Der Puma und die Affen

Nach fünfzig, sechzig Ruderschlägen waren wir bereits eine halbe Meile von der Stätte des Kampfes entfernt. Wenn wir zurückblickten, konnten wir die Warraulen sehen, die sich in der Mitte des Flusses vereinigt hatten, aber nicht mehr ruderten. Es schien, als hielten sie eine Beratung ab. Plötzlich kam Bewegung in sie, verschiedene Ruderer stiegen aus einer Itauba in die andere, gleich darauf setzten drei Boote die Fahrt zum jenseitigen Ufer fort, während das vierte hinter uns herkam. An dem schnellen Eintauchen der Ruderblätter, auf denen sich die Sonne spiegelte, erkannten wir, daß ihnen daran gelegen war, uns möglichst bald einzuholen.

„Was sie wohl von uns wollen?” knurrte Fujudi mit verächtlicher Stimme. „Möchten sie sich etwa doch noch bei uns bedanken? Oder wollen sie uns um Entschuldigung bitten?”

„Vielleicht bist du nicht weit von der Wahrheit entfernt”, antwortete ich. „Wir müssen es ihnen erleichtern. Fahren wir doch langsamer.”

„0 nein, das tun wir nicht! Sollen sie sich nur ein wenig anstrengen und zeigen, was sie können.”

Wir fuhren also weiter, als ginge es um die Wette.

Der Urwald veränderte merkbar sein Gesicht. Immer seltener war das Ufer trocken, immer öfter bestand es meilenweit nur aus Morast. Die ganze Gegend verwandelte sich allmählich in einen Sumpf, der nur hier und dort von trockenen Werdern unterbrochen wurde. So weit das Auge reichte, erhob sich der Urwald unmittelbar aus dem Wasser, und trotzdem war er nicht weniger dicht, nicht weniger üppig. Je mehr wir uns dem Meer näherten, um so häufiger wurden die von Pedro als Mangroven bezeichneten eigenartigen Bäume. Ihre Wurzeln erhoben sich hoch über den breiigen Schlamm und vereinigten sich erst in der Luft zum Stamm, was den unheimlichen Eindruck hervorrief, als bewegten sie sich auf langen Stelzen. Wenn wir von Zeit zu Zeit, um den Weg abzukürzen, dicht am Ufer entlangfuhren, dann mochten wir glauben, die in grotesken Windungen und Verrenkungen empor-strebenden Wurzeln seien Wesen aus einer anderen Welt. Und in der Tat entstammten sie nicht der Erde, sondern waren Ausgeburten der riesigen Sümpfe. Der Mensch, der mit seinem Blick in die unergründliche Tiefe dieses Gewirrs gespenstischer und wunderlicher Erscheinungen einzudringen versuchte, schauderte unwillkürlich und blickte sich um, ob nicht plötzlich irgendwo ein gräßliches Ungetüm seine dämonischen Fühler ausstrecke. In der Nähe dieser Mangrovenwälder lebten Apias, die von den Spaniern auch Wasserkühe genannt wurden, doch gefährliche Bestien bekamen wir nicht zu Gesicht.

Abhängig von Ebbe und Flut des immer noch weit entfernt liegenden Meeres, stieg und fiel das Wasser und legte überall trügerisches Bruchmoor frei, in dem der Mensch, der sein Boot verlassen wollte, sofort bis an die Brust versinken würde. In dem klebrigen Schlamm wäre er ohne fremde Hilfe dem sicheren Tod preisgegeben. Sollten die Akawois ans Ufer flüchten, so würden sie nicht weit kommen.

Zwei Stunden lang legten wir etliche Meilen zurück, dann begann die schnelle Strömung nachzulassen. Während der ganzen Zeit fuhren die Warraulen hartnäckig hinter uns her und waren uns bis auf etwa eine Dreiviertelmeile nahe gekommen. Wir waren neugierig, was sie veranlaßte, uns so bald wie möglich einzuholen, trotzdem aber mäßigten wir keinen Augenblick unser Tempo.

