Eine Schlange, Wildschweine und ein Jaguar

Der Schuß Arasybos wirkte Wunder, die bösen Geister ^schienen abgeschreckt worden zu sein. Die jSchlangenplage hörte schnell ganz auf, und auch /des Nachts versuchte niemand mehr, unsere Ruhe zu stören. Da unser Wachen ergebnislos verlief, wollten es die Indianer nach einigen Tagen wieder einstellen, doch diesmal erklärte ich mich damit nicht einverstanden und setzte schließlich meinen Standpunkt durch. Inzwischen hatte die Trockenzeit, die Zeit der Raubzüge, endgültig im Urwald Einzug gehalten, und unsere Wachsamkeit galt nicht mehr nur einer Gefahr, sondern zweien: den Anschlägen des Zauberers und der Möglichkeit eines Überfalls durch die Akawois. Alle Männer unserer Sippe waren verpflichtet, am Wachdienst teilzunehmen. Der Natur der hiesigen Indianer widerstrebte diese Vorsicht, sie hatten nicht die Gabe, unangenehmen Überraschungen vorzubeugen. Da sie mich aber schätzten und mir keinen Ärger bereiten wollten, taten sie mir den Gefallen.

Wen Arasybo durch seinen Schuß verwundet hatte, blieb ein Rätsel. Aus unserer Sippe war es niemand, und auch Karapana, Koneso, Pirokaj und Fujudi hatten keinerlei Verletzungen, wo-von ich mich in kurzer Zeit überzeugen konnte.

Da ich Unannehmlichkeiten durch die Akawois voraussah, wollte ich eine genaue Karte der Wälder, Berge, Flüsse und Pfade haben, die sich zwischen dem Unterlauf des Orinoko und dem Cuyuni befanden. Ich schickte deshalb Arnak und den gewandten Kartenzeichner Pedro zu allen Einwohnern Serimas, die genauere Angaben über diese Dinge machen konnten. Die Indianer gaben uns gern Auskunft, und so entstand eine schöne Karte, die mir sehr zustatten kam. Gleichzeitig hatte Arnak die Möglichkeit, vorsichtig Erkundungen über unseren nächtlichen Besucher einzuziehen. Der blieb jedoch verschwunden, als habe ihn die Erde verschluckt. Wenn dieser Mensch irgendwo lag und seine Wunden pflegte, so mußte er über ein entlegenes, gut verborgenes Versteck verfügen.

Mein Verhältnis zu Pedro gestaltete sich immer herzlicher. Er war ein verträglicher, ehrlicher und williger Junge, den man liebgewinnen mußte. Besonders gut hatte er sich mit dem immer fröhlichen Wagura angefreundet. Sie waren wie zwei Brüder, und der junge Spanier schien ganz vergessen zu haben, daß er sich eigentlich in Gefangenschaft befand. Er war sehr geschickt und arbeitsam und stand mir nicht nur beim Erlernen des Spanischen hilfreich zur Seite. Da er eine gute Auffassungsgabe besaß, hatte er schnell die arawakische Sprache erlernt. Er genoß die gleiche Freiheit wie alle anderen, ja, ich hatte ihm sogar eine Schußwaffe gegeben und ihm versprochen, daß er bei der ersten Gelegenheit zu seinen Landsleuten zurückkehren dürfe. Es klingt vielleicht lächerlich, doch erfüllte mich Dankbarkeit ihm gegenüber, weil ich in ihm die mir sehr angenehme Entdeckung machen durfte, daß auch unter diesen grausamen Lumpen, den Spaniern, edle Menschen zu finden waren, die Freundschaft und Achtung verdienten.

Eines Morgens ging ich mit Wagura und Lasana auf die Jagd. Wie gewöhnlich benutzten wir den Pfad, der fünfzig und mehr Meilen in südlicher Richtung verlief, die Schluchten der Itamaka-berge durchquerte und im Tal des Cuyuni endete, den seit undenklichen Zeiten die wandernden indianischen Händler gegangen waren. Ich hatte die Pistole im Gürtel und eine treffsichere Kugelbüchse über der Schulter. Lasana trug ihren Bogen, mit dem sie nur selten fehlte, und Wagura war mit einem Blasrohr bewaffnet, das in diesen Gegenden nur wenig verwendet wurde. Die kleinen, leichten Geschosse dieser Waffe waren furchtbar. Wenn sie die Haut eines Menschen oder selbst eines großen Tieres nur ein wenig ritzten, so gab es keine Rettung mehr. Das Urari, ein starkes Gift, mit dem sie präpariert waren, führte in wenigen Minuten unweigerlich den Tod herbei.

