Vier Schüsse auf dem Dorfplatz

Den Rest der Nacht verbrachte ich in festem, kräftigen-dem Schlaf. Sobald aber die Sonne aufging, begannen mich Alpträume zu quälen. Sie legten sich immer drückender auf meine Sinne, als wolle die vorausschauende Natur mir nicht gestatten, mich dem trügerischen Gefühl der Sicherheit hinzugeben, und rufe mir eine Warnung zu. Ein Tag schwerer Entscheidungen brach an, die Auseinandersetzung mit dem Gegner stand bevor, mit einem sehr ernst zu nehmenden Gegner, wie die Ereignisse der letzten Nacht gezeigt hatten. Wer könnte an einem solchen Tag ruhig schlafen?

Das, was mich schließlich erwachen ließ, war kein Traumbild, sondern eine schreckerfüllte, eindringliche, bekannte Stimme. „Weißer Jaguar! Weißer Jaguar!”

Als ich die Augen öffnete, stand Aripaj vor mir. Der Ausdruck seines Gesichts ließ mich sofort ganz munter werden.

„Aripaj, du bist es? Was ist geschehen?”

„Es steht schlecht, Herr!”

Es mußte wirklich schlecht stehen, denn gestern war ich für ihn noch kein Herr gewesen.

„Was ist denn geschehen, Freund? Sprich schon, zum Donnerwetter!”

„Verrat, Herr! Verrat liegt in der Luft! Ich bin aus Serima geflohen.”

„Was?” Ich sprang auf die Beine. „Haben sie herausbekommen, daß du gestern nacht. . .?” „Nein, das nicht. Koneso plant einen großen Verrat.”

„Koneso? Der Schlag soll ihn treffen! Was hat er getan?”

„Noch nichts, er will es erst tun. Er hat vor, uns an die Spanier auszuliefern.”

„Euch? Wen meinst du damit?”

„Alle, die mit eurer Sippe Serima verlassen möchten. Du weißt doch, nach dem Tode Kanaholos...”

„Ah, dann hat sicher auch der Zauberer seine Hand im Spiel?” „Ich weiß nicht, Herr. Das weiß ich nicht. Schütze uns, Herr. Wir fürchten die spanische Sklaverei.”

„Gut, Aripaj, bleibe hier! Ist dir bekannt, wieviel Arawaken Koneso den Spaniern ausliefern will?”

„Sehr viele, Weißer Jaguar. Alle, die ihm nicht ergeben sind. Ich habe gehört, daß es fünf mal zehn sein sollen, vielleicht auch mehr.”

„Ganze Familien?”

„Nein, nur Männer, die Spanier wollen keine Frauen haben.” „Wurden sie schon festgenommen?”

„Noch nicht. Viele haben sich mit ihren Angehörigen rechtzeitig in den Urwald gerettet. Einige Familien sind hierhergekommen, zu dir. Meine Frau und die Kinder sind auch dabei. Doch konnten nicht alle fliehen. Für die Zurückgebliebenen gibt es keine Rettung mehr. Die Spanier und die Tschaimas haben sie umstellt, auch viele Anhänger des Häuptlings passen auf sie auf. Obgleich sich Koneso bisher noch nicht öffentlich geäußert hat, wissen wir genau, was er im Schilde führt.”

„Wissen die Umzingelten, was sie bei den Spaniern erwartet?” „Natürlich wissen sie es.”

„Und sie wehren sich nicht?’

Aripaj zögerte mit der Antwort, sein Gesicht wurde noch fn-sterer.

„Die Übermacht ist zu groß”, antwortete er schließlich unsicher. „Stell dir vor, Herr: Die Spanier sind zwölf und besitzen sämtlich Feuerwaffen. Die Tschaimas, die Ruderer, stehen ihnen zur Seite

und dann noch die Leute Konesos. .. Wie sollen die Unseren sich da wehren?”

„Sind denn alle Leute Konesos Verräter, die die eigenen Brüder der spanischen Sklaverei überliefern wollen?”

„Ob alle so sind, das weiß ich nicht, Herr, doch wenn es um die eigene Freiheit geht, ist sich jeder selbst der nächste.”

Es waren traurige Worte, die er aussprach, Schmach und Verzagtheit klangen aus ihnen. Ein schrecklicher Abgrund öffnete sich vor mir. Die Arawaken waren sonst weder niederträchtig noch feige, davon vermochte ich mich auf Schritt und Tritt bei den Anhängern unserer Sippe zu überzeugen. Ihr Herz verfluchte den Verrat, man konnte ihnen vertrauen. Wenn die in Serima einer solchen Schändlichkeit fähig waren und ihr eigenes Wohl durch schweres Unrecht an den nächsten Stammesbrüdern erkaufen wollten, dann mußte die Schuld allein bei den verkommenen Stammesältesten liegen. Der erbärmliche und geistesschwache Koneso, der wahnbesessene Verbrecher Karapana, Pirokaj, der Bruder Manauris — solche Menschen mußten einen schlechten Einfluß auf ihre Umgebung ausüben. Und diese Menschen hatten allen Grund, die Anwesenheit unserer Sippe zu fürchten, mit vollem Recht! Ich fühlte, wie der Zorn in mir emporstieg.

Während des Gesprächs mit Aripaj hatten Arnak und Wagura die Hütte betreten. Ihr Schweigen bekräftigte die Worte des Alten: Konesos Leute waren bereit zum Verrat.

„Im nächsten Jahr kommen die Spanier wieder und nehmen sie selbst mit!” rief ich empört.