Jede halbe Stunde lösten wir uns am Steuer ab, und als Pedro an der Reihe war, hielt er mit der einen Hand das Ruder, mit der andern breitete er die Karte, die er immer bei sich hatte, vor sich aus. Soweit ihm die Steuerführung dazu Zeit ließ, vertiefte er sich in sie. Schließlich rief er mir zu, daß er mir etwas auf der Karte zeigen möchte.

„Ist es etwas Ernstes?” Ich wollte meinen Ruderplatz nicht gern verlassen.

„Ich glaube, daß es einen Blick wert ist, Jan”, antwortete er mit der bei ihm üblichen gedämpften Stimme.

„Vielleicht später, bei der Rast?”

„0 nein!” widersetzte sich Pedro liebenswürdig, aber lebhaft. „Das mußt du dir ansehen!”

Ich legte das Ruder beiseite und setzte mich stirnrunzelnd zu ihm, etwas mürrisch, weil er mich zwang, meine Ruderarbeit zu unterbrechen.

„Zwei, drei Meilen von hier”, begann er zu erklären und deutete auf die Karte, „wendet sich der Hauptarm des Flusses, auf dem wir fahren, scharf nach Norden. Später beschreibt er einen Bogen und fließt dann in südlicher Richtung, um nach einer bestimmten Zeit wieder seinen östlichen Lauf fortzusetzen. An dieser Stelle aber liegt Kaiiwa. Stell dir vor, Jan, wenn wir den Bogen vermeiden und diesem Arm folgen könnten, der genau die Sehne des Bogens bildet, um wieviel würden wir den Weg abkürzen, was meinst du?”

Die Entdeckung Pedros, dieses Prachtjungen, war in der Tat wichtig. Ein ausgezeichneter Gedanke! Existierte aber dieser Seitenarm, der den Bogen durchschnitt, auch wirklich?

„Ich habe meine Karte mit der des Herrn Powell verglichen”, versicherte Pedro.

Es erhoben sich noch andere Zweifel. Die Gegend war von einer Unzahl größerer und kleinerer Wasserläufe durchzogen, es gab mannigfaltige Gräben und Rinnen, so daß man sich in diesem Gewirr von Wasserwegen leicht verirren konnte, besonders während der Nacht! Die vor uns fahrenden Akawois waren fremd hier und würden auf keinen Fall den Hauptarm des Flusses verlassen, der auch für uns der sicherste Weg war.

Ich ließ die Boote dicht aneinanderrücken und teilte, ohne daß wir die Fahrt verlangsamten, den Gefährten mit, welche Entdeckung Pedro gemacht hatte. Als ich meinen Blick zufällig nach hinten wandte und die Warraulen sah, die immer noch hinter uns herjagten, schlug ich mir plötzlich an die Stirn.

„Natürlich, die Warraulen!” rief ich aus. „Es ist doch ihr Gebiet, ihr Fluß!”

Alle hatten mich verstanden. Wir zogen die Ruder ein, und nach einigen Minuten hatten uns die Warraulen erreicht. Ich ließ ihnen sagen, sie möchten so nahe herankommen, daß mein und ihr Boot Bord an Bord lägen. Ich zählte achtzehn Männer, meist noch jung an Jahren, und soweit ich bereits in den Gesichtern der OrinokoIndianer zu lesen verstand, waren es keineswegs Feiglinge, sondern mutige Burschen, die uns beweisen wollten, daß unser höhnisches Gespött ungerechtfertigt gewesen war. Ihre Mienen waren verlegen, sie wußten nicht, wie wir sie aufnehmen würden. Wir sahen, daß sie sich die Waffen der getöteten Akawois angeeignet hatten.

