Giftschlangen

Aas Gift des Zauberers hatte mir keinen Schaden zugefügt, eine halbe Stunde später fühlte ich mich wieder völlig wohl. Nachdem wir allein waren, ließ mir Arasybo durch Arnak den Trick Karapanas erklären. In dessen Pfeife befanden sich zwei Röhrchen, die durch ein hölzernes Brettchen voneinander getrennt waren. In dem einen Röhrchen war der übliche Tabak, während das zweite mit einem giftigen Kraut gefüllt war. Der Eingeweihte konnte, ohne daß jemand es merkte, den Bambus am Pfeifenkopf mit dem Finger eindrücken und so das Röhrchen mit dem Gift schließen. Er bekam dann nur den Rauch aus dem zweiten Röhrchen in den Mund, in dem sich der gute Tabak befand. Wer es nicht wußte, atmete den Rauch aus beiden Röhrchen ein und verlor bald das Bewußtsein.

„Ist das Gift stark?” fragte ich.

„Und ob!” versicherte Arasybo. „Wenn man mehr davon einatmet, gibt es keine Hilfe mehr.”

„Woher weißt du Bursche das alles?” Ich betrachtete Arasybo mit einem Anflug von Bewunderung.

Der Hinkende fühlte sich geschmeichelt und lachte von einem Ohr bis zum andern; dann erklärte er: „Ich habe ihn heimlich beobachtet, ich bin ihm nachgeschlichen und habe ihm seine Tricks und Zaubereien abgeguckt.”

„Deshalb können sie Arasybo nicht leiden”, warf Arnak ein. „Wer? Karapana und Koneso?”

„Ja. Wenn sie könnten, würden sie ihn erwürgen.”

Die mir vom Oberhäuptling als Quartier zugewiesene Hütte stand in der Nähe des Ufers, ungefähr eine halbe Meile von Konesos Behausung entfernt. Fünfzehn bis zwanzig Schritt weiter sollte Manauri wohnen. Die Nacht verbrachte ich aber auf dem Schoner und machte mich am Morgen auf den Weg zu meiner Hütte. Das erste, was mir im Innern ins Auge fiel, war ein menschlicher Schädel auf einem kleinen Erdhügel an der Wand. Es war scheußlich anzusehen, wie er den Eintretenden die Zähne entgegenbeleckte. Ich prallte vor dem ungewöhnlichen Anblick zurück und rief die Gefährten herbei. Sie machten erschreckte Gesichter und nickten nur stumm.

„Hier ist ein Mensch verstorben”, teilte mir Arnak mit, „und das dort ist sein Grab und sein Schädel. Bei den Kariben werden die Toten in den Hütten bestattet, die sie zu Lebzeiten bewohnt haben.”

„Du sagst, bei den Kariben? So ist das keine arawakische Hütte?”

„Nein, diese Hütte ist älter und wurde, wie man sieht, von einer karibischen Familie bewohnt. In einer solchen Hütte darf kein Lebender mehr hausen, nur der Geist des Verstorbenen.”

„Warum hat sie mir Koneso dann zugewiesen?” fragte ich verwundert.

„Vielleicht nimmt er an, daß dieser Brauch nur für uns gilt und sich auf einen Weißen wie dich nicht bezieht’, sagte Arnak. „Das glaube ich nicht’, knurrte Manauri.

Wir kamen zu dem Entschluß, daß ich die Hütte mit dem Grab nicht bewohnen werde. Einmal war es nicht nach meinem Geschmack, meine Hütte mit einem Toten zu teilen, zum andern hätte es die Indianer abschrecken und gegen mich einnehmen können, da sie darin eine Heiligtumsschändung erblicken konnten.

Ich ließ mich vorläufig in Manauris Hütte nieder, während die Gefährten sofort darangingen, eine neue Unterkunft für mich zu errichten. Auch viele Bewohner Serimas beteiligten sich frei-willig am Bau. In fröhlicher Stimmung ging die Arbeit schnell

von der Hand, und gegen Mittag war unweit der Behausung Konesos ein geräumiges Haus mit einem mächtigen Dach aus Palm-blättern entstanden, das jedem Sturm standhielt. Drei Seiten hatten Wände aus Bambusrohr, die vierte war offen, wurde aber durch das vorspringende breite Regendach gegen Wetterunbilden geschützt. Das Haus oder, besser gesagt, die sehr geräumige Hütte bot so viel Platz, daß ich meinen unzertrennlichen Freunden Arnak und Wagura sowie Pedro den Vorschlag machte, mit mir hier zu wohnen.

Die übrigen Gefährten erbauten sich ähnliche Hütten, aber nicht verstreut, sondern eine dicht neben der andern. Es war zu merken, daß unsere Sippe auch weiterhin zusammenbleiben wollte. Die Anlage der Hütten bot außerdem ein Spiegelbild der verschiedenen Empfindungen und persönlichen Bande. So schlugen die Neger ihre Behausungen ganz in der Nähe Manauris auf, gewissermaßen als Leibwache ihres Häuptlings. Arasybo suchte an meiner Seite Zuflucht und wurde mein unmittelbarer Nachbar; auch Lasana mit ihrem Kind ließ sich ganz in meiner Nähe nieder.

Als uns Koneso gegen Abend einen Besuch abstattete, um nachzusehen, wie wir uns eingerichtet hatten, benutzte ich die Gelegenheit, um ihm meine Meinung über die Hütte mit dem Totenhügel zu sagen. Ich erklärte ihm unzweideutig, daß ich von Natur aus jähzornig sei, Beleidigungen nur schwer ertragen könne und zugefügtes Unrecht nicht immer so hingehen lasse.

„Unrecht?” fragte er mit unschuldiger Miene. „Das war kein Unrecht!”

„Was dann? Sollte es alberner Schabernack sein oder eine böswillige Falle?”

„Vielleicht war es eine Falle”, gab er zu, machte ein pfiffiges Gesicht und verzog die Lippen zu einem abstoßenden Lächeln, „aber keine böswillige. Es war eine Kraftprobe!”

