Ich verkaufte die ägyptische Katze an einen Holländer. Am Tage, als ich den Scheck erhielt, lud ich Kahn in das Restaurant Voisin ein.»Haben Sie so viel Geld?«fragte er.
«Ich habe darin antike Vorbilder«, erwiderte ich.»Die Alten schütteten etwas Wein auf den Boden, bevor sie tranken, als Opfer für die Götter. Aus demselben Grunde gehe ich in ein gutes Restaurant. Um beim Wein zu bleiben, wir werden eine Flasche Cheval Blanc trinken. Den gibt es noch im Voisin. Ein verstanden?«
«Einverstanden. Wir können den letzten kleinen Rest dann auf die Teller tropfen lassen, um die Götter bei guter Laune zu halten.«
Das Voisin war voll. In Kriegszeiten sind die Restaurants sehr häufig voll. Jeder will noch was vom Leben haben, selbst wenn er nicht in Gefahr ist. Das Geld sitzt lockerer, als wenn im Frie den die Zukunft sicherer erscheint.
Kahn schüttelte den Kopf.»Ich bin heute nicht zu gebrauchen, Ross. Carmen hat mir geschrieben. Endlich! Sie findet, es sei besser, wenn wir uns trennten. In Freundschaft. Wir verständen uns nicht. Ich soll ihr nicht mehr schreiben. Hat sie jemand an ders?«
Ich musterte ihn betroffen. Es schien ihn schwer zu treffen.»Da von habe ich nichts gemerkt«, sagte ich.»Sie lebt ziemlich einfach in Westwood bei einer Wirtin zwischen Hühnern und Hunden. Ich habe sie einige Male gesehen. Sie war zufrieden, nichts zu tun. Ich glaube nicht, daß sie einen Freund hat.«
«Was würden Sie tun? Hinfahren? Sie zurückholen? Würde sie kommen?«
«Ich glaube nicht.«
«Ich auch nicht. Was soll ich tun?«
«Warten. Und nicht mehr schreiben. Vielleicht kommt sie von selbst zurück.«
«Glauben Sie das?«
«Nein«, sagte ich.»Liegt Ihnen so viel daran?«
Er schwieg eine Weile.»Mir sollte gar nichts daran liegen. Mir lag auch nicht viel daran, es war eine Marotte. Mit einem Male ist es keine mehr. Wissen Sie, warum?«
«Weil sie weg will. Warum sonst?«
Er lächelte melancholisch.»Einfach, wie? Und wie man es trotz dem nicht begreift, wenn es passiert!«
Ich dachte an Natascha. War es mir mit ihr nicht auch beinahe passiert? Und passierte es mir nicht immer noch? Ich schüttelte den Gedanken ab und dachte darüber nach, was ich Kahn sagen sollte. All das paßte überhaupt nicht zu ihm. Weder Carmen, noch seine Situation, noch seine Melancholie. Es war lächerlich, ging nicht zusammen und war deshalb gefährlich. Wäre es einem Poeten mit Phantasie passiert, so wäre es lächerlich und ver ständlich gewesen. Bei Kahn war es unverständlich. Er schien sich da in etwas geflüchtet zu haben, das in seinem Kontrast von tragischer Schönheit und phlegmatischer Seele als intellektuelle Spielerei amüsant war. Daß er es auf einmal ernst nahm, war ein unheilvolles Zeichen des eigenen Verfalls.
