Kapitel 28

Perigoe Leafbinder

Perigoe Leafbinder war seit mehr als dreißig Jahren im Buchgewerbe tätig, und daran erinnerte sie gern, wenn jemand in ihren Laden kam. Sie wusste von jedem Buch, das gedruckt worden war, und sie verdiente ganz ordentlich, wenn auch nicht gerade durch die Einheimischen. Obwohl es an den dunklen Abenden außer Lesen kaum etwas anderes zu tun gab, hatten nur wenige sich diese Fähigkeit angeeignet. Perigoe unterhielt einen gut funktionierenden Zustelldienst und belieferte mit Pferd und Wagen den Norden der Stadt. Dort wohnten die Reichen und Müßigen, die Bücher nur kauften, um ihren Lebensstil und ihre geistige Überlegenheit zu zeigen. Perigoe hatte schon früh gelernt, dass es nicht schwer war, mit der Eitelkeit anderer Menschen Geld zu verdienen.

Sie war eine kleine Frau, fast eine Zwergin, mit vergrämtem Gesicht und schiefem Lächeln. In den vergangenen Monaten hatte sich an ihrem linken Auge ein lästiges Zucken ausgeprägt, das sich verstärkte, sobald sie nervös wurde. Leider war das ein Zustand, in dem sie sich meistens befand, und so kam es, dass sie fast ständig zwinkerte. Eine runde Brille saß auf ihren geblähten Nasenlöchern, die beinahe so aussahen, als wären sie eigens zum Tragen einer Brille geformt. Sie machten Brillenbügel überflüssig: Die Brille fiel auch dann nicht herunter, wenn sich Perigoe vorbeugte. Seit dem Tod ihres Mannes vor mehr als drei Jahren hatte sie sich angewöhnt, ausschließlich Schwarz zu tragen, und so war sie wegen ihrer geringen Größe und ihrer Kleidung im Halbdunkel ihres Buchladens oft kaum zu erkennen. Sie fand Vergnügen daran, aus dunklen Ecken aufzutauchen und unschlüssigen Kunden so unerwartet auf den Rücken zu klopfen, dass diese erschrocken zusammenfuhren.

Joe ließ Ludlow draußen warten, betrat den Laden und blieb ein paar Minuten stehen, um die Umgebung zu mustern. Er musste sich ein wenig vorbeugen, und als er den Hut abnahm, strich sein ungebändigtes Haar über die Eichenbalken unter der Decke. Regale zogen sich an den Wänden entlang, und im ganzen Raum standen eng nebeneinander Reihen von Bücherregalen. Joe ging zwischen den Regalreihen hindurch und fuhr mit seinen langen Fingern über die dunklen Buchrücken. Es schien keine bestimmte Ordnung zu herrschen: Romane standen neben wissenschaftlichen Werken, Kunst neben Mathematik, antiquarische neben neuen Büchern.

Wie aus dem Nichts erschien Perigoe und tippte ihn mit ihrem verhutzelten Zeigefinger an.

»Mr Zabbidou, glaube ich?« Ihre Stimme war fast unhörbar. Perigoe sprach immer, als befürchte sie, jemand könne lauschen.

»So ist es«, antwortete Joe. »Freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Mrs Leafbinder.« Er nahm ihre blutleere Hand in seine und küsste sie in aller Form.

Für einen Moment überließ ihm Perigoe ihre Hand und dachte flüchtig an eine Zeit, in der sie bei einer solchen Geste errötet wäre.

»Wie kann ich Euch helfen?«, fragte sie und zwinkerte dreimal.

»Ich suche ein Buch über Tiere«, sagte Joe. »Speziell eines über Amphibien, von S. E. Salter. Ich hatte gehofft, Ihr könntet diesen Band haben.«

»Ich glaube, ich habe ihn«, sagte Perigoe und glitt davon, so schwebend, als habe sie keine Füße. Sie war schnell zurück und reichte Joe das Buch, eine schmale gebundene Ausgabe mit Farbtafeln. Er hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger und sah Perigoe tief in die Augen. Es fiel ihr schwer, seinem Blick auszuweichen.

»Ich dachte, Ihr würdet vielleicht gern ein Gläschen mit mir trinken«, schlug er vor. »Heute Nacht?«

Perigoe nickte langsam, und ihr Augenlid zuckte wie ein Blatt Papier im Wind. Sie hätte gern zur Seite geschaut, aber das war aus irgendeinem Grund nicht möglich. Eine leise Melodie wie von Vogelgezwitscher am frühen Morgen ging ihr durch den Kopf, und ihre knochigen Finger fingen an zu kribbeln, als hätte sie in Brennnesseln gegriffen.

»Um Mitternacht?«

Wieder nickte Perigoe.

»Bis dahin also«, sagte Joe und brach damit den Bann. Er ging zur Tür und hielt das Buch in die Höhe.

»Was schulde ich Euch?«

Perigoes Herz flatterte wie eine gefangene Motte, sie musste sich an einem Regal festhalten. »Es kostet nichts«, flüsterte sie.

Als Joe nach dem Türknauf griff, verdunkelte ein Schatten auf der anderen Seite den Türrahmen. Er hörte schweres Atmen, und schon platzte Jeremiah Ratchet herein wie eine Flasche obergäriges Bier, aus der der Korken knallt. Als er Joe sah, schnaubte er verächtlich. Joe trat ein wenig zurück und machte den Eingang frei, dann tippte er zum Gruß an seinen Hut und ging hinaus, ohne sich umzuschauen.

Auf dem Rückweg zum Leihhaus fragte sich Ludlow, was Jeremiah bei Perigoe wohl zu tun gehabt hatte. Ein Büchermensch war er ganz sicher nicht. Ludlow versuchte, den Titel auf Joes neuem Buch zu lesen, aber die Falten des Umhangs verdeckten es.

Von außen betrachtet hatte Perigoe Leafbinder, verglichen mit den meisten anderen Dorfbewohnern, ein gutes Leben. Sie besaß ein erfolgreiches Geschäft, an Geld mangelte es ihr nicht. Sie hatte ein schönes Eheleben gehabt und war nun genauso zufrieden in ihrem Witwenstand. Trotzdem fand sie sich um Mitternacht unter den drei goldenen Kugeln ein. Wie so viele andere aus Pagus Parvus hatte auch sie ein quälendes Geheimnis, das ihr keine Ruhe ließ. Im Licht des zunehmenden Mondes hob sie den Arm.

Joe öffnete die Tür, bevor sie klopfen konnte.

»Mrs Leafbinder«, sagte er, »ich habe Euch erwartet.«

Leise schlüpfte Perigoe in den Laden, und Joe führte sie in den hinteren Raum.

»Was sind das eigentlich für Geschäfte, die Ihr spätnachts hier abwickelt?«, fragte sie, und ihr Augenlid zuckte wild.

»Ich kaufe Geheimnisse.«

Nervös rückte Perigoe ihre Brille zurecht, während sie über Joes Auskunft nachdachte. Schließlich sagte sie: »Ich habe ein Geheimnis, das ich gern verkaufen würde. Wollt Ihr es haben?«

»Aber selbstverständlich«, erwiderte Joe und reichte ihr ein Glas. »Ich bin sicher, ein Geheimnis von Euch ist von höchster Qualität und wird wohl eine schöne Summe wert sein.«

Perigoe errötete. Sie zwinkerte zweimal, nippte an dem süßen Schnaps und begann.

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