Auf der Insel der blutigen Ernte

Als wir einige Minuten später die Krümmung des Flusses erreichten, stockte uns vor Schreck der Atem. Durch die Entfernung gedämpft, hallten wilde Schreie von der Siedlung herüber, und am Horizont zuckte Feuerschein auf: dort stand das dürre Flechtwerk einer Hütte in Flammen. Der ersten Feuersäule folgten weitere, und bald war der ganze Himmel hinter dem Nebelschleier von rötlichem Schein überzogen, dem düsteren Wahrzeichen einer Katastrophe.

Wir hielten die Boote dicht nebeneinander und ruderten aus Leibeskräften. Der schreckliche Anblick, der sich unseren Augen am Ende der Biegung bot, zwang uns, im Schatten des Ufers anzuhalten. Der Nebel wich, und im lodernden Feuerschein waren alle Einzelheiten gut wahrzunehmen.

Auf der ungefähr dreihundert Schritt entfernten Insel stand eine lange Reihe von Hütten in Flammen. Im Licht des grausigen Brandes spielten sich entsetzliche Szenen ab. In dem uns zugekehrten Teil Kaiiwas war der bewaffnete Widerstand der War-raulen, falls sie sich überhaupt zur Wehr gesetzt hatten, offensichtlich zusammengebrochen, und nun wurden die Menschen mit Gewalt aus den von der Feuersbrust noch nicht erfaßten Hütten geschleppt. Viele Einwohner suchten ihre Rettung in kopfloser Flucht, die Angreifer aber setzten ihnen nach und streckten sie mit Keulenschlägen zu Boden. Es war ein höllisches Toben grausamer Gewalt, verzweifelter Schreie und verbissenen Sträubens. Die Akawois wollten lebendige Gefangene haben; doch ging das Getümmel nicht ohne Blutvergießen ab, hier und dort lagen bereits Tote auf der Erde.

In dem wilden Durcheinander war schwer zu erkennen, wo die Hauptkräfte des Feindes standen und wie diese am besten anzugreifen waren. Also zogen wir uns an herabhängenden Asten hoch und kletterten ans Ufer. Dort erstiegen die Führer der Boote sowie Fujudi, Pedro und ich die umliegenden Bäume, von wo aus sich ganz Kaiiwa übersehen ließ.




Mit einem Blick erfaßte ich die allgemeine Lage. Die Akawois hatten die Insel zwischen zwei Feuer genommen. Die Hälfte war am Ufer des Hauptstromes gelandet, während die übrigen Krieger in den Guapo eingebogen waren und von der Urwaldseite her an-gegriffen hatten. An den Landesteilen lagen die Itauben der Akawois sowie alle Boote der Warraulen, deren sich der Feind rechtzeitig bemächtigt hatte, um den Überfallenen die Flucht unmöglich zu machen.

Je vier oder fünf Krieger hielten sich an den beiden Landeplätzen auf. Ihre Hauptaufgabe war nicht die Bewachung der Boote, sondern das Fesseln der Gefangenen, die von den Akawois in großer Eile aus dem Dorf herbeigetrieben wurden. Aber das war noch nicht alles. Vom entfernteren Ende der Insel, das noch im Dunkeln lag und durch vorüberziehende Nebelschwaden verhüllt wurde, drangen Geräusche herüber, die annehmen ließen, daß dort der Kampf noch immer tobte. An dieser Stelle mußte eine Gruppe von Warraulen besonders hartnäckigen Widerstand leisten.

Daraus ergab sich ein einfacher und klarer Plan für unser Handeln. Wir mußten beide Landeplätze in unsere Hand bringen und gleichzeitig den kämpfenden Warraulen zu Hilfe eilen. Da es die Akawois mit allem, was sie taten, sehr eilig hatten, kletterten auch wir schnell von unserem Ausguck herunter und sprangen in die Boote. Während der Fahrt traf ich alle notwendigen Anordnungen. Die Warraulen und das Boot Waguras sollten die Aka-wois auf dem näher gelegenen Landeplatz am Guapo überrumpeln. Jaki und Konauro bekamen den Befehl, mit ihren Leuten die Landesteile am Orinoko anzugreifen. Arnak hatte die restlichen vier Jabotas so schnell wie möglich an das untere Ende Kaiiwas zu führen. Alle sollten nach der Landung auf die Mitte des Dorfes vorrücken. Ich selbst würde zwischen den beiden Liegeplätzen an Land gehen, um die Flanken im Auge zu behalten.

