Der Mukuaritanz

Als wir erfuhren, daß Aripaj schwer verletzt sei, eilten sofort vier Freiwillige nach Serima, um ihn vor möglicherweise auftauchenden Rächern in Sicherheit zu bringen. Auf einer Trage schleppten sie ihn nach Kumaka, doch hing sein Leben an einem dünnen Faden.

Er war nur halb bei Bewußtsein, hielt die Augen geschlossen und schien mir abgemagert und zarter als sonst, vor allem aber war er sichtlich beruhigt. Nachdem seine blutige Aufgabe erfüllt war, hatten ihn die quälenden Dämonen verlassen, und eine tiefe Ruhe war in ihn eingekehrt. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck sanfter Ergebenheit, der geradezu ergreifend wirkte.

Er blieb nicht in Kumaka, sondern wurde sofort weitergetragen. Die Freunde errichteten ihm an einer versteckten Stelle der Halbinsel eine Hütte, versorgten die Familie mit Nahrungsmitteln und überließen ihn der Fürsorge seiner Frau. Er sollte bis zu seiner Genesung in der Einsamkeit bleiben, damit er, falls die Masern in ihm steckten, die Krankheit nicht nach Kumaka einschleppte.

Eine der wichtigsten arawakischen Zeremonien war der Mu-kuaritanz, der immer dann getanzt wurde, wenn ein Todesfall in der Sippe eingetreten war. Er diente dem Zweck, die Seele des Verstorbenen von den menschlichen Siedlungen fernzuhalten, damit sie den Lebenden keinen Schaden zufügen könne. Der Tod des Zauberers ging mehr oder weniger alle im Stamm an, weshalb auch in Kumaka beschlossen wurde, nicht von dem Brauch abzuweichen und den Mukuari zu tanzen.

Gewöhnlich fand die Zeremonie möglichst bald nach dem Eintreten des Todes statt, doch diesmal mußte die Feierlichkeit verschoben werden; denn einer unserer Fischer hatte im Orinoko eine Insel entdeckt, auf der zu dieser Zeit Tausende der großen Flußschildkröten ihre Eier legten. Diese Nachricht brachte ganz Kumaka auf die Beine, denn Schildkröteneier gehören zu den beliebtesten Leckerbissen der Indianer. Man einigte sich daher, daß die Auseinandersetzung mit der Seele des Toten erst nach der Rückkehr von der Schildkröteninsel stattfinden werde.

Fast die Hälfte der Einwohner Kumakas beteiligte sich an der Fahrt, ganze Familien waren darunter. Während der Legeperiode, die in dieser Gegend in die Monate Januar und Februar fiel, vereinigten sich die Schildkröten zu riesigen Herden, suchten eine entlegene, sandige Insel auf und verließen des Nachts den Fluß. Sie legten die Eier in Vertiefungen und bedeckten sie so geschickt mit Sand, daß die anderen Tiere, denen es nach dieser Spezialität gelüstete, nichts davon bemerkten. Oft schwammen die Schildkröten mehr als fünfzig Meilen weit, um auf dieser einen Insel das Schicksal ihrer Nachkommenschaft den wärmenden Sonnenstrahlen anzuvertrauen.

Auf einer solchen Insel hatte der Fischer im Sand Spuren gefunden, die zu den Legestätten der Schildkröten führten, und nun brachen unsere Boote dorthin auf. Als die Jäger nach zwei Wochen zurückkehrten, verkündeten ihre freudigen Gesichter schon von weitem, daß die Expedition erfolgreich verlaufen sei. In der Tat füllte eine gelbe, gallertartige Masse zwei Jabotas fast bis zum Rand.

Als ich diese Masse Eigelb erblickte, fuhr ich mir entsetzt an den Kopf.

„Das sind bestimmt mehr als zweitausend Eier”, rief ich verwundert aus. „Ihr werdet die Schildkröten ausrotten, wenn ihr die Brut auf diese Weise vernichtet.”

„Alle Stämme am Orinoko sammeln seit undenklichen Zeiten in jedem Jahr die Eier, und Schildkröten gibt es immer noch”,

erklärte mir Mabukuli, der Häuptling der Sippe der Schildkröte, und zerstreute damit meine Bedenken.

Es gab noch einen zweiten Grund zur Freude; und zwar hatte die Seuche in Serima ihren Höhepunkt überschritten. Als habe zwischen dem Zauberer und der Krankheit eine teuflische Verbindung bestanden, traten seit dem Tode Karapanas keine neuen Erkrankungen mehr auf. Die Kranken genasen langsam, und wenn auch noch einige Kinder starben, so ging doch die Seuche ganz offensichtlich zurück wie der Fluß nach einem Hochwasser. Die Menschen fühlten sich von Tag zu Tag kräftiger und schöpften neuen Mut. Den vierten Teil der erwachsenen Einwohner Serimas hatte die Krankheit dahingerafft, auch fast alle Kinder bis zu fünf Jahren waren gestorben.

Am Rande Kumakas zog sich ein Hain aus Buritipalmen hin. Hier, unweit des Seeufers, sollte am dritten Tag nach der Rückkehr von der Schildkröteninsel die Mukuarifeier ihren Anfang nehmen. Ein ganzer Tag war dafür vorgesehen, und für das abschließende Festmahl wurden verschiedene Speisen aus Schildkröteneiern zubereitet sowie zahlreiche Gefäße mit dem unentbehrlichen Kaschiri aufgestellt.

Im Morgengrauen dieses Tages wurde ich durch das dumpfe Dröhnen der Trommeln aus dem Schlaf gerissen, das aus verschiedenen Richtungen kam und viele Stunden lang nicht mehr verstummen sollte. Plötzlich erschien ein teuflisches Gespenst in meiner Hütte. Es trug eine Maske, die ein abstoßendes Scheusal mit Raubtierzähnen darstellte. Schweigend vollführte es schreckeinflößende tänzerische Bewegungen, als wolle es mir Angst einjagen. An dem leichten Hinken des linken Beines erkannte ich den Ankömmling.

„Arasybo”, sagte ich, „reiße hier keine Possen!”

Der Indianer hörte auf zu tanzen und nahm die Maske vom Kopf.

„Der Weiße Jaguar läßt sich nicht betören.” Die Worte des Hinkenden drückten Anerkennung aus, gleich darauf fügte er mit geheimnisvoller Stimme hinzu: „Aber auch Arasybo ist heute nicht irgendwer.”

