Die Potarobucht war ein See in Gestalt eines Schlauches, der sich parallel zum Itamaka hinzog und durch eine schmale, aber lange Halbinsel von diesem getrennt wurde. An manchen Stellen betrug deren Breite kaum hundert Schritt, dafür aber war sie etwa eine Meile lang. Diese mit üppigem Pflanzenwuchs über-wucherte Landzunge erwählten wir zu unserem Wohnplatz. Wir säuberten einen Teil des Bodens von Unkraut und Unterholz und errichteten unsere Hütten auf der dem See zugekehrten Seite. Die Örtlichkeit bot Schutz vor den Augen ungebetener Gäste, außerdem ließ sie sich gut verteidigen. Als wir schließlich an den beiden Enden der Halbinsel Wachen aufgestellt hatten, konnte wirklich niemand gegen unseren Willen vom Land her in unsere Siedlung gelangen. Da es die Indianer liebten, allen Dingen einen Namen zu geben, so benannten sie die neue Siedlung Kumaka, was in ihrer Sprache Halbinsel bedeutet.
Wenn wir in den Urwald gelangen wollten, mußten wir den See überqueren, der an dieser Stelle vielleicht zweihundert Schritt breit war. Zum Itamaka selbst war es etwas weiter, man mußte mit dem Boot das Ufer der Landzunge entlangfahren, um dann über die Mündung des Sees in das freie Wasser des Flusses zu gelangen.
Der See — dieser Name war eher gerechtfertigt als die Bezeichnung Bucht — bot ein über alle Maßen schönes Bild, er war gerade-zu eine Augenweide. Zwar gab es hier, wie überall, das erbarmungslose, undurchdringliche Dickicht, welches das Ufer verdeckte und sich wie eine drückende grüne Mauer erhob. Aber in dieser hohen Mauer klafften große Lücken. Wie goldene Bänder quollen aus ihnen gleißende Sandstreifen hervor, die sich ins Wasser ergossen und auf denen schlanke Palmen ihre Fächer ausbreiteten. Bis hierher, fast hundert Meilen vom Meer entfernt, war eine der reizenden Töchter des Salzwassers und des Seesandes, die prächtige Kokospalme, vorgedrungen. Man hätte glauben können, man sei im Paradies, wenn nicht die fürchterliche, quälende Mückenplage gewesen wäre.
Die neu entstandene Siedlung behielt die Sippeneinteilung von Serima bei, und die einzelnen Sippen errichteten ihre Hütten dicht nebeneinander, so daß verschiedene Teilsiedlungen entstanden. Es gab die Sippe der Schildkröte, des Geiers, des Kaimans und andere. Obgleich ihre bisherigen Ältesten alle in Serima bei Ko-neso geblieben waren, versammelten sich doch gleich am Abend des ersten Tages die Einwohner aus ganz Kumaka in der Nähe meiner Hütte, um eine Beratung abzuhalten. Beim Schein von mehr als zwanzig Feuern, zwischen den Stämmen mächtiger Urwaldriesen, deren Wipfel sich über unseren Häuptern zu einem dunklen Gewölbe vereinigten, wählte sich jede Sippe einen neuen Ältesten. Nach dieser Zeremonie kam die Reihe an die Wahl des Oberhäuptlings. Stürmisch und begeistert wurde immer wieder der Name Weißer Jaguar gerufen. Ich aber widersetzte mich diesem Vorschlag ganz entschieden.
„Niemand ist besser geeignet, den Platz des Oberhäuptlings einzunehmen, als euer Stammesbruder und bewährter Häuptling Manauri!” rief ich aus.
Meine Ablehnung brachte einen großen Teil der Arawaken aus der Fassung. Sie legten meine Zurückhaltung verschieden aus, und der Älteste der Kaiman-Sippe schrie mir entgegen: „Soll das heißen, daß du uns in diesem schweren Augenblick nicht mehr beistehen willst?”
„Aber nein! Ich werde Manauri stets zur Seite stehen und ihn aus ganzen Kräften unterstützen, ihn und jeden andern von euch.”
„So wie bisher?”
„Genau wie bisher.”
Sie beruhigten sich wieder und wählten Manauri einstimmig zu ihrem Oberhäuptling. Die Augen des Häuptlings strahlten vor Freude und Glück, seine Züge drückten Genugtuung und Zufriedenheit aus. Nun hatten sich seine kühnsten Hoffnungen erfüllt, von denen noch vor einem Jahr der Sklave auf der Insel Margarita nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Manauri sah zu mir herüber, in seinem Blick lagen Ergebenheit und tiefe Dankbarkeit.
An diesem Abend waren alle von großer Begeisterung erfüllt, und die folgenden Tage zeigten, daß es kein Strohfeuer war. Vor den Einwohnern Kumakas standen drei Hauptaufgaben: die fiebrige Seuche abzuwehren, möglichst große Vorräte an Nahrungsmitteln anzulegen und die Kampfbereitschaft zu erhöhen. Alle unterzogen sich diesen Pflichten mit unverwüstlicher Ausdauer und Arbeitslust.
Ich erwähnte bereits, daß die Arawaken unter den Waldindianern ein ausnehmend gelehriger und arbeitsamer Stamm waren. Man mußte ihnen nur einen Leitgedanken geben und ein klares Ziel stellen, dann entwickelten sie unerwartete Spannkraft und Härte. So verhielt es sich auch jetzt. Gegenüber Serima bewahrten sie so große Vorsicht, daß sie sogar auf die urbar gemachten Felder in der Nähe ihres alten Wohnsitzes verzichteten, um nicht mit den dortigen Menschen zusammenzutreffen. Um so eifriger ging jeder, der laufen konnte, in den Wald oder ans Wasser und brachte Nahrungsmittel mit. Und wir benötigten ungeheure Vorräte. In der Erwartung kriegerischer Ereignisse hatte sich Kumaka die Aufgabe gestellt, schnellstens so viele Vorräte an getrocknetem Fleisch, Fischen und dauerhaften Waldfrüchten zusammenzutragen, daß einhundertfünfzig Krieger sich länger als ein halbes Jahr davon ernähren könnten.
