Der Umstand, daß wir Kanaholo auf frischer Tat ertappt hatten, sowie dessen Geständnis befreiten mich von dem blödsinnigen Verdacht, ich besitze eine verbrecherische Seele. Aber auch der eigentliche Urheber des Verbrechens blieb ungeschoren. Der durchtriebene Zauberer verstand sich herauszuwinden. Sein Ansehen im Stamm ermöglichte ihm dies. Obwohl alles gegen ihn Zeugnis ablegte, nicht zuletzt der Tod Kanaholos, waren die Menschen in Serima so eingeschüchtert und furchtsam, daß sie es nicht wagten, sich gegen ihn zu erheben. Lieber schenkten sie den unglaubwürdigen Einflüsterungen des Zauberers Gehör, der das Gerücht in Umlauf setzte, daß es bei Kanaholo wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei; wahrscheinlich habe man das Geständnis durch Anwendung geheimnisvoller Mittel von ihm erpreßt und dem Tölpel die giftigen Blätter heimlich untergeschoben. Mit einem Wort, Karapana verkehrte alles ins Gegenteil, und es gab Leute in Serima, die aus Furcht oder Bequemlichkeit diesem ungereimten Geschwätz Glauben schenkten.
In unserem Freundeskreis fanden mehrere leidenschaftliche Beratungen statt. Was sollten wir tun? Wir gelangten zu der Überzeugung, daß der zwar erschütterte, aber immer noch sehr große Einfluß des Zauberers nicht ausgeschaltet werden könne, ohne blutige Unruhen im Stamm hervorzurufen.
Aus diesem Grund kamen wir auf unsere ursprüngliche Absicht zurück und beschlossen, alles für die Abreise vorzubereiten. Unsere ganze Sippe sehnte sich danach, so schnell wie möglich von hier wegzukommen, denn die verbrecherischen Machenschaften des Zauberers steckten allen wie ein Knochen im Halse. In den letzten Tagen hatten sich die Freundschaftsbande zwischen der Sippe und mir noch mehr gefestigt, es waren Bande der Hoffnung und des Vertrauens in unsere gemeinsame Zukunft.
Bald zeigte es sich, daß auch Serima nicht mehr eine verschworene Gemeinschaft von Menschen eines Sinnes beherbergte, wie es einst gewesen war. Als die Nachricht von unserem beabsichtigten Aufbruch dorthin durchsickerte, äußerten viele Indianer den Wunsch, sich uns anzuschließen. Sie wollten nicht länger unter der Herrschaft des fürchterlichen Zauberers bleiben. Nach dem Stammesbrauch der Arawaken hatten sie das Recht dazu, und niemand durfte sie daran hindern. Den Oberhäuptling beunruhigte dies, und Karapana geriet darüber in rasende Wut. Um eine Spaltung des Stammes zu vermeiden — eine Befürchtung, die beide seit unserer Ankunft gehegt hatten —, entstand in dem heimtückischen Kopf des Zauberers der ungeheuerliche Plan, uns zu überfallen und, wenn auch nicht die ganze Sippe, so doch ihre wichtigsten Mitglieder, auch Manauri, Pedro und Lasana, umzubringen. Zum Glück wurden wir durch wohlgesinnte Menschen rechtzeitig gewarnt und waren auf der Hut. Aufmerksam verfolgten wir jede Bewegung in Serima und beschleunigten unsere Vorbereitungen für die Abreise.
In dieser für beide Seiten äußerst gespannten Lage traten plötzlich unerwartete Ereignisse ein, die die guten und die bösen Absichten aller Beteiligten durchkreuzten.
Eines Tages, zwei Stunden nach Sonnenaufgang, tauchten am Rande des Wäldchens, das unsere Hütten vom Sitz des Oberhäuptlings trennte, zwei Einwohner Serimas auf und rannten aus Leibeskräften auf uns zu. Es handelte sich nicht um einen Angriff, wie wir im ersten Augenblick vermuteten, denn die beiden Indianer waren allein und schrien uns eigenartige Worte zu.