„Jagt den Puma! Tötet den Puma!” begannen einige Hitzköpfe zu rufen.

„Ruhe!” herrschte ich sie an. „Seid ihr verrückt geworden? Wir müssen sie überraschen!”

Zum Glück waren die Akawois zu weit entfernt, um unsere Stimmen vernehmen zu können.

Unsere kleine Flottille stob auseinander. Die einen wandten sich nach rechts, die anderen nach links, und meine Itauba blieb allein. Da wir den kürzesten Weg zurückzulegen hatten, ruderten wir langsam. Ringsumher wurde es ungewöhnlich still, und die plötzliche Einsamkeit ließ ein eigenartiges Gefühl in uns aufkommen. Der Plan, Kaiiwa von vier Seiten zugleich anzugreifen, entsprach der augenblicklichen Lage bestimmt am besten, denn der Feind hatte sich über die ganze Insel verteilt. Auf diese Weise würden wir ihm jede Möglichkeit zur Flucht nehmen. Sollte es den Akawois allerdings gelingen, auch nur die Hälfte ihrer Kräfte an einer Stelle zu vereinigen und gegen eine unserer Abteilungen zu werfen, bevor diese Hilfe erhalten konnte, so wäre das äußerst gefährlich.

Fest entschlossen, dies unter keinen Umständen zuzulassen, steuerte ich das Boot dem Ufer Kaiiwas zu. Vor uns lag eine kleine Bucht, die sich etwa fünfzig Schritt in das Land hineingefressen hatte. Eine sechs Fuß hohe Bodenwelle ließ uns unbemerkt landen. Als wir aus der Itauba stiegen, krachten plötzlich rechter Hand, wohin ich Wagura und Kuranaj geschickt hatte, mehrere Schüsse. Ich überließ das Boot der Obhut Arasybos und zweier Frauen und eilte mit den übrigen Kämpfern die Böschung hinauf, wo uns einige kleine Sträucher leidlichen Schutz boten. Auf der ganzen Insel waren nur vereinzelte Bäume des ehemaligen Urwalds zurückgeblieben.

In dem Halbdunkel am Ufer hatte niemand unsere Landung wahrgenommen. Auf der rechten Seite, wo die Schüsse gefallen waren, entspann sich ein Gefecht. Die Leute Waguras und Kuranajs waren ungefähr zweihundert Schritt von uns entfernt. Sie schwärmten aus und machten Jagd auf die akawoischen Wachen, die beim ersten Zusammenstoß nicht ihr Leben gelassen hatten. Einige andere Akawois, die sich in der Nähe befanden, eilten den Wächtern zu Hilfe, doch entkamen nur zwei oder drei den wohlgezielten Musketenschüssen unserer Männer. Sie flohen Hals über Kopf in die Tiefe der Insel. Dort hatten die Akawois bereits die Gefahr erkannt; sie ließen die Warraulen laufen, schrien sich etwas zu und rotteten sich zusammen.

Während die Gruppe Waguras stehenblieb, um die Büchsen neu zu laden, und Kuranaj`s Leute ihren Stammesbrüdern, die neben den Booten lagen, die Fesseln durchschnitten, setzten sich die Akawois auf der linken Seite, wo Jaki und Konauro an Land gehen wollten, energischer zur Wehr. Offensichtlich hatten sie die beiden verdächtigen Boote schon auf dem Fluß entdeckt. Den Schüssen nach zu urteilen, war es den Unseren gelungen, das Ufer zu erreichen und die Wächter von den Booten zu vertreiben. Wie ich später erfuhr, waren unvermutet fünfzehn Akawois aufgetaucht, die eine große Schar gefangener Warraulen, Männer, Frauen und sogar Kinder, mit brutalen Stockhieben vor sich hertrieben.

