Kapitel 26

Auszug aus dem

Schwarzen Buch der Geheimnisse

Das Geständnis des Sargmachers

Ich heiße Septimus Stern und ich habe ein grässliches Geheimnis. Es verfolgt mich schon seit fast zwanzig Jahren. Wohin ich auch komme, überall lauert schon sein Schatten, und wenn ich am wenigsten damit rechne, stürzt es sich auf mich, quält mich wieder eine Nacht, macht meinen Hass auf mich selbst noch größer, als er schon ist.

Ich bin ein Gefangener meines Gewissens, und Ihr, Mr Zabbidou, seid meine letzte Hoffnung.

Von Beruf bin ich Sargmacher, und zwar ein guter. Im Lauf der Jahre habe ich mir landauf, landab einen Namen gemacht, und die Arbeit ging mir nie aus. Mag sein, es kommt Euch sonderbar vor, dass ich vom Unglück anderer lebe, aber ich bin kein sentimentaler Mensch, Mr Zabbidou. Ich bin überzeugt, dass ich denen helfe, die mich brauchen – ungeachtet der traurigen Begleitumstände –, und ich verdiene mein Geld redlich.

Eines Morgens im Spätherbst kam zu früher Stunde ein Fremder in meine Werkstatt. Er behauptete, er sei Arzt, und wünschte mit Dr. Sturgeon angesprochen zu werden.

»Einer meiner Patienten ist gestorben«, sagte er kummervoll. »Ich brauche einen Sarg.«

Er schien ein wenig zerfahren, aber das war nichts Ungewöhnliches. Ich sagte also, das sei mein Geschäft und ich könne ihm sicher helfen.

»Man hat mir versichert, dass Ihr ein guter Sargmacher seid«, fuhr er fort. »Ihr sollt mir etwas Besonderes machen.«

Wieder dachte ich mir nichts bei seinem Wunsch. Ich nahm an, er meinte, ich solle den Sarg mit einem luxuriösen Stoff ausstatten, Seide vielleicht, oder ich solle teureres Holz verwenden. Manchmal wurden auch Gold-oder Silbergriffe und Beschläge verlangt. Ich sagte ihm, dass ich all das schon gemacht hatte, aber er schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist es nicht, was ich möchte. Vielleicht erinnert Ihr Euch an den Fall kürzlich, als ein junger Mann beerdigt wurde, obwohl er noch lebte. Ich möchte jedoch gleich hinzufügen, dass nicht ich ihn für tot erklärt habe. Aber sicher könnt Ihr Euch die Verzweiflung seiner Angehörigen vorstellen, als man später herausfand, dass der junge Mann vergeblich versucht hatte, sich aus dem Sarg zu befreien.«

Ich sagte Mr Sturgeon, dass ich mich allerdings an den betreffenden Fall erinnerte, denn ich hatte den Sarg geliefert. Der Tote war im Grab der Familie beigesetzt worden. Einen Monat später, als nach dem Tod eines weiteren Familienmitglieds das Grab geöffnet wurde, fand man den Sarg auf die Seite gewälzt. Der Deckel wurde geöffnet, aber es war natürlich zu spät. Die Leiche war bereits in Verwesung übergegangen, trotzdem ließ sich noch deutlich erkennen, dass die Hände des jungen Mannes nicht mehr seitlich am Körper lagen und dass sein Mund in einem schmerzvollen Ausdruck der Verzweiflung geöffnet war.

»Ich möchte sichergehen, dass eine solche Tragödie nicht noch einmal vorkommt.«

Ein verständlicher Wunsch, dachte ich und hörte zu, als er seine Vorstellungen erläuterte: Der Sarg sollte mit einem Mechanismus versehen sein, der Luft im Innern zirkulieren lässt, für den Fall, der Verstorbene würde aufwachen. Wir vereinbarten einen Preis, und da die Zeit drängte, machte ich mich sofort an die Arbeit. Es war keine schwierige Konstruktion, am Sarg musste lediglich ein bis zur Erdoberfläche reichendes Rohr befestigt werden, durch das die Luft einströmen konnte. (Der Doktor bestand darauf, die Sache geheim zu halten – möglicherweise würde sich der Pfarrer darüber aufregen, so hatte er erklärt.) Spätnachts war ich mit dem Sarg fertig. Ich lieferte ihn am nächsten Tag an die Adresse, die ich bekommen hatte, ein großer Landsitz, ein paar Reitstunden entfernt. Der Doktor öffnete selbst.