„Verstehe ich richtig?” sagte Arnak, von einer bösen Ahnung erfüllt. „Spanier?” „Ja, dieses Wort rufen sie”, erwiderte einer der Freunde mit belegter Stimme.
Unsere warnenden Rufe trieben die Menschen aus den Hütten. Aufgeregt eilten sie herbei.
Inzwischen waren die Indianer aus Serima herangekommen, sie rangen nach Atem und konnten sich kaum auf den Beinen halten. Nicht nur der schnelle Lauf, sondern ein entsetzlicher Schreck saß ihnen in den Gliedern.
„Spanier!” stießen sie keuchend hervor. „Spanier... dort!” „Wo?” schrie sie Manauri an.
„Bei uns in Serima... Sie kamen in Booten ... und sind ausgestiegen! Spanier!”
Spanier! Welch schreckeinflößendes Wort! Alle Angehörigen unserer Sippe waren bis vor kurzer Zeit in der spanischen Sklaverei gewesen und wußten nur zu gut, was es bedeutete, in dieser Hölle zu leben. Nur Arnak und Wagura bildeten eine Ausnahme, sie hatten den Engländern als Sklaven gedient. Das Wort Spanier lag wie ein Fluch in den Ohren der Indianer. Wo immer wir ihnen begegnet waren, ob auf der Insel oder in den Llanos nahe dem Geierberg, jedesmal hatten wir uns verzweifelt gegen ihre Feindseligkeit zur Wehr setzen müssen. Kein Wunder, daß mancher von uns im Innern erbebte.
„Haben sie euch überfallen?” fragte Manauri. „Haben sie jemanden getötet?”
„Nein, sie haben uns nicht überfallen.”
„Es ist zu keinem Kampf gekommen?”
„Nein.”
„Konnten alle aus Serima fliehen?”
„Nein, die Spanier haben uns überrascht. Nur einigen gelang es zu entkommen.”
„Die Spanier suchten also keinen Kampf?”
„Nein, sie gingen nur an Land, doch sind sie bis an die Zähne bewaffnet und sehen furchterregend aus.”
„Wie viele sind es?”
Die beiden rangen immer noch nach Luft und konnten sich über die Anzahl der Spanier nicht einig werden. Der eine behauptete, es seien soviel wie Finger an beiden Händen, der andere erklärte, er habe zehnmal soviel gezählt.
„Nein”, widersetzte sich der erste. „Spanier sind nicht viele dabei, die übrigen sind Indianer.”
„Von welchem Stamm sind die Indianer?”
„Wir kennen sie nicht, es sind fremde.”
„In wieviel Booten sind sie angekommen?”
„In fünf Booten.”
„Sind es große Boote?”
„Ja, es sind Itauben.”
„Nicht fünf Boote sind es, sondern nur drei”, verbesserte der zweite Ankömmling.
„Was sie hier wollen, das wißt ihr nicht?”
Sie wußten es nicht, hegten auch keinerlei Vermutungen. Sie konnten nur das eine berichten, daß die Spanier, obgleich sie keinen Kampf vom Zaun gebrochen hatten, sehr herrisch und herausfordernd aufgetreten waren; sie benahmen sich wie strenge Gebieter und nicht wie Gäste. Unglück und Leid gingen von ihnen aus, und sie verbreiteten Schrecken.
Ich verständigte mich durch Blicke mit Manauri und Arnak, sodann forderte ich die Anwesenden auf, ihre Waffen zu holen und sich vor meiner Hütte zu versammeln. Zum Glück war die ganze Sippe beisammen.
Neben mir stand Pedro. Als er vernahm, daß Landsleute von ihm angekommen waren, wich ihm das Blut aus dem Gesicht, und er war bleich wie Wachs. Ich stieß ihn freundschaftlich mit dem Ellbogen an.
„Nun sind sie da”, sagte ich spanisch zu ihm, er hatte mich ja in dieser Sprache unterrichtet.