Sobald sie erkannten, was am Ufer vor sich ging, ließen sie von den Gefangenen ab und stürzten vorwärts. Natürlich bemerkten die Männer Jakis und Konauros die wütend heranstürmenden Krieger. Ihre Büchsen hatten sie zum größten Teil leergeschossen und konnten mit ihren Pistolen keinen großen Schaden anrichten. Also griffen sie zu den Bogen, verwundeten einige Angreifer und streckten auch hier und dort einen der Akawois nieder. Sie konnten aber nicht verhindern, daß die übrigen Angreifer wie Raubtiere über sie herfielen. Es entspann sich ein erbitterter Kampf Mann gegen Mann, ein Kampf mit Keulen und Spießen, mit Messern und Fäusten. In einem solchen Ringen waren die Akawois unerreichte Meister.

Die Sicht wurde immer klarer.

Von rechts her, wo Wagura und Kuranaj den Sieg davongetragen hatten, kam ein Akawoi herbeigerannt. Er lief nicht wie die anderen der Mitte des Dorfes zu, sondern wandte sich seitwärts, so daß er unweit unseres Standortes vorüber mußte. Offensichtlich wollte er seine Gefährten an der zweiten, links von uns gelegenen Landestelle erreichen. Wie alle Krieger seines Stammes trug er weiße Faserbinden um die Arme. Die Sträucher, hinter denen wir standen, verbargen uns seinem Blick. Sein blutverschmierter Spieß ließ erkennen, daß er einen der Unseren niedergestochen hatte. Mit mächtigen Sprüngen eilte der Bursche an uns vorbei.

„Der hat es gar zu eilig!” zischte der Neger Miguel mit zusammengebissenen Zähnen und stürzte aus dem Versteck, um dem Akawoi den Weg abzuschneiden.

Der gewahrte ihn sofort, wich aber keinen Schritt von seiner Richtung ab, sondern rannte nur noch schneller. Als Miguel ihm bis auf ungefähr fünfzig Schritt nahe gekommen war, schoß der Akawoi, ohne im Lauf innezuhalten, einen Pfeil auf ihn ab. Er war ein ausgezeichneter Schütze und hätte den Neger genau in die Brust getroffen, wenn sich dieser nicht blitzschnell wie eine Katze geduckt hätte.



Miguel richtete sich wieder auf und stieß einen herausfordernden Schrei aus. Er stemmte die gespreizten Beine fest gegen den Boden und neigte den Oberkörper weit zurück, die rechte Hand mit dem Speer nach hinten gestreckt, während die Linke auf den Feind zielte. Einen Augenblick ähnelte er mehr der erhabenen Statue eines römischen Legionärs als einem lebenden Menschen, dann aber sauste der Speer mit Wucht durch die Luft.

Der Wurf war kräftig, und der Gegner lief sehr schnell. Aber Miguel besaß ein unfehlbares Auge. Seine mit dem notwendigen Vorhalt geschleuderte Waffe hätte sich unweigerlich in den Körper des Akawois gebohrt, wenn der nicht genauso gewandt und umsichtig gewesen wäre wie kurz zuvor der Neger. Er blieb unvermittelt stehen und entging so dem Speer. Als dieser dicht neben ihm ins Leere flog, quittierte er den Fehlwurf mit höhnischem Gebrüll.

Sein Widersacher Miguel war aber doch noch gewitzter als er: er schien die Haltung des Gegners vorausgesehen zu haben. Eine halbe Sekunde nach dem ersten Speer hatte er den zweiten geschleudert. All das war so schnell gegangen, daß sich das erste Geschoß noch nicht in die Erde gebohrt hatte, als das zweite bereits durch die Luft schwirrte. Und dieser zweite Speer fand sein Ziel, er senkte sich tief in die Brust des Feindes. Der stand noch eine Weile mit entsetzten, aus den Höhlen tretenden Augen aufrecht, dann versagten ihm die Beine den Dienst, und er sank kraftlos zu Boden. Miguel sprang herbei, stemmte seinen Fuß gegen den Körper des Gestürzten und zog ihm den Speer aus der Brust. Dann nahm er dem Toten die Waffen ab, holte den zweiten Speer und kam zu uns zurück.