Als wir nach zwei Stunden eine Gegend erreichten, in der gewöhnlich viel Wild anzutreffen war, überraschte uns ein so heftiger Platzregen, daß es im Wald fast finster wurde. Lasana und ich stürzten zu einem mächtigen Baum, den die Indianer Mora nennen, und Wagura suchte etwa vierzig Schritt weiter auf die gleiche Weise Schutz.

Trotz der Trockenzeit waren diese Regengüsse an der Tagesordnung. Sie dauerten ein bis zwei Stunden, dann kam die Sonne wieder zum Vorschein und sandte ihre sengenden Strahlen vom azurblauen Himmel hernieder. Diesmal währte das Ungewitter nicht lange. Nach einer halben Stunde begannen sich die Wolken zu verziehen, und es wurde heller im Wald.

Wir standen noch unter dem Baum. Ich musterte nach Jägerart unsere Umgebung und ließ meine Blicke auch nach oben schweifen, in das Gewirr der Ästen.

In verschwenderischer Fülle schienen hier drei Wälder in einem zu wachsen, denn zu Füßen der hochstämmigen Bäume wucherte ein nicht endender Wall von dichtem Strauchwerk, und oben in den Ästen und Zweigen der Baumriesen breitete sich als drittes Revier die Armee der schmarotzenden Halme und Kräuter aus. Zu allem Überfluß spannten Lianen ihre verschnörkelten Netze nach allen Richtungen und ketteten das schwellende Durcheinander mit unzerreißbaren Seilen zusammen. Ich liebte es, den Blick in diese drängende Üppigkeit zu versenken und mich wohlig betäubendem Sinnen hinzugeben.

Plötzlich wurde ich aus meiner Betrachtung gerissen. Vielleicht fünfzehn Schritt von uns entfernt lauerte in den untersten Ästen eines Baumes eine gewaltige Schlange. Ihre lebhafte Färbung, gelbliche Flecken auf graurotem Untergrund, verriet mir, daß es eine graue Komuti war, die in der Nähe des Wassers lebte. Vergeblich versuchte ich die Länge des Reptils zu schätzen, ich konnte nur einen Teil des Körpers sehen; nach dem Umfang zu schließen, mußte es ein riesiges Tier sein. Der Kopf schaute aus den Blättern hervor und beobachtete von oben, was sich auf der Erde abspielte. Sie hatte uns längst entdeckt.

Während ich noch überlegte, ob ich schießen solle oder nicht, erregten ungewöhnliche Laute, die von weit her aus der Tiefe des Waldes kamen, unsere Aufmerksamkeit. An mehreren Stellen war das Knacken von Zweigen zu hören, es wurde immer deutlicher und kam rasch näher. Nach einiger Zeit gesellten sich andere Laute hinzu, es klang wie dumpfes, rauhes Schnauben.

„Saguinos”, flüsterte Lasana mir zu.

Eine ganze Herde Wildschweine kam genau auf uns zu. Ich hatte viel darüber gehört, wie gefährlich dieses Tier dem Menschen werden kann, wenn es gereizt wird. In verblendeter Wut stürzt es sich dann auf jeden Feind, ganz gleich, ob es ein Mensch oder ein Jaguar ist, und meistens wird das Opfer trotz verzweifelter Gegenwehr von den Schweinen zerrissen. Nur die schnelle, rechtzeitige Flucht auf einen Baum kann Rettung vor der rasenden Horde bringen.

Der unterste Ast der Mora, unter der wir standen, befand sich ungefähr zehn Fuß über dem Boden. Ich hob Lasana in die Höhe und war ihr behilflich, den Ast zu erklimmen, dann kletterte ich selbst hinauf. Wie wir sahen, hatte auch Wagura einen Baum erstiegen.

Ich untersuchte die Zündpfannen, ob sie nicht naß geworden waren, und schüttete neues Pulver auf.