Pedro war so verwirrt, daß er wohl kaum hätte bis fünf zählen können. In seinem vertrauenerweckenden, offenen Gesicht malte sich grenzenlose Verblüffung.
„Ob ...”, stotterte er voll schreckhafter Ungewißheit, „ob ich...?”
„Aber natürlich! Du bist frei und kannst mit ihnen abfahren, sobald es dir beliebt.”
„0 Herr! Ich danke!”
„Nanu, Pedro!” Ich mußte lachen. „Bist du mir schon so fremd, daß du mich plötzlich mit ,Herr' ansprichst?”
„Nein. Verzeih mir, Jan... In meinem Kopf geht alles durcheinander.”
„Lieber Pedro, behalte jetzt einen klaren Kopf, denn ich brauche dich noch. Vielleicht errätst du, weshalb deine Landsleute uns besuchen.”
Doch auch Pedro konnte keine Erklärung finden. Da Serima einige Meilen von der Mündung des Itamaka in den Orinoko entfernt war, also abseits des üblichen Wasserweges lag, mußten wir annehmen, daß die Spanier kein Zufall hierhergebracht hatte, sondern daß sie mit einer bestimmten Absicht gekommen waren.
„Aber von wo könnten sie gekommen sein?” fragte ich mich und Pedro.
Ich hieß ihn die Karte bringen, an der er mehrere Wochen gearbeitet hatte. Sie zeigte im Norden den Unterlauf des Orinoko und weit im Süden den fast parallel dazu verlaufenden Cuyuni sowie eine ganze Anzahl ihrer Nebenflüsse. Zwischen den beiden großen Strömen breiteten sich Bergketten aus, und mit besonderer Sorgfalt waren die wichtigsten Pfade eingezeichnet, deren sich die Indianer auf ihrem Weg vom Cuyuni zum Orinoko bedienten.
„Wo liegen die Siedlungen der Spanier?” fragte ich.
„Zwischen uns und der Mündung des Orinoko gibt es überhaupt keine”, erklärte Pedro, „davon haben wir uns mit eigenen Augen überzeugt. Die Ankömmlinge könnten also von der Insel Trinidad ausgelaufen sein, wo sich eine spanische Niederlassung befindet, oder von der Insel Margarita.”
„Ist das nicht zu weit?”
„Man kann nicht wissen, Jan! Vielleicht sind sie hinter jemandem her? Wahrscheinlicher allerdings ist es, daß sie den Orinoko heruntergefahren sind und aus den Gegenden kommen, wo sich die Spanier schon vor langer Zeit festgesetzt haben.”
„Haben sie dort starke Stützpunkte?”
„Soldaten sind dort stationiert, aber wie stark die Stützpunkte sind, das weiß ich nicht. Mir ist nur bekannt, daß bei einigen Indianerstämmen Dominikanermissionen bestehen, außerdem habe ich von einer Siedlung gehört, die Angostura heißt.”
„Wie weit von hier liegt diese Siedlung?”
„Angostura? Genau kann ich es nicht sagen. Ich schätze hundert bis hundertfünfzig Meilen.”
Während meiner Unterhaltung mit Pedro versammelten sich die Krieger unserer Sippe, und da sie alle mehr oder weniger gut Spanisch verstanden, hörten sie aufmerksam zu. Auch einige Indianer aus anderen Sippen gesellten sich zu ihnen. Diese verstanden überhaupt nicht Spanisch; doch als sie das Wort Angostura vernahmen, entstand lebhafte Bewegung unter ihnen. Der Name war ihnen bekannt. Sie kamen näher heran, und einer sprach mich an: „Weißer Jaguar, wir wissen, was Angostura ist. Dort sitzen die Spanier! Vor zwei Trockenzeiten, kurz nachdem wir uns hier am Itamaka niedergelassen hatten, waren sie bei uns. Damals haben sie uns entdeckt. Sie sagten uns auch, daß sie wieder-kämen.”
„Erzähl dem Jaguar, was sie damals gemacht haben”, forderte ein anderer Indianer den Sprecher auf.
