23

Jim sah, daß ihre Turnschuhe dreckig waren, der halblange Mantel, den sie nicht zugeknöpft hatte, da die Sonne schien, schlug gegen ihre Schenkel, kräftige, nicht allzu lange Schenkel, er bildete sich ein, das Geräusch zu hören, ein leises Flappen von Stoff. Sie lief vor ihm her. Etwas zu kräftige, aber hübsche Beine, die gleichmäßig auf- und niederfuhren, auf und ab, in Turnschuhen, in einem knielangen Mantel, mit nackten Waden, und die Sonne schien, als wäre jetzt wirklich Frühling. Bald ein Jahr, daß er in der Wohnung war. Es gab solche Straßen, in denen die Zeit nicht verging. Häuser standen da, wurden renoviert, vermietet, Bewohner zogen ein und zogen aus, und doch blieb alles, wie es war, ruhig, friedvoll. Er erinnerte sich, wie er die Wohnungstür mit Damians Schlüssel aufgeschlossen und alles vorgefunden hatte, als wäre es für Mae und ihn genau das richtige. Aber er hatte Mae mit Ben zurückgelassen, und die Sirene eines Krankenwagens hatte in seinen Ohren gegellt, während er losgelaufen war, wie Ben geraten hatte, sieh zu, daß du wegkommst. Mae hätte die Straße gemocht und den kleinen Garten, auch wenn es nur ein Streifen mit Gras war. Die junge Frau vor ihm blieb stehen, streckte die Hand aus, als wollte sie nach einer der Platanen greifen, deren Stämme aussahen wie gefleckte Tierhaut. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, bog nach rechts ab. Ihr Rücken straffte sich, als hielte sie den Atem an. Jim summte ein paar Töne. Für einen Augenblick dachte er, daß er sie ansprechen könnte, er fühlte sich plötzlich leicht und voller Hoffnung, als wäre ein Fluch von ihm genommen. Sein Vater hatte geflucht, er hatte Jim verflucht, und in der Kirche, von alten Leuten wurde man verflucht, die eigenen Taten verfluchten einen, dachte Jim und summte, das Unrecht, die Strafe, die ausblieb, das, woran man sich nicht erinnerte. Man erinnerte sich nie, dachte er und blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Sie hatten die Leighton Road erreicht und näherten sich Kentish Town Station, die Frau zog aus der Jakkentasche das gelbe Mäppchen für die Zeitkarte, schob sie in den Schlitz und passierte die Barriere. Eine dicke Person mit Einkaufstaschen drängte sich an Jim vorbei, die Rolltreppe, sah er, war außer Betrieb, man mußte links die Wendeltreppe benutzen. Die Dicke schimpfte, sie zog den Blauuniformierten, der aus seinem Glashäuschen kam, am Ärmel, es roch nach Kaugummi und billiger Seife, Jim schlüpfte ohne Fahrkarte durch die Barriere, die offenstand, der Luftzug aus dem Schacht war stickig, er sah die flachen Stufen, die sich um den Kern in die Tiefe drehten, das Geländer, das abgegriffen war, die gefliesten Wände. Hinunter. Außer dem Luftzug, der leise pfeifend aus dem Erdinneren kam, war nichts zu hören. Dort eilte die junge Frau die Stufen hinunter, lautlos in ihren Turnschuhen, behende. Jim preßte die Lippen zusammen, ihn schwindelte, er hatte das Gefühl, nur die Hand nach ihr ausstrecken zu müssen. Rannte die Wendeltreppe hinunter, in das gelb-grüne, matte Licht, schwitzte plötzlich, weil es eng war und beklemmend, — irgendwann werden sie einen Tunnel in die Luft sprengen, hatte Albert beharrt, du wirst sehen, wie das ist, wenn so ein Tunnel einstürzt und alle losbrüllen im Dunkeln. Ein alter Mann tastete sich vorsichtig am Geländer entlang, Jim überholte ihn, schneller, immer schneller lief er, war schon unten, sicher, daß sie in die Stadt, nach Süden fuhr, aber auch wenn er den Bahnsteig richtig wählte, könnte sie doch schon eingestiegen, abgefahren sein. Er stolperte, prallte fast gegen die Wand, noch eine letzte Biegung, sechs Stufen zum Bahnsteig. Da war er, spürte den Luftzug stärker werden, sah die Rücklichter, die digitale Anzeige klackerte. Er kannte nicht einmal ihr Gesicht. In der Luft war Staub, Geruch nach stikkiger Wärme, nach Ersticken, er verzog angeekelt den Mund, die Dicke näherte sich, der Alte, die Digitaltafel verkündete den nächsten Zug, Bank Branch.

