Don Juan, Ihr seid der leibhaftige Satan”

AIs wir langsam dem Toldo zugingen, unter dem Koneso, umgeben von seiner Ehrengarde, immer noch auf uns wartete, wandte ich mich zu Arnak t und gab ihm zu verstehen, er möge sofort einen Boten zu Lasana, Arasybo und Kokuj schicken. Sie sollten unverzüglich mit dem beginnen, was wir verabredet hatten.

Don Esteban und ich nahmen auf zwei zu beiden Seiten des Oberhäuptling bereitgestellten Schemeln Platz.

„Und wo soll Manauri sitzen?’ herrschte ich Koneso an. „Laß einen Schemel bringen!”

Der Oberhäuptling widersprach nicht und schickte einen Indianer in seine Hütte.

Schweigend und in uns gekehrt saßen wir drei unter dem Toldo und warteten auf den Schemel. Jeder hatte sein bewaffnetes Gefolge bei sich. Hinter Don Esteban hatten der Häuptling der Tschaimas und jener Sargento Aufstellung genommen, der gestern unseren Schoner vergeblich gesucht hatte.

Unsere Gesichter waren beherrscht, die Augen ruhig, doch beobachteten wir einander aufmerksam und fühlten die drückende Last, die auf uns ruhte. Die volle, sinnliche Unterlippe Konesos hing schlaff herunter — ein trauriges Bild völliger Stumpfheit. Der Oberhäuptling hatte ein schlechtes Gewissen und wußte nicht, was noch auf ihn herabstürzen würde. Don Esteban dagegen machte einen äußerst wachsamen, aber etwas unruhigen Eindruck. Er sah den Verhandlungen mit kaum verhüllter Erregung entgegen. In diesem Zustand sind Menschen seines Schlages besonders gefährlich, da sie leicht die Beherrschung verlieren und zu Gewalttätigkeiten neigen.

Ich selbst war mir im klaren, daß die so weit fortgeschrittenen Ereignisse nur noch zwei Möglichkeiten offenließen: entweder durch Standhaftigkeit den Sieg davonzutragen oder einen Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen.

Als der Schemel gebracht worden war und Manauri sich gesetzt hatte, sprach ich so laut, daß es alle hören konnten: „Manauri, du übersetzt Don Esteban jedes Wort, das hier arawakisch gesprochen wird, und ihr”, ich wandte mich Koneso und seinen Leuten zu, „beantwortet meine Fragen klar und ehrlich, wenn ihr das Unglück von eurem Stamm abwenden wollt.”

Sie hüllten sich in düsteres Schweigen. Mit Einwilligung Don Estebans ließ ich drei Vertreter der Gefangenen herbeirufen, auch sie sollten an der Beratung teilnehmen können. Sie mieden die Leute Konesos und stellten sich neben Arnak auf.

„Noch sind wir nicht alle”, rief ich aus. „Koneso, rufe bitte die Bewohner der nächstgelegenen Hütten zusammen, sie sollen zum Toldo kommen.”

„Ist das notwendig?’ Der Oberhäuptling blickte mich mißtrauisch an. „Dort sind nur Weiber und Kinder.”

„Dann mögen die Weiber und Kinder herkommen. Ich verbürge mich für ihre volle Sicherheit!”

Wenn auch widerwillig, gab Koneso doch die entsprechende Anweisung, und kurz darauf erschienen die ersten Einwohner mit verängstigten Gesichtern. Neben den Frauen tauchten auch einige Männer auf, die sich ein Herz gefaßt hatten. Als eine ansehnliche Menge beisammen war, gebot ich Ruhe, ließ meinem Zorn freien Lauf und ging zum Angriff über.

„Wo ist Karapana, der Mörder des jungen Kanaholo?” richtete ich die Frage an alle. „Warum ist er nicht hier?”

Alle schwiegen.

„Antwortet!” drängte ich. „Er ist doch der Zauberer.” „Er ist in den Wald gegangen”, murmelte endlich Fujudi, „um einige Zeremonien zu verrichten.”

„Was?” rief ich empört. „Jetzt, wo sich in Serima das Schicksal des Stammes entscheidet, hat er Zeremonien zu verrichten? So liegen ihm die Geschicke des Stammes am Herzen? Einen Feigling habt ihr, keinen Zauberer!”

