XXVII

Silvers reiste zwei Wochen später nach New York zurück. Es war eigentümlich: Hier, wo er geradezu hinzugehören schien, konnte er viel weniger verkaufen als in New York. Niemand gab hier viel auf Bilder als Statussymbol; Geld allein regierte hier durchaus nicht immer. Es war so selbstverständlich, es zu besitzen und gleichzeitig auch noch das, was man Ruhm nannte, daß eines ohne das andere fast nicht denkbar war. Man war berühmt und hatte dadurch Geld, in New York war man als Millionär nur in seinen eigenen Kreisen bekannt, und man mußte etwas Besonderes tun, um weiteren Kreisen bekannt zu werden. Und Silvers, mit seinen Tricks, besonders dem, daß er eigentlich nicht verkaufen wolle und selbst ein Sammler sei, erregte zum mindesten amüsierte Aufmerksamkeit unter den Haien, die in ihrem Wunsch, berühmte Sammler zu werden, ihm doch mehr glaubten, als sie zugeben wollten.

Er verkaufte schließlich mit Mühe den Gauguin an Weller, aber er brauchte dazu, zähneknirschend, meine Hilfe. Für Weller war ich viel wichtiger als er. Weller brauchte mich für seinen Film, Silvers brauchte er nicht. Silvers fuhr gekränkt nach New York zurück; seine Eitelkeit war noch größer als seine Geschäftsgier.»Bleiben Sie hier als eine Art Brückenkopf meiner Firma«, erklärte er.»Sie passen besser zu diesen lackierten Barbaren hier. «Er versuchte, meine Verkäufe, wenn ich welche machen sollte, auf mein Gehalt zu verrechnen. Ich lehnte das ab; ich könnte von Wellers Beraterhonorar leben. Erst am Tag der Abfahrt gab Silvers nach. Ich erhielt einen kleinen Prozentsatz dessen, was ich verkaufte, dafür kürzte er mein Gehalt auf die Hälfte.»Wie einen Sohn behandle ich Sie«, fauchte er.»Anderswo müßten Sie bezahlen für das, was Sie bei mir lernen! Ich bringe Sie auf die Universität des Handels! Alles, was Sie wollen, ist Geld, Geld, Geld! Welch eine Generation!«

Ich kam morgens zu Holt ins Studio. Meine Arbeit war ziemlich einfach. Ich hatte das, was der Verfasser des Drehbuches immer noch in ein etwas blumenhaftes Englisch der Gangster und Cowboys gekleidet hatte, in die primitive Bürokratie einer Mord maschine des 20. Jahrhunderts zu übertragen, nüchtern, ohne jede Spur von Bravado, Schizophrenie oder deformierter Phantasie. In eine Mordmaschine von kleinen Bürgern mit gutem Gewissen. Holts Argument war immer dasselbe:»Niemand glaubt uns das! Es ist psychologisch nicht fundiert!«