„Weil er sich als Scheusal verkleidet hat?’ fragte ich und deutete auf seine Maske.

„Deshalb nicht, beim Tanz verbergen alle ihren Kopf unter einer Maske. Ich bin aber heute der Vortänzer beim Mukuari, das ist eine große Ehre.”

Erst jetzt gewahrte ich in dem häßlichen Gesicht einen verbissenen Ausdruck absonderlichen Stolzes. Der Indianer entnahm einem Säckchen, das von seinem Gürtel herabhing, zwei Marakas, jene Symbole der Herrschaft, die jeder Zauberer sein eigen nannte. Er schwang sie über seinem Kopf und versetzte sie in schnelle Bewegung. Die Steinchen in ihrem Innern rasselten scharf und herausfordernd. Genauso herausfordernd war der Blick Arasybos, den er aus seinen schielenden Augen auf mich heftete, während seine Beine fortwährend trippelnde Tanzschritte ausführten.

„Oho!” Ich pfiff vor Verwunderung durch die Zähne. „So hoch hinaus willst du? Es gelüstet dich nach der Würde des Zauberers?’ „Die Arawaken haben ihren Zauberer verloren”, antwortete er in singendem Tonfall, ohne das Rasseln zu unterbrechen. „Die Arawaken brauchen aber einen Zauberer.”

„Meinst du wirklich, Freund?” äußerte ich zweifelnd.

„Sie brauchen einen, o ja, sie brauchen einen”, versicherte er und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. „Wer hat denn den bösen Zauberer, deinen Feind, getötet?”

„Du?”

„Wer hat die Hand Aripajs geführt? Wer hat den Schädel des Jaguars aufgestellt?”

„Du? Das ist doch mein Schädel.”

„Aber meine Hand hat ihn an der Stange befestigt. Und wer ist dein ergebener Freund, Weißer Jaguar?”

„Du?”

„Muß ich dir nicht dankbar dafür sein, daß du mich unter dem

Geierberg in Schutz genommen hast, als die anderen mich allein zurücklassen wollten? Hast du nicht das kurze Bein des Hinkenden verlängert?”

Den gleichen Ton anschlagend, fragte ich ihn fröhlich schmunzelnd: „Und wer hat Lasanas Kind vor dem Gift gerettet und meine Seele vor Schande bewahrt?”

Arasybo ließ ein heiseres, krächzendes Lachen hören, legte die Marakas in das Säckchen zurück, stülpte sich die Maske über den Kopf und verschwand ohne ein weiteres Wort aus der Hütte. Offensichtlich hatte er sich am Morgen dieses für ihn so wichtigen Tages von meinem Wohlwollen überzeugen wollen.

Kurz darauf brachte Lasana das Frühstück. Sie bewohnte mit ihrer Mutter und dem Kind eine Hütte dicht neben meiner Behausung, genauso wie es vorher bei Serima gewesen war. Als sie eintrat, schien es heller zu werden in meiner Hütte. Ich betrachtete sie in stummer Bewunderung. So hatte ich sie noch nie gesehen: Ihren nackten Oberkörper schmückten zahlreiche Schnüre, die mit bunten Früchten verziert waren, und leuchtendrote Gebinde duftender Blüten lagen um ihren Hals. Lasana war schlank wie kaum eine andere Indianerin. Ihre Taille war so schmal, daß zwei Männerhände sie beinahe umfassen konnten. Ihr Körper, der mit dem Öl verschiedener Pflanzen eingerieben worden war, verbreitete einen angenehmen Duft. Schwarze, in Kokosmilch gewaschene Haare umrahmten ihr Gesicht, in dem der wohlgeformte Mund zu einem lieblichen Lächeln erblühte, und der Blick ihrer Augen war einfach bezaubernd.

Als die Sonne, die gerade über dem jenseitigen Seeufer aufgegangen war, die anmutige Gestalt Lasanas in rosiges Licht tauchte, empfand ich deutlich, daß die Indianerin nie so schön gewesen war wie am heutigen Morgen.

Obgleich ich kein Wort sprach, konnte es einem Beobachter nicht schwerfallen, mein freudiges Entzücken zu bemerken. Lasana hatte die breitrandigen Blätter mit dem Frühstück niedergelegt, ging aber nicht hinaus. Mit erhobenem Haupt stand sie in der Mitte der Hütte und freute sich schweigend über den Eindruck, den sie auf mich machte.

Ich brachte kein Wort heraus und fragte nur mit den Augen nach dem Grund dieser ungewöhnlichen Pracht. Sie hielt es nicht mehr aus und unterbrach das Schweigen.

„Heute ist ein großer Tag für mich”, flüsterte sie.

„Für dich auch?” platzte ich heraus. „Das ist schon der zweite Fall an diesem Morgen.”

„Heute ist mein Festtag”, wiederholte sie ernst.

„Doch nicht etwa wegen des Mukuari? Soviel ich weiß, nehmen keine Frauen daran teil, sondern nur die Männer.”

„Nein.. . Ich ziehe um.”

„Wohin, Lasana?”

„In deine Hütte.”

Ich sah ihr in die Augen. Es war keine Spur von Spott darin zu entdecken. Sie hatte es so ruhig und sicher ausgesprochen, als handle es sich um eine Kleinigkeit.

„Gut. Das ist gut so.” Ich fiel in den gleichen sachlichen Ton. „Meine Hütte ist geräumiger als eure, sie bietet. . .”

„Das ist es nicht’, unterbrach sie mich und schüttelte den Kopf. „Von heute abend an bin ich deine Frau.”

„Hoho, sieh einmal an! So ganz im geheimen hast du die Anordnungen getroffen und niemand um die Zustimmung gefragt?” „Doch, ich habe gefragt.”

„Wen, mich?”

„Ich habe mit Manauri gesprochen. Er ist einverstanden.”

„So, er ist einverstanden! Und ich? Mich braucht man nicht zu fragen, wie?”

„Dich. . . Du hast doch . . . Ich dachte, Jan. . .”

Sie war ratlos und geriet völlig aus der Fassung. Nun führte ich sie an der Nase herum und tat, als habe mich ihre Absicht äußerst überrascht. Mein verwundertes Gehaben mußte fast beleidigend wirken. Sie wußte sich dieses Benehmen nicht zu erklären. Allerdings war es nicht zum erstenmal, daß sie ihre ge-

wohnte Sicherheit verlor. In ihren Augen zeigten sich Fünkchen aufsteigender Empörung. Endlich sprach sie: „Wenn du mir deine Hütte verweigerst, so kann ich ...”

