Der Kampf auf dem Fluß

In Kumaka summte es wie in einem Bienenstock. Serima ist in Gefahr! Alle beherrschte der gleiche Gedanke: Die Akawois hatten erkannt, daß wir in Kumaka auf der Hut waren und entschlossen, Widerstand zu leisten, weshalb sie den Beschluß faßten, nicht uns, sondern Serima zu überfallen. Sicher hatten sie erfahren, daß die Seuche bereits erloschen war. Wir mußten den Brüdern in Serima schnellstens zu Hilfe eilen. Trotz der Eile und der Dunkelheit entstand keine Unordnung, denn jeder Krieger wußte genau, in welches Boot er gehörte.

Meine Itauba mit Männern aus unserer Sippe stieß als erste vom Ufer ab. Wie von Teufeln besessen, durchpflügten wir das Wasser. Im Nu lag der See hinter uns, und kurz darauf erreichten wir den Fluß. Hier war Vorsicht geboten, um nicht in eine Falle zu geraten. Aber so sehr wir die Augen auch anstrengten, wir konnten nichts entdecken. Das Wasser vor uns war ruhig und der Himmel tiefschwarz, da der Mond noch nicht aufgegangen war.

Plötzlich tauchte ein Schatten auf. Ein Boot? Auf meinen geflüsterten Befehl zogen die Männer die Ruder aus dem Wasser. Es gab keinen Zweifel mehr, vor uns bewegte sich etwas, nun konnten wir bereits gedämpftes Rudergeräusch unterscheiden. Das Boot hielt genau auf uns zu.

„Ho!” rief ich leise.

Die Insassen des Bootes hatten den Ruf vernommen und antworteten. Es war eine der Jabotas, die den Akawois gefolgt waren. Nun kehrte sie mit einer wichtigen Meldung zurück. Die Akawois hatten Serima nicht überfallen, sie fuhren weiter dem Orinoko zu.

Erleichtert atmeten wir auf. Die Gefahr war an Serima vorübergegangen, ein Entsatz war nicht mehr nötig.

„Wo stecken die beiden anderen Jabotas, die mit euch auf dem Fluß waren?” fragte ich.

„Sie folgen den Akawois.”

„Das ist gut so!”

Unterdessen waren die übrigen Itauben aus Kumaka herangekommen. Wir ließen sie dicht neben uns halten und gaben die Nachricht weiter.

„Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als nach Kumaka zurückzukehren”, sagte Manauri, der über die Wendung der Dinge sichtlich erfreut war.

„Ja, wir kehren zurück’, stimmte ich ihm bei. „Nur müssen wir genau wissen, wohin sie fahren — flußabwärts oder den Orinoko hinauf, was mir weniger wahrscheinlich dünkt.”

„Richtig! Wir schicken ihnen das Boot sofort wieder nach.”

Die Besatzung schien nicht sehr erfreut über diesen Befehl des Oberhäuptlings und murmelte unwillig.

„Glaubt nicht, daß wir der Gefahr bereits endgültig entronnen sind”, sagte ich warnend. „Die Absichten der Akawois kennen wir nicht, und daß sie etwas im Schilde führen, ist gewiß! Nicht nur eine Jabota schicken wir hinter ihnen her, sondern zwei, damit ihnen ständig vier Boote auf den Fersen sind. Außerdem müssen alle Arawaken, die unterhalb Serimas am Itamaka und am Orinoko leben, möglichst bald von dem Geschehenen in Kenntnis gesetzt werden.”

„Sie erfahren es noch in dieser Nacht!” versicherte Manauri.

In gehobener Stimmung fuhren die Krieger ins Dorf zurück. Die Spannung war gewichen, sie fühlten sich freier.

Nach der ersten enthusiastischen Freude, die auch mich erfaßt hatte, kehrte rechtzeitig die kühle Erwägung zurück. Die Akawois waren abgefahren, aber wohin und mit welchem Ziel? Selbst

Kapitän Powell hatte bestätigt, daß sie Sklavenjäger seien, und da sie uns als zu stachligen und unsicheren Bissen hatten fahrenlassen und Serima aus Furcht vor der Seuche mieden, so erhob sich die Frage, auf wen sie sich nun werfen würden. Wer war der nächste? Entschieden die Warraulen, ein wenig kriegerischer Stamm von Fischern, der die Ufer des Orinoko bevölkerte. Wenn sich die Akawois also nach dem Verlassen des Itamaka flußabwärts wandten, dann mochten die Götter den Warraulen beistehen!

