Meine Arbeit bei Silvers bestand zunächst darin, alles zu katalogisieren, was er je verkauft hatte, und die Photographien, die es dazu gab, mit den Aufschriften über die Herkunft der Bilder zu versehen.
«Bei alten Bildern besteht die Schwierigkeit immer in der Expertise«, erklärte Silvers.»Man weiß nicht von allen, woher sie kommen. Bilder sind wie Aristokraten, man muß ihre Ahnenlinie bis zu dem Mann verfolgen können, der sie gemalt hat. Und es muß eine ununterbrochene Linie sein, von der Kirche X zum Kardinal A, von der Sammlung der Fürsten Z bis schließlich zum Gummimagnaten Rabinowitz oder zum Automobilkönig Ford. Sei tensprünge gibt’s da nicht.«
«Aber man kennt doch das Bild?«
«Man mag es kennen, aber die Photographie ist erst eine Sache des späten neunzehnten Jahrhunderts. Und längst nicht von allen alten Bildern hat man Stiche zum Vergleichen angefertigt. Man ist da häufig nur auf Vermutungen angewiesen. «Silvers lächelte diabolisch.»Und auf Kunsthistoriker.«
Ich schichtete einen Pack Photos zusammen. Zuoberst lagen viele farbige Photos von Manets. Es waren Blumenbilder kleinen Formats, Päonien in einem Wasserglas. Man konnte die Blüten und das Wasser fühlen. Eine wunderbare Ruhe ging von ihnen aus und eine Energie, die reine Schöpfung waren: als hätte der Maler in diese Blumen zum erstenmal geschaffen und als wären sie vorher nicht auf der Welt gewesen.
«Gefallen sie Ihnen?«fragte Silvers.
«Sie sind herrlich.«
«Besser als die Rosen von Renoir drüben an der Wand?«»Anders«, sagte ich.»Wie kann man hier von besser reden!«
«Man kann. Wenn man Kunsthändler ist.«
«Die Manets hier sind ein Augenblick der Schöpfung, der Renoir des blühenden Lebens.«
Silvers wiegte den Kopf.»Nicht schlecht. Waren Sie einmal Schriftsteller?«
«Nur ein lausiger Journalist.«
«Sie haben anscheinend das Zeug, über Bilder zu schreiben.«»Dazu verstehe ich viel zu wenig.«
Silvers setzte wieder sein diabolisches Lächeln auf.»Meinen Sie, die Leute, die über Bilder schreiben, verstehen mehr? Ich will Ihnen ein Geheimnis mitteilen. Über Bilder kann man gar nicht schreiben. Über Kunst auch nicht. Alles, was darüber geschrieben wird, ist dazu da, Banausen aufzuklären. Über Kunst kann man nicht schreiben. Man kann sie nur fühlen.«
Ich erwiderte nichts.
«Und verkaufen«, sagte Silvers,»das war es doch, was Sie dachten?«
«Nein«, erwiderte ich wahrheitsgetreu.»Aber weshalb meinen Sie dann, ich hätte das Zeug, darüber zu schreiben? Weil nichts darüber zu schreiben ist?«
«Vielleicht ist das besser, als ein lausiger Journalist zu sein.«»Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es besser, ein lausiger ehrlicher Journalist zu sein als ein hochtrabender Phrasendrescher, der über Kunstwerke schreibt.«
Silvers lachte.»Sie haben die Eigenschaft vieler Europäer. Sie denken in Extremen. Oder ist es die Eigenschaft der Jugend? Aber so jung sind Sie gar nicht mehr. Zwischen Ihren beiden Extremen liegen tausend Varianten und Nuancen. Und außerdem stimmen die Voraussetzungen nicht. Sehen Sie, ich wollte Maler werden. War es auch. Mit allem Enthusiasmus ein lausiger Maler. Jetzt bin ich Kunsthändler. Mit allem Zynismus, den ein Kunst händler hat. Ist etwas anders geworden? Habe ich die Kunst verraten, weil ich keine schlechten Bilder mehr male, oder habe ich sie verraten, weil ich sie verkaufe?«
Silvers bot mir eine Zigarre an.»Gedanken an einem Sommer- nachmittag in New York«, sagte er.»Versuchen Sie einmal diese Zigarre. Es ist die leichteste Havanna, die es gibt. Sind Sie Zigarrenraucher?«
«Ich habe es da noch zu keiner Unterscheidung gebracht. Ich habe geraucht, was mir in die Finger kam.«
«Wie glücklich Sie sind!«
Ich blickte überrascht auf.»Das ist mir neu. Ich wußte nicht, daß man deswegen glücklich sein kann.«
«Sie haben das alles noch vor sich, das Auswahlen, das Genießen und das Ermüden. Zum Schluß bleibt nur das Ermüden. Je weiter unten man anfängt, um so länger dauert es, bis man dazu kommt.«
«Sie meinen, man sollte als Barbar beginnen?«
«Wenn man kann.«