„Nun hat er keine Eile mehr”, knurrte er erbittert.

Da wir sahen, daß die Männer Jakis und Konauros in Bedrängnis gerieten, eilten wir ihnen zu Hilfe. Durch die befreiten War-raulen, die nach allen Richtungen auseinanderstoben, wurden wir etwas aufgehalten. Nur die Neger, die der siegreiche Zweikampf Miguels entflammt hatte, stürmten unaufhaltsam wie ein Orkan vorwärts und erreichten als erste den Schauplatz des Ringens. Voller Entsetzen gewahrten die Akawois die kräftigen Gestalten und wutentbrannten Gesichter der plötzlich auftauchenden Angreifer. Sie versuchten sich zurückzuziehen, doch dazu war es bereits zu spät. Sie befanden sich in der Zange, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zu verteidigen. Sie taten es verbissen und rasend, wie ein in seinem Schlupfwinkel aufgestöbertes Raubtier. Diese fürchterlichen Totschläger beherrschten ihr Mörderhandwerk so vollkommen, daß sie manchen der Unsern niederstreckten, bevor sie selbst der Übermacht erlagen. Diesmal entkam keiner von ihnen, alle wurden überwältigt.

Es gefiel mir nicht, daß sich auch Lasana in den Kampf stürzen wollte, in dem sie so leicht das Leben lassen konnte. Ich packte daher ihren Arm und zog sie aus dem Getümmel. Wir hielten uns etwas abseits und gaben acht, daß in dem Wirrwarr niemand unbemerkt entweichen konnte. In der Tat versuchten zwei Akawois zu fliehen, doch wurden sie von unseren Geschossen niedergestreckt.

Als das grausame, verbissene Gemetzel vorüber war, begannen unsere wutschäumenden Krieger, die verwundeten Feinde zu erschlagen. Ich schrie ihnen zu, sie sollten davon ablassen, und es gelang mir, einige Akawois vor diesem Schicksal zu bewahren. Zwar war es mir klar, daß ich ihren Tod nur um einige Stunden hinausschob, doch konnte ich bei meinen Freunden rohe Grausamkeit nicht vertragen. Sie gehorchten und fesselten sechs verwundete Akawois.

Kein Wunder, daß die Arawaken so erbittert waren! Von den Kriegern Jakis und Konauros waren sieben gefallen, und zwei hatten so schwere Wunden erhalten, daß sie nicht mehr kämpfen konnten. Es gab überhaupt niemanden, der keine Verletzung davongetragen hatte. Ein Mann meiner Bootsbesatzung war getötet worden. Mit diesen Verlusten hatten wir den Sieg über neunzehn vernichtete Feinde erkauft.

Die befreiten Einwohner Kaiiwas liefen aufgeregt hin und her. Daher gab ich Kuranaj den Auftrag, Ordnung auf der Insel zu schaffen. Die Frauen, Kinder und Greise sollten so schnell wie möglich in Booten auf das gegenüberliegende Festland gebracht werden, die Männer dagegen sich bewaffnen und in Abteilungen aufstellen. Auf dem Festland unweit von Kaiiwa wohnten ebenfalls viele Warraulen, ihre Hütten schimmerten durch das Dickicht auf der anderen Seite des Guapo. Sie waren von den Akawois nicht behelligt worden, und nun kamen sie, ermutigt durch unseren Entsatz, in Scharen auf die Insel. Da sich keine Häuptlinge darunter befanden, unterstellte ich sie alle dem Kommando Kuranajs und ordnete an, daß die Hälfte mit ihren Booten die Ufer der Insel bewachen solle, damit kein einziger Akawoi entkomme. Die kampfgeübteren Männer sollten mit Kuranaj an unserer Seite bleiben. Es waren an die sechzig, eine ganz ansehnliche Streitmacht, und von der anderen Seite ruderten immer neue heran.

