XII

Ich kam vom Anwalt. Betty Stein hatte mir hundert Dollar gegeben, damit ich ihm die erste Rate bezahle. Ich hatte die Kuk- kucksuhr angesehen und versucht zu handeln, aber der Anwalt war hart geblieben wie ein Diamant, von keiner Sentimentalität getrübt. Ich war so weit gegangen, ihm einiges aus den letzten Jahren zu erzählen. Ich wußte, daß er einen Teil davon bereits gehört hatte, hatte all das ja gebraucht, um die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen, aber ich hatte gedacht, ein paar Details würden nicht schaden, um den Mann mit der zu stimmen. Fünfhundert Dollar waren eine sehr große Schuld für mich. Betty Stein hatte mir dazu geraten.»Flennen Sie ihm richtig was vor«, hatte sie gesagt.»Vielleicht hilft es. Und außerdem stimmt es ja. «Es hatte nichts genützt. Der Anwalt erklärte mir, daß er mir bereits ein Geschenk gemacht habe, sein normales Honorar sei bedeutend höher. Auch der Hinweis auf den mittellosen Emigranten schlug fehl. Der Anwalt lachte mich aus.»So wie Sie kommen jedes Jahr über hundertfünfzigtausend Emigranten nach Amerika. Hier sind Sie keine rührende Ausnahme. Was wollen Sie? Sie sind gesund, stark und jung. So haben alle unsere Millionäre angefangen. Und wie ich höre, sind Sie über das Tellerwäscherstadium schon hinaus. Ihre Situation ist nicht schlimm. Wissen Sie, was schlimm ist? Arm zu sein, alt zu sein, krank zu sein und ein Jude in Deutschland zu sein! Das ist schlimm! Und nun good bye! Ich habe Wichtigeres zu tun. Bringen Sie die nächste Rate pünktlich.«

Ich war dankbar gewesen, daß er nicht noch dafür, daß er mich angehört hatte, ein Extrahonorar verlangte. Langsam schlenderte ich durch die Stadt, die in heiterem, geschäftigem Morgendunst lag. Die Sonne schien hinter glänzenden Wolken. Die Autos blitzten frisch geputzt, und der Central Park war voll von Kin dergeschrei. Bei Silvers hatte ich Photographien von Picasso aus Paris gesehen, die ähnlich gewesen waren. Der Ärger über den Anwalt verflog, es war auch nur der Ärger über die ziemlich er bärmliche Rolle gewesen, die ich gespielt hatte. Er hatte mich durchschaut, und er hatte recht gehabt. Ich konnte nicht einmal auf Betty ärgerlich sein, die mir dazu geraten hatte. Es war ja meine Sache gewesen, ihrem Rat zu folgen oder nicht.

Ich ging am Bassin der Seelöwen vorbei, auch sie glitzerten in der warmen Sonne wie polierte lebendige Bronzen. Die Tiger, Löwen und Gorillas waren in ihren Außenkäfigen. Sie wanderten ruhelos auf und ab mit den durchsichtigen beryllfarbcnen Augen, die nichts und alles sahen. Die Gorillas spielten und warfen mit Bananenschalen. Ich enthielt mich allen sentimentalen Mitleids. Anstatt wie hungrige Beutesucher, die von Mücken und Krankheiten gequält wurden, sahen die Tiere eher aus wie ruhige, satte Rentner auf dem Morgenspaziergang. Wenn Angst und Hunger die Haupttriebfedern der Natur sind — die Tiere hier waren davon frei, allerdings war der Preis dafür eine gewisse Monotonie. Doch wer wußte, wem das eine oder das andere lieber war? Die Tiere haben, wie Menschen, ihre Gewohnheiten, an denen sie festhalten, und von der Gewohnheit ist nur ein Schritt zur Monotonie. Revolutionen sind überall selten. Ich mußte an Natascha Petrowna denken und an meine Theorie vom Glück im Winkel. Sie war keine Revolutionärin, und ich glaubte an das Glück im Winkel nur als Kontrast. Beide gehörten wir aber nirgend wohin. Wir flatterten und machten manchmal irgendwo halt, um auszuruhen. Aber taten das nicht alle Tiere ohne viel Aufhebens?