Er hob sein Glas und sagte:»Wie wenig man über Frauen zu sa gen hat, wenn man glücklich ist, wie? Und wieviel, wenn es nicht so ist.«
«Das ist wahr. Glauben Sie, daß Sie mit Carmen glücklich ge worden wären?«
«Sie meinen, wir paßten nicht zusammen? Das stimmt. Aber von Menschen, die zusammenpassen, kann man sich leicht trennen. Das ist wie ein Topf und ein Deckel, die passen. Sie lösen sich ohne Schwierigkeiten. Aber wenn sie nicht passen und man einen Hammer nehmen muß, um den Deckel auf den Topf zu schlagen, da bricht leicht etwas, wenn man sie wieder trennen will.«»Worte«, sagte ich.»Nichts davon ist wahr. Alle Sprichwörter lassen sich ins Gegenteil umkehren.«
Er raffte sich zusammen.»Alle Situationen auch. Vergessen wir Carmen. Ich bin wahrscheinlich etwas angeschlagen. Der Krieg geht zu Ende, Robert.«
«Sind Sie deshalb angeschlagen?«
«Nein. Aber was dann? Wissen Sie, was Sie dann tun wollen?«»Wer weiß das genau! Es ist unvorstellbar, daß der Krieg zu Ende gehen kann. Ebenso unvorstellbar ist es, was man dann tun wird.«
«Wollen Sie hierbleiben?«
«Ich möchte heute nicht darüber reden.«
«Sehen Sie? Ich denke immer darüber nach. Für die Emigranten wird dann die große Ernüchterung kommen. Der letzte Halt war das Unrecht, das ihnen zugefügt worden ist. Plötzlich ist es nicht mehr da. Sie können zurückkehren. Wozu? Wohin? Und wer will sie schon haben? Man kann nicht zurüdc«
«Viele werden hierbleiben.«
Er machte eine abwehrende Geste.»Ich meine die Verletzlichen. Nicht die Geschäftemacher.«
«Ich meine alle«, sagte ich.»Auch die Geschäftemacher.«
Kahn lächelte.»Prosit, Robert. Ich rede heute nichts als Unsinn. Es ist gut, daß Sie da sind. Radioapparate sind gute Sprecher, aber schlechte Zuhörer. Können Sie sich vorstellen, daß ich mein Leben als Vertreter für Radioapparate beschließe?«
«Warum nicht?«sagte ich.»Aber warum beschließen? Beschließen Sie es als Besitzer der Fabrik.«
Er sah mich an.»Halten Sie das für möglich?«
«Eigentlich nicht recht«, sagte ich.
«Gut, Robert.«
Er lachte.»Der Cheval Blanc ist ausgetrunken«, sagte ich.»Wir haben vergessen, den Göttern die letzten Tropfen zu opfern. Vielleicht sind wir deshalb unnötig melancholisch geworden. Wie wäre es mit einer Portion Eis für Sie? Sie essen es doch so gerne!«
Er schüttelte den Kopf.»Alles Bluff, Robert. Illusion des leich ten Lebens. Selbst-Bluff. Ich habe es aufgegeben, mir selbst den Heiteren vorzuspielen. Der Gourmet. Der Schwindler. Ich werde ein alter Jude.«
«Ein alter Jude von fünfunddreißig?«
«Juden sind immer alt. Sie werden alt geboren. Auf jedem liegen zweitausend Jahre Verfolgung — von dem Moment an, in dem er seinen ersten Schrei tut.«
«Wollen wir eine Flasche Wodka mitnehmen und sie unter Ge sprächen über das Leben austrinken?«
«Juden sind auch keine Trinker. Ich werde nach Hause gehen in mein Zimmer über dem Laden und morgen über mich lachen. Gute Nacht, Robert.«
Ich war tief beunruhigt.
«Ich bringe Sie nach Hause«, sagte ich.
Nach der Wärme des Lokals empfing uns jetzt ein klirrender Frost. Die Drugstores und Hamburger-Läden starrten mit ihrem unbarmherzigen, gefrorenen Neonlicht in die windige Nacht.»Es gibt Situationen, in denen es lächerlich ist, heroisch allein sein zu wollen«, sagte ich.»Ihre kalte Bude…«
«Sie ist überheizt«, unterbrach Kahn mich.»Wie alles in New York.«
«Überheizt und kalt wie das verfluchte Neonlicht, das die Trost losigkeit selber ist, wenn man allein durch die Straßen rennt und mit den Zähnen klappert. Warum kommen Sie nicht in die Plüschbude des Hotels Reuben? Zwischen Homosexuellen, Lu den, Selbstmördern und Mondsüchtigen ist man geborgener als sonstwo. Seien Sie vernünftig und kommen Sie mit!«
«Morgen«, sagte Kahn.»Fleute habe ich eine Verabredung.«»Unsinn.«
«Doch«, sagte er.»Mit Lissy Koller. Glauben Sie es nun?«
Der Zwilling, dachte ich. Warum nicht? Es war merkwürdig, aber der Zwilling schien mir noch weniger zu Kahn zu passen als Carmen. Der Zwilling war hübsch, häuslich, liebebedürftig wie eine verirrte Katze und viel weniger dumm als Carmen, aber plötzlich in der eisigen Nacht ging mir auf, warum Kahn nur Carmen haben konnte — es war ein Nebeneinander, das in seiner absoluten Sinnlosigkeit die Sinnlosigkeit des entwurzelten Da seins aufhob.