„Der eine reicht mir in der Pfeife Gift, der andere schickt mich in eine beschworene Hütte!” warf ich ihm vor.

„Du wunderst dich darüber?” Sein Mund lächelte noch immer, die stechenden Augen aber wurden ernst und nahmen einen lauernden Ausdruck an.

„Allerdings, ich wundere mich sehr. Schließlich bin ich euer Gast, oder bin ich es nicht?”

„Natürlich bist du unser Gast, aber ein ungewöhnlicher! Ein ganz anderer als sonstige Gäste, du bringst eine geheimnisvolle Kraft mit, und die wollen wir erproben!”

„Und deshalb gebt ihr mir Gift?’

„So ist es! Das Gift hat auf dich gewirkt, das wissen wir jetzt. Wir wissen nun auch, daß der Geist des Toten mächtiger ist als du. Du fürchtest dich vor ihm.”

„Da irrst du dich, Koneso!”

„Bist du nicht aus der verbotenen Hütte weggelaufen?”

„Ich habe die Hütte verlassen, das stimmt, aber nicht aus Angst vor dem Geist, das kannst du mir glauben!”

„Oho!” Sein aufgedunsenes Gesicht überzog sich mit höhnischem Mißtrauen.

„Ich achte eure Sitten und euren Glauben”, sagte ich betont. „Ich will die Hütte eines Toten nicht entehren, das ist alles.”

Koneso maß mich von oben bis unten mit einem forschenden Blick, und ich erkannte, daß seine Zweifel nicht schwanden. „Man erzählt, daß die Kugeln aus einer Büchse von dir abprallen”, sagte er dann.

„Das ist albernes Geschwätz!”

„Und daß die Pfeile deinen Körper nicht zu durchbohren vermögen. Ist das wahr?”

„Das ist Unsinn!” Nun wurde ich wütend. „Ich bin genauso sterblich wie jeder andere, überhaupt ist alles an mir so wie bei jedem anderen!”

Er glaubte mir nicht ganz, das bewies sein argwöhnischer Blick, mit dem er mich betrachtete. Mißtrauisch legte er den Kopf auf die Seite und schüttelte ihn ab und zu.

„Du wirst doch aber nicht leugnen, daß du irgend etwas hast, was die anderen nicht haben?”

„Das ist wahr”, bestätigte ich lebhaft.

„Also siehst du?”

In seiner Stimme lag Triumph, den ich ihm aber sofort nahm, indem ich fortfuhr: „Was ich habe, sind die größeren

Erfahrungen. Ich habe viel von der Welt gesehen und bin vielen Feinden begegnet. Die einen habe ich geschlagen, andere haben mich besiegt — und von diesen habe ich am meisten gelernt. Gelernt habe ich, hörst du, das ist mein ganzes Geheimnis.” „Wann bist du mit Jaguaren zusammengestoßen?’ fragte er plötzlich mit veränderter Stimme, als ob er mich überraschen wolle.

Ich antwortete völlig ungezwungen: „Ein einziges Mal bin ich dem Jaguar begegnet! Es war auf der Insel der Verwegenen. Ar-nak, Wagura und ich haben ihn nach schwerem Kampf getötet.” „Das war der König der Jaguare”, murmelte Koneso bedeutsam. „Der Teufel soll es wissen!”

„Und ist der Jaguar des Nachts im Traum zu dir gekommen?” Er hielt den Atem an und beobachtete mich lauernd wie ein U ntersuchungsrichter.

„Und ob er mir erschienen ist! Ich habe sehr oft von Jaguaren geträumt, nachdem ich den einen getötet hatte.” Ich mußte laut lachen. „Hast du keine Träume?”

„Auch ich habe Träume”, antwortete er mürrisch, „aber andere, gesunde.”

Während des Gesprächs saßen wir vor meiner Hütte, im Schatten des vorspringenden Regendaches. Ich wußte nicht, ob es mir gelungen war, sein Mißtrauen und seine Zweifel zu zerstreuen. Mein Gefühl sagte mir; daß Koneso noch lange nicht von meiner guten Absicht überzeugt sei.

Plötzlich erblickten wir Lasana, die einen großen Flaschenkürbis auf dem Kopf trug, in dem sie Wasser vom Fluß geholt hatte. Beim Anblick der wohlgestalteten Indianerin weiteten sich die Augen Konesos vor Begierde, es sah aus, als wolle er sie lebendig verschlingen.

„Du bist hier?” rief er verwundert aus.

„Ich bin hier”, brummte sie kurz und beachtete uns nicht weiter. „Bleib stehen, Lasana”, forderte er sie auf. „Ich habe dir etwas zu sagen. Dein Platz ist nicht hier!”

„Wo sollte er sonst sein?” Sie hielt inne und wandte ihm ihr zorniges Gesicht zu.

„Du gehörst in meine Hütte”, erklärte er. „Geh sofort hin und melde dich dort!”

Lasana bedachte ihn mit einem nicht gerade freundlichen Blick, doch konnte sie ihren Schrecken nicht ganz verbergen.

„Was fällt dir ein?” fauchte sie ihn an.

„Werde hier nicht frech, Mädchen. Gehorche und geh!”

„Ich gehe nicht!” widersprach sie entschieden. „Ich gehöre zur Sippe des Weißen Jaguars, mein Platz ist hier. Und nur hier.” „Und du wirst gehen!” schrie der Häuptling mit schneidender Stimme. „Los! Beeile dich!”

Ihr Widerstand erbitterte ihn. Die anziehende junge Frau gefiel ihm sichtlich außerordentlich, und er wollte sie besitzen. „Warte, Koneso”, sagte ich freundschaftlich und ergriff ihn am Arm. „Sprechen wir in Ruhe darüber. Mir wurde gesagt, daß die Frauen bei den Arawaken gewisse Rechte haben und nicht Sklavinnen der Männer sind.”

„Was soll das? Was hat das damit zu tun?’ Der Häuptling brauste entrüstet auf.

„Daß sie tun und lassen kann, was ihr gefällt.”