Er hatte die alte romantische Vorstellung von Mördern und Fol terknechten und suchte sie zu realisieren, um die Taten glaubhaft zu machen. Seine Romantik bestand darin, daß zu scheußlichen Taten auch entsprechend scheußliche Charaktere gehören müßten. Er war bereit zuzugeben, daß sie nicht fortgesetzt scheußlich zu sein brauchten, aber eine spontane Scheußlichkeit hatte immer wieder durchzubrechen, sonst würden die Figuren psychologisch unwahrscheinlich. Als alten Filmhasen reizte ihn der Gegensatz schon — er war bereit, einem Konzentrationslager-Kommandanten eine besondere Tierliebe zuzugestehen, am liebsten zu weißen Angorakaninchen, von denen er nie eines schlachten ließ —, das aber nur, um die Grausamkeit auf der anderen Seite in wirkungs vollen Kontrast zu bringen. Er fand das realistisch und wurde ärgerlich, wenn ich es romantisch nannte. Das wirkliche Grauen — der Kleinbürger, pflichtbewußt und schlau und mit gutem Gewissen bei der blutigen Arbeit, nicht anders als beim Holzsägen oder beim Fabrizieren von Kinderspielzeug —, das konnte ich ihm nicht begreiflich machen. Er streikte hier, es war ihm nicht attraktiv genug, und es entsprach außerdem nicht dem, was er in fünfzehn Schreckens- und Mörderfilmen gelernt hatte. Er wollte mir nicht glauben, daß dies ganz normale Leute waren, die eifrig Juden töteten, so wie sie auch als Buchhalter eifrig gewesen wären; die, wenn das einmal alles vorbei wäre, wieder Krankenpfleger, Gastwirte und Ministerialbeamte werden wür den, ohne eine Spur von Reue oder das Bewußtsein von Unrecht, und daß sie sich auch da wieder bemühen würden, gute Kranken pfleger und Gastwirte zu sein, so, als wäre das andere vorher nie dagewesen und völlig überdeckt worden von den Zauber worten Pflicht und Befehl. Es waren die ersten Automaten eines automatischen Zeitalters, die da auftraten und die Gesetze der Psychologie umwarfen, die immer noch etwas mit den Moralgesetzen verschwistert waren. Hier mordete man ohne Schuld, ohne schlechtes Gewissen, ohne Verantwortlichkeit, und die Mörder waren brave Staatsbürger, sie bekamen Extraschnaps, Extrawürste und Extra-Verdienstkreuze, nicht weil sie Mörder waren, sondern weil sie einen etwas anstrengenderen Beruf hatten als einfache Soldaten. Das einzig Humane, das sie hatten und das sie etwas liebenswürdig-menschlich machte, war, daß sie ihre kleinen Vorteile ohne den Schein der Drückebergerei bekamen — denn keiner von ihnen brauchte in den Krieg, und im Zeitalter der Bombardierungen, wo selbst Provinzstädte gefährlich wurden, waren die abgelegenen Konzentrationslager aus zwei Gründen absolut sicher: einmal, weil sie abgelegen waren, und zweitens, weil der Feind nicht Feinde des Regimes vernichten wollte und damit auch deren Mörder schonen mußte.

Die Antwort des gepeinigten Holt blieb immer dieselbe:»Niemand glaubt uns das, niemand! Wir müssen es menschlich machen! Auch das Unmenschliche muß menschlich begründet sein!«Ich versuchte eine Szene in das Manuskript zu bringen, um die Unmenschlichkeit ohne Menschlichkeit zu beweisen: die Sklaven lager der deutschen Industrie. Holt wußte nichts davon. Er hing an seinem alten Konzept, daß ein Mörder immer ein schlechter Mensch sei. Ich erklärte ihm wieder und wieder, daß die Ereignisse in Deutschland nicht von Menschen angestiftet und begangen würden, die vom Mond heruntergekommen seien und das Land vergewaltigt hätten, sondern von guten Deutschen, die sich ganz bestimmt auch für gute Deutsche hielten. Ich erklärte ihm, daß es lächerlich sei anzunehmen, alle Generäle Deutschlands seien so blind und hätten solchen Gedächtnisschwund, daß sie nichts von den Folterungen und Morden wüßten, die täglich begangen würden. Und ich erklärte ihm auch, daß die größten Industrie-Unternehmungen des Landes Verträge mit den Konzentrationslagern geschlossen hätten, um die Sklaven dort für billige Löhne, die an die KZ bezahlt wurden, so lange arbeiten zu lassen, bis sie arbeitsunfähig waren und dann durch die Schornsteine der Krematorien gejagt wurden.

Holt war blaß.»Das kann nicht wahr sein!«

«Es ist wahr. Zahlreiche Riesenunternehmen profitieren von den unglücklichen, geschundenen Sklaven. Sie haben sogar Zweig unternehmen ihrer Werke in die Nähe der Konzentrationslager gebaut, um selbst noch am Transport zu sparen. Recht ist, was dem deutschen Volk nützt.«

«Wir können das nicht bringen!«sagte Holt verzweifelt.»Keiner würde es glauben!«

«Obwohl Ihr Land Krieg mit Deutschland hat?«

«Trotzdem nicht. Psychologie ist international. Es würde als übelster, verlogenster Haßfilm der niedrigsten Sorte gewertet werden. 1914 war das noch möglich, mit den Filmen über deutsche Greueltaten an Frauen und Kindern in Belgien. Jetzt nicht mehr.«

«1914-war es nicht wahr, aber es wurde verfilmt. Jetzt ist es wahr, aber man kann es nicht verfilmen, weil es niemand glauben würde?«

«Genau das, Robert.«

Ich nickte und gab mich geschlagen.