„Aber nein, ich bitte dich!” Ich heuchelte erbarmungslosen Spott. „Natürlich kommst du zu mir. Du kannst dann das Essen hier zubereiten und brauchst es nicht von draußen hereinzutragen. Das ist besser so.

Eine senkrechte Falte auf der Stirn der jungen Frau zeigte an, daß ein Gewitter im Anzug war. Der ehrliche Zorn und das schmerzliche Empfinden, das ihr braunes Gesicht widerspiegelte, ließen sie nicht weniger schön erscheinen.

„Mein Essen wird dir immer schmecken, du sollst bei mir nicht hungern”, erwiderte sie mit beleidigter Stimme, fügte jedoch angriffslustig und mit blitzenden Augen hinzu: „Und deine Söhne, Weißer Jaguar, die werde ich so füttern, daß stattliche Krieger aus ihnen werden. Wenn du es nicht glaubst, dann sieh her!”

Sie schob die Blumengewinde zur Seite, die von ihrem Hals herabhingen, und deutete mit einer erregten Gebärde, die in ihrer Natürlichkeit und unschuldigen Anmut ergreifend wirkte, auf ihre gesunden, vollen Brüste.

Ich brachte es nicht über mich, den Bogen noch weiter zu spannen. Mit einem Sprung war ich an ihrer Seite, lachte ihr zu und fuhr mit der linken Hand in ihr lockiges Haar. Ich schüttelte sie leicht und drückte ihre Wange an die meine.

„Nicht erst heute abend wirst du meine Frau werden”, flüsterte ich. „Jetzt, von diesem Augenblick an will ich dein Mann sein!”

Als ich sah, mit welcher unbeschreiblichen Erleichterung sie meine Worte aufnahm, fügte ich scherzend hinzu: „Aber eines mußt du mir versprechen: Über ernste Dinge werden wir stets gemeinsam entscheiden.”

Im Palmenhain wurde für die Ältesten ein Toldo aufgebaut. Von hier aus konnte man, im Schatten des breiten Daches sitzend, den Verlauf der Festlichkeit gut verfolgen. Gegen Mittag machte ich mich in Gesellschaft Lasanas auf, um das Schauspiel zu ge-

nießen. Nach den Gesetzen des Brauches war es Frauen nicht gestattet, sich dem Schauplatz zu nähern, doch ihr, die außergewöhnliches Ansehen genoß, standen auch außergewöhnliche Rechte zu. Jeder in Kumaka wußte bereits, daß heute „ihr” Tag war, und alle bedachten sie mit wohlwollenden und achtungsvollen Blicken.

Der Mukuari war seit Stunden in vollem Gange. Dieser Tanz hatte nur wenig mit den üblichen Tanzzeremonien gemeinsam, und wenn auch die Teilnehmer nach dem dröhnenden Takt der Trommeln tänzerische Bewegungen ausführten, so bestand doch das eigentliche Wesen des Tanzes in etwas anderem, nämlich im

gegenseitigen Austeilen von Schlägen. Die Tänzer trugen mannigfaltige Masken und schlugen während des Tanzens mit dornenbesetzten Ruten aufeinander ein. Das Ziel der Festlichkeit war klar: Einmal sollte die Seele des Toten besänftigt werden, indem ihr vor Augen geführt wurde, welch großes Leid dessen Hinscheiden Lebenden bereitet habe, zum andern — und das war das Hauptanliegen — sollten die ständigen Schläge die Seele von den Menschen fernhalten, falls sie diesen gegenüber böse Absichten hegte. Alle erwachsenen Männer mußten an dem Tanz teilnehmen der ohne Unterbrechung den ganzen Tag währte.

Die sich windenden und schlagenden Ungeheuer vor Augen, den keinen Augenblick verstummenden aufpeitschenden Rhythmus der Trommeln im Ohr, war niemand fähig, sich dem Eindruck entziehen, den das Schauspiel hervorrief. Es riß alle Anwesenden mit wie ein Wirbel, beherrschte die Seelen und rief eigenartige Stimmungen wach. Die Menschen standen völlig im Banne des Geschehens.

Nachdem ich lange den Tänzen zugesehen hatte, fragte ich Ma nauri, der neben mir saß: „Alle müssen den Mukuari tanzen? Gibt es keine Ausnahme?”

"Nein! Alle, die dem Knabenalter entwachsen sind, müssen daran teilnehmen. Ich habe am frühen Morgen getanzt, gleich zu Beginn"



„Und ich?”

„Du, Jan?” Er überlegte.

Unter dem Toldo saßen noch mehrere Älteste, Mabukuli, das Haupt der Schildkrötensippe, Jaki, der Häuptling der Arakangas, und Konauro, der Älteste der Kaimansippe. Sie begannen die Frage zu erörtern, ob ich verpflichtet sei, am Tanz teilzunehmen, oder nicht. Sie konnten zu keinem klaren Urteil gelangen. Zwar war die Seele des toten Zauberers mächtig gewesen, und er hatte alle Böswilligkeiten aufgeboten, um mich zu vernichten, doch hatten sich eben meine Zauber als die stärkeren erwiesen und ihn schließlich überwunden. Sollte mir die Seele des Zauberers jetzt noch gefährlich werden können?

„Sie kann ihm nichts anhaben”, antworteten einige der Ältesten, die von meiner Macht überzeugt waren, andere wiegten den Kopf hin und her.

Lasana, die hinter mir saß, verfolgte das Gespräch sehr aufmerksam, ohne selbst ein Wort zu sagen. Ich drehte mich um und richtete die Frage an sie: „Und du, was meinst du dazu?”

„Es ist deine Pflicht, zu tanzen”, erwiderte sie ohne Zögern. „Du glaubst, daß seine Seele mir Schaden zufügen könnte?’ „Das glaube ich nicht. Seine schmutzige Seele kann dem Weißen Jaguar nichts anhaben”, erklärte sie mit Bestimmtheit. „Warum soll ich also tanzen?”

„Um zu beweisen. . .”, sie schwieg einen Augenblick und suchte nach den geeigneten Worten, „daß du mit Leib und Seele zu uns gehörst.”

Ein Murmeln der Anerkennung lief durch die Reihen der Ältesten, und einer sprach die lobenden Worte: „Eine kluge Frau!” „Also gut!” Ich war einverstanden und forderte Lasana auf, das Jaguarfell herbeizubringen.

