Der Stammeshäuptling und der Zauberer

AIs ich noch ein Kind war, erzählte mir meine Mutter von dem griechischen Helden Odysseus, der lange auf den Meeren umherirrte, bis er endlich ins Vaterland zurückfand. So wie dieser Odysseus erschienen mir jetzt meine arawakischen Gefährten, die nach vielen Jahren aus der Sklaverei zu ihren Familien zurück-kehrten. Alle waren sie von der Vorfreude des baldigen Wiedersehens erfüllt und weilten in Gedanken bei ihren Verwandten und Freunden. So mancher war auch nachdenklich gestimmt.

Am zweiten Tage nach der Abreise aus Kaiiwa kamen wir zu einer letzten gemeinsamen Aussprache zusammen. Ich sprach möglichst wenig. Dafür führte Manauri das große Wort; er litt ja auch am meisten unter der Unsicherheit des Morgen. Es fiel ihm nicht schwer, seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß das in Gestalt der grausamen Akawois von Süden her drohende Unheil schon bald über die Ufer des Orinoko hereinbrechen könne. Der beste Beweis dafür seien nicht nur die Warnungen der Warraulen, sondern auch ihr freundschaftliches Verhalten uns gegenüber. Welche Schlußfolgerungen ergäben sich daraus für uns? Wir müßten zusammenhalten wie bisher und dürften einander nicht im Stich lassen. Wir müßten uns wie eine Familie fühlen, um so mehr, da der Ruhm des siegreichen Kampfes mit den Spaniern uns allen gemeinsam gebühre und uns die Kunde vorauseile, daß wir im Besitz unbesiegbarer Waffen seien.

Die Worte Manauris fielen auf fruchtbaren Boden. Der Gedanke, sich zu einer Sippe zusammenzuschließen, der selbstverständlich auch die am Itamaka lebenden Blutsverwandten angehören sollten, wurde freudig begrüßt.

„Aber welches Zeichen soll die Sippe haben?”

„Es soll die Sippe des Seglers sein!” rief jemand.

„Unsinn!” widersetzte sich der Häuptling. „Unsere Sippen tragen alle Tiernamen.”

„Es gibt nur einen guten Namen”, warf Arasybo ein. „Die Sippe des Jaguars.”

„Auch das ist unmöglich.” Manauri schüttelte den Kopf. „Die Sippe des Jaguars gibt es bereits. Ihr Haupt ist Koneso, unser Oberhäuptling.”

„Ich weiß, war wir tun”, schaltete sich Arnak ein. „Wir nennen unsere Sippe die des Weißen Jaguars.”

„Das ist der beste Vorschlag”, stimmte Arasybo eifrig zu.

Die Indianer blickten mich fragend an, denn sichtlich hing der Name Weißer Jaguar eng mit meiner Person zusammen. Ich hatte nichts dagegen. Von mir aus sollten sie ihre Sippe nennen, wie sie wollten, die Hauptsache war, daß es ihnen selbst und dem ganzen Stamm zum Nutzen gereichte.

„Auf jeden Fall wird es von Nutzen sein!” schrie Arasybo.

Auch die anderen teilten die Meinung des Hinkenden, denn ähnlich wie Manauri wußten auch sie nicht genau, was sie am Itamaka erwarten würde, während unsere Gruppe eine herzliche und allen Anzeichen nach auch dauerhafte Gemeinschaft darstellte.

Und doch war einer auf dem Schoner, der ein finsteres Gesicht machte und über das Geschehen die Nase rümpfte — es war Fu-judi. Da er erst wenige Tage auf dem Schiff weilte, würde er aller Voraussicht nach nicht der Sippe angehören. Mit scharfen Worten, in denen ein fast drohender Unterton lag, warnte er, daß diese Art, eine neue Sippe zu gründen, die durch Generationen bewährte Ordnung und Einheit ihres alten Stammes gefährden könnte.

„Ihr werdet nur den Zorn der Ältesten auf euch laden”, ermahnte er mit strenger Miene. „Koneso wird es nicht billigen, schon gar nicht, wenn der Name dem seiner Sippe so ähnlich ist.” „Es ist ein guter Name!” schrie Arasybo dazwischen und machte ein hochmütiges Gesicht.

Fujudi bedachte ihn mit einem langen, durchdringenden Blick und zischte dann giftig: „Du Sohn eines Kaimans solltest besser schweigen. Glaube nicht, daß deine Taten vergessen sind!”

Diese Worte machten einen unerwarteten Eindruck auf den Hinkenden, sie trafen ihn wie ein Peitschenschlag. Einen Augenblick saß Schrecken in seinen schielenden Augen, und sein ganzer Körper schien zusammenzuschrumpfen.

„Was für Taten hat er begangen?” fragte Manauri.

„Ach!” Fujudi machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wozu soll man davon sprechen. Es ist besser, sich nicht daran zu erinnern.”

„Was du begonnen hast, sollst du auch vollenden”, drängte ihn der Häuptling.

„Er ist ein Unruhestifter, ein Hetzer und Raufbold”, sagte Fujudi anklagend und wies mit dem Finger auf Arasybo.

„Erkläre uns das näher!”

Das Vergehen Arasybos war schwer. Er habe die heiligsten Bräuche geschändet. Als er noch mit den Arawaken unter dem Geierberg lebte, habe er sich dem Spruch, den der Zauberer Kara-pana gegen seine Familie gefällt hatte, nicht fügen wollen, habe sich den Anordnungen des Zauberers widersetzt und dessen Ansehen untergraben. Dieser wahnsinnige Verleumder sei nicht einmal davor zurückgeschreckt, Karapana zu beschimpfen, daß er ein schwacher Zauberer sei. Nur dem Vorfall mit dem Kaiman und seinem Gebrechen habe er es zu verdanken, daß er nicht zum Tode verurteilt, sondern nur unter dem Geierberg zurückgelassen worden sei.

