Das Bündnis mit den Warraulen

Die Fahrt flußaufwärts bereitete keine Schwierigkeiten. Die Strömung der Flut trieb uns schnell landeinwärts, und da außerdem vom Ozean her eine Brise die Segel des Schoners schwellte, kamen wir gut voran. Als nach einigen Stunden die Ebbe begann und sich der Gegenstrom bemerkbar machte, warfen wir den Anker aus und warteten auf die nächste Flut, um dann unsere Fahrt fortzusetzen.

Es war phantastisch, in welch überschäumender, tobender Fülle sich der Reichtum der Natur darbot. Obwohl ich schon manche Erzählung über diese märchenhafte Schönheit gehört hatte, war ich immer wieder von neuem entzückt. Unzählige Fische von mannigfaltigsten absonderlichen Formen, die ins Riesenhafte gesteigert schienen, schossen in dem trüben Wasser umher und schnellten jeden Augenblick hoch in die Luft. Herden von Affen trieben ihr Unwesen in den Zweigen der Bäume. Ein nie verstummendes, geheimnisvolles Kreischen und Krächzen regte unsere Einbildungskraft an. Das Auge war wie geblendet, wenn hoch über uns die schönsten der Vögel, die großen Papageien, dahinflogen und die unwahrscheinliche Pracht ihres bunten Gefieders erstrahlen ließen. Es waren wunderbare Vögel; die Indianer nannten sie Arakanga und Ararauna. Und erst der Urwald, der jeden Fußbreit des Ufers bedeckte! Eine tolle, bezaubernde Wahnvorstellung in Grün, durchpulst vom Brausen der Myriaden Insekten, ein tosendes Durcheinander, so dicht und chaotisch verflochten, daß ohne Buschmesser kein Mensch auch nur einen Meter eindringen konnte.

Dieser Urwald überstieg die menschliche Vorstellungskraft!

Überall war es, dieses zischende Sausen der Myriaden von Insekten! Wenn diese ekelhaften Wesen nicht wären, wie gern würde ich dieses lockende Paradies durchstreifen, ich — der im virginischen Wald geboren wurde und aufgewachsen war, den der Wald ernährt hatte und dem er zum besten Freund wurde. So aber machten uns die Schwärme höllisch stechender Mücken und winziger Fliegen das Leben Tag und Nacht zur Qual. Mir war längst klargeworden, daß ich den spanischen Hemden und Hosen Abbitte tun mußte und sie wieder anziehen würde, wenn ich dieses Dickicht durchqueren wollte. Auch die Füße mußten geschützt werden, weshalb ich den Frauen auftrug, mir aus dem Pferdefell, das wir besaßen, Sandalen anzufertigen.

Arasybos Gebrechen bestand in nichts anderem, als daß sein linkes, gebrochenes Bein kürzer war als das rechte. Auch die spanischen Stiefel hatten diesem Übel nicht abhelfen können. Während ich mir den Kopf über mein Schuhwerk zerbrach, kam mir der Einfall, daß der Hinkende ebenfalls Sandalen tragen könnte, nur müßte an der linken eine bedeutend dickere Sohle sein. Der Gedanke war sehr einfach, zeitigte aber einen über Erwarten großen Erfolg: Arasybo hinkte nur noch unmerklich. Der Krüppel wußte nicht, wie er mir danken sollte, doch merkte ich, wie ergriffen er war, und las in seinen Augen den Entschluß, für mich, wenn es sein mußte, auch den Himmel herunterzuholen.

Außer dem Boot, das ich geschenkt bekommen hatte, begleitete uns noch ein zweites flußaufwärts, in dem sich zweiundzwanzig Warraulen befanden. Jekuana selbst weilte auf unserem Schoner, dafür waren mehrere Arawaken in mein Boot übergesiedelt. Die gute Stimmung hielt auch während der Reise an. Fröhliche Lieder wurden gesungen und alle möglichen Begebenheiten erzählt, wie es unter Freunden üblich ist.

