Wo die Ameisen Richter sind

ingedenk der traurigen Erfahrungen auf der Pariahalbinsel stürzten einige sofort zu den Waffen, andere I begannen den Anker zu heben. Da wir ganz nahe am Ufer lagen und der Schoner fast völlig unter dem Dach des weit über das Wasser hinausragenden Astwerks verborgen war, hegten wir die Hoffnung, daß uns die Indianer nicht bemerken würden und wir das andere Ufer erreichen könnten, bevor uns eine Gefahr drohte.

Leider kam es anders, denn die Indianer hatten uns bereits bemerkt. Aus dem Dickicht gegenüber dem Schiff ertönte plötzlich eine laute Stimme. Obwohl der Rufer höchstens fünfzehn Schritt von uns entfernt war, konnten wir ihn nicht entdecken; auch seine Worte waren unverständlich für uns. Während unsere Augen noch das dichte Blattwerk absuchten, erscholl eine andere Stimme, diesmal von oben, aus den Wipfeln der Bäume. Wir rissen die Köpfe hoch, doch auch hier war keine Spur von einem Menschen wahrzunehmen.

„Sicher sind es Warraulen”, flüsterte Manauri besorgt. „Warraulen oder Guaraunos, das bleibt sich gleich”, fügte Arnak hinzu.

In diesem Augenblick vernahmen wir eine dritte Stimme, die uns völlig aus der Fassung brachte, denn sie schien aus dem Wasser selbst zu kommen. Sie drang vom Bug des Schiffes her, obgleich im Fluß niemand zu sehen war. Mir war bekannt, daß es Menschen gibt, sogenannte Bauchredner, die die Fähigkeit besitzen, mehrere Stimmen aus verschiedenen Richtungen ertönen

zu lassen; doch das hier mußte etwas anderes sein. Diese unheimlichen Laute ließen uns unsere Lage als äußerst ungünstig empfinden. Es ist entschieden unangenehm, von geheimnisvollen Stimmen umgeben zu sein, keinen Menschen zu sehen und jeden Augenblick damit rechnen zu müssen, daß ein Hagel von Geschossen niedergeht.

Den Eingeborenen blieb unsere Verwirrung nicht verborgen. Wie wir ihrem Tun entnehmen konnten, machten sie sich lustig darüber. Als wir auf das Wasser blickten, um den Ursprung der geheimnisvollen Stimme im Fluß zu ergründen, erhob sich von mehreren Seiten höhnisches Gelächter.

Die Worte, die uns zugerufen wurden, waren immer die gleichen, sie klangen wie eine Frage, wer wir seien. Manauri entschloß sich daher zu antworten und erklärte den Unsichtbaren in arawakischer und in spanischer Sprache, daß wir Arawaken beziehungsweise Lokonos seien. Lokonos nannten sich die Arawaken untereinander. Das Wort Arawaken schienen die Eingeborenen zu verstehen, denn sie wiederholten es mehrmals und gaben dann einen Ruf weiter, der sich so anhörte, als werde jemand aufgefordert, herbeizukommen. Bald erklang wieder eine Stimme aus dem Dickicht, diesmal aber in arawakischer Sprache.

„Ihr seid Arawaken?” fragte der verborgene Sprecher. „Jawohl, wir sind Arawaken”, antwortete Manauri.

„Was sucht ihr hier?”

„Wir kehren in unser Land zurück, an den Pomerun.” „Von wo kehrt ihr zurück?”

„Vom Geierberg.”

Im Dickicht trat Stille ein, der Mensch dort schien zu überlegen oder sich leise mit andern zu besprechen. Nach einer Weile rief er zornig: „Deine Zunge ist falsch! Du lügst!”

„Oho! Wie kommst du zu diesem Urteil?”

„Die Arawaken vom Geierberg sind schon vor langer Zeit nach Süden zurückgekehrt, niemand ist zurückgeblieben. Ihr könnt also nicht vom Geierberg kommen!”

Der Unbekannte war sichtlich gut unterrichtet. Wahrscheinlich war er Arawake, stammte aber aus einer anderen Gegend als meine Gefährten.

„Und doch kommen wir vom Geierberg. Der Häuptling Manauri hat noch nie gelogen, merke dir das!” antwortete der Häuptling in zurechtweisendem Ton und berichtete dann in kurzen Worten vom Überfall der Spanier auf sein Heimatdorf, vom Sklavenleben auf der Insel Margarita, von der Flucht und der Heimkehr in, das verlassene Dorf sowie von der jetzigen Reise zum Pomerun.

„Und wer bist du?” fragte er zum Schluß den Unsichtbaren.

„Ich heiße Fujudi und stamme vom Essequibo”, antwortete dieser schon bedeutend freundlicher.

„Was tust du hier an der Mündung des Orinoko, so weit entfernt vom Essequibo?”

„Ich habe den Essequibo bereits während der letzten Trockenzeit verlassen. Derzeit bin ich zu Besuch bei meinen Bekannten vom Stamm der Warraulen. Ich gehöre jetzt zur Gruppe des Häuptlings Koneso, die sich an der Mündung des Itamaka niedergelassen hat.”

„Koneso? Ist es jener Koneso, der unter dem Geierberg Häuptling war?”

„Ja, es ist derselbe.”

„Wo soll er sich mit seiner Gruppe jetzt aufhalten? Wir befinden uns doch auf dem Weg zu ihm.”