„Was sie gemacht haben?” Der Indianer lachte. „Sie haben Ko-neso eine ganze Menge verschiedener Sachen übergeben. Nicht als Geschenke, o nein! Sie erklärten, daß sie wiederkämen und daß wir ihnen dann die Sachen bezahlen müßten. Vielleicht ist das der Grund, warum sie heute wieder aufgetaucht sind?”
„Was waren es denn für Sachen?”
„Ganz verschiedene! Hemden und Hosen, wie sie die Spanier tragen, aber schon sehr alte und zerrissene. Auch Schuhe ließen sie uns hier, die hatten aber Löcher, und getrocknetes Fleisch von ihren Kühen. Das Fleisch stank fürchterlich und wimmelte von Würmern, unsere Hunde sind dick und fett geworden davon. Außerdem gaben sie uns einige ganz komische Messer. Auch du besitzt so ein Messer, Weißer Jaguar! Am Morgen kratzt du dir damit vor der Hütte das Kinn.”
„Das ist ein Rasiermesser. Rasiermesser haben sie euch gegeben? Euch wächst doch gar kein Bart!”
Der Indianer blickte mich verwundert an, als ob ich eine ganz außergewöhnliche Entdeckung gemacht hätte, und brach dann in kindliche Fröhlichkeit aus.
„Wer sagt denn”, seine Mundwinkel zuckten spöttisch, „wer sagt denn, daß uns die Messer die Haare vom Gesicht nehmen sollten?” „Wozu hätten sie sonst dienen sollen?”
„Wir konnten sie zu nichts gebrauchen. Sie waren abgenutzt, schartig und verrostet, nicht einmal weiches Holz schnitten sie. Sie zerbrachen schon, wenn man sie in die Finger nahm.” „Warum habt ihr sie dann angenommen?”
„Wir mußten sie nehmen. Die Spanier zwangen uns dazu und drohten, daß sie uns sonst in die Sklaverei mitnehmen würden.” „In die Sklaverei wollten sie euch verschleppen?”
„Ja. Es waren keine Händler. Der Corregidor, der spanische Kommandant in Angostura, hatte sie geschickt und ihnen Söldner mit vielen Schußwaffen mitgegeben.”
Die Auskunft des Indianers erschien mir unglaubwürdig und phantastisch; doch Pedro, der bereits etwas Arawakisch verstand, erklärte mir, daß alles durchaus so gewesen sein konnte, wie der Indianer es eben erzählt hatte.
Eine der Methoden, mit denen die Spanier die Indianer in Schach hielten, waren die sogenannten Repartimientos. Sie beruhten darauf, daß die Corregidoren oder Bezirkspräfekten die Stämme nötigten, von ihnen zu übertrieben hohen Preisen verschiedene Waren zu kaufen, für die diese kaum Verwendung hatten oder die bereits völlig unbrauchbar waren. Die Indianer
brauchten diese Waren nicht gleich zu bezahlen, sondern erst nach ein oder zwei Jahren, und zwar forderten die Spanier Naturalien dafür, Waldfrüchte, Produkte des Ackerbaus oder auch Erzeugnisse des Handwerks. Konnten die Indianer die Schuld nicht bezahlen oder erregten sie auf andere Weise den Unwillen der Ab-gesandten des Corregidors, so wurde zur Strafe eine bestimmte Anzahl junger Männer mitgenommen, die auf den Haziendas oder in den Bergwerken arbeiten mußten.
„In der Regel sind sie verpflichtet, diese Arbeit eine bestimmte Zeit zu leisten, zwei, drei oder fünf Jahre”, fügte Pedro noch hinzu; „doch kehrt in Wirklichkeit keiner von ihnen jemals in sein Heimatdorf zurück. Die meisten sterben in der Fremde vor Entkräftung und Heimweh, da sie ihr Herr bis zum Ende ihres Lebens nicht freigibt. Ich habe es öfter gesehen. Es sind unglückliche arme Teufel.”
„Du meinst also, es könnten Abgesandte des Corregidors sein, die die Schuld eintreiben wollen?”
„Das ist möglich.”