Aripaj zuckte die Achseln und murmelte: „Dagegen kann man nichts machen, Herr.”

„Und wenn unsere Sippe den Spaniern entgegentritt? Was meinst du, Aripaj?”

Die Augen des Indianers begannen zu sprühen: „Du wirst siegen, Herr, der Weiße Jaguar ist unüberwindlich!”

„Nicht darum geht es”, erklärte ich. „Wissen möchte ich, ob dann die Arawaken, die Koneso für die spanische Sklaverei bestimmt hat, zu den Waffen greifen werden?”

„Ja, Herr. Sie werden Widerstand leisten und kämpfen”, versicherte Aripaj eilig.

„Und ihr? Wie denkt ihr darüber?’ fragte ich.

„Wenn ihnen nicht die Waffen abgenommen werden, bevor wir losschlagen, dann werden sie sicher nicht zurückstehen”, sagte Arnak vorsichtig.

„So ist es, wenn man ihnen nicht die Waffen abgenommen hat’, pflichtete ihm Wagura bei.

„Ob wir uns darauf verlassen können?” fragte ich. „Gibt es neue Nachrichten von Manauri? Ist der Bote gekommen?”

„Er ist da. Sie wollten ihn nicht herauslassen aus Serima. Er mußte sich mit Gewalt losreißen. Was Aripaj sagt, stimmt. Wir müssen schnell handeln, Jan.”

„Wie steht es bei den Warraulen?”

„Sie haben Waffen erhalten und sitzen in ihrer Hütte. Jetzt warten sie auf deinen Befehl.”

„Sie sollen sich weiterhin ruhig verhalten. Und unsere Krieger, sind sie bereit?”

„Sie sind bereit.”

Wir traten vor die Hütte. Hier standen sie alle. Kühne Gestalten mit zusammengepreßten Lippen. Selbstbewußt und unerschrocken blickten ihre Augen. Sie waren wie zu einem großen Kriegszug gerüstet: nicht nur Büchsen, Pistolen und Messer hatten sie mitgenommen, sondern auch Bogen, Keulen und Speere. Das Häuflein machte einen achtunggebietenden Eindruck, und meine Miene mußte wohl Anerkennung ausdrücken, denn die Krieger begrüßten mich äußerst herzlich. Aber wie wenige waren es! Kaum eine Handvoll!

„Sind das alle?” fragte ich Arnak.

„Alle”, erwiderte der junge Freund, und da er meine Unruhe bemerkte, fügte er erklärend hinzu: „Das heißt, die Neger bewachen den Schoner.. .” „Ich bedauere nun, daß ich alle weggeschickt habe. Zwei hätten dafür auch genügt.”

„Wir könnten sie zurückholen.”

„Wen sollen wir hinschicken?”

„Arasybo.”

„Nein, Arasybo brauche ich, er kann mit Schußwaffen umgehen.”

„Vielleicht Aripaj?”

„Gut, schicken wir Aripaj. Miguel und noch zwei andere Neger sollen mit ihm zurückkehren.”

„Manauri ist in Serima”, setzte Arnak seine Aufzählung fort, „und einer bewacht am Itamaka das Boot mit den Nahrungsmitteln. Zwei sind gleich nach unserer Ankunft in Serima in die Sippe Konesos übergetreten. Ohne dich waren wir also einundzwanzig, neun mußt du abziehen, dann bleiben zwölf übrig. Hier stehen zehn, Wagura ist der elfte, und ich bin der zwölfte. Soll der Bote zu Manauri zurück?”

„Nein, bei uns wird er dringender benötigt.”

Zwölf waren es also, mit mir dreizehn — ein verdammt winziges Häufchen für die schwere Aufgabe, die uns erwartete! Zwölf herrschsüchtige, kampfgewohnte Spanier standen uns gegenüber, die fünfzig indianische Krieger befehligten. Unser Lager aber war zerschlagen, der ganze Stamm in Auflösung, ein Bruder wollte dem andern an die Kehle springen. Wie sollte unser kleiner Haufen diesem grausamen Feind standhalten?

Während mir diese unerfreulichen Gedanken durch den Kopf gingen, fühlte ich Empörung und Wut auf den Zauberer und den Oberhäuptling in mir aufsteigen. In ihrer Dummheit und Niedertracht hatten sie mir den Krieg erklärt, die Pfade mit Schlangen gespickt, mich auf das Krankenlager geworfen. Alle anderen Dinge aber, die über das Schicksal des Stammes, ja über Leben und Tod entscheiden konnten, ließen sie unbeachtet. Irgendwo im Süden lauerten die Akawois, zog ein schweres Ungewitter herauf, hier aber hatte das Auftauchen der Spanier genügt, um die Zerrechlichkeit unserer Verteidigung mit einem Schlag auf zulecken.

„Arnak, wieviel Schußwaffen haben wir in Reserve?” Ich riß mich von meinen Gedanken los.

„Ungefähr dreißig Büchsen und zwanzig Pistolen.”

Wenn wir aus dieser Geschichte mit den Spaniern heil herauskommen, was sehr fraglich ist, müssen wir sofort eine größere Abteilung an den Schußwaffen ausbilden.”

„Es sind nicht mehr Leute in unserer Sippe.”

„Wir haben aber Freunde in Serima. Die nehmen wir in unsere Sippe auf, Koneso soll Grimassen schneiden, soviel er will. Und nun laßt uns sehen, ob die spanische Gefahr wirklich so schrecklich ist!”