Gleich nach dem Eintreffen in Kumaka ließ ich Manduka und seine neun Warraulen herbeiholen und teilte ihnen in Anwesenheit Manauris und Fujudis, der als Dolmetscher diente, meine Befürchtungen mit. Manduka war sofort im Bilde.

„Wir kommen ihnen zuvor! Wir werden unsere Gefährten vor ihnen warnen!” rief er entschlossen aus. „Sicher wollen die Aka-wois über die Unsern herfallen, sie haben es schon öfter getan. Wir brechen sofort auf. Gebt uns aber die gleiche Itauba, mit der wir den Spaniern nachgesetzt sind.”

„Nehmt sie euch”, brummte Manauri.

Die Warraulen stürzten davon, um ihre Waffen und sonstigen Habseligkeiten zu holen. Ich eröffnete den Ältesten, daß auch wir nicht abseits stehen könnten, wenn es um das Schicksal unserer Freunde und Verbündeten ging.

Die Häuptlinge vernahmen meine Worte ohne Begeisterung und zögerten. Daher verlangte ich, daß ganz Kumaka sofort zu einer Beratung zusammengerufen werde. Als sich die Einwohner im Schein mehrerer Feuer auf dem Platz vor meiner Hütte versammelt hatten, erläuterte ich ihnen die Lage. Ungeachtet der so günstig erscheinenden Umstände, durften wir uns nicht sorglos der Ruhe hingeben, denn solange sich der Feind hier in der Nähe umhertrieb, hing unser aller Leben an einem Haar.

„Wir müssen den Warraulen helfen, und zwar unverzüglich!” rief ich laut. „Das ist unsere heilige Pflicht! Wenn wir die nächsten Jahre in Ruhe verbringen wollen, müssen wir uns auf unsere

Verbündeten verlassen können und deshalb heute den Akawois einen solchen Schlag versetzen, daß ihnen ein für allemal die Lust vergeht, uns wieder zu behelligen.”

In der Versammlung entstand ein unwilliges Murren, und irgend jemand zischelte: „Wir wissen noch nicht einmal, wohin sich die Akawois gewandt haben.”

„Richtig. Doch wenn sie den Orinoko hinunterfahren, dann ist es fast sicher, daß sie die Warraulen überfallen wollen. Geschieht es nicht, um so besser! Jedenfalls breche ich sofort zum Orinoko auf, und wer mein Freund ist und ein mutiges Herz besitzt, der möge mit mir kommen.”

„Sollen alle Krieger mit zum Orinoko?” fragte Manauri.

„Auf keinen Fall, höchstens hundert. Die übrigen müssen hierbleiben, denn wir wissen noch nicht, ob alle Akawois abgezogen sind, vielleicht hält sich in der Nähe eine zweite Abteilung verborgen. Auch du, Manauri, mußt zurückbleiben! Also, wer schließt sich mir an?”

Ich überflog die Gesichter der Zunächststehenden. Arnak und Wagura nickten mir zu und wollten sich eben melden, als aus unserer Sippe der Krieger Kokuj — es war der gleiche, der mit mir in der Itamakamündung die von den Spaniern gefangenen War-raulen befreit hatte — auf mich zutrat und mit fester Stimme verkündete: „Ich gehe mit dir! Du bist ein guter Häuptling und gewinnst jeden Kampf. Und mit mir kommen alle Krieger aus der Sippe des Weißen Jaguars, oder wollt ihr zu Hause bleiben?” Er drehte sich um und maß, plötzlich in Zorn geraten, die Anwesenden mit herausforderndem Blick.

„Nein, wir gehen mit”, ertönten die Stimmen unserer Leute.

Auch die fünf Neger mit Miguel an der Spitze meldeten sich sofort, dazu Pedro und Arasybo; dann trat ein kurzes Schweigen ein.

„Ich gehe auch mit, Weißer Jaguar, wenn die Krieger es vorziehen, zu Hause zu sitzen”, sprach Lasana und trat einige Schritte vor. „Auch einige Freundinnen von mir, die den Bogen zu ge-

brauchen verstehen! Wir werden die auf der faulen Haut liegenden Krieger nicht schlecht vertreten.”