Schweigend und voller Bestürzung vernahmen die Menschen diese Worte. Karapana war immer noch eine schreckliche Macht. Koneso neben mir schnaufte, er kochte vor Wut und warf mir haßerfüllte Blicke zu.

„Ich will euch helfen”, sagte ich zu den Ältesten der Arawaken, „und ich werde euch helfen, aber ich verlange, daß ihr mir die volle Wahrheit sagt. Die dreiundzwanzig Männer, die mit den Spaniern gehen sollen, woher habt ihr die genommen? Aus welchen Sippen?”

„Aus allen”, murmelte Koneso, „mit Ausnahme deiner Sippe.” „Ach so. Und warum sind es nicht fünfzig, wie Don Esteban es gefordert hat?”

„Die übrigen sind in den Wald geflohen.”

„Wieso die übrigen? Viele junge Männer sind in den Hütten Se-rimas geblieben und stecken wahrscheinlich jetzt noch dort!” „Die waren nicht für die Spanier bestimmt, nur die hier.” „Sind die hier schlechter?”

Konesos Augen blitzten in zornigem Trotz, als er antwortete: „So ist es, sie sind schlechter.”

„Sprecht offen! Ihr wollt sie los sein, deshalb habt ihr sie den Spaniern zugesprochen? Ihr wollt sie aus ihren Sippen entfernen?”

„Ja, das wollen wir”, mischte sich hochmütig Pirokaj ein, „aber nur auf zwei Jahre!”

„Und die in den Wald geflüchtet sind, sind die auch aus den Sippen ausgestoßen?”

„Natürlich, genauso. Wir haben sie für die Spanier bestimmt.” ;,Das ist ausgezeichnet!” rief ich mit schallender Stimme. „Wenn

ihr euch von der Herrschaft über die dreiundzwanzig und über die in den Wald Geflüchteten lossagt, so nehme ich sie für diese zwei Jahre in unsere Sippe auf. Seid ihr damit einverstanden?” Diese Frage richtete ich an die drei Gefangenen.

„Wir sind einverstanden”, antwortete der älteste voller Freude. „Gern kommen wir zu dir. Wir danken dir, Weißer Jaguar!” Manauri sollte meine Worte für Don Esteban ins Spanische übersetzen, ich bemerkte aber, daß es ihn sehr viel Schweiß kostete; die letzten Sätze hatte er überhaupt nicht mehr übersetzt.

„Sobald ihr frei seid”, sprach ich weiter zu den Gefangenen, „verständigt ihr alle im Urwald, daß sie mit ihren Familien und der gesamten Habe unverzüglich von Serima zu uns übersiedeln.” „Das verbiete ich”, stieß Koneso hervor, und Pirokaj und Fujudi riefen gleichzeitig: „Das ist unmöglich!”

„Ihr seid wohl verrückt geworden? Eben noch habt ihr erklärt, daß ihr diese Leute nicht haben wollt, daß sie aus ihren Sippen verschwinden sollen. Seid ihr schon so weit, daß ihr wie unreife Burschen die Worte, die ihr vor kurzem geäußert habt, abzuleugnen versucht?”

„Ich verbiete es!” keuchte Koneso wutschnaubend.

Mühsam unterdrückte ich die aufsteigende Wut, sah dem Oberhäuptling voll ins Gesicht und sagte laut, jedes Wort langsam und deutlich aussprechend: „Schweig, du Schuft! Wenn du schon unfähig bist, die eigenen Leute vor der Sklaverei zu bewahren, dann stifte wenigstens keinen Unfrieden! Weißt du, wie Don Esteban dich genannt hat? Einen räudigen Hund, einen betrügerischen Lumpen und ekelhaften Schwindler! Und sogar jeder ehrliche Mensch hat nun das Recht, dich so zu nennen! Was bist du für ein Oberhäuptling, wenn du freiwillig, ohne Kampf, deine Leute schwerer Sklaverei überlieferst, sie dem sicheren Untergang preisgibst? Was bist du für ein Oberhäuptling, wenn du so ungerecht bist, daß du einige Menschen böswillig ins Verderben schickst und andere verschonst?”

„Das ist nicht wahr!” schnaubte Koneso.

„Warum sind die Leute, die du ausgesucht hast, schlechter als die übrigen? Vielleicht nur deshalb, weil sie nicht länger unter der Willkür des Mörders und Zauberers leben wollten? Das ist ihre ganze Schuld?