Entsetzt und voller Erstaunen, daß dieser unbeholfene arme Kerl solch einer verwegenen Tat fähig sein sollte, blickten alle auf Arasybo.

„Stimmt das?” wandte Manauri sich an den Hinkenden.

„Es war so”, brummte dieser, doch konnte man an seinen trotzigen Augen erkennen, daß er sich nicht schuldig fühlte.

„Vielleicht war der Zauberer ungerecht zu ihm?” brachte ich zu Arasybos Verteidigung vor.

Meine Worte verhallten, ohne von jemandem beantwortet zu werden, ja, ich wußte nicht einmal, ob sie überhaupt beachtet worden waren. Offenbar galt das Ansehen des Zauberers als unantastbar, und über seine Gerechtigkeit durfte kein Urteil gefällt werden.

„Ich wüßte nicht, warum eine neue Sippe den Zorn der Ältesten hervorrufen sollte”, sagte Manauri, an den von Fujudi vorgebrachten Vorwurf anknüpfend.

„Koneso liebt solche Dinge nicht’, antwortete Fujudi kurz. „Er liebt sie nicht?”

„Vielleicht erkennt er sie auch nicht an.”

Ungeduldig biß sich der Häuptling auf die Lippe, sein Blick verfinsterte sich. Schließlich sagte er: „Aber er wird anerkennen müssen, daß wir zurückgekehrt sind.”

„Das ohne Zweifel.”

„Auch daß wir eine Reihe von Jahren in der Sklaverei waren.” „Auch das.”

„Er wird anerkennen müssen, daß wir in der Welt manches gesehen und viel Neues kennengelernt haben, daß unser böses Schicksal uns gelehrt hat, zu überlegen. Er wird auch verstehen müssen, daß wir härter, klüger und weniger furchtsam geworden sind.”

Was Manauri hier vorbrachte und wie er es tat, war nicht dumm; man merkte, daß der Häuptling genau wußte, was er wollte. Beifällig folgten die Gefährten seinen Worten, Fujudi dagegen hörte ihn mit herausfordernder Miene an.

Es entstand ein Schweigen, das Fujudi erst nach einer Weile unterbrach: „Und wer soll das Haupt eurer Sippe sein?” Manauri und einige andere sahen zu mir hin.

„Nein, ich nicht.” Mit diesen Worten lehnte ich von vornherein ab. „Ich werde euch in kurzer Zeit verlassen und nach Süden zu den englischen Faktoreien fahren. Es ist ganz klar, daß Manauri euer Führer sein wird.”

Der Fluß hatte hier keine Ufer; der Urwald bildete zu beiden Seiten sogenanntes Bruchmoor, das für den menschlichen Fuß unpassierbar ist. Meilenweit ragten die Bäume unmittelbar aus dem Wasser auf oder standen auf wasserdurchtränkten Mooshügeln, nur selten zeigte sich ein trockener Werder. Der Gestank faulen-der Pflanzen, der aus dem Sumpf herüberwehte, war zeitweise so betäubend, daß mir übel wurde. Hier zu leben war einfach unvorstellbar. Und doch brodelte in dieser verlorenen Wildnis überschäumendes tierisches Leben — der Wald wimmelte von Vögeln, und Myriaden von Insekten summten in der schwülen Luft. Hier bemerkte ich zum erstenmal ganz außergewöhnliche Schmetterlinge. Sie waren so herrlich, daß ich meinen eigenen Augen nicht trauen wollte. Strahlend blau wie der Himmel und groß wie zwei Handflächen, flatterten sie aus dem Dickicht empor und kreisten über unserem Schiff. Etwas Zauberhaftes ging von ihnen aus und gaukelte dem Menschen ein blaues, glückliches Märchenland vor. Die Indianer verstärkten diesen Zauber noch, indem sie behaupteten, daß manche Schmetterlinge Waldgeister seien, die den Menschen oft böse Streiche spielten. Ich aber konnte keine Boshaftigkeit mit solcher Schönheit in Verbindung bringen und lächelte über das Geschwätz der Freunde. Die machtvolle Größe der uns umgebenden Natur legte sich drückend auf die Gemüter. Der Urwald in seiner unheilverkündenden Majestät wirkte so gewaltig, daß die menschlichen Sorgen klein und nichtig erschienen und in seinem Schatten untergingen, so wie das Licht einer Kerze in gleißender Sonnenflut verschwindet.

Eines Tages tauchten weit im Süden langgestreckte bewaldete Hügel auf, es waren die Ausläufer des großen Höhenzuges, den Pedro als Sierra Imataka bezeichnet hatte. Diese von Westen nach Süden verlaufende rund fünfhundert Meilen lange Hügelkette

bildete eine Barriere, hinter der im Süden die Wasser des berüchtigten Cuyuni flossen. Allein der Anblick dieser fernen Berge ließ uns erleichtert aufatmen; denn dort gab es bestimmt keine qualbringenden Sümpfe.

Die arawakischen Dörfer lagen einige Meilen oberhalb der Mündung des Itamaka in den Orinoko. Wir hatten die Mündung noch lange nicht erreicht, da boten uns die immer noch etwas sumpfigen Ufer eine neue, frohe Überraschung.

Aus dem Röhricht und aus kleinen Buchten schossen Boote her-vor und ruderten auf uns zu. Die Kunde von unserer Ankunft war uns vorausgeeilt, und die Arawaken kamen, um ihre heimkehren-den Brüder willkommen zu heißen. Väter suchten ihre Söhne, und Brüder begrüßten Brüder. Viele erklommen den Schoner, der bald von fröhlichem Lärmen erfüllt war.

Mir näherten sich die Arawaken nur sehr zaghaft. Sie wagten es kaum, die Augen zu mir zu erheben, und wenn sie es taten, so spiegelte sich Scheu in ihrem Blick, als hätten sie ein überirdisches, Wesen vor sich. Erst als sie merkten, daß auch ich ein Mensch wie alle andern war und freundschaftliche Gefühle für sie hegte, wurden sie kühner.

