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Bevor sie klingeln konnte, öffnete Alistair ihr die Tür zur Kanzlei, als hätte er auf sie gewartet. — Alles nur eine Idee unseres kleinen Gehirns, sagte er zusammenhangslos. And our little life is rounded with a sleep. Er ging mit hinaus, lehnte sich an die spitz zulaufenden Eisenstäbe, innen war daran ein Fahrrad angeschlossen. — Bentham bat mich heute, ihn beim Spazierengehen zu begleiten, dabei nimmt er in letzter Zeit meist Jakob mit. Er war schwermütig, das ist nicht selten, nur Jakob gegenüber ist er immer heiter, als wollte er ihn schonen, wer weiß. Wir gingen in den Regent’s Park, die übliche Strecke, es waren nicht allzu viele Leute unterwegs, wegen des kühlen Windes, weil es bedeckt war, weil der Park scheußlich aussieht, so vertrocknet, wie er ist. Über das Gras, nicht weit von dem kleinen Rondell, lief eine Frau in Zeitlupe, ihre Hände machten seltsame, eigentlich anmutige Bewegungen, tasteten vor jedem Schritt in der Luft, als wäre viel zu schnell, was man selber tut. Es hat mich so an die Zeitlupe der Aufnahmen von den Twin Towers erinnert, weißt du noch? Wie die Menschen aus den Fenstern stürzten?

Isabelle zog ihre dünne Lederjacke fester um sich und verschränkte die Arme. — Du frierst? fragte Alistair. Jakob kommt gleich runter. Was ist mit dir? Er musterte sie erstaunt und ohne Spott. Dein Gesicht ist ganz anders. Er beugte sich zu ihr und küßte sie auf den Mund, hielt sie an den Schultern und küßte sie weiter, als Jakob in der Tür auftauchte. Dann löste er sich abrupt von ihr, drehte sich zu Jakob um. — Du erlaubst schon, dachte ich mir. Der Spott kehrte in seine Augen zurück, und Isabelle fror bei seinem Anblick, als wisse er alles über sie und Jim und richte über sie. Er warf ihr einen Blick zu, schob sie zu Jakob hin. Wieder spürte sie Hände auf ihren Schultern, auf ihren Lippen andere Lippen, aber es berührte sie nicht. Sie wich einen Schritt zurück, musterte die beiden, wischte sich übers Gesicht. Alistair grinste, stellte sich neben Jakob, lehnte sich an ihn, sie rückten enger zusammen, nur Isabelle erschrak, als um die Ecke ein Motorrad raste, aufheulend weiter beschleunigte, dahinter ein Polizeiwagen, aus dem Beifahrerfenster lehnte sich ein Polizist, hielt etwas, vielleicht eine Waffe. Alistair hatte seinen Arm um Jakob gelegt. Eine schwarze Limousine bremste scharf, fuhr wieder an. Wie auf Kommando wandten sich die beiden Männer Isabelle zu, forschend, abwartend. Sie schaute zum Haus, hoffte Bentham zu sehen oder Maude, jemanden, der ihr ein Zeichen gab, erklärte, was vor sich ging, aber das Haus schien leer, sogar die Fenster der Bibliothek, die Mister Krapohl meist geöffnet hielt, waren geschlossen. Wieder heulte eine Sirene, weiter entfernt diesmal, und eine zweite kam dazu, eine dritte. — Scheiße, was ist denn passiert? Alistair richtete sich auf, ließ seinen Arm sinken. Die Sirenen heulten, heulten, — es muß in der Nähe der Great Portland Street sein, sagte Alistair. Er zog ein Handy aus der Tasche und wählte. — Anthony, wo bist du, in der U-Bahn? Great Portland Street? Lauschte, — ja ja, ist gut, ich wollte nur wissen, was los ist, die ganzen Sirenen. — Was ist mit dir? fragte Jakob erstaunt. — Keine Ahnung, Alistair steckte das Handy wieder in die Tasche, grinste. — Hört ihr den Hubschrauber? Jakob und Isabelle hoben die Köpfe, es ist nichts, dachte Isabelle, doch da tauchte über den Dächern ein Hubschrauber auf, stand in der Luft, lärmend, bedrohlich. — Das sind Krankenwagen, sagte Alistair. Bentham hat mir erzählt, ein Freund von ihm, der im Außenministerium arbeitet, habe Informationen, daß britische Soldaten im Irak foltern. Daß sie Leute erschossen haben, aus Versehen. Unlawful killings, nennen sie das. Ein achtjähriges Mädchen. — Was heißt, er hat Informationen? fragte Jakob. — Es gibt Berichte, sagte Alistair, vielleicht sogar Fotos, und Bentham hat sich darüber fürchterlich aufgeregt. Mein Gott, habe ich zu ihm gesagt, wer glaubt schon, daß sie nicht foltern. Die Amerikaner, die Engländer. Aber Bentham war entsetzt, er war niedergeschlagen. — Mir hat er gar nichts gesagt, murmelte Jakob. Isabelle schaute ihn an. — Jakob? fragte sie, aber er hörte sie nicht. Der Hubschrauber kreiste, gewann an Höhe, flog in einer scharfen Kurve nach Süden. — Wovon redet ihr überhaupt? fragte sie heftig. Etwas klapperte, es war Krapohl, der die Fenster hochzog. Isabelle wollte ihm winken, aber er schaute nicht zu ihnen hinunter. Sie drehte sich unruhig zur Straße, die jetzt still dalag, die Sirenen waren auch verstummt. — Irgendwann wird es uns hier erwischen, sagte Alistair, und warum sollten auch ausgerechnet wir unsere Ruhe haben? Isabelle sah Jakob an, der in sich zusammengesackt war. Warum tut er nie etwas? dachte sie, warum wehrt er sich nicht? Sie spürte, wie er mit etwas kämpfte, und er fragte nicht, wie es ihr ging, er schien sie vergessen zu haben. — Nun schaut euch an, wie wir hier rumstehen, Alistairs Stimme klang boshaft.

