Die rote Pest

Die Hälfte der Nacht verlief ohne Störung, dann aber riß uns das Krachen mehrerer Schüsse, die in kurzen, unregelmäßigen Abständen auf dem Dorfplatz in Serima abgegeben wurden, aus dem Schlaf. Dort mußte ein Kampf ausgebrochen sein. Wir ergriffen die Waffen, stürzten aus den Hütten und rannten, so schnell uns die Beine trugen, auf den Schauplatz des Geschehens zu.

Schon von weitem erkannten wir, daß auf dem Lagerplatz der Spanier alles in Bewegung war. Einige schnell entfachte Feuer erhellten das Flußufer, in ihrem flackernden Schein wimmelten die Menschen wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen durcheinander. Etwa hundert Schritt vom Lager entfernt befahl ich der Gruppe, sich in der Dunkelheit zu verbergen, und ging selbst mit Arnak auf die Spanier zu.

„Man hat uns überfallen!” schrie mir Don Esteban aufgeregt entgegen, sobald ich in den Lichtschein des Feuers getreten war. „Verrat! Schande!”

Mir wollte das nicht in den Kopf.

„Wer sollte es gewagt haben, Euch anzugreifen?”

„Wer sollte es gewesen sein!” äffte mich der Spanier wütend nach. „Wißt Ihr es wirklich nicht, oder wollt Ihr mich nur täuschen?”

„Ich schwöre bei allem, was mir teuer ist: Ich weiß es nicht!” „Wer soll es schon gewesen sein?” wiederholte der Spanier giftig. „Eure roten Schoßkinder, Eure arawakischen Schützlinge.” „Das kann nicht sein. Ihr müßt Euch getäuscht haben.” „Schwört nur, daß es nicht sein kann, schwört, daß es eine Täuschung ist, und dann seht dorthin!”

Er deutete auf das Ufer, wo dicht neben dem Wasser die Leiche eines Indianers lag.

„Wer ist das?” fragte ich verblüfft.

„Einer Eurer Mordbuben. Wir haben ihn uns herausgepickt, aber leider nur den einen.”

„Wieviel waren es?”

„Ein ganzer Haufen.”

„Woher kamen sie? Aus dem Dorf?”

„Der Teufel soll es wissen! Sie kamen vom Fluß her.”

„Haben sie jemand getötet?’

„Nein. Das ist auch Euer Glück! Nur zwei Weiße trugen Messerstiche davon. Diesen Verrat bezahlt Ihr mir teuer!”

Dieser rätselhafte Vorfall traf mich wie ein Blitzschlag. Ich war nicht weniger wütend als Don Esteban und so bestürzt, daß ich eine ganze Weile keinen klaren Gedanken fassen konnte. Alles ging so fürchterlich durcheinander. Welche Unfügsamen und Verrückten hatten uns diesen Wirrwarr eingebrockt? Ich ließ die Leiche näher ans Feuer heranbringen und betrachtete das Gesicht des Toten. Der Indianer war mir fremd, auch Arnak kannte ihn nicht.

Mit herabhängendem Unterkiefer kam Koneso herbei, der noch nicht ganz nüchtern war, und blickte mit überraschter und dummer Miene um sich. Lange sah er dem Toten ins Gesicht, drehte ihn auf die eine und auf die andere Seite; endlich erhob er die Augen zu Don Esteban und versicherte mit giftig verzogenem Mund und gereizter Stimme: „Der ist nicht von uns. Es ist ein Fremder.”

Der Spanier wollte sich auf den Häuptling stürzen, da er glaubte, Koneso wolle ihn täuschen, doch bestätigten mehrere Einwohner Serimas dessen Worte so nachdrücklich, daß Don Esteban zögerte.




„Das ist ein Warraule”, erklärte plötzlich Aripaj, der kurz nach uns gekommen war. „Ich kenne sie doch gut, es ist ein Warraule.” Mir fielen Manduka und seine Leute ein, die in einer unserer Hütten untergebracht waren. Ein Verdacht stieg in mir auf. Ohne aber meine Gedanken zu verraten, sagte ich zu dem Spanier: „Wenn ich mich nicht irre, so hat gestern der Söldner, der so atemlos angerannt kam — Fernando war wohl sein Name —, irgend etwas von Gefangenen gefaselt, die sich angeblich befreit hätten.”

Don Esteban murmelte etwas von verfluchter Gegend und gab keine Antwort. Er mußte wohl zu der Überzeugung gelangt sein, daß die Warraulen den Überfall verübt hatten, denn er forderte, daß Koneso für den Rest der Nacht zahlreiche Wachen aufstelle, was dieser ihm dienstfertig und eilig versprach. Wir wünschten den wieder besänftigten Spaniern eine gute Nacht und verließen Serima.

Auf dem Rückweg teilte ich Arnak meinen Verdacht gegen die Warraulen mit.

„Bestimmt waren sie es. Sie sind einfach ausgerissen”, flüsterte Arnak betrübt. „Aripaj kann aber bezeugen, daß ich deinen Befehl richtig ausgeführt und ihnen eingeschärft habe, um nichts in der Welt ihr Versteck zu verlassen. Was machen wir mit ihnen?” „Zunächst gehen wir einmal hin.”