„Sie sprechen davon, daß du eine Menge Schätze mitführst”, erklärte mir Manauri lachend.

Der Häuptling strahlte vor Freude. Er fühlte, daß er während der unglücklichen Jahre bei seinen Stammesbrüdern nicht in Vergessenheit geraten war. Alle, die auf das Schiff kamen, erkannten ihn sofort und begrüßten ihn achtungsvoll. Nur eines bereitete ihm Kummer: daß sein Bruder Pirokaj, der jetzige Häuptling seiner Sippe, nicht gekommen war, um ihn willkommen zu heißen. Dieser Pirokaj war — wie mir Manauri öfter erzählt hatte — ein von Neid und Mißgunst geplagter Mensch. Übrigens kam keiner der Stammesältesten auf unseren Schoner, es waren lauter einfache Menschen und Krieger, die uns so herzlich und überschwenglich begrüßten.

Seit unserer Abreise von Kaiiwa waren vier Tage verflossen, als wir das Dorf Konesos erreichten. Der Ort hieß Serima, lag auf dem trockenen Ufergelände des Itamaka und war von herrlichem, hochstämmigem Urwald umgeben.

Dieser letzte Tag unserer großen Fahrt war äußerst schwül. Kein Blättchen regte sich, und die Sonne verschwand hinter einem Vorhang feuchten Dunstes. Meine Gefährten nötigten mich wieder in die spanische Galauniform; sie selbst zogen spanische Hemden und Hosen über, legten sich Degen um und steckten erbeutete Jagdmesser in ihre Gürtel. So boten sie einen zwar absonderlichen, aber entschieden prachtvollen Anblick.

Es fiel mir auf, daß die sonst so ausgeglichene Lasana an diesem Tag recht aufgeregt war. Sie hatte bereits versucht, ein Gespräch mit mir zu beginnen, doch war im Durcheinander der Vorbereitungen für die Ankunft und im Begrüßungslärm der letzten Stunden eine Unterhaltung nicht möglich. Auf jeden Fall hatte sie ein Anliegen, das erkannte ich aus den Blicken, die sie mir zuwarf.

„Was hat denn Lasana?” fragte ich Arnak.

„Wahrscheinlich eine der üblichen Weibergrillen”, sagte der Bursche und zuckte die Achseln. „Irgend etwas beunruhigt sie.” „Was kann das sein?”

Arnak hatte keine Ahnung. Da die junge Frau in der Nähe stand, ließ ich sie herbeirufen.

„Was bedrückt dich, Zauberpalme?” fragte ich ohne Umschweife. „Fehlt dir etwas?”

„Mir fehlt nichts...”

Die Indianerin wurde verlegen und sah noch hübscher aus als sonst. Sie blickte zur Seite und versuchte ihre großen Augen unter den langen Wimpern zu verbergen.

„Oder hast du Furcht vor irgend etwas?”

„Ja, ich befürchte etwas”, bekannte sie offenherzig.

„Alle freuen sich, nur du hegst Befürchtungen? Das ist merkwürdig”, tadelte ich sie scherzhaft.

„Und Manauri?” erwiderte sie und zog trotzig die Mundwinkel nach unten. „Ob der sich auch freut?” „Das ist etwas ganz anderes! Er ist Häuptling und hat seine Sorgen. Du aber bist eine junge Frau.”

„Eben, ich bin eine junge Frau! Das ist es ja”, wiederholte sie mit einer gewissen Verbitterung.

„Und keine häßliche”, schmeichelte ich ihr und umfing sie mit meinen Augen.

Doch diesmal war Lasana zum Necken nicht aufgelegt, es war ihr wirklich schwer ums Herz.

„Wovor hast du denn Angst?” fragte ich sie.

„Vor dem Land”, antwortete sie. „Vor dem Stamm! Vor dem Recht des Stammes. . . vor der Trennung!”

Das klang etwas rätselhaft, doch war jetzt weder Zeit noch Gelegenheit, die Zusammenhänge der indianischen Bräuche näher zu erklären. Auch war es möglich, daß sich Lasana vor Arnak, der unser Gespräch übersetzte, darüber nicht aussprechen wollte.

„Jan!” sprach sie plötzlich mit fast feierlicher Stimme und blickte mir ernst in die Augen. „Erinnerst du dich noch, wie du unsere Freunde, die Neger, in Schutz genommen hast, als die Spanier sie in die Sklaverei verschleppen wollten?”

„Natürlich, es war in den Llanos.”

„Damals sagtest du, daß sie unter deinem Schutz ständen und die Spanier sie nicht anrühren dürften. . . Jan! Nimm jetzt mich unter deinen Schutz!”

„Dich, Lasana?”

„Ja, Jan. Du, der Mann, nimm mich, die Frau, unter deinen Schutz!”

Sie sagte diese Worte so einfach und so herzlich, daß ich am liebsten hellauf gelacht hätte. Es war eine heikle Angelegenheit, was sie da verlangte, und doch durfte ich ihr die Bitte jetzt nicht abschlagen. Ich erklärte mich daher bereit: „Einverstanden, Zauberpalme! Ab heute stehst du unter meinem Schutz.”

Der Itamaka ist kein sehr breiter, dafür aber tiefer Fluß, in dem sich die Gezeiten des fernen Ozeans noch bemerkbar machen. Wir konnten mit dem Segler bis auf wenige Meter ans Ufer heranfahren, worauf vom Land aus einige Baumstämme über die Bordkante geschoben wurden, so daß ein Laufsteg entstand, über den wir das Schiff verließen und auch unser Pferd ans Ufer brachten.

Serima war keine zusammenhängende, dicht bebaute Siedlung. Nach der Gewohnheit der hiesigen Indianer standen die einzelnen Hütten in großer Entfernung voneinander. Unser Landeplatz lag ungefähr in der Mitte des Dorfes.