Tag für Tag zogen Abteilungen in den Wald oder an den Fluß auf die Jagd und kehrten mit reicher Beute zurück, die sie den Frauen zur weiteren Bearbeitung übergaben, während die Jäger selbst wieder hinauszogen, um sich in den Kampfübungen zu vervollkommnen. Als gute Ackerbauer waren die Arawaken von Natur aus nicht kriegerisch veranlagt, und man mußte sie kräftig anspornen. Das, was ihnen fehlte, holten sie mit Begeisterung nach. Die letzten Vorfälle mit den Spaniern wirkten wie eine treibende Kraft und hatten sie so aufgestachelt, daß jeder ein möglichst guter Schütze mit Büchse und Bogen, ein gewandter Speerwerfer sein und in den Armen die federnde Kraft des Jaguars besitzen wollte. Die Angehörigen unserer Sippe, die in dem Ruf standen, ruhmreiche Meister und unbesiegbare Krieger zu sein, unterwiesen ihre Gefährten in der Kriegskunst. Besonders Arnak und Wagura waren vom Morgengrauen bis zum späten Abend so eingespannt, daß sie keinen Augenblick verschnaufen konnten. Trotzdem waren sie glücklich.
Ich selbst führte die Oberaufsicht und stellte eine Truppe von Kundschaftern zusammen, in die ich die scharfsichtigsten und flinksten Burschen aus jeder Sippe aufnahm. Diesen Spähern brachte ich bei, was ich in Virginia gelernt hatte. Ich lehrte sie, wie man im Wald einen Feind entdecken, ihm nachspüren und seine Absichten erkennen kann, ohne selbst gesehen zu werden. Dies geschah nicht durch Erklärungen, wie zum Beispiel beim Schießunterricht mit Feuerwaffen, sondern wir unterhielten uns ungezwungen und tauschten während unserer häufigen Wanderungen durch den Urwald unsere Erfahrungen aus, wobei jeder einzelne den Gefährten Erlebnisse berichtete, die ihm von früher her in Erinnerung waren. Da die Indianer von Kindheit an mit den Geheimnissen der Natur vertraut waren und ungewöhnlich scharfe Sinne besaßen, brachten sie es bald zu einer Vollkommenheit in diesen Dingen wie die Indianer im Norden.
Dabei wurden sie von einem abscheulichen Übel geplagt, das immer wieder ihre klaren Gedanken verwirrte. Es war ihr verworrener Aberglaube. So viele Geister und Dämonen trieben im Wald ihr Unwesen und hinterließen die eigenartigsten Zeichen, daß es schwerfiel, in dem Durcheinander die Spuren der wirklichen Feinde aus Fleisch und Blut zu erkennen. Meine Hauptaufgabe bestand also darin, ihnen zu zeigen, wie sie die Spuren tatsächlicher Feinde von denen der eingebildeten unterscheiden könnten.
So vergingen die Tage, und die aus Serima durchsickernden Nachrichten brachten nichts Besonderes, von einem Unglück war nicht die Rede. Wie die Menschen nun sind, begannen sie von einem falschen Wahrsager zu faseln und von einer überflüssigen Übersiedlung an den Potarosee. Meine Freunde überzeugten die Zweifler, daß es jedenfalls besser sei, so weit wie möglich von Karapana und Koneso zu leben, um so mehr, als Kumaka dank seiner Lage auf der Halbinsel besonders gut zu verteidigen war.
Tatsächlich verstummten bald darauf die Gerüchte wieder, und eines Tages — es mochte ungefähr zwei Wochen nach unserer Ankunft in der Siedlung sein — erreichte uns die Nachricht, in Serima seien mehrere Kinder von einer geheimnisvollen Krankheit befallen worden. Einzelheiten, die wir am nächsten Tag erfuhren, bestätigten leider, daß es ich um die Masern handelte. Hinzu kam, daß außer den Kindern auch einige Erwachsene erkrankt seien. Diese Nachricht löste eine verständliche Niedergeschlagenheit aus, und als einige Tage später der erste Todesfall bekannt wurde, warteten alle mit Schrecken darauf, was sich noch ereignen würde. Ich ließ die Wachen verstärken und erinnerte noch einmal daran, daß es verboten sei, sich Serima zu nähern. Alle Befehle wurden bereitwillig ausgeführt. Jetzt trafen seltener Nachrichten aus der unglücklichen Siedlung ein, doch war jede von ihnen noch schlimmer als die vorangegangene. Immer öfter holte sich der Tod seine Opfer, vor allem unter den kleinen Kindern. Die bittere Tatsache, daß meine vergeblichen Warnungen sich bewahrheitet hatten und die Menschen mir nun mehr Glauben schenkten als je zuvor, konnte mir keinen Trost bringen.
Am meisten ging das Unglück Serimas Aripaj ans Herz. Der sonst ruhige, gutmütige, immer ausgeglichene Mann sah jetzt aus, als trage er selbst ein ungesundes Feuer in sich. Flackernd irrten seine Augen umher. Seiner Frau und den Kindern drohte keine Gefahr, sie lebten in Kumaka, um so verwunderlicher erschien mir das Gebaren des Indianers.
„Was ist dir, Aripaj?” sprach ich ihn freundlich an, als wir uns am Ufer des Sees begegneten.