Ich nahm die ganze Gruppe mit, außerdem Aripaj als Dolmetscher. Wir hatten uns mit Fackeln versehen und setzten sie vor der Hütte der Warraulen, die sie nicht verlassen sollten, in Brand.

Als wir eintraten, lagen sie einer neben dem andern ausgestreckt da und taten so, als würden sie eben aus dem Schlafgeweckt. Gähnend rieben sie sich die Augen. Manduka, der dem Eingang am nächsten lag, erhob sich achtungsvoll.

Wir zählten sie. Es waren zehn statt elf.

„Wo ist der elfte?’ ließ ich Manduka durch Aripaj fragen.

Manduka mimte immer noch den Verschlafenen, riß die Augen auf, murmelte etwas, ohne auf unsere Frage zu antworten. „Er sitzt draußen und.. .”, rief einer mit frecher Stimme aus der dunkelsten Ecke.

„Komm nach vorn”, sagte ich zu ihm.

Sich streckend, erhob sich der vorlaute Rufer langsam und setzte eine etwas hochmütige Miene auf. Er hatte es nicht eilig, zu uns heranzutreten.

„Beweg dich schneller!” schrie ich so laut, daß die trockenen Palmblätter im Dach knisterten.

Immer noch mit verdrossenem Gesicht kam er heran. „Warum hast du nicht geschlafen, als wir hier eintraten?’ „Ich habe geschlafen.”

„Woher weißt du dann, daß der elfte hinausgegangen ist, um seine Notdurft zu verrichten?”

„Ich weiß es. Woher ich es weiß, das ist meine Sache!”

Ich faßte an seinen Lendenschurz, den er noch trug. Er war feucht.

„Du bist naß? Bist du in den Fluß gefallen?”

„Nein”, log er, ohne zu stottern. „Ich kann das Wasser nicht halten, weil ich krank bin.”

Nun konnte ich mich nicht mehr beherrschen und verabreichte dem Frechling eine kräftige Maulschelle. Während er ins Wanken geriet, packte ich ihn mit einer Hand unter der Achselhöhle und mit der andern am Bein und schleuderte ihn gegen die Wand. Die Zweige hielten dem Anprall nicht stand, sie brachen, und aus dem entstandenen Loch ragte der halbe Körper des kecken Burschen hervor.

„Ist noch einer hier, der lügen will?” Ich blickte in die Runde und sah dann Manduka streng in die Augen.

Der junge Krieger machte ein zerknirschtes Gesicht.

„Verzeih, Herr”, sprach er gehorsam. „Wir wollen die Wahrheit nicht verbergen. „Habt ihr den Überfall ausgeführt?”

„Ja, Herr.”

„Warum?’

Verlegen sah Manduka mich an; dann antwortete er: „Die Spanier haben uns schweres Unrecht zugefügt. Wir hassen sie. Wir haben uns hinreißen lassen.”

Zornig blickte ich die Warraulen der Reihe nach an.

„Ihr habt euch hinreißen lassen? Seid ihr Krieger oder dumme Jungen? Ihr hattet Befehl, nicht aus der Hütte zu gehen.” „Ja, Herr, wir haben schuld, ich leugne es nicht. Aber... wir hörten im Laufe des Tages so viele Schüsse, daß wir es hier nicht mehr aushielten. Wir wollten etwas tun ... ”

„Wie dumm, auf eigene Faust etwas zu unternehmen! Ist euch nicht der Gedanke gekommen, daß ihr mit eurer Unbesonnenheit uns alle, ganz Serima, ins Verderben reißen könntet?”

„Wir wissen es jetzt. Es wird nie wieder vorkommen, Herr.”

Trotz allem gefielen mir Manduka und seine Schar. Sie hatten mutige Herzen und fürchteten sich nicht, einen stärkeren Feind anzugreifen. Außerdem konnte man in den Augen des Warraulen lesen, daß er seinen Fehler aufrichtig bereute.

„Du kommst jetzt mit mir”, ordnete ich an, „und wirst so lange in Fesseln gelegt, bis die Spanier abgefahren sind. Ihr andern gebt sämtliche Waffen ab und bleibt hier in der Hütte. Wer sie ohne Erlaubnis verläßt, dem jagen wir eine Kugel in den Kopf.”

Ich ließ Manduka sofort die Hände binden, damit seine Leute sehen sollten, daß es keine leeren Worte waren. Nachdem die War-raulen ihre Waffen abgegeben hatten, was etwas unwillig und zögernd geschah, blieben zwei unserer Krieger sowie fünf Freiwillige aus den Reihen derer, die von Serima zu uns übergesiedelt waren, als Wache zurück. Wir andern waren zufrieden, daß der Vorfall schlecht und recht beigelegt war, und suchten unsere Hütten auf, um noch einige Stunden zu schlafen.

Der Rest der Nacht verlief ruhig. Zwei Stunden nach Sonnenaufgang lagerten die Spanier immer noch in Serima. Als ich die Nachricht erhielt, daß sie keine Anstalten trafen, die auf ihre baldige Abfahrt schließen ließen, machte ich mich auf den Weg, um den Grund der Verzögerung zu erforschen. Da ich nicht wußte, in welcher Laune ich sie heute antreffen würde, nahm ich wie am Tag zuvor Arnak und die bewaffnete Gruppe Waguras mit.