Ich verkaufte in vier Wochen vier Zeichnungen und ein Ölbild von Degas. Das Ölbild, eine Repetition de Danse, nahm Weller. Silvers behauptete prompt, ich habe das Bild einem seiner Kun den verkauft und kürzte mir dafür die Provision.

Es gelang mir, noch ein Pastell von Renoir zu verkaufen. Holt nahm es mir ab und wurde es eine Woche später mit tausend Dollar Gewinn wieder los. Das machte ihm Mut. Er erwarb noch ein kleines Bild und verdiente wieder zweitausend Dollar daran.»Wie wäre es, wenn wir gemeinsam in den Bilderhandel gingen?«fragte er mich.

«Dazu brauchen wir viel Geld. Bilder sind teuer.«

«Fangen wir klein an. Ich habe Geld auf der Bank.«

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte kein besonderes Loyalitätsver hältnis zu Silvers, aber mir wurde klar, daß ich nicht in Kalifornien bleiben wollte. Das Dasein hier blieb, trotz aller Erschüt terungen, ein Dasein in einem merkwürdigen Vakuum. Ich hing hier irgendwo zwischen Japan und Europa in der Luft, und je sicherer ich wurde, daß ich nicht in Amerika bleiben konnte, um so mehr wollte ich nach New York zurück. Ich entdeckte in die sen Wochen sogar eine fiebrische Liebe zu New York, die wahr scheinlich daher kam, daß ich mehr und mehr erkannte, daß dies ein Intermezzo bleiben würde auf meinem Weg ins Ungewisse. Ich gab mir große Mühe, Geld zu verdienen, ich wußte, daß ich es brauchen würde, und ich wollte nicht daran scheitern, keines zu haben. Ich blieb deshalb länger, als der Film dauerte.

Es war eine Zeit, in der ich selbständig war. Ich hatte nichts zu tun als darauf zu warten, daß ein Fisch anbiß. In den letzten Wochen der Dreharbeiten hatte ich gespürt, daß Holt und Weller mich zwar für unwichtige Kleinigkeiten holten, daß sie mich aber sonst vom Manuskript fernhielten. Für sie war ich nicht mehr glaubwürdig, sie waren überzeugt, es besser zu wissen. Das Merkwürdige daran war, daß sie beide Juden waren und ich nicht, obschon das zum Schluß nichts mehr ausmachte. Mir glaub ten sie nur bis zu einem gewissen Grade — dann begannen sie zu zweifeln, weil sie mich für einen arisdien Überläufer hielten, der Rache nehmen und sich selbst rechtfertigen wollte und deshalb übertrieb und erfand.

«In New York schneit es«, schrieb Kahn.»Wann kommen Sie wieder? Ich habe Natascha getroffen. Sie konnte nur wenig von Ihnen erzählen und glaubt, Sie kämen nicht wieder nach New York. Sie war auf dem Wege ins Theater mit einem Mann, der einen Rolls Royce hat. Was macht Carmen? Ich höre nichts mehr von ihr.«

Ich saß am Swimming-pool, als ich diesen Brief erhielt. Die Erde mußte schon deshalb rund sein, weil sich der Horizont verschob. Vor Jahren war Deutschland meine Heimat gewesen, dann Österreich, dann Frankreich, dann Europa, dann Afrika — und immer war das Land erst dadurch zu meiner Heimat geworden, daß ich es verlassen hatte, nicht weil ich dort lebte. Es tauchte dann am Horizont als Heimat auf. Jetzt war es plötzlich New York, das am Horizont stand, und vielleicht würde Kalifornien am Horizont erscheinen, wenn ich wieder in New York wäre. Es war fast wie in dem Schubert-Lied vom Wanderer: Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.

Ich suchte Carmen auf. Sie wohnte noch in dem Bungalow, wo ich sie zuerst getroffen hatte. Nichts schien sich geändert zu haben.»Ich fahre in zwei Wochen nach New York zurück«, sagte ich.»Wollen Sie mitfahren?«

«Aber Robert! Mein Vertrag läuft noch fünf Wochen lang. Ich muß hierbleiben.«

«Hat man Sie inzwischen beschäftigt?«

«Ich habe Kleider probiert. Und ich soll im nächsten Film eine kleine Rolle bekommen.«

«Das heißt es immer. Glauben Sie, daß Sie eine Schauspielerin sind, Carmen?«

Sie lachte.»Natürlich nicht. Aber wer ist schon eine?«Sie mu sterte mich.»Sie haben sich herausgemacht, Robert.«

«Ich habe mir einen neuen Anzug gekauft.«

«Das ist es nicht. Sind Sie dünner geworden? Oder kommt es davon, daß Sie so braun sind?«

«Keine Ahnung. Wollen Sie mit mir essen gehen? Ich habe Geld und kann Sie zu Romanoff führen.«

«Gut«, sagte sie zu meiner Überraschung.