Er war bestürzt und machte eine Bewegung, als wolle er davonlaufen, doch hielt ich ihn sanft zurück. Als ein gefälliger Mensch war er jedem bereitwillig zu Diensten, der ihn darum ersuchte, und seit dem gemeinsamen Unternehmen auf der Insel an der Mündung des Itamaka herrschte zwischen uns ein sehr herzliches Verhältnis.
„Was hast du?” wiederholte ich besorgt. „Du siehst schlecht aus, mein Freund. Kann ich dir vielleicht helfen?”
Er lächelte wehmütig und etwas spöttisch, um auszudrücken, daß ihm niemand helfen könne.
„Du meinst also, daß ich dir ganz und gar nichtnützlich sein kann?’
„Nein, Weißer Jaguar.”
„Was fehlt dir denn? Deine Wangen sind eingefallen.” „Nicht der Körper ist krank — es ist das Herz.”
Er näherte sich meinem Gesicht, seine Kinnlade bebte wie im Fieber, seinem Mund entströmte ein übelriechender, saurer Dunst.
„Dir, Weißer Jaguar, kann ich es verraten, was mir fehlt, du darfst es aber niemandem sagen: Mein Herz ist krank, ein Ka-naima sitzt in ihm und vergiftet meine Seele. Dieser schreckliche Kanaima läßt mich nicht schlafen, er verlangt nach Blut. .
Während er dies sprach, begann er vernehmlich zu atmen, als ob er nur mühsam Luft bekäme. Die Augen weiteten sich schmerzhaft, und ich glaubte Spuren von Wahnsinn in ihnen zu entdecken. „Du redest Unsinn, Aripaj.”
„Mag sein, daß ich unsinniges Zeug fasle, doch ist mein Geist noch klar, nur das Herz ist krank. Der KanaimaJ”
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ich war bestürzt. Es wollte mir nicht gelingen, ihm eine scherzhafte Antwort zu geben; so lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung und fragte: „Man sagt, daß du in der letzten Zeit auffällig oft in der Nähe Serimas gesehen wirst... ”
Er schrak zusammen.
„Hat man mir nachgespürt? Ja, es stimmt. Der Kanaima zieht mich dorthin.”
„Ausgerechnet nach Serima? Tu das nicht, halte dich zurück! Du bringst uns noch die Seuche auf den Hals.”
„Ich muß nach Serima. Wegen eines Lumpen gehen die Menschen dort zugrunde. Welch ein Unglück! Der Kanaima...” „Hör zu, Aripaj, gib diesem Kanaima einen Fußtritt. Statt im Walde umherzustreifen, laß dich öfter in unserer Hütte sehen, wo wir uns unterhalten können.”
„Ich kann nicht. Der Kanaima befiehlt mir, ihn zu töten. . .” „Wen?”
„Du weißt es nicht?”
Ernst betrachtete ich ihn. Erneut schwankte ich, wie ich diese sonderbare Mitteilung aufnehmen sollte, doch lag so viel Verwirrung in seinen Augen, daß ich zu schweigen beschloß. Aripajs Gehaben war mir ein großes Rätsel. Ich kannte ihn als gutmütigen Menschen voller Nachgiebigkeit, der sogar den Mord an Kanaholo, seinem Sohn, demütig und beherrscht hingenommen hatte — und jetzt? Was mochte in seinem Innern gären?
Ich sprach mit Manauri und den anderen Freunden über meine Besorgnis, und wir beschlossen, die Augen offenzuhalten und über Aripaj zu wachen.
Arasybo nahm ihn in persönliche Obhut. Auch der Hinkende durchlebte manche Erschütterungen und Gemütsbewegungen und wurde öfter von einem eigenartigen Begeisterungstaumel er-faßt. In Kumaka gingen Gerüchte um, daß er geheimen Umgang mit Geistern habe und es verstehe, verschiedene Waldhebus vollständig seinem Willen zu unterwerfen. Den Schrecken, der den
Spaniern an jenem denkwürdigen Tage in Serima in die Glieder gefahren war, erklärten sich viele Indianer aus dem Umstand, daß in dem Augenblick, als Arasybo seine Schüsse abgab, deutlich ein Raunen und Rauschen der Dämonen zu hören gewesen sei.
Hier in Kumaka hatte sich Arasybo endgültig meines Jaguarschädels bemächtigt. Der Schädel thronte auf der Spitze eines Pfahles vor seiner Hütte, und der Hinkende benahm sich wie ein Zauberer und vollführte täglich rituelle Tänze um den Pfahl. Dabei schwenkte er in jeder Hand eine Maraka, das unerläßliche Symbol eines jeden Zauberers, und das durch die Steinchen im Innern der hohlen Frucht verursachte Rasseln fand magischen Widerhall in den Seelen der Einwohner Kumakas.
„Tod für Karapana! Ich sage den baldigen Tod Karapanas voraus!” schrie Arasybo seine Beschwörungen in den verschiedensten Tonlagen nach allen Richtungen.
Alle glaubten fest daran, daß nun der Tod dem Zauberer sicher sei, am überzeugtesten war Aripaj. Zauber hatte für ihn die gleiche Bedeutung wie für die Fische das Wasser und der Regen für das keimende Korn. Die Fluchworte Arasybos stiegen ihm in den Kopf und berauschten ihn. Obgleich er sich Mühe gab, nüchtern und zurückhaltend zu bleiben, war ihm nicht mehr zu helfen.
Da wir keine Möglichkeit hatten, das Schicksal der Bewohner Serimas abzuwenden und ihnen beizustehen — wie sie sich während der Seuche verhalten sollten, hatten wir ihnen schon vorher mitgeteilt —, oblagen wir noch emsiger unseren täglichen Pflichten, und das Leben in Kumaka floß dahin wie ein eiliger Strom. Jeden Morgen zog ich mit der Kundschaftergruppe auf Übung aus, wobei wir uns meistens im Dickicht in der Nähe des Sees bewegten.