In Serima war alles unverändert. Die Menschen schmausten wieder, lachten sich zu, lagen in Hängematten im Schatten der Hütten oder schlenderten untätig auf dem Dorfplatz umher. Bei Tageslicht hatten einige spanische Söldner und Tschaimas in dem getöteten Indianer einen der Warraulen wiedererkannt, die sie mitgeführt hatten. Darin lag wohl auch der Grund für das große Wohlwollen Don Estebans, mit dem er mir begegnete. Es war nun klar erwiesen, daß die Arawaken mit dem nächtlichen Überfall nichts zu tun hatten.

„Ich freue mich, ich bin sehr froh”, wiederholte der Spanier einigemal mit einem süßen Lächeln und rieb sich die Knie. „Und ich gestehe Euch, daß ich Serima nicht verlassen wollte, ohne Euch meine Zufriedenheit ausgesprochen zu haben. Meine freundschaftlichen Gefühle — wir sind doch Verbündete! — gebieten mir, Euch und Euren tüchtigen Leuten ein bescheidenes Geschenk zu überreichen.”

Diese Eröffnung erschien mir so außergewöhnlich, daß ich Don Esteban anstarrte wie ein Wundertier. Kannten doch die Spanier in dieser Gegend nur einen Grundsatz — zu nehmen und zu plündern, auf keinen Fall aber zu schenken! Doch hatte mich mein Gehör nicht getäuscht, der höfliche Spitzbart erläuterte mir seine ehrbaren Absichten.

„Ich möchte Euch einen Sack Decken schenken, die mir übriggeblieben sind. Bereitet mir das große Vergnügen und lehnt dieses bescheidene Andenken nicht ab.”

„Decken? Wollene Decken?”

„Ja, Decken.”

Decken waren in dem heißen Klima unserer Waldgegend eine so unnütze Sache, daß ich meiner Verwunderung deutlichen Aus-

druck verlieh. Uns genügten völlig die im Ort hergestellten, aus Pflanzenfasern geflochtenen Matten.

„Wenn Euer Wohlgeboren so freigebig sind”, erwiderte ich da-her lachend, „so schenkt uns einige Büchsen und etwas Pulver. Damit erweist Ihr uns einen besseren Dienst für den Kampf gegen die Akawois. Aber Decken?”

„Ich besitze weder überflüssige Büchsen noch Pulver”, antwortete er trocken, „deshalb gebe ich, was ich geben kann, und ich bitte, es anzunehmen.”

Mein vielleicht nicht gerade höflicher, aber berechtigter Einwand hatte ihm so sehr die Laune verdorben, daß ich stutzig wurde. Der Nachdruck, mit dem er jenes „und ich bitte, es anzunehmen!” aussprach, brachte mich auf den Gedanken, daß ihm sichtlich sehr viel daran gelegen war, uns diese Decken zu schenken. Aber wozu? Warum drängte er mir sie geradezu auf? Ich betrachtete ihn forschend. In seinen Augen entdeckte ich wiederum so viel kalte Grausamkeit, ja feindliches Lauern, daß mich ein kalter Schauer überlief.

Was ist das für ein merkwürdiger Mensch? überlegte ich. Worauf will er hinaus?

Vielleicht bildete ich mir dies alles nur ein?

Während ich mit übergeschlagenem Bein und über dem Knie verschränkten Händen bequem auf meinem Schemel saß, behütet durch die Wachsamkeit Arnaks und beschirmt durch die Waffen der Gruppe Waguras, schweiften meine Gedanken zurück in die Vergangenheit, in die Jahre meiner Jugend. Vor meinen Augen wurde ein Ereignis lebendig, das damals in meiner Heimat im Norden großes Aufsehen erregt hatte.

Zu jener Zeit lebten unweit der Farm meines Vaters in einem der Täler der Alleghanies mehrere indianische Familien, die Überreste des vor einem halben Menschenalter ausgerotteten Stammes der Susquehannas. Sie lebten ruhig in ihrer Abgeschiedenheit, bereiteten den weißen Pionieren keine Schwierigkeiten, weshalb diese sie in Frieden ließen und ihnen manchmal sogar kleine Unterstützungen gewährten. So wurden ihnen eines Tages mehrere alte Decken geschickt. Zur größten Verwunderung der umliegenden Farmer brach kurz darauf bei den Indianern eine mörderische Epidemie aus, der nach einigen Wochen alle Angehörigen des Stammes bis zum letzten Kind zum Opfer fielen. Wir nannten diese Krankheit die Masern. Für uns war sie nicht weiter schrecklich, nur äußerst ansteckend; auf die Indianer, wie sich gezeigt hatte, wirkte sie vernichtend. Die Farmer erkannten, daß die Decken, die sie den Indianern geschenkt hatten, die Seuche dort eingeschleppt hatten; denn die stammten von Menschen, die kurz zuvor an Masern erkrankt waren.

Als diese Nachricht in den englischen Kolonien bekannt wurde, fanden sich viele, die diese Art für die Ausrottung der noch nicht unterjochten Indianerstämme empfahlen, die unseren Leuten in den westlichen Grenzbezirken arg zu schaffen machten.