Koneso, der reichen Federschmuck angelegt und verschiedene Schnüre mit Beeren, den Perlen des Waldes, umgehängt hatte, erwartete uns im Schatten eines mächtigen Baumes, umgeben von den Ältesten des Stammes. Alles sah so ähnlich aus wie beim Empfang durch Oronapi und Jekuana. Nachdem wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, fiel mir auf, daß neben Koneso, der in seinem Häuptlingssessel thronte, ein zweiter Indianer saß, während die übrigen Stammesältesten wie üblich standen. Besonders aber beunruhigte mich der Umstand, daß ich nirgends Sitzgelegenheiten für die Gäste entdecken konnte. Wollte uns Koneso etwa stehen lassen, während er saß?

„Arnak, siehst du das?” flüsterte ich. „Es sind keine Schemel da.”

„Ich sehe es.”

„Was sollen wir tun?”

„Wir können stehenbleiben, Koneso soll herkommen.”

„Er würde nicht kommen... Wir machen etwas anderes! Auf dem Schiff befinden sich doch Hocker. Wagura! Laufe zum Schoner

zurück und bringe zwei Schemel, aber schnell!” Wagura begriff, worum es sich handelte, und rannte davon.

„Wer ist der Alte neben Koneso?” fragte ich Manauri, als wir langsam weitergingen.

„Das ist der Zauberer Karapana.”

„Seine Stellung ist so einflußreich, daß er sitzen darf?”

„Er ist Konesos rechte Hand und dessen Verstand. Im ganzen Stamm geschieht nichts ohne seinen Willen.”

Nach dem indianischen Zeremoniell erwartet der Gastgeber die Gäste sitzend, ist aber verpflichtet, bei der Begrüßung aufzustehen. Koneso tat dies nicht. Er blieb sitzen, betrachtete uns aufmerksam und hüllte sich in beharrliches Schweigen. Tatsächlich waren für uns weder Schemel noch andere Sitzgelegenheiten bereitgestellt worden. Die abweisende Art und das flegelhafte Benehmen des Oberhäuptlings und seines Gefolges machten einen peinlichen Eindruck und wirkten gleichzeitig lächerlich, da sie in so krassem Gegensatz zu der überströmenden Herzlichkeit standen, mit der die Mehrzahl der Untergebenen Konesos die zurückkehrenden Stammesbrüder begrüßt hatte.

In diesem Augenblick kam Wagura zurück. Flüsternd berichtete er, daß er in der Eile nur einen Schemel gefunden habe. Ich überlegte nicht lange, schob Manauri den Hocker hin, warf mit einer schnellen Bewegung das Jaguarfell ab, zog die Kapitänsjacke aus und bedeutete Arnak, daß er mir aus all dem eine gute Sitzgelegenheit herrichten solle. Gebannt und nicht ohne Schrecken beobachteten die Stammesältesten diesen Vorgang. Wahrscheinlich vermuteten sie dahinter eine symbolische Handlung, genau wie damals im Dorf Jekuanas, und waren von dem Gedanken beunruhigt, was für eine magische Kraft mir wohl innewohne. Sollte sie selbst die Macht des Jaguars übertreffen? Der umsichtige Manauri wußte genau, warum er immer wieder verlangte, daß ich die Trophäe tragen solle!

Koneso war in mittleren Jahren, von stattlichem Wuchs und erschien mir größer und muskulöser als die übrigen Arawaken.

Sein Gesicht drückte Anmaßung und Aufgeblasenheit aus. Was aber am meisten daran auffiel, ja geradezu ins Auge stach, war der Stempel niederer Sinnenlust. Sein wulstiger Mund wirkte abstoßend, und die Augen blickten begehrlich. In diesem Augenblick allerdings konnte weder die hochmütige Aufgeblasenheit noch die Sinnesbegierde die Unsicherheit verbergen, die der Oberhäuptling in der Tiefe seiner Seele empfand.

Eine ganz andere Erscheinung war der Zauberer Karapana. Er zählte viele Jahre, sein Gesicht war von tiefen Falten und Runzeln durchzogen, doch die Augen blickten erstaunlich scharf und jung. Er saß aufrecht auf seinem Schemel, ließ die Hände auf den Knien ruhen und machte nicht die geringste Bewegung. Man konnte glauben, die Statue eines Waldgottes vor sich zu haben. Nur die schlauen Augen, die uns zu verschlingen schienen, wan-derten von einem zum andern und bohrten sich geradezu in uns hinein, als ob sie uns durchdringen wollten. Dieser Mann machte einen düsteren, unergründlichen Eindruck. Man fühlte, daß er zu allem fähig war und leichten Herzens kaltblütig jeden aus dem Wege räumen würde, der es wagen wollte, gegen seinen Willen zu handeln. Nicht ohne Grund fürchteten ihn die Arawaken wie die Pest.

Auf der anderen Seite Konesos stand ein kleiner, schmächtiger Häuptling mit lebhaften Augen. Er verschwand fast unter der Pracht seines Schmuckes aus bunten Streifen und Vogelfedern. Offensichtlich sollte dieser reiche Aufputz die Unansehnlichkeit seiner Gestalt heben. Es war Pirokaj, der Bruder Manauris, jener gefährliche Intrigant. Er sah jetzt seinen Bruder an, doch konnte man aus seinem Blick nicht gerade Freude herauslesen.

Eine ganze Zeitlang fiel kein Wort, wir saßen und starrten uns an. Endlich räusperte sich Koneso und öffnete den Mund. Doch anstelle blumenreicher Begrüßungsworte, an die ich mich bei den Indianern bereits gewöhnt hatte, bekamen wir nur eine gleichgültige, heisere Frage zu hören, die weder an Manauri noch an mich gerichtet war. Der Häuptling murmelte: „Seid ihr müde?”

Ausgerechnet das schien ihm in diesem Augenblick das Wichtigste zu sein? Der Schlag sollte ihn treffen!

„Nein”, gab Manauri mürrisch zur Antwort.

„Oder hungrig?” fragte Koneso weiter.

