Die acht Akawois

Alle sprangen auf. „Bleibt ruhig”, ermahnte ich sie mit gepreßter Stimme. „Wir dürfen durch nichts verraten, daß wir vor der Gefahr gewarnt wurden. Von den acht Akawois droht uns kaum eine Gefahr, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß eine andere Abteilung auf unserer Halbinsel gelandet ist und sich anschleicht. Vielleicht liegen sie bereits hinter den nächsten Bäumen auf der Lauer.”

Unwillkürlich blickten die Ältesten zu den Büschen hinüber. Sie konnten sich nicht beherrschen, es fehlte ihnen die Erfahrung wirklicher Krieger. Allein Manauri benahm sich so; wie es in unserer Lage geboten war.

„Einen unnötigen Blick kann man in der Wildnis mit dem Leben bezahlen”, warnte ich sie.

Dann legte ich ihnen in knappen Worten meinen Plan für die kommenden Minuten dar: Wir mußten unauffällig auseinandergehen und zu unseren Sippen zurückkehren. Jeder, dem einer von uns unterwegs begegnete, sei zu unterrichten, daß sich alle Krieger bewaffnen und nach Sippen geordnet in den Hütten bereit-halten sollten. Nach allen Richtungen seien Späher zu entsenden, die das Dickicht rings um Kumaka im Umkreis von fünfhundert Schritt zu durchsuchen hatten.

„Mit einem Wort’, schloß ich die kurze Beratung, „es ist alles zu tun, daß die Gruppen bereit sind, einen Angriff abzuwehren, und der Feind nichts von den Vorbereitungen merkt. Der Mukuari muß weiterlaufen wie bisher, die Trommeln dürfen keinen

Augenblick verstummen. Manauri und ich werden die Akawois empfangen, ihr andern verfolgt das Geschehen aus der Ferne. Sobald die Späher Nachrichten bringen, sind wir auf dem schnellsten Wege davon zu verständigen.”

Wir erhoben uns und gingen auseinander. Die Mukuaritänzer wurden heimlich in Kenntnis gesetzt, daß sie ohne Unterbrechung weitertanzen sollten.

Als wir bei meiner Hütte ankamen, erreichten die Akawois gerade das Ufer und zogen ihr Boot dicht neben unserem Segler an Land. Die Anwesenheit eines solchen Schiffes in dieser Urwaldgegend war bestimmt nichts Alltägliches, und doch verrieten die Ankömmlinge mit keinem Laut und keiner Bewegung ihre Verwunderung darüber. Sie verstanden es meisterhaft, ihre Gedanken zu verbergen. Am Rande des Wassers blieben sie stehen, und einer von ihnen, wahrscheinlich der Anführer, vollführte mit der Hand verschiedene Bewegungen vor seinem Gesicht zum Zeichen freundschaftlicher Begrüßung. Manauri antwortete ihm auf die gleiche Art, worauf die Akawois ihre Waffen und ihr Gepäck ausluden. Es bestand aus acht reichlich gefüllten Säcken, wie sie die Indianer auf ihren Wanderungen mittels eines Stirnriemens auf dem Rücken zu tragen pflegen.

„Wir sind wandernde Händler vom Stamme Kapong, der auch Akawoi genannt wird”, begann der Anführer, der uns begrüßt hatte, in gebrochenem Arawakisch das Gespräch, „und sind gekommen, um euch unsere Waren anzubieten.”

„Wenn das der Grund eures Kommens ist’, erwiderte Manauri freundlich, doch mit einer gewissen Betonung, „so heißen wir euch herzlich willkommen und beherbergen euch gern.”

„Wir danken dir. Nehmt es uns nicht übel, daß wir euer Boot benutzt haben, um über den See zu gelangen. Wir kommen aus den südlichen Wäldern, benutzen die Urwaldpfade und besitzen kein eigenes Boot.”

„Wo hast du die arawakische Sprache erlernt?”

„Unsere Siedlungen am Cuyuni liegen nahe den Wohnsitzen der südlichen Arawaken, die am Pomerun leben. Ich heiße Dabaro und bin oft mit euren Brüdern zusammengekommen."

Diesen Menschen sah man es auf den ersten Blick an, daß sie einem anderen Stamm angehörten als den Arawaken oder den Warraulen. Sie waren einen halben Kopf größer als die meisten der hier ansässigen Indianer und weitaus kräftiger. Wenn sie auch als Händler auftraten, so verriet jede ihrer Bewegungen die Elastizität und Sicherheit erprobter Krieger. Ihre Augen blickten scharf, wenn auch beherrscht, ihre Mienen waren stolz und die Haltung würdevoll. Die weißen Faserbinden am Unterarm und unterhalb der Knie und die schwarzen Streifen, die vom Ohr zur Nase und zum Mund verliefen, stellten sicher das Stammeszeichen dar. Alle acht Mann waren bis an die Zähne bewaffnet, jeder trug Pfeil und Bogen bei sich, Speer, Keule und einen Schild aus hartem Tierfell. Die Waffen legten sie keinen Augenblick aus der Hand und gingen so geschickt damit um, daß sie ihnen bei keiner Tätigkeit im Wege waren. Diese Gewandtheit im Umgang mit Waffen wirkte drohend und unheilverkündend, nötigte aber gleichzeitig auch Achtung ab.

Als die Begrüßungszeremonien vorüber waren, ließ Manauri die Gäste in die ihnen zugewiesenen Hütten geleiten, wo sie reichlich mit Speise und Trank bewirtet wurden und Holz erhielten, um ein Feuer zu entzünden. Die Hütten waren so gelegen, daß sie Tag und Nacht von allen Seiten aus gut beobachtet werden konnten.

Die ausgesandten Späher hatten in der nächsten Umgebung Kumakas nichts Verdächtiges gefunden. Nun schickte ich sie ein zweites Mal weg, diesmal jedoch bedeutend weiter. Sie sollten unsere ganze Halbinsel und auch das gegenüberliegende Ufer des Sees absuchen. Weil die Akawois von dorther gekommen waren, befahl ich Arnak, den Pfad, den sie benutzt hatten, so weit wie möglich zu verfolgen.

Anschließend hielt ich mit Manauri und den Häuptlingen eine Beratung ab. Ich erklärte ihnen, daß die Akawois ihre Überfälle meistens kurz vor Tagesanbruch durchführten, in der Zeit des tiefsten Schlafes, und daß jede Sippe eine Anzahl Krieger für den Wachdienst bereithalten müsse.

„Die Wachen werden die ganze Nacht über ausgestellt, und zwar in Kumaka selbst und auch außerhalb der Siedlung.” Mit diesen Worten schloß ich meine Anordnungen.

„Weißer Jaguar, glaubst du, daß noch mehr Akawois im Wald verborgen sind?” fragte Mabukuli.