Ich setzte mich auf die Terrasse und bestellte mir einen Kaffee. Ich hatte fünfhundert Dollar Schulden und vierzig Dollar Vermögen. Aber ich war frei, gesund und, wie der Anwalt mir erklärt hatte, auf der ersten Stufe zum Millionär. Ich trank noch einen Kaffee und kam mir vor wie im Jardin du Luxembourg in Paris an einem Sommervormittag. Damals hatte ich einen Spaziergänger gemimt, damit die Polizei nicht auf mich aufmerksam wurde. Heute bat ich einen vorübergehenden Polizisten um Feuer für meine Zigarette und erhielt es. Der Luxemburg-Garten erinnerte mich an das Lied vom Graf von Luxemburg im Morocco. Aber als ich es dort gehört hatte, war es Nacht gewesen, und jetzt war es heller, winddurchwehter Tag. Am Tag ist alles anders.

* * *

«Wo bleiben Sie nur? Sie waren ja endlos lange weg!«sagte Silvers.»Es kann doch keine solche Ewigkeit dauern, um einen Anwalt zu bezahlen!«

Ich war überrascht. Er war nicht mehr der gepflegte Weltmann, den ich ihm auch nie ganz geglaubt hatte. Er war heute gespannt, nervös, ohne es sehr zu zeigen, er schritt rasch und etwas geduckt durchs Haus. Sogar sein Gesicht hatte sich geändert. Die leicht gepolsterte Weichheit war versdiwunden. Hier war einer, der auf Raub ausging, dachte ich. Eine Art Salonleopard, der Wild gesichtet hatte.

«Es kann schon länger dauern, wenn man nicht bezahlen kann. «Silvers wischte das beiseite.»Kommen Sie jetzt, wir haben wenig Zeit. Wir müssen Bilder umhängen.«

Wir gingen in den Raum mit den Staffeleien. Silvers holte aus dem Nebenraum zwei Bilder hervor und stellte sie auf.»Sagen Sie mir, ohne nachzudenken, welches Sie kaufen würden.«

Es waren wieder die zwei Degas, beides Bilder von Tänzerinnen. Beide ungerahmt.»Los, los!«sagte Silvers.

Ich deutete auf das linke.»Dieses.«

«Warum? Es ist doch weniger ausgeführt.«

Ich zuckte die Achseln.»Es gefällt mir besser. Gründe kann ich Ihnen auf Anhieb nicht sagen. Das wissen Sie doch selbst viel besser als ich.«

«Natürlich weiß ich es besser«, versetzte Silvers ungeduldig.»Kommen Sie, wir müssen beide rahmen, bevor der Kunde erscheint.«

Er zeigte mir eine Anzahl leerer Rahmen im Nebenraum. Ich brachte sie heraus.»Es sind Normalgrößen«, murmelte er.»Diese hier werden passen. Wir haben keine Zeit mehr, Rahmen zurechtzuschneiden.«

Es war überraschend, wie die Bilder sich veränderten, wenn die Rahmen darübergelegt wurden. Das eine, das etwas zerflattert im Raume zu hängen schien, war plötzlich gesammelt. Die Bilder wirkten fertiger.

«Man soll Bilder nur im Rahmen zeigen«, erklärte Silvers.»Nur Kunsthändler können sie ohne Rahmen beurteilen. Nicht einmal Museumsdirektoren verstehen das immer. Welchen Rahmen wür den Sie nehmen?«

«Diesen da.«

Silvers sah mich anerkennend an.»Sie haben keinen schlechten Geschmack. Aber wir werden einen anderen nehmen. Diesen hier.«

Er schob die Tänzerinnen in einen breiten und reichverzierten Rahmen.»Ist der nicht ein wenig zu üppig für ein Bild, das nicht ganz fertig gemalt wurde?«fragte ich.

«Im Gegenteil, er kann gar nicht üppig genug sein, weil das Bild nicht fertig ist. Gerade deshalb.«

«Ich verstehe. Er verdeckt.«

«Er erhöht. Er ist so fertig, daß das Bild auch fertig wirkt. Rahmen sind sehr wichtige Dinge«, dozierte Silvers und setzte sich zurecht. Ich hatte schon öfter gemerkt, daß er es liebte, professo ral zu werden.»Es gibt Kunsthändler, die an Rahmen sparen; sie glauben, der Kunde merke es nicht. Rahmen sind teuer, und Schmokusmalokus, gepreßte und vergoldete Gipsrahmen sehen zwar guten Rahmen auf den ersten Blick etwas ähnlich, aber nur auf den ersten Blick.«

Ich paßte den ersten Degas vorsichtig in den Rahmen. Silvers suchte einen zweiten für das andere Bild aus.»Wollen Sie doch beide zeigen?«fragte ich.