Ich war plötzlich verärgert. Ich hatte genug von Barbaren gesehen. Diese ästhetische Salonauffassung brauchte ich nicht, das war etwas für ruhigere Zeiten. Das parfümierte Geschwätz lag mir nicht, auch nicht für acht Dollar am Tag. Ich zeigte auf den Stapel Photographien.»Bei diesen ist das Gutachten wohl eine einfachere Sache als bei Bildern aus der Renaissance«, sagte ich.»Es ist eine Differenz von einigen Jahrhunderten. Degas und Renoir haben ja noch bis in den Ersten Weltkrieg, ja Renoir sogar noch darüber hinaus gelebt.«
«Trotzdem gibt es schon genug falsche Bilder von ihnen.«
«Ist die lückenlose Expertise da die einzige Sicherheit?«
Silvers lächelte.»Das, oder das Gefühl. Man muß viele Hunderte von Bildern sehen. Immer wieder sehen. Über viele Jahre hinaus. Sehen, studieren, vergleichen. Und immer wieder sehen.«»Das klingt ganz gut«, sagte ich.»Aber wie kommt es, daß so viele Museumsdirektoren falsche Expertisen abgeben?«
«Einige geben sie ab wider besseres Wissen. Das spricht sich aber rasch herum. Andere irren sich einfach. Warum? Da kommen wir zum Unterschied zwischen dem Museumsdirektor und dem Händler. Der Museumsdirektor kauft ab und zu — aber für das Geld des Museums. Der Händler kauft oft — aber immer für sein eigenes Geld. Glauben Sie nicht, daß das einen Unterschied macht? Wenn dem Händler ein Fehlurteil unterläuft, verliert er sein Geld. Der Museumsdirektor aber verliert keinen Pfennig seines Gehalts. Sein Interesse am Bild ist akademisch, das des Händlers ist finanziell. Der Händler schaut schärfer hin, er riskiert mehr.«
Ich betrachtete den sehr gut angezogenen Mann. Seine Anzüge und Schuhe stammten aus London, seine Hemden hatten Pariser Schick. Er war gepflegt und duftete nach französischem Eau de Cologne. Ich sah ihn wie durch eine Glasscheibe; ich hörte ihn, aber als wäre er in einem ändern Haus. Es war eine gedämpfte Welt, in der er zu leben schien, eine Welt der Halsabschneider und Räuber, dessen war ich sicher — aber eine Welt eleganter und leicht gefährlicher Räuber und Flalsabschneider. Alles, was er gesagt hatte, stimmte — und trotzdem stimmte nichts. Es war alles auf eine fast unwirkliche Weise verschoben. Silvers wirkte gelassen und sehr überlegen, aber ich hatte das Gefühl, daß er sich jeden Augenblick verwandeln könne in einen rücksichtslosen Geschäftemacher, der über Leichen gehen würde. Seine Welt schwebte in der Luft. Sie war gebildet aus den Seifenblasen wohl lautender Phrasen, einer intimen Kenntnis künstlerischer Dinge, von denen er doch nur die Preise wirklich verstehen konnte — denn wer Dinge wirklich liebt, verkauft sie doch nicht, meinte ich. Silvers sah auf seine Uhr.»Madien wir Schluß für heute. Ich muß in meinen Klub.«
Ich wunderte mich nicht, daß er in einen Klub mußte. Es gehörte zu der unrealen Glashausexistenz, die er für mich zu führen schien.»Wir werden miteinander auskommen«, sagte er und zog die Bügelfalten seiner Hose glatt. Ich blickte auf seine Schuhe. Alles, was er trug, war um eine Nuance zu gepflegt. Die Schuhe waren um eine Spur zu spitz; auch um eine Spur zu hell. Das Muster des Anzugs war um ein weniges zu lebhaft und die Krawatte um ein geringes zu bunt und zu gut. Er betrachtete meinen Anzug.»Ist der nicht etwas dick für den Sommer in New York?«
«Ich kann die Jacke ausziehen, wenn es zu heiß ist.«
«Nicht hier. Kaufen Sie sich einen Tropical. Die amerikanische Konfektion ist sehr gut. Selbst Millionäre tragen hier selten Maßanzüge. Kaufen Sie bei den Brook’s Brothers. Wenn Sie billiger kaufen wollen, bei Browning und King. Für sechzig Dollar bekommen Sie da schon etwas Vernünftiges.«
Er zog einen Packen Scheine aus der Rocktasche. Ich hatte schon früher bemerkt, daß er keine Brieftasche hatte.»Hier«, sagte er und blätterte einen Hundertdollarschein ab.»Betrachten Sie es als einen Vorschuß.«
Ich fühlte die Hundertdollarnote wie einen heißen Stein in meiner Tasche. Es war noch Zeit, zu Browning und King zu gehen. Ich wanderte durch die Fifth Avenue und pries Silvers in stummem Gebet. Ich hätte das Geld behalten und weiter meinen früheren Anzug getragen, das war aber nicht möglich. Silvers würde in einigen Tagen Fragen stellen. Immerhin, nach all den Vorträgen über Bilder als die beste Kapitalanlage hatte ich selbst, ohne einen Manet zu kaufen, mein Vermögen heute verdoppelt.