„Ganz so ist es nicht! Sie ist jung, hat ihren Mann verloren und hat ein Kind. Man muß sich um sie kümmern. Der Stamm ist verpflichtet, sie unter seinen Schutz zu nehmen.”

„Sie hat bereits einen Beschützer”, erklärte ich.

„Wen?”

„Mich.”

Koneso kniff angriffslüstern die Augen zusammen und fragte: „Willst du vielleicht behaupten, daß du ihr Mann bist? Ich weiß, daß es nicht so ist.”

„Ich bin nicht ihr Mann, aber ich habe sie unter meinen Schutz genommen, und das ist fast das gleiche.” „Und sie wollte diesen Schutz?”

„Ich habe ihn gewollt’, bestätigte Lasana laut und schüttelte den Kopf so kampfeslustig, daß ihre schwarzen Locken nach allen Seiten hin flogen. „Und ich will, daß es auch weiterhin so bleibt!” Wir waren nicht allein. Außer Arnak waren mehrere Indianer aus unserer Sippe sowie einige in der Nähe sitzende Arawaken Zeugen des Vorfalls. Besonders die letzten waren durch die anmaßende Forderung Konesos sehr verärgert. Der Häuptling merkte es und entschloß sich, den Ton zu ändern.

„Wir werden noch sehen”, brummte er durch die Nase und schickte sich an zu gehen.

„Höre zu, Koneso.” Ich hielt ihn zurück. „Die Angelegenheit ist klar, Lasana bleibt bei mir. Aber das, was du sprichst, ist unklar, ist unverständlich.”

„Was meinst du damit?”

„Du machst uns Schwierigkeiten, obwohl du Geschenke angenommen hast; du hast einen Degen und ein Pferd erhalten. Ist dir das noch zuwenig?”

„Vielleicht ist es zuwenig!” Er lachte herausfordernd über seinen Witz.

„Eines kann ich nicht verstehen”, fuhr ich fort. „Man hört, daß sich die schrecklichen Akawois auf einen Raubzug an den Orinoko vorbereiten, und ihr, anstatt eure Wachsamkeit und eure Kraft zu vereinigen, vergeudet sie und benehmt euch wie Wahnsinnige und Blinde. Ihr streitet, sät Uneinigkeit im Stamm und zieht ein Gewitter auf euch herab, das uns allen Unglück bringen kann.” „Wer?” rief Koneso aus und tat belustigt. „Wer zieht ein Unwetter herbei? Wir? Wir säen Uneinigkeit?”

„Wer denn sonst?”

„Ihr! Als ihr noch nicht hier wart, hat niemand die Eintracht gestört. Wer hat den Frieden aus dem Stamm vertrieben, wenn nicht ihr durch eure Ankunft? Ihr seid an allem schuld!”

So stellte er höhnend die Dinge auf den Kopf, ging davon und ließ uns in noch größerer Zwietracht zurück als vorher. Einige Hitzköpfe unter meinen Gefährten vertraten die Meinung, wir sollten Serima verlassen und einige Meilen oberhalb dieses ungastlichen Dorfes eine Siedlung anlegen; doch die Mehrzahl, auch Manauri, widersetzte sich diesem Vorschlag. Sie glaubten, daß die bösen Launen der Ältesten nach und nach vorübergehen und die Mißverständnisse bald ein Ende nehmen würden.

Die folgenden Tage waren der Ruhe und dem Nichtstun gewidmet. Zu essen hatten wir im Überfluß, denn die Bewohner Seri-mas, die sich in den vergangenen zwei Jahren mit allem Nötigen eingedeckt hatten, gaben uns genügend von ihren Vorräten und gestatteten uns außerdem, auf die Felder zu gehen und von der reichen Ernte zu nehmen. Die Hauptnahrung bildeten die riesigen Wurzeln einer Pflanze, die von den Indianern und auch von Pedro Mandioka genannt wurde. Zunächst preßte man den unverdaulichen Saft aus, dann wurden die Knollen gekocht und verzehrt. Eine vorzügliche Abwechslung boten die verschiedenen Früchte, die in der Nähe der Siedlung angebaut worden waren und auch wild im Urwald wuchsen, sowie vor allem Fische, von denen es nicht nur im Fluß, sondern in fast jedem Tümpel geradezu wimmelte. Auch gab es jede Art Wild, vom Wildschwein bis zu den Nasenbären, die ihren Bau in hohlen Baumstämmen hatten.

Bereits nach wenigen Tagen hatte sich unsere Sippe an den Tagesablauf des indianischen Dorfes gewöhnt. Das Faulenzen war nicht nach dem Geschmack unserer Leute. Die einen suchten im Urwald nach geeigneten Stellen, wo sie Bäume pflanzen und Felder anlegen könnten, andere gingen ans Wasser, um Fische zu fangen. Sie legten Angeln und Reusen aus oder sperrten Bäche ab; manche benutzten dazu Pfeil und Bogen oder betäubten die Fische mit Gift. Wieder andere sammelten Früchte oder jagten verschiedenes Wild. Den letzten gesellte ich mich zu, unaussprechlich glücklich, nun in meinem Element zu sein.

Den Schoner brachten wir zu unserer kleinen Siedlung und verankerten ihn gegenüber meiner Hütte. Wir wollten das Schiff ständig unter den Augen haben, da es unsere Vorräte und die von den Spaniern erbeuteten Sachen enthielt.

Das Bewußtsein der von den Akawois drohenden Gefahr drängte mich, öfter Übungen mit den Feuerwaffen zu veranstalten. Die Schützen waren mit Freude dabei, und als sie genügend Fertigkeit gewonnen hatten, erlaubte ich ihnen, mit den Büchsen auf die Jagd zu gehen. Den Indianern erschienen zwar im Urwald Pfeil und Bogen nützlicher als eine Schußwaffe, doch nahmen sie trotz-dem immer die Büchsen mit, die sie sich malerisch über die Schultern hängten, denn sie hoben nach ihrer Meinung die männliche Schönheit und steigerten das Ansehen.