Koneso hatte diesen schweren Vorwürfen nichts entgegenzusetzen und saß da wie ein auf frischer Tat ertappter Verbrecher. „Warum”, fuhr ich fort, „schickst du deine drei Söhne, die hinter dir stehen, nicht in die Sklaverei, warum läßt du den Sohn Piro-kajs ungeschoren oder die beiden Brüder Fujudis — sind sie besser? Sie sind in nichts besser als die dort, nur du, niederträchtiger Häuptling, bist ein räudiger Hund. . .”

In diesem Augenblick wurden meine Worte vom Knall eines Schusses unterbrochen. Er kam aus dem kleinen Wald zwischen Serima und unserer Siedlung, und sein Echo rollte über die ganze Ortschaft hin. Alle hoben ruckartig die Köpfe und spitzten die Ohren. Kaum waren einige Sekunden vergangen, da fiel ein zweiter Schuß, gleich darauf folgte ein dritter, dann ein vierter und noch einer und wieder einer. Es fiel schwer, all die Schüsse zu zählen.

„Was ist das?” rief Don Esteban verblüfft, der bei den ersten Schüssen aufgesprungen war.

„Das hat nichts zu bedeuten. Es ist eine Übung einer meiner Abteilungen”, erklärte ich ihm spanisch. „Achtet nicht auf die Schüsse, es sind unsere Leute.”

Der Spanier ließ seine Augen suchend über den Platz schweifen. Als er sah, daß die Gruppe Waguras immer noch auf dem alten Platz stand, war er sichtlich verwundert.

„Aber die Abteilung ist doch noch hier.”

„Diese ja”, erwiderte ich. „Dort im Wald ist eine andere Abteilung.”

Dann nahm ich das unterbrochene Gespräch mit den Stammesältesten wieder auf: „Der Oberhäuptling hat versagt und will seine Leute nicht verteidigen. Deshalb nehme ich sie unter meinen

Schutz und versichere euch, daß die dreiundzwanzig nicht mit den Spaniern gehen werden. Außerdem verspreche ich euch, daß wir auch keinen andern ohne Kampf herausgeben. Ich habe den unbeugsamen Willen und verfüge über genügend Kraft, den Kampf siegreich zu Ende zu führen.”

Wiederum lenkten Schüsse unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie fielen am Rande des Urwalds, aber an einer anderen Stelle als zuvor. Sichtlich erschreckt sprang Don Esteban zum zweitenmal auf.

„Es ist nichts Besonderes, beruhigte ich ihn etwas spöttisch. „Das sind alles meine Leute. Eurem Leben droht keine Gefahr, solange ich hier bin!”

„Aber die Schüsse kommen aus einer ganz anderen Richtung als vorhin”, erwiderte Don Esteban mit weitgeöffneten Augen.

„Das kann schon sein. Dann schießt eine andere Abteilung. Es befinden sich mehrere im Urwald. Sie bewachen unsere Siedlung auf allen Seiten, damit den Gästen nichts Böses zustoßen kann.” „Ich bitte, mir sofort mitzuteilen”, schrie mich der Spanier an, „was Ihr den Indianern eigentlich gesagt habt! Ich will es wissen!” Schon wieder krachten Schüsse, die sich mit dem von der grünen Wand der Wildnis zurückgeworfenen Echo zu einem ununterbrochenen Dröhnen vereinigten. Mächtig und drohend rollte es über die Ebene und kündete von einer geheimnisvollen Kraft. Don Esteban, der sich bisher an der Spitze seiner spanischen Totschläger und der Tschaimas als Herr der Situation betrachtet hatte, begann langsam zu begreifen, daß er den Boden unter den Füßen verlor.

„Dreizehn Schüsse”, meldete der bleich gewordene Sargento, als das Schießen aufhörte. „Dreizehn Büchsen.”

„Nein!” der Häuptling der Tschaimas schüttelte den Kopf. „Es waren neun.”

Beide hatten sich geirrt: Arasybo hatte nur sieben Schußwaffen bei sich.

In diesem Augenblick begann das Schießen von neuem, und

wieder kam es aus einer anderen Richtung. Es war Kokuj, der sich auf diese Weise bemerkbar machte.