„Sieh doch!” Lasana lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Schlange.

Diese hatte genau wie wir die Geräusche der näher kommenden Herde vernommen und begann sich zu bewegen. Sie schob sich langsam etwas tiefer. Während ihr Schwanz um einen starken Ast geschlungen war, befanden sich ihr Kopf und der Vorderteil des Körpers nur wenig über dem Erdboden. Bald erstarrten ihre Bewegungen, und nun ähnelte sie eher einer dicken Liane als einer Schlange. Etwas unheimlich Drohendes, Hinterhältiges, Gespensterhaftes ging von ihr aus, und man merkte, daß sie in ihrem plattgedrückten Kopf einen mörderischen Entschluß gefaßt hatte.

In diesem Augenblick hatte uns die Herde erreicht. Unter uns und neben uns schoben sich die Schweine durch das Gestrüpp vorwärts, ohne sich zu beeilen. Es waren sehr viele, eine weit auseinandergezogene Reihe, die schnaufend weiterzog. Vielleicht waren es hundert, vielleicht auch mehr, mit bloßem Auge ließ sich das in dem Dickicht schwer feststellen. Ich zögerte mit dem Schießen und wartete, bis möglichst viele Schweine vorbeigezogen waren, Lasana dagegen schoß ihren Pfeil auf eine der ersten Sauen ab. Das Tier erschrak und versuchte, das Geschoß mit der Schnauze aus der Wunde zu reißen, da traf es der zweite Pfeil in der Herzgegend, und es fiel kraftlos auf die Vorderläufe. Sein wütendes Schnauben lockte einen Teil der Herde herbei. Mit gesträubten Nackenborsten umstanden die Schweine die verwundete Sau, hoben gereizt die Köpfe und witterten vernehmlich, doch konnten sie uns nicht entdecken.

Da stieß die Schlange plötzlich zu. Sie schlug ihre Kinnladen in den Rücken eines Jungtieres, das gut sechzig oder siebzig Pfund wog, und zog es so blitzschnell nach oben, als wäre es ein leichtes Vögelchen. Weit hallte das durchdringende Quieken des Entführten. Die Schlange achtete nicht auf das Geschrei und die verzweifelten Befreiungsversuche ihres Opfers und schob sich etwas weiter nach oben. Dort legte sie die Beute an den Stamm des Baumes, auf dem sie sich befand, und wand ihren Körper einmal um den Stamm und um das Schwein. Diese Umarmung war tödlich. Das Tier schnaufte noch einmal schwach und rührte sich nicht mehr; sicher waren ihm die Rippen gebrochen und die inneren Organe zerquetscht worden.

Das alles spielte sich unter den Augen der Herde ab, die wie gebannt diese Waldtragödie verfolgte. Doch bereits während der letzten Zuckungen des Opfers kam Leben in die Schweine. Einige warfen sich auf den Baum und begannen den Stamm mit ihren Hauern zu bearbeiten. Andere folgten ihrem Beispiel.

Der Baum war nicht stark, vier Männerhände hätten ihn umfassen können. Unter dem wütenden Anprall der Zähne erzitterte der Baum bis in die Krone. Die Schlange zog sich so hoch hinauf wie nur möglich. Die rasende Meute verdoppelte ihre Kräfte, Holzsplitter flogen durch die Luit. Mit dumpfem Aufschlag fiel der Körper des toten Tieres auf den Waldboden. Die Schweine erschraken und sprangen zurück, doch gleich darauf warfen sie sich mit noch größerer Wucht gegen den Stamm. Es war klar, daß der Baum dem Ansturm nicht mehr lange widerstehen konnte.

Das begriff auch die Schlange.

Während der ganzen Zeit hatte Lasana ihren Bogen betätigt. Der Kampf tobte ungefähr zwanzig Schritt von uns entfernt. Jeder Pfeil, den sie abschoß, fand sein Ziel, wenn auch nicht jeder tödlich war.