Die soeben beschriebenen Ereignisse spielten sich viel schneller ab, als man sie mit Worten schildern kann. Noch hing der Pulverdampf der letzten Schüsse in der Luft, als wir bereits in geschlossener Ordnung auf die größten Hütten Kaiiwas zustürmten. Genau wie zuvor bildete die Besatzung meines Bootes die Mitte, am linken Flügel befanden sich die Gruppen Jakis und Konauros sowie eine Anzahl Warraulen, auf der rechten Seite gingen die Abteilung Waguras und die warraulischen Krieger Kuranajs vor.

Als vor einigen Minuten die letzten Akawois von Jakis und Konauros Leuten niedergerungen worden waren, hatten wir vom unteren Ende Kaiiwas mehrere Büchsenschüsse vernommen. Das bedeutete, daß die Abteilung Arnaks den Kampf aufgenommen hatte. Es war zu befürchten, daß der Feind seine immer noch furchtbare Stärke auf Arnak konzentrieren und ihn vernichten würde. Er tat dies jedoch nicht, denn wie sich bald herausstellte, leisteten an jener Stelle etwa dreißig Warraulen verzweifelten Widerstand. Die Akawois entschlossen sich offensichtlich dazu, Kaiiwa mit der bisher gewonnenen Beute zu verlassen. Hastig gingen sie auf die beiden Landeplätze am oberen Teil der Insel zurück, wo sich ihre Boote und die Wächter befanden, und blieben wie vom Donner gerührt stehen, als sie unsere breite Front erblickten, die ihnen den Weg zu den Booten versperrte. Wenn sie auch durch die Schüsse und den Kampfeslärm über unsere Anwesenheit unterrichtet worden waren, so hatten sie doch nicht vermutet, daß wir so stark seien.

Es war bereits sehr hell geworden. Die Sonnenscheibe war noch nicht über den Horizont heraufgestiegen, und der östliche Teil des Himmels glühte im rosafarbenen Licht des Morgens. Unsere Gesichter waren dieser Helle zugewandt, und so schienen wir den Akawois wie von einem magischen Schein umgeben. Vor ihren Augen schwärmten mehr als ein und ein halbes Hundert Feinde, während sie selbst kaum mehr sechzig zählten.

Trotz allem hätte dieser Haufe unerschrockener Kämpfer noch eine kaum zu bezwingende Macht dargestellt, wenn die Überraschung den Akawois nicht die Überlegung genommen hätte. An Mut fehlte es ihnen nicht, aber die nüchterne Urteilskraft hatten sie eingebüßt. Sie wußten, daß die Boote und damit die Freiheit hinter unseren Reihen lagen, und sie sahen, daß in unsere Linie zwei Lücken klafften, eine zwischen der Schar Waguras und meiner Abteilung und die andere zwischen mir und den Kriegern Jakis und Konauros. Anstatt mit vereinter Kraft auf eine dieser Breschen loszustürmen, verloren sie den Kopf, teilten sich in zwei Gruppen und versuchten an beiden Stellen durchzubrechen.

Die kleinere Schar griff einige Sekunden früher an als die große. Die Akawois rannten genau auf die Gruppe Waguras zu, als wollten sie diese erschrecken oder überrennen, doch war dies nur eine plumpe List, denn sobald sie auf Pfeilschußweite herangekommen waren, bogen sie plötzlich nach rechts ab, um die Lücke zwischen Wagura und mir zu erreichen. Wagura aber ließ die Gelegenheit nicht vorübergehen. Sofort stürzte er sich mit seinen Kriegern in das Loch und zog die Warraulen Kuranajs hinter sich her.