Kahn blickte die Straße entlang, die voll war von den roten Schlußlichtern der Autos, die wie verstreute Kohlen die Dunkel heit vergeblich zu erwärmen versuchten.»Dieser Schattenkrieg mit unsichtbaren Verwundeten und unsichtbaren Toten, mit stummen Bomben und stummen Friedhöfen geht zu Ende. Was wird bleiben? Schatten, Schatten — wir auch!«
Wir waren vor dem Radioladen angekommen. Die Apparate glitzerten im Mondlicht, wie automatische Soldaten eines zu künftigen Krieges. Ich sah hinauf. Das Fenster von Kahns Zim mer war erleuchtet.»Schauen Sie nicht um sich wie eine besorgte Bruthenne«, sagte Kahn.»Sie sehen, ich habe das Licht brennen lassen. Ich komme nicht in ein dunkles Zimmer.«
Ich dachte an den Zwilling, der auch vor seinem Zimmer Angst gehabt hatte. Vielleicht hockte er wirklich oben und kämmte sich. Es stimmte alles nicht und machte es nur trostloser.»Wird es eigentlich noch kälter in New York?«fragte ich.
«Viel kälter«, sagte Kahn.
Natascha trug Ohrringe aus großen Rubinen, eine Kette aus Ru binen und Diamanten und einen herrlichen Ring.»Der Ring ist zweiundvierzig Karat«, flüsterte der Photograph Plorst mir zu.»Wir wollten eigentlich einen großen Sternrubin dafür haben, aber es gibt keine im Handel. Selbst bei van Cleef und Arpels nicht. Wir wollen auch Aufnahmen ihrer Hände machen. In Farben. Nun, den Stern kann man hineinretuschieren. Sogar einen schöneren, als es ihn in Wirklichkeit gibt«, fügte er mit Genugtuung hinzu.»Heutzutage ist ja alles Montage!«
«Ja?«fragte ich und sah Natascha an. Sie saß still in einem weißen Satinkleid, überrieselt von den Rubinen, auf der Platt form im weißen Licht. Nichts erinnerte daran, daß sie am Abend vorher auf meinem Bett gelegen und geschrien hatte, heiser und wie ein nackter Bogen gekrümmt: Tiefer, tiefer! Brich mich in Stücke! Tiefer! Zerreiß mich!
«Natürlich«, sagte Horst.»Die Frauen und die Politiker. Mehr und mehr Montage. Falsche Brüste, Schaumgummihintern,
Schminke, falsche Augenwimpern, Perücken, falsche Zähne — das Ganze ein betörendes Bild. Dazu komme ich mit weicher Einstellung, unscharfer Linse, raffinierten Lichteffekten, die Jahre schmelzen wie Zucker im Kaffee, voilä. Und die Politi ker? Die meisten können kaum lesen und schreiben. Sie haben kleine kluge Juden, die ihre Reden schreiben, Agenturen, die ihnen Bonmots zuschieben, Autoren für ihre Bücher, Berater hin ter ihrem Rücken, Schauspieler, die ihnen Haltung beibringen, und eventuell Grammophone, die für sie sprechen. «Er stand auf und sprang zu seinem Apparat.»Das ist gut, Natascha. Halte es einen Augenblick so!«
Natascha stieg von ihrer Plattform und aus ihrem weißen Licht herunter und verwandelte sich aus der Kaiserin in die von Schmuck glitzernde Frau eines Waffenmillionärs.»Ich ziehe mich rasch um«, sagte sie.»Haben wir noch von dem Gulasch?«
Ich schüttelte den Kopf.»Es hat für drei Tage gereicht. Gestern abend haben wir die Schüssel ausgekratzt. Mußt du die Juwe len mitnehmen?«
«Nein. Der blonde junge Mann drüben ist von van Cleef. Er nimmt sie mit.«
«Gut. Dann können wir gehen, wohin wir wollen.«
«Ich muß noch eine Aufnahme machen. Ein Frühlingskostüm. Gott, bin ich hungrig.«
Ich griff in die Tasche. Ich kannte diese Hungeranfälle bei ihr. Sie hatte das Gegenteil von Diabetes, es hatte den scheußlichen Namen Hypoglykämie und war nichts weiter, als daß der Zuckerspiegel ihres Blutes rascher sank als bei normalen Menschen. So wurde sie schlagartig sehr hungrig. Ich hatte sie wäh rend der Zeit, als sie in der 57. Straße wohnte, nachts, wenn ich aufgewacht war und Diebe vermutet hatte, oft vor dem Eis- schrank gefunden: Nackt, vom Innenlicht des Eisschranks ma gisch beleuchtet und hingebungsvoll an einem kalten Kotelett nagend, ein Stück Käse in der ändern Hand.