Unwillkürlich fiel mein Blick immer wieder auf die hübsche Frau. Vom Jagdeifer erhitzt, die schwarzen Haare zerzaust, bot sie einen reizenden Anblick. Sie saß rittlings auf einem Ast und hielt sich nur mit den kräftigen Schenkeln fest. Die Geschmeidigkeit ihres Körpers und die schwungvollen Bewegungen ihrer Arme waren bewundernswert. Das Getümmel dort unten und die waidmännische Begeisterung nahmen mich genauso gefangen wie das wohlgestaltete Wesen an meiner Seite, und dabei drängten sich meinen aufgeregten Sinnen Bilder aus der fernen Vergangenheit auf. Als ich noch ein Junge war, entdeckte ich im Vaterhause eines Tages eine Zeichnung. Sie zeigte die römische Göttin Diana, die einen Pfeil auf einen Hirsch abschoß. Das Bild hinterließ damals einen unverlöschlichen Eindruck in mir, und in diesem Augenblick erstand es besonders deutlich vor meinen Augen.

Auch ich wagte nun einen Schuß aus der Büchse. Die Wildschweine hörten wohl einen Knall über ihren Köpfen, doch sahen sie in ihrer verblendeten Wut nur einen Feind, die Schlange, und schrieben ihr alles zu, was sich ereignete. So konnte ich ungestört wieder laden und schoß wieder und wieder mit gutem Erfolg in die Herde.

Die Schlange erkannte, daß ihre Zufluchtsstätte nicht mehr sicher war und jeden Augenblick umfallen konnte. Die Zweige der benachbarten Bäume reichten dicht bis an die Äste heran, auf die die Mörderin sich zurückgezogen hatte. Leider waren diese Zweige ziemlich dünn und biegsam und hätten die Last des Schlangenkörpers nicht ertragen, doch gab es genug Lianen, darunter auch sehr starke, die sich wie Girlanden von einem Baum zum andern schwangen und mehrere Stämme miteinander verbanden.

Eine solche Liane wählte die Schlange für ihren Fluchtweg. Sie traf eine schlechte Wahl. Die Pflanze selbst war stark, unzerreißbar, doch hatte sie sich an dem Ast nicht sehr festgehakt. Die Schlange, die sich mit äußerster Vorsicht bewegte, befand sich ungefähr in der Mitte der Liane, als diese unter der gewaltigen Last nach unten zu rutschen begann. Die Wildschweine bemerkten es, brachen in höllischen Lärm aus und sprangen immer wieder in die Höhe, um den Feind zu packen, erreichten ihn aber nicht.

Die Schlange hätte sich vielleicht gerettet, wenn sie nicht die Beherrschung verloren hätte. Sie trachtete danach, möglichst schnell den nächsten Baum zu erreichen, und machte eine ruckartige Bewegung. Es krachte verdächtig in den Zweigen, und die Liane senkte sich erneut um einige Fuß tiefer. Die Schweine waren wie von Sinnen. Sie schaubten wütend, sprangen immer wieder hoch — doch vergebens.

Es war nicht leicht für die Schlange, auf einer so brüchigen, gleitenden Stütze festen Halt zu finden. Einen Augenblick schien es, als habe sie das Gleichgewicht verloren. Sie verlagerte die Windungen ihres Körpers und löste dabei unwillkürlich den Schwanz von der Liane. Einem großen Keiler, der gerade in die Höhe sprang, gelang es, sich im Schwanz festzubeißen. Er ließ nicht mehr los. Durch den plötzlichen Ruck wurde die Schlange etwas heruntergezogen. Andere Schweine sprangen hinzu und schlugen ihre Zähne in den Körper des Feindes und zerrten ihn auf den Boden. Mit zwei oder drei Schweinen wäre die Riesin fertig geworden, aber nicht mit allen. Während sich ihr Rachen an der Schnauze des einen festbiß, rissen die andern in unbezähmbarer Wut ganze Stücke aus ihrem Körper, bis sie in kurzer Zeit zerfetzt war.



In der Luft breitete sich ein starker, moschusartiger Geruch aus. Der Wut der Wildschweine war mit dem Sieg nicht Genüge getan, sie rächten sich nun an dem Körper der Schlange. Zum Teil fraßen sie ihn auf, begleitet von lautem Schmatzen und anderen abstoßenden Geräuschen. Langsam begannen sie sich zu beruhigen.