„Koneso hält sich am Orinoko auf, unweit von hier.”

„Was sagst du da? Er siedelt nicht am Pomerun?”

„Nein. Dort ist es jetzt sehr unsicher, die Akawois machen allen die Hölle heiß. Koneso, der vom Norden kam, faßte den Entschluß, am Orinoko zu bleiben, und hat sich an der Mündung des Itamaka niedergelassen, wie ich dir bereits gesagt habe.”

„Ist es weit von hier zum Itamaka?”

„Vier bis fünf Tagereisen mit dem Boot, wenn man mit der Strömung fährt.”

Diese für uns so entscheidende Nachricht verursachte keine geringe Aufregung auf dem Schiff. Wenn dem so war, brauchten wir ja nicht weiterzusegeln; das Ziel unserer Reise lag unmittelbar vor uns, am Orinoko selbst.

Der bisher so gesprächige Fujudi — unter diesem Namen hatte er sich vorgestellt — hüllte sich nun in Schweigen. Wahrscheinlich berichtete er den anderen über das Ergebnis des Wortwechsels. Es mußten aber neue Bedenken uns gegenüber aufgetaucht sein, denn nach längerem Schweigen meldete sich Fujudi erneut und fragte: „Auf eurem Schiff befinden sich nicht nur Arawaken. Wer sind die anderen?”

„Es sind Neger, die ebenfalls aus der Sklaverei entflohen sind und nun mit uns leben”, erklärte Manauri.

„Und der junge Spanier?”

„Er ist unser Gefangener. Beim letzten Zusammenstoß mit den Spaniern haben wir die ganze Abteilung getötet, nur ihn haben wir lebend gefangengenommen.”

„Die ganze Abteilung habt ihr getötet? Solche Helden seid ihr?” In der Stimme des Unsichtbaren lag Ironie.

„Wir haben alle getötet. Es ist so, ob du es glaubst oder nicht.” „Wozu führt ihr den Gefangenen mit euch?”

„Er kennt die Gegend gut und weiß, wo die spanischen Befestigungen liegen.”

„Und der zweite Jalanaui?” Jalanaui bedeutete: weißer

Mensch. „Er ist ein Paranakedi, ein Engländer, ein reicher Häuptling in seinem Land, einer der berühmtesten Jäger und Krieger. Sein Herz ist furchtlos, er besitzt unermeßliche Erfahrungen und beweist im Kampf außerordentliche Klugheit.” „Oho!”

„Er ist unser bester Freund, den wir achten wie den mächtigsten Häuptling. Ihm und seinen Musketen haben wir es zu verdanken, daß wir zwei große Siege über die Spanier errungen haben.” „Oh! Oh!”

„Alle Feinde wurden getötet, dieses schöne Schiff haben wir erobert.. .”

„Auch das Pferd?”

„Auch dieses Pferd... Er ist eben unbesiegbar.”

„Und wie nennt ihr das Wunder?”

„Welches Wunder?”

„Dieses Wunder von Tapferkeit und Mut, den Paranakedi?” „Es ist der Weiße Jaguar”, antwortete Manauri ohne Zögern.

Diese maßlose Übertreibung bei der Schilderung meiner Person geschah sicher nicht ohne Grund. Wie ich den Häuptling kannte, verfolgte er damit bestimmte Absichten. Wahrscheinlich schrieb mir der Schlaukopf deshalb alle möglichen Tugenden und eine fast unbegrenzte Macht zu, weil er für sich Vorteile daraus ziehen wollte. Welcher Verwegene würde es wagen, mit ihm Streit anzufangen, wenn er einen so mächtigen Freund und Verbündeten hatte? Manauri wußte nicht, wie ihn sein Stamm aufnehmen würde; er befürchtete, daß die Begrüßung wenig günstig ausfallen könnte, und setzte daher Gerüchte in Umlauf, daß wir unbesiegbar seien.

„Du hast gesagt, daß er sehr reich ist?” fragte Fujudi weiter, wobei seine Stimme nicht mehr höhnisch klang, sondern eher Verwunderung ausdrückte. „Warum ist er dann nackt wie jeder andere von euch armen Schluckern?”

Da hörte ich es wieder! Es war immer das gleiche. Die Eingeborenen konnten sich die Europäer nicht anders vorstellen als bekleidet, in Stiefeln, herausgeputzt, mit einem Hut auf dem Kopf und dem blitzenden Degen an der Seite. In ihrer Vorstellung verband sich der Begriff Macht mit prunkvollem Aussehen. Ein Europäer ohne Kleidung konnte keine Macht besitzen, war also völlig bedeutungslos. Ihnen erklären zu wollen, daß ich mir in dem heißen Klima auf der Insel das Tragen von Kleidung abgewöhnt hatte und mich ohne Kleidung viel wohler fühlte, würde bedeuten, tauben Ohren zu predigen.

„Das ist so seine Gewohnheit, es ist eine Marotte dieses großen Häuptlings”, erklärte Manauri.

Endlich schien man am Ufer zu einem befriedigenden Urteil

über uns gekommen zu sein, denn Fujudi rief uns zu, wir sollten ihm ein Boot schicken, damit er auf das Schiff übersetzen könne. Während das Boot zum Ufer gerudert wurde, öffnete sich die grüne Wand des Waldes ein wenig und ließ für einen Augenblick zahlreiche mit Pfeil und Bogen bewaffnete Indianer erkennen, die hinter den nahen Bäumen verborgen waren. Sollte es zu einem Kampf kommen, so wäre es schlecht bestellt um uns!