Er lächelte verschmitzt.»Nein. Aber ich will das zweite Bild in Reserve halten. Man weiß nie, was passiert. Beide Bilder sind absolute Jungfrauen. Nie gezeigt. Der Kunde, der heute kommt, wollte erst übermorgen ersdieinen. Wir brauchen die Rückseite nicht zu kleben; wir haben keine Zeit dazu. Biegen Sie nur die Nägel um, damit es fest hält.«

Ich holte den zweiten Rahmen.»Eine Schönheit, wie?«sagte Silvers.»Louis XV., reich und üppig. Macht das Bild um fünf tausend Dollar wertvoller. Mindestens! Selbst van Gogh wollte, daß seine Bilder erstklassig gerahmt sein sollten. Degas hat seine allerdings oft mit weiß angestrichenen Latten gerahmt. Aber vielleicht war er geizig.«

Vielleicht hatte er auch nicht genug Geld, dachte ich. Van Gogh hatte sicher nicht genug, er hat zeit seines Lebens kein Bild verkaufen können und wurde von seinem Bruder dürftig unter stützt. Die Bilder waren gerahmt. Silvers wies mich an, das eine in das Nebenkabinett zurückzubringen.»Das andere hängen Sie in das Schlafzimmer meiner Frau.«

Ich sah ihn erstaunt an.»Sie haben richtig verstanden«, sagte er.»Ich gehe mit, kommen Sie. «Frau Silvers hatte ein hübsches, sehr weibliches Schlafzimmer. Ein paar Zeichnungen und Pastelle hingen zwischen den Möbeln. Silvers betrachtete sie mit Feld herrnblick.»Nehmen wir die Renoir-Zeichnung drüben einmal herunter und hängen wir den Degas hin. Den Renoir dafür nach drüben über den Toilettentisch, die Berthe-Morisot-Zeichnung nehmen wir heraus. Den Vorhang rechts ziehen wir halb zu. Etwas mehr… so, jetzt ist das Licht gut.«

Er hatte recht. Das Gold des halb zugezogenen Vorhangs gab dem Bild Süße und Wärme.»Strategie«, sagte Silvers,»ist der halbe Verkauf. Kommen Sie.«

Er instruierte mich über die Strategie. Ich sollte die Bilder, die er vorzeigen wollte, in das Zimmer mit den Staffeleien bringen. Er würde mich beim vierten oder fünften Bild beauftragen, den Degas aus dem Kabinett zu holen. Ich sollte ihn dann daran erinnern, daß das Bild im Schlafzimmer von Frau Silvers hänge.»Sprechen Sie so viel Französisch, wie Sie wollen«, erklärte er.»Wenn ich Sie nach dem Bild frage, antworten Sie allerdings englisch, damit der Kunde es auch versteht.«

Ich hörte die Hausklingel.»Da ist er«, sagte Silvers.»Warten Sie hier oben, bis ich Ihnen klingle.«

Ich ging in das Kabinett, in dem die Bilder Seite an Seite in Holzgestellen standen, und setzte mich auf einen Stuhl. Silvers ging nach unten, um seinen Gast zu begrüßen. Das Kabinett hatte ein kleines Fenster mit einer Milchglasscheibe, das stark vergittert war. Ich hatte das Gefühl, in einer Gefängniszelle zu sitzen, in der zur Abwechslung für einige hunderttausend Dollar Bilder aufgcspeichert waren, was den Charakter der Zelle veränderte. Das milchige Licht erinnerte mich an eine Zelle, in der ich einmal in der Schweiz vierzehn Tage gesessen hatte — wegen illegalen Aufenthalts ohne Papiere, das übliche Vergehen der Emigranten. Die Zelle war genau so sauber und ordentlich gewesen, und ich hätte gern länger als vierzehn Tage darin gesessen, das Essen war gut und die Zelle geheizt. Aber nach zwei Wochen wurde ich in einer stürmischen Nacht nach Annemasse an die französische Grenze gebracht, erhielt eine Zigarette und einen Knuff in den Rücken:»Marsch nach Frankreich. Und laß dich nie wieder in der Schweiz sehen!«