Als sie bei unserem Boot anlangten, sprach der Steuermann, der sichtlich der älteste von ihnen war, mit rechtfertigender Stimme: „Ihr dürft euch nicht über uns wundern! Wir waren wie betäubt, wir hatten den Kopf verloren...”

Ich winkte ab und unterbrach seine Worte in freundschaftlichem Ton: „Hör auf, davon zu sprechen. Das ist unwichtig. Wollt ihr mit uns nach Kaiiwa fahren?”

„Ja, das wollen wir.”

„Habt ihr alle Waffen?”

„Jawohl.”

„Und was habt ihr mit den Feuerwaffen gemacht?”

„Sie sind hier. Wir können damit nicht umgehen.”

„Dann reicht sie uns herüber!”

„Hier, nehmt.”

Es waren fünf Büchsen, die sich in einem fürchterlichen Zustand befanden, außerdem einige Bambusrohre sowie Pulver und Blei. Als ich die Büchsen genauer betrachtete, fand ich auf dem eisernen Beschlag des Schaftes ihr Herkunftszeichen. Neben dem durch Rost unleserlich gewordenen Namen des Ortes konnte ich das Wort „Nederland” entziffern.

„Wie heißt du, Freund?” fragte ich den Steuermann.

„Kuranaj.”

„Bist du Häuptling?”

„Ich bin jetzt der Führer dieser Männer”, antwortete er ausweichend.

„Von jetzt ab wirst du mir gehorchen und ohne meinen Befehl nichts unternehmen! Kennt ihr den Fluß und seine Nebenarme gut?”

„Wir kennen ihn, Herr.”

„Dann weißt du auch, daß der Orinoko einen Bogen nach Norden macht?”

„Natürlich, Herr, ganz genau weiß ich das. Deshalb haben wir uns ja so beeilt. Wir kennen einen kürzeren Weg, er heißt Guapo ...” „Der den Bogen abschneidet?”

„Ja, und er ist besser, denn auf dem Guapo ist die Strömung vom Meer nicht so stark wie auf dem Hauptstrom.”

„Während der Flut?”

„Ja, Herr.”

„Du kommst uns wie gerufen, Kuranaj. Vorwärts, führe uns über den Guapo!”

Zwei Stunden vor Sonnenuntergang begegneten wir einer Jabota mit zwei arawakischen Spähern. Wir erfuhren, daß die Akawois einen Vorsprung von gut zehn Meilen hatten und in großer Eile den Hauptstrom hinunterführen.

Ein wenig später öffnete sich auf der rechten Seite der Urwald, und wir sahen, daß sich der Fluß gabelte. Der rechte Teil bildete zunächst eine Art Bucht, die sich in der Ferne zu einem mäßig breiten Fluß verengte. Dieser Fluß wurde von den Warraulen Guapo genannt. Hier mußten wir einbiegen. Da die Strömung im Hauptarm fast aufgehört hatte und die Warraulen versicherten, daß wir Kaiiwa noch vor dem Morgengrauen erreichen würden, wenn wir die Fahrt vier, fünf Stunden später fortsetzten, so wurde beschlossen, an dieser Stelle eine kurze Rast zu halten. Das etwas höher gelegene Ufer schob sich hier mit einem sandigen Keil zwischen den Fluß und dessen Seitenarm. Dieser Zipfel schien uns der geeignete Lagerplatz zu sein. Bald darauf prasselten fröhlich die Feuer, und in der Luft lag der angenehme Geruch frisch gebratenen Fleisches.

Der Wald mit seinem üppigen Grün reichte bis auf zwanzig Schritt an unseren Lagerplatz heran, nahm uns aber nicht die Aussicht auf das Ufer des mächtigen Stromes. Im wärmenden Licht der bereits sinkenden Sonne tummelten sich ganze Schwärme von Tagesinsekten, über unseren Köpfen gaukelten gelbe und himmelblaue Schmetterlinge, und aus dem Dickicht er-tönten der abendliche Gesang und das Kreischen der Vogelwelt.