Fujudi war ein starker, sehniger Mann im besten Alter, mit scharfem Blick und lebhaften Bewegungen — ein aufgeweckter Bursche, das erkannte man auf den ersten Blick. Ich hatte zum erstenmal Gelegenheit, einen Indianer im Festschmuck zu betrachten. Er trug eine Kopfbedeckung aus farbigen Federn, die miteinander verflochten waren, und seinen Hals zierten drei bunte Ketten, von denen ihm verschieden gefärbte Nüsse, Fischzähne und Tierkrallen über die Brust herabhingen. Sein nackter Körper, er trug nur den Lendenschurz, und besonders das Gesicht waren mit vielen schwarzen und roten Streifen bemalt.

Meine Gefährten, die sich immer noch in dem Zustand befanden, in dem sie aus der Sklaverei entflohen waren, sahen dagegen etwas verwahrlost aus. Sie hingen mit bewundernden Blicken an diesem prachtvollen Anblick und starrten Fujudi mit einem Ausdruck an, der fast an Neid grenzte. Es schien, als verspürten sie durch die Gegenwart ihres Stammesgenossen zum erstenmal den Atem der Freiheit, als versinnbildliche er ihnen das Ziel ihrer Reise.

Mit verständlicher Eile bestürmten sie Fujudi mit Fragen, wie es ihren Brüdern an der Mündung des Itamaka ergehe. Fujudi aber fand sich nur widerwillig zu der kurzen Antwort bereit, daß alles in Ordnung sei, und forderte seinerseits eine genaue Beschreibung unserer Abenteuer. Meine Gefährten erzählten ihm alles und verheimlichten nichts.

Als Fujudi genug erfahren hatte, wandte er sich an mich: „Meine Brüder loben dich, Weißer Jaguar, du hast ihnen geholfen und bist ihr guter Freund. Auch ich begrüße dich daher als Freund

und wünsche, daß du weiterhin unser Bruder bleiben mögest. Jekuana, mein Gastgeber, der Häuptling der hiesigen Warraulen, ladet dich und die anderen ein, in sein Dorf zu kommen. Heute findet ein großes Fest statt, und er möchte euch die gebührenden Ehren erweisen.”

„Wir nehmen die Einladung gern an”, antwortete ich. „Was für ein Fest wird denn gefeiert?”

„Das Gericht der Ameisen. Der Sohn des Häuptlings hält Hochzeit . . .”

Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, was es mit dem Gericht der Ameisen für eine Bewandtnis habe, doch merkte ich, daß alle meine Gefährten freudig erregt waren, und wollte ihnen die Freude nicht verderben.

In diesem Augenblick schossen mehrere große Boote aus der Biegung des Flusses hervor und hielten, von vielen Ruderern schnell vorangetrieben, auf uns zu. Sie nahmen den Schoner ins Schlepptau und brachten uns in kurzer Zeit zur Siedlung der War-raulen, die kaum eine Viertelmeile von unserem Ankerplatz entfernt lag.

Inzwischen hatten mir Manauri und Arnak die spanische Kapitänsuniform gebracht und forderten mich auf, sie sofort anzuziehen. Es war jene schwere Paradeuniform, in der es so verteufelt heiß war und von der sich der Häuptling unter keinen Umständen hatte trennen wollen. Da ich mich auf Manauris Kenntnisse der hiesigen Bräuche verließ, zog ich die Uniform an.

Dann fuhr ich in Arasybos Stiefel, schnallte mir den Degen mit dem Perlmuttgriff um und steckte die silberne Pistole in den Gürtel. Den Gipfel der Herrlichkeit aber bildete das Jaguarfell.

Jetzt wurde mir klar, warum die Frauen während der letzten Tage das Fell auf das Deck gebracht und es von morgens bis abends fleißig gegerbt, gestreckt, eingerieben und geglättet hatten, bis es ganz weich wurde und die Haare einen wunderbaren Glanz annahmen. Es war das Fell jenes Jaguars, den ich gemeinsam mit Arnak und Wagura auf der einsamen Insel erlegt hatte. Es wurde

mir nun so umgelegt, daß der Kopf des Raubtieres meinen Kopf bedeckte und nur das Gesicht frei ließ, während mir das Fell über die Schultern herabhing und bis zu den Fersen reichte.

Die Wirkung dieser Maskerade war über Erwarten groß. Meine Gefährten sahen zu mir auf wie zu einer Gottheit, und die eigenwilligen, sonst oft widerspenstigen Augen Lasanas nahmen vor Erregung einen feuchten Glanz an, der sie unaussprechlich schön erscheinen ließ. Mich überkam ein schmeichelhaftes Gefühl der Eitelkeit, das ich jedoch beschämt unterdrückte. Ich wandte mich Manauri zu und fragte ihn: „Höre, Häuptling! Feste feiern ist ganz schön, stehst du aber auch dafür ein, daß wir nicht in eine Falle geraten?”

„Glaube uns, hier gibt es keine Falle”, versicherten Manauri und Arnak gleichzeitig.