Bevor wir uns auf den Weg machten, erfrischte ich mich durch ein Bad im Fluß, rasierte mich und ließ mir, während ich frühstückte, die Haare schneiden. Anschließend zog ich die von La-sana auf Hochglanz gebrachte Kapitänsuniform an. Ich schimpfte weder auf das dicke Tuch noch auf die schweren Stiefel; denn um des stattlichen Eindrucks willen nahm ich diese Unannehmlichkeiten in Kauf. Wenn ich den Freunden Glauben schenken wollte, mußte ich tatsächlich prachtvoll aussehen. Sie schnalzten mit der Zunge, und Lasana war so ergriffen, daß sie feuchte Augen bekam.

„Du bist ja sehr leicht hingerissen”, tadelte ich sie scherzend. „Schön bist du, Jan!” Lasana lachte. „Noch nie hast du so stolz und prachtvoll ausgesehen. Oh, die armen Mädchen in Serima!” „Wirkt denn mein Anblick so, daß sie zu bedauern sind?” „Wenn sie dich erblicken, werden sie von dir schwärmen.” „Ich wünschte, die Spanier würden es tun.”

In der Hütte erteilte ich Arnak, Wagura, Arasybo, Kokuj und Lasana die letzten vertraulichen Anweisungen: „Wir haben nur sehr wenige Krieger, und die Spanier mit ihren Verbündeten bilden eine ansehnliche Macht. Also müssen wir eine List anwenden, damit sie glauben, wir wären zahlreicher. Waffen haben wir

genügend. Arasybo, Kokuj und Lasana nehmen sechs, sieben Büchsen, Lasana lauter Kugelflinten, die sind nicht so schwer. Ihr ladet sie nur mit Pulver und stellt euch in der Nähe von Serima am Rande des Urwalds auf, jeder an einer anderen Stelle. Auf ein Zeichen von mir — wir werden es noch festlegen — gibt jeder von euch nacheinander sechs oder sieben Schüsse ab. Die Spanier sollen glauben, wir hätten bewaffnete Abteilungen im Wald. Dann eilt ihr schnell an eine andere Stelle, ladet wieder und wartet auf das nächste Zeichen von mir. Beim zweitenmal ladet ihr die Waffen mit Kugeln.”

„Und wir?’ mischte sich Wagura ein. „Arnak und ich, was sollen wir tun?”

„Ihr seid mein Gefolge und begleitet mich mit allen Kriegern nach Serima.”

Nachdem wir die Einzelheiten besprochen und die Zeichen verabredet hatten, brachen wir auf. Wir gingen schweren Entscheidungen entgegen.

Es war schwül. Ein blendendweißer Dunstschleier überzog den Himmel. Die Sonne konnte ihn nicht durchdringen, doch wie aus einem Backofen strömte aus dieser dampfenden Kuppel eine schier unerträgliche Glut auf die Erde nieder. Als wir den kleinen Waldstreifen betraten, der unsere Siedlung von Serima trennte, wandte ich mich um und warf einen Blick auf die Hütten. Ich hatte sie in den letzten Wochen liebgewonnen, sie waren mir ein Stückchen Heimat. Niemals würde ich es dulden, daß die verhaßten Eindringlinge ihre Ruhe und ihr Glück störten.

Wir durchschritten das Wäldchen, und ich wies Lasana, die mit uns gegangen war, einen Platz an. Sie sollte mit Arasybo und Kokuj am Rande des Waldes bleiben, nur sollten sich Arasybo um fünfhundert und Kokuj um tausend Schritt weiter aufstellen. Sie bildeten drei Glieder einer Kette, die sich in weitem Halbkreis um Serima spannte.

Ich bewunderte die Ruhe und die Kaltblütigkeit Lasanas. Sie betrug sich so beherrscht wie ein erfahrener Krieger. Ihre Augen sagten mir, daß sie mir uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte. Zum Abschied faßte ich mit der linken Hand in ihr Haar im Hinterkopf und schüttelte sie kräftig.

„Ich werde dich nicht enttäuschen, Zauberpalme”, raunte ich und lachte.

„Ich weiß es”, erwiderte sie. Ihr Gesicht blieb ernst.

Hatte ich zuviel versprochen?

In Serima standen die Dinge nicht gut, wir alle sahen es schon von weitem. Die Spanier und ihre indianischen Ruderer liefen mit den Waffen in der Hand zwischen den Hütten umher. Wütende Schreie der Männer, weinende Kinderstimmen und Klagerufe der Frauen drangen an unsere Ohren, dazwischen ließen sich kurze Befehle vernehmen. In dem allgemeinen Durcheinander war der Grund des hastigen Treibens nicht gleich zu erkennen. Erst als wir die Hälfte der Entfernung bis zum Dorfplatz zurückgelegt hatten, konnten wir den Ursprung des Tumultes feststellen. Die Eindringlinge holten hier und dort Männer aus den Hütten und trieben sie auf dem Platz zusammen. Die meisten Arawaken sahen diesem Tun untätig zu, niemand versuchte den Gefangenen zu Hilfe zu eilen.

„Der Tanz scheint schon begonnen zu haben”, sagte ich und wandte mich mit bitterem Lächeln meinen Kriegern zu. „Freunde! Wem der Geruch des Pulvers nicht zusagt, der möge sich rechtzeitig in das Wäldchen zurückziehen und Lasana helfen. Hier kann es sehr heiß hergehen.”

„Der Weiße Jaguar treibt seinen Scherz mit uns’, knurrte Arnak etwas betroffen.

„Wir vertragen Hitze!” rief einer aus der Gruppe in scharfem Ton.