Dieser monatelang von der Sonne angewärmte Streifen stehenden Wassers hatte eine bedeutend höhere Temperatur als das Wasser des Flusses. Das war wohl auch der Grund dafür, daß sich hier eine außerordentliche Fülle aller möglichen Tiere und Pflanzen zusammenballte. Es wimmelte von Fischen wie in einem Netz, ganze Scharen verschiedener Wasservögel zierten die Oberfläche des Sees mit ihrem bunten Gefieder oder durchschnitten in schnellem Flug die Luft, während junge Reiher und Strandläufer wie rot oder rosa gefärbte große Blumen ruhig am Rande des Ufergebüsches standen. Ergänzt und hin und wieder aufgewühlt wurde diese idyllische Üppigkeit der Natur durch widerwärtige Scheusale, die Kaimane, die der erstaunliche Reichtum an Fischen in besonders großer Zahl herbeilockte. Im Dickicht des Ufers sonnten sich viele Riesenschlangen, manche von ihnen waren bis fünfzehn Fuß lang und erschreckten den näher kommenden Menschen, indem sie blitzschnell davonglitten und sich mit einem mächtigen Klatschen ins Wasser fallen ließen. Die Indianer behaupteten, daß Menschen, selbst wenn sie badeten, von den Bestien nicht angegriffen würden, doch boten die Schlangen einen so abstoßenden Anblick und verkörperten eine so schreckliche Kraft, daß jede Begegnung mit ihnen Ekel in mir hervorrief. Ihr Fleisch war ein Leckerbissen für die Indianer, die ihnen eifrig nachstellten.
Eines Tages führte ich eine Gruppe an das obere Ende des Sees. Wir waren ringsum von unübersehbarem Dickicht umgeben und übten uns darin, die zahlreichen Laute und Geräusche zu unterscheiden und ihren Ursprung festzustellen. Am besten konnten wir in dem allgemeinen Lärm die Stimmen und den Gesang der Vögel bestimmen; doch erkannten wir auch das eigenartige Quaken der Frösche, das Pochen des Spechts, die pfeifenden Töne der Affen, ja sogar die Geräusche der Schmetterlinge, von denen einige Arten während des Fluges ein sonderbares Knistern hören ließen.
Plötzlich lauschten alle meine Gefährten, die Gesichter dem See zugewandt. Zwar blieb uns das Wasser durch den grünen Vorhang verborgen, doch klang von Zeit zu Zeit ein schlürfendes Schnaufen herüber, als ob dort jemand niese oder pruste.
Die Indianer waren sichtlich überrascht, gerieten in immer größere Erregung und spitzten die Ohren.
„Was ist das für ein Tier?” fragte ich. „Ich habe diese Laute noch nie vernommen.”
„Ein Apia”, antworteten sie.
Ich hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was für ein Teufel das sein könne — ein Apia, und die Beschreibung, die meine Gefährten mir gaben, klang sehr phantastisch. Es seien große Tiere, vielleicht Fische, vielleicht auch nicht, denn sie gebären lebende Junge. Sie lebten ausschließlich im Wasser, sie besäßen keine Beine, sondern nur Vorderflossen, und ihr Maul gleiche dem eines Affen.
„Das sind ja äußerst absonderliche Wesen!” rief ich verwundert aus. „Sind es Raubtiere? Kann man sie essen?”
„Es sind keine Raubtiere. Sie sind sehr wohlschmeckend”, versicherten alle einmütig. Wir bewegten uns auf den See zu. Die Indianer drangen geräuschvoll vorwärts, sie achteten weder auf das Brechen der Zweige noch auf das Rauschen der Blätter, weshalb ich sie mehrmals ermahnte.
„Hier ist keine Vorsicht nötig’, erklärten sie mir. „Der Apia hört schlecht und sieht nicht sehr viel.”
„Das tut nichts”, erwiderte ich. „Vergeßt nicht das Gesetz des Waldes, daß man sich an das Wild immer heranschleichen muß — immer! Genauso wie im Kampf an den Feind.”
Der See endete in einem breiten, verschilften Bruchmoor, auf dem reichlich Wasserpflanzen gediehen, die zur Lieblingsnahrung jener Apias gehörten, wie mir die Gefährten erläuterten. Die sonderbaren Tiere lebten hier in einer ganzen Herde, und alle Augenblicke schwamm eines von ihnen an die Oberfläche und steckte seine Nase aus dem Wasser, um Luft zu schöpfen. Dabei ließ es jenes kennzeichnende schlürfende Schnaufen hören. Unweit von uns lag ein Apia in tiefem Schlaf, den Körper zur Hälfte auf dem trockenen Ufer. Ich erkannte, daß dieses Tier in der Form des Körpers und der Schnauze sehr unseren Seehunden ähnelte, nur lebte es im Süßwasser und war bedeutend größer. Einige Apias waren vom Kopf bis zum Schwanz an die neun Fuß lang. Ohne
die Herde aufzuscheuchen, kehrten wir in die Siedlung zurück und berichteten über unsere Entdeckung. Der Rest des Tages verging mit den Vorbereitungen für die Jagd, die für den nächsten Morgen angesetzt wurde.
Als der Morgen graute, waren wir bereits auf den Beinen. Alle in Kumaka verfügbaren Boote, sowohl die großen Itauben als auch die kleinen aus der Rinde des Jabotabaumes gefertigten Fahrzeuge, waren mit etwa zweihundert Jägern bemannt. Wir glitten langsam über das Wasser, gleich von Anfang an in einer Art kriegerischer Formation, als ginge es in den Kampf. An der Spitze fuhren zwölf oder fünfzehn Itauben, eng nebeneinander liegend; in Speerwurfweite folgte die zweite Flottille von mehr als zwanzig Booten, gleichfalls in einer geschlossenen Reihe.