„Nein”, wiederholte mein Gefährte.

Da der Oberhäuptling keine Anstalten traf, gesprächiger zu werden, hatten auch wir keinen Grund, unbedingt die Höflichkeit zu wahren.

Ich sagte daher: „Ich bin hungrig! Alle, die angekommen sind, haben Hunger!”

Kaum hatte Arnak meine Worte übersetzt, als Koneso den etwas abseits stehenden Frauen auftrug, Speise und Trank herbeizuschaffen.

„Du hast mich schlecht verstanden, Häuptling”, sprach ich betont. „Ich hatte eine andere Nahrung im Sinn.”

„Welche?”

„Herzliche Worte der Begrüßung.”

Koneso ließ sich nicht im geringsten aus der Fassung bringen. „Haben euch meine Leute nicht willkommen geheißen und haben sie keine herzlichen Worte gefunden?” antwortete er angriffslustig. „Sind sie euch nicht entgegengefahren und haben euch begrüßt wie Brüder?”

„Sie haben uns sehr herzlich begrüßt, aber du hast es nicht getan.”

„Ich habe noch Zeit genug”, brummte er und wandte sich mißgelaunt den Frauen zu, die Körbe mit Speisen brachten und große Krüge mit dem unentbehrlichen Kaschiri. Er wachte darüber, daß allen gerecht zugeteilt wurde, uns, den dreißig Gästen, und

seinem Gefolge, den Stammesältesten. Mit verdrießlichem Gesicht trank er Manauri und mir zu, und

das Mahl begann. Doch welcher Unterschied zu dem fröhlichen Schmausen bei den gastfreundlichen Warraulen! Hier war alles gedämpft, gleichsam unter Zwang, es fehlten die freundlichen Zurufe und das befreiende Lachen.

Der Zauberer nahm weder Speise noch Trank zu sich, unbeweglich saß er auf seinem Schemel und rauchte aus einer langen Bambusrohrpfeife. Dabei ließ er beharrlich seinen kühlen, leidenschaftslosen Blick auf uns ruhen, als ob er unseren Gesichtern ein unsichtbares Siegel aufdrücken wolle. Der hinkende Arasybo fürchtete diesen Blick und hockte sich hinter meinem Rücken nieder; doch erreichten ihn die Augen Karapanas auch dort.

Einer Aufforderung Konesos nachkommend, sprach Manauri von den Ereignissen in der Sklaverei, über die Flucht von der Insel Margarita und über alles, was sich sonst noch zugetragen hatte. Seine Erzählung währte lange. Die dicht herandrängenden Indianer hörten mit verhaltenem Atem zu, selbst die Stammesältesten zeigten etwas Mitgefühl, wenn sie auch ihre Zurückhaltung uns gegenüber nicht aufgaben.

Als Manauri seinen Bericht beendet hatte, trat Schweigen ein, das erst nach geraumer Zeit von Koneso unterbrochen wurde. Mit unheilvoll blitzenden Augen wandte sich der Oberhäuptling an Manauri und mich und sprach mit harter Stimme: „Mit welcher Absicht seid ihr hierhergekommen? Das erzählt uns jetzt!”

Dieser plötzliche Ausbruch von Feindseligkeit und die unverständliche Frage kamen so unerwartet, daß wir nicht wußten, was wir antworten sollten.

„Was führt ihr im Schilde?” fuhr uns Koneso an.

Ich bemerkte, daß Manauri nach diesen Worten von mächtigem Zorn erfaßt wurde. Die Wangen färbten sich dunkler, seine Züge verkrampften sich, daß er kaum mehr zu erkennen war, und in den Augen glimmte ein Ausdruck von Wildheit wie bei einem Raubtier. Doch verlor er seine Selbstbeherrschung nicht, machte keine unbeherrschte Bewegung und bändigte seinen Zorn. Langsam, mit gepreßter Stimme, antwortete er: „Wie kannst du uns so verleumden? Wir führen nichts im Schilde! Merke dir das, Koneso! Wir sind als Brüder zu Brüdern gekommen. Unsere Absichten sind rein.”

„Rein?”

„Kannst du daran zweifeln? Wo bleibt deine Überlegung?... Ja, unsere Absichten sind rein.”

Koneso brach in haßerfülltes Lachen aus.

„Und was hat sich bei den Warraulen abgespielt? Oder willst du das etwa Ieugnen?” fragte er dann.

„Was, zum Teufel, soll sich dort abgespielt haben?”

„Du leugnest also, daß ihr euch verschworen habt?’ „Verschworen? Die Warraulen haben uns gastfreundlich aufgenommen.”

„Und dieses niederträchtige Bündnis, das ihr geschlossen habt?” „Ein niederträchtiges Bündnis?’

„So ist es, Manauri, ein niederträchtiges Bündnis gegen mich, zu meinem Verderben, um mit Hilfe der Warraulen Unfrieden im Stamm zu säen..

Nun war es Manauri doch zuviel. Er stand auf, ging langsam, wie mit lauernden Schritten, auf den Oberhäuptling zu, neigte sich etwas zu ihm herab und schleuderte ihm in verachtungsvoller Empörung die schimpflichen Worte ins Gesicht: „Koneso, dir haben die Würmer den Verstand zerfressen! Obwohl du wenig gastfreundlich bist und mit dem Kaschiri für uns und für dich knauserst, obwohl du also noch nicht viel getrunken hast, redest du so einen Unsinn, als ob du nicht mehr zurechnungsfähig wärest!”

Allgemeine Bestürzung herrschte ringsum. Zwar besaß der Oberhäuptling bei den südamerikanischen Stämmen meistens keine absolute Macht, war nicht Herr über Leben und Tod der Angehörigen des Stammes, sondern herrschte nur dann über sie, wenn sie seinen Mut und seinen Verstand anerkannten; trotzdem konnten die beleidigenden Worte Manauris unberechenbare Folgen haben, ja geradezu eine Katastrophe herbeiführen. Koneso brauchte nur sein bis an die Zähne bewaffnetes Gefolge auf uns zu hetzen, so wären wir mit einem Schlag niedergeworfen worden, denn keiner von uns hatte Waffen bei sich. Im stillen sagte ich mir, daß Manauri den Bogen überspannt habe.