Nachdem sie zurückgekehrt war, streifte ich das Fell über und band mir eine Liane um die Hüfte, damit sich die Hülle während des Tanzens nicht vom Körper löse. Mein Kopf verschwand im Schädel des Jaguars, nur vorn verblieb eine kleine Öffnung für die Augen und den Mund. Man reichte mir eine starke Gerte, doch verlangte ich noch eine zweite für die linke Hand.

„Gleich zwei ist auch gut’, willigte Manauri ein und belehrte mich: „Denke daran, je fühlbarer du einen triffst, um so besser und schützender ist es für ihn.”

Die Tänzer wünschten mir sichtlich den „allergrößten Schutz”, denn kaum hatten sie am Fell des Jaguars erkannt, wer in ihren Kreis getreten war, als mich mehrere zugleich umsprangen. Ich hielt sie mir vom Leibe, so gut ich konnte, und bedachte diesen und jenen ärgerlich mit einem derben Streich. Dennoch empfing ich selbst genügend Prügel. Das Fell reichte mir nur bis zu den Waden, die Füße waren nackt. Die Indianer hatten meine schwache Seite bald entdeckt und vereinigten ihre Bemühungen nun auf diese Stelle. Um wenigstens einigen Hieben zu entgehen, sprang ich wie rasend nach allen Seiten, ohne dabei aus dem von den Trommeln angezeigten Takt zu fallen.

Trotz des scheinbaren Durcheinanders verlief der Tanz in einer festen Ordnung. Die Tänzer bewegten sich in einem Kreis von etwa dreißig Schritt Durchmesser. Wer den Kreis einmal um-tanzt hatte, war seiner zeremoniellen Pflicht nachgekommen. Als ich daher wieder vor dem Toldo angelangt war, teilte ich wütend links und rechts die letzten Hiebe aus und brachte mich dann mit einigen großen Sprüngen in Sicherheit.

Als wollten mir die Trommeln danken, verstärkten sie für kurze Zeit ihr Dröhnen und steigerten sich zu einem wahnsinnigen Tempo; dann kehrten sie zu dem gewohnten Rhythmus zurück, und ich nahm wieder meinen Platz unter dem Toldo ein. Alle spendeten mir Lob.

Am glücklichsten war Lasana, sie war zutiefst bewegt. Meine Füße waren an vielen Stellen aufgerissen, auch auf der Wange klafften zwei tiefe Schnitte. Während die Risse an den Füßen von selbst zu bluten aufhörten, entfernte Lasana mit der Zunge so oft das Blut von meiner Wange, bis die Wunden eintrockneten. Als ich sie so betrachtete, wie sie sich besorgt zu mir herabneigte, schweiften meine Gedanken um einige Wochen zurück. Damals hatte sie das Schlangengift aus meiner Wunde gesaugt und mir das Leben gerettet. Plötzlich überkam mich ein so starkes Zärtlichkeitsgefühl für diese Frau, daß ich mich gewaltsam zurückhalten mußte, um sie nicht in den Arm zu nehmen und an mich zu pressen.

In diesem Augenblick traten mehrere Indianer zu uns heran und fragten die Ältesten, wer nun die Stelle des Zauberers einnehmen solle.

„Sobald der Mukuari beendet ist’, antwortete Manauri, „rufen wir alle Bewohner Kumakas zur Beratung und beschließen, wen wir als Zauberer haben wollen.”

„Wir wissen bereits, wen wir haben wollen”, brüsteten sich die Krieger. „Wir wollen Arasybo.”

„Wir müssen auch die Einwohner Serimas fragen”, gab der Oberhäuptling zu bedenken.

„Es gibt niemand in Serima, der sich dafür so eignen würde wie Arasybo”, entgegneten die Männer überzeugt. „Wir wollen Ara-sybo. Oder hast du etwas gegen ihn, Manauri?’

Der Tanz hatte die Indianer erregt, sie waren erhitzt und eigensinnig. Manauri warf mir einen fragenden Blick zu.

„Muß denn überhaupt ein neuer Zauberer gewählt werden?” fragte ich mit biederer Miene.

„Auf jeden Fall, er muß gewählt werden”, versicherten alle. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß der Stamm keinen Zauberer haben solle.

„Ich bin überzeugt, daß für uns, für die Sippe des Weißen Jaguars, ein Zauberer überflüssig ist”, sagte ich laut.

„Ja, für unsere Sippe”, entgegnete Manauri und spitzte ein wenig die Lippen.

Die Häuptlinge der übrigen Sippen nahmen diese Worte mit gemischten Gefühlen auf. Sie empfanden sie als überheblich, und Mabukuli, der Häuptling der Schildkrötensippe, sonst ein enger Freund Manauris, stellte diesem aufgeregt und angriffslustig die Frage: „Du bist also der Meinung, die anderen Sippen sind schlechter als eure?”

„Nein, Mabukuli, sie sind nicht schlechter, aber unsere Sippe hat größere Erfahrungen. Sie mußte in der Sklaverei schwere Prüfungen bestehen und ist zu einer festen Gemeinschaft geworden, das kannst du nicht leugnen.”

„Ich habe nicht die Absicht, das zu leugnen”, lenkte Mabukuli knurrend ein.

Manauri sah wieder zu mir herüber und fragte mich dann: „Was meinst du also, Weißer Jaguar?”

„Wenn der Stamm einen Zauberer haben muß, wie alle hier behaupten, dann kommt Arasybo als erster dafür in Frage, erklärte ich zur allgemeinen Befriedigung der Krieger.

„Auch ich bin dieser Ansicht”, pflichtete mir Manauri bei.

Froh, ihren Wunsch erfüllt zu sehen, liefen die Indianer auseinander, und kurz darauf wußte bereits ganz Kumaka, daß Arasybo der neue Zauberer des Stammes sein werde.

Unter dem Toldo herrschte Schweigen. Aus dem Gesicht Ma-nauris war die Fröhlichkeit verschwunden, er machte einen müden Eindruck. Während er mit den Augen die Bewegungen der Mukuaritänzer verfolgte, schienen seine Gedanken sich mit Dingen zu beschäftigen, die weitab von dem Geschehen im Palmenhain lagen. Er verspürte einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten, die er auf dem dornigen Pfad des Stammeshäuptlings zu erwarten hatte. Nach einiger Zeit beugte er sich zu mir herüber und flüsterte: „Es hat schon begonnen. Arasybo lenkt die Menschen, wie er sie haben will.” Ich hörte das Klagende aus seiner Stimme heraus.