Daraufhin entstand eine große Bewegung, empörte Rufe wurden laut, und ein großer Teil der Anwesenden versicherte, daß sie ebenfalls bereit seien.

Im gleichen Augenblick erreichte eine Jabota das Ufer und brachte die Nachricht, daß die Akawois den Orinoko hinuntergefahren seien.

„Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren!” rief ich aus. „Jetzt heißt es schnell zu handeln!”

Ungefähr neunzig Männer und einige Frauen nahmen an der Expedition teil. Zehn Büchsen ließ ich Manauri zurück, die übrigen Feuerwaffen nahmen wir mit, außerdem Nahrungsmittel für vier Tage. Wir bestiegen fünf mit Zweigen getarnte Itauben und drei kleinere Boote. Die jungen Häuptlinge Jaki und Konauro hatten sich uns angeschlossen. In jeder Itauba befand sich eine Gruppe mit ihrem Führer, in meinem Boot saßen einige Späher und mehrere Krieger aus unserer Sippe sowie Fujudi, Pedro, Ara-sybo und Lasana mit zwei Frauen. Pedro hatte nicht vergessen, die Karte vom Unterlauf des Orinoko mitzunehmen, und Arasybo trug den Schädel des Jaguars bei sich.

Es war unsere Absicht, die Warraulen zu warnen und möglichst vor den Akawois bei ihnen einzutreffen, was ohne Zweifel die kriegerischen Gelüste der Räuber abgekühlt hätte. Wir schonten daher weder uns noch die Ruder und flogen dahin wie von Dämonen gehetzt. An der Mündung des Itamaka gerieten wir in dichten Nebel, der über dem Orinoko lag. Die Sicht betrug kaum zehn Schritt im Umkreis, doch kannten sich die Ruderer in dieser Gegend gut aus, und wir fuhren mit unverminderter Schnelligkeit weiter. Am oberen Orinoko mußten starke Regenfälle niedergegangen sein, denn das Wasser stieg, und viele entwurzelte Bäume trieben im Fluß.

„Der Nebel erschwert den Akawois das Vorwärtskommen”, bemerkte Fujudi.

„Vielleicht hat er sie gezwungen, die Fahrt zu unterbrechen.” Diesen frommen Wunsch sprach Pedro aus.

„Das bezweifle ich”, gab ich ihm zu verstehen, „die Strömung weist ihnen den Weg.”

„Du hast recht, und die Akawois sind geübte Ruderer.” Allmählich verfärbte sich die schwarze Nebelwand, fahle Streifen schimmerten hindurch. Die Nacht ging zu Ende, der Morgen graute. Gleichzeitig erhob sich eine leichte Brise, die wir zwar nicht fühlten, da wir ständig in Bewegung waren, aber daran erkannten, daß sich der Nebel zu Wolken ballte, hin und wieder aufriß und merklich dünner wurde. Die Helligkeit nahm zu, schon konnten wir am rechten Ufer die bizarren Konturen des Urwalds wahrnehmen. Rosarote und goldene Strahlenschleier huschten über den Himmel und spiegelten sich im Wasser, und als schließlich die Sonne über die Wildnis emporstieg, zerflossen die letzten Nebelschwaden über dem Fluß.

Vor unseren Augen lag der mächtige Strom in seiner ganzen Pracht — und bereitete uns eine gewaltige Enttäuschung. Auf der riesigen Fläche gab es weder eine Spur von einem Boot noch von einem Lebewesen, nur unzählige Wasservögel tummelten sich in der Luft und auf den Wellen, und hier und dort schnellte ein Flußdelphin aus der Tiefe empor.

Nach einer Stunde verhielt das Wasser des Flusses seinen Lauf und begann bald darauf in die entgegengesetzte Richtung zu strömen: die Flut hatte eingesetzt. Da wir immer langsamer vorankamen und die Ruderer nach der durchwachten Nacht und den vorangegangenen aufregenden Tagen eine Ruhepause nötig hatten, fuhren wir an einer geeigneten Stelle ans Ufer, nahmen eine Stärkung zu uns und schliefen vier Stunden.