„Wir haben die Spanier zweimal verprügelt, warum sollten wir es nicht ein drittes Mal tun?” fügte ein anderer hinzu. „Du brauchst es nur zu befehlen, Jan.”

„Ihr benehmt euch so kühn und angriffslustig, als hätte ich mit dem Stock in einen Ameisenhaufen gestochen!” entgegnete ich.

Gern ließ ich ihnen Gerechtigkeit widerfahren. „Merkt euch aber eins: Ruhe bewahren, die Augen offenhalten und auf alles achten, was ich tue.”

Kaum hatte man uns in Serima entdeckt, als der Lärm schnell abnahm und die Menschen aufhörten umherzulaufen. Alle Blicke wandten sich uns zu. Sogar die Spanier verhielten den Schritt und starrten uns schweigend entgegen. In dem allgemeinen Schweigen, das nun über dem Dorf lag, zitterte die Erregung mehrerer hundert Menschen, die neue, ungewöhnliche Ereignisse er-warteten.

Wir schenkten ihrer Verwunderung keine Beachtung und setzten unseren Weg unbeirrt und ruhig fort. Unter einem breiten Toldo standen die Stammesältesten und der Kommandant der Spanier. Wir schritten auf diese Gruppe zu.

Wagura und neun Krieger blieben etwa fünfzig Schritt vor dem Toldo stehen. Von hier aus konnten sie sowohl die Ältesten als auch den Dorfplatz und das Flußufer gut im Auge behalten. Arnak und der zwölfte Krieger hielten sich dicht hinter mir, um mich im Fall eines plötzlichen Angriffs von rückwärts zu decken.

Als wir uns dem Toldo bis auf Pfeilschußweite genähert hatten, kam mir der Spanier entgegen, verneigte sich anmutig und rief schon von weitem mit freundlicher Stimme: „Verehrter Caballero, erlaubt mir, daß ich mit gebührender Bewunderung einen Gast begrüße, der nicht davor zurückschreckt, in diese öde Wildnis zu kommen, und dessen Haupt vom Glanz eines außergewöhnlichen, fast beunruhigenden Ruhmes umstrahlt ist.”

Diese äußerst ehrerbietigen, in so unerwartet herzlichem Ton vorgebrachten Worte überraschten mich derart, daß ich einen Augenblick ganz verblüfft war. Doch faßte ich mich gleich wie-der, schwenkte den Hut genauso artig wie er und antwortete: „Ich verneige mich voller Achtung und versichere, daß es mir außerordentliches Vergnügen bereitet, in dieser verlassenen Wildnis einem so höflichen und gebildeten Mann zu begegnen. Es sei mir gestattet, in Erwiderung der einnehmenden Begrüßungsworte zu bemerken, daß ich nicht aus eigenem Entschluß in diese Gegend gekommen bin und daß mir der beunruhigende Ruhm, den der Herr erwähnte, gegen meinen Willen zugeschrieben wird.” Ich sprach spanisch, und es kam nicht alles so glatt heraus, wie ich es gewünscht hatte, doch verstand mich Don Esteban und erwiderte lebhaft: „Mir sind Eure Erfahrungen und Abenteuer bekannt, und ich weiß, daß es nicht Eure Schuld ist, wenn Eure und die Wege der Spanier sich zweimal unter ungünstigen Bedingungen gekreuzt haben und es dabei zu bedauernswerten Vorfällen gekommen ist. Nicht immer trifft man auf Menschen guten Benehmens. Pedro hat mich über alles genau unterrichtet.” Nach diesem höflichen Austausch von Begrüßungsworten schüttelten wir uns die Hände. Der Spanier mochte höchstens fünfunddreißig Jahre alt sein. Sein ganzes Gesicht strahlte Wohlwollen aus, und sein Mund verharrte in freundlichem Lächeln. Als ich ihn aber näher betrachtete, stellte ich mit Erstaunen fest, daß die kalten Augen in seinem Gesicht an dem wohlwollenden Lächeln des Mundes keinen Anteil hatten. Als ob sie einem anderen Menschen gehörten, ging von diesen Augen eine eigenartige Kälte aus. In ihnen lag ein Ausdruck von Grausamkeit, der sie eine ganz andere Sprache als der Mund sprechen ließ.

Ich erschrak geradezu, daß ich im ersten Augenblick so leichtsinnig gewesen war und dem lächelnden Mund und den höflichen Worten hatte Vertrauen schenken wollen.

Sollte er ein Wolf im Schafpelz sein? dachte ich bei mir. Dann kann er seine wahre Natur schlecht verbergen, sie leuchtet ihm aus den Augen.

„Auf Ehre, ich erwarte Euch wie der Liebhaber seine Geliebte.” Der Spanier lachte und schob seine Hand freundschaftlich unter meinen Arm. „Ich brauche Eure Hilfe, ohne diese komme ich hier nicht weiter. Koneso ist ein unehrlicher Lump und ein abscheulicher Schwindler, ein räudiger Hund. Das werden mir Don Juan doch bestätigen?”

„Voll und ganz.”

„Ich habe gleich gewußt, daß wir uns einigen werden.”

„Ich bin immer für Einigung und Ordnung, Senor. Es fragt sich nur, welche Ordnung Euer Wohlgeboren meinen?” fragte ich mit unschuldiger Miene und zog die Augenbrauen etwas nach oben. „Koneso und seine Leute wollen die Verpflichtung nicht einlösen, die sie eingegangen sind. Sie versuchen alle möglichen Ausflüchte, die Schwindler! Nicht genug damit, daß sie die vor langer Zeit gemachten Schulden nicht bezahlen wollen, sehen sie in ihrer Verbohrtheit nicht einmal die großen Vorteile, die wir diesen Wilden bieten, und machen Schwierigkeiten, die Undankbaren.” „Ist so etwas möglich? Sie stellen sich gegen ihren eigenen Vor-teil?”