Auch die anderen Waffen vernachlässigten wir nicht. Wenn wir nicht gerade im Urwald jagten oder auf dem Fluß fischten, übten wir mit dem Bogen, mit dem Speer, mit der Keule und mit dem mir bisher unbekannten Blasrohr, einem acht bis neun Fuß langen Bambusrohr, aus dem kleine vergiftete Geschosse auf ziemlich große Entfernungen geschleudert wurden. Allmählich ergriff alle Beteiligten die Lust zum Wettstreit, und einige Schützen brachten es zu bewundernswerter Fertigkeit.

Koneso und sein Helfershelfer Pirokaj versuchten von Anfang an, unsere Sippe zu zerschlagen und die Menschen mit allerlei Versprechungen von uns wegzulocken, doch hatten sie keinen Erfolg. Bis auf zwei Fälle wankelmütiger Seelen bemühten sie sich vergebens. Unsere Leute wollten wirklich zusammenbleiben, sie fühlten sich als eine Familie, und ich begriff bald, worin der Grund dafür lag: Es waren nicht nur die gemeinsamen Erfahrungen während des langen Zusammenlebens, nicht nur die Existenz meiner Person, meiner Waffen und des reichen Schiffes, sondern der Grund lag vor allem darin, daß sie völlig anders waren als die übrigen Arawaken. Diese vom Schicksal in der Welt umhergeworfenen Menschen waren in ihrer Entwicklung weitergekommen, sie waren härter geworden, ihr Charakter hatte sich geformt. Sie hatten einen stärkeren Lebenswillen, das Blut in ihren Adern pulsierte schneller, sie waren elastischer, beweglicher, interessierter an allen Dingen des Lebens als ihre ansässigen Landsleute.

Ihr Unternehmungsgeist und ihre Betriebsamkeit übten auch auf viele Einwohner Serimas einen geradezu magischen Einfluß aus. Diese durch die Hitze des Dschungels etwas verschlafenen, trägen, schwerfälligen Indianer schienen plötzlich aufzuleben, begannen lebhafter zu werden und zu überlegen. Daß die nächsten Anverwandten unserer Sippenmitglieder zu uns übersiedelten, war verständlich, aber es kamen auch andere, durchaus nicht blutsverwandte Angehörige des Stammes in unseren Kreis, wie von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen. Sie gierten gewissermaßen nach unserer Freundschaft, fragten um Rat, suchten fröhliche Unterhaltung und hätten sich gern für ständig in der Nähe unserer Feuerstellen niedergelassen. Manauri aber widersetzte sich diesem Ansinnen, um nicht den Neid der ältesten aufzustacheln, die dem allem mit scheelen Augen zusahen.

Auf die Jagd gingen wir zu zweit oder zu dritt. Meine Begleiter waren gewöhnlich Arnak, Wagura, Pedro und nach einiger Zeit auch Lasana, deren Mutter inzwischen zu ihr gezogen war. Ich begann jetzt, das Unwahrscheinliche, geradezu Betäubende dieses Urwalds in mich aufzunehmen und zu erleben. In den heimatlichen Wäldern Virginiens waren die mannigfaltigsten Bäume gewachsen, doch was waren sie gegenüber diesem chaotischen Übermaß, gegenüber der zügellosen Fülle der hiesigen Pflanzenwelt? Auch manches schwer zu durchdringende Dickicht hatte es im virginischen Wald gegeben, doch konnte man es nicht mit diesem Gewirr, mit dieser grünen Furie, mit dem unerbittlichen Drängen der Äste, Blätter, Schlingpflanzen, Stacheln und Dornen vergleichen, in dem es so schwer war, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun, wo sich Fesseln um den Körper legten, wo der Mensch gedrückt und gewürgt wurde, daß Denken und Fühlen zu versagen drohten. Dem Auge bot sich nur ein sinnloses, abstoßendes Chaos, doch die Sinne des erfahrenen Waldläufers vermochten in dem scheinbaren Wirrwar die ordnende Vernunft der Natur und ihre weisen Lebensgesetze wahrzunehmen, schlürften diese wilde Schönheit und schöpften ein eigenartiges herbes Lustgefühl. Niemals aber konnte man wissen, ob dieses unübersichtliche Dickicht dem Menschen als schenkender Freund oder als unerbittlicher Feind gegenübertreten würde.

Obgleich die Tierwelt dieses Waldes so zahlreich war, bekam man sie nicht leicht zu Gesicht, und noch schwerer war es, ein Wild zu erlegen. Der grüne Vorhang verbarg jedes Tier, und dessen lauschende Sinne nahmen schon von weitem die Geräusche wahr, die der vordringende Jäger verursachte. Kleine Pfade zogen sich im Urwald hin, Pfade von Menschen und Pfade von Tieren. Nur auf ihnen konnte man sich leise bewegen und sich einem Wild nähern.

Wenn der Zauber des Jagens in der großen Überraschung liegt, die hinter jedem Gebüsch auftauchen kann, in unvorhergesehenen Ereignissen, dann konnte man die Wildnis am Itamaka als die erträumten Jagdgefilde bezeichnen, als paradiesische, zauberhafte Wiege der unwahrscheinlichsten Begegnungen. Wie viele verborgene Wunder gab es hier zu entdecken, welche Vielfalt blutdürstiger Bestien hauste in diesen Wäldern!

Außer dem Jaguar konnten noch andere Raubkatzen den Weg des Jägers kreuzen. Eine davon, ähnlich gefärbt wie der Löwe, bezeichnete Pedro als Puma. Hirsche, Guasupitas genannt, oder Saguinos, Wildschweine, konnten plötzlich vor den Lauf geraten, und im Schlamm des Flußufers suhlten sich die Wasserschweine. Eigenartige Tiere waren die Maschadis, deren Haut so hart ist wie ein eherner Schild und die mit ihrer grotesk verlängerten Nase einem Elefanten ähneln. Natürlich bevölkerten unzählige Herden vielgestaltiger Affen den Urwald. Man konnte dem Hateke begegnen, dem Gürteltier, das ganz mit panzerartigen Platten bedeckt ist, oder einem anderen seltsamen Wesen, dem Tamanoa, einem Ameisenfresser mit unheimlich langgezogener Schnauze und so starken Vorderklauen, daß er einen Menschen zerreißen könnte. Einen noch verwunderlicheren Anblick bot der Unau, ein friedlicher Vierfüßler, der von Baumästen herabhängt und sich nie zu bewegen scheint.