»Willkommen«, sagte er. »Der Gutsherr ist heute ein wenig unpässlich. Er hat mich gebeten, die Sache für ihn zu regeln.«

Er winkte mich herein, und wir gingen an einer offenen Tür vorbei. Als ich einen kurzen Blick hineinwarf, sah ich einen Mann, den ich für den Gutsherrn hielt, er saß reglos in einem Sessel am Fenster. Er war blass, alt und sah recht krank aus. Der Doktor untersuchte den Sarg gründlich und stellte viele Fragen hinsichtlich seiner zuverlässigen Funktion. Endlich, als er ihn für gut befunden hatte, trugen wir ihn in den Keller hinunter.

»Die Verstorbene ist die Frau des Gutsherrn«, sagte er. »Sie liegt im Keller, wo es kühl ist.«

»Wie ist sie gestorben?«, fragte ich, während wir die sperrige Last mühsam die Treppe hinunterschafften.

»Schüttelfrost«, sagte er. Mitteilsamer war er nicht.

Endlich waren wir unten. Die Temperatur war hier sehr viel niedriger als oben, und ich sah die Frau des Hauses auf einem Tisch aufgebahrt. Sie sah blass aus, aber friedlich, und entgegen meinen Erwartungen zeigte sie keine äußeren Anzeichen einer Krankheit. Ich weiß nicht, woran es lag, aber plötzlich war mein Misstrauen geweckt. Sie wirkte so ruhig und entspannt, dass man schwer glauben konnte, sie sei tot, aber natürlich gab es auch keine Spur von Leben in ihr. Ein merkwürdiger Geruch hing im Raum, den ich damals der Feuchtigkeit zuschrieb.

»Wie schrecklich«, murmelte ich.

»Allerdings«, erwiderte der Doktor, und ich sah, dass er trotz der Kälte hier unten schwitzte. Er streichelte zärtlich die Hand der Toten, was mir unangebracht schien, so wie es mich überhaupt irritierte, wie besorgt er um sie war. Schließlich war sie nicht seine Frau.

»So jung und schön«, sagte er. »Der Pfarrer kommt heute Nachmittag, sie soll in der Familiengruft beigesetzt werden.«

Kaum hatten wir den Sarg abgestellt, schien es der Doktor eilig zu haben, mich zu verabschieden. »Ihr solltet Euch besser nicht länger aufhalten«, drängte er. »Das Wetter schlägt um und der Tag ist bald zu Ende. Ich möchte Euch nicht gern nachts auf der Landstraße wissen. Sie ist berüchtigt wegen ihrer Wegelagerer.«

Ich entnahm seinem Ton, dass ich länger geblieben war als erwünscht, und so brach ich unverzüglich auf. Mir kam das Wetter nicht schlechter vor als am Morgen, im Gegenteil, es schien mir sogar besser, doch war ich froh, dieses Haus hinter mir zu lassen. Meine Arbeit war gut entlohnt worden, und doch spürte ich einen nagenden Zweifel in mir, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Der Geruch, der in diesem Keller geherrscht hatte, blieb mir tagelang in der Nase.

Ein paar Monate später hatte ich zufällig wieder in dieser Gegend zu tun. Einer spontanen Eingebung folgend bog ich an der Weggabelung zur Einfahrt des Gutshauses ab und blieb vor dem Tor stehen. Es war abgesperrt, doch durch die Stäbe sah ich, dass das Haus verschlossen und der Garten verwildert war. Am Torpfosten hing ein Schild, das Anwesen sei zu verkaufen, Interessenten sollten sich an die Makler Cruickshank und Butterworth in der Stadt wenden. Da ich ohnehin auf dem Weg in die Stadt war, ging ich in das Maklerbüro, um mich nach dem Aufenthaltsort des Gutsherrn zu erkundigen. Ich sprach mit Mr Cruickshank, einem äußerst liebenswürdigen Mann, der bereitwillig auf meine Fragen einging und mir umfassend antwortete.

»Eine merkwürdige Sache«, sagte er. »Erst stirbt die Frau und dann der Gutsherr. Nur der Sohn lebt noch. Er hat das Ganze geerbt. Er ist ins Ausland gegangen und hat uns beauftragt, den Besitz in seinem Namen zu verkaufen. Das dürfte ihm ein kleines Vermögen einbringen.«

»Es gibt einen Sohn?«, fragte ich zweifelnd.