Ich war begierig zu erfahren, ob diese Geschehnisse in den spanischen Kolonien bekannt seien, und wenn ja, ob die Menschen so gewissenlos waren, um mit derart höllischen Mitteln das Leben Unschuldiger zu vernichten? Die Augen Don Estebans glitzerten in beängstigender Kälte! Ich hatte das Gefühl, daß uns eine unbekannte Gefahr drohte, und beschloß, noch mehr als bisher auf der Hut zu sein.

„Mögen Euer Wohlgeboren mir verzeihen”, erklärte ich standhaft, „Eure Decken kann ich wirklich nicht gebrauchen und werde sie nicht annehmen.”

„Nicht doch”, widersetzte sich der Spanier genauso standhaft. „Ich bitte Euch, beraubt mich nicht des Vergnügens, Euch meine Freundschaft zu beweisen, und deshalb — verzeiht den Ausdruck — müßt Ihr dieses bescheidene Geschenk annehmen.”

Sein Mund sprach diese Worte so herzlich, daß ich bereit war, mich für einen Grobian zu halten; sobald ich jedoch in seine Schlangenaugen blickte, wurde mein Widerstand um so verbissener.

Der Spanier zuckte aber nur die Achseln und sprach: „Überlegt es Euch gut, Don Juan, bevor Ihr mich durch Eure unsinnige Weigerung verletzt und beleidigt. Warum wollt Ihr Eure Leute benachteiligen?”

Die letzten Worte Don Estebans waren weniger an mich als vielmehr an Koneso und die arawakischen Stammesältesten gerichtet, die sich in der Nähe aufhielten, und sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Die stets und nach allem gierenden Ältesten wunderten und ärgerten sich mächtig über meinen Widerstand, und Koneso stimmte dem Spanier zu, daß ich damit den Indianern ein Unrecht zufüge.

„Wenn du die Decken nicht willst, so überlasse sie mir”, verlangte der Oberhäuptling.

„Weiß du überhaupt, was wollene Decken sind?” fragte ich. Er wußte es nicht genau.

„Es sind Matten aus dickem Tuch, die man zu nichts gebrauchen kann”, erläuterte ich ihm.

„Ich werde sie mir ansehen”, erwiderte er und stand auf.

„Ich bitte dich um eins: Sei vorsichtig, berühre die Decken nicht!” rief ich ihm warnend nach.

Koneso warf den Kopf in den Nacken. „Meinst du, sie könnten beißen?”

„Ich meine, sie könnten Schaden anrichten.”

Koneso, Fujudi, Pirokaj und noch andere stiegen in das Boot der Spanier und kehrten bald voll kindlichen Entzückens zurück. Besonders Koneso sparte nicht mit Worten des Lobes, wie schön die Decken seien.

„Verfluchter Unsinn!” Ich sah, daß ich ihre Begeisterung nicht abzukühlen vermochte, und erklärte entschieden, daß ich die Decken nicht annehme. Um weiteren Belästigungen aus dem Wege zu gehen, wandte ich mich einfach um und ging davon, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

In den Nachmittagsstunden rüsteten die Spanier zur Abfahrt. Ich machte mich auf, um von Don Esteban, und vor allem von Pedro, Abschied zu nehmen. Zu meiner größten Verwunderung

mußte ich feststellen, daß der Sack mit den Decken ans Ufer gebracht worden war.

„Aber warum denn das? Ich kann sie nicht gebrauchen!” rief ich aus. „Ich habe doch erklärt.. .”

„Ich weiß, doch nehmt sie nur.” Don Esteban strahlte vor Gutmütigkeit. „Wenn Ihr selbst die Decken nicht verwenden könnt, dann gebt sie den tüchtigen Kriegern aus Eurer Abteilung. Die guten Schüsse sind eine Decke wert... Es sind fünfzehn Stück.” „Nimm sie, lehne sie nicht ab, Weißer Jaguar”, drängte mich Koneso. „Vielleicht sind die Matten doch zu etwas gut. . .”

Es blieb nichts anderes übrig. Zwei Boote hatten bereits abgestoßen, die letzten Spanier sprangen gerade in die dritte Itauba hinein, und gleich darauf steuerte auch sie der Mitte des Flusses zu.

Als sie unseren Augen entschwunden waren, wandten wir uns dem verdächtigen Bündel zu. Der große, geradezu aufdringliche Freigebigkeitsdrang Don Estebans hatte meinen Argwohn noch verstärkt, und ich teilte den Arawaken unverzüglich meine Vermutungen mit.

„Ich habe kein Vertrauen zu Don Esteban”, erklärte ich abschließend, „und bin überzeugt, daß in diesem Sack ein schrecklicher Kanaima der weißen Menschen lauert, der eine todbringende Krankheit verbreitet. Wer die Decken berührt, dem drohen Krankheit und Tod.”

Meine Worte blieben nicht ohne Eindruck, in den Augen der Indianer spiegelten sich Mißtrauen und Entsetzen. Nur vorsichtig wagten sie einen Blick in das Bündel zu werfen, konnten aber kaum etwas sehen. Der Sack war an einer Holzstange festgebunden. Die Träger hatten ihn an Land gebracht, indem sie nur die beiden Enden der Stange anhoben, ohne den Sack selbst zu berühren.