„Ich weiß genausoviel wir ihr, doch sagt mir eine innere Stimme, daß es nicht nur acht waren.”

„Meinen Kopf will ich verlieren, wenn es nicht mehr waren”, erklärte Konauro.

Mehr oder weniger waren alle dieser Ansicht, und weil die Angst große Augen hat, schätzten sie die Größe der Gefahr, in der wir uns befanden, richtig ein. Unter den Stämmen Guayanas und Südostvenezuelas waren die schaurigsten Gerüchte über die Akawois im Umlauf. Besonders ihre Blutgier und unmenschliche Grausamkeit waren gefürchtet. Die Häuptlinge der Arawaken verfielen aber nicht in Panik, weil sie fest an meinen guten Stern glaubten und mir unbegrenztes Vertrauen schenkten.

„Gibt es unter unseren Leuten jemand, der die Sprache der Aka-wois versteht?” fragte ich.

Leider gab es niemand. Die Bewohner Serimas und Kumakas waren erst vor zwei Jahren von der Küste des Karibischen Meeres hierhergekommen und hatten mit den Akawois noch keine Berührung gehabt.

„Das ist sehr schade, denn ich bin überzeugt, daß die Akawois Späher sind. Sie werden sich so lange bei uns aufhalten, bis sie alles erfahren haben, was sie wissen wollen. Es wäre daher gut, wenn jemand ihre Gespräche belauschen könnte.”

„Wir haben niemand.” Manauri zuckte die Achseln.

„Doch gibt es einen”, rief Mubukuli plötzlich aus. „Fujudi!” Fujudi, der zur nächsten Umgebung des Oberhäuptlings Koneso gehört hatte, war jener Arawake, den wir bereits in dem Dorf Jekuanas an der Mündung des Orinoko kennengelernt hatten. Er stammte vom Pomerun und war erst vor Jahresfrist hier eingetroffen.

„Natürlich, Fujudi”, bestätigten Konauro und Jaki. „Er kennt die Sprache der Akawois, wir wissen es ganz genau.”

Fujudi hatte sich seinerzeit nicht von Koneso trennen wollen und hielt sich in Serima auf.

„Er war nicht an der Seuche erkrankt?” fragte ich.

„Nein.”

Ich wandte mich an Manauri. „Entsende sofort einen flinken Boten zu Fujudi. Er soll noch in dieser Nacht zu uns kommen. Außerdem muß in Serima Ordnung geschaffen werden, alle Hütten, in denen Kranke lagen, sind zu verbrennnen, möglichst gleich morgen früh.”

„Gut, Jan.”

Als wir berieten, wie die acht Akawois am besten überwacht werden könnten, rümpften Mabukuli, Jaki und Konauro die Nase und machten unzufriedene Gesichter.

„Der Weiße Jaguar hat selbst zugegeben”, brachte schließlich Konauro vor, „daß die Akawois Kundschafter sind. Es besteht also kein Zweifel, daß wir es mit Feinden zu tun haben. Wenn wir sie töten, befreien wir unseren Körper von dem Geschwür, das ihn befallen hat. Damit beseitigen wir die Gefahr und lassen gleich-zeitig unseren Jägern, die während der letzten Trockenzeit in den Bergen umgebracht wurden, Gerechtigkeit widerfahren.”

„So ist es, wir werden sie töten”, bekräftigten Jaki und Mabukuli.

Manauri krümmte sich, als habe ihn eine Schlange gebissen. Er schnaufte und maß seine Häuptlinge mit wütenden Blicken. Es dauerte geraume Zeit, bis er ihnen eine Antwort gab. Endlich öffnete er den Mund und sprach: „Ich habe erwachsene Männer vor mir, doch was sie reden, ist die Sprache von Gelbschnäbeln. Sind wir vielleicht wilde Bestien, die wandernde Händler umbringen? Will es niemand gesehen haben, daß Manauri im Namen des ganzen Dorfes die Fremden begrüßt und ihnen Gastfreundschaft angeboten hat? Und nun erhebt ihr, meine Freunde und Häuptlinge, die schamlose Forderung, ich solle ehrlos mein gegebenes Versprechen brechen? Eine solche Schande mutet ihr mir zu?"

Der Oberhäuptling war zutiefst empört, und ich rieb mir insgeheim vor Freude die Hände, denn ich erblickte in diesem berechtigten Ausbruch gleichzeitig auch einen Erfolg meines Einflusses. Die Häuptlinge nahmen den Tadel ruhig und ergeben auf, nur Mabukuli, der vertrauteste Gefährte Manauris, machte den Einwand: „Und wenn die Akawois wirklich Verräter sind, was dann?’

„Das ist etwas anderes. In diesem Fall werden wir sie vernichten!”

„Wenn es dann nur nicht zu spät ist’, knurrte Mabukuli warnend.

Die Häuptlinge richteten ihre Augen auf mich. Ihre letzte Hoffnung war, daß ich Partei für sie ergreifen könnte, doch waren sie im Irrtum. Ich stellte mich unmißverständlich auf die Seite Manauris und fügte hinzu, die acht Akawois müßten schon deshalb am Leben bleiben, um uns durch ihr Verhalten möglicherweise das Versteck der übrigen Feinde zu verraten, wenn solche in der Nähe Kumakas weilen sollten.

Vor Einbruch der Dunkelheit besuchten wir die Gäste in ihren Hütten und überzeugten uns, ob es ihnen an nichts fehle, gleichzeitig warnten wir sie bei dieser Gelegenheit freundschaftlich, sich in der Finsternis von ihrer Behausung zu entfernen.

Als es Nacht wurde, kehrten Arnak und die übrigen Kundschafter in das Dorf zurück. Nirgends hatten sie Spuren fremder Menschen gefunden.

Ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht wurde ich geweckt. Fujudi war gekommen. Er war begeistert von der Aufgabe, die er erfüllen sollte, und freute sich, daß wir ihm Vertrauen schenkten. Die Sprache der Akawois beherrschte er recht gut.

„Ich vertraue dir die Akawois an. Du wirst ihnen behilflich sein und auf jedes Wort achten, das sie sprechen, doch dürfen sie nie merken, daß du sie verstehst’, belehrte ich ihn. „Es fragt sich nur, ob sie dich nicht von früher kennen.”

„Das ist unmöglich”, antwortete er, „denn ich habe ihre Sprache von zwei Akawois gelernt, die ständig in unserem Stamm am Pomerun lebten. Ich war nie am Cuyuni.”

„Um so besser! Wie steht es in Serima?”

„Die Seuche scheint vorüber zu sein. Die Überlebenden kommen langsam wieder zu Kräften.”

„Und Koneso?”