Als wir noch eine Tagereise von Kaiiwa entfernt waren, nahm der Orinoko, der im Mündungsgebiet einer riesigen Bucht ähnlich gesehen hatte, endlich die Gestalt eines Flusses an. Zwar war er einige Meilen breit, aber eben doch ein Fluß. Spuren von Menschen hatten wir bisher nicht entdecken können, doch vernahmen wir stundenlang den dumpfen Ton der Urwaldtrommeln. Bei unserem Nahen begannen im Uferdickicht verborgene, für uns unsichtbare Menschen ihre hölzernen Trommeln zu schlagen und hörten nicht wieder auf. Das Dröhnen war sehr weit zu hören und klang freudig und unheimlich zugleich.

Jekuana strahlte und rief mir zu: „Sie heißen dich willkommen, Weißer Jaguar! Du bist ihr lieber Bruder!”

„Sind das Warraulen, die die Trommeln schlagen?”

„Ja.”

Manchmal löste sich ein kleines mit zwei, drei Ruderern bemanntes Boot vom Ufer, steuerte auf uns zu, und die Besatzung machte uns freundschaftliche Zeichen.

Bevor wir das Dorf des Oberhäuptlings Oronapi erreichten, rief ich Manauri, Arnak und Wagura zu einer Besprechung zusammen. „Waren die Arawaken und die Warraulen immer so befreundet?’ fragte ich.

„Nein”, antwortete der Häuptling kurz. „Die Warraulen lagen oft im Streit mit uns.”

„Wie erklärt ihr euch denn die so überschwengliche Freundlichkeit?”

„Sie haben sich geändert.”

„Findet ihr diese plötzliche Veränderung nicht eigenartig?’ „Nein.”

„Doch, mich wundert es!” erklärte Arnak.

„Und ich sage euch, daß daran nichts Sonderbares ist’, beruhigte uns Manauri. Seine Worte klangen sehr überzeugt, während ein rätselhaftes, geradezu geheimnisvolles Lächeln seinen Mund umspielte. „Übrigens betrifft die Freundlichkeit nicht nur uns Arawaken, sondern vor allem dich, Jan. Dich heißen sie so freudig willkommen.”

„Das verstehe ich nicht.” „Aber ich verstehe es. Vielleicht erinnerst du dich, daß Jekuana gesagt hat, der Kampf lauere auf Schritt und Tritt? Ich glaube, daß dies nicht nur ein Scherz war, sondern deinem Ruhm als siegreichem Häuptling galt.”

„Weil du ihnen alles mögliche über mich eingeredet hast, du Schwätzer!” rief ich entrüstet aus.

„Das stimmt nicht, Jan! Ich habe erzählt, aber nicht zuviel. Nur was notwendig war.”

„Auf was für einen Kampf bereiten sie sich eigentlich vor? Mit den Spaniern?”

„Nein.”

„Ja, zum Teufel, mit wem denn dann?”

„Das weiß ich noch nicht. Aber gibt es nicht genug wilde Kariben in diesem Land?”

„Und die Warraulen sind kein karibischer Stamm?”

„Nein.”

Die Aussicht, in irgendwelche unbekannten Verwicklungen hineingezogen zu werden, erschien mir nicht sehr erfreulich; doch hatte ich den Eindruck, als ob sie Wasser auf die Mühle Manauris seien. Vielleicht hoffte der Häuptling, in einer Zeit kriegerischer Unruhen seinen Einfluß auf den Stamm leichter zurückzugewinnen.

Je mehr wir uns Kaiiwa, dem Sitz Oronapis, näherten, um so wirbelnder schlugen die Trommeln. Die ganze Nacht hindurch vernahmen wir ihr Dröhnen, manchmal ertönte es von mehreren Seiten zugleich. Nach dem Trommeln zu urteilen, schien sich der ganze Urwald auf eine triumphale Begrüßung vorzubereiten.

Als wir das Dorf erreichten, mußte ich wieder in die goldverschnürte Kapitänsuniform schlüpfen, die schweren Stiefel anziehen und das Jaguarfell über den Kopf stülpen. Selbstverständlich gehörten der Degen mit dem Perlmuttgriff und die silberne Pistole zu meiner Ausrüstung. Außerdem hatte ich eine unnahbare, strenge Miene aufzusetzen, denn das sei das wichtigste, wie mir Manauri eindringlich auseinandersetzte.

