Kapitel 14

Von Fröschen und Beinen

Am nächsten Morgen erwachte Ludlow vom Duft warmen Brotes. Joe stand vor dem Kamin und war dabei, die Endstücke eines Brotlaibs zu rösten, die er auf den Schürhaken gespießt hatte.

»Genau zur rechten Zeit«, sagte er, als Ludlow aus seiner Ecke kam. »Hast du gut geschlafen? Also, ich war ein bisschen durcheinander.«

»Gut, ganz gut«, nuschelte Ludlow gähnend.

Joe ließ das geröstete Brot auf einen Teller gleiten und setzte sich an den Tisch. »Ich habe gestern Nacht vergessen, die Tür abzuschließen. Wir hätten sozusagen im Schlaf ermordet werden können.«

Ludlows Wangen wurden so heiß wie das Röstbrot.

Unbeirrt fuhr Joe fort: »Nun, du hast jetzt Zeit zum Nachdenken gehabt. Willst du bleiben? Die Arbeit ist nicht schwer. Du wärst mir eine große Hilfe.«

»Ich würde gern bleiben«, sagte Ludlow. »Sehr gern.«

»Dann also abgemacht. Und nun wollen wir frühstücken.«

In der Stadt hätte Ludlows Frühstück aus einem verschimmelten Stück Brot oder zähem Haferbrei bestanden. In Pagus Parvus, im Hinterzimmer des Geheimnis-Pfandleihers, war es ein wahres Festmahl. Der Tisch war überreichlich gedeckt mit geröstetem Brot, gekochten Hühnereiern, dicken Scheiben rosa Schinken, goldgelber Butter und zwei Krügen, der eine mit Bier, der andere mit frischer Milch. Sogar Besteck gab es, doch davon ließ sich Ludlow nicht bremsen: Er aß, als wäre es die letzte Mahlzeit seines Lebens. Joe sah ihm zu und staunte über den Appetit des Jungen, als Ludlow einen zweiten Becher Milch hinunterstürzte und dann die Fleischpastete in der Mitte des Tisches ins Visier nahm.

»Die hat der Fleischer heute Morgen vorbeigebracht«, sagte Joe. »Und der Bäcker das Brot. Was für eine Gastfreundschaft.«

»Vielleicht wollen die Leute nur, dass Ihr mehr von ihrem alten Plunder kauft«, murmelte Ludlow.

Joe biss von seinem Brot ab und spülte mit einem Schluck Bier nach. Mit einer Serviette, die auf seinen Knien lag, tupfte er sich das Kinn ab. Solch vornehme Umgangsformen hatte Ludlow noch nie erlebt, und er wischte sich verstohlen mit dem Ärmel über den Mund. Danach wartete er ausnahmsweise, bis er hinuntergeschluckt hatte, bevor er sprach.

»Obadiah tut mir eigentlich leid«, sagte er. »Ich glaube, er ist ein anständiger Mann.«

»Anständig zu sein ist nicht immer genug«, sagte Joe.

»Ihr habt sicher schon viele Geschichten dieser Art gehört?«

Joe nickte. »Auch viele, die noch schlimmer waren. Aber das ist wohl kaum ein Trost für den armen Kerl. Wenn man ihn erwischt, wird er mit Sicherheit ins Gefängnis gesteckt oder am nächsten Baum aufgeknüpft.«

»Und Jeremiah? Was ist mit ihm?«

Joe zog die Stirn in Falten. »Er würde alles abstreiten. Was gibt es schließlich schon für einen Beweis, dass Jeremiah hinter der Sache steckt? Hier steht das Wort eines Armen gegen das Wort eines Reichen. Das Urteil wäre so gut wie gesprochen. Ich fürchte, Jeremiah hat das ganze Dorf so fest in seiner Gewalt, dass es niemand hier wagen würde, ihn anzuklagen, geschweige denn ihn zu verurteilen.«

»Meint Ihr, dass Obadiah das Geld reicht?«

»Für den Moment schon«, sagte Joe. »Er wird zumindest seine Miete zahlen können. Aber ich frage mich, was Jeremiah sonst noch auf Lager hat.«

»Vielleicht können wir Obadiah noch irgendwie anders helfen«, sagte Ludlow.

Joe schüttelte den Kopf. »Nein, nein. In den Lauf der Dinge darf ich nicht eingreifen. Unsere Aufgabe ist es, Geheimnisse zu hüten. Steht ein Geheimnis erst mal im Buch, ist die Angelegenheit abgeschlossen. Genau genommen sollten wir auch jetzt nicht darüber sprechen.«

»Es gibt also gar nichts, was wir tun könnten?«

Joe schwieg.