„Da sollen doch hundert Teufel dreinfahren”, knurrte der Sar-gento und griff sich mit beiden Händen an den Kopf.

Wie ein Verrückter stürzte er auf den Dorfplatz und versammelte hastig alle seine Leute, die Spanier wie auch die Indianer, um sich. Wir glaubten, er sei übergeschnappt.

„Was hat denn der Kerl?” fragte ich Don Esteban, zuckte die Achseln und fügte warnend hinzu: „Ohne Bewachung werden ihm die Gefangenen auseinanderlaufen”

Besorgt sah ich auf Don Esteban. Man merkte, daß er einem Tobsuchtsanfall nahe war. Seine Augen blickten abwesend und waren verschleiert. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und rannen in kleinen Bächen über das Gesicht.

„Was soll das alles bedeuten?” schrie er erneut mit wuterstickter Stimme.

„Ich werde es Euer Wohlgeboren sofort erklären”, antwortete ich und wandte mich Manauri zu: „Was ich jetzt Don Esteban sagen werde, teilst du allen Anwesenden in arawakischer Sprache mit.” Dann sprach ich mit rollender Stimme zu dem Spanier: „Ihr fragt, mein Herr, was die Schüsse zu bedeuten haben? Sie bringen zum Ausdruck, daß ich die Ehre habe, Euch, unsere werten Gäste, höflichst zu bitten, sich möglichst ruhig zu verhalten und keine unnötigen Aufregungen hervorzurufen. Außerdem verkünden sie, daß ich weder heute noch zu einem späteren Zeitpunkt auch nur einen Bewohner dieses Ufers für die Arbeit in Angostura oder sonstwo herausgeben werde.”

„Was? Ihr wollt... Was redet Ihr da?’ Seine Adern am Hals und an den Schläfen schwollen an, die Augen traten aus ihren Höhlen. Seine Hand fuhr an den Gürtel, in dem die Pistole steckte.

„Du lieber Himmel!” rief ich freundlich. „Seid bitte nicht ungehalten! Wollt Ihr die Güte haben und einen Blick nach hinten werfen?”

Er drehte sich um — und gewahrte, daß Arnak die Büchse auf ihn gerichtet hielt. Das half.

„Ich habe in diesem ehrbaren Kreise schon einmal davon gesprochen”, fuhr ich fort, „daß wir zweimal gezwungen waren, Eure Landsleute zu vernichten, weil sie unsere Kräfte schlecht eingeschätzt haben. Ob es noch ein drittes Mal sein muß?”

Meine überlegene Ruhe und mein Selbstvertrauen beschwichtigten sein Ungestüm. Endlich begann es ihm wie Schuppen von den Augen zu fallen. Er sah mich an, als wolle er mich mit seinem Blick vergiften.

„Euer Sargento ist ein Hitzkopf und hat nicht viel Grütze im Schädel”, bemerkte ich mit mahnender Stimme. „Wollt Ihr ihm nicht raten, er möge uns nicht dazu zwingen, seinem Leben, entgegen unserer Absicht, ein plötzliches Ende zu bereiten?” Zähneknirschend kam Don Esteban der Aufforderung nach und erteilte seinen Söldnern den entsprechenden Befehl. Nachdem die erste Erregung abgeklungen war, gewann der Spanier rasch seine Geistesgegenwart zurück und blickte unter zusammengezogenen Brauen aufmerksam um sich.

„Was wollt Ihr eigentlich erreichen?” fragte er plötzlich geradeheraus.

„Frieden und den Abschluß eines Bündnisses.”

Sein Blick bohrte sich in mich wie ein Dolch.

„Wollt Ihr spotten?”

„Nichts liegt mir ferner als das!”

„Beabsichtigt Ihr etwa, Gewalt anzuwenden?”

„Wenn es sein muß, bitte.”

„Seid Ihr nicht der Meinung, daß auch wir zu schießen verstehen?”

„Wer dürfte daran zweifeln, Don Esteban?” Durch eine höfliche Verneigung drückte ich meine Anerkennung aus. „Aber gegenüber dieser erdrückenden Übermacht wäre jeder Widerstand sinnlos. Sollte es zu einer Schießerei kommen, so wären wir zu unserem tiefsten Bedauern genötigt, euch allen das Lebenslicht auszublasen, bevor ihr ein Vaterunser herbeten könntet. Und das wäre schade!”