Ich bog nach einiger Zeit in die 54. Straße ein. Ein Stück weiter war ein kleiner Blumenladen, der sehr billige Orchideen verkaufte; sie waren vielleicht nicht mehr ganz frisch, doch das sah man nicht. Ich hatte mir am Tage vorher von Melikow die Adresse des Geschäftes geben lassen, in dem Natascha Petrowna beschäftigt war — ich war im Hin- und Widerstreit meiner Gedanken nicht dazugekommen, einen Entschluß zu fassen. In der einen Stunde hielt ich Natascha für eine chauvinistische Mode ziege, in der ändern mich für einen ungehobelten Polterer. Jetzt schien Gott eingegriffen zu haben, und der Geldschein war ein Beweis dafür. Ich kaufte zwei Orchideen und schickte sie an Nataschas Adresse. Sie kosteten nur fünf Dollar und sahen teurer aus, und auch das schien mir irgendwie zu passen.
Bei Browning und King fand ich einen leichten grauen Anzug, bei dem nur die Hose passend gemacht werden mußte.»Bis morgen abend«, sagte der Verkäufer.
«Kann ich ihn nicht heute abend haben?«
«Es ist schon spät.«
«Ich brauche ihn heute abend«, sagte ich,»dringend.«
Ich brauchte ihn nicht so dringend, aber ich wollte ihn plötzlich so rasch wie möglich haben. Es war endlos lange her, seit ich einen neuen Anzug hatte kaufen können, und es kam mir törich terweise auf einmal so vor, als wäre das ein Symbol, daß meine lange Zeit als heimatloser Emigrant vielleicht vorüber wäre, daß ich seßhaft werden könnte, um ein ruhiges Dasein als Kleinbürger zu beginnen.
«Versuchen Sie es möglich zu machen«, sagte ich.
«Ich will erst mal in der Werkstatt nachsehen.«
Ich stand zwischen den langen Reihen der aufgehängten Anzüge und wartete. Die Reihen schienen von allen Seiten gegen mich zu marschieren, wie eine Armee von Automaten, bei denen endlich der Gipfel der Perfektion erreicht war — die völlige Ausschaltung des Menschen. Wie ein Anachronismus huschte der Verkäufer zappelnd durch die stummen Reihen.»Es läßt sich machen. Holen Sie den Anzug kurz vor sieben ab.«
«Vielen Dank.«
Ich trat durch einen Streifen von staubigem Sonnenschein auf die heiße Straße.
Ich ging die Dritte Avenue entlang. Lowy senior stand im Schau fenster und dekorierte. Ich blieb in der ganzen Pracht meines Tropical draußen stehen. Er madite Augen wie ein Uhu in der Nacht und winkte mir mit einem Leuchter, hereinzukommen.»Köstlich«, sagte er.»Ist das bereits die erste Frucht Ihrer Tätigkeit als höherer Gauner?«
«Es ist die Frucht eines Vorschusses von dem Mann, bei dem Sie mich empfohlen haben, Herr Lowy.«
Lowy grinste.»Ein ganzer Anzug. Tiens.«
«Und noch was drüber. Silvers hatte mir Brook’s Brothers empfohlen. Ich habe bescheidener gewählt.«
«Sie sehen aus wie ein Hochstapler.«
«Herzlichen Dank. Das bin ich auch.«
«Sie scheinen sich bereits glänzend zu verstehen«, brummte Lowy und befestigte einen wunderbaren Engel aus dem 18. Jahrhundert, dessen Bemalung neu war, vor einem Stück Samt aus
Genua.»Ein Wunder, daß Sie sich überhaupt noch hier sehen lassen bei uns kleinen Pinschern.«
Ich sah ihn sprachlos an. Der kleine Dicke war eifersüchtig, dabei hatte er mich selbst Silvers empfohlen.»Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Silvers beraubt hätte?«fragte ich.