Inzwischen waren wir beim Dorf angelangt. Auf einer dem Urwald entrissenen Lichtung standen Hütten auf hohen Pfählen. Sie waren mit Laub überdacht und größtenteils ohne Wände. Die Behausungen lagen einzeln und in ziemlich großen Abständen voneinander. In der Mitte der Lichtung erhob sich eine große Plattform, die gleichfalls auf Pfählen errichtet worden war und deren Seiten ungefähr je hundert Schritt maßen. Auch auf dieser Plattform standen Hütten, doch waren sie ansehnlicher und größer als die anderen und lagen dicht nebeneinander. Sie umgaben von drei Seiten einen unbebauten freien Platz, der zum Fluß hin offen war.

Auf diesem Festplatz erwartete uns unter einem großen Baldachin aus Palmblättern der Häuptling Jekuana, umgeben vom Ältestenrat, der sich aus zwölf oder fünfzehn mit Bogen, Speeren, Keulen und Schilden bewaffneten Kriegern zusammensetzte. Der Häuptling war ein schwerer, wohlbeleibter Mann, der in einem mit Schnitzarbeiten reichverzierten Sessel saß, während die übrigen zu beiden Seiten von ihm Aufstellung genommen hatten. Etwas abseits erblickten wir drei leere Stühle, die sichtlich für die Gäste, also für uns, bestimmt waren.




Die Körper der Indianer waren bemalt, und jeder von ihnen trug reichen Schmuck in Form von Halsketten, Gürteln und Schnüren, an denen Zähne wilder Tiere und bunte Früchte baumelten. Ein Federschmuck aber prangte nur auf dem Kopfe Je-kuanas, woraus ich folgerte, daß dies das Symbol der Häuptlingswürde sei und daß sich der Arawake Fujudi, der ebenfalls einen solchen Schmuck angelegt hatte, als dem Häuptling ebenbürtig betrachtete.

Wie ich belehrt wurde, forderte das Zeremoniell, daß Jekuana so lange sitzen bleibe, bis wir unmittelbar vor ihm ständen; dann erst dürfe er aufstehen und uns ansprechen. Es zeigte sich aber, daß der Häuptling durch unseren Anblick so gebannt und geblendet wurde, daß er es einfach nicht mehr aushielt. Wir waren kaum die Leitern hinaufgestiegen und standen mit unseren Büchsen, die wir des größeren Eindrucks wegen mitgenommen hatten, am Rande der Plattform, als Jekuana trotz seiner Beleibtheit auf-sprang und mit lebhaften Worten auf uns einsprach.

Zum Glück war seine Rede, die von Fujudi ins Arawakische übersetzt wurde, nicht lang, dafür aber äußerst herzlich. Manauri antwortete ihm sofort mit ebenso höflichen Worten.

Unter dem Baldachin standen einige sehr große Tongefäße, von denen jedes gut zweihundert Liter faßte und die alle bis an den Rand mit einer trüben gelben Flüssigkeit gefüllt waren. Als Jekuana, Manauri und ich Platz genommen hatten, begann man die Flüssigkeit in Flaschenkürbisse zu schöpfen und bot sie uns zum Trinken an. Das Getränk hatte einen säuerlichen, aber keineswegs widerlichen Geschmack und enthielt Alkohol.

Arnak, der hinter mir stand, flüsterte mir zu: „Das ist Kaschiri, ein Getränk aus Kaschawa. Trink nicht zuviel davon!”

Plötzlich ertönte das rhythmische Schlagen von mehreren

Trommeln, zwei Reihen Tänzer betraten den Platz. Die eine Reihe bestand nur aus Männern, die andere wurde von Frauen gebildet. Sie bewegten sich mit kleinen Schritten vorwärts und vollführten nach einem monotonen Gesang verschiedene tänzerische Sprünge, die von anmutigen Bewegungen der Hände begleitet waren. Die Gesichter der Tänzer waren sehr ernst.

In der Mitte der Plattform bewegte sich ein Mensch mit einer Maske, die ihm ein abscheuliches Aussehen verlieh. Ihm oblag sichtlich die Aufgabe des Vortänzers, denn er tanzte auf seine Weise, indem er sich wie rasend drehte oder Gebärden ausführte, die eine Jagd oder einen Kampf andeuteten.

„Das ist der Zauberer”, erklärte mir Manauri.

„Wahrscheinlich ist es der, der zuvor so eigenartige Laute ausgestoßen hat.”

„Ja, er ist es.”

Jekuana war ein besonderer Typ. Er unterschied sich nicht nur durch die Fülle seines Leibes von den übrigen Indianern, sondern auch durch sein äußerst fröhliches Gemüt. Er lachte allen zu, besonders uns, seinen Gästen, schwatzte lustiges Zeug daher und forderte immer wieder zum Trinken auf. Die Flaschenkürbisse wanderten ständig von Hand zu Hand, doch nahm ich jedesmal einen kleineren Schluck und feuchtete mir endlich nur noch die Lippen an. Trotzdem wurde mir, da ich des Trinkens völlig entwöhnt war, etwas schwindlig, außerdem schwitzte ich fürchterlich. In der grausamen Hitze lief mir der Schweiß in Bächen den Körper hinab, aber ich sah, daß es auch den anderen nicht besser erging.