In Kaiiwa gab es keine gemeinsame Plattform wie im Dorf Jekuanas. Alle Hütten standen einzeln auf Pfählen, die in die Erde gerammt waren. Im Schatten der größten Behausung, etwa zweihundert Schritt vom Ufer entfernt, erwartete uns Oronapi an der Spitze seines Gefolges. Alle hatten bunten Federschmuck angelegt und ihre Körper bemalt. Halsketten und reichgeschnitzte Keulen vervollständigten den festlichen Eindruck. Am prunkvollsten sah der Oberhäuptling aus. Nur er hatte in einem Sessel Platz genommen, neben dem mehrere andere Sitzgelegenheiten standen, was sichtlich dem herkömmlichen Zeremoniell entsprach.

Als wir das Schiff verließen, kam Oronapi nicht auf uns zu, wie es Jekuana getan hatte, sondern blieb stolz und unbeweglich sitzen und sah uns entgegen. In Begleitung von Manauri, Jekuana, Arnak, Wagura und Fujudi ging ich langsam auf ihn zu, doch machte er auch jetzt keinerlei Anstalten aufzustehen. Er hatte wohl eine sehr hohe Meinung von sich und wollte so lange sitzen bleiben, bis wir unmittelbar vor ihm standen.

Nachdem wir ungefähr die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatten, flüsterte mir Manauri zu, ich solle stehenbleiben. Kaum verhielt ich den Schritt, als Jekuana trotz seiner Fülle herbeisprang und uns mit höflichen Gebärden zum Weitergehen aufforderte. Manauri knurrte ihn an, er möge den Mund halten, und ging allein weiter. Der Dickwanst verstummte, schnaufte gekränkt und wußte nicht, was er beginnen sollte.

Als Oronapi bemerkte, daß wir stehengeblieben waren, erhob er sich, ließ den zur Schau getragenen Hochmut fallen und eilte mit Riesenschritten, die seiner Würde gar nicht entsprachen, auf uns zu. Schon von weitem gab er zu erkennen, daß er sich freue, und rief einladend: „Tretet näher, Freunde! Kommt heran und seid herzlich gegrüßt!”

Ständig freundliche Begrüßungsworte wiederholend, faßte er mich am Arm und führte uns unter das schattenspendende Dach der Hütte.

Das Eis, wenn überhaupt welches bestanden hatte, war im Nu geschmolzen. Als ich vor Oronapis Sessel stand, betrachtete ich die hölzerne Sitzgelegenheit sehr aufmerksam, als ob ich ein Wunder-werk vor mir hätte, und fragte dann mit gespieltem Ernst: „Ist er wirklich so bequem, daß es schwerfällt, sich daraus zu erheben?”

Der Oberhäuptling verstand die Anspielung, nahm sie von der heiteren Seite und bat mich, ich möge in dem Sessel Platz nehmen. „Versuche es selbst einmal, Weißer Jaguar!” rief er aus.

Kaum hatte ich mich in Oronapis Sessel niedergelassen, als auch schon Gesang ertönte und der Tanz begann. Gebratene Fische, Wild und süße Früchte wurden herumgereicht, der Ka-schiri machte die Runde (ich feuchtete mir nur die Lippen an), kurz, es begann ein Schmausen und Trinken und es herrschte eine so herzliche Stimmung, daß unsere Erwartungen weit übertroffen wurden.

Nach einiger Zeit wandte ich mich an Arnak, der neben mir saß, und flüsterte ihm zu: „Kannst du das verstehen, Arnak? Ich begreife es nicht!”

„Die Art dieser Gastfreundschaft ist ungewöhnlich, das stimmt”, antwortete er.

„Waren denn die Warraulen immer so herzlich und gastfreundlich?”

„Ich habe sie nie kennengelernt, doch behauptet Manauri, sie seien es früher nicht gewesen.”

„Dann muß das doch etwas zu bedeuten haben? Vielleicht fürchten sie einen Kampf?”

„Anders kann es kaum sein, es muß ihnen irgendein Überfall drohen.”

Er sprach diesen Satz so ruhig und bestimmt aus, daß ich lachen mußte, aber nicht nur seinetwegen, sondern weil mir der Gedanke kam, was wohl für ein Krieg drohen könne, wenn die Menschen imstande waren, so fröhlich zu sein und sich so unbeschwert zu unterhalten?