Manauri hatte sofort zwei Späher an den Rand des Urwaldes entsandt, die die Bewegungen der Spanier verfolgen und uns ein Zeichen geben sollten, falls diese sich uns nähern würden. Am Ufer lag unser Schoner, eine willkommene Beute für die habgierigen Spanier. Von Serima aus konnte er nicht gesehen werden. Die Ankömmlinge sollten weder unseren Segler noch unsere Freunde, die Neger, entdecken.
Ich bedeutete Manauri, Arnak und dem Neger Miguel unauffällig, mir in die Hütte zu folgen. Als wir allein waren, setzte ich ihnen meinen Plan auseinander. Miguel und seine vier Gefährten sollten sofort den Schoner flußaufwärts schleppen. Das war nicht allzuschwer, weil die Flut das Wasser vom Orinoko in den Itamaka drückte. Etwa eine Meile oberhalb unserer Siedlung bildete das alte Flußbett im Urwald eine schmale, langgezogene Bucht, dort würde das Schiff vor den Augen jedes Spähers sicher sein. „Alle Neger bewaffnen sich mit Büchsen, Pistolen und Keulen, ver-
bleiben mit der Negerin Dolores auf dem Schoner und werden abwechselnd Wache halten.”
Die Freunde waren mit diesem Vorschlag einverstanden, nur Manauri äußerte den Wunsch, die Neger mögen den Segler weiter flußaufwärts bringen. Drei Meilen von hier befinde sich eine zweite Bucht, die Potaro genannt werde, dort könne das Schiff noch besser verborgen werden.
„Gut so”, entgegnete ich und wandte mich an Miguel: „Die Hauptsache ist, daß niemand eure Abfahrt bemerkt, verstehst du? Das ist durchaus möglich, weil die Aufmerksamkeit aller auf Serima gerichtet ist und der Fluß in der Niederung hinter dem Hügel dahinfließt.”
Die verbleibenden Krieger unserer Sippe teilte ich in zwei Gruppen, die unter dem Kommando Arnaks und Waguras stehen sollten. Ich wollte gerade mit Manauri und Pedro auf Erkundung gehen, als einer unserer Späher im Laufschritt zurückkehrte und berichtete, daß Koneso zu uns gelaufen komme.
„Er läuft?” fragte ich verwundert. „Der Oberhäuptling läuft?” „Und wie!”
Koneso lief tatsächlich. Zwar rannte er nicht so schnell wie die beiden Indianer, die uns das Eintreffen der Spanier in Serima gemeldet hatten, schließlich war er ja viel dicker und auch älter als sie, aber er lief, er hatte es sehr eilig, mit uns zu sprechen. Er eilte geradewegs auf Manauri zu. Im Gesicht des Oberhäuptlings war keine Spur mehr von Hochmut, seine Aufgeblasenheit war völlig verschwunden. Das hier war nur noch ein schnaufender Dicker in großer Verlegenheit.
„Manauri”, keuchte er. „Ich brauche dich! Schnell, schnell! Du mußt mir helfen!”
„Gut, aber wie soll ich dir helfen?” Manauri tat überrascht.
„Ich kann mich nicht mit ihnen verständigen. Du sprichst doch Spanisch.”
„Allerdings.”
„Du mußt ihnen sagen, daß ich keine Reichtümer besitze. Sie verlangen so viel, als hätten sie den Verstand verloren. Das ist ausgeschlossen. Wir sind arm, das können wir unmöglich. Das muß man ihnen sagen.”
„Was fordern sie denn eigentlich?”
„Alles, alles! Frage lieber, was sie nicht verlangen! Wenn wir ihre Gier befriedigen wollten, so müßte der ganze Stamm mindestens ein Jahr lang auf dem Feld, im Wald und auf dem Fluß schuften. Und dann wäre es noch zuwenig. Ersticken sollen sie! Ich weiß nicht, womit ich zahlen soll, und sie fordern und fordern.”
Ich mischte mich in das Gespräch: „Wieviel sind es denn?” Koneso verstummte, um sich zu sammeln.