In einem Anfall verzweifelter Verwegenheit riß ich mein Jaguarfell herunter, warf es auf den Boden und trampelte wütend mit den Stiefeln darauf herum. Wenn ich geglaubt hatte, daß sich die Indianer empören könnten, so hatte ich mich getäuscht, denn es geschah nichts dergleichen. Im Gegenteil, Jekuana verfolgte mein Tun mit bewundernden Blicken und nahm es für eine Äußerung meiner uneingeschränkten Macht über das Wesen des

Jaguars. Er klatschte in die Hände und rief laut: „Der Weiße Jaguar! Unser Bruder, der Weiße Jaguar!”

Durch diese Wendung ermutigt, zog ich auch die Uniform aus und warf sie mit einer forschen Bewegung auf das Jaguarfell. Die Indianer erblickten darin einen Ausdruck der Verachtung für die Spanier und machten ihrer Freude durch laute Rufe Luft.

„Bezwinger der Spanier! Vernichter der Spanier!” riefen sie durcheinander.

Einige wollten Pedro herbeiführen, um ihren Spaß mit ihm zu treiben und ihm gehörig zuzusetzen. Nachdem ich sie jedoch ernst-haft ermahnt hatte, bezähmten sie ihre unpassenden Gelüste und ließen ihn in Ruhe.

Währenddessen nahmen Tanz und Gesang auf dem Platz vor uns ohne Unterbrechung ihren Fortgang, und der allgemeine Lärm steigerte sich von Minute zu Minute. Allmählich wurde auch ich von der leidenschaftlichen Stimmung um mich herum erfaßt. Die wogenden Tänze, der Kaschiri, das tobende Treiben und die Schwüle der Luft versetzten mich in eine Art Betäubung, die mir meine Anwesenheit unter den freudig erregten Indianern und die Rolle, die ich spielte, mit einemmal phantastisch und unwirklich erscheinen ließ. Hatte mich das Schicksal tatsächlich in die Urwaldeinsamkeit dieses hitzegärenden venezolanischen Flußdeltas verschlagen? War es wirklich der Virginier Jan Bober, der hier gedankenlos dem Dickwanst Jekuana zulachte, das Bild der unermüdlich tanzenden Indianer in sich aufnahm, das kokette Lächeln irgendeines hübschen Mädchens auffing und die unergründliche Fremdheit dieser Menschen empfand, die so ganz anders, so seltsam weit entfernt und doch so freundschaftlich waren?

Ja, diese Menschen waren mir fremd. Das unverhoffte Eindringen in die geheimnisvolle Feierlichkeit, in den Wirbel dieses Zechgelages schien ein Trugbild zu sein, ein wirrer Traum. Doch gleich darauf überkam mich ein anderes Gefühl, ein Gefühl herzlicher Wärme. Die Warraulen waren mir wohl fremd, aber die

anderen, meine Reisegefährten, mit denen ich im Glück und Unglück brüderlich verbunden war, standen mir so nahe, daß ich an ihnen hing wie an meiner Familie. In ihrer Mitte empfand ich die Gemeinsamkeit so stark, wie ich es nur von meinem Elternhaus kannte. Dieses tiefe Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Geborgenseins gab mir Kraft und ließ mich wie aus der sicheren Deckung hinter einer Palisade auf die Absonderlichkeiten dieser fremden Welt hinabblicken.

Und es gab manches Erstaunliche und Absonderliche! Plötzlich stand ein Vogel vor mir, der aus einem Märchen zu kommen schien, ein riesengroßer weißer Storch mit einem nach oben gestülpten schwarzen Schnabel. Er betrachtete mich eine ganze Weile — wahrscheinlich erschien ich ihm genauso sonderbar wie er mir — und begann dann seelenruhig die gebratenen Fische aufzufressen, die auf großen Blättern vor mir ausgebreitet lagen. Lachend vertrieben ihn die Umstehenden, doch er kehrte in unbezähmbarer Leidenschaft immer wieder zurück und schluckte so viele Fische, wie in seinem Schnabel Platz fanden. Bald erhielt er Gesellschaft. Eine Herde zahmer Affen kam heran, äugte argwöhnisch zu dem Wundertier, dem weißen Menschen, herüber und machte sich dann daran, die Vorräte an süßen Früchten zu plündern. Furchtlos liefen bunte Vögel und verschiedene Vierbeiner zwischen den Füßen der Menschen umher.

Mit einemmal verstummten die Trommeln bis auf eine. Die Tänzer hielten inne und gingen auseinander. Ich bemerkte, daß überall dort, wo auf der Plattform Pfähle aufragten, kleine längliche Netze, eine Art Hängematten, befestigt waren. Eben wurden zwei junge Menschen zu diesen Matten geleitet: ein Jüngling im Alter unseres Wagura und ein bedeutend jüngeres Mädchen, das ich auf höchstens dreizehn Jahre schätzte, doch zeugten seine entwickelten Brüste davon, daß es kein Kind mehr war.

Es war das Brautpaar. Wie die Mehrzahl der Anwesenden trug der junge Mann nur einen Faserschurz um die Lenden, während das Mädchen mit einem kurzen Schürzehen bekleidet war, das

ihren Schoß bedeckte. Die beiden mußten sich in zwei nebeneinander hängende Matten legen. Der Zauberer — er hatte inzwischen die Maske abgenommen, und wir sahen, daß es ein älterer Mann war - umtanzte mit gewandten Bewegungen und geistesabwesendem Blick das ruhig liegende Paar, wobei er beschwörende Formeln schrie und zwei kleine, dicht verschlossene Körbchen schwenkte. Obwohl nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen, ja selbst die Kinder bereits berauscht waren, wurde es auf der Plattform mäuschenstill. Nur die Affen, die wir vertrieben hatten, quiekten und schwatzten in der Ferne. Jekuana, der Vater des Jünglings, war vor Erregung fast nüchtern geworden.