„Er ist völlig gebrochen, abgestumpft und verlassen. Ganze Tage spricht er kein einziges Wort.”

„Und die übrigen?”

„Sie hoffen auf dich, Weißer Jaguar, und möchten sich mit dem Stamm Manauris vereinigen. Sie wollen alles tun, was ihr ihnen befehlt.”

„Wann werden die verseuchten Hütten verbrannt?”

„Sobald es Tag wird.”

Das waren erfreuliche Nachrichten, die eine friedliche Zukunft ohne Zwistigkeiten verhießen, falls es uns gelang, die von den Akawois drohende Gefahr, wenn sie wirklich vorhanden war, glücklich abzuwenden.

„Sind die Bewohner Serimas über das Auftauchen der Akawois unterrichtet?”

„Ja. Sie werden äußerst wachsam sein.”

Ich sagte Fujudi, er solle noch einige Stunden schlafen, und kontrollierte die Wachen. Alle waren auf ihrem Posten. Auch dem Palmenhain stattete ich einen Besuch ab. Ein Teil der Krieger tanzte noch immer den Mukuari, und die Trommeln schickten ihr rhythmisches Dröhnen in die Dunkelheit. Die Nacht verging ohne besondere Vorfälle.

Als der Morgen graute, war ganz Kumaka auf den Beinen. Ich stellte die Wachen so weit wie möglich vor der Siedlung auf und sandte Gruppen besonders gewandter Jäger und Fischer auf Erkundung in den Urwald und den Itamaka flußaufwärts.

Bald herrschte vor den Hütten der acht Akawois lebhaftes Treiben. Es war ein heiterer Morgen, und die Händler legten den Inhalt ihrer Säcke auf der Erde aus, daneben stießen sie ihre Speere und Keulen in den Boden. Die Keulen waren eigenartig geformt, sie glichen riesigen Dolchen.

Was gab es da nicht alles! Kleine Töpfe mit dem wertvollen Gift Urari, das von den am Fuße der Pacaraimaberge lebenden Makuschis stammte, dahinter lagen verschiedene Halsketten und andere aus Jaguar-, Kaiman- und Affenzähnen hergestellte Schmucksachen sowie eine Anzahl seltener Früchte. Es war die reinste Augenweide. Dabaro erläuterte unseren Männern und Frauen bereitwillig, woher die einzelnen Dinge kamen: diese von den Karibisen, jene von den Wipisanas, andere von den Arekunas und einige Sachen sogar von den Arawaken, die am Essequibo lebten.

Besonders ins Auge fielen blinkende, bunte Glasperlen verschiedener Größe, die sichtlich europäischen Ursprungs waren; an ihnen konnten sich die Leute aus Kumaka gar nicht satt sehen. Ferner gab es holländische Tücher aus Baumwolle, Äxte, die gleichfalls aus Holland stammten, und viele Arten von Messern, große und kleine, darunter auch solche, die mir bekannt vorkamen. Als ich eins davon in die Hand nahm, um es näher zu betrachten, entdeckte ich den eingestanzten Namen Liverpool. Ich hatte das Gefühl, als striche ein heimatlicher Wind um meine Wangen und lasse mein Herz freudig erbeben.

Dabaro — er trug als auffälligsten Schmuck ein silbernes Plättchen, das von seiner durchlöcherten Unterlippe herabbaumelte und etwa die Größe eines Talers hatte — bemerkte mein Interesse für die englischen Erzeugnisse. Er trat zu mir heran, deutete auf das Messer und erklärte mir: „Das stammt aus den Faktoreien deiner Landsleute am Essequibo, von den Paranakedis — den Engländern.”



„Woher weißt du denn, daß ich ein Engländer bin, wenn es dir hier niemand erzählt hat?” stellte ich ihn zur Rede.

Auf dem bisher verschlossenen und düsteren Gesicht des Aka-wois erschien ein breites Lächeln.

„Zwischen dem Orinoko, dem Essequibo und dem Cuyuni gibt es zwar viele Berge und mächtigen, dichten Urwald, doch erreichen uns Nachrichten und Neuigkeiten mit der Geschwindigkeit des Sturmes, Weißer Jaguar.”

„Auch mein Beiname ist dir also bekannt?”

„Wie du hörst, ja.”

„Und was weißt du sonst noch über uns?”

„Alles”, antwortete er ernst, mit unbeweglicher Miene.

Während ich den Akawois zusah, die ihre Waren mit dem Geschick erfahrener Händler zur Schau stellten, und meinen Blick über die Vielfalt der mitgebrachten Gegenstände gleiten ließ, stiegen unwillkürlich Zweifel an unserem Verdacht in mir empor. Zwischen den Stämmen bestand ein lebhafter Tauschhandel, und möglicherweise waren diese acht wirklich Händler und keine Krieger, die feindliche Absichten hegten.

Plötzlich erhob sich im Norden eine schwarze Rauchsäule gegen den Himmel. In Serima wurden also die verseuchten Hütten verbrannt. Die nacheinander an verschiedenen Stellen aufsteigenden und sich über dem Urwald zu einer mächtigen Wolke vereinigenden Rauchschwaden boten einen überwältigenden Anblick. Da die Leute in Kumaka nichts von dem Auftrag der Ältesten wußten, wurden sie unruhig. Die Waren der Akawois fanden keine Beachtung mehr. Bald wurde die Vermutung laut, daß Serima überfallen worden sei, und obwohl der Name des Angreifers nicht genannt wurde, fiel heimlich mancher zornige Blick auf die acht Akawois. Einige rannten in panikartiger Hast zu ihren Hütten, um sich zu bewaffnen.

Die Akawois hatten gleichfalls die Rauchwolken bemerkt, und Dabaro verstand auch die unzweideutigen Vermutungen und Bemerkungen unserer Leute. Sie waren sichtlich verblüfft, ja mehr

noch, ihre Mienen schienen Zorn gegen die vermeintlichen Urheber des Überfalls auszudrücken; jedenfalls deutete ich den Aus-druck als Zorn. Sie begannen hastig ein halblautes Gespräch, und Fujudi, der sich in der Nähe aufhielt, spitzte unauffällig die Ohren.

Viel konnte er nicht hören, denn die Akawois tauschten nur einige kurze Erwägungen aus und verstummten wieder. Gleich darauf entfernte sich Fujudi, ein Weilchen später folgte ich ihm. An einer sicheren Stelle zwischen den Hütten holte ich ihn ein. „Hast du etwas gehört?” fragte ich.

„Kaum hatte Dabaro den Rauch erblickt, rief er den andern zu: ,Die Dummköpfe konnten es nicht erwarten, nun haben sie sich vorzeitig verraten.' Ein anderer antwortete ihm: ,Sie haben unseren ganzen Plan verdorben.”