Und erst die Vielfalt der Wasser- und der Waldschildkröten, der Eidechsen, von denen die Guanas wie kleine Drachen aussehen, und besonders die verschiedenen Arten von Schlangen, Giftschlangen und Riesenschlangen sowie die tückischen Kaimane, die in stillen Wassern lauern! Die Gewässer wimmeln von eßbaren Fischen und gefährlichen Scheusalen, den platten Siparis, in deren Schwanz ein giftiger Stachel verborgen ist, den Humas, kleinen Fischen von unvorstellbarem Blutdurst, und den Jaringas, von denen die Indianer Dinge erzählen, die ich zunächst für eine Fabel hielt. Diese kleinen Ungeheuer sollen imstande sein, einen badenden Menschen zu töten. Angeblich fallen sie so blitzschnell über ihn her, daß sie ihn im Nu unschädlich machen.

Schier unermeßlich war die bunte Welt der unzähligen Vögel auf und über der Erde, eine zwitschernde, dankbare, fröhliche Welt, über der hoch droben am Himmel ihr düsterer Beherrscher seine Kreise zog: der Riesenadler mit dem großen Schopf, der halb legendäre Mesime, der unbezwingbare Mörder von Affen und anderen Kleintieren, dessen Kraft so groß sei, daß er sich, wie man sagt, mit einem fünfzehnjährigen Jungen in die Lüfte erheben könne.

Die Arawaken, die nun schon zwei Jahre am Itamaka lebten, weihten mich in die Geheimnisse des Urwaldes ein, und ich erfuhr von so manchem Wundertier. Zuweilen war schwer zu unterscheiden, wo die Wahrheit aufhörte und die Einbildungskraft begann. So wurde ich mit dem gleichen Ausdruck des Schreckens vor dem Jaguar gewarnt wie vor dem Kanaima, von dem ich bereits wußte, daß er als Rachegeist gefürchtet war, und die Gestalt der bös-artigen Guanas, einer Eidechsenart, wurde mir genauso eingehend beschrieben wie das Aussehen der Hebus, stieläugiger, behaarter Waldwesen, die sich als unheilbringende Geister Verstorbener entpuppten. Neben Erzählungen darüber, daß die an den Fluß-ufern lebende Riesenschlange Komuti Menschen angefallen hatte, hörte ich Geschichten über die im Wasser hausenden Maikisikiris, die noch nie ein Mann zu Gesicht bekommen habe, da sie nur auf das weibliche Geschlecht versessen seien. Erst später bekam ich heraus, daß es sich bei den Maikisikiris um Wassergeister handelte. So verwoben sich die wirkliche und die eingebildete Welt zu einem wirren Knäuel, und sooft ich auch den endlosen Urwald betrat, niemals wußte ich, wo die Grenze lag zwischen Gefahr und Schrecken und Entzücken, wo die Wirklichkeit aufhörte und wo das Trugbild begann. Diese Unsicherheit erzeugte ein eigen-artiges, grenzenloses Lustgefühl, wie alles, was diese Wildnis barg.

In der Umgebung unserer Hütte gab es erstaunlich viele Schlangen, und zwar äußerst giftige. Besonders in der Nähe des Pfades, der in den Urwald führte, und auf dem Pfad selbst töteten wir täglich eine ganze Anzahl, und doch nahmen sie nicht ab; am nächsten Tag kroch neues Ungetier auf der Erde herum.

„Wir müssen besonders anziehend auf sie wirken”, rief ich scherzend aus. „Oder fallen sie vielleicht vom Himmel?’

Die Gefährten sahen sich verlegen an, als ob sie sich selbst schuldig fühlten oder sich für diese Ungunst der Natur schämten. In dieser Gegend, erklärten sie mir, käme es manchmal vor, daß meilenweit nicht einmal der Schwanz einer Schlange zu sehen sei, an einer anderen Stelle gebe es wieder eine Unmenge dieser ekelhaften Geschöpfe. Manauri erinnerte sich, daß er einmal an einem entlegenen Ort plötzlich vor sechzehn Schlangen gestanden habe, die sich sonnten, lauter Sororoimas, die giftigsten der Giftschlangen. Zwar hatte er sofort kehrtgemacht und war gerannt, so schnell ihn die Beine trugen, doch überliefen ihn noch nach langer Zeit kalte Schauer, wenn er daran dachte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit den spanischen Stiefeln zu versöhnen und sie aus Sicherheitsgründen zu tragen; denn ihr Leder konnte der stärkste Giftzahn einer Schlange nicht durchbeißen. Lasanas Mutter, eine sehr umsichtige Frau, schuf auf ihre Weise Abhilfe. Als sie zu uns übersiedelte, brachte sie einen gezähmten Tujuju mit, einen Riesenstorch mit schwarzem Kopf und ebensolchem Schnabel, der ein fanatischer Vertilger jeder Art Reptilien war. Tatsächlich schien seit dieser Zeit das widerliche Gezücht um den Pfad herum abzunehmen.



Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, jeden Morgen auf das Schiff zu gehen und auf dem Deck und in den Laderäumen, in denen wir die Pulverfäßchen aufbewahrten, nach dem Rechten zu sehen. Als ich eines Tages den Laufsteg auf die Bordkante geschoben hatte, lief der muntere Dorfhund, der mich auf dem Rundgang zu begleiten pflegte, vor mir her auf das Deck des Schoners. Kaum war er im Laderaum verschwunden, winselte er schmerzvoll auf und kam mit ängstlich eingezogenem Schwanz wieder heraus. Hinter ihm erschien eine dunkle Schlange in der Luke, deren Körper mit bronzefarbenen Flecken gezeichnet war. An der herzähnlichen Form des Kopfes erkannte ich sofort, daß ich eine Giftschlange vor mir hatte, und konnte gerade noch zur Seite springen. Zum Glück hatte ich eine Rute in der Hand, mit der ich ihr zweimal über den Kopf schlug, bis sie liegenblieb. Im Laderaum entdeckte ich eine zweite, genauso gefährliche Schlange, und unter dem Ruder lauerte eine dritte. Diese hatte sich zusammengerollt, hielt den Kopf erhoben und war bereit, jeden Augenblick zuzustoßen. Ihre kleinen Augen schossen wütende Blitze. Ich konnte die drei Bestien leicht unschädlich machen, da sie auf dem Deck nicht schnell vorankamen und nur dem gefährlich wurden, der ahnungslos in ihre Nähe geriet.

Die Anwesenheit der Schlangen auf dem Schiff war ein Rätsel, das ich mir nicht auf natürliche Weise erklären konnte. Der Schoner war auf allen Seiten von Wasser umgeben und hatte keine Verbindung mit dem Land, mit Ausnahme der kurzen Zeit, da der Laufsteg auf der Bordkante lag. Woher kamen also diese schrecklichen, Schlangen? Hatte sie jemand hergebracht, der meine Wege kannte und mir nach dem Leben trachtete?

Der Hund, den das Reptil ohne Zweifel gebissen hatte, kam nicht weiter als bis ans Ufer; dort brach er plötzlich zusammen.

Er lebte nur noch einige Minuten. Sein Körper wurde von furcht-baren Krämpfen geschüttelt, und blutiger Schaum troff ihm von den Lefzen. Auch aus den Augen und den Ohren trat Blut heraus. Erschüttert stellte ich die verheerende Wirkung des Giftes fest, und als der Hund verendet war, wurde mir bewußt, daß ich jetzt leblos hier liegen würde, wenn nicht dieser unfreiwillige Wohltäter gewesen wäre. Obwohl ich mir nicht leicht Angst einjagen lasse, packte mich Entsetzen, und eisige Schauer jagten mir über den Rücken.

Den Gefährten gegenüber erwähnte ich nichts von meinem Verdacht; doch kamen auch sie gleich auf den Gedanken, daß hier die Hand eines Feindes im Spiele sein müsse. Aber wer kam für diese Tat in Frage? Das zu erraten war nicht allzuschwer. Auch die vielen Schlangen entlang unserem Pfad erschienen ihnen jetzt verdächtig.

„Da steckt er dahinter, das ist sein Werk”, behauptete Arnak mit düsterer Miene und blickte forschend umher, als suche er im Gebüsch einen verborgenen Feind.

„Jetzt ist er bestimmt nicht hier”, rief ich lachend. „Wenn er uns die Schlangen bringt, dann nur des Nachts.”

„Du meinst, die Schlangen würden von jemandem hergebracht?’ fragte Manauri. Seine Stimme ließ Zweifel erkennen.

„Natürlich. Sie können nur von Karapana sein.”

„Ohne Zweifel sind sie von Karapana! Nur, daß er selbst sie bringen sollte. . .?”

„Wenn nicht er selbst, dann eben seine Gehilfen.”

„Auch das ist zweifelhaft, Jan.”

„Das verstehe ich nicht. Wie sollten die Schlangen sonst hierhergelangen?”

Auf dem Gesicht Manauris malten sich Unruhe und Sorge. „Karapana ist ein Zauberer”, brachte er dann gewissermaßen als Erklärung vor.

„Du willst doch nicht behaupten, daß diese Bestien durch Zauberei hier auftauchen?’ rief ich aus.

„Karapana bringt manches zuwege. Er ist ein großer und gefährlicher Zauberer”, antwortete Manauri ausweichend.

Der Häuptling brachte also das Auftauchen der Schlangen mit bösen Zaubern in Verbindung, und die übrigen Gefährten, mit Ausnahme Arnaks, schienen diesen Glauben zu teilen. Jeder Zauber aber übt eine große Macht aus auf die Indianer, gegen die anzukämpfen ein hoffnungsloses Unterfangen ist, weshalb ich die Befürchtung hegte, daß mich meine arawakischen Freunde angesichts einer höheren Macht im Stich lassen oder zumindest mutlos werden könnten. Ich merkte jedoch bald, daß sie weder den Mut sinken ließen noch daran dachten, mich im Stich zu lassen. Die Ursache hierfür entdeckten sie mir nur zögernd: Karapana sei schrecklich, aber ich, ein Paranakedi, ein Engländer, noch dazu der Weiße Jaguar, verfüge auch über Zauber; meine Macht sei nicht geringer und werde die Beschwörungen Karapanas unschädlich machen.

„Ihr glaubt also, daß ich mit ihm fertig werde?” fragte ich.

„Du wirst mit ihm fertig, du wirst ihn überwältigen!” antworteten sie.

„Sein böser Wille muß mit einer zuverlässigeren Waffe überwunden werden, als es Zaubereien sind.”

„Es gibt keine besseren!” schrien mehrere Indianer betroffen. „Welche denn?”

„Unsere Wachsamkeit.”

Ihre Gesichter drückten Geringschätzung aus, dann aber antworteten sie: „Ja, natürlich.”

„Und ihr wollt mir dabei helfen?”

„Wie könnte es anders sein? Du bist unser Weißer Jaguar, unser Freund”, versicherten sie. „Wir helfen dir!”

„Ich gebe euch Büchsen, und wir werden dem Schuft auflauern. Wir wollen doch sehen, wie er unser Blei verträgt!”

Dieser Vorschlag fand jedoch keinen Anklang bei ihnen. Nächtliches Schießen war nicht nach ihrem Sinn; außerdem fürchteten sie, damit die geheimen Mächte zu erzürnen. Sie wollten des

Nachts nicht auf irgend etwas Geheimnisvolles Jagd machen, sondern schlafen, und so wurde lediglich beschlossen, daß sie ihre Aufmerksamkeit erhöhen und die Schlangen in größerem Maße austilgen würden.