Ich holte ein Päckchen heraus, in Pergamentpapier eingehüllt.»Etwas Steak-Tartar«, sagte ich.»Als Zwischengericht.«
«Mit Zwiebeln?«
«Mit Zwiebeln und dunklem Brot.«
«Du bist ein Engel«, erklärte sie, schob das Halsband beiseite und begann zu essen. Ich hatte mich daran gewöhnt, diese Päck chen immer in die Tasche zu stecken, wenn wir irgendwohin gin gen, wo es für einige Stunden nichts zu essen gab, wie im Kino oder im Theater, und ich nahm sie besonders dann mit, wenn das in die Zeit fiel, in der man gewöhnlich aß. Sie ersparten mir viele Unbequemlichkeiten. Natascha konnte ziemlich ärgerlich werden, wenn sie plötzlich von diesem tobenden Hunger ge blendet wurde und weit und breit nicht einmal ein Stück Brot greifbar war. Sie konnte nichts dagegen machen, es war wie eine Art geistiger Verwirrung. Sie spürte Hunger einfach viel stärker als andere Menschen, so, als hätte sie schon den ganzen Tag ge fastet. Ich trug meistens auch ein kleines Fläschchen in meiner Rocktasche, das etwa zwei große Schluck Wodka enthielt. Mit einem Happen Steak-Tartar gab das eine fast königliche Mahl zeit, auch wenn der Wodka natürlich nicht kalt war. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, die mir der Mann, von dem ich meinen Paß bekommen, beigebracht hatte. Körperlicher Komfort schlägt jeden Geistesblitz, hatte er mir erklärt. Man braucht sich weni ger anzustrengen und der andere ist glücklich. Ich wartete dar auf, daß Natascha die Jahreszeiten wieder um eine Saison vor ausstellte. Es waren nicht mehr viele Pelzmäntel im Atelier zu sehen, dafür einige leichte Breitschwanzjacken, die von den Lehrmädchen auch schon zusammengepackt wurden. Bei Horst war es Mai. Kostüme in Wolle und hellen Farben: kobaltblau, nilgrün, maisgelb, wüstenbraun und wie die verführerischen Namen sonst noch waren. Mai, dachte ich. Im Mai soll der Krieg zu Ende sein. Was dann? hatte Kahn gesagt. Was dann? dachte ich und sah Natascha an, die in einem kurzen Jackenkleid mit einem wehenden ChifTonschal aus dem Hintergrund hervorkam, schmal und etwas schwankend, als wären ihre Beine zu lang. Wo würde ich im Mai sein? Wieder einmal fiel mir die Zeit auseinan der wie eine platzende Tüte mit Tomaten, und das sinnlose Kaleidoskop begann sich zu drehen.»Wir sind verdorben für ein normales Leben«, hatte Kahn gesagt,»können Sie sich mich vorstellen als Radiovertreter mit einer Familie, der demokra tisch wählt, Geld beiseite legt und versucht, Kirchenvorsteher in seinem Sprengel zu werden? Wir sind verdorben, viele haben etwas abgekriegt wie die Opfer einer Explosion. Ein Teil ist ohne allzu schwere Verletzungen davongekommen, manche haben so gar profitiert, andere sind Krüppel geworden, und die Verletz ten, auf die es am meisten ankommt, werden sich nie mehr zu rechtfinden, und schließlich werden sie untergehen. «Mai 1945! Oder Juni oder Juli! Die Zeit, die all die Jahre hindurch so quälend dahingeschlichen war, schien auf einmal zu rasen. Ich starrte zu Natascha hinüber, die jetzt von allen Seiten beleuchtet wurde und auf der Plattform stand, etwas vorgereckt, das Ge sicht im Profil, wahrscheinlich leicht nach Zwiebeln duftend, die Galionsfigur eines unsichtbaren Schiffes, das in einem Meer von Licht mit der Zeit um die Wette raste.