Noch hatten wir uns nicht gesättigt, als in den Baumkronen am Rande des Urwalds eine ungewöhnliche Bewegung entstand und ein schneidendes Kreischen und Pfeifen zu hören war. Ohne Zweifel bedeutete es Angst. Der Lärm kam immer näher. Dort mußte etwas Besonderes vor sich gehen.

„Akalima!” riefen die Schmausenden an den Feuern, als sie die Tiere an der Stimme erkannt hatten. Sie sprangen auf, griffen zur Waffe und eilten dem Dickicht zu.

„Affen, eine Affenherde”, erklärte mir Lasana.

„Der Akalima hat gutes Fleisch.” Arasybo schnalzte mit der Zunge, rührte sich aber nicht von der Stelle.

Lasana ergriff gleich den andern ihren Bogen und wollte zum Wald eilen. Ich hielt sie am Arm fest.

„Du bist mir zu teuer, meine Palme, als daß ich dich allein in den Wald lassen würde, noch dazu ohne Waffe!”

„Laß mich los, ich habe Pfeil und Bogen bei mir! Ich bin nicht allein, viele sind bereits hingelaufen. Siehst du es nicht?” „Ja, sie sind hingelaufen, aber alle ohne Feuerwaffe.”

„Die brauchen sie nicht. Affen kann man auch mit Bogen schießen.”

„Glaubst du etwa, Lasana, die Affen kreischen nur zum Spaß? Hörst du denn nichts?”

„Ja, sie werden von irgend jemand gejagt. Nun laß mich aber los!”

Trotzig funkelten ihre Augen. Wie immer sah sie in ihrer mädchenhaften Empörung bezaubernd aus.

„Und wenn dieser Jemand ein Jaguar ist?” Ich blickte sie freundlich an. 3

Sie gab sofort nach, aber nicht aus Furcht vor dem Raubtier. Eine Welle der Freude huschte über ihr Gesicht.

„Soviel ist dir an mir gelegen?” fragte sie leise.

„Ja, Lasana.”

Ich ließ sie los, sie lief aber nicht weg. Meine silberne Pistole steckte noch im Gürtel. Ich ergriff die Büchse, und dann eilten wir den andern nach, die bereits im Busch verschwunden waren.

Wir hatten etwa zweihundert Schritt zurückgelegt, als wir die Affen auch schon zu Gesicht bekamen. Es waren mittelgroße, schmächtige Tiere mit großen Köpfen und wolligem, dichtem Fell. Der Bauch war weiß, der Rücken dagegen dunkelrot bis schwarz gefärbt. Sie blickten verängstigt umher und stießen klagende Schreie aus. Mit außerordentlicher Gewandtheit schwangen sie sich von Ast zu Ast — sie flohen vor einer unbekannten Gefahr. Wir zählten fünfzehn bis zwanzig Affen, die aber längst nicht die ganze Horde ausmachten. Bald kamen die nächsten. Viele Mütter trugen Junge auf dem Rücken, die sich krampfhaft festklammerten. Alle waren außer sich vor Angst und lamentierten aus Leibeskräften. Einige Affen hielten sich gleich kleinen Menschen mit beiden Händen den Kopf; ihr ganzes Gehaben drückte Verzweiflung aus. Andere, wahrscheinlich waren es Männchen, knurrten wütend, verhielten von Zeit zu Zeit, drohten mit der geballten Faust nach hinten und bleckten die Zähne. Doch konnten auch sie das Entsetzen nicht überwinden, von dem die ganze Horde befallen war, und flüchteten weiter.

Der Urwald gab dem menschlichen Auge eine der vielen Tragödien preis, die sich so oft in seinen düsteren Gründen abspielen. Wer aber war der Urheber des Entsetzens, wo steckte der Feind, der solchen Schrecken verbreitete? Die Wildnis verbarg ihn unseren Blicken.