Mir kam es jedenfalls äußerst merkwürdig vor — der Teufel sollte die Bande holen!

Arasybo stieß mich an und sagte dann unerschrocken: „Weißer Jaguar, ich kenne Beschwörungen, die böse Zauber töten und Krankheiten vertreiben. . .”

„Arasybo, guter Freund!” Ich mußte lachen. „Gegen dieses Übel, das ich in dem Sack vermute, helfen keine Beschwörungen, hier kann nur dreierlei helfen: entweder den Sack in den Fluß zu werfen, damit er im Meer versinkt, oder ihn möglichst tief zu vergraben, oder — und das ist das allerbeste — ihn einfach zu verbrennen.”

In diesem Augenblick trat Pirokaj an mich heran, ließ seine durchtriebenen, beweglichen Mäuseaugen spielen und fragte: „Du sagst, daß du den Verdacht hegst, sicher bist du dir nicht?” „Natürlich weiß ich es nicht mit Sicherheit.”

„Aha, so ist das also!”

Koneso, der das Bündel mit traurigen Blicken geradezu verschlang, klagte: „Ein so ungewöhnliches Geschenk, und nun soll es vernichtet werden! Ist es nicht schade darum, wenn man nichts Genaues weiß? Vielleicht sitzt gar kein Kanaima darin.”

„Und wenn einer drinsitzt”, rief Pirokaj herausfordernd, „was hat das zu bedeuten? Ist Karapana nicht ein Zauberer, der jeden Kanaima austreibt? Karapana wird den Sack beschwören und den Zauber unschädlich machen.”

„Karapana — ist ein wandelnder Leichnam”, knurrte Manauri zornig. „Karapana lebt nicht mehr.”

Dieser kühne Ausruf übte auf alle eine starke Wirkung aus. Er wurde verschieden aufgenommen. Während unsere Sippe ihrem Häuptling beipflichtete und der Verdammnis des Zauberers stürmischen Beifall zollte, waren einige Einwohner Serimas sichtlich empört, und Pirokaj schnellte empor, als wolle er dem Bruder die Augen auskratzen.

„Du lügst, räudiger Hund!” brüllte er.

Ich gebot Ruhe.

„Noch ist der Feind keine Meile weit’, rief ich aus, „und schon gebärdet sich dieser Hahn, als wäre er ein Adler!” Dabei deutete ich auf Pirokaj.

Die Krieger unserer Sippe begannen laut zu lachen.

„Manauri hat recht’, fuhr ich fort. „Für den Stamm ist Karapana nicht mehr am Leben. Ihr habt keinen Zauberer mehr. Als Serima in höchster Gefahr war, hat er sich verkrochen wie ein feiges Reptil! Ihn trifft die Schuld, daß die Hälfte eurer Brüder Serima verlassen hat und nicht mehr mit euch leben will.”

Die Anhänger des Zauberers — es war ein erstaunlich kleines Häufchen — wagten nicht, zu dessen Verteidigung einen Streit vom Zaun zu brechen, und beruhigten sich schnell. Ich befahl unseren Kriegern, den abscheulichen Sack in den Fluß zu werfen, doch erging sich Koneso in so flehenden Bitten und Vorstellungen, wir sollten die Decken nicht sofort vernichten, daß ich um der lieben Eintracht willen schließlich nachgab. Ich wollte den Oberhäuptling nicht gar zu sehr verbittern, zumal er bei allem, was ihm heilig war, darauf schwor, er werde strenge Maßregeln treffen, um zu verhindern, daß jemand die verdächtigen Geschenke berühre.

So endete der Tag. Die Gemüter aller hatten sich entspannt. Mit der Abreise der Spanier fiel jedem ein Stein vom Herzen, und das Leben kehrte zu seiner natürlichen Ordnung zurück. Unsere Siedlung allerdings verwandelte sich in das reinste Heerlager, denn mindestens die Hälfte der Bevölkerung Serimas hatte sich auf unsere Seite geschlagen. Eilig wurden Hütten errichtet, die Menschen bewegten sich geschäftig hin und her, über all dem Lärm und Getümmel lag eine freudige Erregung.

Auf mein Anraten schickte Koneso vier Kundschafter in zwei Booten hinter den Spaniern her, die deren Beginnen mehrere Tage beobachten sollten. Eine Anzahl Krieger unserer Sippe fuhren mit einem großen Boot den Fluß hinab, um die von den Spaniern erbeutete Itauba mit den Nahrungsmitteln bei Katawi abzuholen. Gegen Abend kehrten sie zurück.

Sofort nach der Abreise der Spanier schnitt ich Manduka, der in meiner Hütte lag, die Fesseln durch und ließ ihm und seinen Warraulen die Waffen wieder aushändigen. Der junge Krieger hatte die kurze Gefangenschaft mit Ruhe ertragen und hegte keinen Groll gegen mich.

„Das war keine Strafe, obgleich du eine verdient hättest’, erklärte ich ihm, „sondern eine notwendige Vorsichtsmaßregel.” „Ich weiß es, Weißer Jaguar”, erwiderte er lebhaft. „Ich werde dich in Zukunft nie mehr enttäuschen.”