— Ich möchte nach Hause gehen, sagte Jakob still. Er löste sich von dem Gitter, zögerte nur einen Augenblick, dann lief er los, ohne sich umzudrehen. Isabelle und Alistair standen reglos. — Was ist denn? fragte Isabelle hilflos und spürte, daß sie mit den Tränen kämpfte. — Was ist denn nur?

— Das solltest du wissen, erwiderte Alistair.

— Aber was war das mit Bentham, was hat das mit euch zu tun, die Fotos und all das?

— Was das mit uns zu tun hat? Wenn Engländer im Irak foltern und Kinder erschießen? Alistair zuckte mit den Achseln. — Wahrscheinlich nichts. Hauptsache, uns geht es gut. Er grinste Isabelle an, kalt, boshaft. — Es ist aber nicht deswegen, sagte Isabelle.

— Kann schon sein, sagte Alistair. Komm, wir gehen etwas trinken. Dann hat Jakob Zeit, sich zu beruhigen. Oder streitet ihr gar nicht?

Isabelle schüttelte den Kopf. — Wir streiten nicht. Jakob war schon um die Ecke verschwunden, sie dachte, daß er nicht nach Hause gehen würde. Wahrscheinlich wußte er nicht, wohin mit sich. — Worüber sollten wir auch streiten? Alistair trat auf sie zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände. — Was du so denkst, sagte er, was wohl in deinem Kopf vorgeht?


Zwei Stunden lief Jakob durch Camden, in der Hoffnung, die Straße wiederzuerkennen, in der Miriam wohnte, aber er fand sie nicht. Schließlich fuhr er ins Büro zurück. Mister Krapohl räumte noch in der Bibliothek Bücher aus einem Regal in ein anderes, sonst waren alle gegangen, von Alistair und Isabelle keine Spur. Jakob überlegte, Alistair auf seinem Handy anzurufen, dann entschied er sich dagegen. Es ist nichts passiert, dachte er, aber er war unruhig. Auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel von Maude, Mister Miller hatte angerufen und bat um Rückruf. Der zweite Zettel lag darunter, er war von Bentham. Lassen Sie uns nach Berlin fahren. Mir würde eine kleine Reise guttun, Schreiber ist begeistert. Wenn Sie einverstanden sind, fliegen wir morgen um elf Uhr von Heathrow. Wenn nicht, rufen Sie mich bitte kurz zu Hause an. Ich habe drei Flüge reserviert, falls Ihre Frau uns begleiten möchte.

Jakob hielt den Zettel in der Hand, dann faltete er ihn sorgfältig zusammen. Er sah Bentham so deutlich vor sich, als wäre er bei ihm. Dann packte er zusammen, was er an Papieren für die Reise brauchte.


Isabelle kam erst gegen Mitternacht, sie wirkte angetrunken, fiel ihm um den Hals und fragte nicht, wo er gewesen sei. Als er ihr sagte, er wolle morgen mit Bentham nach Berlin fliegen, schien sie zu erschrecken. Sie ging in die Küche und holte sich ein Glas Rotwein. — Wie lange denn? Jakob zögerte. — Nur zwei oder drei Tage. Ihr Gesicht sah klein aus. — Gleich morgen früh? fragte sie.

Sie ging zu Bett und schlief sofort ein. Er streichelte die Decke über ihrer Schulter, sie atmete gleichmäßig, und er schämte sich, daß er sie nicht gefragt hatte, ob sie mitkommen wolle. Zwei Anzüge und Hemden hatte er schon gepackt.

Am Morgen schlief sie noch, als er aufstand, er überlegte, sie aufzuwecken. Doch dann schrieb er nur auf einen Zettel, daß er sie später anrufen werde, legte Geld auf die Kommode in ihrem Arbeitszimmer — in der Schale lag nur eine einzige Zwanzig-Pfund-Note — und ging hinaus. Wie ein Dieb, dachte er, aber als er in die U-Bahn einstieg, war er aufgeregt und glücklich. Sobald sie in Tegel gelandet wären, würde er Isabelle anrufen.

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