„Arasybo bleibt dir treu”, erwiderte ich überzeugt.

„Wie lange?” Um seine Mundwinkel spielte ein bitteres Lächeln. Wie ich schon einmal erwähnte, hinterließ der Mukuari bei allen, die diesem Tanz längere Zeit zusahen, einen tiefen Eindruck. Die Menschen unterlagen einer Art Betäubung und versanken in einen traumähnlichen Zustand des Nichtstuns, der süß und quälend zugleich war. Ich versuchte, die Ursache dafür zu er-gründen, und erkannte, daß der Mukuari auch ein berauschendes, zügelloses Spiel der prachtvollsten Farben darstellte. Masken und Gewänder der Tanzenden waren größtenteils aus Vogelfedern geflochten. Der ganze bunte Reichtum der Natur war auf diesem Tanzplatz eingefangen. Eine unbeschreibliche Fülle funkelnder Farbtöne wogte auf und ab und bezauberte Auge und Sinne der Menschen.

Als ich meine Gefährten darauf hinwies und nicht mit bitteren Vorwürfen sparte, daß zur Versöhnung des toten Schuftes Kara-pana so viele schöne Vögel des Waldes ihr Leben lassen mußten, gaben mir die Ältesten mit aufrichtigem Bedauern recht, breiteten aber zum Zeichen der Ratlosigkeit die Hände aus, und Jaki, der Häuptling der Arakangasippe, erwiderte halb scherzend, halb ernst: „Wie du siehst, ist es eben das Los der Vögel, die Menschen zu Feinden zu haben.”

„Die Menschen Feinde der Vögel?” rief ich verwundert aus.

„So ist es.” Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Die Vögel haben sich schwer vergangen an den Menschen.”

„Es ist sonderbar, was du da behauptest, Jaki!”

„Es ist auch eine sonderbare Geschichte. Wenn du Lust hast, will ich sie dir gern erzählen.”

Er kam näher heran und ließ sich unmittelbar vor Lasana nieder. Die Gedanken sammelnd, strich er sich mit der Hand über Mund und Kinn. Endlich begann er: „Wie du weißt, leitet sich unsere Sippe von den Arakangas ab, und du hast schon mehr als einen dieser Vögel gesehen und deren schönes Gewand bewundert. Es sind die größten unter unseren Papageien, ihr Gefieder ist scharlachrot wie frisches Blut, und ihre Flügel sind blau wie der strahlend weite Himmel. Dieser Vogel, das Zeichen unserer Sippe, gilt als der kühnste, und wie er seine Kühnheit bewies, das sollst du nun hören.”

Und Jaki erzählte mir folgende Geschichte: „Vor langen, langen Zeiten war das Leben einfach, alle Vögel waren gleichmäßig grau gefärbt, und zwischen den Menschen und den Tieren herrschte brüderliche Eintracht. Alle lebten wie eine große Familie. Und doch gab es einen Feind, der dieses friedliche Leben bedrohte — eine riesengroße Wasserschlange, ein Untier mit wunderbar bunt gefärbtem Körper, das von einer unglaublichen Freßgier besessen war. Es verließ oft das Dunkel des Wassers, kroch auf das Land und richtete unter den Tieren und unter den Menschen schreckliche Verheerungen an, indem es alles auffraß, was ihm in den Weg kam.

Eines Tages war das Maß des Leides voll, und es entstand der verzweifelte Gedanke, das Scheusal zu töten. Doch, wie schon gesagt, war die Schlange riesengroß und von unüberwindlicher Kraft. Wer sollte also als erster dem allgewaltigen Beherrscher entgegentreten? Dem Verwegenen winkte als Lohn die schöne, schillernde Haut des Untiers, doch hatte jeder Angst um seine eigene Haut und zögerte. Die Menschen verließen sich auf die Tiere, die Tiere auf die Vögel; alle gaben sich gegenseitig gute Ratschläge und spornten einander an, doch wollte keiner als erster zuschlagen. Es war eine Schande, diese Mutlosigkeit zu sehen und alle die feigen Ausflüchte anzuhören.

Schließlich konnte der tapfere Arakanga die Schmach nicht mehr ertragen und meldete sich freiwillig.

,O Arakanga', kreischten die Adler und die Geier schmeichelnd, ,du hast einen starken Schnabel, dir wird es am ehesten gelingen, du bist ein Held!'

,Tapferer Arakanga', ließen sich die Menschen vernehmen, ,du erwirbst dir Ruhm für ewige Zeiten!'

Sie schmeichelten seinem Stolz, priesen ihn himmelhoch, lobten und feierten ihn, damit er als erster die Schlange angreifen solle. Er wäre aber auch ohne die schönen Worte gegangen, denn er besaß ein tapferes Herz.

Der Arakanga wartete einen Augenblick ab, in dem das Untier dicht unter der Oberfläche des Wassers schlief, nahm einen Pfeil in den Schnabel, der am Ende eines langen Strickes befestigt war, holte tief Luft, tauchte und stieß den Pfeil tief in den Körper des Würgers. Die am Ufer versammelte Menge begann aus allen Kräften an der Leine zu ziehen, und es gelang den Menschen tatsächlich, die Schlange ans Ufer zu bringen. Dort fielen sie in Haufen über den Feind her und töteten ihn.

Als das Ungetüm zu ihren Füßen lag, blinkte seine Haut in allen Farben des Regenbogens, als wäre sie mit Edelsteinen besetzt. Alle betrachteten sie mit begehrlichen Blicken, am gierigsten waren die Menschen. Sie waren es, die trotz der Abmachung die Schlangenhaut für sich gewinnen wollten, und als der Arakanga seinen Lohn verlangte, fuhren sie ihn an: ,Du, ein Vogel, willst die schwere Haut dieser großen Schlange emportragen? Die überlasse uns, den Starken, und mach, daß du wegkommst!'

Der Arakanga aber wollte nicht auf seinen Lohn verzichten. Er rief viele andere Vögel zu Hilfe, und mit vereinten Kräften konnten sie das tote Scheusal an eine entlegene Stelle entführen. Flüche und laute Racheschwüre der wütenden Menschen schollen hinter ihnen her.

Die Vögel, die bis dahin, wie bereits bekannt, alle das gleiche graue Gefieder trugen, zerlegten die erbeutete Haut in lauter kleine Stücke, die gerecht verteilt wurden. Jede Gattung erhielt ein oder mehrere Teile, um sich damit auszustatten. Daher haben die Vögel ihr buntes Kleid, und der farbenprächtigste ist der Arakanga, weil er, wie er es verdient hatte, die schönsten Stücke der Haut erhielt.