Das Geschäft ging den ganzen Tag stoßweise, und bei Ladenschluss gab es in Joes Schaufenster zusätzlich eine Blumenvase in griechischem Stil, lederne Hosenträger mit Silberschnallen (eine davon fehlte), ein Paar robuste abgewetzte Stiefel (mit nur unwesentlich schief getretenen Absätzen) und eine Reihe Zierknöpfe aus Messing. Der Nachttopf stand in der Ecke neben dem Holzbein. Am späten Nachmittag war Ludlow gerade dabei, die Knöpfe im Schaufenster neu anzuordnen, da merkte er, dass er Zuschauer hatte. Drei Jungen standen draußen – dieselben drei, die gestern in der Menge standen, als Joe sich vorgestellt hatte. Ihre Körpergröße nahm von rechts nach links ab. Sie drückten ihre Gesichter gegen das Fenster, waren aber anscheinend zu schüchtern, um hereinzukommen. Joe ging zur Tür.

»Kann ich euch helfen, Jungs?«, fragte er und musterte sie mit seinem durchdringenden Blick.

Der Jüngste zeigte sich als der Mutigste. »Wir haben nichts zu versetzen«, sagte er, »aber wir wollen den Frosch sehen.«

Joe lachte. »Aber natürlich, tretet näher!« Die drei kamen herein, hintereinander, wobei der Jüngste nun an die letzte Stelle geschubst wurde.

Es waren die Brüder Sourdough, die Söhne der Bäckersleute Ruby und Elias. Sie traten vor den Glasbehälter und betrachteten respektvoll das farbenprächtige Tier, das ihr Interesse dadurch erwiderte, dass es ihnen prompt den Rücken kehrte.

»Wie heißt er?«, fragte der Mittlere der drei.

»Sie«, verbesserte Joe. »Sie heißt Saluki.«

»Was frisst sie?«

Joe zeigte ihnen die Tüten voll glibberiger, zappelnder Würmer und die gepanzerten Insekten, die Saluki fraß. Dann durften sie dem Frosch ein paar von den schmackhaften Leckerbissen durch eine Öffnung im Deckel des Behälters zuwerfen.

»Kann ich ihn mal halten?« Diesmal war es der Jüngste, der fragte.

»Darf ich«, verbesserte Joe. »Dass du ihn halten kannst, denke ich mir schon. Ist ja nicht schwer, einen Frosch zu halten. Du willst lediglich um meine Erlaubnis bitten.«

»Darf ich?«, fragte der Junge zappelnd vor Ungeduld.

»Nein.« Bei allen folgenden Besuchen (die Sourdough-Brüder kamen täglich) baten sie erneut darum, und wenn Joe auch fand, dass die Jungen für ihren Optimismus und ihre Beharrlichkeit zu bewundern seien, gab er ihnen doch stets eine abschlägige Antwort, mit der Begründung, Saluki gehöre nicht zu der Art von Fröschen, die sich gern in der Hand halten ließen.

»Würde sie davonspringen?«

»Sie ist ein Baumfrosch«, erklärte Joe. »Mehr ein Kletterer als ein Springer.«

»Woher habt Ihr sie?«

Ein träumerischer Ausdruck kam in Joes Augen. Er hakte die Daumen in die Westentaschen und wippte auf den Absätzen vor und zurück.

»Sie kommt aus einem Land auf der anderen Seite der Welt, dort, wo sich die Erde nach Süden wölbt. Da gibt es Tiere, die ihr euch im Traum nicht vorstellen könnt.«

»Habt Ihr den Frosch selber gefangen?«

»Sie war ein Geschenk«, sagte Joe. »Ein Geschenk von einem alten Mann an einen Jungen in eurem Alter.«

Die Sourdough-Brüder kicherten.

»Doch, sogar ich bin mal jung gewesen«, sagte Joe.

Fast jeden Tag, wenn die Jungen in den Laden kamen, erzählte Joe ihnen etwas. Er faszinierte sie mit Geschichten von all den fernen Ländern, die er besucht hatte, von Bergen, die Feuer und geschmolzenes Gestein spuckten, von Wäldern, in denen die Bäume so hoch waren, dass auf dem Waldboden immer kalte Nacht herrschte, obwohl ihre Blätter von der Sonne versengt wurden. Er sprach von Schiffen und Städten, die auf dem Grund des Ozeans lagen, von den gefrorenen eintönigen Weiten, wo niemals die Sonne hinkam. Doch eines gab es, wovon er ihnen nie erzählte, sosehr sie auch flehten und bettelten.

»Erzählt uns von dem hölzernen Bein«, drängten sie ihn.

Und immer schüttelte Joe den Kopf. »Heute nicht«, sagte er dann. »Vielleicht morgen.«

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