Der freie Raum zwischen unseren beiden Abteilungen war höchstens noch einhundertfünfzig Schritt breit und wurde zusehends enger. Trotzdem waren die Akawois entschlossen, um jeden Preis durchzubrechen. Sie beschleunigten ihre Sprünge, um Wagura zuvorzukommen. Ihre Kräfte waren bis zum äußersten angespannt.

Zu spät! Eingedenk meiner Belehrungen ließ Wagura sie so nahe wie möglich herankommen. Erst als sie nur noch vierzig Schritt entfernt waren, eröffnete er das Feuer aus den mit gehacktem Blei geladenen Büchsen. Die Wirkung war verheerend. Eine ganze Anzahl der Stürmenden fiel getroffen zu Boden, die übrigen blieben ruckartig stehen, wie vor den Kopf gestoßen, nur zwei liefen starrsinnig weiter. Es waren Selbstmörder. Nach kaum fünfzehn Sprüngen brachen sie unter einem Hagel von Pistolenkugeln und Speeren zusammen.

Gleich darauf warfen sich die Arawaken und die Warraulen mit unwiderstehlicher Gewalt auf den von der mörderischen Salve halb betäubten Rest der Feinde. Diese nahmen den Kampf nicht auf, sondern wandten sich zur Flucht und rannten zurück ins Dorf. Die Verfolger blieben ihnen auf den Fersen und sandten ihnen unaufhörlich ihre Geschosse nach.

Da ich von Anfang an überzeugt war, daß bei Wagura alles nach Wunsch verlaufen werde, richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die zweite Gruppe der Akawois. Sie bestand aus mindestens vierzig Kriegern und strebte der Lücke zu meiner Linken zu. An der Spitze lief ein großer starker Bursche. Seinen Hals zierte eine Kette aus Raubtierzähnen, und auf seinem Kopf wippten mehrere bunte Federn. Ohne Zweifel war er der Häuptling. Rasch zog ich meine Abteilung mehr nach links, um ihnen besser den Weg zu verlegen. Auch Jaki und Konauro schoben sich mit ihren Leuten zu mir herüber.

Ich besaß eine treffsichere, weittragende Muskete, und mir stand immer noch das Bild vor Augen, wie prachtvoll sich Miguel vor einigen Minuten im Zweikampf mit dem Akawoi geschlagen hatte. Wollten mich meine Sinne zum Wettbewerb herausfordern? Es muß wohl so sein, denn ich vergaß alle Warnungen, die ich anderen gegeben hatte, und wollte durch einen außergewöhnlichen Schuß Ruhmeslorbeeren ernten. Schnell legte ich die Muskete auf die Gabel und nahm den stattlichen Anführer aufs Korn. Ich kannte die Tragweite meiner Waffe und wußte, daß das Ziel noch zu weit war, doch plagte mich die Versuchung allzusehr. Also zielte ich etwas über den Kopf des Häuptlings, verbesserte noch einmal und krümmte den Finger. Getroffen! Der Anführer schleuderte die Arme hoch und stürzte wie vom Blitz gefällt zur Erde, wo er sich noch einmal überschlug. In das entsetzliche Wutgebrüll der Akawois mischte sich das Freudengeschrei aus unseren Reihen, und ich — ich will es nicht verhehlen — war über alle Maßen erstaunt.

Die Heranstürmenden ließen sich durch den Tod des Häuptlings nicht aufhalten. Unsere drei Abteilungen verfügten ungefähr über zwanzig Büchsen, die gute Hälfte davon lag in sicheren Händen. Wie geblendet liefen die Akawois direkt in unseren Schußbereich hinein. Als die Feuerwaffen ihr Werk getan hatten, als die Sehnen der Bogen surrten, die Speere durch die Luft sausten und gleich darauf die Pistolen krachten, war das letze Gericht über die bisher unbesiegten Krieger gekommen.

Dem Rest des kläglich zugerichteten Haufens war die Lust am Kampf vergangen. Sie machten kehrt und rannten Hals über Kopf den Hütten zu, genau wie die Überlebenden am rechten Flügel, denen Wagura auf den Fersen war.