Die wütenden Menschen aber konnten ihren Zorn nicht vergessen und rächten sich lange Zeit an den Vögeln, indem sie diese auf Schritt und Tritt verfolgten. Auch heute noch, obwohl der Rachedurst inzwischen geschwunden ist, stellen die Jäger eifrig den Vögeln nach, und wenn sie einen erblicken, so ist ihr erster Gedanke, wie sie ihn erlegen können.

So verhält es sich”, schloß Jaki seine Erzählung, deutete auf die bunten Federgehänge, mit denen die Masken der Tanzenden überzogen waren, und fügte hinzu: „Und hier, Weißer Jaguar, hast du die Nachkommenschaft jener heldenhaften und traurigen Ereignisse vor Augen: Die Vögel besitzen ein buntes Gefieder, und die Menschen töten die Vögel, wo sie können. Wir von der Ara-kangasippe, die den Vögeln zugetan ist, sind leider nicht imstande, die Menschen davon abzubringen."

Jaki war ein guter Erzähler, und alle unter dem Toldo hörten ihm aufmerksam zu, obgleich ihnen die alte Fabel sicher nicht fremd war. Als er geendet hatte, fühlten wir uns angenehm belebt, und Manauri ließ Kaschiri bringen, um die Kehlen zu spülen. Das eigentliche Trinkgelage sollte erst am nächsten Tage beginnen, wenn der Mukuari vorüber war.

Immer öfter betrachtete Manauri Lasana und mich mit eigenartigen beredten Blicken, wobei ein schlaues Lächeln seine Lippenumspielte. Schließlich sprach er: „Heute erleben wir den Festtag unserer beiden Freunde hier. Lasana hat mich aber inständig gebeten, diesen Tag so bescheiden wie möglich, ohne die üblichen Feierlichkeiten, verlaufen zu lassen — und ich habe zugestimmt. War es richtig, daß ich dazu meine Zustimmung gegeben habe?”

„Du möchtest uns wohl gern der Ameisenprobe unterwerfen, wie?” rief Lasana spöttisch und herausfordernd.

„Wenn auch nicht der Ameisenprobe, so doch einigen kleinen Zeremonien.”

„Denke daran, Häuptling’, unterbrach sie ihn, „daß er fremd ist und unsere Zeremonien nicht für ihn geschaffen sind.”

„Hast du nicht gesehen, wie er vor einer Weile selbst aufsprang und wie schön er den Mukuari tanzte? Er soll fremd sein?”

Den Tanz hatte ich getanzt, fremd war ich nicht, das mußte sogar Lasana zugeben. Übrigens drängte Manauri nicht weiter und ging auf ein anderes Thema über. Er benahm sich etwas rätselhaft und erklärte, daß auch er uns mit einer Erzählung erfreuen möchte. Ohne Umschweife begann er:

„Der große Jäger und Urvater der Arawaken, Makanauro, stellte einmal voller Empörung fest, daß ein verwegener Geier ihm stets

das Wild aus den Netzen stahl. Da beschloß er, den Räuber zu bestrafen, und legte sich auf die Lauer. Als der junge Königsgeier wie gewöhnlich herbeigeflogen kam, um die sichere Beute zu fassen, sprang Makanauro aus seinem Versteck und ergriff ihn. Doch kaum hatte er den Vogel mit seiner Hand berührt, da verwandelte sich dieser in ein schönes Mädchen, das ihm liebreich zulächelte.

Freudestrahlend nahm der Jäger die Gefangene mit sich und machte sie zu seiner Frau. Beide entbrannten in Liebe zueinander und waren glücklich. Obwohl sich Makanauro wie im Paradies fühlte, mahnte ihn nach einiger Zeit sein Gewissen immer stärker, daß er mit dieser Frau ohne Wissen und ohne Einverständnis ihrer Eltern lebe — so groß war schon damals die Achtung der Arawaken von den geheiligten Bräuchen und Grundsätzen. Da auch die Frau von großer Sehnsucht nach den Ihren erfüllt war, machten sie sich eines Tages auf den Weg in ihre Heimat.

Die junge Frau des Jägers hatte nur noch die Mutter. Es war Akatu, die strenge Gebieterin über alle Königsgeier. Makanauro wurde an ihrem Hof nicht gerade freundlich empfangen und mußte schwer arbeiten, um sich das Herz der Schwiegermutter zu erkaufen. Er schaffte so viel Wild aus dem Wald herbei, daß alle Geier sich fettfraßen und ständig Gastmähler auf seine Kosten veranstalteten. Akatu genügte dies nicht, sie wollte den ihr widerwärtigen Schwiegersohn loswerden und forderte deshalb von ihm die Erfüllung mehrerer Aufgaben, die weit über die menschlichen Kräfte hinausgingen. Makanauro war aber nicht nur ein über alle Maßen geschickter und erfahrener Jäger, sondern auch ein Zauberer. So kam es, daß er auch den Auftrag erfüllte, in einem geflochtenen Korb Wasser aus dem Fluß herbeizutragen. Die Waldameisen eilten ihm zu Hilfe, verklebten die Öffnungen des Geflechts mit Lehm, so daß kein Tropfen Wasser herauslief Dann wurde ihm die Aufgabe gestellt, einen bestimmten Waldstreifen abzuholzen, und zwar in einer so kurzen Zeit, daß fünf starke Männer damit nicht fertig geworden wären. Er machte sich an die Arbeit, und da ihn wiederum verschiedene Tiere des Waldes unterstützten, die großen Käfer, die Igel, die flinken Spechte und viele Nagetiere, so erfüllte er auch diese Aufgabe. Schließlich befahl Akatu, er solle ein getreues Abbild ihres Kopfes schaffen, was unmöglich war, da sie in ihrer Hängematte lag und den Kopf ständig unter einer Decke verborgen hielt. Wiederum waren es die dem Jäger freundlich gesinnten Ameisen, die herbeieilten und Akatu am ganzen Körper fürchterlich zu beißen begannen. Als sie es nicht mehr aushielt und ungeduldig die Decke lüftete, konnte er ihr Gesicht erblicken und schnitzte es geschickt aus einem Stück Holz.