Als ich am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang in Gesellschaft Pedros und Arnaks zur Jagd aufbrach, erlebten wir nach einigen Minuten Weges eine Überraschung. Dort, wo der Pfad den Rand des Urwalds erreichte, lagen mitten auf dem Weg, als sollten sie diesen versperren, einige kleine Lehmfiguren. Sie sahen aus, als hätte sie die ungeschickte Hand eines Kindes geformt. Arnak, der voranging, bückte sich blitzschnell und gab uns mit einer energischen Handbewegung zu verstehen, daß wir nicht weitergehen sollten. In seinem Gesicht zeichneten sich Entsetzen und Schreck ab, entgeistert starrte er die Figuren an und war so verblüfft, wie ich es nur selten an ihm bemerkt hatte.

Die Figürchen waren kaum größer als ein Finger und stellten verschiedene Tiere dar: eine Eidechse, eine kleine Kröte, eine junge Schlange, einen nicht genau zu erkennenden Vierfüßler, einen Vogel und endlich einen Skorpion. Alle diese Geschöpfe lagen so, daß sie uns die Köpfe entgegenstreckten. Als ich sie genauer in Augenschein nahm, fiel mir auf, daß jedes von ihnen einen mißgestalteten Körperteil aufwies; bei dem einen war es ein plattgedrückter Kopf, bei dem andern eine ausgerissene Pfote, ein zerfleischter Rücken oder ausgekratzte Augen.

„Geh nicht näher heran”, flüsterte Arnak mit bebender Stimme. Überrascht und bestürzt zugleich betrachtete ich den Freund. „Wieder ein Zauber?” fragte ich.

„Ja, ein Zauber”, bestätigte er.

„Nun hat es dich auch noch gepackt”, sage ich vorwurfsvoll. „Arnak, lieber Arnak! Das ist doch albernes Zeug!”

„Nein, Jan”, verteidigte er sich ernst. „Das ist kein albernes Zeug mehr. Wenn der Zauberer jemanden vernichten will, dann legt er ihm solche beschworenen Figuren auf den Weg.”

„Und weshalb?”

„Um seinen Willen zu schwächen, sein Herz zu verderben, um ihm die Sinne zu verwirren...”

„Ich werde diesen Zauber zertreten”, erklärte ich.

„Tu es nicht! Die Figuren könnten vergiftet sein und das Gift durch die Schuhsohlen in deinen Körper gelangen.”

Nach einiger Zeit erholte sich Arnak von der ersten Bestürzung, sein Gesicht hellte sich auf, und ein feines Lächeln erschien auf seinem Mund.

„Nein, Jan”, sagte er heiter, wie um mich zu beruhigen. „Du hast mich gelehrt, daß alle diese Dinge Aberglauben sind, und dein Bemühen war nicht fruchtlos. Aber das hier sind keine Hirngespinste, es ist ein Beweis, daß Karapana geradezu versessen auf deinen Tod ist, und das ängstigt mich.”

„Woher willst du wissen, daß er es gerade auf mich abgesehen hat und nicht auf uns alle?”

„Sieh dorthin!”

Er deutete auf den Pfad, und ich entdeckte einige Schritte weiter noch eine einzelne Figur. Sie stellte ein Raubtier dar, und zwar einen Jaguar, der weiß angestrichen worden war; ohne Zweifel sollte es der Weiße Jaguar sein. Das ging allerdings mich an. Die Brust des Tieres war von einem Speer durchbohrt, welches Schicksal sichtlich auch mir beschieden sein sollte. Diese Drohungen ließen mich nur die Achseln zucken, und doch empfand ich diese verbissene Verfolgungswut des Zauberers als unheimlich. Sollte ich, ohne mir dessen bewußt zu sein, bereits seinen vernichtenden Einflüssen unterliegen?

Arnak ergriff plötzlich einen stärkeren Zweig und schlug damit so lange auf die Figuren ein, bis sie zu feinem Staub zerfallen waren, den er sorgfältig zur Seite fegte. Als er sich anschickte, auch den Jaguar auf die gleiche Weise zu zerschlagen, hielt ich ihn zurück, weil ich mir die Figur als Andenken aufheben wollte. Arnak schüttelte zwar den Kopf, doch schließlich gab er sich damit zufrieden.

„Berühre ihn aber nicht”, rief er mir warnend zu.

Wir schlangen eine dünne Liane um die Figur und hängten sie im Gebüsch auf, um sie auf dem Rückweg mitzunehmen.

Als wir nach einigen Stunden zurückkehrten, erwartete uns eine neue Überraschung: die Figur war weg. Während wir auf der Jagd waren, hatte sie jemand geholt. Von unserer Sippe hatte es bestimmt keiner getan, es mußte also ein Fremder in der Nähe unserer Hütten umherstreifen. Das Dickicht des Waldes, das uns wie eine Mauer umgab, verbarg ein düsteres Geheimnis.

„Den Weißen Jaguar mit dem durchbohrten Herzen hat nun dein Feind in der Hand”, erklärte Arnak. „Hüte dein Herz!” „Mein Herz ist gesund wie das eines Pferdes!” Ich lachte übermütig.

In der Tat fühlte ich mich ungewöhnlich wohl und strotzte geradezu vor Gesundheit, was eigentlich verwunderlich war, da in diesem feuchtschwülen Dunst bestimmt allerlei Krankheiten nisteten. Der beste Beweis dafür waren die Indianer selbst, von denen viele durch erschöpfende Fieberanfälle und andere heimtückische Krankheitserscheinungen geplagt wurden.