Eine Weile herrschte tiefes Schweigen. Don Esteban hatte begriffen, daß ich nicht nur prahlen wollte. Er bezwang die Wut in seinem Innern, die er an niemandem auslassen konnte. Als er mir wieder in die Augen sah, lag Überraschung in seinem Blick, als ob er mich zum erstenmal richtig wahrnehme und etwas Unheimliches entdeckt habe, das versteckte Bewunderung in ihm hervorrief.

„Don Juan, Ihr seid der leibhaftige Satan”, murmelte er schließlich zwischen den Zähnen. „Doch glaubt nicht, daß Ihr einen Spanier ungestraft töten könnt. Vergeßt nicht, in wessen Namen wir hier sind.”

„Na und? Ist der Corregidor in Angostura der Herrgott? Überschätzt Ihr schon wieder Eure Kräfte?”

„Mensch”, schrie der Spanier entrüstet, „Ihr befindet Euch in Venezuela, einem Lande Seiner Majestät, König Philips des Fünften!”

Ich befinde mich am Rande einer unendlichen Wildnis, in der noch niemals ein weißer Mensch seine Herrschaft ausgeübt hat!” schrie ich noch lauter als er, doch hatte ich mich gleich wieder in der Gewalt und fuhr in ruhigerem Tone fort: „Ihr sagt, dies hier sei das Herrschaftsgebiet des spanischen Königs? Weshalb benehmt Ihr Euch dann wie in einem fremden Land und plündert wie bei Feinden? Ihr scheint zu vergessen, daß Ihr in Venezuela seid!”

Ich stand auf, trat vor den Spanier hin, sah ihm durchdringend in die Augen und sagte mit Nachdruck: „Don Esteban! Genug der leeren Worte und des sinnlosen Streits. Wir sollten uns unterhalten wie gente de razon, wie vernünftige Menschen, zu denen wir uns doch zählen. Nicht von ungefähr habe ich vorhin von Frieden und Bündnis gesprochen. Mehr Vernunft, Senor, weniger Eigendünkel! Wir haben gemeinsame Feinde und gemeinsame Interessen. Das erkennt man, wenn man etwas weiter blickt als bis zur eigenen Nasenspitze. Wenn Euch wirklich das Wohl Vene-

zuelas am Herzen liegt, dann hört zu! Nehmt zur Kenntnis, daß ich die Absicht habe, gemeinsam mit diesen Indianern Eurem Land einen großen Dienst zu erweisen und seine Grenzen zu verteidigen — wenn euer Unverstand das nicht verhindern sollte.”

Ich schilderte ihm alles, was mir über die Akawois und ihren beabsichtigten Raubzug an den unteren Orinoko bekannt war. Es zeigte sich, daß auch Don Esteban bereits etwas davon gehört hatte, doch war ihm nicht bekannt, daß die Akawois nicht aus eigenem Antrieb zu diesem Überfall rüsteten, sondern durch die holländischen Plantagenbesitzer am Essequibo dazu angespornt wurden. Erst als ich Don Esteban des langen und breiten die Bedeutung dieser Pläne auseinandergesetzt und betont hatte, daß es sich dabei nicht um einen der üblichen Überfälle auf die venezolanischen Indianer handeln müsse, sondern daß die Holländer viel-leicht beabsichtigen könnten, Ländereien an der Mündung des Orinoko in Besitz zu nehmen, also Teile des Territoriums von Venezuela, blitzte es in den Augen des Spaniers auf: er hatte begriffen. Eine derartige Möglichkeit schien ihm durchaus gegeben, denn die Holländer, Engländer und Franzosen hatten es in der Vergangenheit schon einmal verstanden, in ein spanisches Land, in den südlichen Teil Guayanas, einzudringen und sich mit dem Recht des Eroberers dort festzusetzen. Und wer konnte dafür bürgen, daß die Holländer nicht das gleiche am Orinoko versuchen wollten?

„Wenn also die Akawois, die Abgesandten der Holländer, hier erscheinen sollten”, erläuterte ich dem Spanier meinen Vorschlag, „so werden wir selbstverständlich die Unantastbarkeit Venezuelas verteidigen. Wie sollen wir aber für Venezuela kämpfen, wenn ihr, die Spanier selbst, uns um fünfzig der besten Krieger schwächen wollt?”