Er erfüllte alle Verpflichtungen, die ihm als Schwiegersohn aufgetragen wurden, und er tat es gern, da er der Schwiegermutter das Recht zuerkannte, für die Tochter einen bestimmten Kaufpreis zu verlangen. Nun war den Gesetzen des Brauches Genüge getan. Akatu aber, die keine Möglichkeit mehr hatte; ihm die Tochter zu verwehren, konnte sich damit nicht abfinden und beschloß, ihn zu töten. Durch eine List lockten ihre Geier den Jäger in eine hohe Einfriedung, um ihn mit ihren Schnäbeln zu zerfleischen. Nur weil er sich im letzten Augenblick in eine Fliege verwandelte und unbemerkt davonfliegen konnte, kam er mit dem Leben davon."

„Und seine schöne Frau? Konnte er sie mitnehmen?’ fragte ich. „Nein”, antwortete Manauri, „die war für ihn verloren. . . Diese Geschichte ist sehr lehrreich, denn sie führt uns nachdrücklich vor Augen, welche großen und ernsten Verpflichtungen ein Neuvermählter bei uns den Eltern des erwählten Mädchens gegenüber besaß und auch heute noch besitzt. . . und auch gegenüber den Ältesten ihres Stammes”, fügte er mit schalkhaftem Augenaufschlag hinzu.

Es bedurfte keiner weiteren Anspielung, ich hatte den Sinn der Geschichte verstanden, und mir war klargeworden, daß ich verpflichtet sei, den Ältesten für Lasana ein Geschenk zu überreichen. Aber was für ein Geschenk? Was war das Wertvollste, das

ich besaß? Mein Blick fiel auf die silberne, mit Edelsteinen ausgelegte Pistole, die in meinem Gürtel steckte. Ich zog sie heraus, überreichte sie Manauri und sagte: „Ich bitte dich, nimm sie! Leider besitze ich nichts Wertvolleres und wüßte nicht, was mir teurer wäre. Ich schenke sie dir gern.”

Die Häuptlinge waren so überrascht, daß sie mit der Zunge schnalzten. Die Pistole war ein ungewöhnlich schönes Stück handwerklicher Kunst und von unschätzbarem Wert. Selbst Manauri war bestürzt, sein schalkhaftes Lächeln erstarb, sein Gesicht färbte sich dunkel vor Verlegenheit. Mit einer abwehrenden Bewegung wich er zurück.

„Die Hand soll mir abfallen, wenn ich das von dir annehme!” rief er aus.

„Und der arawakische Brauch? Die Pflicht des Neuvermählten?” erwiderte ich starrsinnig.

Manauri richtete sich auf. Stolz, tadelnd und etwas aufgeregt erklärte er streng: „Du hast deine Verpflichtung schon lange erfüllt, und zwar mit Zinsen und Zinseszinsen! Du hast den Arawaken mehr gegeben als den hundertfachen Wert dieser prachtvollen Pistole.”

„So viel?” Ich mußte lachen.

„Du hast uns deine Freundschaft geschenkt.”

„Und deinen weisen Rat und deinen starken führenden Arm”, beeilte sich Konauro zu versichern.

„Nicht du schuldest uns etwas, sondern wir sind dir verpflichtet’, ergänzte Mabukuli.

„Vielleicht werdet ihr noch behaupten, daß ein Mädchen zuwenig ist für mich”, rief ich scherzend.

„Jawohl, ein Mädchen ist zuwenig”, pflichtete Manauri lebhaft bei.

„Halt, halt!” widersetzte sich Lasana. „Ein schöner Oberhäuptling, der solchen Unsinn redet!”

Wir lachten und waren alle guter Dinge. Ich schob die Pistole wieder in den Gürtel.

Jaki gab zu erkennen, daß auch er etwas sagen wolle. Wir wandten uns ihm zu. Er maß den Oberhäuptling mit einem kritischen Blick und begann: „Alles ist richtig, was Manauri erzählt hat, nur das Ende dieser Ehe war ein wenig anders.”

„Hat sich der Jäger nicht in eine Fliege verwandelt? Gelang es ihm nicht, zu entkommen?”

„Doch, er hat sich verwandelt und ist auch entkommen. Aber etwas sehr Ernstes hat uns Manauri verschwiegen.”

„So sag es schon, Jaki, was er verschwiegen hat!”

„Die Sage berichtet, daß die schöne Frau den Jäger schändlich verraten hat. Sie unterlag den Einflüsterungen der Mutter und der übrigen Geier und war mit ihnen einig, daß er getötet werde. Oder war es nicht so?”

„Es stimmt. Genauso war es”, bekannte Manauri.

„Und erst hat sie ihn geliebt! So eine niederträchtige Schlange!” entrüstete ich mich zum Scherz. „So sind eure Frauen also?”

„Ja, auch solche gibt es”, bemerkten die Häuptlinge bissig, und wieder herrschte übermütige Heiterkeit in der Runde.

Lasana antwortete nicht gleich, die anzüglichen Sticheleien schienen sie beleidigt zu haben. Erst nach geraumer Zeit legte sie zart die Hand auf meine Schulter und sagte so laut, daß es die Häuptlinge hören mußten: „Jan, höre nicht auf ihre Worte, es sind quakende Frösche, die selbst ausschweifende und schmutzige Gedanken im Kopf haben. Sie haben dir Stammesgeschichten erzählt, die von ebenso übermütigen Nichtsnutzen ersonnen wurden, wie sie selbst es sind. Wieviel Wahres kann daran schon sein? Ich könnte dir eine ganze Reihe von Begebenheiten erzählen über Frauen, die bis in den Tod treu waren, und von ehrbaren liebenden Mädchen, die einer Liebe fähig waren, von der die kaltblütigen Kröten dort überhaupt keine Ahnung haben.”

Die Häuptlinge nahmen die abfälligen Äußerungen Lasanas mit wohlwollendem Verständnis auf und baten sie selbst, sie möge doch etwa Schönes und Liebes erzählen.

„Möchtest du die Geschichte von der Tochter des Zauberers

hören, die einmal in einen Jäger verliebt war?” wandte sie sich an mich.

„Recht gern.”