Im Gegensatz zu dem jovialen Dickwanst Jekuana war Oronapi ernster und in seinem Gehaben barscher; doch bemühte er sich, an diesem Tage so höflich wie nur möglich zu sein. Er überschüttete uns mit Wohlwollen und war bemüht, uns um jeden Preis zu gefallen. Man merkte nur zu deutlich, wie sehr ihm an uns gelegen war, und seine krampfhaften Bemühungen reizten mich manchmal zum Lachen. Da ich mich selbst in rosiger Laune befand, ein wenig Kaschiri hatte ich doch getrunken, ließ ich den Oberhäuptling ohne Umschweife fragen, welchem günstigen Umstand wir seine ungewöhnliche Gastfreundschaft und Höflichkeit zu-zuschreiben hätten.



Durch diese Frage überrascht, blickte Oronapi unsicher zu mir herüber. Bald aber bezwang er seine Verwirrung und sah gedankenvoll in den mit Kaschiri gefüllten Flaschenkürbis, den er in der Hand hielt. Schließlich gab er sich einen Ruck und goß das Getränk in weitem Bogen aus, zum Zeichen, daß er jetzt nicht trinken wolle.

„Mir liegt daran, euch zu Verbündeten zu haben”, sagte er dann mit Nachdruck und blickte mir fest in die Augen. „Mir ist sehr viel an deiner Freundschaft gelegen, Weißer Jaguar!”

„Das habe ich vermutet’, antwortete ich leichthin, ohne auf seinen feierlichen Ton einzugehen. „Aber warum ist dir soviel daran gelegen?”

„Du willst wissen, warum? Weil du zu kämpfen verstehst! Weil ihr gute Krieger seid!

„Ist die Situation wirklich so ernst?’

„Ja, sie ist sogar sehr ernst.”

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann sprach der Häuptling: „Hör zu, Weißer Jaguar, was ich dir nun erzähle!”

Oronapi machte den Vorschlag, der weniger an mich als an Manauri gerichtet war, daß wir nicht weiterfahren und uns in der Nähe seines Dorfes niederlassen sollten, wo auf erhöhtem Ufer starker Wald wachse und viel fruchtbare Erde vorhanden sei, um Felder anzulegen. Er verpflichtete sich, jede Hilfe zu gewähren, damit wir uns gut einrichten könnten; außerdem habe er beschlossen, da wir nur wenige Frauen bei uns hätten, die gesündesten Mädchen des Stammes den ledigen Männern auf unserem Schiff als Frauen und Gefährtinnen zuzuteilen.

Einigen Arawaken kamen diese Worte sehr gelegen, denn der Kaschiri hatte ihre Gemüter bereits in Wallung gebracht, und die sich in der Nähe tummelnden Warraulenmädchen boten keinen häßlichen Anblick; doch Manauri dankte in höflicher Form für die Freigebigkeit des Oberhäuptlings und erklärte, daß er die Einladung nicht annehmen könne, da er verpflichtet sei, sich bei seinem Stamm zu melden.

„Doch werde ich mich stets deiner Worte erinnern”, schloß er seine Rede. „Solltest du, Häuptling Oronapi, uns in Zukunft jemals um unsere Dienste ersuchen, so werden wir sie dir nie versagen, wenn es sich um die Abwehr eines Feindes handelt. Dies erkläre ich vor einem so würdigen Zeugen, wie es der Weiße Jaguar ist. Andererseits rechnen auch wir damit, wenn wir in Bedrängnis geraten, bei dir Hilfe zu finden.”

„Zu dieser Hilfe sind wir immer bereit!” beeilte sich Oronapi zu versichern.

Da ich genug Andeutungen und feierliche Versicherungen gehört hatte, forderte ich den Häuptling auf, er solle mir offen sagen, was eigentlich los sei, was er erwarte; denn ich sei gewöhnt, stets und in allen Dingen Gewißheit zu haben.

„Du hast recht, ihr sollt wissen, was uns hier bedroht”, erwiderte Oronapi.

Während der Gesang anschwoll und die Tänze unter dem Wirbeln der Trommeln immer wilder wurden, rückten Jekuana, Ma-nauri, Arnak, Wagura und ich zusammen, um besser zu hören, was der Oberhäuptling zu berichten hatte. Fujudi übersetzte dessen Worte ins Arawakische.