„Dabaro war also der Meinung, daß Akawois Serima überfallen hätten?”

„So ist es. Sie flüsterten dann noch, daß sie sofort fliehen und sich zu unseren Booten am Seeufer durchschlagen müßten.”

„Das müssen wir auf jeden Fall verhindern! Lauf sofort zurück und gib laut bekannt, daß sich die Sache mit dem Rauch geklärt habe; in Serima werden die verseuchten Hütten niedergebrannt.” Er eilte zurück, erfüllte seinen Auftrag, und bald hatten die Einwohner Kumakas und die Akawois ihre Ruhe wiedergefunden.

Ich selbst schritt in Gedanken versunken auf die Hütte Ma-nauris zu. Nun gab es keine Zweifel mehr! Die Akawois waren mit einer größeren Abteilung gekommen, die sich irgendwo in der Nähe versteckt hielt. Auch war es sicher, daß sie böse Absichten hegten. Unausweichlich mußte es zu einer entscheidenden Auseinandersetzung kommen, das machte ich einige Minuten später auch Manauri und den übrigen Häuptlingen klar.

„Nur Wachsamkeit, offene Augen für alles und noch einmal Wachsamkeit können uns retten”, prägte ich ihnen ein. „Die Hütten Kumakas liegen verstreut und zu weit auseinander, sie lassen sich schlecht verteidigen. Alle Bewohner müssen daher in der Mitte des Dorfes zusammengezogen werden und hier verbleiben. Vergeßt nicht, Aripaj zurückzuholen!"

Währenddessen wurde weiter gehandelt, doch kamen die Geschäfte nicht recht vom Fleck, da die Akawois ihre Waren sehr hoch und die Tauschartikel der Arawaken, insbesondere die bunten Gewebe, allzu niedrig bewerteten. Die Händler wollten auch größere Vorräte an Lebensmitteln einkaufen, wir aber hatten nicht die Absicht, davon etwas abzugeben. Als gegen Mittag wegen der großen Hitze das Feilschen für einige Stunden unterbrochen wurde, hatten daher nur wenige Dinge ihren Besitzer gewechselt. Mir wurde klar, daß die Akawois ein Interesse daran hatten, sich so lange wie möglich in Kumaka aufzuhalten.

Um die Mittagszeit hatte auch die heimliche Übersiedlung der Einwohner in die Mitte des Dorfes ihren Abschluß gefunden. In den Hütten gegenüber dem Schoner wimmelte es von Menschen, während die Behausungen am Rande Kumakas einsam und verlassen dalagen. Zwar bemerkten die Akawois das lebhafter werdende Treiben, doch konnten sie keine richtige Erklärung dafür finden und blieben — wie Fujudi berichtete — im ungewissen.

Im Laufe des Nachmittags kehrten die Kundschafterguppen vom Fluß und aus dem Urwald zurück. Sie hatten nichts bemerkt, was auf die Anwesenheit eines Feindes schließen ließ, und waren im Umkreis von zehn Meilen auf keine verdächtigen Spuren gestoßen. Man mußte also annehmen, daß die Akawois entweder noch weiter ab von Kumaka lagerten oder ein ausgezeichnetes Versteck gefunden hatten, das nur schwer aufzuspüren war.

Am frühen Nachmittag verstauten die Akawois ihre Waren und erklärten, daß sie uns einen Tanz zur Verehrung des Feuers vorführen wollten. Wir hatten nichts dagegen, und viele Bewohner Kumakas kamen herbei, um dem Schauspiel zuzusehen.

Der Tanz fand vor den Hütten der Gäste statt, neben den Spee-ren und Keulen, die die Akawois ihrer Gewohnheit gemäß in die Erde gesteckt hatten. Die Zeremonie bestand darin, daß einer der Akawois die Flammen eines großen Feuers abwechselnd hoch auflodern und gleich darauf wieder in sich zusammensinken ließ, während sich die übrigen Krieger an den Händen hielten und in kleinen seitlichen Tanzschritten das Feuer umkreisten, wobei sie in singendem Tonfall Kampfrufe ausstießen.

„Kannst du verstehen, was sie singen?’ wandte ich mich unauffällig an Fujudi.

„Sie bitten das Feuer, daß es ihnen Sieg bringen und mit seinem Rauch die Augen ihrer Feinde blenden möge.”

„Ist es einer ihrer üblichen Tänze?’

„Das weiß ich nicht.”

„Hast du schon einmal von ihm gehört?”

„Nein, ich sehe ihn zum erstenmal.”

Es war ganz natürlich, daß Fujudi den Tanz nicht kannte, doch fiel mir während der Zeremonie auf, daß in den Abständen, in denen das Feuer entfacht oder gedämpft wurde, dichte Rauchkringel emporstiegen, was mir nicht als Zufall erschien. Die Rauchwolken erhoben sich in längeren oder kürzeren Unterbrechungen hoch über die Wipfel der umstehenden Bäume und waren sicher von jeder Stelle des Seeufers und wahrscheinlich auch von dem jenseits des Itamaka gelegenen Waldrand aus zu beobachten.

Nachdem ich dieses Tun eine Zeitlang aufmerksam verfolgt hatte, hätte ich den Kopf dafür gegeben, daß die Akawois mit Hilfe des Rauchs bestimmte Signale übermittelten.

Ich stieß Manauri an und erklärte: „Die Akawois müssen sich in der Nähe Kumakas aufhalten.”

„Woran willst du das erkennen?’ fragte er verwundert zurück. „An dem Rauch, den die Tänzer aufsteigen lassen. Sieh einmal genau hin!”

Der Häuptling gab mir recht. Auch ihm schienen die Rauchknäuel nicht ohne verborgene Bedeutung zu sein.

„Was ist zu tun?” zischte er gereizt. „Sollen wir den Tanz abbrechen und das Feuer löschen?”

„Nein, noch ist die Zeit nicht gekommen.”

„Aber diese Verräter werden uns die ganze Meute auf den Hals hetzen.”

„Wir sind doch auf der Hut! Übrigens werden wir sofort ihre Pläne durchkreuzen und ihre Rauchsprache durcheinanderbringen.”

Ich rief Arnak und Wagura herbei, die in der Nähe standen, weihte sie in unsere Vermutungen ein und trug ihnen auf, in der Nähe zwei weitere Feuer zu entzünden und in unregelmäßigen Abständen Rauchwolken zum Himmel steigen zu lassen.

„Das bringt Verwirrung in die Rauchzeichen der ,Händler' ", erklärte ich und wandte mich wieder Manauri zu, „doch ist damit die Sache nicht abgetan. Wir müssen neue Späher an den See entsenden. Sie sollen noch einmal die Ufer absuchen, diesmal aber ganz gewissenhaft.”