„Das stimmt. Das ist wahr”, stimmte Don Esteban überraschend schnell zu und lachte über das ganze Gesicht. „Ich erkenne Euren Standpunkt an, er ist recht und billig.”

Da er mir so überaus schnell zustimmte, kamen mir Zweifel an

seiner Aufrichtigkeit. Dann aber durchschaute ich, warum Don Esteban so bereitwillig meinen Gedanken aufgegriffen hatte. Er sah ein, daß er umzingelt war und nachgeben mußte, und er entschloß sich für einen ehrenvollen Rückzug. Nicht einer Übermacht wich er, sondern er räumte das Feld nach sachlicher Erwägung der Umstände. Der Spanier war einfach froh, aus dieser mißlichen Situation herauszukommen, ohne etwas von seiner Würde einzubüßen. Deshalb nickte er mir zu, lächelte süß und schlug sich vor Freude mit den Händen auf die Knie.

„Wir sind also in dieser Hinsicht Verbündete der Spanier”, nahm ich das Gespräch wieder auf, „und. . .”

Meine Worte wurden durch kurze, schrille Schreie unterbrochen. Sie kamen von weither, aus der Richtung des Urwalds. Im ersten Augenblick konnte man nicht erkennen, wer sie ausstieß und warum, aber sie klangen wie spanische Wortfetzen. Ein Mann eilte auf uns zu und stieß warnende Rufe aus. Neugierig standen wir auf und blickten ihm entgegen.

„Es ist ein Spanier”, erklärte Arnak, der zur Seite getreten war, um besser sehen zu können.

„Nur einer?” fragte ich.

„Er ist allein und ohne Waffen.”

Befriedigt setzte ich mich wieder auf den Schemel und wartete, wie sich die Ereignisse weiter entwickeln würden. Im ersten Augenblick hatte ich mich gewundert, wer es so eilig habe, zu uns zu gelangen. Als ich dann aber den Gehetzten in seiner zerrissenen Kleidung wahrnahm, dem vor Angst und Anstrengung die Augen hervorquollen, und als Don Esteban entsetzt „Fernando!” murmelte, wurde mir alles klar: es war der Spanier, den ich in der vergangenen Nacht auf der Insel mit der Keule niedergeschlagen hatte.

„Ein Unglück!” schrie er schon von weitem und schnappte nach Luft. „Ein schreckliches Unglück ist geschehen!”

„Rede vernünftig”, herrschte ihn Don Esteban an.

„Die Gefangenen sind entflohen”, japste der Spanier.

„Entflohen? Das kann doch nicht sein! Wie war das möglich?” „Sie sind fort. . . Ihre Geister haben ihnen geholfen. . . Es ist eine Strafe Gottes!”

„Was für Geister? Fasle keinen Unsinn, du Halunke! Den Schädel müßte man dir abschlagen, du Tölpel! Sind alle geflohen?” „Alle, Senor.”

„Wohin?”

„Wir wissen es nicht. Sie haben die Boote mitgenommen.”

„Die Boote auch noch”, rief Don Esteban mit einer Stimme, als sei er am Ende seiner Kräfte. „Ihr Lumpen habt alle geschlafen, statt Wache zu halten!”

„Ich schwöre bei Gott, daß ich nicht geschlafen habe, ich habe gewacht!

„Der Senor Corregidor läßt euch die Knochen im Leibe brechen, so wahr ich hier stehe! Wie ist das geschehen?”

„Wir wissen es selbst nicht. Jeder von uns erhielt einen Schlag auf den Kopf und wurde sofort ohnmächtig. Als wir wieder zu uns kamen, lagen wir gefesselt im Gebüsch. Nach einiger Zeit gelang es uns, die Fesseln abzustreifen. Die Boote und die Warraulen waren weg. Böse Geister hatten ihre Hände mit im Spiel, Senor, das ging nicht mit rechten Dingen zu!”

„Idiot”, knurrte Don Esteban, warf einen wütenden, bedeutungsvollen Blick auf mich und fügte hinzu: „Ich kenne die Geister.” Fernando, der bisher keuchend und mit stockender Stimme berichtet hatte, wandte sich immer wieder in die Richtung, aus der er gekommen war, und stieß endlich hervor: „Senor comandante, der Wald wimmelt von feindlichen Indianern... sie waren hinter mir her! Sie haben Schußwaffen!”