In der zweiten oder dritten Nacht nach der Entdeckung der unheilverkündenden Figuren erwachte ich und konnte nicht wieder einschlafen. Aus dem nahen Urwald klang lärmende Musik herüber, und vom Fluß her tönten die kreischenden Laute eines zweiten Orchesters, das zwar anders zusammengesetzt, doch nicht weniger geräuschvoll war. Auch in den Rohrwänden der Hütte huschte und knisterte es, hier waren kleine Eidechsen und anderes Gewürm am Werk. Da ich keinen Schlaf finden konnte, kreisten verschiedene Gedanken in meinem Kopf. Durch die unbegreifliche Feindschaft des Zauberers spitzte sich die Situation von Tag zu Tag zu. Ich mußte etwas Entscheidendes dagegen unternehmen. Aber was?

Plötzlich lauschte ich, alle Sinne angespannt. Mein Lager aus Zweigen, über die Felle gebreitet waren, befand sich unmittelbar an der Wand. Ich glaubte genau über mir ein Geräusch zu vernehmen, das sich von den üblichen unterschied. Es raschelte und

knisterte eigenartig, als ob das Rohr vorsichtig auseinandergeschoben würde. Nachdem ich eine Weile gehorcht hatte, war ich sicher, daß jemand von außen gewaltsam eine Öffnung in die Wand bohrte. Eben wollte ich aufstehen, um hinauszustürzen und den geheimnisvollen Besucher zu fassen, als etwas auf meinen Bauch herabfiel. Ich blieb ganz still liegen und machte keine Bewegung. Bald zeigte es sich, daß mir meine Beherrschung und Geistesgegenwart das Leben gerettet hatten, denn was auf meinem Bauch lag, war eine Schlange.

Sie war nicht groß, etwa zwei bis drei Fuß lang, und blieb zunächst regungslos liegen, als ob sie nicht wüßte, was sie tun solle. Mein Herz schlug zum Zerspringen, und ich getraute mich kaum zu atmen. Während der letzten Tage war ich mit der Natur dieser Wildnis eng vertraut geworden und wußte, daß die geringste Bewegung das gereizte Reptil veranlassen konnte, seinen Giftzahn in meinen Körper zu schlagen.

Nach einiger Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, rollte sich die Schlange auseinander und begann sich zu bewegen. Ich fühlte ihre schlüpfrige Haut und mußte meine ganze Willenskraft aufbieten, um ruhig zu bleiben. Sie glitt von meinem Bauch herunter, kroch langsam den Körper entlang, wand sich um meine Füße und verharrte einige Minuten so. Nachdem ich auch das ausgehalten hatte, spürte ich, daß sie langsam mein Lager verließ.





Schweißgebadet atmete ich auf. Es dauerte geraume Zeit, bis mein Blut wieder normal in den Adern kreiste und mein Denkvermögen zurückkehrte.

Das Ganze hatte sich in völliger Dunkelheit abgespielt, nicht einmal die Hand vor meinen Augen konnte ich sehen. Wenn mir auch keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, so war diese noch nicht endgültig gebannt. Die Schlange befand sich immer noch in der Nähe, vielleicht lag sie nur wenige Zoll von mir entfernt auf der Lauer. Ich blieb daher weiterhin regungslos liegen und wagte es nicht, die Gefährten zu rufen.

So verbrachte ich noch einige Stunden, bis es endlich zu tagen begann. Als das durch die Ritzen der Wand einfallende Licht die Dunkelheit zerstreute, sah ich mich vorsichtig um. Die Schlange war nirgends zu entdecken. Gleich darauf erwachten die Gefährten, und ich teilte ihnen mit, was sich in der Nacht ereignet hatte.

Wir standen auf und suchten jeden Winkel der Hütte nach der Schlange ab. Schließlich fanden wir sie in den Zweigen unter meinem Lager. Sie gehörte zu einer sehr giftigen und als äußerst angriffslustig bekannten Art. Als sie sich umzingelt sah, kam sie auf uns zu. Schnell und treffsicher versetzte ihr Arnak einen tödlichen Schlag mit dem Stock.

Als beredte Spur klaffte in der Wand über meinem Lager eine Öffnung. Das war bereits ein ausgesprochener Anschlag auf mein Leben. Wir alle empfanden den Ernst des Augenblicks und die Notwendigkeit, uns wirksamer zu verteidigen als bisher. Nun war niemand mehr dagegen, daß wir nachts Wachen ausstellen und auf jeden Unberufenen, der sich unseren Hütten näherte, schießen sollten.

„Ich gehe auf Wache”, meldete sich Arasybo als erster. In seinen Augen funkelte Haß.

„Wir alle werden die Wache übernehmen, der Reihe nach”, erwiderte Arnak.

„Aber ich als erster! Gleich in dieser Nacht!” beharrte der Hinkende auf seinem Willen.

Arasybo schielte doch, und in der Nacht braucht man ein gutes Sehvermögen. Die Gefährten erklärten mir aber, daß er Augen habe wie eine Katze. Er bekam also am Abend eine Büchse von mir, die ich mit gehacktem Blei geladen hatte; außerdem wies ich ihn an, auf keine geringere Entfernung als dreißig Schritt zu schießen. Damit er nicht vielleicht einen von uns töte, sollte er jeden sich Nähernden anrufen und sich überzeugen, wer es sei.

„Ich werde schon feststellen, wer es ist’, brummte der Hinkende.

Am Abend hatten wir unsere nächsten Nachbarn gewarnt und ihnen eingeschärft, sie sollten sich des Nachts unserer Hütte nicht nähern und auch den von uns in den Wald führenden Pfad nicht betreten.

Gegen Mitternacht wurden wir durch einen Schuß aus dem Schlaf gerissen. Wir rannten aus der Hütte. Arasybo rief uns zu, daß er auf einen heranschleichenden Menschen geschossen habe. „Hast du ihn angerufen?’ fragte ich ihn.

„Wozu? Es war ein Feind!”

Wir entzündeten Fackeln und liefen zu der von Arasybo be-zeichneten Stelle. Es war niemand zu entdecken. Entweder hatte der Schütze gefehlt — oder er hatte auf ein Trugbild geschossen.

Als es ganz hell geworden war, untersuchten wir die Stelle noch einmal. Diesmal mit Erfolg, denn wir fanden zahlreiche Blutspuren. Arasybo triumphierte.



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