Ich mußte eingenickt sein. Plötzlich läutete die Klingel. Nebenan hörte ich Silvers sprechen. Ich ging hinein. Ein schwerer Mann mit großen roten Ohren und kleinen Schweinsaugen saß da.»Monsieur Ross«, flötete Silvers,»bitte bringen Sie einmal die helle Sisley-Landschafl.«

Ich brachte die Landschaft und stellte sie auf. Silvers sagte lange Zeit nichts, sondern beobachtete durch das Fenster die Wolken.»Gefällt sie Ihnen?«fragte er dann gelangweilt.»Ein Sisley aus der besten Zeit. Eine Überschwemmung — das, was jeder haben will.«

«Mist«, sagte der Kunde noch gelangweilter als Silvers.

Der Händler lächelte.»Auch eine Kritik«, erwiderte er ziemlich sarkastisch.»Monsieur Ross«, wandte er sich an mich in französisch,»nehmen Sie diesen herrlichen Sisley fort.«

Ich wartete einen Augenblick darauf, daß Silvers mir sagen würde, was er jetzt hereingebracht haben wolle. Da er es nicht tat, ging ich mit dem Sisley hinaus, hörte aber Silvers noch sagen:»Sie sind heute nicht in Stimmung, Herr Cooper. Verschieben wir es auf ein anderes Mal.«

Ziemlich schlau, dachte ich in dem milchigen Licht meiner Kammer, jetzt mußte Cooper anfangen. Als ich wieder gerufen wurde, nach einiger Zeit, und die ändern Bilder nach und nachher einbrachte, rauchten beide zwei von Silvers’ Kundenzigarren Partagas. Dann fiel mein Stichwort.»Dieser Degas ist nicht hier, Herr Silvers«, sagte ich.

«Aber natürlich ist er hier. Er muß da sein.«

Ich kam heran, beugte mich halb zu ihm herunter und flüsterte vernehmlich:»Das Bild ist oben, bei Frau Silvers…«

«Wo?«

Ich wiederholte auf französisch, daß das Bild bei Frau Silvers im Schlafzimmer hänge.

Silvers schlug sich vor die Stirn.»Ach richtig, daran habe ich ja gar nicht gedacht. Nun, dann geht es eben nicht…«

Ich bewunderte ihn grenzenlos. Er schob die Initiative wieder Cooper zu. Er sagte mir nicht, daß ich das Bild holen solle, er behauptete auch nicht, daß das Bild seiner Frau zugedacht sei oder gar ihr gehörte. Er ließ das Thema ganz einfach fallen und wartete.

Ich wanderte zurück in meine Kemenate und wartete ebenfalls. Mir schien, daß Silvers einen Hai an der Angel habe und ich nicht sagen könne, ob der Hai nicht Silvers verschlucken würde. Allerdings war Silvers’ Position günstiger. Der Hai konnte eigentlich nur die Angel durchbeißen und wegschwimmen. Es war ausgeschlossen, daß Silvers zu billig verkaufte. Der Hai machte immerhin interessante Versuche. Da die Tür einen Spalt offen stand, hörte ich, daß das Gespräch sich wirtschaftlichen Verhältnissen und dem Krieg zuwandte. Der Hai prophezeite das Schlimmste: Börsenpleite, Schulden, neue Ausgaben, neue Schlachten, Krisen, sogar drohenden Kommunismus. Alles würde fallen. Bares Geld würde das einzige sein, das Wert behielte. Er erinnerte nachdrücklich an die schwere Krise Anfang der dreißiger Jahre, wer da bares Geld hatte, war ein König und konnte alles für den halben Preis kaufen, für ein Drittel, ein Viertel. Nachdenklich fügte der Hai hinzu:»Luxussachen wie Möbel, Teppiche und Bilder sogar für ein Zehntel.«

Silvers bot ungerührt Kognak an.»Später sind die Sachen dann wieder gestiegen«, sagte er.»Und das Geld ist gefallen. Sie wissen ja selbst, daß das Geld heute weniger als die Hälfte von damals wert ist. Es ist nicht wieder gestiegen, Bilder dagegen um das Fünffache und mehr. «Er lachte ein sanftes falsches Lachen.»Ja, die Inflation! Sie begann vor zweitausend Jahren und geht weiter und weiter. Sachwerte steigen, Geld fällt, so ist es nun einmal.«

«Darum sollte man nie etwas verkaufen«, parierte der Hai unter fröhlichem Gebrüll.