Dave stand trotz seines Verbotes eines Tages vor der Tür, in einem zu großen, verdreckten Anorak, mit einem Bluterguß, der unterm Auge verlief. Er war auf die Verachtung gefaßt gewesen, mit der Jim ihm öffnete, stand schuldbewußt da, aber dann winkte Jim ihn herein und holte aus dem Kühlschrank zwei Bier, knallte eins ärgerlich auf den Tisch vorm Sofa, bedeutete Dave, daß er sich hinsetzen solle. Da hockte Dave. Er erinnerte Jim an Hisham, hatte irgend etwas Sanftmütiges, so wie die, die gegen den Krieg demonstrierten, gegen das Böse, Hunderttausende, friedfertig und entschlossen, und Dave sah ihn an, als glaube er an das Gute. Hockte da, erzählte von einem Hinterhalt, in den sie ihn gelockt hatten, ein paar aus seiner Schule, die sich freiwillig melden wollten, und er hatte etwas darüber gesagt, daß es nicht die Schuld der Irakis wäre, nicht die Schuld der Leute, erzählte etwas von einer Schlägerei, deswegen, weil er gegen den Krieg war, und Jim grinste, ließ ihn reden, brachte ihm ein zweites Bier, wartete noch ein bißchen und gab ihm, als er schläfrig wurde, eine Decke. Dankbar sah Dave ihn an. Aber Jim zog ihm mit einem Ruck die Decke wieder weg, hielt sie in die Luft, als spielte er mit einem Hund, und Daves Gesicht verzog sich ängstlich, gleich würde er losheulen, er bewegte sich unruhig hin und her und zitterte, weil sein Versteck nicht taugte, seine Lüge nicht taugte. Kein Versteck taugt für lange, dachte Jim, es brach an den Rändern auf wie ein Pappkarton, er sah den Jungen dasitzen wie in einem Käfig, es ekelte ihn ein bißchen. — Mann, dein Vater hat dich verdroschen! Stimmt’s? Er trat auf Dave zu, hatte Lust, ihn zu treten, trat ihn gegen die Hüfte, die knochig war. — Dein Vater, stimmt’s etwa nicht? Dave wand sich, er war rot geworden, und Jim lachte, schwenkte die Wolldecke hinauf, hinunter, traf die Glühbirne, Glas zerbarst, die Splitter fielen auf das Sofa, den Tisch, er riß Dave am Arm hoch. — Von wegen Hinterhalt, dein Vater war es; er betrachtete ihn, wie er dastand, überführt, beschämt, noch immer rot. — Und du kleiner Bastard lügst mich an! Zu feige, nach Hause zu gehen, oder wie? Die Bierflasche kippte um. Jim wartete, aber Dave bewegte sich nicht, wehrte sich nicht. Er packte ihn am Schopf, riß ihn zu Boden. Nichts, nicht einmal ein Wimmern. Jim ließ ihn liegen, ging zur Gartentür, öffnete sie. Auf der Backsteinmauer saß eine Amsel, sang. Die hellgelben Spitzen dünner Zweige hingen über die Mauer, es wurde allmählich Abend, es ging allmählich der Tag zu Ende, von der Straße oder aus anderen Gärten hörte man Stimmen, von irgendwo einen aufheulenden Motor, Musik, einen Staubsauger. Jims Gesicht spiegelte sich in der Glastür, es sah hell aus, hell, schön. Er starrte es an. Schön, hell, hatte Mae gesagt. So wie früher, als er ein so hübscher Junge gewesen war wie Dave jetzt, als die Lehrer ihm gesagt hatten, daß es schade um ihn sei, daß er in die Schule gehen müsse, daß er durchhalten solle, hatte ihm ein Lehrer gesagt, als er mit den blauen Flecken, den Striemen, die sein Vater ihm beigebracht hatte, im Sportunterricht erschien. Dave hätte nicht kommen dürfen. Seine eigene Schuld, und er wußte es. Hatte sich auf irgendwas verlassen, auf Jim verlassen, auf seine Gutmütigkeit, oder wie? Jim drehte sich um. — Steh auf, sagte er. Ging in die Küche, holte sich ein Bier, kramte in einer Schublade, holte sich ein Briefchen, weiß und fein, fein und rein, scheiß drauf, dachte er, erwartete jeden Moment Mae zu sehen, hallo Mae, da bist du ja, wie sie auf dem Sofa lag, unter einer Decke, ihn ansah, und die Jungs wollten in den Irak, so wie er früher zur Fremdenlegion, weil sein Vater ihn verprügelt hatte, den Gürtel rasch aus den Schlaufen gezogen, und später wieder, als er sich für Albert den Arsch aufreißen ließ. Aber Dave hatte gelogen. Hatte Prügel bezogen, weil immer irgend jemand Prügel bezog, warum nicht Dave? Er atmete vorsichtig aus, machte sich eine line, atmete tief ein. Dave war aufgestanden, stand einfach da, mit hängenden Armen, trotzig, stolz. — Sie wollen aber in die Armee, sagte er, die Älteren. Und es war wegen meiner Schwester. Dad läßt sie nicht in die Schule. Er sagt, daß die Behörden uns nicht finden werden, weil wir in die Wohnung meiner Tante gezogen sind, und daß sie zurückgeblieben ist, weil sie nicht wächst, daß sie ein Schandfleck ist. — Dann verpfeif ihn doch, sagte Jim gleichgültig. Sag’s doch deinen Lehrern in der Schule, die kommen sofort, darauf kannst du wetten. — Aber er schlägt sie, sagte Dave. Jim richtete sich auf, klarer jetzt, schüttelte sich, als könnte er abschütteln, was ihm durch den Kopf ging, der Junge und Mae, die junge Frau mit ihren nackten Beinen, den Turnschuhen, flink, erwartungsvoll, wie sie die Treppenstufen hinunterlief, ihr Mantel flatterte, und er wußte genau, wie sie aussah, ihre Hüften und ihre Brüste, obwohl er ihr Gesicht noch nicht gesehen hatte, und manchmal glaubte er, daß Mae tot war. Daß sie sich über ihn lustig machte. Die Stimmen, die Toten. Es war nur eine Täuschung gewesen, wie ein Tier, dessen Farbe sich der Umgebung anpaßt. — Wisch das Bier auf, sagte er zu Dave. — Ich könnte etwas zu essen holen? Dave sah ihn hoffnungsvoll an. — Ich könnte aufräumen, etwas zu essen holen? — Von meinem Geld? spottete Jim. Dave wurde wieder rot. — Nein, sagte er, das habe ich nicht gemeint.