„So ist es. Der Stamm muß fünfzig junge Männer zur Verfügung stellen, denen wir in Angostura beibringen wollen, wie fruchtbringende Feldarbeit getan wird, und die nach zwei Jahren als tüchtige Bauern zu ihrem Stamm zurückkehren sollen, um den Wohlstand und das Glück aller zu mehren.”

Wie schön klangen diese Worte im Munde des Spaniers, und wie ganz anders sah es in Wirklichkeit aus! Die Indianer wußten nur zu gut, was unter fruchtbringender Arbeit auf den spanischen Haziendas zu verstehen war, was sie von den zwei Jahren zu halten hatten, und ließen sich nicht täuschen.

„Fünfzig junge Menschen sollen sie Euch geben?’ Ich pfiff leise durch die Zähne. „Wenn sie aus Angostura zurückkehren, werden die Arawaken eine mustergültige Landwirtschaft haben und der glücklichste Stamm in ganz Venezuela sein!”

Der Spanier versuchte mit forschendem Blick in meinem Gesicht zu lesen. Da er nichts Beunruhigendes feststellen konnte, lächelte er — aber diesmal nur mit den Augen. Sie lebten zum erstenmal auf, die Pupillen schienen zu lächeln, unheimlich, überheblich, spöttisch und verächtlich. Don Esteban hatte meine Ironie nicht herausgefühlt.

„Es stimmt, was der Herr Kavalier gesagt hat, pflichtete er mir etwas von oben herab bei, wie man zuweilen zu einem biederen Einfaltspinsel spricht, „doch ist es nur die halbe Wahrheit. Natürlich werden die Arawaken nach der Rückkehr der fünfzig Männer ein vorbildlicher und glücklicher Stamm sein, doch haben wir noch glücklichere Stämme in Venezuela, die die Segnungen unserer Zivilisation bereits kennengelernt haben.”

„Oh, wie glücklich müssen diese Stämme sein!” rief ich aus.



Der Spanier geriet etwas aus der Fassung, denn ich hatte viel lauter geschrien, als es diesem Ausruf der Bewunderung zugekommen wäre. Den verdächtigen Sinn meiner Worte und meinen Gesichtsausdruck schrieb er dem Umstand zu, daß ich als Angehöriger eines fremden Volkes mich etwas sonderbar ausdrückte und außerdem die spanische Sprache schlecht beherrschte.

Don Esteban machte eine weitausholende Handbewegung und sprach: „Ich weiß, daß Ihr erst vor kurzem hier angekommen seid; ich weiß auch, daß Ihr bei den Arawaken großes Ansehen genießt. Nicht bei allen, doch bei einem gewissen Teil. Außerdem habt Ihr eine Reihe von Menschen hierhergebracht und seid ihr Führer. Koneso hat mir nahegelegt, ich solle Eure Indianer und Neger mit nach Angostura nehmen, doch will ich es nicht tun, weil sie erst jetzt eingetroffen sind und bei mir keine Schulden haben wie Koneso. Koneso aber windet sich und erklärt, er habe keine Leute. Alle, die er mir geben wollte, seien in den Wald geflohen. Ich weiß, daß viele weggelaufen sind, doch sind noch genügend im Dorf. Daher bitte ich Euch, die Mißtrauischen zu überzeugen, daß es in ihrem Interesse liegt, vernünftig zu sein, sich nicht zu widersetzen und mit nach Angostura zu gehen. Wenn mir Koneso nicht volle fünfzig Männer gibt, dann sagt ihm, daß ich ihm die Haut vom Leibe ziehe.”

„Und die dort, was sind das für Leute?” fragte ich und deutete auf eine Gruppe Indianer, die unweit von uns auf dem Dorfplatz standen und wie Gefangene von Tschaimas bewacht wurden. „Worauf warten sie?”

„Sie kommen mit uns, doch sind es nur dreiundzwanzig, und ich benötige fünfzig.” „Sie haben so betrübte Gesichter.”

„Weil sie dumm sind! Sie wissen nicht, was sie dort erwartet.” „Vielleicht wissen sie es allzugut?”

Ich hatte diesen Satz langsam, mit scheinbar gleichgültiger Stimme gesprochen, Don Esteban aber warf mir einen scharfen Blick zu. Seine Augen waren wieder wachsam und unaussprechlich kalt. Er trat ganz nahe an mich heran, und ich sah, daß er schwarze, buschige Brauen und lange, feine Wimpern hatte. Die Iris seiner Augen aber war nicht braun, sondern grau wie Blei, und das verlieh seinem Blick jenen harten, eisernen Ausdruck. Auch um seinen Mund lag jetzt ein frostiger Zug, der von ausgesprochener Grausamkeit zeugte.

„Herr Kavalier!” sagte er mit Nachdruck und kam mir so nahe, daß ich seinen Atem an meiner Wange verspürte. „Herr Kavalier, ich hoffe, daß der Herr mich gut verstanden und die Bedeutung dessen, was ich vor einer Weile erklärt habe, richtig eingeschätzt hat.”

„Ich weiß im Augenblick nicht genau, was es war. Ich bitte, es mir in Erinnerung zu rufen.”