Plötzlich hoben einige Tiere den Kopf und witterten. Irgend etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß sie uns entdeckt hätten; doch blickten sie nicht zu uns herüber, sondern ins Dickicht, aus dem sie gekommen waren. Aufgeregt schnaufend und sichtlich erschreckt, rannten sie hinter dem Teil der Herde her, der bereits weitergezogen war. Nur die von uns getöteten und verwundeten Schweine, die am Verenden waren, blieben auf dem Schauplatz zurück.

Noch konnten wir den Lärm der fliehenden Herde vernehmen, als im Dickicht unter uns eine große Gestalt auftauchte — ein gelblicher, gefleckter, länglicher Körper glitt durch das Gebüsch dahin.

Ein Jaguar! durchzuckte es mich.

Ja, es war ein Jaguar, der den Spuren der Wildschweine folgte. Auch er wollte der Herde ein Stück entreißen. Als er näher kam und die vielen toten und verwundeten Tiere erblickte, stutzte er.

Er war keine dreißig Schritt von uns entfernt, wir konnten ihn genau beobachten. Das Gebaren des Raubtieres zeigte deutlich, daß es durch den ungewöhnlichen Anblick berunruhigt war. Es duckte sich ganz auf den Boden, und seine stechenden Katzen-

augen schweiften nach rechts und nach links. Ohne Zweifel versuchte es zu ergründen, welch rätselhafter Kampf sich hier abgespielt hatte.

„Er sieht zu uns herüber”, flüsterte Lasana.

„Bewege dich nicht’, gab ich zurück und vergaß in der Aufregung, daß ich doch nicht arawakisch sprechen durfte.

Der Jaguar ließ uns nicht mehr aus den Augen, die grausam blitzten. Er hatte uns also entdeckt. Ob er uns für Affen hielt und sich einen guten Fang versprach?

Ich will es nicht verhehlen: mir liefen Schauer über den Körper. Die Büchse war leergeschossen, und zum Laden war keine Zeit mehr. Es blieben also nur die Pistole und das Messer im Gürtel. Die Pistole war wohl geladen, aber wie es mit dem Pulver auf der Pfanne aussah, das wußte ich nicht. Vorsichtig tastete ich nach dem Griff der Waffe, zog sie ganz langsam heraus und brachte sie in Anschlag. Ich spannte den Hahn. Das Pulver war trocken. Erleichtert atmete ich auf.

Das Raubtier schenkte den vor ihm liegenden Wildschweinen überhaupt keine Beachtung mehr, dafür verschlang es uns geradezu mit seinen blutdürstigen Augen. Endlich begann es sich zu bewegen und schob sich langsam auf uns zu. In diesem lauernden Schleichen lag die fürchterliche Drohung eines unerbittlichen Schicksals, vor dem es kein Entrinnen gab. Mit einem Satz konnte uns der Jaguar von unten nicht erreichen, dazu war der Ast zu hoch; doch konnte die auf Bäumen sehr gewandte Raubkatze den Stamm erklettern und so der gesichteten Beute näher kommen.

Während ich mit beiden Händen die schußbereite Pistole auf den Jaguar richtete, warf ich ab und zu einen Blick auf meine Gefährtin. Ich bemerkte, daß sie keinesfalls den Kopf verloren hatte, im Gegenteil, auch sie bereitete sich auf die Verteidigung vor. Sie hatte ihren letzten Pfeil auf die Sehne gelegt und wartete geduckt auf den Angriff. Ihre Ruhe, ihr Mut und ihre Bereitschaft zum Kampf beeindruckten mich zutiefst und erfüllten mein Herz mit eigenartiger Zärtlichkeit.

Der Jaguar schlich immer näher. Es gab keinen Zweifel mehr, daß er es auf uns abgesehen hatte. Er kam bis auf etwa zehn Schritt heran und kauerte sich nieder. Seine Augen schienen Feuer zu sprühen, und sein völliges Schweigen steigerte das Entsetzliche der Situation. Das Tier verharrte regungslos, nur der Schwanz fegte den Waldboden. Plötzlich bemerkte ich, daß sich sein Körper über den Hintertatzen etwas anhob — das war der Augenblick vor dem Sprung.