Meine Anordnungen wurden sofort ausgeführt. Ich weiß nicht, ob die Akawois etwas bemerkten, jedenfalls tanzten sie noch eine gute Stunde lang und ließen immer wieder die bewußten Rauchkringel emporsteigen. Ähnliche Wölkchen, wenn auch in anderen Abständen, erhoben sich aber auch von den beiden anderen Feuern über die Wipfel. Von weitem hätte sich nicht einmal der Teufel in diesem Durcheinander der Zeichen ausgekannt. Gleichzeitig waren zwei starke Gruppen unterwegs, die jeden Strauch des Dickichts am Ufer untersuchten.

Die ausgesandten Krieger kehrten erst am späten Abend zurück. Vom Feind hatten sie keine Spur gefunden, doch brachten sie eine andere Nachricht mit, die ganz Kumaka erschütterte: Aripaj war mit seiner ganzen Familie ermordet worden. Sofort erhob sich das Gerücht, daß sie einem Racheakt der Freunde des Zauberers Karapana zum Opfer gefallen seien. Am meisten fühlte sich Manauri von dem traurigen Ereignis betroffen. Er war äußerst niedergeschlagen und konnte es sich nicht verzeihen, daß er Aripaj nicht rechtzeitig hatte ins Dorf bringen lassen.

In dieser Nacht waren wir alle auf einen Überfall gefaßt, doch der Feind zeigte sich nicht. Sobald der Tag graute, sammelte sich vor meiner Hütte eine Gruppe von Kundschaftern, und ich machte mich mit ihnen auf den Weg zum Ort des Verbrechens. Als Manauri sah, daß wir nur fünfzehn waren, hielt er uns zurück und schalt unseren Leichtsinn. Wir mußten solange warten, bis weitere zwanzig Krieger zur Stelle waren, die unseren Schutz übernahmen.

Die Hütte Aripajs lag etwa eine halbe Meile von Kumaka entfernt, und als wir sie erreichten, war bereits die Sonne aufgegangen. Aus Sicherheitsgründen befahl ich den Kriegern, den Ort in weitem Bogen zu umstellen, und näherte mich allein der Hütte, um nach Spuren zu suchen. Die ganze Familie, Aripaj, seine Frau und die beiden Kinder, lagen noch so da, wie der Tod sie ereilt hatte. Durch Schläge mit einem harten Gegenstand, wahrscheinlich mit Keulen, waren ihnen die Schädel zerschmettert worden. Ich fand weder Spuren eines Kampfes noch sonstige Anzeichen, die auf die Urheber des Verbrechens schließen ließen.

Erst als ich die Hütte verließ und in dem Gewirr von Spuren, die in der nächsten Umgebung vorhanden waren und wohl zum größten Teil von den Familienmitgliedern stammten, nach auffälligen Anzeichen suchte, entdeckte ich zwei längliche, nicht allzugroße Löcher im Erdboden. Ich überlegte, wo ich schon ähnliche Löcher gesehen hatte, und plötzlich kam mir die Erleuchtung: Die Akawois hatten doch die Angewohnheit, ihre Keulen in die Erde zu stoßen, und die Löcher hier entsprachen in der Größe den Enden dieser Waffen!

Die Akawois also, überlegte ich und erschrak. Die Akawois hier auf unserer Halbinsel?

Der Reihe nach rief ich mehrere Krieger herbei und trug ihnen auf, selbst nach Spuren zu suchen. Da sie mich vordem von weitem beobachtet hatten, fiel es ihnen jetzt verhältnismäßig leicht, die beiden Löcher zu finden, und sie zogen daraus — das mußte ich ihnen zuerkennen — auch die richtigen Schlußfolgerungen.

Bei unserer Rückkehr ins Dorf erwartete uns eine neue unangenehme Überraschung. In der vergangenen Nacht war eine unserer größeren Itauben gestohlen worden. Das Boot hatte in der Nähe des Schoners gelegen. Trotzdem wir die ganze Nacht Wachen ausgestellt hatten, war der Diebstahl gelungen. Der Dieb oder, besser gesagt, die Diebe mußten von der Seeseite her gekommen und mit außerordentlicher Geschicklichkeit zu Werke gegangen sein, um die Itaulbe unbemerkt ins Wasser zu schieben und zu entführen. Es wurden wiederum — das wievielte Mal schon, zum Teufel? — zwei Kundschaftergruppen ausgeschickt, um an den Ufern des Sees nach dem verschwundenen Boot zu suchen. Sollten sie es nicht finden, so gewannen wir wenigstens die Gewißheit, daß der Dieb oder, was gleichbedeutend war, der Feind vom Fluß gekommen sein mußte.

Ich bekenne, daß ich an diesem Morgen ein wenig aus der Fassung geriet. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als stände ich auf glühenden Kohlen, als würde mir die Kehle zusammengeschnürt. Dieser erbitterte Feind mordete bereits unsere Leute und drang in unser Dorf ein. Wir kannten sein Versteck noch immer nicht und hatten keine Ahnung von seiner Stärke. Was wird er in der nächsten Stunde gegen uns unternehmen, von wo ist der nächste Schlag zu erwarten, vielleicht schon der letzte, der entscheidende?

Doch die Zweifel und das Schwächegefühl hielten nicht lange an. Bald fand ich mein inneres Gleichgewicht wieder. Lasana brachte mir das Frühstück, und der Anblick der geliebten Frau und mehr noch ihre Ruhe und ihr Vertrauen gaben mir den Glauben an mich selbst und an unseren Sieg zurück. Ich schämte mich meiner Schwäche.

Noch während des Essens überlegte ich die weiteren Möglichkeiten unserer Verteidigung. Ich ließ die Häuptlinge sowie Fujudi, Arnak und Wagura rufen, und als sie eingetroffen waren, erläuterte ich ihnen kurz meinen Plan: Die Leute in Kumaka müßten sich so verhalten, daß die acht Akawois nicht auf den Gedanken kämen, wir könnten den Mord und den Diebstahl des Bootes bemerkt haben. Außerdem ordnete ich an, daß sich in einer Stunde alle, die Feuerwaffen besaßen, bei den Buritipalmen versammeln sollten.

„Die Kundschafter, die eben zum See entsandt wurden, haben einige Büchsen mitgenommen”, erinnerte Manauri.

„Dann müssen wir eben ohne diese auskommen”, entgegnete ich. „Viele werden sie nicht mitgenommen haben, höchstens drei oder vier.”

„Drei waren es”, versicherte Arnak.

„Alle, die eine Feuerwaffe besitzen, sollen bei den Palmen erscheinen?’ fragte Wagura noch einmal.

„Alle.”

„Das werden annähernd vierzig sein. Bist du der Meinung, Jan, daß die Akawois nichts merken werden, wenn so viele mit Büchsen oder Pistolen bewaffnete Männer zu dem Wäldchen gehen?” „Ich glaube, sie werden es merken.”