«Zwischen ihn berauben und ihm den Arsch küssen ist noch ein Unterschied!«Lowy schob einen französischen Stuhl zurecht, von dem ein halbes Bein original aus der Zeit war. Ein warmes Gefühl stieg in mir auf. Es war viel Zeit vergangen, seit ich gespürt hatte, daß mich jemand gern hatte, ohne etwas von mir zu wollen. Es war eigentlich nicht so lange her, fand ich, als ich darüber nachdachte. Die Welt war voll von guten Menschen: Das merkte man erst, wenn es einem sehr schlecht ging, und es war eine gewisse Aussöhnung dafür, daß es einem schlecht ging. Eine merkwürdige Balance, die einen in verzweifelten Augenblicken sogar an einen sehr fernen, unpersönlichen und automatischen Gott mit Schalttafeln glauben ließ. Allerdings nur in diesem Mo ment und dann nicht lange.
«Was starren Sie so?«fragte Lowy.
«Sie sind ein netter Mensch«, erwiderte ich aufrichtig.»Wie ein Vater!«
«Was?«
«Ich meine es so. In einem komischen, vagen Übersinne.«
«Was?«.fragte Lowy.»Es geht Ihnen also gut. Sie reden Schmonzes. Schmonzes Balonzes! Gefällt Ihnen das Leben bei dem Parasiten so sehr?«Er wischte sich den Staub von den Händen ab.»So was brauchen Sie da nicht zu tun, was?«Er warf das schmutzige Handtuch hinter einen Vorhang auf einen Haufen einge rahmter japanischer Holzschnitte.»Besser als hier ist es da, was?«
«Nein«, sagte ich.
«Uberschmonzes!«
«Anders, Herr Lowy. Was macht das alles aus, wenn die Bilder herrlich sind! Das sind keine Parasiten!«
«Das sind Opfer«, erwiderte Lowy senior plötzlich ruhig.»Stellen Sie sich vor, wie denen zumute sein müßte, wenn sie ein Bewußtsein hätten! Wo die überall wie Sklaven hin verkauft werden. An Waffenhändler, Gewehrfabrikanten, Bombenkaufleute! Für ihr Blutgeld kaufen sich die Kerle Bilder voll himmlischen Friedens.«
Ich sah Lowy an.»Also gut«, sagte er.»Dieser Krieg ist anders, aber ist er anders für diese Schmarotzer? Die wollen verdienen, für oder gegen, da können Sie sagen, was Sie wollen. Die würden auch dem Teufel…«Er stockte.»Da kommt Julius«, flüsterte er.»Gerechter Gott, im Smoking! Alles ist verloren.«
Lowy junior war nicht im Smoking. Er tauchte auf im letzten schmutzig-honigfarbenen Sonnenlicht der Straße, umwallt von Benzinrauch und Auspuffgasen, im kleinen Besuchsanzug — dunkles Marengojackett, gestreifte Hose, steifer Hut und zu meinem Erstaunen hellgraue, altväterliche Gamaschen. Ich betrachtete die Gamaschen mit Rührung, ich hatte so was seit der Zeit vor Hitler nicht mehr gesehen.