Die Pistole in meinen Händen war ständig auf seinen Schädel gerichtet. Als die Raubkatze zum Sprung ansetzte und das Korn auf dem Lauf ihr Auge deckte, krümmte ich den Finger. Zugleich mit dem Knall des Schusses tat der Jaguar einen verzweifelten Luftsprung und stieß ein durchdringendes kurzes Brüllen aus. Es war ein schmerzvolles Aufbrüllen Schwer fiel er zu Boden, lag eine Weile wie bewußtlos und verschwand dann mit plumpen Sprüngen im Dickicht. Er lief ungeschickt, wie betäubt, als ob ihm etwas hinderlich wäre.

„Es hat ihn erwischt, es hat ihn erwischt!” schrie Lasana aus Leibeskräften, ergriff mich vor lauter Freude an den Schultern und zog mich zu sich.

„Gib acht, sonst fallen wir hinunter!” Ich wehrte mich, während wir beide in lautes Lachen ausbrachen. Dieses Lachen überkam uns plötzlich und verschaffte uns Erleichterung nach der unmenschlichen Anspannung der letzten Minuten.

Langsam beruhigten wir uns und suchten zunächst einmal den Schauplatz des Kampfes mit den Augen ab. Der Jaguar war im Dschungel verschwunden, er war nicht mehr gefährlich, wahrscheinlich saß ihm die Kugel im Kopf. Überall lagen Wildschweine, fürwahr eine stattliche und schöne Beute. Mit diesem Fleisch konnten wir alle Freunde und Nachbarn für einige Zeit mit Nahrung versorgen. Das Glück war uns wirklich hold gewesen. Ich war ganz trunken und außer mir vor Freude. Zu allem Überfluß strahlte die Sonne wieder vom Himmel herab und tauchte die Welt in zauberhaftes Licht, dessen Strahlen auch den Weg in die

Gründe des Waldes fanden und wie goldene Schnüre in der Luft hingen.

Bevor ich vom Baum hinunterstieg, lud ich zur Vorsicht Büchse und Pistole.

Von unten blickte ich in das freudestrahlende Gesicht Lasanas, und noch nie war sie mir so reizend und so liebenswert erschienen. Ich legte Waffen und Jagdgerät neben den Stamm auf die Erde, streckte die Arme empor und deutete ihr an, sie solle herunter-springen. Sie tat es mit der Anmut eines flatternden Kolibris und fiel mir in den Arm wie eine reife Frucht. Ich war wie betäubt. Wie Raubtiere erwachten plötzlich die begehrenden Sinne.

Ich ergriff mit der linken Hand ihre Nackenhaare und zog ihren Kopf zu mir heran. Mit dem harten Blick eines Menschen, der entschlossen ist zu besitzen, sättigte ich mich an jedem Zug ihres reizvollen Gesichts und trank erregendes Lustgefühl aus ihren Augen. Diese Augen, die eben noch lustig dreingeschaut hatten, überzogen sich mit einem feuchten Schleier.

Ich hielt ihre Haare fest, als hätte ich die unsinnige Befürchtung, daß sie mir entwischen könnte, umschlang mit dem rechten Arm ihre Taille und preßte sie an mich. Sie wehrte sich nicht. Mit beiden Armen umspannte sie meinen Hals.

Wir waren im Begriff, auf die Erde zu gleiten, als wir von weitem die Stimme Waguras hörten, der fröhliche Rufe ausstieß und schnell auf uns zukam. Das brachte uns in die Wirklichkeit zurück. Ich ließ Lasana los und trat zurück. Sie schüttelte den Kopf, damit sich die Haare ordneten, griff sich in die Nackengegend, wo ich sie festgehalten hatte, und drohte mir lächelnd: „Das tat weh!”

„Sehr?”

Sie verneinte schnell und lachte schelmisch.

Wir töteten die verwundeten Wildschweine, trugen sie alle an einer Stelle zusammen und machten uns an die zeitraubende Arbeit des Ausweidens. Sie nahm einige Stunden in Anspruch. Dann hängten wir die Beute an den Ästen der umstehenden Bäume auf;

die Indianer aus dem Dorf sollten sie später holen. Zwei Schweine banden wir zusammen, hängten sie über einen Stock und nahmen sie mit. Im ganzen hatten wir mehr als zwanzig Wildschweine er-legt, einige davon waren das Opfer von Waguras Blasrohr geworden. Den Jaguar fanden wir nicht, allerdings suchten wir auch nicht lange.



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