„Haben sie auf dich geschossen?’

„Das weiß ich nicht. Aber sie besaßen Büchsen, das habe ich gesehen.”

„Waren es viele?”

„Der ganze Wald ist voll.”

Don Esteban wurde noch blasser. Er preßte die Lippen fest aufeinander und sah düster vor sich hin. Sichtlich bewegten ihn wenig erfreuliche Gedanken.

„Wir sind also in dieser Hinsicht Verbündete der Spanier”, setzte ich das Gespräch dort fort, wo ich es unterbrochen hatte. Dabei veränderte ich weder meine Stimme noch meinen Gesichtsausdruck und tat so, als habe es den Zwischenfall mit Fernando nicht gegeben. „Deshalb fordere ich, daß Ihr und der Corregidor in Angostura im eigenen Interesse meine Herrschaft über die Stämme der nördlichen Arawaken und der Warraulen anerkennt

„Auch über die Warraulen?” unterbrach mich Don Esteban und runzelte die Stirn.

„Auch über die Warraulen. Wir haben vor kurzem mit ihrem Oberhäuptling Oronapi ein Freundschaftsbündnis geschlossen und gehören zusammen wie ein Volk. Wer einem Warraulen ein Unrecht zufügt, den betrachten auch wir als Feind, gleichgültig, ob es sich dabei um einen Akawoi, einen Holländer oder — irgendeinen anderen handelt.”

Die letzten Worte sprach ich mit besonderem Nachdruck.

„Und wenn der Corregidor Eure Selbstherrschaft nicht anerkennen will?” wandte Don Esteban ein, dem die Galle überzulaufen schien.

„Dann werde ich die Herrschaft ohne sein Einverständnis ausüben!” Ich verlieh meiner Stimme einen scharfen Ton. „Und ich versichere Euch, daß von nun an — ob Ihr es wünscht oder nicht — alle Dörfer der Warraulen und der nördlichen Arawaken unter meinem persönlichen Schutz und unter dem meiner Musketen stehen.”

Als die umstehenden Indianer meine Worte vernahmen, gerieten sie in Bewegung. Sie kannten mich bereits so weit, um zu wissen, daß es kein leeres Gerede war, was ich da sagte; außerdem hatten sie im Verlauf der heutigen Ereignisse Gelegenheit gehabt, sich davon zu überzeugen, daß ich mir zu helfen wußte und, wenn es notwendig war, dem Feind meinen Willen aufzuzwingen verstand. In den Blicken, die von allen Seiten auf mich gerichtet

waren, konnte ich Achtung und große Dankbarkeit lesen. Sogar die Stammesältesten beehrten mich mit einem freundlicheren Gesicht, schielten aber gleichzeitig mit einem Auge zu Don Esteban und erwarteten, daß der hitzköpfige Spanier wütend aufspringen und auf mich losfahren werde wie ein Jaguar.

Doch nichts dergleichen geschah. Wohl bleckte er die Zähne, verzog die Lippen aber zu einem breiten Lächeln. Er erhob sich und streckte mir seinen Arm entgegen. Wir schüttelten uns die Hände.

„Wie der Corregidor darüber denkt”, rief der Spanier lebhaft, „das ist seine Sache. Ich für meine Person erkenne die Berechtigung Eurer Forderung und Eure Herrschaft über die beiden Stämme an. Ich wiederhole noch einmal: Ihr seid ein Satan, Don Juan! Es ist nicht gut, Euch zum Feind zu haben. Möge Freundschaft zwischen uns bestehen, und laßt uns ein Bündnis schließen. Verteidigt das Land gegen die Akawois, Gott sei mit Euch! Ich habe keine weitere Forderung an den Stamm!”

Er war voll überströmender Höflichkeit, schüttelte mir freundschaftlich die Hand und sah mir lachend in die Augen. Sein Blick aber blieb unergründlich fremd und ließ einen bis ins Mark erschauern.

Zum Teufel, dachte ich bei mir, sollte hinter diesen starren Pupillen bereits ein neuer Verrat geboren werden? Der Schlag soll ihn treffen mit seinem doppelten Gesicht!