Der Zauberer sprang zu mir heran und gestattete mir als besonderen Gunstbeweis, einen Blick in einen der Körbe zu werfen, dessen Deckel er ein wenig öffnete. Drinnen wimmelte es von Tausenden wütender Ameisen. Der Alte verschloß das Körbchen wieder und eilte zu den Hängematten, wo er das eine Körbchen auf die nackte Brust des Jünglings und das zweite auf die Brust des Mädchens stellte. Die Spannung der Anwesenden stieg, das „Gericht der Ameisen” nahm seinen Anfang.

„Im Boden der Körbchen befinden sich kleine Öffnungen”, ließ mir Fujudi durch Arnak mitteilen. „Die Ameisen können zwar nicht entwischen, doch vermögen sie durch das Gitter hindurch zu beißen. Oh, sie fangen schon an!”

Man konnte den jungen Leuten am Gesicht ablesen, daß die Ameisen nicht müßig waren. Der Schweiß rann beiden aus allen Poren, und sie bissen sich vor Schmerz auf die Lippen; doch taten sie es möglichst unauffällig, um sich nicht zu verraten.

Fujudi fuhr in seiner Erklärung fort: „Es ist Bedingung, daß sie alles tapfer und mit größter Ruhe hinnehmen. Wenn sie vor Schmerz eine Bewegung machen oder gar seufzen und stöhnen, dann ist es aus.”

„Was ist aus?” fragte ich.

„Dann können sie nicht heiraten. Es wäre eine unvorstellbare Schande!”

„Dann dürfen sie nicht heiraten?” Ich wandte mich an Arnak: „Sie haben also noch nicht miteinander gelebt?”

„Doch, sie haben schon miteinander gelebt, aber heimlich. Jetzt dürfen sie auch öffentlich miteinander leben, können sich eine Hütte bauen und gemeinsam an ihrer Feuerstelle essen. Sie wird für ihn den Acker bearbeiten, und er wird ihr Fische und Wild nach Hause bringen.”

„Und sie werden Kinder haben.”

„Kinder können sie auch jetzt schon haben, das schadet nichts; nur dürfen sie jetzt nicht schreien, denn dann ist alles aus, und eine große, untilgbare Schande haftet ihnen an.”

Der Zauberer ersparte den beiden nichts. Jeden Augenblick schüttelte er bald den einen, bald den anderen Korb, um die Angriffslust der Ameisen zu steigern, und legte ihn dann wieder an eine andere Stelle des Körpers. Dabei steigerte die Trommel jedesmal ihre eintönige Begleitmusik, und die Menschen ringsum starrten mitleidlos und mit ständig wachsender Spannung auf die jungen Opfer. Allen leuchteten die Augen, doch vermochte ich nicht festzustellen, ob Trunkenheit die Ursache war oder verborgene Grausamkeit.

Die feierliche Zeremonie erreichte ihren Höhepunkt, als der Zauberer die Körbchen öffnete und den Inhalt auf die Körper des Brautpaares gleiten ließ. Es waren so viele Ameisen, daß die Haut stellenweise mit einer dicken schwarzen Schicht überzogen war. Sogar von weitem konnte man erkennen, daß die wütenden Insekten; während sie sich eilig über den ganzen Körper verteilten, bissen, was sie nur konnten. Bald gab es keine Stelle mehr an den gequälten Körpern, in die sie nicht ihr Gift gespritzt hatten.

Die beiden Opfer blieben standhaft und zuckten mit keiner Wimper. Der junge Mann war mit mehr Ameisen bedacht worden, und ich hatte den Eindruck, als ob er manchmal nicht mehr bei Bewußtsein sei. Die bissigen Quälgeister krochen auch auf die Gesichter der beiden und zwangen sie, die Lider zu schließen, damit ihnen nicht die Augen ausgefressen würden. Auch diese

Schmerzen ertrugen die Neuvermählten tapfer. Zwar quollen dem Mädchen Tränen unter den geschlossenen Lidern hervor, doch rührte es sich nicht und ließ keinen einzigen Seufzer hören.

Nach einiger Zeit begannen die Ameisen die Körper zu verlassen und verschwanden endlich auf der Plattform. Der Zauberer verkündete, daß das junge Paar die Probe bestanden habe; doch einige lärmende Jünglinge erhoben ihre Stimme und widersetzten sich dem Spruch. „Sie hat die Probe nicht bestanden! Sie können nicht heiraten, weil sie geweint hat!” schrien sie. Andere wieder verteidigten das Paar, und ehe wir uns versahen, war ein lauter Streit ausgebrochen, der nur mit Rücksicht auf die Gäste nicht in Schlägerei überging. Die Mehrzahl der Warraulen brachte die Neider und Unruhestifter mit einigen kräftigen Rippenstößen bald zur Vernunft, so daß wieder Ruhe und Frieden auf der Platt-form einkehrten. Die Brautleute waren mit einem blauen Auge davongekommen.

„Hast du das gesehen?” fragte mich Arnak und dämpfte seine Stimme, obgleich außer Wagura niemand Englisch verstand. „Was denn? Das Gericht der Ameisen?”

„Nein, den Streit! Weißt du, wovon das zeugt?”