„So können wir uns offen vor ihnen zeigen?”

„Nein. Die Akawois müssen den Eindruck gewinnen, daß wir die Waffen vor ihnen verbergen wollen, und doch sollen sie uns bemerken und unsere Waffen sehen.”

„Ah, jetzt verstehe ich!” rief Wagura aus. „Sie sollen sehen, über wie viele Waffen wir verfügen.”

„So ist es! Und du, Arnak, sorgst dafür, daß sämtliche Pulver-fäßchen, die auf dem Schoner sind, in den Palmenhain gebracht werden.”

„Die Augen sollen ihnen übergehen, diesen Lumpen!” Wagura freute sich.

Währenddessen hatten die Akawois, genau wie am vorher-gehenden Tage, ihre Waren ausgestellt, und das Feilschen begann von neuem. Heute waren es vorwiegend Frauen, die sich bei den Händlern einfanden, denn die Männer hatten anderes zu tun. Die Akawois forderten auch nicht mehr so hohe Preise und tauschten bereitwillig die arawakischen Gewebe gegen ihre Waren ein.

Zur festgesetzten Zeit bot der Hain aus Buritipalmen ein ungewöhnliches Bild. Die Indianer hatten drei bis vier Fuß über der Erde an den Bäumen Stangen befestigt, die einen Stamm mit dem andern verbanden. Daran lehnten die Läufe ihrer Musketen und Büchsen. Etwas höher, an waagerecht gespannten Lianen, hatten sie nebeneinander die Pistolen aufgehängt. Insgesamt waren es achtunddreißig Büchsen und vierunddreißig Pistolen, eine ansehnliche Sammlung, die Bewunderung hervorrufen mußte.

Mit Arnak und Wagura machte ich mich daran, die Waffen zu untersuchen. Es war die höchste Zeit, denn in dem feuchten Klima begann bereits der Rost an unseren Flinten zu nagen. Die Musketen, die ich den neu ausgebildeten Schützen zugeteilt hatte, waren in besonders schlechtem Zustand. Das Fett der Apias erwies sich als wunderbares Mittel, das Schießzeug recht und schlecht wieder in Ordnung zu bringen. Mit größter Aufmerksamkeit kontrollierte ich, ob für jede Feuerwaffe ein lederner Überzug vorhanden war, der über das Schloß und den Hahn gezogen wurde und die Pfanne vor Feuchtigkeit und Regen schützte.

Noch war die Besichtigung nicht abgeschlossen, als Wagura mich darauf aufmerksam machte, daß sich Dabaro nähere. Der Fisch hatte also den Köder geschluckt. Wir beachteten den Aka-woi nicht weiter, erst als er vor uns stand, warf ich ihm einen fragenden Blick zu.

Als Händler genossen unsere Gäste das Recht, sich tagsüber im ganzen Dorf nach Gutdünken zu bewegen.

„Das Feuerholz ist uns ausgegangen”, brachte Dabaro vor. „Wir möchten hier in der Nähe etwas Holz sammeln.”

„Unsere Leute werden euch soviel Holz bringen, wie ihr braucht’, entgegnete ich ihm freundlich.

„Wir wollen euch nicht damit belasten”, erwiderte er im gleichen Ton.

„Gut, Dabaro, dann geht selber in den Wald. Achtet aber auf unsere Wachen, die im Walde verteilt sind, damit euch nichts Unangenehmes zustößt.”

Er tat verwundert. „Wozu habt ihr die Wachen ausgestellt?” „Das haben wir dir noch nicht gesagt? Die Spanier führen etwas im Schilde. Sie wollen wegen der ungastlichen Aufnahme, die wir ihnen bei ihrem letzten Besuch bereitet haben, mit uns abrechnen.”

„Die Spanier!” Dabaro überlegte und fügte dann hinzu: „So gib uns lieber einen Mann mit, der den Wachen erklärt, was wir im Walde wollen.” '

„Gut, ich gebe euch einen Begleiter mit.”

Bereits im Gehen fiel ihm noch etwas ein: „Nachmittags möchten wir euch wieder etwas vortanzen.”

„Ausgezeichnet! Ihr seid unermüdliche Tänzer. Das viele Holz braucht ihr wohl, um ein großes Feuer zu unterhalten?”

„Nein, Weißer Jaguar, heute zünden wir kein Feuer an. Heute tanzen wir den Tanz der Krieger.”

Er ging davon, ohne die Waffen auch nur mit einem Blick zu streifen. Daß sie seinen Augen entgangen sein sollten, erschien den Freunden unwahrscheinlich, ja geradezu unnatürlich, und Arnak murmelte: „Schlau ist der Kerl, aber nicht schlau genug.”

In Begleitung Fujudis und zweier Krieger begaben sich die Akawois in den Urwald. Ihre Waffen hatten sie in Kumaka zurückgelassen. Nach einer knappen Stunde kehrten sie mit Holz beladen wieder. Sie hatten die Wachen gesehen. Sonst hatte sich nichts Verdächtiges ereignet, und auch Fujudi konnte nichts Besonderes berichten.

Kurz vor Mittag kehrten die Späher vom Seeufer zurück. Sie hatten weder Spuren des verschwundenen Bootes noch Fährten in der Nähe des Wassers entdecken können.

„Die Situation beginnt sich zu klären”, sagte ich zu den Häuptlingen. „Die Akawois lagern auf der Flußseite.”

„Wie ich sehe, befriedigt dich diese Nachricht”, erwiderte Ma-nauri in bitterem Ton und wiegte den Kopf hin und her.

„So wahr ich lebe! Wenn Kumaka nicht überfallen wird, so bringt uns die nächste Nacht die Gewißheit, wo sich das Lager der Akawois befindet.”

„Hast du schon einen bestimmten Plan?”

„Den habe ich. Ihr müßt nur aus den Sippen Kumakas fünfzehn Krieger aussuchen, die ein mutiges Herz besitzen, vor allem aber im Dunkeln sehen können wie die Eulen. Diese schickt zwei Stunden nach Mittag zu mir.”

Sie sandten die Krieger und kamen auch selbst, um meinen Plan zu vernehmen. Ich machte ihnen mein Vorhaben klar: „Wir besetzen heute nacht mit zwei Booten die enge Durchfahrt, die den See mit dem Itamaka verbindet. Ich bin überzeugt, daß die Akawois, ermutigt durch ihren gestrigen Erfolg, auch heute wieder versuchen werden, uns weitere Boote zu entwenden. Wenn wir sie aus Kumaka vertreiben, so werden sie auf den Fluß hinausfahren und Hals über Kopf ihrem Lagerplatz zusteuern. Unsere beiden Boote, die in der Enge auf der Lauer liegen, können sie unbemerkt verfolgen und auf diese Weise ihr Lager entdecken. Seid ihr mit diesem Plan einverstanden?”