«Wenn man das könnte«, erwiderte Silvers gelassen.»Ich verkaufe ohnehin so wenig wie möglich. Aber man braucht ja Betriebskapital. Fragen Sie einmal meine Kunden. Für die bin ich ein Wohltäter. Ich habe noch vor kurzem eine Degas-Tänzerin, die ich vor fünf Jahren verkauft habe, für das Doppelte des Preises zurückgekauft.«

«Von wem?«fragte der Hai.

«Das sage ich Ihnen natürlich nicht. Möchten Sie, daß ich herum posaunen würde, zu welchen Preisen Sie bei mir kaufen?«

«Warum nicht?«Der Hai war eine scharfe Nummer.

«Andere mögen es gar nicht. Nach denen muß ich mich richten. «Silvers machte ein Geräusch, als stünde er auf.»Schade, daß Sie hier nichts gefunden haben, Herr Cooper. Nun, vielleicht ein andermal. Die Preise kann ich natürlich nicht lange offenhalten, das verstehen Sie?«

Auch der Hai stand auf.»Hatten Sie nicht noch einen Degas, den Sie mir zeigen wollten?«fragte er nachlässig.

«Ach den, der im Zimmer meiner Frau hängt?«Silvers zögerte. Dann hörte ich die Klingel.»Ist meine Frau in ihrem Zimmer?«»Sie ist vor einer halben Stunde ausgegangen.«

«Dann bringen Sie doch einmal den Degas, der neben dem Spiegel hängt.«

«Es wird einen Augenblick dauern, Herr Silvers«, sagte ich.»Ich habe gestern einen Holzdübel eindrehen müssen, da die Wand nicht sehr fest war. Das Bild ist darauf festgeschraubt. Es dauert nur ein paar Minuten.«

«Lassen Sie nur«, erwiderte Silvers.»Wir gehen einfach hinauf. Was meinen Sie, Herr Cooper?«

«Von mir aus.«

Ich hockte mich wieder wie Fafner zwischen die Schätze des Rheingolds. Nach einiger Zeit kamen die beiden zurück, und ich wurde hinaufgeschickt, das Ding loszumachen und herunter zu bringen. Da nichts loszumachen war, wartete ich einfach ein paar Minuten. Ich sah durch das hintere Fenster, das zum Hof hinaus ging, Frau Silvers im Küchenfenster gegenüber. Sie machte eine fragende Geste. Ich schüttelte heftig den Kopf, die Luft war noch nicht rein, Frau Silvers mußte weiter in der Küche bleiben.

Ich brachte das Bild in den veloursgrauen Staffeleiraum und verließ das Zimmer. Vom Gespräch konnte ich nichts mehr hören, Silvers hatte die Zwischentur geschlossen. Ich hätte ganz gern festgestellt, wie subtiler andeuten würde, daß seine Frau das Bild gerne für die private Sammlung behalten würde, aber ich war sicher, er würde es so machen, daß der Hai nicht mißtrauisch würde. Es dauerte ungefähr noch eine halbe Stunde, dann kam Silvers herein und erlöste mich aus der Luxusgefangenschaft.»Den Degas brauchen wir nicht zurückzuhängen«, sagte er.»Sie müssen ihn morgen zu Herrn Cooper bringen.«»Gratuliere.«

Er zog eine Grimasse.»Was man alles tun muß! Dabei wird der Mann sich in zwei Jahren ins Fäustchen lachen, so werden die Bilder gestiegen sein.«

Ich wiederholte die Frage Coopers.»Warum verkaufen Sie dann wirklich?«

«Weil ich es nicht lassen kann. Ich bin eine Spielernatur. Außerdem muß ich verdienen. Übrigens, die Sache mit dem angeschraubten Bild war nicht schlecht. Sie entwickeln sich.«

«Sollte ich dann nicht besser bezahlt werden?«

Silvers machte schmale Augen.»Sie entwickeln sich etwas zu schnell. Vergessen Sie nicht, daß Sie bei mir einen Gratis unterricht bekommen, um den Sie mancher Museumsdirektor beneiden würde.«