Ich stand mit Lasana in einer Itauba neben dem Neger Miguel und Manauri. In der Hand hielt ich den Bogen und einen Pfeil, der eigens für die heutige Jagd hergerichtet worden war. Dieser glich einer Art Harpune und war so verfertigt, daß sich nach seinem Eindringen in den Körper des Opfers eine Schnur entrollte, an deren Ende ein Stückchen leichten Holzes befestigt war. Das verwundete Tier zog, wenn es tauchte, die Schnur mit dem Schwimmer hinter sich her. Dem Jäger fiel es dann nicht schwer, die Beute einzuholen und zu erlegen. Miguel, der als der beste Werfer galt, besaß keinen Bogen, sondern richtige Harpunen.
Als wir den Standplatz der Apias erreichten, stieg die Sonne bereits über den Wipfeln des Urwalds empor und sog die Nachtfeuchte auf. Schon von weitem entdeckte ich einige Langschläfer, die ähnlich sorglos am Ufer lagen wie das Tier, das ich gestern beobachtet hatte. Die Mehrzahl der Apias aber tummelte sich in der Tiefe des Sees und tat sich an den Wasserpflanzen gütlich. Nur durch Wasserwirbel, die bald hier, bald dort aus der Tiefe emporstiegen, und durch ihr schnaufendes kurzes Atemholen verrieten sie ihre Anwesenheit.
Die lange Reihe der sich heranpirschenden Fahrzeuge bot einen prächtigen, aber unheilverkündenden Anblick. Unbeweglich wie Statuen, die Augen auf das Wasser gerichtet, standen die Jäger bereit, ihren Pfeil abzuschießen oder mit dem Speer zuzustoßen, während die Ruderer immer vorsichtiger die Blätter ins Wasser tauchten. Alles das geschah unter tiefstem Schweigen. Mir gefiel die Disziplin der Indianer, und ich war überzeugt, daß im Ernstfall jeder von ihnen seine Pflicht erfüllen werde.
Als wir uns bis auf hundert Schritt dem Ufer genähert hatten, geriet die bisher schnurgerade Linie der Jäger an einer Stelle in Unordnung. Der rechte Flügel stockte. Dort hob einer der Speerwerfer blitzschnell den rechten Arm und schleuderte seine Waffe mit voller Kraft. Der Speer verschwand mit einem dumpfen Geräusch im Wasser und mußte sein Ziel erreicht haben, denn vor dem Boot begann das Wasser zu wirbeln und zu schäumen. Als habe diese erste Bewegung den Bann gebrochen, wurde es plötzlich auch in den übrigen Itauben lebendig. Unser Nachbar zur Linken schoß einen Pfeil nach dem andern ab.
Auch kurz vor mir tauchte die borstige Schnauze eines Apias empor, um nach kurzem Luftholen wieder in der Tiefe zu verschwinden. Als das Tier untertauchte und sein Körper dicht unter der Oberfläche einen Halbkreis beschrieb, schoß ich den Pfeil ab. Er bohrte sich in den fetten Bauch des Ungetüms, das gleich darauf meinen Augen entschwand. Bald jedoch hatte sich die Schnur abgewickelt, und mein roter Schwimmer tauchte auf. Er bewegte sich zunächst auf das Ufer zu, machte dann plötzlich kehrt und durchbrach unweit unserer Itaube die Linie der Jäger, fiel aber wenig später der zweiten Linie in die Hände. Die Schnur wurde ergriffen, das Tier herangezogen und erstochen.
„Gut’, flüsterte Lasana mit bebender Stimme. Sie verbarg ihre Erregung nicht. Sie war stolz auf mich.
Die getroffenen Apias warfen sich nach allen Seiten und riefen ein fürchterliches Chaos hervor, in dem die aufgescheuchten unverletzten Tiere zu entkommen versuchten. Die einen schwammen auf das Schilf zu, die andern trachteten die Mitte des Sees zu erreichen. Da sie jedoch jeweils schon nach einigen Minuten auftauchen mußten, um Luft zu holen, und überall Boote mit unerbittlichen Schützen auf sie lauerten, hatten sie es nicht leicht, der Treibjagd zu entrinnen. Immer mehr farbige Schwimmer, unheilvolle Vorboten des Todes, zogen über die Oberfläche des Sees, und entlang ihrer Bahn färbte sich das Wasser blutig rot.
Der Jagdtrieb der Urmenschen hatte die Oberhand in meinen Gefährten gewonnen, ihre Augen blitzten, ihre Muskeln waren gespannt, ihre Bewegungen ungestüm. Den größten, geradezu überwältigenden Eindruck aber machte auf mich, daß sich dieses Drama der entfesselten Instinkte in völligem Schweigen abspielte. Niemand sprach ein Wort, keiner ließ triumphierende Schreie hören, und auch die Tiere gaben keinen Laut von sich, wenn sie verendeten. Es war ein stummer Kampf.
Als nach einer reichlichen Stunde die Jagd zu Ende ging, war es nur wenigen Tieren gelungen, sich unversehrt in die Mitte des Sees zu retten. Wir gingen daran, die Beute am Heck der Boote zu befestigen. Manche Exemplare mochten ein Gewicht von fünf bis sechs Zentnern erreichen. Wir zogen die toten Apias in das seichte Wasser in der Nähe des Ufers, um leichter mit der Arbeit fertig zu werden, doch stellten sich dabei völlig unerwartete Schwierigkeiten ein.