Gegen Mittag ließ die Strömung nach. Ungeachtet der erbarmungslosen Hitze setzten wir die Fahrt fort. Der leichte, vom Meer her wehende Wind erfrischte uns ein wenig, und trotzdem mußten wir die ganze Kraft aufbieten, um die Ruder richtig zu handhaben und nicht vor Glut ohnmächtig zu werden. Als sich die Strömung wieder gewendet hatte und dem Meer zustrebte, glitten wir wieder so schnell dahin wie in der Nacht.

Bald darauf erreichten wir die erste kleine Siedlung der War-raulen, die nur aus wenigen Hütten bestand. Die vom Fluß aus sichtbaren Behausungen erhoben sich auf einer etwas höher gelegenen kleinen Lichtung. Es fiel uns auf, daß nirgends ein Mensch zu sehen war. Arnak, dessen Boot dem Ufer am nächsten lag, erhielt den Auftrag, Nachrichten einzuholen, doch kaum war er bei den Hütten angelangt, als er uns aufgeregte Zeichen gab. Schnell fuhren wir ans Ufer und liefen zu ihm.

Auf den ersten Blick war zu sehen, daß die Siedlung vor kurzem überfallen worden war. Zwar standen die Hütten unberührt, aber zwischen ihnen und dem Urwald fanden wir die Leichen eines Indianers und dreier Frauen. Wir konnten uns gut vorstellen, was sich hier vor wenigen Stunden ereignet hatte. Die Bewohner der Siedlung waren von den Angreifern überrascht worden und hatten versucht, in den Urwald zu fliehen; ihre Feinde aber hatten sie eingeholt und mit den Keulen erschlagen.

„Unsere Befürchtungen bewahrheiten sich”, sagte ich leise.

Nicht einmal die Kinder hatten die Akawois verschont. Ein Stückchen weiter lagen zwei kleine Jungen mit abscheulich zertrümmerten Schädeln. Eilig durchsuchten wir die nächste Umgebung, konnten aber niemanden entdecken.

„Wenn jemand am Leben geblieben ist”, äußerte Konauro, „so haben sie ihn sicher gefangengenommen und mitgeführt.” „Ich möchte wissen, warum sie die Hütten nicht angesteckt haben”, fragte Wagura mit verwundertem Gesicht.

„Damit der Rauch sie nicht verrate”, erklärte ich ihm.

Die Hütten ihrem Schicksal überlassend, schleppten wir vom Waldrand riesige trockene und grüne Äste herbei, entzündeten ein mächtiges Feuer und eilten zu unseren Booten. Hinter uns stiegen dichte schwarze Rauchwolken zum Himmel, ein weithin sichtbares Zeichen der Warnung. Unsere Herzen waren von grimmiger Wut erfüllt, die die Arme der Ruderer zur Eile trieb.

Zwei Stunden waren vergangen, als plötzlich jemand in meinem Boot ausrief: „Achtung, seht dorthin!”

Durch die tarnenden Zweige hindurch deutete er auf etwas Verdächtiges, ganz weit vor uns.

„Seht, dort!” wiederholten einige Stimmen in den anderen Booten.

Tatsächlich hob sich auf der weiten Wasserfläche ein eigenartiger dunkler Fleck ab. Es war ein Strauch, der im Wasser lag. An diesem Tage trieben viele dem Land entrissene Bäume und Sträucher dem Meer entgegen, aber dieser Strauch verhielt sich merkwürdig. Er schwamm nicht mit dem Strom, sondern gegen ihn, kam langsam näher und hielt auf uns zu. Im Fernrohr konnte ich erkennen, daß sich hinter dem Gezweig ein kleines Boot verbarg. Nach einigen Minuten stellten wir fest, daß es sich um eine der Jabotas handelte, die zur Verfolgung der Akawois ausgeschickt worden waren. Wir gaben den Ruderern des Bootes das verabredete Zeichen.

Als sie uns erreichten, erhielten wir eine genaue Nachricht über die Akawois. Sie befanden sich etwa zehn Meilen vor uns und fuhren in großer Eile stromabwärts.

„Wie weit ist es von hier bis Kaiiwa?” fragte ich Fujudi.

„Wenn man danach rechnet, was die Weißen Meile nennen, so sind es ungefähr siebzig.”