Es waren kaum mehr zwanzig, die jetzt gehetzt wurden, mehr waren von der Expedition nicht übriggeblieben. Auch zwischen den Hütten fanden die Fliehenden keine Ruhe, denn hier warfen sich ihnen Arnaks Leute und die bewaffneten Warraulen entgegen. Die Akawois wurden von vorn und von hinten bedrängt und verschanzten sich in einer großen, auf Pfählen errichteten Hütte, deren Wände aus festem Flechtwerk bestanden. Es war Oronapis Speicher. Wir bildeten einen dichtgeschlossenen Kreis um diese letzte Zufluchtsstätte und waren nun sicher, daß die wütende Ratte fest in der Falle saß. Noch biß sie aber verzweifelt um sich. Als einige Warraulen allzuweit vordrangen, schwirrten viele Pfeile aus dem Versteck, und die Kühnen bezahlten ihre Unachtsamkeit mit dem Leben.

Unter den an der Seite Arnaks kämpfenden Warraulen befanden sich Oronapi und Manduka, der erst kurz vor dem Morgengrauen in Kaiiwa eingetroffen war. Kaum hatte er den Oberhäuptling geweckt, als die Akawois bereits über das Dorf herfielen. Der Häuptling selbst war äußerst betrübt über das Unglück, das den Stamm betroffen hatte, und zutiefst gerührt über unser Kommen. Er preßte mit beiden Händen meine Rechte und erging sich in überschwenglichen Darikesbeteuernngen Ich aber unterbrach freundschaftlich seinen Redeschwall, deutete auf den Speicher und gab ihm zu verstehen, daß die widerwärtige Arbeit noch nicht zu Ende sei.




„Die räuchern wir aus”, erwiderte er und gab sofort die entsprechenden Befehle.

An dem, was nun folgte, wollte ich keinen Anteil haben. Ich ging mit Lasana etwas zur Seite, und wir sahen von weitem dem Ende des Kampfes zu. Durch Pfeile, an denen brennende Strohbüschel befestigt waren, wurden Wände und Dach des Speichers in Brand gesetzt, doch die Akawois verließen ihn nicht. Das dürre Astwerk stand bald in hellen Flammen. Die Belagerten suchten hinter altem Gerümpel und vollen Körnersäcken Schutz. Einige gewandte Warraulen krochen unter die Hütte und entfachten zwischen den Pfählen ein Feuer aus Reisig. Der ausgetrocknete Holzfußboden des Speichers begann sofort zu brennen. Damit war das Schicksal der Eingeschlossenen besiegelt. Da sie nicht zu Tode geschmort werden wollten, sprangen sie ins Freie. Aber auch hier erwartete sie der sichere Tod — sie fielen den Kugeln, Pfeilen und Speeren zum Opfer oder wurden mit Keulen erschlagen, so wie giftige Schlangen durch Stockschläge ihr Ende finden. Manchmal erschienen mehrere zugleich, um sich besser verteidigen zu können, doch es half ihnen nichts.

Einer der letzten war Dabaro, jener Kundschafter und angebliche Händler. Wie durch ein Wunder entging er den Geschossen und niedersausenden Schlägen, durchbrach blitzschnell die Kette unserer Krieger und flog davon wie ein Pfeil. Unsere Krieger schossen hinter ihm her, doch trafen sie ihn nicht. Er rannte genau auf uns zu.

Als er mich gewahrte, flackerten seine Augen bösartig wie die eines Wolfes. Sofort nahm er Richtung auf mich, und seine erhobene Hand umspannte das todbringende Messer. Ich hatte die Muskete zur Seite gestellt, nun blieb keine Zeit mehr, auf ihn anzulegen. So riß ich die Pistole aus dem Gürtel, zielte auf die Brust des Angreifers und drückte ab. Der Hahn knackte, doch ging der Schuß nicht los. Dabaro stieß einen triumphierenden Schrei aus. Seine Augen funkelten.