Ich ging abends zu Betty Stein, um mich für das geliehene Geld zu bedanken. Ich fand sie mit verweinten Augen in sehr gedrückter Stimmung. Bei ihr waren einige ihrer Bekannten, die sie an scheinend trösteten.»Ich kann morgen wiederkommen, wenn ich heute störe«, sagte ich.»Ich wollte mich nur bedanken.«

«Was?«

Betty sah mich verstört an.»Für das Geld«, sagte ich,»das ich dem Anwalt brachte. Man hat meine Erlaubnis verlängert. Ich kann einstweilen hierbleiben.«

Sie brach in Tränen aus.»Was ist passiert?«fragte ich den Schauspieler Rabinowitz, der Betty in den Arm nahm und ihr zu sprach.»Wissen Sie es nicht? Möller ist tot. Vorgestern. «Rabinowitz machte mir ein Zeichen, nicht weiterzufragen. Er führte Betty zu einem Sofa und kam zurück. Er spielte die Rollen brutaler Nazis in B-Filmen und war ein sehr sanfter Mann.»Er hat sich erhängt«, sagte er,»Lipschütz hat ihn gefunden. Er muß schon ein oder zwei Tage tot gewesen sein. In seinem Zimmer. Er hing am Kronleuchter. Alle Lampen brannten, auch am Kronleuchter. Vielleicht wollte er nicht allein im Dunkel sterben. Er muß sich wohl nachts erhängt haben.«

Ich wollte gehen.»Bleiben Sie nur hier«, sagte Rabinowitz.»Je mehr Leute bei Betty sind, desto besser ist es für sie. Sie kann nicht allein sein.«

Die Luft im Zimmer war abgestanden und schwül. Betty wollte kein Fenster offen haben. Aus einem rätselhaften, atavistischen Aberglauben heraus glaubte sie, man täte dem Toten etwas an, wenn sich die Trauer in die freie Luft verflüchtigen könne. Ich habe vor vielen Jahren einmal gehört, daß man die Fenster öffne, wenn ein Toter im Hause läge, um die im Zimmer umherirrende Seele zu befreien, aber nie, daß man sie schließe, um die Trauer zu beherbergen.

«Ich bin eine dumme Kuh«, sagte Betty und schneuzte sich energisch.»Ich sollte mich zusammennehmen. «Sie stand auf.»Ich werde euch Kaffee machen. Oder wollt ihr etwas anderes haben?«

«Gar nichts, Betty, wirklich gar nichts.«

«Doch. Ich werde Kaffee machen.«

Sie ging mit ihrem verdrückten raschelnden Kleid in die Küche.»Weiß man irgendeinen Grund?«fragte ich Rabinowitz.

«Braucht man einen Grund?«

Ich erinnerte mich an Kahns Theorie über die Zäsuren im Leben und darüber, daß der Wurzellose besonders gefährdet sei.

«Nein«, sagte ich.

«Er war nicht ganz arm, das kann es nicht gewesen sein. Er war auch nicht krank, vor ungefähr zwei Wochen hat Lipschütz ihn noch gesehen.«

«Konnte er arbeiten?«

«Er konnte schreiben. Aber er konnte nichts veröffentlichen. Er hat seit Jahren nichts veröffentlichen können«, sagte Lipschütz.»Aber so geht es vielen. Das allein kann es auch nicht sein.«

«Hat er etwas hinterlassen?«

«Nichts. Er hing mit dem blauen Gesicht und der dicken Zunge am Kronleuchter, und die Fliegen krochen über seine offenen Augen. Er sah schon entsetzlich aus. In diesen heißen Tagen geht das schnell. Die Augen…«Lipschütz schüttelte sich.»Das Schlimmste ist, daß Betty ihn noch einmal sehen will.«

«Wo ist er jetzt?«

«In einem Unternehmen, das hier Funeral Home genannt wird. Beerdigungsheim. Die Leichen werden da zurechtgemacht. Waren Sie schon einmal in einem solchen Etablissement? Gehen Sie nie hin. Die Amerikaner sind ein junges Volk, sie erkennen den Tod nicht an. Die Verstorbenen werden geschminkt, als schliefen sie nur. Viele werden auch einbalsamiert.«

«Wenn er geschminkt wird…«, sagte ich.

«Das haben wir auch gedacht, aber es ist fast nichts zu machen. So viel Schminke gibt es kaum. Es ist auch zu teuer. Sterben ist furchtbar teuer in Amerika.«

«Nicht nur in Amerika«, sagte Rabinowitz.