„Und du willst mit zur Durchfahrt, Jan?”

„Natürlich. Sobald es dunkel wird, fahren wir los. Das eine Boot begleite ich, Arnak übernimmt das zweite.”

„Und wenn in deiner Abwesenheit das Unglück über Kumaka hereinbricht, wenn die Akawois über unser Dorf herfallen?” „Wozu sind denn die Wachen ausgestellt? Außerdem ist es nicht weit zur Durchfahrt, wir würden euch bei einem Überfall sofort zu Hilfe eilen.”

Wir brachen unverzüglich auf, um ungefähr eine halbe Meile entfernt eine geeignete Stelle für das nächtliche Unternehmen auszusuchen. Die Durchfahrt war über zweihundert Schritt lang, aber ziemlich schmal, und die Ufer waren hinter einer dichten Wand tief herabhängender Zweige verborgen. In ihrem Schatten konnte man sich ausgezeichnet verstecken. Nachdem wir den nächtlichen Standplatz für die Boote festgelegt hatten, kehrten wir nach Kumaka zurück.

Kurz darauf begannen die Akawois ihren Tanz. Es war ein Kriegstanz, wie Dabaro angekündigt hatte. Sie hielten sich wieder an den Händen gefaßt, doch bewegten sie sich diesmal viel

lebhafter, vollführten gewaltige Sprünge und stießen wilde Schreie aus. Von Zeit zu Zeit sprang einer von ihnen in die Mitte des Kreises und drehte sich wie rasend um sich selbst. Tatsächlich hatten sie kein Feuer entzündet, dafür saß einer der Akawois vor einer aus einem hohlen Baumstamm gefertigten Trommel und schlug laut den sich ständig verändernden Takt.

„Merkst du etwas?” fragte ich den neben mir stehenden Ma-nauri.

„Ich wüßte nicht, was!”

„Heute dient ihnen die Trommel als Mitteilungsinstrument für ihre Leute.”

„Was können wir tun?”

„Noch ist es nicht an der Zeit, ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen.” „Und wenn sie etwas Wichtiges verraten?”

Es war Arasybo, unser neuerkorener Zauberer, der uns zu Hilfe kam. Bereits gestern hatte er unweit der Behausungen der Gäste eine Stange in den Boden gerammt und den Jaguarschädel darauf befestigt. Die eine Augenhöhle starrte genau in die Richtung der Akawois. Heute tat er das gleiche. Als die Krieger ihren Tanz anfingen und Bewegungen vollführten, die Beschwörungen darstellen konnten, begann auch er sofort zu tanzen, um die fremden Zauber zu verderben. Dabei sprang er jeden Augenblick zu seiner Trommel und schlug sie leicht an.

Ich schickte Wagura zu Arasybo und ließ ihn bitten, ununterbrochen seine Trommel zu schlagen, um die Signale der Akawois zu übertönen. Er kam meiner Bitte sofort nach, und schon erzitterte die Luft vom verwirrenden Dröhnen beider Trommeln.

Nach einem kurzen, gewaltigen Regenguß senkte sich still und friedlich der Abend herab. Wir beschlossen, Fujudi an unserer nächtlichen Fahrt teilnehmen zu lassen. Mit Absicht wählten wir für das Unternehmen kleine Boote aus, die höchstens acht Männer faßten. Obgleich wir nur auf Erkundung fahren wollten, befahl ich den Kriegern, alle Waffen mitzunehmen, um für den Fall eines Überfalls auf Kumaka gerüstet zu sein.

Bevor wir auf brachen, brachte Lasana ein Öl gegen die Mücken und rieb mir den ganzen Körper damit ein. Als die Nacht herein-gebrochen war, überzeugten wir uns, daß die acht Akawois in ihren Hütten weilten, und stießen dann vom Ufer ab.

Ohne Zwischenfall erreichten wir die Enge und suchten unsere Standplätze auf, ich mit meiner Itauba bei der Mündung in den See, Arnak an der Ausfahrt zum Fluß. Wolken zogen am Himmel dahin, der Mond würde erst in der zweiten Nachthälfte aufgehen. Es war finster, geräuschvoll und leider ein wenig diesig. Ein feiner Nebel hing über dem Wasser. Es begann die große Geduldsprobe, die Zeit des Wartens. Zu Tausenden schwärmten die Mücken um unsere Körper und stachen vor allem mich, trotz der Salbe. Wie betäubt gaukelten Nachtfalter durch die schwüle Finsternis und streiften alle Augenblicke unsere Körper. Bösartige Insekten oder Ungeziefer setzten sich in den Haaren fest. Dabei durfte man keinen Laut von sich geben, mußte geduldig warten und leiden, jedes Geräusch aus dem Dunkel erfassen und mit den Augen den Dunstschleier zu durchdringen versuchen. Zum Glück wurde der Nebel nicht dichter.

Wir hatten damit gerechnet, daß die Akawois, wenn sie überhaupt beabsichtigten, in dieser Nacht wiederzukommen, vor dem Aufgehen des Mondes erscheinen würden — und unsere Rechnung ging auf.

Gegen Mitternacht vernahmen unsere gespannt lauschenden Ohren ein Geräusch; es klang wie vorsichtiges Eintauchen von Rudern. Gleich darauf schob sich ein dunkler Schatten aus dem Nebelschleier in der Enge. Er bewegte sich langsam auf den See zu. Erleichtert und freudig erregt atmeten wir auf. Das waren sie! Als sie an uns vorüberglitten, konnten wir fünf oder sechs geduckte Gastalten unterscheiden. Vergebens warteten wir, ob noch andere nachkämen. Die Akawois waren nur mit dem einen Boot ausgefahren.





Kaum waren sie vorbei, so erklomm einer meiner Krieger das Ufer, um nach Kumaka zu eilen und dort die Nachricht von der nahenden Gefahr zu überbringen.

Ungefähr nach einer halben Stunde wurde in der Siedlung Lärm geschlagen: Die Diebe waren entdeckt.

„Alles läuft wie am Schnürchen”, raunte ich den Gefährten zu. „Nach unserem Plan müßten sie, wenn sie aus Leibeskräften rudern, gleich wieder bei uns auftauchen.”

Ich hatte mich nicht geirrt. Nach wenigen Minuten schoß das Boot vorbei. Die Insassen handhabten die Ruder mit größter Hast, wahrscheinlich fürchteten sie, verfolgt zu werden. Als sie sich sechzig oder siebzig Schritt entfernt hatten und gerade noch zu erkennen waren, stießen wir ab.