Unterdessen hatten die Pfeile unserer Jäger bereits mehrere Tiere von den Bäumen heruntergeholt. Die Affen entdeckten bald den neuen Feind und gerieten nun völlig außer Rand und Band. Stumm vor wahnsinniger Angst, stoben sie in alle Richtungen auseinander.

Plötzlich wurde in einiger Entfernung vor uns im Blattwerk für einen Augenblick das fahlgelbe Fell eines Raubtieres sichtbar, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Der Räuber war den letzten Affen der Horde auf den Fersen. Er mußte gerade ein Tier gerissen haben, denn in der Luft zitterte ein Schrei, der einem das Blut in den Adern erstarren ließ. Dann hörten wir nur noch ein Röcheln, das immer schwächer wurde. So schnell es unsere Kräfte ermöglichten, drangen wir durch das dichte Unterholz vor. „Das ist ein Puma!” flüsterte mir Pedro, den wir eingeholt hatten, zu.

Bald erkannten wir, daß schon andere Jäger am Schauplatz eingetroffen waren und mit ihren Geschossen den Räuber zum Rückzug zwangen. Der Puma kam nicht auf die Erde herunter, er bewegte sich genauso gewandt in den Bäumen wie die Affen. Plötzlich konnten wir ihn sehen. Als ich die große gelbe Katze über uns gewahrte, war mein erster Gedanke Bewunderung. Es schien mir geradezu erstaunlich, daß ein so schweres Tier — es war nicht viel kleiner als ein Jaguar — derart elastisch und schnell dahinglitt. Mit gewaltigen Sprüngen und mit der unwahrscheinlichen Leichtigkeit einer schwebenden Ballettänzerin suchte es sich seinen Weg.

Ich spannte den Hahn der Büchse. Uns drohte jedoch keine Gefahr, denn der Puma zeigte nicht die geringste Lust, uns anzugreifen. In seinem Rücken steckten zwei Pfeile. Obwohl sie nicht tödlich waren, ließen sie ihm doch die Gefahr bewußt werden, die ihm von den zweibeinigen Gegnern drohte.

Ich wollte nicht schießen, um nicht unnötigen Lärm zu verursachen. Lasana aber, die neben mir stand, schoß einen Pfeil ab. Sie traf den Räuber. Da er gerade schnell einen Ast entlanglief, bohrte sich ihm das Geschoß in den Bauch. Die Katze ließ nur ein zorniges Knurren hören. Vielleicht siebzig Schritt weiter stand ein hoher, alter Baum mit weitausladender Krone. Der Puma klomm den Stamm empor und verkroch sich in das dichte Blättergewirr des Wipfels. Er hoffte vergeblich, daß ihn die Verfolger dort nicht finden würden.

Ohne sich lange zu besinnen, erstiegen mehrere Jäger die umliegenden Bäume und überschütteten von hier aus das Raubtier mit einem Hagel von Pfeilen. Trotz aller Katzenzähigkeit brachte der Puma nicht mehr die Kraft zur weiteren Flucht auf. Sein Körper war mit Pfeilen gespickt. Allmählich wurde er schwächer und stürzte schließlich auf den Waldboden herunter, wo er kurz darauf unter Keulenschlägen sein räuberisches Leben aushauchte.

Der Tod des Pumas erfüllte die Indianer mit wilder Freude. Siegestrunken hüpften und tanzten sie wie übermütige Kinder, schwatzten ungereimtes Zeug und überhäuften das verendete Tier mit Verwünschungen. Arasybo kam herbei und beteiligte sich an dem eigenartigen Tanz. Bald darauf ließ er aber die allgemeine Beschwörung abbrechen und das erlegte Tier zum Lagerplatz schaffen.

„Du darfst dich nicht wundern”, erklärte er mir, „daß die Krieger so ausgelassen sind. Sie wissen jetzt genau, daß wir die Akawois besiegen werden.”