Als Manauri seine Worte übersetzt hatte, gerieten die Arawaken in einen Freudentaumel. Fröhliche Rufe wurden laut und drangen bis in die letzte Hütte. Immer wieder erscholl das eine Wort: „Chu-an! Chu-an!” In rhythmischem Gleichmaß lief es durch die Reihen der Menschen. Es war mein Name, wie er im Spanischen ausgesprochen wird. Bis in den Urwald war bereits die Kunde gedrungen, daß das Unheil abgewendet war, daß die Spanier niemand nach Angostura verschleppen würden. Die dreiundzwanzig Gefangenen waren schon längst in ihre Hütten zurückgekehrt, rafften eilig ihre Waffen und die gesamte Habe zu-

sammen und machten sich mit ihren Familien auf den Weg zu unserer kleinen Siedlung.

Währenddessen ließ Koneso, der über die günstige Wendung der Dinge höchst erfreut war, für die Spanier und für unsere Sippe ein festliches Gastmahl bereiten. Ich sprach aber dem Kaschiri nur sehr mäßig zu und forderte auch die Freunde auf, wachsam zu bleiben. Es wurde getanzt und gesungen, und immer wieder rollte laut und freudig jenes „Chu-an” über den Dorfplatz. Die Mädchen Serimas gaben sich die größte Mühe. den Spaniern und den Tschaimas zu gefallen.

Koneso und Fujudi, die bereits etwas angetrunken waren, kamen auf mich zu, um mir in plumper, unbeholfener Art ihren Dank auszusprechen. Koneso deutete an, daß er den Spaniern gern etwas schenken möchte, und fragte mich, ob ich erlaube, daß er ihnen das Pferd überreiche. Ich war sofort einverstanden, denn unser Pferdchen wurde in dieser Urwaldwildnis immer unansehnlicher und magerer, und es war vorauszusehen, daß es bald ein-gehen würde. So sollte das einst von den Spaniern erbeutete Tier wieder in die Llanos zurückkehren.

Als in den Nachmittagsstunden das Fest auf dem Dorfplatz seinen Höhepunkt erreichte und immer geräuschvoller wurde, herrschte in anderen Teilen Serimas emsige, wenn auch gedämpfte Geschäftigkeit. Dort vollzog sich etwas, was der Stamm noch nicht erlebt hatte und was die Zusammensetzung der Sippen von Grund auf verändern sollte. Alle Familien, die von der ränkevollen Herrschaft des Zauberers Karapana und des nichtswürdigen Koneso bedroht gewesen waren, packten ihren Hausrat und zogen in unser Dorf, in den Schutz der Sippe des Weißen Jaguar. Niemand durfte sie daran hindern, denn in diesem Augenblick achteten alle unsere Stärke.

Kurz darauf verließ unsere Sippe das Gelage und kehrte in ihre Siedlung zurück. Ohne einen Tropfen Blutvergießen hatte uns dieser Tag einen schönen Sieg beschert, was uns mit unermeßlicher Freude erfüllte. Allen unseren Kriegern dankte ich aus ganzem Herzen, denn sie hatten sich hervorragend gehalten. Am längsten drückte ich den Prachtschützen die Hände, die mit großem Glück und Geschick die Kürbisse getroffen hatten. Auch die drei, die im Urwald so wacker geknallt hatten, lobte ich. Als wir genügend darüber gelacht hatten, daß es uns gelungen war, den Spaniern einen so gewaltigen Schrecken einzujagen, machten wir uns sofort an die Arbeit. Arnak verteilte in Vertretung des abwesenden Manauri die neu Angekommenen auf die einzelnen Hütten, und ich ließ Wagura mit mehreren Kriegern die Wachposten beziehen. Der Rest der Krieger blieb in Reserve, denn solange noch ein Spanier am Ufer des Itamaka weilte, durfte man der Ruhe nicht trauen.

Es ereignete sich aber nichts Beunruhigendes. Das Fest in Serima währte bis in die Dämmerung, worauf sich die Menschen zur Ruhe begaben, die Spanier und die Tschaimas am Flußufer neben ihren Booten, die Arawaken in den Hütten. Alle waren ermattet, übersättigt und betrunken. Als sich die Dunkelheit herniedersenkte, war alles still, bis auf die Stimmen im Urwald und im Ufergebüsch, die wie gewöhnlich zu nächtlichem Leben erwachten.



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