«Nicht in Deutschland«, sagte ich.

«In Amerika ist es sehr teuer. Wir haben schon ein einfaches Beerdigungsinstitut ausgesucht. Trotzdem kostet es, aufs Billigste gebracht, einige hundert Dollar.«

«Wenn Möller die gehabt hätte, wäre er vielleicht noch am Leben«, erklärte Lipschütz.

«Vielleicht.«

Ich sah, daß die Reihe der Photographien von Betty gestört war. Möllers Bild hing nicht mehr unter den Lebenden. Es hatte noch keinen schwarzen Rahmen wie die Toten auf der anderen Seite, es war noch in seinem alten Goldrahmen, aber Betty hatte aus einem Stück schwarzen Tülls eine Schleife darum geknüpft. Möller sah lächelnd und fünfzehn Jahre jünger daraus hervor. Es war ein Jugendbild, und es war nichts dazu zu sagen, auch nicht zu der Schleife. Trotzdem war mir einen Augenblick, als könne man das nie verstehen.

Betty kam mit einem Tablett und Kaffeetassen und schenkte aus einer geblümten Kanne ein.»Da ist auch Zucker und Sahne«, sagte sie.

Alle tranken. Ich auch.»Die Trauerfeier ist morgen«, sagte sie.»Kommen Sie auch?«

«Wenn ich kann. Ich habe schon heute ein paar Stunden freineh men müssen.«

«Alle seine Bekannten müssen kommen«, erwiderte Betty, sofort wieder aufgeregt, schrill.»Morgen um halb eins. Es ist extra so gelegt worden, daß alle kommen können.«

«Ich komme auch, selbstverständlich. Wo ist es?«

Lipschütz nannte mir den Namen.»Ascher’s Funeral Home an der Vierzehnten Straße.«

«Wo wird er beerdigt?«fragte Rabinowitz.

«Er wird nicht beerdigt. Er wird verbrannt. Das Krematorium ist billiger.«

«Was?«

«Er wird verbrannt.«

«Verbrannt«, wiederholte ich mechanisch.

«Ja. Das Funeral Home erledigt das.«

Betty kam nach vorn.»Da liegt er nun, allein, unter wildfremden Menschen«, klagte sie.»Wenn er doch wenigstens bei uns aufgebahrt worden wäre, unter Freunden, bis zur Beerdigung. «Sie wandte sich an mich.»Was wollten Sie noch wissen? Wer das Geld für Sie vorgeschossen hat? Vriesländer.«

«Vriesländer?«

«Ja, wer sonst. Aber Sie kommen morgen bestimmt?«

«Bestimmt«, sagte ich. Es gab nichts anderes zu sagen.

Rabinowitz brachte mich zur Tür.»Wir müssen Betty hinhalten«, wisperte er.»Sie darf Möller nicht sehen. Nicht das, was von ihm ubriggeblieben ist. Da war doch eine Obduktion wegen des Selbstmordes. Betty hat keine Ahnung davon. Und Sie wissen ja, daß sie gewohnt ist, ihren Willen stürmisch durchzusetzen. Zum Glück hat sie den Kaffee gebracht. Lipschütz hat in ihre Tasse eine Schlaftablette gegeben. Sie hat nichts gemerkt, deshalb haben wir alle den Kaffee getrunken und gelobt. Betty kann Lob nicht widerstehen; sonst hätte sie nichts getrunken. Wir haben es mit Beruhigungspillen versucht. Sie will keine nehmen, sie glaubt, es wäre Betrug an Möller. Genau wie das mit dem gesdilossenen Fenster. Vielleicht können wir trotzdem noch eine Tablette in ihr Essen schmuggeln. Morgen früh ist die schlimmste Zeit, sie davon abzuhalten. Sie kommen auch?«

«Ja. Zum Funeral Home. Und Möller wird zum Krematorium gebracht?«

Rabinowitz nickte.»Wo ist es?«fragte ich.»Im Funeral Home?«»Das glaube ich nicht. Warum?«

«Was redet ihr denn da so lange?«fragte Betty vom Zimmer her.»Sie ist mißtrauisch«, flüsterte Rabinowitz.»Gute Nacht.«

«Gute Nacht.«

Er ging über den halbdunklen Flur, an dessen Wänden Photos vom Romanischen Cafe in Berlin hingen, zurück in das dumpfe Zimmer.

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