„Vielleicht gelingt es uns, sie vorher einzuholen, was meint ihr?” wandte ich mich an die Krieger in den Itauben neben unserem Boot.

„Wir holen sie ein, natürlich holen wir sie ein!” riefen sie. „Habt ihr sie gezählt?” fragte ich die Kundschafter. „Wieviel Akawois sind in den Booten?”

„Es sind achtmal soviel wie Finger an beiden Händen. Sie haben neun Itauben.”

„Für achtzig Menschen neun Itauben? Wozu so viele Boote?” „Es sind keine großen Itauben, sie sind kleiner als unsere. Acht Boote fahren vor uns her, entlang des südlichen Ufers.”

„Hast du nicht von neun Booten gesprochen?”

„Das neunte Boot, das größte, ist heute morgen, noch vor Sonnenaufgang, auf die andere Flußseite gefahren. Dort haben wir es aus den Augen verloren.”

„Sie haben sich also in zwei Gruppen geteilt? Das schadet nichts. Wir verfolgen die in den acht Booten!”

Wir ruderten aus allen Kräften.

„Was war das für ein großer Rauch hinter euch?” erkundigte sich einer der Späher.

„Ah, ihr habt ihn bemerkt? Das ist gut so.”

In den Nachmittagsstunden erreichte die schwüle Hitze ihren Höhepunkt. Um diese Zeit lagen die Menschen gewöhnlich im Schatten, betäubt von der sengenden Glut. Die Sonne war über unseren Kopf hinweggewandert und brannte nun auf den Rücken. Ich bewunderte die Disziplin, die Härte und den guten Willen der Krieger, die trotz der höllischen Hitze in ihren Anstrengungen nicht nachließen. Wir preßten krampfhaft die Lippen aufeinander und ruderten schweigend und verbissen. Der Schweiß rann uns in Strömen den Körper herab.

Ein Mann in Jaks Itauba erblickte als erster die fremden Boote, aber nicht vor uns, sondern hinter uns. Es gab viele Indianer, deren Augen von ungewöhnlicher Sehschärfe waren. Und doch blieb es mir ein Rätsel, wie er auf dieser gleißenden Wasserwüste, in der sich mit sprühenden Funken und flackernden Strahlen Tausende Nachmittagssonnen spiegelten, die Boote zu erkennen vermochte. Jedenfalls hatte er sie erspäht.

„Die Akawois!” ging es durch die Reihen der Ruderer. „Dort sind die Akawois!”

Auch durch das Fernrohr waren sie nicht leicht auszumachen. Der Orinoko war hier fünf bis sechs Meilen breit, und die Punkte, die wir bemerkt hatten, schwammen etwa vier Meilen weit hinter uns. Sie hielten auch nicht genau unsere Richtung, sondern bewegten sich quer über den Fluß, vom jenseitigen Ufer zu unserem. Ich zählte vier Boote.

„Vielleicht sind es nicht die Akawois?” äußerte jemand. „Sie hatten doch nur ein Boot.”

Die Entfernung, die uns trennte, war zu groß, um Einzelheiten unterscheiden zu können. In den rätselhaften Booten befanden sich vielleicht fünfzig Indianer, und alle ruderten; die Akawois aber, die im Morgengrauen an das jenseitige Ufer gefahren waren, konnten höchstens fünfzehn an der Zahl gewesen sein. Wer waren also diese Leute? Sollten doch mehrerer akawoische Boote ans andere Ufer gelangt sein? Oder waren es Warraulen?

Nach einigem Überlegen beschlossen wir, das Rudern einzustellen und die fremden Boote herankommen zu lassen. Diese fuhren nun, da sie den Strom überquert hatten, in einer Entfernung von etwa zweihundert Schritt auf unserer Seite das Ufer entlang. Ich befahl deshalb, in einer Reihe hintereinander zu fahren und die fraglichen Boote zwischen uns und dem Ufer durchzulassen. Wir brauchten keine Furcht zu haben, daß man uns vorzeitig entdecken könnte, denn unsere Itauben waren so geschickt getarnt, daß sie, auch aus der Nähe, wie langsam dahintreibende kleine Inseln aussahen. Solche Inseln, allerdings echte, waren nicht selten in unserer Umgebung.