Das Blut der getöteten Tiere hatte eine Unmasse Fische einer räuberischen Gattung angelockt, die zwar nicht groß waren, ihre Länge betrug kaum mehr als einen halben Fuß, sich aber trotz ihrer kleinen Gestalt durch eine unvorstellbare Freßgier auszeichneten. Die Arawaken nannten sie Humas. Ihre Zähne waren scharf wie Messer. Im Handumdrehen rissen sie ansehnliche Fleischstücke aus dem Körper des Opfers, verschwanden eilig und machten den nächsten das Feld frei. Sie waren so verwegen, daß sie auch den Menschen angriffen, und man vermochte sich ihrer nur zu erwehren, indem man sie mied wie das Feuer.
Diese kleinen Ungeheuer also kamen zu Hunderten angesaust und stürzten sich so gierig auf die Körper unserer Apias, daß das Wasser ringsum in Wallung geriet. Wir versuchten sie mit Stökken zu vertreiben, doch hatten wir keinen Erfolg damit, auch die Schläge konnten sie nicht davon abhalten, gierig nach der Beute zu schnappen. Wurden ein oder zwei der Räuber durch Stockhiebe betäubt, so drängten zehn andere herbei. Ihre unwahrscheinliche Verbissenheit wirkte geradezu gespenstisch auf mich.
Ein Huma, kaum größer als eine halbe Elle, wurde lebend ins Boot geschleudert. Ich wollte ihn ergreifen und seine fürchterlichen Zähne aus der Nähe betrachten.
„Rühre ihn nicht an”, warnte mich Manauri eindringlich. „Diesen Bestien ist nicht zu trauen. Auch an der Luft schnappen sie noch zu. Sie haben schon manch einem den Finger abgebissen!”
„Und in diesem See soll man baden?” Mich schauderte.
„Man muß sich in der Nähe des Ufers halten. Außerdem sind die Humas nicht überall, und nur wenn sie Blut wittern, sind sie so wütend. Erwischen sie einen Menschen weiter ab vom Ufer, so ist er verloren.”
Die Landschaft ringsum bot einen lieblichen Anblick, majestätisch und anmutig grüßten die Palmen vom Ufer, sogar die fügsamen, ochsenplumpen Apias konnte man als Fabelwesen, die einem Märchenparadies entstammten, hinnehmen, und nun tauchte plötzlich diese geheimnisvolle Gefahr auf, diese grenzenlose, unbezähmbare Freßgier, daß einen der Ekel schüttelte.
Als es uns endlich gelungen war, die Humas zu vertreiben, banden wir die Beute an die Boote und schleppten sie nach Kumaka. Neunzehn erlegte Apias, damit war die ganze Siedlung auf viele Wochen mit Fett und getrocknetem Fleisch versorgt. Die Frauen hatten mehrere Tage alle Hände voll zu tun.
In dieser Zeit des Überflusses bereitete uns Aripaj großen Kummer. Der Kanaima, den er in sich vermutete, raubte ihm allmählich den Verstand. Der arme Teufel fühlte sich in der Gewalt einer abscheulichen Macht und verlor die Herrschaft über sich selbst. Sein Benehmen wurde immer absonderlicher. Zuletzt verließ er seine Familie und irrte geistesabwesend im Urwald umher. Er ließ sich nicht mehr in Kumaka sehen, sondern verbrachte nun auch die Nächte in der Wildnis. Jedoch hielt er sich ständig in der Nähe auf, denn unsere Jäger und Früchtesammler bekamen ihn öfter zu Gesicht. Immer mehr ähnelte er in seinen Gewohnheiten einem wilden Tier, er gestattete niemandem, sich ihm zu nähern, stieß unverständliche Schreie aus, drohte mit der Faust und plärrte den Namen Kanaimas.
„Retten wir ihn”, drang ich in die Freunde. „Holen wir ihn nach Kumaka, wenn es sein muß, mit Gewalt.”
„Das können wir nicht tun”, erwiderte Manauri. „Er geht dauernd nach Serima. Vielleicht hat er sich angesteckt.”
„Weißt du genau, daß er dorthin geht?’
„Ganz genau, Jan!”
So konnte natürlich keine Rede davon sein, ihn nach Kumaka zu bringen, im Gegenteil, man durfte ihn überhaupt nicht auf unsere Halbinsel lassen. Die Freunde nahmen die Nachrichten über seine traurige Krankheit mit geduldigem Verständnis auf und erklärten mir den Grund für diese Erscheinungen. Diese Art Wahnsinn war ihnen gut bekannt, die Waldindianer wurden oft davon befallen. Besonders dann, wenn ihnen ein großes Unrecht widerfahren war, suchte der Rachegeist sie heim, verwirrte ihnen die Sinne und wich nicht eher aus ihnen, bis sie ihre Leiden im Blut des Schuldigen ertränkt hatten, sofern nicht der andere sie vorher ums Leben brachte. Erst wenn die Rache ausgeführt war, wurden sie wieder normale Menschen. Aripaj mußte den Zauberer Karapana töten, deshalb irrte er vom Wahnsinn besessen umher.
„Und wenn nicht er den Zauberer tötet, sondern der Zauberer ihn?” wandte ich beunruhigt ein.
„Das hängt vom Kanaima ab, dagegen kann man nichts tun.”
In der Tat gab es für uns keine Möglichkeit, Aripaj zu helfen. Er kreiste wie ein Geier um Serima.
Dort sah es sehr schlecht aus. Der größte Teil der Einwohner war an den Masern erkrankt, der Tod wütete, besonders die Kinder fielen ihm zum Opfer. Leid und Bitterkeit bedrückten die Herzen derer, die noch gesund waren. In ihrer Verzweiflung und Wut stießen sie immer lautere Verwünschungen gegen die Stammesältesten aus. Aripaj hörte sich ihre Klagen und Flüche an und stachelte sie noch mehr auf.