Die Filmschauspieler, die bei Romanoff saßen, interessierten sie nicht. Sie hatte sich auch nicht umgezogen. Es war Mittag. Sie trug enge weiße Hosen. Ich sah auf diese Weise zum ersten Male, daß sie auch einen herrlichen Hintern hatte. Es war fast zuviel: dieses tragische Gesicht, bei dem man sogar kurze Beine in Kauf genommen hätte, und dazu plötzlich dieser hohe, kostbare Arsch.»Haben Sie etwas von Kahn gehört?«fragte ich.

«Er telefoniert neuerdings ab und zu. Aber Sie haben von ihm gehört, wie? Sonst hätten Sie mich doch nicht besucht.«

«Nein«, log ich.»Ich habe Sie besucht, weil ich bald wegfahre.«»Warum? Finden Sie es hier nicht herrlich?«

«Nein.«

Sie studierte mich wie eine sehr junge Lady Macbeth.»Wegen Ihrer Freundin? Es gibt doch so viele Frauen. Besonders hier. Und eine Frau ist doch schließlich wie die andere.«

«Aber Carmen!«sagte ich.»Was für ein Unsinn!«

«Daß es Unsinn ist, glauben nur Männer.«

Ich sah sie an. Sie hatte sich etwas verändert.»Ist ein Mann auch wie der andere?«fragte ich.»Das dürften dann die Frauen wie der nicht glauben.«

«Männer sind verschieden. Zum Beispiel Kahn. Er ist eine Pest.«»Was?«

«Eine Pest«, sagte Carmen lächelnd und ruhig.»Erst will er, daß ich nach Hollywood fahre, und jetzt will er, daß ich zurückkom me. Ich gehe nicht. Hier ist es warm. In New York liegt Schnee.«»Ist das der ganze Grund?«

«Ist das nicht genug?«

«Gott segne Sie, Carmen. Wollen Sie nicht trotzdem mitkom men?«

Sic schüttelte den Kopf.»Kahn macht mich nur verrückt. Ich bin ein einfaches Mädchen, Robert. Ich bekomme Kopfschmerzen von seinem Gerede.«

«Er hat nicht immer nur geredet, Carmen. Er ist das, was man einen Helden nennt.«

«Davon kann man nicht existieren. Helden sollten sterben. Wenn sie überleben, werden sie die größten Langeweiler.«

«Was? Wer hat Ihnen das erzählt?«

«Muß mir das jemand erzählen? Sie halten mich auch für boden los dumm, wie? Genau wie Kahn?«

«Im Gegenteil! Kahn hält sie auch nicht für dumm. Er betet Sie an.«

«Er betet mich so an, daß ich Kopfschmerzen bekomme. Das ist noch langweiliger. Warum seid ihr alle nicht mehr natürlich?«

«Was?«

«Natürlich, wie andere Menschen. Zum Beispiel so wie meine Wirtin. Bei euch ist immer alles gleich schwierig.«

Der Kellner brachte Macedoine des fruits.»Genau wie das hier«, sagte Carmen.»Was für ein pompöser Name! Dabei ist es nur aufgeschnittenes Obst mit etwas Likör.«

Ich brachte sie zu den Hühnern, der rothaarigen Modellwirtin und ihrem Bungalow zurück.»Einen Wagen haben Sie auch schon«, sagte das tragische Dusen-Antlitz.»Sie machen sich raus, Robert.«

«Kahn hat jetzt auch einen Wagen«, log ich.»Einen besseren als ich. Tannenbaum hat es mir erzählt. Einen Chevrolet.«

«Einen Chevrolet mit Kopfschmerzen«, erwiderte Carmen und wandte mir ihren herrlichen Hintern zu.»Was macht Ihre Freundin, Robert?«fragte sie über die Schulter.