„Soll das heißen, daß du hierbleiben willst?” fragte ich überrascht.

„Ich will dir so lange dienen, bis die Akawois kommen. Wir müssen lernen, wie man die Feuerwaffen bedient.”

„Gut, doch kann ich euch keine Büchsen überlassen, denn wir brauchen sie alle selbst.”

„Erlaubst du uns, daß wir sie den Spaniern abnehmen?’ „Wie meinst du das: abnehmen?”

„Leihe uns eine kleinere Itauba und gestatte, daß wir hinter Don Esteban herfahren.. .”

Der Bursche hatte Phantasie, es mangelte ihm nicht an Unternehmungsgeist und Mut.

„Manduka, du bist ein tüchtiger Kerl, doch benötigt ein guter Krieger nicht nur Mut, sondern er muß auch ehrliche Bräuche achten. Die Spanier haben uns in Frieden verlassen, und wir werden den Frieden wahren.”

„Wir Warraulen haben keinen Frieden mit ihnen geschlossen.” „Oho, ihr seid unsere Verbündeten, und unser Frieden verpflichtet auch euch. Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum ich euch nicht hinter den Spaniern herfahren lasse. In ihrer Mitte befindet sich unser Freund Pedro, und in der Dunkelheit könntet ihr ihm etwas zuleide tun. Das darf nicht geschehen! Du kannst nicht fahren, Manduka.”

Er mußte sich damit abfinden, doch traten einige Stunden später Ereignisse ein, die alles gründlich über den Haufen warfen und die eben erst eingetretene Ruhe am Itamaka erneut in brutaler Weise störten.

Als ein fahler Schein das Nahen des neuen Tages ankündigte, riß mich ein ungewöhnlicher Lärm aus dem Schlummer. Undeutliche Wortfetzen ertönten auf dem Platz draußen, und schnelle Laufschritte näherten sich der Hütte. Gleich darauf wurde der Eingang durch eine Gestalt verdunkelt, und eine bekannte, nach Atem ringende Stimme rief meinen Namen. Mit einem Satz war ich auf den Beinen.

„Pedro, du bist es?” brachte ich mühsam hervor.

„Ja, ich bin es — Pedro! Ich bin davongelaufen, um dich zu warnen.”

„Um Himmels willen, was ist geschehen?”

„Die Decken”, er mußte wieder Luft schöpfen, „die Decken... sie sind vergiftet.. . die Pest steckt in ihnen. .

„Also doch!”

„Rosa. . . rosa!”

Ich wußte nicht, was „rosa” zu bedeuten hatte, doch gewann ich aus dem, was mir Pedro gleich darauf auseinandersetzte, die Überzeugung, daß es sich um die Masern handelte. Meine bösen Vorahnungen hatten mich also nicht getäuscht.

„Wie hast du es erfahren?” fragte ich, während ich mir schnell die Kleidung überwarf.

„Als wir abends Rast machten, begann Don Esteban zu erzählen und prahlte damit, wie er dich hinters Licht geführt habe. Diese Rache hat er sich ausgedacht, weil er sich von dir gedemütigt fühlte. Er führte die verpesteten Decken mit sich, um solche Indianer, die der Herrschaft der Spanier im Wege sind, auszurotten. Deiner Truppe wollte er dich berauben; das war der Grund, war-um er so hartnäckig darauf bestand, du mögest die Decken an-nehmen.”

„Diese Krankheit ist fürchterlich ansteckend. Nicht nur meine Krieger, sondern der ganze Stamm könnte dahinsiechen.”

„Das ist ihm gleich. Er wollte deine Herrschaft beseitigen, deinen Einfluß zunichte machen; jedenfalls rühmte er sich damit immer wieder. Mir standen vor Grauen fast die Haare zu Berge.” „Wie bist du entkommen?” „Ich konnte das kleine Boot, das Don Esteban mitführte, in der Nacht unauffällig ins Wasser schieben und mich davonmachen. Unweit des Lagerplatzes stieß ich auf einen arawakischen Kundschafter. Ich erklärte den Indianern, worum es sich handele, da halfen sie mir rudern — und nun bin ich hier!”

Gerührt durch diesen Beweis seiner Freundschaft, umarmte ich ihn herzlich. Gleichzeitig befielen mich sorgenvolle Gedanken, was nun mit ihm werden sollte.

„Hast du dir überlegt, Pedro, daß du nach dem Vorgefallenen weder zu Don Esteban zurückkehren kannst noch dich in Ango-stura zeigen darfst?”

„Was soll ich dort? Diese Verräter sind mir so widerwärtig, daß ich mit ihnen nichts zu tun haben will! Ich bleibe bei dir, Jan, bis ich nach Norden fahren kann, nach Cumana. Einmal wird sich schon eine Möglichkeit bieten... Ich freue mich jedenfalls, daß wir wieder zusammen sind.”

„Das kann sehr lange dauern.”

„Das tut nichts.” Seine Augen strahlten vor Zufriedenheit.