Die vier Boote näherten sich rasch. Wir beobachteten sie ununterbrochen durch das Fernrohr, und als sie nur noch eine halbe Meile von uns entfernt waren, rief einer unserer Ruderer plötzlich: „Das sind ja Gefangene!”

Es waren wirklich Gefangene. Wir erkannten es daran, daß alle Ruderer hintereinander saßen und mit dem rechten Handgelenk an eine Leine gefesselt waren, die sich vom Bug des Bootes bis zum Heck hinzog. Auf diese Weise miteinander verbunden, konnten sie sich nur im gemeinsamen, gleichmäßigen Takt der Ruder wiegen, während jede eigenmächtige Bewegung durch die Leine verhindert wurde.

Selbstverständlich interessierten mich besonders die Männer in den Booten, die nicht ruderten, also keine Gefangenen waren. In jeder Itauba saßen mehrere solcher Männer, gleichmäßig auf Bug und Heck verteilt. Sie hielten lange Spieße in den Händen, mit denen sie von Zeit zu Zeit den Ruderern auf die Köpfe schlugen, um sie zur Eile anzutreiben. Auf den ersten Blick sah ich, daß es sich um Akawois handelte, denn sie trugen die gleichen Faser-binden um die Arme, die ich bei Dabaro und seinen Männern gesehen hatte.

Die Angelegenheit hatte sich geklärt. Es war jene Gruppe von Akawois, die im Morgengrauen mit einer Itauba an das linke Ufer gefahren war, wie die Späher berichtet hatten. Offensichtlich war es ihnen gelungen, eine volkreiche Siedlung der Warraulen zu überfallen und dreißig oder mehr Gefangene zu machen, mit denen sie jetz in erbeuteten Itauben eiligst den Strom hinunterfuhren, um sich mit den übrigen Kriegern zu vereinigen.

Einem Kampf konnten wir nicht aus dem Wege gehen, unsere Lage zwang ihn uns auf. Wir postierten uns so, daß die näher kommenden Boote in weniger als Pfeilschußweite an uns vorübergleiten mußten. Ich ließ die Schußwaffen laden und bereitlegen.

Die Akawois hatten keine Ahnung von dem Hinterhalt, in den sie gerieten. Leider fuhren sie nicht dicht hintereinander. Nur zwei Itauben lagen näher zusammen, die dritte befand sich weiter ab, zwischen diesen beiden und dem Ufer, während die vierte in einem größeren Abstand folgte. Ich befahl, daß Arnak, der flußaufwärts gesehen im ersten unserer Boote saß, das letzte Boot des Gegners aufs Korn nehmen solle, ich, der letzte in unserer Reihe, wollte dem dritten Boot den Weg verlegen, und Jaki, Konauro und Wagura sollten sich auf die beiden hintereinander fahrenden Itauben stürzen.

Die Akawois schonten ihre Ruderer nicht, und die Boote durchfurchten das Wasser mit großer Geschwindigkeit. Da sie nicht getarnt waren, konnten wir jede Einzelheit erkennen und Freund und Feind genau unterscheiden.

Ich saß am Heck unserer Itauba und benutzte das Ruder als Steuer. Die Männer im Boot hielten gleichfalls die Ruder bereit, und neben jedem lag eine Waffe.

Auf einmal entstand eine Bewegung in unserem Boot, die mich zwang, meine Aufmerksamkeit einen Augenblick vom Gegner abzuwenden. Lasana schob sich vorsichtig zu mir heran.

„Was kriechst du hier herum?” flüsterte ich ihr wütend zu. „Arnak ist nicht bei dir”, antwortete sie geheimnisvoll mit herausforderndem Gesichtsausdruck.

„Nein, er ist nicht hier. Ist das ein Grund, Verwirrung anzustiften?”

„Heute werde ich über dich wachen!”

Sie sprach dies mit so unvorstellbarem Ernst, daß ich unwillkürlich lächeln mußte.

„Ach, mein Schutzengel! Du wirst die Pfeile der Akawois in der Luft abfangen, nicht?”

„Das werde ich”, erwiderte sie und schob mir eine Frucht als Amulett in den Gürtel.

„Da hast du dir einen Falschen ausgesucht, Zauberpalme! Du weißt doch, daß ich für eure Zauber nichts übrig habe.” „Ich weiß es, aber Arasybo hat mir aufgetragen, dir dies zu geben.”

