wir werden sehen«, sagte Joe und wich ein wenig zurück. Jeremiahs Atem roch ziemlich unangenehm. »Ich habe in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung gemacht, dass meine Hilfe den meisten Menschen wohltut.«

»Hilfe?«, sagte Jeremiah zweifelnd. »Ich glaube nicht, dass wir Eure Art von Hilfe brauchen. Ich helfe den Menschen hier. Sie wissen, wen sie um Geld bitten können, wenn sie welches brauchen. Ihr werdet feststellen, dass ich gut für diesen Ort sorge. Nicht lange, und Ihr werdet Eure Siebensachen wieder einpacken.«

Abrupt machte er kehrt, hochzufrieden, dass er Joe die hiesigen Verhältnisse von Anfang an unmissverständlich klargemacht hatte. Dann stolzierte er breitbeinig davon, wobei sein Gang umso lächerlicher wirkte, je schneller er wurde.

»Jeremiah Ratchet«, hörte ich Joe nachdenklich sagen. »Unsere Wege werden sich wohl noch öfters kreuzen.«

Irgendwie hatte Jeremiahs Anwesenheit einen dunklen Schatten über die Menge geworfen. Sie machten sich zu zweit oder zu dritt auf den Weg die abschüssige Straße hinunter und stützten sich gegenseitig. Nur ein junges Mädchen blieb noch. Ich meinte ihr Gesicht zu kennen, konnte es aber erst einordnen, als sie fast unmittelbar vor mir stand.

»Hallo, du«, sagte sie schüchtern. Es war Polly, Jeremiahs Dienstmädchen.

»Hallo«, antwortete ich. Etwas Interessanteres fiel mir nicht ein, obwohl ich mir das Hirn zermarterte, und so blieben wir stumm voreinander stehen. Sie sah müde und durchgefroren aus. Sie trug keine Handschuhe, ihre Knöchel waren rot und ihre Fingerspitzen blau.

»Besser, ich gehe jetzt«, sagte sie schließlich. »Ratchet wäre ganz schön wütend, wenn er wüsste, dass ich mit dir gesprochen habe.« Dann machte sie kehrt und sprang davon. Sie tat mir ein bisschen leid mit ihren dürren Steckenbeinen und der roten Nase. Dass Jeremiah Ratchet nicht unbedingt der sympathischste Dienstherr war, konnte ich mir lebhaft vorstellen.

Joe stand lässig gegen die Leiter gelehnt und sah zu uns herüber, plötzlich aber drehte er den Kopf in eine andere Richtung. Als ich seinem Blick folgte, sah ich ein zweites Mal die kleine gebeugte Gestalt mit der Schaufel auf der Schulter. Während des ganzen Spektakels hatte sich der Mann im Hintergrund gehalten, sein kantiges Gesicht war ausdruckslos geblieben. Jetzt ging er, im Gegensatz zu den anderen Dorfleuten, bergauf in Richtung Kirche. Joe sah ihm nach, wie er durch das Friedhofstor verschwand, und zwinkerte mir zu.

»Beeil dich«, sagte er, dann marschierte er los und folgte dem gebückt gehenden Fremden. Ich zog die Tür hinter mir zu, und vor Aufregung lief mir ein leichtes Kribbeln über den Rücken.

Загрузка...