„Na?”

„Daß der Zauberer ein Schlappschwanz ist, wenn sie sich erlauben, seinen Spruch umstoßen zu wollen. Das ist unerhört!” „Meinst du?”

„Eine solche Frechheit könnte woanders nicht vorkommen. Der Spruch des Zauberers ist heilig! In diesen Gegenden besitzt der Zauberer größere Macht als der Häuptling. Aber der hier?” Arnak schüttelte den Kopf.

Nachdem das Gericht der Ameisen seinen Abschluß gefunden hatte, kamen Unterhaltung und Trunk wieder zu ihrem Recht, der Lärm wurde zusehends größer und die Fröhlichkeit ausgelassener. Für die Häuptlinge und die Ältesten wurden Matten aufgehängt; auch ich ließ mich in einer von ihnen nieder und muß bekennen, daß ich mich äußerst wohl darin fühlte.

Wieder machte der Kaschiri die Runde, ich aber tat nur noch so, als spräche ich ihm tüchtig zu. Anders verhielten sich unsere Arawaken, von denen sich einige fürchterlich betranken. Zum Glück blieben Arnak, Wagura und Lasana nüchtern und paßten auf die anderen auf. So manchen sinnlos Betrunkenen brachten sie auf den Schoner, damit er sich dort ausschlafe.

Sehr gefiel mir die Enthaltsamkeit und Disziplin der Neger. Als sie sahen, daß die meisten Arawaken sich dem Trunk ergaben und das Trinken der Hauptbestandteil der indianischen Festlichkeit war, gingen sie mit Miguel auf das Schiff und wachten darüber, daß sich kein Unberufener an unserem Eigentum zu schaffen mache.

Manauri dagegen fühlte sich wie im siebenten Himmel, sprach fleißig dem Kaschiri zu und unterhielt sich durch die Vermittlung Fujudis äußerst lebhaft mit Jekuana. Es mußten ernste Dinge sein, die sich die beiden Häuptlinge im Vertrauen mitteilten, denn der Fettwanst brach jetzt seltener in laute Fröhlichkeit aus, zog öfter die Stirn in Falten und warf mir manchmal Blicke zu, die besonderes Wohlgefallen auszudrücken schienen. Schließlich stieg er aus seiner Matte, zog einen Stuhl heran und ließ sich neben mir nieder.

„Anau, großer, kluger Weißer Jaguar”, begann er das Gespräch mit melodischer Stimme und fuchtelte mit den Armen über mir herum, was wohl eine Gunstbezeigung darstellen sollte, „du bist ein weiser, mächtiger Häuptling!”

„Du schmeichelst meinem Stolz”, antwortete ich lachend. „Sicher hat Manauri albernes-Zeug über mich geschwatzt.”

„Albernes Zeug?” wiederholte der Warraule und zwinkerte mir zu. „Der Weiße Jaguar ist zu bescheiden! Wer besitzt so viele feurige Zähne, daß er — bum, bum, bum! — damit alle Feinde zerstückelt?”

Jekuana deutete mit achtungsvoller Gebärde auf die silberne Pistole, die ich aus dem Gürtel gezogen hatte, als ich in die Matte gestiegen war, und die nun vor mir lag.

„Solche Zähne habe ich, das ist wahr”, gab ich erheitert zu. „Und wer hat seine Gefährten dazu bewogen”, fuhr der Häuptling in dem gleichen schmeichelnden Tonfall fort, „daß alle lernen sollen, wie man mit den Feuerzähnen beißt? Der Weiße Jaguar hat sie dazu gebracht.”

„Auch das ist wahr”, stimmte ich fröhlich bei. „Aber sieh dich einmal um! Meine Feuerzähne können wohl schrecklich beißen, aber dein Kaschiri, obgleich er nur ein Getränk ist, hat sich als stärker erwiesen.”

Mit diesen Worten deutete ich auf eine Gruppe völlig betrunkener Arawaken. Alle ringsum brachen in Gelächter aus, und Jekuana bekannte mit prahlerischem Bedauern, daß dies nun ein-mal in der Natur der Indianer liege, sie seien eben unverbesserliche Säufer.

Um dem Gespräch eine nützlichere Wendung zu geben, fragte ich ihn, was er über die Engländer an der Essequibomündung wisse, da ich diese später gern einmal aufsuchen möchte. Doch der Häuptling tat meine Frage sehr schnell ab; entweder konnte er mir nicht viel darüber sagen, oder er wollte es nicht. Er äußerte lediglich, daß irgendwo im Süden Engländer lebten und daß sie den Indianern freundlicher entgegenkämen als die Holländer, die zahlreicher und viel schlechter seien.

„Oh, diese Holländer!” Jekuana schüttelte sich wie bei dem Gedanken an etwas schrecklich Unangenehmes.

„Sie sind euch wohl auf den Leib gerückt?” fragte ich neugierig. „Das fehlte uns noch! Sie selbst waren nicht hier, aber ihre Häscher, die Sklavenfänger.”

Als ob er schon zuviel gesagt habe, biß er sich plötzlich auf die Lippe.

Nach einer Weile sprach er mich erneut an. Seine Stimme klang bittend: „Weißer Jaguar, fahre nach Westen zum Itamaka und nicht nach Süden. Bei uns, bei den Warraulen und bei den Arawaken am Itamaka, findest du offene Herzen. Wir sind dir alle sehr zugetan, denn du kommst zu einer besonderen Zeit, in der wir dich doppelt freudig begrüßen. Du findest hier aufrichtige Freunde.”