Mit einem Schlag erloschen die Scheinwerfer. Diffus und grau kämpften sich die gewöhnlichen Lampen des Studios durch den scheinbaren Nebel.»Schluß!«rief Horst.»Einpacken! Genug für heute!«
Natascha kam durch das Geraschel der Seidenpapiere und das Rascheln der Kartons heran. Sie trug den geliehenen Pelzmantel und die Rubinen-Ohrringe.»Ich konnte nicht anders«, sagte sie.»Ich habe sie behalten für heute abend. Morgen schicke ich sie zurück. Ich habe das schon öfter getan. Der blonde junge Mann weiß Bescheid. Sie sind herrlich.«
«Und wenn du sie verlierst?«
Sie sah mich an, als hätte ich zur falschen Zeit eine obszöne Be merkung gemacht.»Sie sind versichert«, erwiderte sie.»Van Cleef und Arpels haben alles versichert, was sie uns leihen.«»Gut«, sagte ich rasch, um nicht, wie oft in solchen Situationen, den Kleinbürger an den Kopf geworfen zu bekommen.»Das entscheidet über die Strategie des Abends. Wir werden im Pavil lon essen.«
«Wir brauchen nicht viel essen, Robert! Ich hatte ja schon das Steak-Tartar.«
«Wir werden essen, wie es Betrügern und Falschmünzern zu kommt— besser als kleinbürgerliche Fürsten.«
Wir gingen zu Tür.»Guter Gott«, sagte Natascha.»Da ist ja der Rolls, den hatte ich ganz vergessen!«
Ich blieb wie angewurzelt stehen.»Mit Fraser drin?«fragte ich mißtrauisch.
«Natürlich nicht. Er ist heute abgereist. Er hat mir gesagt, er würde den Wagen heute abend hierher schicken, weil es doch wahrscheinlich spät würde. Ich habe es vergessen.«
«Schicke ihn weg.«
«Aber Robert. Jetzt ist er doch da. Wir sind doch schon öfter damit gefahren. Es ist doch nichts dabei!«
«Es ist mein kleinbürgerliches Blut, das aufschäumt«, erwiderte ich.»Früher war das anders. Jetzt liebe ich dich und bin Klein kapitalist. Ich bin in der Lage, ein Taxi zu bezahlen.«
«Paßt es nicht zu Betrügern und Falschmünzern, den Rolls zu nehmen?«
«Es ist sehr verlockend, ich kann darüber nicht sofort entschei den. Nehmen wir ein Taxi, um von vornherein jede Reue zu vermeiden. Es ist ein angenehmer Abend, klirrend vor Frost. Sag dem Chauffeur, wir wollten einen Waldlauf machen oder Spazierengehen.«
«Wenn du willst«, sagte sie zögernd und machte einen Schritt.»Halt«, erwiderte ich.»Ich habe es mir überlegt. Verzeih mir, Natascha. Was dir Spaß macht, ist wichtiger als die von der Salzsäure der Eifersucht getränkte Moral. Steigen wir ein!«
Sie saß wie ein fremdartiger Vogel neben mir.»Ich habe mein Make-up nicht abgeschminkt«, erklärte sie.»Es hätte zu lange gedauert, und ich wäre zu hungrig geworden. Außerdem hat man bei Horst im Studio keine Ruhe dazu. Man verschmiert alles, wischt es dann mit Goldcream ab und kommt heraus wie ein gerupftes Huhn.«
«Du siehst nicht aus wie ein gerupftes Huhn«, sagte ich.»Du siehst aus wie ein hungriger Paradiesvogel, der sich verflogen hat. Oder wie die zum Opfer geschmückte Jungfrau eines unbe kannten Stammes in Timbuktu oder Haiti. Frauen können gar nicht verändert genug aussehen. Ich bin ein altmodischer Be wunderer der Frau als etwas, das hergeflogen ist aus Dschungel und Urwald, und ich bin ein Feind der Frau als gleichberechtigter Kameradin und Geschäftspartnerin.«
«Ein Barbar also!«
«Ein hoffnungsloser Romantiker.«
«Bin ich dir barbarisch genug? Falsche, künstliche Wimpern, ein Film-Make-up, geraubte Juwelen, eine neue Frisur und ein ge liehener Pelzmantel? Ist das genug für deinen Falschmünzer- Charakter?«