Zum Glück kam es zu, keinem Kampf. Koneso unternahm nichts, sondern blieb weiterhin ruhig sitzen. Vielleicht befürchtete er, daß ein Teil des Stammes uns günstig gesinnt war? Vielleicht neigte er auch von Natur aus nicht zu Gewalttaten?

Auf jeden Fall aber mußte der Streit so schnell wir möglich beigelegt werden, es durfte nicht zum Äußersten kommen. Ich hegte den Verdacht, daß Manauri den Zank absichtlich verschärfte, um sich von seinem Einfluß im Stamm zu überzeugen, und daß er Koneso deshalb eine so scharfe Antwort auf dessen Flegelhaftigkeit gegeben hatte. Sollte dies der Zweck seines Handelns gewesen sein, so hatte er sein Ziel erreicht und sichtlich die Oberhand gewonnen. Wie dem auch war, die heißen Köpfe mußten abgekühlt werden.

Ich sprang daher auf und bat, etwas sagen zu dürfen. Von Arnak und Wagura tatkräftig unterstützt, konnte ich mir nach einiger Zeit Gehör verschaffen.

„Ich bin ein Freund Manauris”’, rief ich mit schallender Stimme, „doch will ich genauso ein guter Freund Konesos, Karapanas und Pirokajs sein!”

Ich erklärte dann, wie wir durch die harten Prüfungen, das erduldete Leid und die gemeinsamen Kämpfe einander nähergekommen waren und wie ich meine Gefährten, die Arawaken und die Neger, aufrichtig schätzengelernt hatte. Sie hatten meine Achtung in so hohem Maße gewonnen, weil ich bei ihnen die gleichen guten Eigenschaften des Denkens und des Herzens entdeckte, die mir selbst soviel bedeuteten — die Ehrlichkeit und die Treue. „In meinem ganzen Leben ist mir noch keine Lüge über die Lippen gekommen, und deshalb mußt du, Koneso, es mir glauben, wenn ich dir versichere, daß wir alle mit reinen Gedanken hierhergekommen sind, als Brüder zu Brüdern, und daß das Bündnis, das uns von den Warraulen angeboten wurde, nicht gegen dich als Oberhäuptling gerichtet ist.”

„Wozu habt ihr es dann abgeschlossen?” knurrte Koneso.

„Weißt du denn noch nicht, was von Süden her droht? Sind nicht

arawakische Jäger während der letzten Trockenzeit spurlos verschwunden?”

Koneso wußte genau, welche Gefahr von den Akawois drohte, und auch die anwesenden Arawaken kannten die Gefahr, weshalb ein Gemurmel des Verstehens durch die Reihen lief.

„Die Warraulen leben nicht nur am Orinoko”, fuhr ich fort, „ihre Siedlungen ziehen sich weit nach Süden hinunter, und sie sind schon öfter von den Akawois überfallen worden. Kann man sich da wundern, daß sie uns zu Verbündeten haben wollten, als sie von unseren Taten hörten und unsere Leute sahen? Darf man darin etwas Schlechtes sehen?”

„Warum sind sie nicht zu mir gekommen, sondern zu euch?” brauste Koneso auf.

„Weil wir in der Nähe waren und mit unserem Schiff an ihren Dörfern vorbeikamen. Übrigens bezieht sich das Bündnis selbstverständlich auf alle Arawaken am Itamaka, wir sind nur die Fürsprecher, welche dir, Koneso, das Bündnis mit den Warraulen überbringen.”

Doch auch diese Erklärung genügte der verletzten Eitelkeit des Oberhäuptlings nicht.

„Und was soll das bedeuten, daß ihr eine neue Sippe gebildet habt?” schnaubte er wütend. „Ihr wollt absichtlich einen Keil in den Stamm treiben, ihr wollt ihn spalten.. .”

„Wo werden wir!” verneinte ich lebhaft. „Diese Menschen haben viele Jahre in der Sklaverei verbracht und sind einander im Unglück nähergekommen. Sie haben sich gemeinsam die Freiheit erkämpft und möchten nun auch in Zukunft als eine Sippe miteinander leben und so dem ganzen Stamm dienen. Kann man ihnen das übelnehmen?”

Der Häuptling wollte nicht aufhören. Er brüllte: „Ihr seid mit allem gut versorgt! Ihr werdet die andern in eure Sippe locken! Ihr wollt einen eigenen Stamm bilden! Ihr droht...”

„Höre auf, Koneso!” ließ sich plötzlich, die Worte dehnend, eine alte Stimme vernehmen; es war eine leise, unauffällige Stimme,

die aber eine unglaubliche Wirkung hervorrief. Nicht nur, daß Koneso sofort verstummte, auch sein Zorn schien im Nu verraucht zu sein. Es war Karapana, der sich eingeschaltet hatte. Nach seinen Worten wurde es mäuschenstill.

„Hör auf damit”, wiederholte Karapana noch einmal. „Du kläffst wie ein närrischer Hund.”

Tatsächlich verstummte Koneso wie ein Hund, der Schläge bekommen hat. Seine wollüstigen Augen schauten so verblüfft drein, daß jeder merken konnte, wie ihm vor Erstaunen alle Gedanken aus dem Kopf entwichen. Er öffnete den Mund. Vielleicht wollte er, ohne sich dessen bewußt zu sein, etwas erwidern, aber Kara-pana kam ihm zuvor, indem er erklärte: „Es sind unsere Brüder. Heißt sie willkommen!”

„Ja, es sind eure Brüder!” bekräftigte ich erfreut.