„Ich habe versichert, daß ich Eure Leute schonen und sie nicht anrühren werde.”

„Ja, richtig. Ich danke für das liebenswürdige Entgegenkommen, Don Esteban.”

„Ich habe dies in der Überzeugung getan, daß Ihr in Eurem eigenen Interesse helfen werdet, die fünfzig Mann aufzutreiben.” „Und wenn auch ich, genauso wie die Arawaken, mein Interesse nicht wahrzunehmen verstünde, wäre das eine schwere Sünde?” „Jetzt verstehe ich Euch nicht. Sprecht deutlicher!”

„Wenn ich Euch nicht helfen wollte?”

Don Esteban kniff die Augen zusammen, als ziele er mit einer unsichtbaren Büchse auf mich.

„Glaubt nicht, mein Herr, daß ich Eure Scherze vorhin nicht erkannt habe. Jetzt aber spottet Ihr offensichtlich. Doch Spott beiseite! Wenn Ihr das nicht tut, worum ich Euch ersuche, dann könnte es geschehen, daß ich mich doch noch an das erinnere, was mir Koneso bezüglich Eurer Leute geraten hat.”

„Jetzt bekomme ich also bereits eine Drohung zu hören?” „Wenn Ihr es so auffassen wollt, mein Herr?”

Scheinbar zutiefst erschreckt, bewegte ich den Kopf zuerst nach links, dann nach rechts und brach schließlich in schallendes Gelächter aus.

„Möge der Herr mir mein schlechtes Benehmen verzeihen, aber mir schoß eben ein belustigender Gedanke durch den Kopf: Es bestünde doch die Möglichkeit, daß auch meine Leute in den Urwald flüchten, genau wie die andern. Was dann?”

„Habe ich nicht Euch als Geisel hier?”

„Und wenn auch ich weglaufe?”

„Dann kann ich Euch nur sagen, daß ich über sehr flinke Leute und ausgezeichnete Schützen verfüge.”

„Gestattet Ihr mir, Senor, Eure Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß auch meine Leute Schußwaffen besitzen?”

Don Esteban zuckte geringschätzig mit den Achseln und erwiderte: „Pah, die Indianer sind schIechte Schützen.”

„Vielleicht doch nicht alle!”

Wir standen immer noch an der gleichen Stelle, an der wir uns die Hände geschüttelt hatten, in der Nähe des großen Toldos. Unter dem Dach saß Koneso und erwartete uns. Neben ihm befanden sich Manauri als Dolmetscher sowie die Häuptlinge Pirokaj und Fujudi. Hinter diesen standen mehrere bewaffnete Indianer, unter denen ich auch Pedro erblickte. Nur Karapana konnte ich nirgends entdecken.

„Bevor ich Euch eine Antwort gebe”, wandte ich mich an den Spanier und setzte wieder eine ernste Miene auf, „und endgültig ausspreche, welchen Standpunkt ich zu Euren Wünschen einnehme, gestattet mir, daß ich mich mit den Leuten unterhalte, die nach Angostura gehen werden.”

Don Esteban zögerte einen Augenblick, willigte aber schnell ein, als er mein Lächeln sah. Er wollte nicht als Feigling gelten.

Ich rief Manauri zu mir und forderte ihn auf, schnell zu berich-en, was sich in der letzten Stunde hier ereignet hatte. Die Worte [es Häuptlings bestätigten all das, was ich bereits von Aripaj und Don Esteban erfahren hatte. Als er fertig war, vergewisserte ich mich noch einmal und fragte: „Die dreiundzwanzig, die dort bewacht werden, sind das wirklich alles Leute, die sich zu uns bekannt haben, die Koneso lossein will, da sie ihm unbequem sind?’ „Es sind nur solche.”

„Von seinen Leuten hat Koneso niemand abgegeben?” „Keinen einzigen.”

„So ein Schuft! Und die sechs bewaffneten Halunken hinter Pirokaj und Fujudi — wer sind die?”

„Das ist die Leibwache des Oberhäuptlings. Es sind drei Söhne Konesos, einer meiner Neffen, ein Sohn Pirokajs, und zwei, Brüder Fujudis. Alles nächste Angehörige.”

„Man muß sie im Auge behalten, daß sie nicht hinterrücks einen Pfeil abschießen. Geh jetzt zu Wagura, hole dir deine Büchse und die übrigen Waffen und komm sofort zurück! Die Büchse ist mit gehacktem Blei geladen. Wir gehen zu den Gefangenen.”

„Wird Don Esteban es erlauben?”

„Er hat es schon erlaubt.”

„Er ist schön dumm!”

„Er ist nicht dumm: Er vertraut auf sich und sein Ansehen.” „Wird es zum Kampf kommen, Jan?”

„Das weiß ich noch nicht. Vielleicht läßt er sich vermeiden.” Nachdem Manauri zurückgekehrt war, gingen wir auf die Gruppe der dreiundzwanzig Unglücklichen zu. Sie standen in der Mitte des Platzes. Zusammengedrängt, ohne Waffen und von allen Seiten durch Tschaimas bewacht, boten sie einen beklagenswerten Anblick. Die Tschaimas waren kräftige, kriegerische Gestalten, sie gehörten zu den Kariben, die in den nördlich des Orinoko gelegenen Llanos lebten. Statt der üblichen Talismane trug ein jeder ein Kreuz aus Messing auf der Brust; offensichtlich hatten sie das Christentum angenommen.