„Zehn oder zwölf Spanier sind es. An ihrer Spitze steht Don Esteban, der Abgesandte des Corregidors in Angostura. Alle sind schwer bewaffnet.”
„Und wieviel Indianer?”
„Bestimmt fünf mal zehn. Es sind die Ruderer, tragen aber alle indianische Waffen bei sich. Sie sind vom Stamm der Tschaimas.” „Was sind das für Indianer? Wo leben sie?”
„In der Nähe von Angostura. Sie sind aus der Dominikanermission.”
„Sind es die gleichen Spanier, die vor zwei Trockenzeiten hier waren und die euch damals die verdorbenen Sachen aufgenötigt haben?”
„Genau die gleichen! Woher weißt du das?”
„Ich weiß es.”
Der Fall hatte sich also geklärt, es waren tatsächlich Reparti-mientos. Die Spanier waren nicht gekommen, um zu kämpfen oder zu töten, sondern verlangten Bezahlung, forderten Tribut. Doch was würden sie tun, wenn sie diesen nicht erhielten? Würden sie sich nicht auf die Indianer werfen, da sie gegenüber den „Wilden” immer sehr schnell zur Gewalt griffen? Die gleichen Befürchtungen hegte auch Koneso, deshalb war er so aufgeregt und suchte krampfhaft nach einem Ausweg.
Als seine umherirrenden Augen auf Pedro fielen, schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Er ging schnell auf den Jüngling zu und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter, sein ganzes Gesicht strahlte Wohlwollen aus.
„Du bist doch unser Gefangener, nicht wahr?” sagte er freundlich lächelnd. „Hast du es schlecht gehabt bei uns? Ist dir ein Unrecht widerfahren, oder hat dich jemand gekränkt?”
Pedro war verwirrt und wußte nicht, was er antworten sollte. „Nein”, stammelte er schließlich.
„Du kannst dich also nicht über uns beklagen. Ich werde dir die Freiheit zurückgeben, aber du mußt dich bei Don Esteban für uns einsetzen! Wir schenken ihm einen Landsmann, wenn er als Gegenleistung Rücksicht zeigt und uns die Schuld erläßt! Wirst du dich dafür einsetzen?”
„Wenn du willst... Ich kann. . .”
„Hör zu, Koneso”, unterbrach ich das Gespräch. „Du scheinst vergessen zu haben, daß Pedro mein Gefangener war.”
„Läuft das nicht auf das gleiche hinaus?” Der Häuptling warf mir einen schiefen Blick zu, in seinen Augen blitzte Zorn auf. „Es läuft nicht auf das gleiche hinaus!”
„Willst du Pedro noch länger in Gefangenschaft halten?” „Nein, ich habe ihm bereits erklärt, daß er frei ist.”
„Warum verwehrst du es ihm dann, zu Don Esteban zu gehen?” „Ich lege ihm nichts in den Weg. Ich will dir nur sagen, daß ich ihn freigelassen habe, ohne eine Bedingung zu stellen, und dabei bleibt es!”
„Willst du Pedro vielleicht verbieten, daß er sich bei den Spaniern für uns einsetzt?” brüllte Koneso giftig.
„Ich habe nicht die Absicht, mich mit dir zu streiten, Oberhäuptling’, gab ich zur Antwort und zuckte mit den Schultern.
In diesem Augenblick bemerkte ich, daß seine unruhigen Augen plötzlich erstarrten, ein schlaues Leuchten glimmte in ihnen auf, das gleich darauf wieder erlosch. Ein neuer Einfall schien ihm gekommen zu sein. Unwillkürlich warf er einen schnellen Blick zum
Fluß hinunter, genau in die Richtung, in der unser Schoner lag. Zwar blieb das Schiff durch eine Bodenwelle unseren Blicken entzogen, doch verrieten mir die ruckartige Bewegung Konesos und dessen durchtriebener Gesichtsausdruck, daß sich seine Gedanken mit dem Segler beschäftigten. Der elende Verräter stellte neue Überlegungen an. Da ihm sein Vorhaben mit Pedro nicht geglückt war, sollte ihm nun unser schönes, stolzes Schiff aus der Verlegenheit helfen. Für so ein Geschenk würden ihm die Spanier bestimmt dankbar sein!