Ich lachte. Sie wußte nichts von meinem falschen Namen und meinem falschen Paß und hielt alles nur für einen Scherz.»Horst hat mir einen Vortrag gehalten, der viel weiter geht. Von Frauen und von Politikern. Darin kommen sogar falsche Busen, Zähne, Haare und Hintern vor.«
«Auch bei Politikern?«
«Bei Politikern sogar falsche Überzeugungen. Falsche Busen auch, an denen man Krokodilstränen vergießen kann. Wir sind noch lange nicht am Ende. Warte, bis ich mit falschem Geld zahle!«
«Tun wir das nicht immer?«
Ich nahm ihre Hand.»Wahrscheinlich. Aber man sollte Ge schäftspraktiken stets für das Höchste halten. Im Altertum hatte die Lüge noch nichts Minderwertiges an sich, sondern war gleich bedeutend mit der Klugheit. Denke an den listenreichen Odys seus. Wie schön ist es, hier zu sitzen mit dir, unter den vielen Lichtern, umgeben von Kellnern mit Plattfüßen, und dann zu sehen, wie du ein Sirloinsteak verschlingst. Ich bete dich an, Na tascha, aus vielen Gründen. Ein sehr wichtiger ist, daß du so gerne ißt, in einem Zeitalter, wo Diät Trumpf ist, und dies auf einer satten Rieseninsel zwischen zwei Ozeanen und dem Hunger der Welt. Die Frauen hier fürchten sich schon vor einem Salat blatt, sie essen wie Kaninchen, während ganze Kontinente hun gern. Du aber hast den Mut, mit geschärftem Steakmesser einem tüchtigen Chateaubriand zuleibe zu rücken. Es ist ein Vergnü gen, dich essen zu sehen. Bei ändern Frauen gibt man einen Haufen Geld aus, sie stochern etwas auf ihrem Teller herum und lassen alles stehen. Vor Wut erwürgt man sie dann in einer dunklen Allee. Du aber…«
«Welche anderen Frauen?«unterbrach Natascha.
«Irgendwelche! Schau dich um! Dieses herrliche Restaurant ist voll davon. Sie essen Salat und trinken Kaffee und machen den
Männern ganz einfach deswegen Szenen, weil sie vor Hunger wütend werden. Das ist die einzige Wut, deren sie fähig sind. Im Bett sind sie dann Wesen, gegen die eine Holzlatte eine Viper ist. Während du…«
Sielachte.»Genug!«
«Ich hatte nicht die Absicht, da in Details zu gehen, Natascha. Ich war noch bei einer Ode auf deinen prachtvollen Appetit.«
«Ich weiß, Robert. Ich habe es auch nicht erwartet. Ich weiß aber auch, daß du gerne Oden und Hymnen anstimmst, wenn du an etwas ganz anderes denkst.«
«Was?«fragte ich überrascht.
«Ja«, sagte sie.»Du Falschmünzer und Doppeldenker und Schwindler! Ich frage nicht, was dir im Magen liegt und was du vergessen willst, aber ich weiß es. «Sie strich zärtlich über meine Hand.»Wir leben in einer exaltierten Zeit, wie? Da müssen wir manches größer oder kleiner machen, um durchzukommen. Ist es nicht so?«
«Vielleicht«, erwiderte ich vorsichtig.»Aber wir brauchen es gar nicht selbst zu tun, die verdammte Zeit tut es für uns.«
Sie lachte.»Glaubst du nicht, daß wir es tun, um das bißchen Persönlichkeit hochzuhalten, das die Zeit sonst plattwalzen würde?«
«Du wirst mir unheimlich! Wohin sind wir plötzlich gekommen? Du bist auf einmal eine Sphinx und ein sprechender Amazonas- Papagei geworden. Und dazu noch mit deinen glühenden Juwe len und der Kriegsbemalung. Ein Orakel von Delphi im Urwald von Sumatra. Oh, Natascha!«
«Oh, Robert! Du Mann der vielen Worte! Ich glaube sie nicht, aber ich höre sie gerne. Weißt du nicht, wie unnötig sie sind? Frauen lieben hilflose Männer, das ist ihr wohlgehütetes Ge heimnis.«
«Eine Falle, um andere hilflos zu machen.«