Als die Gefangenen merkten, daß wir auf sie zugingen, erwachten sie aus ihrer Erstarrung. Sie hoben die Köpfe, gerieten in Bewegung, und in manchem Augenpaar glimmte ein Hoffnungsschimmer auf.

„Geht ihr gern mit den Spaniern?’ fragte ich sie.

Diese Frage klang fast wie Spott und Hohn. Alle verneinten voller Entsetzen.

„Warum seid ihr dann nicht geflohen, warum habt ihr euch nicht zur Wehr gesetzt?”

Einer der älteren Gefangenen, er mochte dreißig Jahre zählen, antwortete: „Es war nicht möglich, Herr, so plötzlich sind sie über uns hergefallen. Einigen ist es gelungen, uns nicht.”

„Ich möchte euch retten! Wenn es zu einem Kampf mit den Spaniern kommt, werdet ihr uns helfen?”

Jetzt wurden sie lebendig, die trüben Mienen hellten sich auf. Einige der Wächter wurden unruhig, traten näher heran und hoben in unzweideutiger Weise die Waffen.

Arnak sagte mir flüsternd, daß ein Sohn Konesos auf uns zukomme.

„Der wurde als Spitzel geschickt!” Ich überlegte einen Augenblick, dann wandte ich mich an Arnak: „Sie brauchen nicht zu wissen, worüber wir hier sprechen. Geh ihm entgegen und schicke ihn auf meinen Befehl zurück.”

„Und wenn er nicht gehorcht?”

„Das ist deine Sache, er hat zu gehorchen. Zum Blutvergießen darf es noch nicht kommen.”

„Auch ein Spanier nähert sich uns. Don Esteban hat ihn geschickt.”

„Der versteht nicht Arawakisch.”

Ich wandte mich wieder den Gefangenen zu.

„Natürlich wollen wir helfen, wenn es zum Kampf kommt”, sagte mein Gesprächspartner. „Wir wissen nur nicht, wie.”

„Ihr müßt plötzlich über eure Wächter herfallen.”

„Mit leeren Händen?”

„Es wird eine große Verwirrung geben. Waguras Krieger wer-den euch einige Keulen und Spieße zustecken. Hauptsächlich aber müßt ihr euch auf euch selbst und auf die Überraschung verlassen. Selbstverständlich helfen wir euch auch mit unseren Schußwaffen.”

„Gut, Herr, wir werden es tun!”

„Und nun wählt zwei oder drei aus eurer Mitte, die etwas später zu einer Beratung zum Toldo gerufen werden.”

„Jawohl, Herr.”

„Noch eines: Wenn wir euch aus den Händen der Spanier befreit haben, was werdet ihr dann unternehmen? Bleibt ihr in Serima?” „Niemals! Auf keinen Fall!” ertönten von überallher zornige Stimmen. „Koneso hat uns verkauft! Wir wollen nicht bei ihm bleiben! Er hat uns verraten!”

„Wollt ihr mit uns kommen?”

„Wohin du befiehlst, Weißer Jaguar.”

Arnak ließ den Sohn Konesos nicht zu uns heran, er stritt sich mit ihm auf halbem Weg. Das war nun nicht mehr notwendig, denn wir kehrten zum Tollt zurück. Bevor wir jedoch dort anlangten, entspann sich ein neuer Zwischenfall.

Einige spanische Söldner waren auf Waguras Gruppe zugeschlendert und hatten begonnen, sich über unsere Krieger lustig zu machen. Obgleich die Arawaken unserer Sippe aus der Zeit Spanisch verstanden, die sie in der Sklaverei verbracht hatten, reagierten sie nicht auf die Anspielungen und bewahrten vorbildliche Ruhe. Die Söldner hatten sich die Büchsen, die Waguras Leute in den Händen hielten, zum Ziel ihres Spottes erwählt und äußerten lachend ihre Zweifel, ob diese Knallrohre auch wirklich geladen seien. Der sich am frechsten gebärdende Spanier trat an Wagura heran und versuchte ihm die Büchse zu entreißen, um sich zu überzeugen, ob Pulver auf der Pfanne sei. Er hatte die Waffe mit beiden Händen am Lauf ergriffen, und da sie Wagura nicht losließ, zerrten sie beide hin und her.

Ich befürchtete, daß aus diesem Geplänkel eine vorzeitige Schießerei entstehen könne, und rief daher Wagura von weitem zu, er solle die Büchse loslassen. Der Bursche gehorchte sofort. Gleichzeitig mit mir traf der neugierige Don Esteban bei den Streitenden ein.

Der händelsüchtige Söldner spannte lachend den Hahn und tat übertrieben verwundert, als er das Pulver auf der Pfanne erblickte. Mit spöttischem Eifer zeigte er die Waffe den übrigen Spaniern, auch Don Esteban, damit sie das Pulver bewundern konnten.

„Que miraculo!” rief er aus. „Escopeta — die Flinte ist tatsächlich geladen!”

Der närrische Tropf bemerkte nicht einmal, daß Wagura mit Zornesfalten auf der Stirn langsam den Bogen in die linke Hand nahm, den Pfeil auflegte, die Sehne spannte und die Waffe gegen den ausgelassenen Raufbold hielt. Mit finsterem Gesicht ging ich schnell auf den jungen Indianer zu und herrschte ihn an, er solle Ruhe geben. Dann forderte ich den Söldner auf, Wagura die Büchse auszuhändigen. Der Stänkerer zeigte keine große Lust da-zu, doch als ihm Don Esteban den Befehl erteilte, wurde auch er vernünftig.

„Ihr scheint keine allzugroße Achtung vor unseren Schützen zu haben”, sagte ich belustigt zu Don Esteban.