„Jetzt zeigt, was eure Augen wert sind!” ermahnte ich die Indianer leise.

Kurz darauf lag die breite, etwas hellere Wasserfläche des Flusses vor uns. Das Boot der Akawois war nun besser auszumachen, und von rechts schob sich Amaks Itauba in unser Blickfeld. Jetzt konnten uns die fremden Indianer nicht mehr entgehen.

„Wir dürfen ihnen nicht zu nahe kommen”, warnte ich meine Ruderer. „Es wäre gegen unseren Plan, wenn sie uns bemerken würden.”

Kaum hatten die Akawois die Enge hinter sich gelassen, als sie sofort der Flußmitte zustrebten. Wir folgten. Unser Boot hielt ständig den gleichen Abstand zu ihnen, so daß wir den vor uns hingleitenden dunklen Bootskörper gerade noch erkennen konnten. Ich hatte ausgezeichnete Ruderer, die sich geschickt anstellten.

Eine gute Meile fuhren die Akawois in der Mitte des Stromes flußaufwärts, dann näherten sie sich dem gegenüberliegenden Ufer. Dort ragte eine Landspitze in den Fluß hinein. Sie steuerten darauf zu. Als sie auf gleicher Höhe mit ihr waren, machten sie eine scharfe Wendung nach rechts und ruderten ans Ufer.

„Sie wollen anlegen”, äußerte Fujudi.

„Hinter jenem Vorsprung liegt ein ähnlicher See wie unser Potaro”, erklärte einer der Ruderer.

Als wir um die Landzunge bogen, erblickten wir tatsächlich einen hell schimmernden Durchbruch, der sich deutlich von der schwarzen Wand des Urwalds abhob. Der Fluß bildete hier eine kleine Bucht, hinter der sich ein See ausbreitete. In diese Bucht lenkten die Akawois ihr Boot.

Sie waren nur noch einige Dutzend Schritt vom Ufer entfernt, als sich etwas Unvorhergesehenes ereignete. Irgend etwas mußte ihrem Boot im Wege sein, denn sie ruderten plötzlich mit aller Kraft rückwärts. Wir bemerkten dies zu spät, und unsere Itauba, die immer noch in der alten Richtung weiterfuhr, geriet in gefährliche Nähe des feindlichen Bootes.

Inzwischen hatte ich begriffen, was geschehen war. Die Akawois waren auf einen großen Baum aufgefahren, der in der Strömung trieb; nun fuhren sie zurück, um sich von dem Astwerk zu befreien.

In diesem Augenblick erscholl ein gedämpfter Warnruf vor uns. Wir waren entdeckt! Fast gleichzeitig erhielt unser Boot einen Stoß, mein Nachbar wurde von einem Speer durchbohrt, stöhnte , laut auf und sackte zusammen.

Doch wir waren auf einen Zusammenstoß vorbereitet. Der vorderste und der hinterste Ruderer trieben das Boot weiter voran, die übrigen griffen schnell zu den Waffen. Die Sehnen der Bogen surrten, und wie die Bewegung beim Gegner verriet, fanden unsere Geschosse ihr Ziel. Jetzt waren wir herangekommen. Speere bohrten sich in menschliche Körper. Ich verspürte einen heftigen Schlag an der linken Schulter. Zum Glück glitt die Keule seitwärts ab, und ich konnte dem Angreifer meinen Spieß in den Leib rennen. Einer sprang ins Wasser und versuchte zu fliehen. Er kam aber nicht weit. Eine Keule sauste nieder und zertrümmerte ihm den Schädel.

Als wir alle überwältigt und den Toten aus dem Wasser gezogen hatten, nahmen wir ihr Boot ins Schlepptau und ruderten

der Mitte des Flusses zu, wo die Strömung am stärksten war. Dort warfen wir die Leichen ins Wasser, damit es sie in den Orinoko trage.

Einer der Feinde war noch am Leben, und Fujudi versuchte, ihn zum Sprechen zu bringen. Es war vergeblich. Der Gefangene verlor das Bewußtsein und starb. Er folgte den andern in die Tiefe des Flusses.

Wir hatten zwei Tote und einen Schwerverwundeten, außer-dem gab es keinen unter uns, der nicht etwas abbekommen hatte. Der erbitterte und kampfgewohnte Feind hatte uns, obgleich er überrascht worden und zahlenmäßig unterlegen gewesen war, empfindliche Verluste beigebracht. Der Kampf war so schnell entbrannt, daß bereits alles vorüber war, bevor uns das Boot Arnaks erreichte.

Auf dem Rückweg fuhren unsere Itauben dicht nebeneinander, das erbeutete Boot schleppten wir hinter uns her. Es wurde kein Wort gesprochen, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

„Arnak!” rief ich leise, als wir bereits unseren See erreicht hatten. „Ist dir klar, daß der Krieg begonnen hat? Es wird ein blutiger Kampf. Sechs haben wir getötet. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir bringen sie alle um, oder sie werden uns vernichten.”

„Sie werden sterben”, erwiderte er ruhig und mit bewundernswerter Bestimmtheit.

Wenig später fügte er, gleichsam erklärend, hinzu: „Jetzt kennen wir ihr Versteck.”

Die meisten Bewohner Kumakas mieden in dieser Nacht den Schlaf und warteten auf unsere Rückkehr. Groß war ihre Freude, als sie vernahmen, daß wir den Sieg davongetragen hatten; doch gab es auch Trauer und Schmerz, denn nicht alle waren lebend wiedergekommen.

Der größeren Sicherheit wegen ließ ich die Wachen bei den Hütten der Akawois verdoppeln. Anschließend berief ich die Ältesten und einige bewährte Krieger an das entgegengesetzte

Ende der Siedlung, um sie rasch über das Vorgefallene zu unterrichten.

„Wir wissen nun, wo sich die Akawois versteckt halten. Sie befinden sich auf der anderen Seite des Itamaka, oberhalb der Bucht hinter der Landzunge. Noch in dieser Nacht fahren unsere Kundschafter aus, um am Morgen ihren Lagerplatz festzustellen. So-bald sie zurückkehren, beschließen wir, wie wir den Feind vernichten.”

„Wer wird die Kundschafter begleiten?” fragte Manauri.

„Wer? Ich natürlich, die Aufgabe ist sehr wichtig’, gab ich zur Antwort.

Von mehreren Seiten wurde Einspruch erhoben: ich hätte nicht geschlafen, ich könne den linken Arm kaum gebrauchen, ich müsse meine Kräfte für später aufsparen usw. Die übergroße Besorgtheit der Gefährten belustigte mich fast.

Um dem Gerede ein Ende zu machen, rief ich schließlich aus: „Wer, zum Geier, will also mitfahren?”

„Ich!” erklärte Arnak in entschiedenem Ton.




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