Sie erwiderte nichts. Es war sonderbar, wie fremdartig sie immer noch wirkte mit den paar künstlichen Hilfsmitteln, von denen ich doch wußte. Wie leicht man zu betrügen ist und wie gerne man glaubt, dachte ich, und ich sah sie an und wünschte, wir wären allein.»Ich rede vieles daher, und ich verstehe nichts von Frauen«, sagte ich schließlich.»Aber ich bin glücklich mit dir. Es mag auch sein, daß ich etwas verberge, und es mag sein, daß ich aus all dem Elend, dem man zwar nicht entrinnen kann und von dem ich hier nur ein schattenhaftes Echo spüre, einen Fetzen Glück für mich behalten will, für mich, der niemandem etwas wegnimmt, der auf niemanden schießt und der keinen bestiehlt — das alles mag sein, Natascha, aber es hat trotzdem nichts da mit zu tun, weil es keine Folge davon ist, sondern für sich be steht, so wie die Steine an deinen Ohren nichts mehr zu tun haben mit der Schwärze und dem Drude der Erde, der sie ent stammen und die sie gemacht hat. Sie sind da, und ich bin glüdc- lich mit dir. Das war eine lange Erklärung für einen einfachen Satz, und du mußt sie mir verzeihen, denn schließlich bin ich, wenn auch nur ein gewesener Journalist, dennoch ein Mann der Worte, der mit Worten sogar Geld verdient hat. So etwas ver gißt man nicht so leicht.«
«Bist du keiner mehr?«
«Ich bin stumm geworden. Englisch kann ich gerade genug, um zu sprechen, Französisch auch genug, um zu schreiben, von deut schen Blättern bin ich verbannt. Ist es da ein Wunder, wenn die Phantasie wie ein Unkraut hochschießt und romantische Blüten ansetzt? In normalen Zeiten wäre ich kein so unzeitgemäßer, falscher Romantiker geworden.«
«Glaubst du das?«
«Nein, aber es ist etwas daran.«
«Es gibt keine falschen Romantiker, Robert«, sagte Natascha.»Doch. In der Politik. Da aber stiften sie fürchterliches Unheil. In Deutschland sitzt gerade einer im Bunker von Berlin.«
Ich brachte sie nach Hause. Der Rolls-Royce war zum Glück nicht mehr da, sie hatte ihn fortgeschickt. Ich wäre nicht über rascht gewesen, wenn sie ihn behalten hätte.»Wunderst du dich nicht, daß er weg ist?«fragte sie.
«Nein«, sagte ich.
«Du hast es erwartet?«
«Auch nicht.«
«Was hast du erwartet?«
«Daß du mit mir ins Hotel Reuben kommen würdest.«
Wir standen im Eingang ihres Hauses. Es war dunkel und sehr kalt.»Es ist schade, daß wir das Appartement nicht mehr haben, wie?«
«Ja«, erwiderte ich und sah in das fremde Gesicht mit den langen Wimpern.
«Komm mit mir hinauf«, flüsterte sie.»Aber wir müssen uns stumm lieben.«
«Nein«, sagte ich.»Komm mit mir ins Hotel. Da brauchen wir nicht stumm zu sein.«
«Warum hast du mich nicht vom Pavillon gleich mitgenom men?«
«Ich weiß es nicht.«
«Wolltest du mich nicht?«
«Ich weiß es nicht. Manchmal will man und will nicht.«
«Was war es?«
«Vielleicht, weil du so fremd warst. Ich weiß es nicht. Jetzt will ich, weil du so fremd bist.«
«Nur deshalb?«
«Nein.«
«Such ein Taxi. Ich warte hier.«
Ich ging rasch zur Straßenecke. Es war sehr kalt, und es war auf regend zu wissen, daß Natascha im Dunkel der Haustür wartete. Ich spürte, daß kleine Muskeln in meiner Brust zitterten. Ich lief bis zur nächsten Ecke und fand ein Taxi und fuhr mit ihm zurück. Natascha kam rasch aus dem Hause. Wir sprachen nicht miteinander. Ich fühlte, daß auch Natascha zitterte. Wir hielten uns an den Händen und preßten sie aneinander, aber sie zitterte weiter. Wir fielen fast aus dem Taxi. Niemand sah uns. Es schien, als wäre es das erstemal, daß wir zusammen waren.