Kaum hatte ich die schmutzige Absicht des Häuptlings durchschaut, raunte ich Arnak auf englisch zu, er solle schnell zum Fluß hinunterlaufen, die Neger die Arbeit am Schoner unterbrechen lassen und sie irgendwo in der Nähe gut verstecken. Dann ging ich auf Koneso zu, deutete auf den Pfahl mit dem Jaguarschädel und raunte ihm wütend ins Ohr: „Sieh dorthin! Das Auge des Jaguars berichtet mir alles!”
Überrascht durch meinen jähen Ausbruch, sahen die umstehen-den Krieger bald mich an, bald den Schädel des Jaguars. Koneso wurde unsicher.
„Der Schädel eröffnet mir”, fuhr ich fort, „daß du auf Verrat sinnst. Du willst dich mit unserer Beute loskaufen. Ich warne dich davor!”
„Der Schädel — der Schädel?” murmelte der Häuptling erschreckt. „Der Zauberschädel!”
„So ist es! Er hat mir genau den schändlichen Plan verraten, den du eben geschmiedet hast.”
Seine Erregung war die Bestätigung meiner Vermutungen. Ich ließ ihn stehen, ging mit Manauri einige Schritte zur Seite und beauftragte ihn, dem Wunsche Konesos zu entsprechen und mit ihm nach Serima zu gehen; doch solle er einen gewandten Gefährten aus unserer Sippe mitnehmen, der Spanisch verstand. Dessen Aufgabe sei es, mich zur rechten Zeit über den Stand der Dinge und über den Verlauf der Unterredung mit den Spaniern zu unter-richten.
Kurz darauf machten sich Koneso, Manauri und der bewußte dritte auf den Weg. Koneso näherte sich dabei dem Ufer, um einen Blick auf den Fluß werfen zu können. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Er war etwas ruhiger geworden und schien seine Aufregung bezwungen zu haben. Beim Anblick des Schiffes, das wie gewöhnlich am Ufer festgemacht war und einsam auf den Wellen schaukelte, huschte ein Ausdruck der Genugtuung über sein Gesicht. Auch ich lächelte befriedigt.
Kaum waren sie außer Sichtweite, als ich das Fernrohr nahm und an den Rand des Wäldchens ging, um ihre Ankunft in Serima zu beobachten. Am Ufer des Flusses erblickte ich drei große Boote; unweit davon hatten sich die Ruderer am Ufer niedergelassen. Es waren mit Bogen und Keulen bewaffnete Indianer.
In der Nähe der ersten Hütten gewahrte ich die Spanier, auch sie hielten sich in einer Gruppe. Einige hatten sich auf dem Rasen ausgestreckt und schienen zu schlafen, andere standen und hielten wahrscheinlich Wache. Die Schußwaffen waren zu Pyramiden zusammengesetzt. Soweit ich es durch das Fernrohr erkennen konnte, trugen die Spanier alle schwarze Bärte und machten den Eindruck verwegener, beutegieriger Haudegen. Ihre Seele und ihr Gewissen schienen kaum heller zu sein als ihre Bärte. Nur Don Esteban, den Abgesandten des Corregidors, wie Koneso ihn genannt hatte, konnte ich nirgends entdecken. Wahrscheinlich saß er bereits mit dem Oberhäuptling und Manauri unter dem Dach einer der Hütten.
Obgleich sich die Spanier und die Indianer völlig ruhig verhielten, zeigten die Art ihrer Gruppierung und die griffbereiten Waffen deutlich, daß sie auf der Hut waren. Noch einmal überblickte ich das Gelände, und da weiter nichts Interessantes zu erspähen war, kehrte ich in meine Hütte zurück.