Und Lasana begann mit ihrer wohlklingenden, tiefen Stimme: „Wawaja, die liebliche Tochter des Zauberers, besaß, obgleich sie noch ein halbes Kind war, ein leidenschaftliches Herz. Sie hatte sich über alle Maßen in einen jungen, tapferen Jäger verliebt, war aber so verschämt, daß sie ihm ihre Liebe in keiner Weise zu verstehen gab und er nichts davon ahnte. Junge Mädchen verlieben sich leicht, doch verlieren sie ihre Gefühle auch schnell. Bei Wawaja aber war es anders. Je länger ihre Neigung währte, um so stärker wurde sie. Wawaja verzehrte sich in Sehn-sucht, und als diese unerträglich wurde, gingen ihr allerlei unsinnige Gedanken durch den Kopf. Um der Trennung ein Ende zu setzen, um den Geliebten ständig sehen und ihm dienen zu können, kam sie schließlich zu einem ungewöhnlichen Entschluß: Sie bat ihren Vater, den Zauberer, er möge sie in einen Hund verwandeln, um immer an der Seite des Jägers sein zu können. Der. Vater schalt sie und suchte sie davon abzubringen, doch als er nach einiger Zeit gewahrte, daß sie vor Sehnsucht dahinsiechte, erfüllte er ihr den Wunsch und verwandelte sie in einen Hund.

Sie schloß sich der Koppel des Jägers an. Da sie verständiger war als die anderen Hunde und jede Absicht ihres Herrn sofort erriet, gewann dieser sie sehr bald lieb und streichelte sie oft. Wenn der Jäger nach der Rückkehr von der Jagd in der Hütte ausruhte, legte sie den Kopf auf sein Knie und konnte ihm stundenlang in die Augen schauen. Sie hatte nur einen Fehler: sie war unfolgsam und hatte eigenartige Angewohnheiten. Einige Stunden vor dem Ende des Streifzuges verschwand sie regelmäßig wie der Blitz im dichten Gebüsch und kam nicht wieder zum Vor-schein.

Im Urwald, der voller Dämonen steckt, geschieht manches Verwunderliche, und auch in der Hütte des Jägers ereigneten sich jetzt absonderliche Dinge. Wenn er aus dem Wald zurückkehrte, war die Hütte sauber ausgefegt, das Feuer loderte, und noch heiße, frisch gebackene Maniokafladen lagen bereit. Kurz darauf tauchte auch der Hund wieder auf, und obgleich er für seinen Ungehorsam jedesmal eine Tracht Prügel erhielt, bezeigte er außerordentliche Freude und sprang an seinem Herrn empor.

Zunächst schrieb der Jäger die Geschehnisse in seiner Hütte wohlgesinnten Geistern zu; doch kam es ihm mit der Zeit allzu sonderbar vor, und er beschloß, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Eines Tages brach er daher die Jagd bedeutend früher ab als sonst und näherte sich vorsichtig der Hütte. Im Innern vernahm er geschäftiges Hantieren, und als er durch eine Öffnung im Flechtwerk hineinsah, erblickte er ein junges Mädchen, das Feuer entfachte. Dicht daneben hing das Fell seines Lieblingshundes an der Wand. In diesem Augenblick wurde ihm alles klar. Vorsichtig schlich er zum Eingang, stürzte hinein, erraffte das Hundefell und warf es in die Flammen. Das Mädchen konnte nun seine Gestalt nicht mehr wechseln und war in seiner Gewalt. Er zog sie an sich und blieb für immer ihr Mann.

Sie lebten zusammen”, schloß Lasana ihre Erzählung und bedachte die Häuptlinge mit einem vielsagenden Blick, „bis an das Ende ihres Lebens, ohne sich jemals zu trennen, und waren sehr glücklich.”

„Soso!” Die Häuptlinge nickten wohlwollend. „Ja, es soll auch solche Mädchen geben.”

„Es gibt mit Sicherheit solche Mädchen!” schnitt ihnen Lasana die Rede ab.

Inzwischen neigte sich der vom Lärmen der Menschen und vom Dröhnen der Trommeln erfüllte Tag langsam seinem Ende zu. Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die Welt in rotes Licht, die Schatten wurden immer länger und länger, und in der Tiefe des Waldes nistete bereits die Dunkelheit. Immer noch aber herrschte in der Siedlung und an ihrem Rande, unter den Burtiti-palmen, lebhaftes Treiben. Schreie flogen hin und her, und die Kinder trieben allerhand Unfug.

In einiger Entfernung tauchte ein junger Indianer, ein flinker Jäger, auf. Er lief auf unseren Toldo zu. Noch schwangen in unserem Innern die Worte Lasanas, noch weilten unsere Gedanken bei dem glücklichen Jäger und seiner Geliebten, und der näher kommende Jüngling erschien uns — o welche Täuschung! — einen Augenblick als eine Gestalt aus einer Erzählung. Aber nur einen Augenblick.

Der Indianer hatte uns erreicht. Seine vom schnellen Lauf umnebelten Augen verrieten Entsetzen. Außer Atem stieß er hervor: „Die Akawois . . . dort!”

Er wies auf das andere Ufer des Sees.

„Was sagst du da?” Manauri brachte die Worte kaum hervor. „Die Akawois .. . sind gekommen!”

Selbst wenn sich die Erde geöffnet hätte, wäre die Überraschung nicht größer gewesen. Wir fielen aus allen Himmeln, der Atem drohte uns zu versagen, im Kopf ging alles wirr durcheinander. Irgendjemand stöhnte schmerzvoll auf.

Wir saßen noch immer so da wie zuvor.

„Wo befinden sie sich?” Ich hatte mich als erster gefaßt.

„Dort am Ufer des Sees. Vielleicht setzen sie jetzt bereits über.” „Wie viele sind es?”

„Acht.”

„Und woher weißt du, daß es Akawois sind?”

„Ich stand am Ufer des Sees, als sie aus dem Dickicht traten. Sie haben mit mir gesprochen.”

„Bist du ihnen ausgerissen?”

„Ich wollte fliehen, als ich sie sah, doch fingen sie mich ... Sie haben mir aber nichts getan, sondern ließen durchblicken, daß sie nach Kumaka kommen wollen.. .”

„Und es waren nur acht?”

„Ja, acht.”

„Wo sind die andern?”

„Ich weiß es nicht. Mehr habe ich nicht gesehen.”

Auf so rauhe Weise aus der glücklichen Stimmung gerissen, empfand ich ein ganz eigenartiges Gefühl, ein Gefühl der Erleichterung, daß endlich, nach vielen Monaten gespannten Wartens, etwas geschah. Nun hatte der Blitz eingeschlagen. Die Akawois waren gekommen.

Die Häuptlinge hingen mit starren Augen an mir. In ihrem flackernden Blick lagen Vertrauen und Furcht.



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