„Der Puma hat ihnen diese Gewißheit gegeben?” fragte ich. „Natürlich! Dieses Raubtier, der Uosabia, ist unser Feind, und wir haben ihn zur Strecke gebracht. Der Feind liegt am Boden. Wir werden ihn jetzt aufessen.”

Abgesehen von der magischen Kraft, die von dem erlegten Puma ausging, brachte er uns auch einen spürbaren irdischen Genuß. Die Indianer lobten das Fleisch des Pumas als einen besonderen Leckerbissen, und ich konnte mich bald darauf selbst überzeugen, daß diese Behauptung kein leeres Gerede war.

Die Jäger hatten acht Affen erlegt, darunter leider auch drei Weibchen, an deren Fell sich ängstlich je ein Junges festkrallte. Die jungen Äffchen waren beim Fall nicht verletzt worden, und die Männer wollten sie nun töten, um sie zu verzehren wie die Mütter. Lasana hinderte sie aber daran. Vom Mitleid übermannt, entriß sie die Tiere den groben Händen der Krieger und trug sie ins Boot.

Bald darauf verzehrten wir unser reichliches und schmackhaftes Abendessen. Obgleich es noch hell war, ordnete ich allgemeine Ruhe an, doch waren wir alle so angeregt, daß keiner Lust zum Schlafen verspürte. Am morgigen Tag, vielleicht sogar noch in dieser Nacht, erwartete uns eine schwere Auseinandersetzung mit einem unerbittlichen Feind, und doch waren die Krieger guter Stimmung und von kämpferischem Geist erfüllt. Die geheimen Mächte, davon hatten sich die Indianer überzeugt, waren uns günstig gesinnt. Das verlieh unseren Männern außerordentlichen Mut. Sie brannten darauf, zu kämpfen und zu siegen.

Die Versicherungen der Warraulen, daß wir viel Zeit hätten und vier, fünf Stunden rasten könnten, vermochten mich nicht recht überzeugen. Über den Guapo waren es, grob gerechnet, immer noch dreißig Meilen bis Kaiiwa. Sollte sich uns unterwegs ein unvorhergesehenes Hindernis in den Weg stellen, so könnten wir einige Stunden verlieren und unsere Hilfe käme sicher zu spät. Die Akawois, die den Hauptarm des Orinoko hinunterfuhren, hatten zwar den längeren Weg und mußten mehrere Stunden gegen die starke Flut ankämpfen, doch wenn sie sich entschlossen, keine Ruhepause einzulegen, so konnten sie Kaiiwa mit Sicherheit noch vor Tagesanbruch erreichen.

Während ich am Feuer saß und mir diese Überlegungen durch den Kopf gehen ließ, kamen mir immer stärkere Zweifel. Mit blutigrotem Schein verschwand die Sonne hinter dem Horizont, dunkle Schatten breiteten sich über den Urwald und senkten sich auf das Wasser hernieder. Gleichzeitig legte sich eine eigenartige Melancholie auf meine Seele. Die Tatenlosigkeit wurde mir schließlich so unerträglich, daß ich den in der Nähe ruhenden Freunden meine Bedenken mitteilte. Außerdem ließ ich den Warraulen Kuranaj herbeirufen.

„Wann müssen wir nach deiner Meinung aufbrechen?” fragte ich ihn.

„Wie soll ich das wissen? Vielleicht in zwei, drei Stunden. Dann geht der Mond auf, und wir haben gute Sicht.”

„Der Himmel ist klar. Kann man nicht auch beim Schein der Sterne rudern?”

„Natürlich kann man das, doch ist es nicht notwendig, denn wir haben genug Zeit, und bei Mondlicht fährt es sich besser.” „Und wenn uns etwas aufhält?”

„Was sollte uns aufhalten?” Sein Gesicht drückte Verwunderung und Mißtrauen aus.