Weiter nach Westen zu lagen am Orinoko die Niederlassungen der Spanier, die sich aber ruhig verhielten. Im Süden dagegen, in der Nähe des Meeres, an den Flüssen Essequibo, Demerara, Ber-bice und Cajena saßen Holländer, Engländer und Franzosen. Sie waren als Händler gekommen, um ihre Waren gegen die Produkte

der Indianer einzutauschen, und solange sie sich nur mit dem Handel befaßt hatten, war alles gut gegangen.

Am zahlreichsten waren die Holländer, und sie waren auch die ersten, die neben den Faktoreien Plantagen angelegt hatten, in denen sie verschiedene wertvolle Pflanzen anbauten. Für die Arbeit auf den Plantagen benötigten sie die Arbeitskraft der Eingeborenen, die aber wenig Lust zeigten, für die weißen Herren zu schuften. Da sich die Plantagen vermehrten wie die gefräßigen Sipari-Fische im Fluß, begannen sich die Holländer umzusehen, wie sie ihren Bedürfnissen gerecht werden könnten.

Dort im Süden lebten verschiedene Indianerstämme: an der Küste die Arawaken, im Innern des Urwaldes die ihnen verwandten Wipisanas, die Atorais und die Tarumas, ein Nebenzweig der Wipisanas. Außer diesen friedliebenden Stämmen, die in der Hauptsache vom Ackerbau lebten, gab es dort auch karibische Stämme, die mit Vorliebe Streit suchten und auf Raub ausgingen. Besonders gefährlich für ihre Nachbarn waren die Akawois und die Karibisen, die beide in der Nähe der Küste ihr Unwesen trieben, während die Makuschis und die Arekunas, auch Taulipangen genannt, weiter im Innern des Landes hausten, zum Teil im Urwald, zum Teil bereits in den Llanos.

Das Verhalten der Holländer gegenüber den Indianern war sehr unterschiedlich gewesen; zeitweise hatten sie sich gut mit ihnen vertragen, dann wieder waren sie in Kämpfe mit ihnen verwickelt. Als aber der Mangel an Sklaven auf den Plantagen immer spürbarer geworden war, hatten sie sich mit den kriegerischsten karibischen Stämmen verständigt und sie in einem Abkommen verpflichtet, ihnen Gefangene, also Sklaven, zuzubringen. Die wilden Horden wurden von den Holländern mit Waffen versehen und unternahmen verwegene Überfälle auf die benachbarten Stämme. Die Akawois gingen im Westen und im Norden auf Sklavenjagd, wobei sie bis an den Orinoko kamen; im Westen und im Süden drangen die Karibisen bis an den Rupununi und an den Oberlauf des Essequibo vor. Manche Gebiete hatten sie bereits in unbewohnte Wildnis verwandelt. Überall, wo sie auftauchten, säten sie Schrecken und hinterließen Blut und Tränen; alle, die lebend in ihre Hände gerieten, schleppten sie als Sklaven auf die Plantagen der Holländer.

„Und wie lange wüten sie bereits so?” fragte ich.

„Schon viele, viele Jahre. Aber in der letzten Zeit ist es besonders schlimm.”

„Setzen sich die Überfallenen nicht zur Wehr? Lassen sie sich abführen wie verängstigte Hirschkälber? Haben sie keine Keulen, Speere und Pfeile?”

„Die haben sie, doch sind die anderen geübter im Kriegführen, schneller und gewandter im Blutvergießen; denn die überfallenen Stämme befassen sich mit Ackerbau und Fischfang, so wie wir, und sind nicht so grausam. Die Akawois verstehen es besser, die Waffen zu gebrauchen, zumal sie von den Holländern Feuerwaffen erhalten haben. Wer sollte ihnen da gewachsen sein?”

„Und ihr habt nicht mit ihnen gekämpft?”

„Wir haben gekämpft, aber sie waren stärker. Es ist ärgerlich, das zugeben zu müssen, doch war es so. Ein Teil unserer Krieger wurde getötet, die übrigen wurden in die Sklaverei verschleppt. Jetzt kann uns nur noch die Flucht retten.”

„So schlimm ist es? Dann sind also die Feinde bedeutend zahlreicher als ihr?”