»Ja, ein Doktor.«

»Wie ist denn der alte Herr gestorben?«, fragte ich.

»Nun, das ist eine noch merkwürdigere Geschichte. In der Nacht nachdem man die Frau beerdigt hatte, hörte der Doktor Schreie aus dem Zimmer seines Vaters. Er rannte hinauf und fand seinen Vater halb tot im Bett liegen, das Gesicht rot angelaufen, anscheinend zu keiner Bewegung mehr fähig und kaum mehr in der Lage, zu sprechen. Er sagte dem Doktor noch, er sei aufgewacht, weil seine tote Frau auf ihm kniete und ihn würgte. Kurz darauf starb er. Der Schock hat ihn umgebracht – er hatte eine schwache Konstitution, und sein Herz hielt die Belastung nicht aus. Der Sohn tut mir leid. Mit einem Schlag hat der arme Kerl Vater und Stiefmutter verloren.«

»Ihr meint, die Tote war nicht seine Mutter?«

Mr Cruickshank schüttelte den Kopf. »Seine leibliche Mutter starb, als er noch ein Junge war, und sein Vater hat wieder geheiratet. Die hübscheste Frau, die ich je gesehen habe, aber sie war fast vierzig Jahre jünger als er. Ich weiß nicht, was sie an ihm fand.«

Ich dankte Mr Cruickshank für seine Zeit und machte mich auf den Weg, noch unruhiger als vorher. Meine Neugier war befriedigt, aber meine Bedenken nicht zerstreut worden. Wie ich mir vorgenommen hatte, ging ich anschließend zum Apotheker, um eine Arznei gegen Husten zu kaufen. Kaum hatte ich den Laden betreten, überwältigte mich ein starker, unverwechselbarer Geruch, und ich blieb wie angewurzelt stehen. Es war derselbe Geruch, den ich im Keller des Gutshauses wahrgenommen hatte. Als der Apotheker die Ladenglocke bimmeln hörte, kam er aus dem hinteren Raum.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragte ich rundheraus.

»Ah«, sagte er verschwörerisch. »Das ist ein ganz besonderes Schlafmittel, eine meiner Eigenmischungen. Hochwirksam, sehr stark. Es versetzt einen Menschen in Tiefschlaf, wobei die betreffende Person fast leblos aussieht und keinerlei Schmerzempfindung hat. Ich denke, Krankenhausärzten wird dieses Mittel bei Operationen sehr hilfreich sein.«

»Sagt mir«, fuhr ich mit klopfendem Herzen fort, »kennt Ihr einen Dr. Sturgeon?«

»Einer meiner besten Kunden«, sagte der Apotheker stolz. »Er schwört auf dieses Mittel, er sagt, es sei das beste und einzige gegen seine Schlaflosigkeit gewesen.«

Ich nahm meinen Hustensaft und machte mich schweren Herzens auf den Heimweg. Nun kannte ich das wahre Ausmaß der Täuschung, in die ich unwissentlich hineingezogen worden war. Was für ein vertrackter Plan! Nur ein teuflisches Gehirn konnte ihn ersonnen haben. Wie soll man schließlich einen Geist wegen Mordes vor Gericht bringen?

Ihr müsst wissen, Mr Zabbidou, ich stelle es mir so vor: Der junge Doktor verabreichte der Frau seines Vaters das Schlafmittel und redete seinem Vater ein, sie sei gestorben. Dann ließ er sie in dem von mir angefertigten Sarg beerdigen. Durch das Rohr konnte sie weiteratmen, und als die Wirkung des Schlafmittels nachließ und er sie in der Nacht des Beerdigungstages aus dem Grab befreite, war sie quicklebendig. So lebendig, dass sie am Bett ihres Mannes erscheinen und ihn halb erwürgen konnte – wohl wissend, dass er ein schwaches Herz hatte. Auf diese Weise erbte der Doktor nicht nur das Anwesen seines Vaters, sondern auch dessen junge Frau. Zweifellos genießen die beiden jetzt die Früchte ihrer Gottlosigkeit in einem fernen Land.

Ich kann es mir nicht verzeihen, dass ich selbst eine Rolle bei diesem Plan gespielt habe. Ihr seid der einzige Mensch, Mr Zabbidou, der davon weiß. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sonst noch jemand dahinterkommen könnte. Die Leute sagen, man kann Euch vertrauen, und ich glaube ihnen. Ich denke, jetzt kann ich wieder schlafen.

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