«Ich weiß es nicht. Ich habe seit einiger Zeit nichts von ihr gehört.«

«Schreiben Sie sich nicht ab und zu?«

«Wir haben beide permanenten Schreibkrampf in der rechten Hand; und wir können beide nicht Maschinenschreiben.«

Carmen lachte.»Wie es so geht, wie? Aus den Augen, aus dem Sinn! Das macht alles viel vernünftiger.«

«Ein weiseres Wort ist selten gesagt worden. Soll ich Kahn etwas bestellen?«

Sie dachte nach.»Wozu?«

Ein paar Hühner kamen flatternd vom Garten hergerannt. Car men wurde plötzlich lebendig.»Um Gottes willen, meine weißen Hosen! Frisch geplättet!«Sie scheuchte die Tiere mit Mühe da von.

«Husch, Patrick! Weg, Emilie! Da, schon ein Fledd«

«Es ist gut, wenn man das Unglück beim Namen kennt, wie?«fragte ich.»Das macht es gleich familiärer.«

Ich ging zu meinem Ford zurück und blieb plötzlich stehen. Was hatte ich da eben gesagt? Mir war eine Sekunde, als hätte mich von hinten jemand gestochen. Ich drehte mich um.»Nicht so schlimm«, hörte ich Carmen vom Garten her rufen.»Man kann es auswaschen!«

Ja, dachte ich. Aber kann man es auswaschen?

Ich verabschiedete mich von Scott.»Ich möchte zu meiner Rötel- zeichnung noch eine zweite haben«, sagte er.»Ich bin ein Mann der Sofas und der Pendants. Wer weiß, wann Sie wiederkom men! Haben Sie noch eine?«

«Eine Kohlezeichnung. Keine in Rötel. Sie ist sehr hübsch; auch ein Renoir.«

«Gut. Dann habe ich zwei Renoirs. Wer hätte das je geglaubt?«Ich nahm die Zeichnung aus dem Koffer und reichte sie ihm.»Ich gebe sie Ihnen am liebsten, Scott.«

«Warum? Ich verstehe doch nichts davon.«

«Sie haben Respekt, das ist fast noch besser. Leben Sie wohl, Scott! Mir ist, als kennten wir uns seit Jahren.«

Ich hatte sie oft erlebt, diese spontane Herzlichkeit, die meine europäische Vorsicht übersprang. Man nannte sich nach ein paar Stunden beim Vornamen und war damit auf eine vielleicht oberflächliche, doch herzliche Art befreundet. Freundschaft war in Amerika das leichteste und einfachste, das es gab — in Europa das langsamste und schwierigste. Der eine Kontinent war jung, der andere alt. Es könnte sein, daß es daran lag. Man sollte immer so leben, als ob man Abschied nähme, dachte ich.

Tannenbaum hatte eine andere kleine Rolle gefunden. Er war zufrieden und wollte meinen Ford kaufen. Ich erklärte ihm, daß ich ihn dem Studio zurückgeben müsse.

«Was spielen Sic im nächsten Film?«

«Einen englischen Koch, der auf einem Schiff dient, das von einem deutschen Unterseeboot torpediert wird.«

«Ertrinkt er?«fragte ich hoffnungsvoll.

«Nein. Er ist die komische Figur, die gerettet wird und dann für die Besatzung des deutschen Unterseebootes kocht.«

«Vergiftet er sie?«

«Nein. Er kocht für sie Plumpudding zu Weihnachten. Alle ver brüdern sich auf hoher See und singen englische und deutsche Volkslieder. Sie entdecken außerdem, daß die frühere deutsche und die englische Nationalhymne dieselbe Melodie haben. >Heil dir im Siegerkranz< und >God save the King<. Sie entdecken das unter einem kleinen Tannenbaum mit elektrischen Lichtern und

beschließen, nach diesem Krieg nicht mehr gegeneinander zu kämpfen. Sie finden zuviel Gemeinsames.«

«Man könnte schwarz für Sie in die Zukunft sehen. Aber viel leicht bietet Ihre Persönlichkeit inzwischen ein Gegengewicht.«

Ich stieg in den Zug mit seinen Negerportiers, seinen breiten, be quemen Betten aus Schaumgummi und seinen eingebauten Pri vattoiletten. Tannenbaum und der Zwilling winkten. Ich hatte zum erstenmal seit vielen Jahren alle meine Schulden bezahlt, Geld in der Tasche, eine um drei Monate verlängerte Aufent haltserlaubnis und die Aussicht auf eine drei Tage lange Reise durch Amerika an einem großen Fenster, fünfzig Schritte vom Speisewagen entfernt.

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