Oronapi versicherte, daß sie bestimmt zahlreicher seien, doch Jekuana und Fujudi widersprachen und erklärten, daß die Aka-wois ihre Raubzüge meistenteils in kleinen Gruppen durchführten, die kaum zwanzig Krieger zählten. Entscheidend seien ihre katzenartige Gewandtheit und unermeßliche Blutgier, denen man nichts entgegenzusetzen habe.

„Wurden die Arawaken am Itamaka auch schon überfallen?’ wollte Manauri wissen.

„Bisher noch nicht’, antwortete Fujudi, „doch sind in der letzten Trockenzeit einige unserer Jäger auf geheimnisvolle Weise verschwunden, als sie in den Itamakabergen auf der Jagd waren.

Später erfuhren wir, daß sich zu dieser Zeit eine Bande Akawois in der Nähe aufgehalten hatte.”

„Die Trockenzeit hat bereits begonnen”, ergriff Oronapi wieder das Wort. „Von Tag zu Tag regnet es weniger, der Wasserspiegel der Flüsse sinkt. Das ist die geeignete Zeit für Raubzüge. Wir haben Nachrichten erhalten, daß sich die Akawois am Cuyuni auf einen Raubzug in unser Gebiet vorbereiten.”

„Vielleicht sind sie bereits unterwegs?”

„Auch das ist möglich.”

Kaum hundert Schritt hinter den letzten Hütten begann der dichte Urwald. Die Felder der Bewohner Kaiiwas lagen also irgendwo anders. Wie leicht konnte sich der Feind unter solchen Bedingungen im Dickicht anschleichen und das Dorf überraschend angreifen.

„Hast du Späher ausgesandt, Oronapi?” fragte ich.

„Was meinst du?” erwiderte er verwundert.

Der Oberhäuptling hatte keine Ahnung davon, daß in unruhigen Zeiten Kundschafter ausgeschickt werden, und als ich es ihm endlich klargemacht hatte, schüttelte er den Kopf, zuckte die Achseln und sagte: „Nein!”

„Es ist aber notwendig, daß du Posten aufstellst”, riet ich ihm. „Meinst du?” brummte er und war immer noch nicht überzeugt.

Es wurde fröhlich weitergeschmaust, aber Sicherungsmaßnahmen wurden nicht getroffen.

Als ich die Berichte über die Akawois hörte, kamen mir die kriegerischen Irokesen Nordamerikas in den Sinn. Die Akawois konnte man nach all dem, was ich gehört hatte, wohl als die Irokesen des Südens bezeichnen. Am meisten mußte ich mich über den unbegreiflichen Leichtsinn unserer Gastgeber wundern, die durch ihre Unachtsamkeit das Schicksal geradezu herausforderten.

An diesem Tag wurde zwischen Oronapi, Manauri und mir ein Bündnis geschlossen. Wir gaben gegenseitig die feierliche Versicherung ab, daß wir uns in jeder Gefahr beistehen wollten. Zur

Besiegelung des Bündnisses schenkte uns Oronapi zwei Boote, ein großes, eine Itauba, so genannt nach dem Baum, aus dessen Stamm es ausgebrannt wird, und ein Jabota, ein kleines Boot aus Baumrinde, damit wir schneller zu Hilfe eilen könnten, wenn es notwendig sei. Ich überreichte dem Oberhäuptling einen noch reicher verzierten spanischen Degen, als ihn Jekuana erhalten hatte. Außerdem überließen wir ihm eines der spanischen Boote.

Die Nacht verbrachten wir in Kaiiwa, doch ordnete ich vorsichtshalber an, daß alle Gefährten auf dem Schoner schlafen mußten und Wachen ausgestellt wurden. Unser Schiff war uns schon längst zum treuen Freund geworden: es war unsere kleine Festung, unser zuverlässiger Beschützer.

Als ich in der Nacht aufwachte, kontrollierte ich die Wache. Leider mußte ich feststellen, daß der Indianer, der unseren Schlaf bewachen sollte, selbst schlief. Genausofest schliefen alle Einwohner von Kaiiwa, nur die Hunde ließen ab und zu ein kurzes Bellen hören, und der Urwald veranstaltete wie üblich seinen nächtlichen Spektakel.

Sobald am Morgen die Flut einsetzte und das Wasser des Flusses zu steigen begann, setzten wir unsere Fahrt fort. Die Warraulen winkten uns vom Ufer aus herzlichen Abschied zu.



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