So lagen die Dinge, als ich ein unheimliches Erlebnis in unserem verteufelten See hatte und um ein Haar ertrunken wäre. Die Hölle mußte diesen Wasserstreifen geschaffen haben. Wieviel rätselhafte Geschöpfe hielt er noch verborgen?
Der Grund des Sees war dunkel und schlammig, nur an einer Stelle blinkte ein schmaler, kaum fünfzig Schritt breiter Sandstreifen im seichten Wasser. Diese Stelle befand sich in der Nähe von Kumaka, und so gingen wir öfter dorthin baden. Die zahlreichen Kaimane der Potarobucht ließen uns ungeschoren, und da wir uns niemals erdreisteten, die Untiefe zu verlassen und weiter hinauszuschwimmen, kam es auch zu keinen unliebsamen Begegnungen mit den räuberischen Humas. Am Übergang des sandigen Untergrundes in die dunkle Tiefe reichte mir das Wasser kaum bis an die Brust. Gern tummelten wir uns am Rande des Sandstreifens und genossen das erfrischende Bad.
Eines Morgens plantschten wieder einige von uns im Wasser. Plötzlich vernahm ich aus dem Munde Pedros, der ganz in meiner Nähe war, ein gedämpftes Stöhnen. Als ich mich nach ihm umdrehte, gewahrte ich, daß sich auf seinem Gesicht Bestürzung und Schmerz malten. Gleich darauf sackte er zusammen und fiel ins Wasser. Das erschien mir völlig unnatürlich, denn die Tiefe betrug höchstens vier Fuß.
Ich eilte ihm zu Hilfe, und da ich ihn in dem klaren Wasser auf dem Grund liegen sah, erfaßte ich ihn am Haarschopf und zog ihn nach oben. Als sein Kopf an der Oberfläche des Wassers erschien, geschah mit mir etwas Fürchterliches. Ich fühlte plötzlich einen so starken und so schmerzhaften Schlag, daß ich einen Augenblick das Bewußtsein verlor. Der Schmerz saß überall, am schlimmsten wütete er im Innern des Körpers. Es schien, als ob mir mit Zangen die Eingeweide zerrissen und die Knochen gebrochen würden.
Einen solchen lähmenden Schmerz hatte ich bisher nie kennengelernt. Bevor ich ohnmächtig wurde, glaubte ich im Wasser die schwarze Gestalt eines davonschwimmenden Fisches zu erkennen. Sollte er dies alles verursacht haben?
Jetzt war ich es, der zusammensackte und unter der Oberfläche des Wassers verschwand. Verzweifelt versuchte ich mit den letzten Kräften, wieder emporzutauchen. In diesem Augenblick ergriff mich Pedro, dem die Besinnung zurückgekehrt war, am Arm, und ich fühlte, wie mir nach der erlittenen Erschütterung langsam die Kräfte zurückkehrten. Plötzlich jedoch warf mich ein neuer Stoß endgültig um. Diesmal war der Schmerz noch bedeutend größer als zuvor: etwas wie ein Wolfszahn riß an meinem Körper und schien ihn zu durchbohren. Ich glaubte, es sei der Tod, dann verließen mich die Sinne.
Als ich zu mir kam, lag ich unter einer Kokospalme am Ufer des Sees. Gleichzeitig mit dem Bewußtsein erwachte das Schmerzgefühl in allen Gliedern, drückte gegen das Herz und würgte in der Kehle. In den ersten Minuten war ich unfähig, auch nur einen Finger zu rühren, dann wich die Lähmung langsam aus dem Körper, und auch der Schmerz begann zu schwinden.
Rings um mich standen die Freunde, unter ihnen auch Pedro, der wieder munter war, und bekundeten ihre Freude, daß ich wieder zu mir kam.
„Was war das?” flüsterte ich mit fremder Stimme. Meine Kehle war immer noch wie zusammengeschnürt.
„Viel hat nicht mehr gefehlt, Jan. . .” Wagura lächelte. „Um ins Jenseits zu gelangen?”
„Jawohl.”
„Was für ein Scheusal hat mich so zugerichtet?” fragte ich.
Die Freunde wurden ernst und deuteten auf den Boden. Vielleicht zwei Schritt neben mir lag ein Fisch. Er mochte etwas mehr als drei Pfund wiegen.
„Der war es?’ Verwundert betrachtete ich die kleine Bestie. „Ja, der war es, ein Arimna.”
Der Fisch, der in seiner Form an einen kräftigen Aal erinnerte, war von dunkelgrüner Farbe und besaß auf beiden Seiten des Körpers je eine Reihe gelber Flecke.
„Wir haben ihn erschlagen”, rief Wagura frohlockend. „Und dich konnten wir nur noch mit Mühe lebend herausziehen.”
„Aber er hat mich eigentlich gar nicht gebissen”, stellte ich verblüfft fest.
„Es genügt, wenn er dich leicht berührt. Schon in dieser Berührung steckt eine höllische Kraft”, erklärte mein junger Freund nicht ohne Stolz.
„Ist euch Spaniern dieser verfluchte Fisch bekannt?” wandte ich mich an Pedro.
„Natürlich kennen wir ihn! In manchen Gewässern, besonders in sehr warmen, ist er ziemlich häufig. Es ist ein Temblador, die Indianer nennen ihn ,Entzieher der Bewegung'.”
„Warum haben sie ihn nicht Höllendrachen getauft?” sagte ich mit so grimmiger Miene, daß alle in lautes Gelächter ausbrachen:
Da sich mein Zustand rasch besserte, waren wir guter Dinge, und schon eine halbe Stunde später vermochte ich, von den Freunden gestützt, auf eigenen Füßen den Weg nach Kumaka anzutreten. Die Schmerzen aber verschwanden erst nach zwei Tagen völlig.