„Ach so, Arasybo!”

Während der ganzen Zeit hatte ich die näher kommende Flottille nicht aus den Augen gelassen. Unsere Tarnung war so vollkommen, daß die erste Itauba in einer Entfernung von fünfzig Schritt an Arnaks Boot vorüberfuhr, ohne daß die Akawois auch nur den geringsten Verdacht schöpften. Dicht dahinter folgte die zweite Itauba. Als beide gleich darauf unser zweites Boot passierten, das Wagura befehligte, schrie ich aus vollem Halse:

„Wagura, Konauro, Jaki — Feuer!”

Einige Schüsse krachten gleichzeitig, ein wenig später folgten die nächsten. Als ich sah, daß sie unter den Akawois in beiden Itauben ihre Opfer fanden, wandte ich mich ab.

„Vorwärts!” befahl ich meinen Ruderern.

Wie von der Sehne geschnellt, schoß das Boot voran. Ich stieß mit voller Kraft das Ruder ins Wasser, um mit einer scharfen

Rechtswendung dem Ufer zuzusteuern. Geschickt umfuhren wir die beiden Itauben, die, obgleich die Gefangenen aufgehört hatten zu rudern, in der alten Richtung weiterfuhren, und jagten auf das dritte feindliche Boot zu.

Dort spielten sich abscheuliche Dinge ab. Als der steuernde Akawoi die Falle bemerkte, die wir ihnen gestellt hatten, sah er die einzige Rettung in der Flucht zum Ufer, um im Dickicht zu verschwinden. Er hatte aber nicht mit dem Widerstand der Gefangenen gerechnet. Die Warraulen hatten gleichfalls gemerkt, was vor sich ging, und dachten nicht daran, ihre Feinde zu unterstützen. Wohl hielten sie die Ruder noch in den Händen, doch weigerten sie sich, sie zu gebrauchen. Einige versuchten sogar, der Absicht des Steuermannes entgegenzuwirken. Es gab ein Durcheinander, und das Boot kam nicht von der Stelle.

Mit entsetzlichem Gebrüll bemühten sich die Akawois, die Gefangenen zum Rudern zu bewegen, und als dies nichts fruchtete, begannen sie, den Zunächstsitzenden auf die Schädel zu schlagen. Schließlich kannte ihre Wut keine Grenzen mehr. Sie erschlugen einige der Gefangenen, griffen selbst zu den Rudern und trieben das Boot mit hastigen Schlägen vorwärts. Das half ihnen aber nicht viel. Sie waren noch ungefähr hundert Schritt vom Ufer entfernt, als wir sie einholten. Wir schoben uns zwischen sie und das Land und schnitten ihnen den Weg ab. Ihr Urteil war gesprochen, sie waren jedoch nicht gewillt, sich ihm ohne Widerstand zu unterwerfen. Fünf Akawois waren es, zwei vorn und drei im hinteren Teil des Bootes. Als wir sie gestellt hatten, griffen vier von ihnen zur Büchse — die Lumpen besaßen Feuerwaffen — und schossen auf uns. Gehacktes Blei sauste durch die Luft. Zwei oder drei von uns wurden verwundet, die übrigen hatten rechtzeitig hinter der Bordwand Deckung gesucht; außerdem konnten die Akawois in der schwankenden Itauba schlecht zielen.

Wir ließen ihnen keine Zeit. Schnell zogen wir die Ruder ein, damit das Boot nicht schaukle, und feuerten ebenfalls eine Salve auf sie ab. Ich selbst nahm den Steuermann aufs Korn. Danach ruderten wir aus Leibeskräften auf die feindliche Itauba zu. Dem Steuermann war die Kugel durch den Kopf gegangen, er hing mit dem halben Oberkörper über der Bordwand, und drei weitere Akawois, die ebenfalls getroffen worden waren, lagen in den letzten Zügen.

Der fünfte, ein hochgewachsener, muskulöser Bursche, schien unverletzt. Mit wutverzerrtem Gesicht griff er blitzschnell zum Speer und schleuderte ihn weitausholend gegen uns. Sein Wurf war gut gezielt, der Speer bohrte sich einem der Ruderer tief in die Brust. Gleich darauf sprang der Akawoi mit affenartiger Gewandtheit über Bord und verschwand in dem brodelnden Wasser.