„Zum Beispiel ein Baum, der auf dem Fluß treibt. Du selbst hast uns gesagt, daß der Guapo stellenweise recht schmal ist. Mehrere Bäume könnten eine Barriere bilden und uns zwingen, die Boote um das Hindernis herumzutragen, wodurch wir Zeit verlieren würden. Was meinst du?”

Kuranaj wurde verlegen und kratzte sich den Kopf. Schließlich murmelte er: „Daran habe ich nicht gedacht.”

Arnak erhob sich und rief aus: „Brechen wir auf, Jan! Wir haben uns satt gegessen und neue Kräfte gesammelt. Genug gefaulenzt!”

Bereits zehn Minuten später fuhren unsere Boote in einer Reihe hinter der Itauba der Warraulen her. Wir durchquerten die Bucht und erreichten den eigentlichen Guapo. Die dichten Wände des Urwalds rückten bis auf hundert Schritt zusammen, und es wurde Nacht. Völlige Finsternis herrschte aber nicht, denn unzählige Sterne blinkten am Himmel und spiegelten sich im Fluß. Der Wind ließ allmählich nach, und aus dem warmen Wasser stiegen kräuselnde Dämpfe empor, die sich schnell verdichteten. Bald darauf umgab uns wallender Nebel, der nur auf Steinwurfweite die Sicht freigab. Wir waren gezwungen, langsamer zu fahren, doch trösteten wir uns damit, daß auch die Akawois nur mühsam vorwärts kämen.

„Und wenn auf dem Hauptstrom kein Nebel ist?” brummte der Neger Miguel.

Es war eine wahnwitzige Fahrt, ein quälendes Rennen. Wenige Meilen weiter strebte der Feind dem gleichen Ziel entgegen wie wir. Dieser peinigende Gedanke verließ uns keinen Augenblick. Mit ständig wachsender Ungeduld trieben wir die Boote voran. Wir waren uns bewußt, daß jede Verzögerung den sicheren Unter-gang unserer Freunde zur Folge haben und vielleicht auch unser Schicksal besiegeln konnte. Jeden schwimmenden Baumstamm, der unseren Weg kreuzte, empfanden wir als Drohung nahenden Unglücks, jedes Hindernis wurde uns zum Feind. Die Warraulen erwiesen sich als gute Führer, und doch war es nicht immer möglich, allen Hemmnissen glatt auszuweichen.

Der Mond ging auf, und wir kamen schneller voran, wenn auch der Nebel immer noch über dem Fluß hing. Die Stunden verrannen in drückendem Schweigen; nur das rhythmische Klatschen der Ruder klang wie das monotone, bedeutungsvolle Ticken einer großen Uhr. Nicht Menschen schienen sich durch den nebligen Dunst vorwärts zu schieben, sondern dämonische Wesen, Gespenster des Urwalds. Die verbissene Wut in unseren Herzen war so groß, daß wir weder Anstrengung noch Ermüdung empfanden.

Als der Nebel gegen Morgen zu weichen begann und ein fahler Schein den baldigen Anbruch des Tags verkündete, passierten wir die Hütte eines Fischers. Nun war es nicht mehr weit bis Kaiiwa. Das Dorf lag zwei Meilen flußabwärts, hinter einer Krümmung verborgen, an der Stelle, wo sich der Guapo wieder mit dem Orinoko vereinigte. Der Sitz Oronapis war auf einer Insel errichtet worden, die vom Hauptarm, vom Guapo und dessen Verästelungen umschlossen wurde.

Der Fischer stand am Ufer und bereitete sein Boot zur Ausfahrt vor. Auf unsere Frage erklärte er, daß sich in der Siedlung nichts ereignet habe. Er zeigte sich verwundert über unsere Unruhe. „Dem Himmel sei Dank’, seufzte Pedro erleichtert. „Wir sind zur rechten Zeit gekommen.”



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