„Gebt ihnen die Hände”, ermunterte der Zauberer die ältesten lebhaft. „Bei den Weißen ist es so Sitte, und sie haben lange unter den Weißen gelebt. Versage ihnen nicht die Hand, Koneso! Auch du nicht, Pirokaj, und ihr andern alle!”

Die feindliche Stimmung war im Nu weggefegt, Vernunft und Herzlichkeit trugen den Sieg davon. Die Ältesten kamen auf uns zu, Hände wurden geschüttelt, Lachen klang auf, und freundschaftliche Worte wurden gewechselt. Viele Indianer, die abseits standen und sich über das Gehabe der Ältesten geärgert hatten, waren jetzt außer sich vor Freude.

Nur Karapana, der umsichtige Urheber dieser schönen Eintracht, nahm keinen Anteil an dem Geschehen. In der seinem Alter zukommenden Würde saß er da, sog an der Pfeife und beobachtete durch die aufsteigenden Rauchschwaden hindurch scharf seine Umgebung; nur selten äußerte er ein Wort.

„Wir sind neugierig, ob ihr auch für uns solche Geschenke mitgebracht habt wie für die Warraulen”, rief einer der Ältesten aus. „Natürlich haben wir Geschenke mitgebracht”, antwortete Ma-nauri bereitwillig.

„Ich will einen Degen!” schrie Fujudi.

„Auch ich will einen Degen!” meldete sich eilig Pirokaj, und nach ihm forderten mehrere Stimmen: „Ich auch! Ich auch!”

Seit unserem Besuch bei den Warraulen schienen spanische Degen am Orinoko Mode geworden zu sein. Leider besaßen wir nur noch zwei von diesen unnützen Dingen, die wir Koneso und Pirokaj übergaben. Die übrigen nahmen mit bunten Tüchern und verschiedenen Kleidungsstücken vorlieb — so mancher tapfere Krieger zog sich eine Jacke über. Die Augen des Zauberers funkelten vor Gier, doch kam auch an ihn die Reihe: er erhielt einen pompösen Kapitänshut mit einer prächtigen Straußenfeder. Die Ältesten wurden von einem regelrechten Taumel ergriffen, möglichst viel zu besitzen, und lagen uns mit kindlicher Zudringlichkeit in den Ohren, ihnen dies oder jenes zu schenken, und zwar nicht nur ein Stück, sondern gleich mehrere.

„Gib mir eine Büchse!” brüllte Koneso.

„Mir auch eine!” Pirokaj eilte herbei.

„Jetzt gebe ich keine Schußwaffen heraus”, antwortete ich. „Ich benötige sie noch. Später sollt ihr sie bekommen.”

„Wann?” Der enttäuschte Oberhäuptling verzog die Lippen. „So gib mir den Gefangenen, diesen Spanier.”

„Der ist mein Eigentum”, entschied ich. „Er bleibt bei mir!”

Da seine Hoffnung abermals enttäuscht wurde, stieg Zorn in ihm auf, was der Aufmerksamkeit des Zauberers nicht entging. „Ko-ne-so!” ertönte die rügende Stimme Karapanas.

Augenblicklich mäßigte sich der Häuptling, nur seine unsteten Blicke kreisten in unersättlicher Habgier. Jetzt blieben sie auf Lasana haften. Begehrend funkelten die häßlichen Augen, und die Zunge schob sich zwischen die geöffneten Lippen. In diesem Augenblick bot der Häuptling den Anblick eines eigensinnigen Kindes und eines ausschweifenden Lüstlings zugleich.

Gleich darauf entdeckte er das Pferd, das etwas abseits graste. „Ich will das Pferd!” schrie er los und warf mir einen herausfordernden Blick zu. Er war fest davon überzeugt, daß ich ihm ein so wertvolles Geschenk verweigern würde.

Doch hatte er sich getäuscht, denn diesmal schlug ich ihm die Forderung nicht ab, sondern erwiderte: „Das Pferd? Nimm es dir.” Koneso geriet völlig aus dem Gleichgewicht, was sich allzu deutlich auf seinem Gesicht abzeichnete. Ein Pferd war am unteren Orinoko ein äußerst seltenes Tier und sein Wert gar nicht abzuschätzen.

„Ich schenke dir das Tier, aber nur unter einer Bedingung”, fügte ich hinzu. „Solange ich mich bei euch aufhalte, kann ich es benutzen, so oft ich will.”

Die Andeutung, daß ich nicht für immer zu bleiben gedachte, brachte den Häuptling zur Besinnung. Forschend blickte er zu mir herüber.

„Du bleibst nicht für immer bei uns?” fragte er dann mißtrauisch.

„Nein. Das war nie meine Absicht’, gab ich zur Antwort.

Auch Karapana lauschte dem Gespräch mit ungewöhnlicher Spannung. Er beugte sich sogar etwas vor, damit ihm ja kein Wort entgehe.

„Du bleibst nicht hier?” wiederholte Koneso überrascht. „Und wann willst du uns verlassen?”

„Das weiß ich noch nicht. Wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Vielleicht in einigen Wochen.”

„Und wohin willst du gehen?”

„Hast du noch nichts von den englischen Faktoreien gehört, die an der Mündung des Essequibo liegen sollen?”

„Davon habe ich gehört. Dorthin willst du also?”

„Ja, dorthin möchte ich, vorausgesetzt, daß ihr mir helft.”

Koneso und Karapana wechselten einen flüchtigen Blick miteinander, doch konnte ich nicht feststellen, worüber sie sich verständigten. Sicher war, daß ihnen die Nachricht meines baldigen Verschwindens Freude bereitete.

Sie mißtrauen mir noch immer, dachte ich.

Der Tag ging langsam zur Neige, die Sonne versank bereits in den Dunstschleiern des Westens. Wie immer in den Abendstunden erwachte der Urwald zu neuem Leben, und wie er erwachte, mit welcher Leidenschaft und mit welch wundervollen Lauten! Als ich die vielen unbekannten Vogelstimmen hörte, die ihre an-mutigen Begrüßungstriller aus dem Dickicht herüberschickten, wurde ich von einer so heißen Jagdlust befallen, daß ich am liebsten aufgesprungen und mit der Büchse in den Wald gelaufen wäre. Wenn dort so viele Vögel lebten, wieviel anderes jagdbares Getier mußte dann ringsum hausen?