Zwei Stunden später lag Dave auf dem Sofa und schlief, die Wolldecke mit beiden Händen festhaltend, das Gesicht ruhig und gerötet. Wachte nicht auf, als Jim den Fernseher anstellte, wieder abschaltete, hinausging und die Tür hinter sich abschloß. Gegen Morgen kam er zurück, Dave hatte tatsächlich aufgeräumt, nachts, in seiner Abwesenheit, und um sieben Uhr ging er.

Der Mann aus Nummer 49 — Dave hatte gesagt, es seien Deutsche — ging vorbei, rotblond, gepflegt und kräftig, einer von denen, die nach dem Einkaufen die Brieftasche so nachlässig einsteckten, daß es nicht einmal Spaß machte, sie zu stehlen, kräftig, gepflegt, und trotzdem sah man, daß er Sorgen hatte. Vielleicht wegen des Kriegs, der nachts angefangen hatte, mit Bomben auf Bagdad, keine Bodentruppen, einen Tag später dann, es war Frühlingsanfang, doch Bodentruppen, und Jim ließ den Fernseher laufen, obwohl er sich darüber ärgerte, weil es ihn nichts anging. Mae hatte es gehaßt, wenn er morgens schon den Fernseher einschaltete, eine dieser Sachen, bei denen sie irgendwelche Prinzipien hatte, zusammen essen, zusammen am Tisch sitzen und essen und keine Schimpfwörter benutzen, als hätten sie Kinder, Kinder mit einer vielversprechenden Zukunft, und sie mochte es nicht, wenn er darüber lachte und sich beim Essen eine Zigarette ansteckte und rauchte. Er lag vor dem Fernseher, rauchte. Ein Heizkörper tropfte, und dann fing der Fernseher an zu flimmern. Triumphierend die Lichter der Treffer, wenn es Treffer waren. Von der Eingangstür blätterte die Farbe. Man sah nicht die Bilder einer zerstörten Stadt, keine weißen Fahnen. Angeblich war Saddam tot, dann lebte er doch. Angeblich kaum Tote, vier oder fünf Tote? Mae hatte gesagt, daß es kaum noch Spatzen gab, kaum noch Spatzen, wo immer sie abgeblieben sein mochten. Im Garten hüpften kleine, gelbliche Vögel, abends sang auf der Mauer eine Amsel. Das Gras wuchs, an der Mauer gab es Osterglocken, er malte sich aus, wie Mae sich bückte, das Gras kurz schnitt, Blumen pflanzte. Die Vögel hatten keine Angst. Mae drehte sich um und lachte ihm zu. Was mit den Sachen aus ihrer Wohnung passiert war, wußte er nicht. Der Fernseher? Klappstühle, die sie gekauft hatten? Sogar ein Sonnenschirm, weil sie nach Brighton fahren wollten?