Während der letzten Worte befanden wir uns bereits auf dem Weg. Manauri; Arnak und einige Krieger kamen mit uns. Waffen hatten wir nicht mitgenommen. Wozu auch? Um den Sack mit den Decken in den Fluß zu werfen, dazu benötigten wir keine Büchsen.

Hätten wir uns nur bewaffnet!

Der heraufdämmernde Morgen ließ immer neue Bilder aus der Dunkelheit hervortreten, und als wir den Wald durchquert hatten und auf die freie Fläche vor Serima kamen, ließ eine böse Vorahnung unsere Herzen stocken. Wir bemerkten, daß sich um den verdammten Sack herum etwas Ungewöhnliches abspielen mußte. Aufgeregte Menschen drängten dort hin und her. Sie trugen irgendwelche Dinge, machten sich auf der Erde zu schaffen und schienen etwas zu verteilen.

„Sie haben den Sack geöffnet!” stieß ich entsetzt hervor.

Leider war es wirklich so. Sie hatten die Decken herausgezerrt und rissen sie voller Habgier einander aus den Händen; jeder wollte seinen Teil von der Beute haben.

„Rührt sie nicht an!” schrien wir schon von weitem. „Laßt die Decken los! Die Pest steckt in ihnen! Der Tod. . . So laßt doch los, ihr Hundskerle!”

Sie dachten gar nicht daran, die eben erhaschte Beute fahrenzulassen. Wenn wir wenigstens Waffen besessen hätten — vielleicht hätte ihr Anblick sie ernüchtert und zum Gehorsam veranlaßt. So aber waren wir nur einige wenige, und dort drängten sich an die dreißig oder vierzig Menschen.

Wir waren herangekommen und machten ihnen laut schreiend klar, welche Gefahr in diesen Decken lauere, und tatsächlich wurden einige unsicher, als sie meine außergewöhnliche Wut und Verzweiflung wahrnahmen. In diesem Augenblick schnellte eine Gestalt vom Boden empor, die bisher dort gekauert hatte, als verrichte sie Gebete. Es war der Zauberer Karapana, der uns sein haßverzerrtes Gesicht zuwandte.

„Hört nicht auf ihn!” krächzte er mit wilder, heiserer Stimme. „In diesen Matten gibt es keinen Tod mehr. Ich habe ihn vernichtet. Er täuscht euch nur. Er will alles für sich beiseite schaffen.”

Mitten in diesem aufgeregten Haufen befand sich auch Koneso. Er hielt eine Decke unter dem Arm.

„Häuptling’, schrie ich, „ich flehe dich an, wirf die Decke weg! Du selbst bringst das Verderben über den Stamm!”

Zorn, Verwirrung, Streitsucht zuckten in seinen Zügen.

„Nein”, fauchte er. „Du hast uns nichts zu befehlen, Weißer Jaguar, und kannst uns nicht zwingen! Damit bezahlen die Spanier unser Pferd, und diese Bezahlung gehört uns. Du wolltest sie ins Wasser werfen, damit wir sie nicht bekommen sollten. Aber das wirst du nicht erleben.”

Ich preßte die Fäuste gegen die Schläfen, am liebsten hätte ich laut aufgeheult.

„Du hast den Verstand verloren, du bist mit Dummheit geschlagen”, rief ich. „Ich sage dir, eine Krankheit der weißen Menschen steckt in diesen Matten! Pedro ist zurückgekommen und hat uns den Verrat der Spanier hinterbracht. Jetzt wissen wir genau, daß in ihnen das Verderben lauert.”

„Ich weiß, daß Pedro zurückgekommen ist, deshalb haben wir uns die Matten schnell genommen, bevor du sie vernichten kannst.”

„Ihr geht alle zugrunde, wenn ihr sie nicht sofort wegwerft”, wiederholte ich beteuernd und war selbst dem Wahnsinn nahe. „Oh, wir werden nicht zugrunde gehen. Wir fürchten uns nicht. Karapana schwört bei allen Geistern, daß du dich irrst.. . Er hat die Krankheit ausgetrieben, falls überhaupt eine in den Matten gewesen sein sollte.”

Sie blieben verstockt und taub. All unser Bemühen war vergeblich, es prallte ab wie ein Stein, der gegen eine Felswand geschleudert wird. Der Zauberer kicherte und schluckte vor Hohn und böswilliger Freude über den Sieg, den er über mich errungen hatte. Einige meiner Gefährten wollten sich trotz der Übermacht auf die Leute aus Serima stürzen, um ihnen die Decken mit Gewalt abzunehmen. Ich hielt sie zurück und erklärte ihnen, daß sie selbst angesteckt würden, wenn sie die Decken berührten. Das leuchtete ihnen ein.

Als ich einsah, daß wir keinen der Verblendeten überzeugen könnten, befahl ich die schnelle Rückkehr. Meine Erregung hatte sich gelegt; nun galt es, an unsere Rettung zu denken. Die geringe Entfernung unserer Siedlung von Serima bot uns keinen Schutz vor dem Wind, der die Seuche verbreiten konnte. Auf dem Rückweg schilderte ich den Freunden in kurzen Worten die Merkmale der alle bedrohenden fiebrigen Krankheit: sie sei äußerst ansteckend, rufe rote Flecken auf dem Körper hervor, nach mehrtägigem Fieber trete eine allgemeine Schwäche ein, die bei den Indianern unrettbar zum Tode führe. Ich berichtete ihnen meine ergreifenden Erfahrungen aus den Knabenjahren, führte ihnen das traurige Schicksal der Susquehannas in dem Tal der Alleghanies vor Augen.





