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Es gab die guten Zeiten, sie begannen ohne Vorwarnung, morgens, mit Geräuschen aus dem Badezimmer und der Küche, die gleichen wie jeden Morgen, aber anders, das Hämmern gegen die Tür des Bads, und jedesmal hatte sie Angst, gerade jetzt aufs Klo zu müssen, so daß sie sich unter der Decke zusammenkauerte, einen Finger nach dem anderen zählte, so wie sie die Ziffern der Radiouhr im Wohnzimmer ablas, die keine Bedeutung hatten, weil sich nie jemand danach richtete, aber irgendwie vergingen so trotzdem die Minuten, und wenn sie Glück hatte, würde es nicht zu lange dauern, noch ein lautes Klopfen, das war Dave, ihr Vater brüllte wütend. Und wenn Sara in den Flur kam, packte ihre Mutter sie an der Hand und zerrte sie vor die Tür, — dann pinkele eben, solange dein Vater sich rasiert, stell dich nicht so an. Aber die Badezimmertür war verschlossen, oder schlimmer noch, sie war nicht verschlossen, ließ sich öffnen, einen Spalt, der gerade breit genug war, daß sie hindurchpaßte, hineingestoßen wurde, stolpernd, in den Dampf, in die Wut hinein, der riesige, nackte Körper, der sie zur Seite schubste, weil sie ihm sonst zwischen die Beine geriet, und sie mußte schnell, schnell die Hand ausstrecken nach dem Klodeckel, weil es immer noch ein weiteres Hindernis gab, auch in den guten Zeiten, wenn ihr Vater aufstand und nüchtern war. Er hob sie hoch und ließ sie aufs Klo fallen, und sie konnte es nicht zurückhalten, auf dem Klodeckel, ohne ein Wort zu sagen, und plötzlich war es kein guter Tag mehr, sie sperrten Sara ein, schoben einen Stuhl unter die Türklinke, machten das Licht aus, den ganzen Tag lang waren sie weg, unter der Tür ein winziger Spalt, durch den sie Klopapier schob, als sie Polly hörte, und Polly versuchte mit ihrer Tatze, das Klopapier zu fangen, das Sara schnell wieder zurückzog, als hoffte sie, Polly durch den winzigen Spalt zu sich hereinzulocken. Sie sah Pollys Pfoten. Dann war es Polly langweilig, und Sara hatte vor der Badewanne auf dem Boden gehockt und die Finger gezählt, bis sie eingeschlafen war, bis schließlich Dave kam und sie herausholen wollte, aber sie sträubte sich, weil sie weinte vor Angst, und bald gab er es auf, aber bevor er den Stuhl wieder vor die Tür rückte, unter die Türklinke, half er ihr, den Klodeckel und den Fußboden sauberzumachen. In den guten Zeiten knallte morgens die Wohnungstür zu, weil ihr Vater hinausstürmte, die Tür weit aufriß und plötzlich losließ, so daß sie mit aller Wucht zurückschwang, ins Schloß krachte, er riß ihre Mutter mit sich hinaus in das Treppenhaus, im letzten Augenblick, und wenn Mum zu langsam war, konnte sie nicht mehr nach ihrem Mantel greifen oder der großen Tasche mit Putzlappen und Tüchern und einem Staubwedel.

Draußen füllten sie die Straße mit ihren Stimmen, manchmal bremste ein Auto, Autotüren schlugen zu, und dann war es still. Sie wartete, um ganz sicher zu sein. Und wartete noch ein bißchen. Wenn sie zu früh ans Fenster ginge, würde sich alles wieder umdrehen, die Stimmen würden lauter werden, erst vor der Haustür und dann im Treppenhaus, bis die Klingel gedrückt wurde, — verdammte Scheiße, wozu hat man Kinder, wenn sie einem nicht mal die Tür aufmachen und die Sachen abnehmen. Dave! Sara! Das war sie. Sara. Sara ohne H, wie Dave, der lesen und schreiben konnte, ihr erklärt hatte, und das H war ein Buchstabe, den man nicht hörte, der keine Bedeutung hatte, etwas, das nicht da war und bei ihrem Namen fehlte. Sara. Manchmal verschwand der Name vollständig. Sie selbst war noch da, aber der Name war verschwunden, wie das H. Dave war Dave, soviel war sicher. Dave nannte sie litte cat. — Weil du dich wie eine kleine Katze hinter dem Sofa versteckst. Schau doch, sogar Polly sitzt auf dem Sofa. Oben drauf.

In den guten Zeiten tauchte ihr Name auf, wenn ihre Mutter den Tisch deckte, ein ganzes, geschnittenes Brot auf den Tisch stellte und auf einem Teller Wurst lag, und ihr Vater sich zufrieden umschaute und grinste, — ich sag’s ja, es geht uns verdammt noch mal beschissen gut. Und Sara bettelte Dave mit den Augen an, daß er aufstand und aus dem Kühlschrank Bier holte, Dave, Dave? Er stand auf, das Gesicht ausdruckslos, und bevor er die Dosen auf den Tisch knallen konnte, war sie bei ihm und streckte beide Hände aus, Handflächen nach oben, damit er ihr die Dosen gab, er tat es, mit ausdruckslosem Gesicht.

In den guten Zeiten ließ ihr Vater die Tür, die zu der kleinen Terrasse und zum Garten führte, unverschlossen oder ließ den Schlüssel stecken. — Ist ja ein Paradies, mit dem ganzen Spielzeug, und gib acht, daß die kleinen Stinker nicht ins Haus kommen. Bis zum Nachmittag waren die anderen Kinder in der Schule, und es konnte nichts passieren. Sie schienen zu wissen, wann ihre Eltern nicht zu Hause waren, sie hievten sich, nach der Schule, auf die Steinmauer, warfen ein Steinchen gegen das Fenster, und wenn nichts geschah, wenn weder ihr Vater noch ihre Mutter, noch Dave auftauchten und schimpften, sprangen sie hinunter in den Garten, wo das Spielzeug lag, zerbrochenes, unbrauchbares Spielzeug aus Plastik, Eisenbahnschienen, ein Auto ohne Räder, ein kaputter Roller, ein paar Eimer und Sandförmchen. Die Bälle hatten sie längst mitgenommen, bunte Bälle, die zu einem Spiel gehörten, das Dave geschenkt bekommen hatte. Manchmal saßen sie nur da, an die Mauer gelehnt, und besprachen sich leise, oder sie kletterten auf den Baum, spähten in die Wohnung und warfen mit Steinchen, wenn sie Sara entdeckten, in der Nähe der Glastür kauernd. Wenn Polly draußen war, fürchtete sie sich, und Dave ging immer öfter gleich morgens fort, bevor ihre Eltern aufstanden.

In den schlechten Zeiten blieben ihre Eltern den ganzen Tag zu Hause. Ihre Mutter zog die Plastikhülle von der Nähmaschine, die im Kinderzimmer stand, und schickte Sara aus dem Zimmer. Sie schloß die Tür hinter sich ab, und Dad rief sie und trat dagegen, bis er es leid war und auf dem Sofa einschlief. Dave behauptete, daß er in die Schule ginge, er zog die Schuluniform an, die ihm zu kurz war, und grinste. — Little cat, paß auf dich auf, sagte er morgens, wenn er sich über Saras Bett beugte.

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