Der Notfall wurde in einer Station der Circle Line geprobt, die sowieso geschlossen war, und da bot es sich an, war es die Chancery Lane? Aber die Lichter waren ausgefallen, was eine Panik ausgelöst hatte, die medizinische Ausrüstung war zertrampelt worden und ein Arzt verletzt, das Licht war nicht wieder angegangen. Hisham rief Jim an, gab ihm eine Adresse in Holloway, sie würden ihm, sagte er, den ganzen Stoff abnehmen, Serben, Albaner, Zigarettenschmuggler, die hofften, ins Drogengeschäft zu kommen, bevor sie von einer rivalisierenden Bande erschossen wurden. Dave lief, gehorsam den Kopf abgewandt, vorbei.

Nach Holloway ging Jim zu Fuß, zwanzig Minuten lang, um an der verabredeten Straßenecke angesprochen zu werden, sie traten in einen Hauseingang, drei Männer warteten dort, höflich, in billigen, dünnen Anoraks, mit harten, gierigen Augen, und auf der Straße liefen zu stark geschminkte Frauen vorbei. Keine Engländer, dachte Jim. Schlagzeilen verkündeten, daß eine junge Frau erschlagen worden war, vermutlich mit einem Backstein, ohne daß irgend jemand etwas bemerkt hatte, obwohl es am hellichten Tag in einem Park geschehen war. Er ging in ein Pub, nicht weit von Archway, stand am Tresen, summte, das kleine, häßliche Summen, trank einen Schluck. Die Kellnerin musterte ihn aus den Augenwinkeln, aus dem hinteren Teil des Pubs hörte man das Klingeln eines Spielautomaten. Aber Jim hob den Kopf nicht, er summte, mit achtundzwanzig Jahren konnte er noch immer nicht pfeifen. Ein richtiger Junge pfeift, hatte sein Vater verächtlich gesagt. Die Kellnerin stützte sich auf den Tresen und lächelte ihn an. — Denkst du an deine kleine Freundin? Jim sah sie kurz an, antwortete nicht. Hinten klingelte wieder der Spielautomat. Der Mann, der ihm das Geld ausgehändigt hatte, war vermutlich schon vierzig Jahre alt, ein massiger Kerl mit schlechter Haut und unstetem Blick. Jim drehte das Glas hin und her. Mit dreizehn Jahren hatte er sich vorgenommen, von zu Hause wegzulaufen, das war jetzt dreizehn Jahre her. Er hatte an London geglaubt, das war es gewesen, was ihm die Kraft gegeben hatte, mit sechzehn schließlich wegzulaufen. Aber es war ein Schock gewesen, anzukommen und vor dem Bahnhof zu stehen, nach all dem, was er sich ausgemalt hatte, ein Leben, das frei und wild war. Mit Mae wäre er aufs Land gezogen. Er mußte Albert loswerden und Mae finden und genug Geld haben. Aus der Küche kam Essensgeruch, eine Treppe, die mit einer Kordel abgesperrt war, führte in den ersten Stock. Noch immer das enervierende Klingeln des Spielautomaten; Jim drehte sich um, lief in den hinteren Raum, stieß den Jungen, der vor dem Automaten stand und ihn erschreckt anstarrte, so heftig, daß er hinschlug. — Hörst du jetzt endlich auf, du kleine Ratte? Die Kellnerin rief, — Gigi, hau ab, näherte sich, lächelte Jim an. Ohne ein Wort rappelte sich der Junge hoch und verschwand. Jim spürte, wie die Frau ihn abwartend anschaute. Nicht sein Typ, sah er, als er sich umdrehte, eine braunhaarige, füllige Person mit einem stark geschminkten Gesicht, das immerhin vertrauenerweckend aussah. Und das war also Holloway, wie ein schlechter Geruch, dachte er, aber sie hatte geduscht, ihr Haar roch frisch gewaschen, viel dickeres Haar, als Mae es hatte, er faßte es an, was sie geschehen ließ, dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, freundlich, auf eine so selbstverständliche Art, lächelte ihn an. Es war angenehm wie ein handfester Gegenstand, ein greifbares Wohlbefinden, ihre Hand tastete nach seiner, hielt seine Hand einen Moment fest und ließ sie los, um sich dichter an ihn zu schmiegen, ihn in einen kleinen Seitenraum zu drängen, sachte, zwischen Putzeimer und einen Staubsauger, eine kleine Kammer mit dicker staubiger Luft, kein Platz, sich hinzulegen, aber sie war geschickt und zärtlich, so daß er alles vergaß und dann verwundert ihre Lippen spürte, einen sanften, freundlichen Kuß. —Träumer, sagte sie. Die Straße war hell, und nach zweihundert Metern nahm er den Lärm wieder wahr, das Mißtrauen in den Augen, die ihn musterten, eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Seite wich ihm aus, die Luft roch sommerlich, es hatte geregnet, an den Ästen eines Bäumchens glitzerten Tropfen, und ein Kind rannte auf ihn zu, wich im letzten Moment aus, den Luftzug spürte Jim, beinahe die Wärme des kompakten Körpers. Er stolperte, da lag mitten im Weg eine Plastiktüte, die etwas verdeckte, er schob das Plastik mit dem Fuß zur Seite, sah ein Stückchen Fell, eine Ratte, und in all dem lärmenden, hupenden, trostlosen Verkehr blieb er hilflos stehen, während kühler Wind aufkam, Regen seinen Anorak durchnäßte.


Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal krank gewesen war, richtig krank, nicht weil er betrunken war oder wegen irgendwelcher Tabletten, sondern mit Fieber, fiebrig schwitzend wie ein Kind. Jede Berührung schmerzte, als wäre die Haut durchsichtig, durchlässig, könnte die Nerven nicht länger schützen, und gleichzeitig war sie wie ein Panzer, in den er eingesperrt war. Er raffte sich auf, kochte Tee, im Küchenschrank ein einziges Durcheinander, Sachen von Damian, die er ein Jahr nicht angerührt hatte, ein Glas verschimmelter Marmelade, Konserven, schmutziges Geschirr, er rauchte, hustete, das Fieber stieg, und schließlich lag er auf dem Sofa, konnte, als Dave rief und klingelte, nicht aufstehen, hörte hilflos, wie Dave seinen Namen rief, wie Dave die Stufen wieder hinaufstieg und ging. Schlief ein, wachte auf, zu schwach, aufzustehen und zu essen, etwas Reis zu kochen, der auch im Schrank gestanden hatte, aber er konnte nicht aufstehen, er konnte nicht, und was er sah, war in Fetzen gerissen, das Wohnzimmer, die Küche in der Field Street, auf dem Herd richtige Töpfe, und wie Mae ihn auslachte, von den Toten faselte und ihn auslachte, der schwitzte und Schmerzen hatte.

Über der Heizung bewegten sich schwarze Schatten, die junge Frau lief vor dem Fenster vorbei und suchte nach ihm, und wenn er sich konzentrierte, konnte er sie zwingen, sich umzudrehen und ihr Gesicht zu zeigen. Als er zu sich kam, war heller Mittag. Das Handy klingelte, brach ab, klingelte erneut, bis er endlich danach griff, ohne auf dem Display die Nummer zu kontrollieren. Es war Hishams Stimme. — Ich fragte mich, wo du geblieben bist. Die Stimme war ohne Spott. — Nichts mehr von dir gehört, seit Holloway, bist du zu Hause? — Geht dich einen Dreck an, sagte Jim, richtete sich auf. — Kein Problem, aber du klingst, als wärst du krank, bist du krank? fragte Hisham sanft. — Du verdammter Aufschneider, sagte Jim und legte auf.

Am Abend ging er hinaus, weil er Hunger hatte. Er lief hinunter bis zu Pang’s Garden. Der Alte hockte an einem grünen Tischchen und löffelte, mit dem Ellbogen fast den Bildschirm des laufenden Fernsehers berührend, seine Suppe, schlürfte, schluckte, während in der Küche zwei junge Frauen Töpfe schrubbten. Hinter dem Tresen standen drei Männer, hantierten, schwätzten, sie beachteten Jim nicht. Zwei Schwarze kamen herein, sahen zu ihm hin und tuschelten. Er lachte auf, bestellte noch eine Frühlingsrolle. Sie schmeckte bitter.

Als er schließlich hinaustrat, sah er auf der anderen Straßenseite die junge Frau davongehen, sie schaute zu ihm hin, aber es war zu dunkel, um ihr Gesicht zu erkennen. Er summte etwas, fast den Anfang eines Lieds, sie schaute immer noch in seine Richtung, doch dann ging sie weiter, und Jim konnte nicht pfeifen.

Загрузка...