„Was für eine Zeit ist das?”

Zum zweitenmal wich Jekuana der Antwort aus und tat, als habe er die Frage überhört. Vielleicht war er auch betrunken, denn er klatschte immer wieder in die Hände, rief die ihn bedienenden Frauen herbei und trug ihnen auf, Kaschiri zu bringen oder Obst und andere Leckerbissen anzubieten.

Es waren größtenteils flinke halbwüchsige Mädchen, die uns umsprangen wie fügsame Kätzchen, doch befanden sich auch reife Mädchen darunter, die genauso fröhlich umhertollten. Zwei knieten neben meiner Matte auf dem Boden und zwitscherten verlegen und aufgeregt durcheinander wie ein liebliches Vogelpaar.

„Was wollen sie von mir?” fragte ich die in der Nähe stehenden Gefährten.

Fujudi lachte und rief: „Nichts, sie sind übermütig und schäkern!”

„Worüber sprechen sie denn?”

„Sie sagen, wenn es um dich ginge, hätten sie keine Angst vor den Ameisen.”

Wir alle nahmen das als harmlosen Scherz hin, nur Lasana stand nach einer Weile auf, ging lachend auf die beiden Mädchen zu, holte sie unter meiner Hängematte hervor und scheuchte sie fort.

Die Sonne berührte bereits die Wipfel des Waldes, die Schatten begannen langsam zu schwinden. Da Jekuana zu gern unsere Waffen sehen wollte, geleitete ich ihn auf das Schiff und ließ die Büchsen auf das Deck bringen. Sie machten großen Eindruck auf ihn. Lange stand er davor und betrachtete sie in stummer Ehrfurcht; dann fragte er mich, wann wir wohl unsere Reise fortsetzen wollten.

„Morgen natürlich”, antwortete ich.

„Nach Sonnenaufgang setzt die Flut ein, dann segeln wir los.” „Du auch?”

„Ja, ich auch. Ich muß euch doch zu Oronapi begleiten. Eure Ankunft habe ich ihm bereits gemeldet’, entgegnete Jekuana. „Oronapi? Wer ist das?”

„Er ist das Oberhaupt aller Warraulen im Süden, er ist unser Oberhäuptling.”

„Meine Gefährten, die Arawaken, haben es sehr eilig, an den Itamaka zu kommen”, erinnerte ich ihn.

„Sie werden dadurch nicht aufgehalten. Kaiiwa, der Sitz Oro-napis, liegt auf dem Wege dorthin, direkt am Orinoko, zwei Tagereisen von hier entfernt.”

„Wenn es so ist, dann können wir dort vor Anker gehen.” Jekuana schien diesem Besuch außerordentlichen Wert beizumessen. Er nahm mich beim Arm und ging mit mir ein Stück das Flußufer entlang, bis wir zu einer Stelle kamen, an der ungefähr fünfzehn Boote lagen, die halb aus dem Wasser herausgezogen waren. Die kleineren bestanden aus Baumrinde, die sieben großen dagegen waren aus je einem mächtigen Baumstamm ausgebrannt worden. Der Häuptling gab mir zu verstehen, daß er mir eines der großen schenke, ich solle es mir aussuchen. Ein solches Boot, das mehr als zwanzig Menschen faßt, stellte ein kleines Vermögen dar, und die unerwartete Freigebigkeit Jekuanas bereitete nicht nur mir eine freudige Überraschung, sondern allen Arawaken.

„Das ist nichts Außergewöhnliches”, verteidigte sich der Häuptling. „Eure drei spanischen Boote sind zu schwer für diese Gewässer. So ein schmales Boot kommt euch sehr zustatten, es fliegt dahin wie ein Pfeil. Übrigens”, schloß er und suchte ein rätselhaftes Lächeln zu verbergen, „für den Kampf ist nur ein indianisches Boot zu gebrauchen.”

„Wieso für den Kampf? Warum schreckst du uns und sprichst von Kampf?”

„Ich will euch nicht schrecken, Weißer Jaguar, aber im Urwald lauert der Kampf auf Schritt und Tritt, und keiner kann sich ihm entziehen, auch du nicht. Nein, auch du nicht! Deshalb sollst du ein schnelles Boot haben.”

Er verfiel wieder in seine alte Fröhlichkeit, und ich wußte nicht, wie ich seine eigenartigen Worte auffassen sollte. Da ich ihm nichts schuldig bleiben mochte, bat ich ihn, er möge sich aus unseren Vorräten eine Waffe aussuchen. Er nahm einen Degen, der als Symbol der Herrschaft nach seiner Meinung wohl nachdrücklicher die Würde des Häuptlings hervorhob als eine Büchse.

Als ich später in der Hängematte lag und vor dem Einschlafen die Ereignisse des Tages an mir vorüberziehen ließ, konnte ich mich über die Gastfreundlichkeit und die verblüffende Herzlichkeit der Warraulen nicht genug wundern. Ihr Verhalten mir gegenüber, das geradezu Verehrung ausdrückte, kam so unerwartet und war so überwältigend wie etwa der durchdringende Geruch des Sumpfes und der modernden Pflanzen oder die schrillen Laute der nächtlichen Tierwelt, die meine Sinne betäubt und gelähmt hatten.



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