Er mußte ein guter Schwimmer sein, denn er hielt sich lange unter der Oberfläche. Da ich vermutete, daß er, mit der Strömung schwimmend, zum Ufer hin tauchten werde, lenkte ich das Boot in diese Richtung. Die Krieger beobachteten mit schußbereiter Waffe die Wasseroberfläche. Ich hatte mich nicht verrechnet. Nur wenige Schritte von uns entfernt tauchte der Bursche empor. Noch bevor er den Mund öffnen konnte, um Luft zu schöpfen, krachte schon ein Schuß, und die Kugel fuhr ihm in den Kopf. So endete der letzte der fünf Akawois.

Auch der Kampf mit der vierten Itauba war glücklich zu Ende gegangen. Das Schießen war verstummt, und Arnak fuhr auf das Boot zu. Der Lärm machte einer tiefen Stille Platz. Über dem Wasser hingen Rauchfetzen, die sich langsam auflösten.

Die blutige Arbeit war getan, und wir atmeten befreit auf. Unser Gefährte, den der Speer getroffen hatte, war nicht mehr am Leben. Ich wollte gerade Lasana das Fruchtamulett zurück-geben und hatte schon einen boshaften Scherz auf den Lippen, als die Warraulen, die wir eben befreit hatten, unsere Aufmerksam-keit auf sich zogen. Während wir noch den fünften Akawoi gejagt

hatten, war es ihnen gelungen, sich von der Fessel zu befreien. Sie warfen die Leichen der Feinde ins Wasser, griffen nun zu den Rudern und trieben das Boot mit panikartiger Hast der Mitte des Flusses zu.

„Hallo, wohin wollt ihr so eilig?” rief ihnen Fujudi in ihrer Sprache nach.

Sie gaben keine Antwort. Schweigend, ohne auf ihre Umgebung zu achten, jagten sie wie die Wahnsinnigen davon und handhabten die Ruder so heftig, daß das Wasser hoch aufspritzte.

„Sind sie verrückt geworden?” fragte ich verwundert. „Warum fürchten sie sich vor uns?”

„Die haben Angst, es sind Wilde”, brummte Arasybo verächtlich. „Wilde aus dem Moor!”

„Sage ihnen schnell, wer wir sind!” trug ich Fujudi auf.

Der Indianer legte die Hände an den Mund und schrie, so laut er konnte: „Wir sind Freunde! Wir fahren nach Kaiiwa, um Oro-napi vor den Akawois zu retten! Die Akawois sind vor uns! Wir sind Freunde! Haltet ein!”

Weithin hallte die Aufforderung über das Wasser, und alle Warraulen mußten sie gehört haben, doch blieb sie ohne Eindruck. Das Gegenteil trat ein: die Flüchtenden ruderten noch hastiger. Als die Warraulen in den übrigen drei Itauben die panische Flucht ihrer Stammesbrüder bemerkten, sprangen sie auf, um das gleiche zu tun; auch sie jagten dahin, als sei die Pest hinter ihnen her. Es gab nur die Erklärung dafür, daß die Angst den Gefangenen den Verstand geraubt hatte.

Die überstürzte Art, in der sie sich davonmachten, erinnerte an eine Herde aufgeschreckter Affen. Die Arawaken begannen daher immer lauter zu lachen. Schließlich verfolgte die Flüchtlinge ein wahrer Sturm von Heiterkeit, und spöttische Rufe hallten laut über das Wasser: „Feiglinge! Feiglinge!”

Mir tat es nur leid, daß die Warraulen einige wertvolle Büchsen mitgenommen hatten, die in ihren ungeübten Händen nutzlos waren.

Der ganze Vorfall hatte höchstens eine halbe Stunde gedauert und war zum Glück ohne größere Verluste an Menschenleben abgegangen. Wir hatten einen Toten zu beklagen und einige Leichtverletzte, die nach der Behandlung ihrer Wunden wieder ihre Arbeit verrichten konnten.

Die Strömung war jetzt sehr stark, wir kamen schnell voran. Bis zum Sonnenuntergang verblieben noch drei Stunden, und bis Kaiiwa waren noch vierzig Meilen zurückzulegen.



Загрузка...