«Julius!«schrie Lowy senior.»Komm herein; geh nicht. Ein letztes Wort: Denk an deine fromme Mutter!«
Julius schritt langsam über die Schwelle.»An die Mutter habe ich gedacht«, erklärte er.»Und du kannst mich nicht irre machen, du jüdischer Faschist!«
«Julius, rede nicht so! Habe ich nicht immer dein Bestes gewollt? Auf dich aufgepaßt, wie ein älterer Bruder es nur kann, dich gepflegt, wenn du krank warst, du…«
«Wir sind doch Zwillinge«, erklärte Julius,»mein Bruder ist, wie ich Ihnen gesagt habe, drei Stunden älter als ich.«
«Drei Stunden können mehr als ein Leben sein. Immer warst du träumerisch, weitabgewandt, immer mußte ich auf dich aufpassen, Julius, du weißt es, immer hatte ich dein Bestes im Auge, und nun plötzlich behandelst du mich wie deinen Erzfeind.«
«Weil ich heiraten will.«
«Weil du die Schickse heiraten willst. Schauen Sie sich an, wie er dasteht, Herr Ross, zum Erbarmen, als wäre er ein Goi und möchte auf die Rennbahn gehn. Julius, Julius, komm zu dir! Warte noch! Einen Antrag will er machen wie ein Kommerzien rat! Man hat dir einen Liebestrank eingegeben, denk an Tristan und Isolde und das Unglück, das daraus entstanden ist. Schon nennst du deinen leiblichen Bruder einen Faschisten, weil er dich davor bewahren will, falsch zu heiraten. Nimm eine ordentliche jüdische Frau, Julius.«
«Ich will keine ordentliche jüdische Frau. Ich will die Frau heiraten, die ich liebe!«
«Liebe, Schmiebe, was für ein Wort! Schau dir an, wie du schon jetzt aussiehst. Einen Antrag will er ihr machen. Schauen Sie ihn an, Herr Ross!«
«Ich kann dazu nichts sagen«, erwiderte ich.»Ich trage auch einen neuen Anzug. Einen für Hochstapler, Herr Lowy, erinnern Sie sich?«
«Das war Spaß!«
Das Gespräch wurde sehr bald ruhiger. Julius nahm den jüdi schen Faschisten zurück und tauschte ihn um gegen einen Zionisten und bald darauf sogar gegen einen Familienfanatiker. Lowy senior machte in der Hitze der Diskussion einen taktischen Fehler. Er sagte, daß ich doch auch nicht unbedingt eine Jüdin heiraten würde.»Warum nicht?«erwiderte ich.»Als ich sechzehn Jahre alt war, hat mir mein Vater sogar schon geraten, eine zu heiraten. Sonst, meinte er, würde bestimmt nichts aus mir.«»Siehst du!«rief Julius.
Das Gespräch flammte aufs neue auf. Aber Lowy senior gewann allein schon durch seinen Eifer gegen den Lyriker und Träumer Julius an Boden. Ich hatte nichts anderes erwartet. Wäre Julius fest entschlossen gewesen, er wäre nicht noch einmal im kleinen Besuchsanzug in der Dritten Avenue erschienen, sondern gleich ins Haus der Göttin mit den gelben Haarzotteln — gefärbt, wie der Senior glaubte — marschiert. Er ließ sich nicht allzu ungern überreden, mit dem Antrag noch zu warten.»Du verlierst nichts«, beschwor Lowy senior ihn.»Du überlegst es dir einfach noch mal.«
«Und wenn ein anderer kommt?«
«Es kommt kein anderer, Julius. Bist du denn umsonst seit dreißig Jahren hier im Geschäft gewesen? Haben wir nicht tausend mal behauptet, ein anderer Kunde sei hinter einem Objekt her und wolle es kaufen, und es war immer ein fauler Trick? Aber Julius, nun komm und zieh die Affenjacke aus!«
«Das tue ich nicht«, erklärte Julius mit unerwarteter Schärfe.
«Jetzt habe ich sie an und gehe aus.«
Lowy senior fürchtete ein neues Hindernis.»Gut, gehen wir aus«, sagte er bereitwillig.»Wohin wollen wir gehen? Ins Kino? Da wird ein Film von Paulette Goddard gezeigt.«
«Kino?«Julius sah beleidigt an seinem Marengojackett herunter. Im Kino kam so etwas nicht zur Geltung, da war es dunkel.
«Gut, Julius. Gehen wir essen. Gut essen, erstklassig essen! Mit einer Vorspeise! Gehackte Hühnerleber und hinterher als Dessert Pfirsich Melba. Wohin du willst.«
«Ins Voisin«, sagte Julius entschlossen.
Lowy senior schluckte einen Moment.»Gut, also ins Voisin. «Er wandte sich an mich.»Herr Ross, gehen Sie mit. Sie sind ja ohne hin schon festlich gekleidet. Was haben Sie in dem Paket?«»Meinen alten Anzug.«
«Lassen Sie ihn hier. Wir holen ihn später ab.«
Ich kam ungefähr um zehn Uhr zurück ins Hotel.»Ein Paket ist für dich angekommen«, sagte Melikow.»Scheint eine Flasche zu sein.«
Ich packte es aus.»Mein Gott!«rief Melikow.»Echter russischer Wodka!«
Ich suchte in der Verpackung herum. Kein Wort war dabei. Nur die Flasche war da.»Hast du gesehen, daß die Flasche nicht ganz voll ist?«fragte Melikow.»Das war nicht ich. Sie ist so gekommen.«
«Ich weiß«, erwiderte ich.»Zwei ziemlich große Gläser fehlen. Wollen wir anfangen? Welch ein Tag!«