Ungefähr zwei Stunden später traf die erste Nachricht aus Serima ein: es stand schlecht um die Verständigung. Die Spanier forderten eine sehr hohe Bezahlung und drohten bei Ablehnung mit den strengsten Strafen. Über die Existenz meiner Person und
unserer Sippe waren sie bereits unterrichtet. Noch schlimmer war, daß ihnen mißgünstige Münder hinterbracht hatten, unsere ganze Sippe setze sich aus ehemaligen Sklaven zusammen, die ihrer spanischen Herrschaft entflohen seien und dabei viele Spanier umgebracht hätten. Die Anwesenheit Pedros gestattete uns nicht, den Ankömmlingen alle Ereignisse der Vergangenheit zu verschweigen, trotzdem bereitete es mir großen Schmerz, daß sich unter den Arawaken so niederträchtige Zuträger gefunden hatten, die nicht davor zurückschreckten, ihre eigenen Brüder bei diesem unerbittlichen Feind zu verklagen. Sollte Koneso in seinem Jähzorn so tief gesunken sein?
Während dieser Zeit war der Schoner flußaufwärts geschleppt worden und hatte ohne Zwischenfälle das Versteck in der entlegenen Bucht erreicht; ein Bote überbrachte mir diese Nachricht. Vor der Abfahrt des Schiffes hatte ich sämtliche Feuerwaffen sowie Papier und Tinte an Land bringen lassen.
Nun mußte ich handeln.
„Pedro!” Ich wandte mich dem Jüngling zu. „Es gibt da ein spanisches Buch, das die unterhaltsamen Abenteuer eines etwas sonderbaren Ritters beschreibt. Kennst du es vielleicht?” „Das kann nur Don Quijote sein.”
„Ja, ja, das ist es! Wie heißt doch der Schöpfer dieses Werkes?” „Miguel de Cervantes Saavedra.”
Ich schrieb mit Pedros Hilfe folgenden Brief an die Spanier:
Ilustrisime Senor Comandante!
Erlauchter Herr Kommandant!
Den glücklichen Umstand des Eintreffens des Wohlgeborenen Herrn in unserer nächsten Umgebung wahrnehmend, lasse ich es mir zur hohen Ehre gereichen, dem Erlauchten Herrn meinen aufrichtigen Gruß und den Ausdruck vorzüglicher Hochachtung zu übermitteln. Gleichzeitig gestatte ich mir, Seine Hochwohl-geboren mit dem größten Vergnügen davon in Kenntnis zu setzen, daß ich den achtbaren Jüngling Pedro Martinez, der durch das
launenhafte Walten verschiedener äußerst bedauerlicher, aber nicht durch uns verschuldeter Umstände und Ereignisse während der letzten Monate mein Reisegefährte war, der Obhut des Erlauchten Herrn anvertraue. Mein Ersuchen, der Herr Kommandant möge dem Jüngling seinen Schutz gewähren, darf ich mit der inständigen Bitte verbinden, der Erlauchte Herr möge meinen Freunden, den Arawaken, mit solcher Großmut gegenübertreten, die eines Abgesandten des Volkes, das einen Cervantes Saavedra hervorgebracht hat, würdig ist.
Mit allen Zeichen höchster Ehrerbietung grüße ich den Edlen Herrn.
John Bober
„Kann man das mit dem Cervantes Saavedra so lassen? Klingt es nicht zu geschwollen?” fragte ich Pedro. „Sollte ich zu dick aufgetragen haben?”
„Ein Versuch kann nie schaden”, antwortete der junge Mann, der sich in freudiger Stimmung befand, weil seine Sache eine so günstige Wendung genommen hatte, wenn ihn auch bei dem Gedanken an die bevorstehende Trennung von uns ein schmerzhaftes Gefühl überkam.
Ich bat Pedro, den Brief zu überbringen und gleich im Kreise seiner Landsleute in Serima zu verbleiben. Wir alle, insbesondere der lustige Wagura, hatten den jungen Spanier sehr liebgewonnen und umarmten ihn herzlich. Es sollte aber nicht der letzte Abschied von ihm gewesen sein.