Schnell griff ich nach dem Messer, doch da sprang Lasana vor. Sie hielt eine kleine Keule in der Hand und schleuderte sie dem Rasenden entgegen. Am Kopf getroffen, strauchelte Dabaro und verlor einen Augenblick die Herrschaft über sich. Ich lief auf ihn zu und stieß ihm mit voller Kraft die Faust zwischen die Augen. Er ließ das Messer fallen und sackte zusammen.

Schon waren die Verfolger heran und wollten ihm den Schädel einschlagen, aber ich rief ihnen zu: „Wir brauchen ihn lebend! Bindet ihn!”

Sie nahmen meinen Befehl mit mißfälligem Gemurmel entgegen, führten ihn jedoch aus.

Gerührt blickte ich auf Lasana. Noch war die Erregung nicht von ihr gewichen, sie bebte am ganzen Körper.

„Wie oft noch werde ich dir mein Leben zu verdanken haben?” knurrte ich scheinbar gereizt.

„Sooft es notwendig sein wird”, antwortete sie mit weicher Stimme.

Unterdessen waren die letzten Akawois überwältigt worden, und es trat eine unheimliche Stille ein. Alle schwiegen, als hätte sie eine schwere Arbeit zu Tode erschöpft. Wir waren wie betäubt und empfanden im Kopf eine fast schmerzliche Leere. Augen und Ohren bestätigten, daß die schrecklichen Ereignisse zu Ende seien und keine Gefahr mehr drohe. Unser Verstand aber konnte diese Wahrheit noch nicht fassen, er glaubte sie nicht, er schenkte den Augen kein Vertrauen.

Erst jetzt machte sich die Spannung bemerkbar, in der wir Tage und Nächte hindurch gelebt hatten, und wir fühlten, daß wir uns vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten konnten. Ich forderte Oronapi auf, er möge uns eine Stärkung zubereiten lassen. Nach dem Essen hielt ich mit den warraulischen Häuptlingen und den ältesten der Arawaken eine Beratung ab, in die ich auch die jungen Freunde Arnak und Wagura einbezog, und traf schnell die dringendsten Anordnungen. Ich vergaß nicht, eine mit Warraulen bemannte Itauba zu entsenden, die Manauri die Kunde von unserem Sieg und gleichzeitig die Versicherung überbringen sollte, daß am Itamaka und am Orinoko wieder Ruhe und Frieden eingekehrt seien. Außer der von uns vernichteten Expedition befanden sich keine weiteren Akawois hier im Norden. Eine Zählung ergab, daß etwa einhundert Krieger daran beteiligt gewesen waren, von denen wir vierzehn lebend gefangengenommen hatten. Alle übrigen waren umgekommen.

„Was tun wir mit den Gefangenen?” fragte mich Oronapi. „Ich weiß es nicht’, antwortete ich aufrichtig.

„Sie müssen bestraft werden, denn sie wollten uns vernichten. Du aber siehst es nicht gern, daß Gefangene getötet werden.” „Nein!”

„So werden wir sie in die Sklaverei verkaufen.”

„An die Spanier?”

„Nein, auf das große englische Schiff, das vor einigen Tagen zu dir gekommen ist. Es soll die Akawois weit nach Norden mitnehmen.”

Dies war eine Lösung, wenn sie auch, das gebe ich zu, nicht gerade nach meinem Geschmack war. Da die übergroße Müdigkeit uns kaum noch klare Gedanken fassen ließ, beschlossen wir, über alle diese Fragen später zu entscheiden. Wir vertrauten die Gefangenen und uns der Obhut der Warraulen an und suchten unser Lager auf, um zu schlafen.

Die Bande der Freundschaft und der Waffenbrüderschaft, die in diesen Tagen ihre große Probe bestanden und uns alle noch näher gebracht hatten, die Bande des Vertrauens zueinander währten auch im Schlaf: in den uns abgetretenen Hütten lagen wir einer neben dem andern, Indianer, Neger und ein Weißer, verbunden durch die gemeinsamen schweren Stunden des Kampfes und durch den gemeinsamen Sieg. Und jeder von uns schlief nach alter Gewohnheit mit der Hand auf der Waffe.



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