„In der Tat nicht.” Der Spanier lachte, seine Augen aber blieben unbeweglich.

„Soll ich Euch einen Beweis für die Schießkunst meiner Indianer liefern?”

„Es fragt sich nur, wie. Übrigens wäre es schade um die Zeit.” Don Esteban winkte ab.

Ich sah mich auf dem Platz um und entdeckte ungefähr fünfzig Schritt von uns einige Flaschenkürbisse, die an einer waagerecht gespannten Liane hingen.' Sie hatten die Größe menschlicher Köpfe und waren anscheinend zum Trocknen aufgehängt worden.

„Was haltet Ihr von dem Ziel da?” Ich deutete mit der Hand auf die Früchte.

„Das ist zu klein”, erwiderte der Spanier. „Die Kürbisse treffen sie nicht.”

„Es käme auf einen Versuch an.”

„Also gut, der beste Schütze soll es versuchen. Wir werden sehen.” Don Esteban versuchte nicht, seine Heiterkeit zu verbergen.

„Nein, nicht der beste Schütze”, antwortete ich, „sondern irgendeiner. Am besten nicht einer, sondern drei. Wollt Ihr die Güte haben, drei meiner Indianer zu bestimmen?”

Don Esteban suchte drei Indianer aus und war fest überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch ich einer fürchterlichen Blamage entgegengingen. Zwei von ihnen waren einwandfreie Schützen, das wußte ich. Beim dritten allerdings hegte ich Zweifel.

„Nimm den größten Kürbis aufs Korn”, raunte ich diesem zu, doch er schien den Rat als beleidigend zu empfinden und blickte mich vorwurfsvoll an.

Ich trat mit Don Esteban etwas zur Seite, während Wagura seinen Leuten die letzten Anweisungen gab. Er tat es sehr umsichtig. Trotzdem hänselten ihn die spanischen Söldner wegen seiner Jugend. Sie riefen ihm zu, ein Säugling solle lieber Milch trinken und nicht mit ungeschickten Händchen nach dem Pulver greifen.

„Dürfen wir schießen?” fragte mich Wagura.

„Wollen Euer Wohlgeboren den Befehl erteilen?” Mit ausgesuchter Höflichkeit verneigte ich mich vor Don Esteban.

„Also, drei Löcher in die Luft!” rief der Spanier und klatschte in die Hände.

Die drei Schützen standen nebeneinander. Auf ein Zeichen Waguras hob der erste die Büchse, legte an, zielte kurz und schoß. Der zweite und der dritte taten das gleiche. Der erste Kürbis wurde in lauter kleine Stücke zerrissen, vom zweiten blieb nur noch ein Rest hängen, und der dritte löste sich genauso auf wie der erste.

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Kaum hatten die Indianer die Schüsse abgegeben, als sie die Büchsen sofort wieder luden. Sie blieben völlig ruhig und achteten nicht auf das Geschrei, das die Spanier von sich gaben, als sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatten. Auf den bärtigen Gesichtern der Söldner malte sich Verwunderung, Ungläubigkeit, ja sogar Schreck. Unsere Gruppe stand wieder so ruhig da wie zuvor und tat, als ginge sie der Lärm ringsum überhaupt nichts an. Lediglich Waguras Augen blitzten fröhlich, und er sandte ein verächtliches Lächeln zu den Spaniern hinüber.

Don Esteban war äußerst betroffen und schwieg. Er wich unseren Blicken aus, als wolle er vor mir verbergen, was sich in seinem Innern abspielte.

„Unsere bisherigen Siege über die Spanier verdanken wir dem Umstand”, erklärte ich ihm höflich, aber mit Nachdruck, „daß die Feinde unsere Leute zu leicht einschätzten.”

Ein kurzer, scharfer Blick Don Estebans belehrte mich, daß er meine Worte richtig verstanden hatte. Er unterbrach sein Schweigen und deutete auf die Früchte.

„Vielleicht war es ein Zufall?”

Ein Hund, weder groß noch klein, den die Schüsse erschreckt hatten, stürzte aus einer Hütte heraus und lief über den Dorfplatz. Als Wagura ihn erblickte, sprang er vor, legte an und schoß. Es ging so schnell, daß ich den Heißsporn nicht zurückhalten konnte. Obwohl der Hund an die vierzig Schritt von uns entfernt war und in schnellem Lauf dahinjagte, fiel er um wie vom Blitz getroffen und blieb nach einigen zuckenden Bewegungen tot liegen.

Ein spanischer Söldner, der in der Nähe stand, lief zu ihm hin und stieß ihn mit dem Fuß an.

„Genau ins Herz!” rief er aus und starrte maßlos erstaunt und mit schreckerfüllten Augen zu uns herüber.

Don Esteban strich sich hastig seinen Vollbart. Seine Wangen schienen plötzlich eingefallen, und düstere Schatten lagen auf seinem Gesicht. Es kostete ihn Mühe, seinen Mund zu einem Lächeln zu zwingen.

„Wieviel solcher Leute habt Ihr denn?” Er betrachtete mich mit kalten Augen.

„Leider nicht viele”, antwortete ich mit einem Seufzer des Bedauerns. „Außer diesen, die Ihr hier seht, sind es noch einige Abteilungen, die sich im Augenblick unweit von hier im Urwald befinden.”

„Abteilungen! Im Urwald? Was machen sie dort?”

„Sie haben eine Übung und erwarten meine Befehle.” Wieder warf er mir einen seltsamen Blick zu.



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