So hatte also unsere mühselige Reise ein Ende gefunden. Das Ziel war erreicht, zumindest das meiner Gefährten. Sie hatten zu den Ihren zurückgefunden. Ihr viele Monate, ja Jahre währendes Sehnen und Streben hatte sich in einem Maße erfüllt, wie sie es besser nicht hätten erträumen können. Auch die letzten Hindernisse hatten wir glücklich bezwungen, die schroffe Ablehnung der barschen Stammesältesten war besiegt, unsere herzlichen Worte und die schönen Geschenke hatten sie entwaffnet. Als sich der Tumult endlich legte und freundliches Geplauder von Menschen, die sich und ihr Lachen wiedergefunden hatten, an seine Stelle trat, überkam mich ein Gefühl der Erleichterung. Ich empfand das stille Glück eines ewigen Wanderers, der nach mühevoller Reise heimgekehrt ist, die behagliche Ruhe eines Kämpfers nach gewonnener Schlacht. Endlich konnte ich mich entspannen, durfte wieder ich selbst sein, die ermüdende Wachsamkeit gegenüber den Menschen aufgeben und meine ganze Aufmerksamkeit der Tierwelt zuwenden. Wie ganz anders nahm ich nun den Geruch der Wildnis in mich auf, wie süß klangen die Akkorde des Waldes zu mir herüber, wie lockte die brodelnde, heiße Üppigkeit der Jagdgründe! Während meiner ganzen Jugend hatte ich in den virginischen Steppen gejagt, und jetzt durfte ich wieder zu meiner Natur zurückkehren, durfte hingehen und mich am Zauber der Waldeinsamkeit berauschen, dem Jaguar nachspüren und unbekannten Wesen gegenübertreten.

Der zwingende Blick des Zauberers entriß mich den Träumen.



Karapana betrachtete mich forschend, während ein unangneh-mes, spöttisches Lächeln seinen kalten Mund umspielte. Als sich dann unsere Blicke trafen, verschwand die Grausamkeit aus seinen Zügen. Mit einer Handbewegung richtete er die Frage an mich, ob ich seine Pfeife versuchen wolle. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich es probieren möchte.

„Nimm die Pfeife nicht in den Mund”, hörte ich hinter mir eine erschreckte Stimme flüstern.

Es war Arasybo, der dicht hinter mir saß und mich mit gedämpfter Stimme warnte. Außer mir konnte ihn niemand hören. Da er aber arawakisch gesprochen hatte, tat ich so, als hätte ich die Warnung nicht verstanden.

Ich nahm die Pfeife aus der Hand Karapanas, legte sie an den Mund und tat einen kräftigen Zug. Im gleichen Augenblick spürte ich, wie berechtigt die Warnung gewesen war, doch war es bereits zu spät. Die Pfeife mußte ein Gift enthalten, denn ich empfand einen fremden, bitteren Geschmack auf der Zunge. Gleichzeitig überfiel mich ein seltsames Schwindelgefühl, die Gestalt Kara-panas begann vor meinen Augen zu kreisen, und ich wurde halb ohnmächtig. Hätte ich nicht auf dem Jaguarfell gesessen, wäre ich auf die Erde gefallen. Dieser Zustand währte nur Sekunden, dann ging der Schwächeanfall vorüber, und ich kam langsam wieder zur Besinnung. Ich sah, daß mich der Zauberer mit der gleichen höhnischen Grimasse anlächelte wie zuvor.

Noch summte mir ein wenig der Kopf, doch ließen die Beschwerden bald nach; die Vergiftung hatte keine weiteren Folgen hinterlassen.

Mit übertriebener Höflichkeit nahm mir Karapana die Pfeife aus der Hand, sog einmal, ein zweites und ein drittes Mal den Rauch tief in die Lunge und stieß dann breite Rauchschwaden aus. Ich verfolgte sein Tun sehr aufmerksam und ließ mir nicht die geringste Bewegung entgehen — der Zauberer rauchte genauso wie ich, er hatte an der Pfeife nichts verändert, und doch konnte ich keine Anzeichen von Schwäche an ihm wahrnehmen. Ent-

weder wirkte das Gift nicht auf ihn, oder — was wahrscheinlicher war — der Rauch enthielt bei ihm kein Gift, und das konnte ich mir nicht erklären.

Als Karapana meine Verwunderung merkte, kicherte er belustigt und sagte spöttisch: „Mir scheint, du bist den Tabak nicht gewöhnt, der an unserem Fluß wächst!”

Ich stand auf. In den Knien verspürte ich immer noch eine leichte Schwäche. Ich beugte mich zu dem Zauberer hinab, runzelte drohend die Stirn, hielt ihm die Faust vor die Nase und sprach langsam: „Karapana, wünsche dir nicht, mich anders kennenzulernen denn als deinen Freund, ich sage es dir im guten! Und deine dummen Tricks probiere in Zukunft nicht an mir aus!” Diese Worte, die Arnak übersetzte, berührten Karapana nicht weiter, er nahm sie hin wie einen guten Scherz. Nur in seinen Augen leuchtete stiller Triumph. Triumph und Hohn schwangen auch in seiner Stimme mit, als er, Mitgefühl vortäuschend, gleichsam entschuldigend erwiderte: „Nein, Weißer Jaguar, unser Tabak bekommt dir nicht, er bekommt dir wirklich nicht!”

Sicher sollte der Vorfall eine versteckte Warnung sein, und ich faßte ihn auch als solche auf. Ich durfte also meine Wachsamkeit doch nicht leichtsinnig einschlafen lassen, wie ich vorhin geträumt hatte, ich mußte die Menschen im Auge behalten.



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