„Wir haben nur eine Möglichkeit — wir müssen sofort, noch in dieser Stunde, den Ort verlassen”, schloß ich meine Ausführungen. „Jeder, der die heimtückischen Decken noch nicht berührt hat, muß von hier fliehen.”

„Genügt es, wenn wir in die Potarobucht übersiedeln, wo wir unseren Schoner versteckt haben?” fragte Manauri.

„Wie weit liegt sie von hier, drei Meilen?’

„Etwas mehr.”

„Das dürfte genügen”, stimmte ich zu, „doch darf in den nächsten Wochen keiner von uns mit den Kranken in Berührung kommen, falls es solche geben sollte! Das ist eine unerläßliche Bedingung.”

„Dauert die Seuche lange?”

„Erst nach einigen Tagen zeigen sich langsam die ersten Anzeichen, und dann dauert es zehn bis fünfzehn Tage bis zum Tod — oder zu allmählichen Genesung."

„Und wie wird sie geheilt?’

„Das weiß ich nicht genau. Irgendjemand hat mir einmal gesagt, daß man ruhig zu liegen habe, daß man sich nicht aufdecken dürfe, wenn das Fieber brennt, und auf keinen Fall ins Wasser gehen und nur wenig Nahrung zu sich nehmen solle.”

„Wenn das so ist, dann müssen wir die Leute in Serima verständigen, wie sich ein Kranker verhalten soll”, brachte Manauri vor. „Natürlich müssen wir das.”

Es freute mich, daß die Gefährten meine Warnungen nicht auf die leichte Schulter nahmen. Sofort nach unserer Rückkehr wurden alle Einwohner der Siedlung alarmiert. Zum Glück war der Schoner schon am Abend des gestrigen Tages aus der Potarobucht

angekommen, so daß das gesamte Hab und Gut sowie die Vorräte, die wir besaßen, in ihm verstaut werden konnten. Auch die Töpfer- und Webergeräte wurden an Bord gebracht, ja sogar die Pfosten, Wände und Dächer einiger Hütten, die unsere Leute eilig abgerissen hatten.

Während sich die Leute unserer Sippe in der Arbeit überboten, um so bald wie möglich diese unselige Gegend verlassen zu können, stellten sich die zehn Warraulen mit allen Waffen, die sie von uns erhalten hatten, vor meiner Hütte auf, und zwar in einer wohlgeordneten Reihe, wie eine Abteilung Söldner. Manduka trat an mich heran und bat durch den Mund Aripajs, dessen er sich als Dolmetscher bediente, um eine Unterredung.

„Ich höre”, antwortete ich und wunderte mich ein wenig über seine feierliche Miene.

„Herr, du hast uns aus zwei Gründen nicht gestattet, die Spanier zu verfolgen, und wir haben uns gefügt’, sprach Manduka. „Erlaubst du es uns jetzt?”

„Du meinst, die Gründe seien nun weggefallen?”

„So ist es, Weißer Jaguar. Die Spanier haben sich als Verräter entpuppt, und Pedro ist zurückgekehrt.”

„Deine Gedanken sind richtig’, bestätigte ich und lachte. „Und ihr wollt euch nun über sie hermachen?”

„Wir wollen ihnen die Feuerwaffen abnehmen.”

„Ohne Zusammenstoß?’

„Auf Biegen oder Brechen.”

Ich warf Manauri, der Zeuge unserer Unterredung war, einen fragenden Blick zu. Bestimmt hatten die verräterischen Spanier eine Lehre verdient, und auch Manauri erhob keine Einwendungen dagegen.

„Ich bin einverstanden”, erwiderte ich daher, „doch geschieht es auf eure Verantwortung, wir wollen damit nichts zu tun haben. Ihr bekommt die schnellste Itauba und einen Vorrat an Nahrungsmitteln, auch eure Bewaffnung wird vervollständigt. Ihr gebt uns aber Nachricht, wie das Unternehmen verlaufen ist.”

„Wir werden berichten.”

Kaum eine halbe Stunde war verstrichen, als die Warraulen im Eiltempo den Fluß hinunterfuhren. Sie waren am Wasser aufgewachsen und galten als die besten Ruderer unter den Indianern. Niemand zweifelte daran, daß es ihnen ein leichtes sein werde, die Spanier einzuholen.

Unterdessen begann die große Wanderung zur Potarobucht. Mehr als fünfhundert Arawaken, Männer, Frauen und Kinder, machten sich mit unserer Sippe auf den Weg. Die meisten gingen zu Fuß und benutzten den Pfad, der sich am Flußufer entlangzog. Die übrigen hatten sich auf dem Schoner eingeschifft oder fuhren mit Itauben oder in zahlreichen kleinen Booten. Die Menschen flohen nicht nur vor ihren bösartigen Häuptlingen und vor der Seuche — sie hegten einfach den Wunsch, ein neues Leben zu beginnen. Ihre Herzen waren voller Hoffnung und Freude.



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