Seit dieser Zeit empfand ich beim Anblick des Sees heftiges Grausen und auch ein wenig Scheu. Durfte man sich wundern, daß die Indianer in dieser unheimlichen Natur, von der sie ständig umgeben waren, überall Spuren bösartiger Dämonen und blutdürstiger Gespenster zu entdecken glaubten, die als Nachkommen der menschenfressenden Gottheiten Piaima oder Ma-kunaima galten?
Am Tag nach dem Erlebnis mit dem Arimna kehrten Manduka und seine Warraulen von der Verfolgung der Spanier zu-rück. Sie hatten keinen Mann verloren und waren alle zehn unverletzt. Manduka liebte Zeremonien und stellte gern die Disziplin seiner Krieger zur Schau: Bevor er ein Begrüßungswort sprach, ließ er die Warraulen in einer Reihe antreten und wartete vor meiner Hütte auf die Ankunft des Dolmetschers. Es gab in Kumaka außer Aripaj noch mehrere Arawaken, die ein wenig Warraulisch verstanden. Nachdem wir einen von ihnen herbei-gerufen hatten, berichtete Manduka, daß der Auftrag ausgeführt worden sei. Erbeutet wurden vier Büchsen, vier Pistolen und fünf Messer.
„Wo habt ihr sie überrumpelt?” fragte ich.
„Während der letzten Rast vor Angostura. Dort fühlten sie sich bereits so sicher, daß sie keine Wachposten mehr ausstellten.” „Ist es zu einem Kampf gekommen?’
„Wir haben sie ein wenig gerupft.”
Manduka schüttete aus einem Säckchen vierzehn abgeschnittene Ohren auf die Erde, die paarweise zusammengebunden waren. Vier Paar Ohren stammten von Indianern, drei Paar waren von weißen Menschen. Die anwesenden Arawaken schnauften vor B ewunderung.
„Ist Don Esteban dabei?’ Ich deutete auf die drei helleren Paare. „Nein.”
„Haben sie gemerkt, von wem sie überfallen wurden?” „Nein.”
„Was wollt ihr nun tun?”
„Wir wollen so lange hier bleiben, bis wir schießen gelernt haben, und dann nach Kaiiwa zurückkehren, zu Oronapi.”
„Gut. Ruht euch jetzt aus und eßt euch satt. Morgen beginnt die Arbeit.”
Manduka zögerte, er hatte noch etwas auf dem Herzen. Ich sah ihn fragend an.
„Bist du mit uns zufrieden, Weißer Jaguar?” In seinen Augen blitzte es fröhlich.
„Blutvergießen, wenn es nicht in der Verteidigung geschieht, ist nicht nach meinem Geschmack. Doch muß man anerkennen, daß es euch nicht an Mut fehlt.”
Als wir die Einzelheiten des Überfalls erfuhren, gewannen wir eine hohe Meinung von der Gewandtheit dieser kleinen Gruppe Warraulen.
Im Schutze der Dunkelheit hatten sie fünf Gegner überwältigt, sie getötet und ihnen die Waffen abgenommen, bevor die übrigen etwas merkten und Lärm schlugen, und auch dann war es ihnen gelungen, zwei weitere Feinde zu erledigen, ohne selbst den geringsten Schaden zu erleiden.
„Ich muß dir noch etwas mitteilen”, sagte Manduka zum Schluß. „Wir sind an Serima vorübergefahren. Dort ist irgend etwas los. Die Leute schrien und liefen hin und her, als schlügen sie sich.”
Er hatte sich nicht getäuscht. Tatsächlich war es dort zu einem Kampf gekommen, ein Aufstand gegen die Ältesten war ausgebrochen. Die Häuptlinge hatten so lange bösen Wind gesät, bis sie nun den Sturm ernteten. Die bereits lange in den Arawaken gärende Verbitterung war übergeschäumt und hatte sich in Gewalt verwandelt. Koneso wurde übel zugerichtet und als Oberhäuptling abgesetzt. Auch seine Sippe erkannte ihn nicht mehr als Häuptling an. Ähnlich erging es Pirokaj, seinem Einflüsterer und seiner rechten Hand. Der größte Zorn aber richtete sich gegen den Zauberer Karapana. Die verzweifelte Menge schwor ihm Rache und beschloß, ihn zu töten. Der Gauner witterte aber rechtzeitig, was ihm bevorstand, floh in den Urwald und verbarg sich in einem niemand bekannten Versteck. Sicher rechnete er damit, daß sich die Wut des Stammes bald legen werde und die Menschen erkennen würden, welche Wahnsinnstat und Schändung des Heiligsten sie hatten begehen wollen. Und er hätte sich nicht verrechnet, wenn nicht Aripaj mit seiner bohrenden Wahnvorstellung gewesen wäre.
Ihn, an dessen Seele das traurige Los des Stammes und das eigene Unglück in der Familie nagten, konnte nichts mehr zurückhalten. Die Sucht, den Zauberer zu töten, beherrschte ihn so sehr, daß er sich keine Ruhe gönnte und Tag und Nacht am Rande des Urwalds nahe Karapanas Hütte auf der Lauer lag. Und er lauerte nicht vergebens. Eines Nachts erschien der Zauberer. Es war vier oder fünf Tage nach der Rückkehr der Warraulen. Aripaj schreckte weder vor der Macht des Zauberers zurück noch vor der magischen Ehrfurcht, mit der sich Karapana umgab. Am nächsten Morgen wurde die Leiche des Zauberers gefunden. Aus seinem Hals ragte der Griff eines Messers. Daneben lag Aripaj, der in dem Kampf schwere Wunden davongetragen hatte.
So war Karapana seinem Schicksal nicht entronnen, und die tragischen Ereignisse der letzten Tage sollten die ganze gewohnte Ordnung des Stammes verändern und dem Leben der Menschen am Itamaka eine andere Richtung geben.