XX

«Ich gebe ein kleines Fest«, erklärte Silvers.»Sie sind auch ein geladen.«

«Danke«, sagte ich ohne Begeisterung.»Ich muß leider absagen. Ich habe keinen Smoking.«

«Sie brauchen keinen. Dies ist eine Sommerparty. Jeder kann kommen, wie er will.«

Ich sah keinen Ausweg.»Gut«, sagte ich.

«Könnten Sie nicht Mrs. Whymper mitbringen?«

«Haben Sie sie eingeladen?«

«Noch nicht. Aber sie ist ja eine Bekannte von Ihnen.«

Ich sah den verschlagenen Burschen an.»Ich glaube nicht, daß sie sich ohne weiteres mitbringen läßt. Außerdem ist sie ja schon viel länger eine Bekannte von Ihnen, wie Sie mir gesagt haben.«»Nun, ich meinte nur so. Es kommen sehr interessante Leute.«

Ich konnte mir die interessanten Leute gut vorstellen. Für den Teil der Menschheit, der vom Handel lebt, ist angewandte Psychologie sehr einfach. Der, an dem man Geld verdient, ist ein interessanter Mann, der Rest gliedert sich in nette und gleichgültige Leute. Der, an dem man Geld verliert, ist natürlich ein Schweinehund. Silvers befolgte diese Regeln fanatisch, er ging sogar noch weiter.

Die Rockefellers, Fords und Mellons, von denen Silvers mir so viel erzählt hatte, daß ich glauben mußte, sie wären seine besten Freunde und müßten deswegen unbedingt dabeisein, fehlten. Dafür waren andere Millionäre da — wahrscheinlich sogar solche aus der ersten Generation, nicht aus der zweiten oder gar dritten. Sie waren laut, herzlich und bewegten sich auf der faszinierenden Ebene zwischen großer Sicherheit im Geldverdienen und leichter Unsicherheit in der Kenntnis der Bilder, die sie gekauft hatten. Alle fühlten sich als Sammler, nicht als Leute, die einfach ein paar Bilder erworben hatten, um sie in ihre Häuser zu hängen. Es war Silvers’ großer Trick: Er machte sie zu Sammlern, er sorgte dafür, daß gelegentlich ein Museum eines ihrer Bilder für eine Ausstellung auslieh, das dann mit dem Vermerk >Aus der Sammlung von Mr. und Mrs. X< im Katalog aufgeführt wurde und so mit auf der heißbegehrten gesellschaftlichen Stufenleiter wieder einen Schritt weiter führte.

Ich sah mich plötzlich Mrs. Whymper gegenüber. Sie winkte mich zu sich.»Was machen wir unter diesen Haifischen hier?«fragte sie.»Haben Sie mich deshalb eingeladen? Schreckliche Leute! Wollen wir gehen?«

«Wohin?«

«Irgendwohin. Ins Morocco. Oder zu mir nach Hause.«

«Gerne«, sagte ich.»Aber ich kann hier nicht Weggehen. Ich bin hier halb im Dienst.«

«Halb! Und ich? Haben Sie nicht Verpflichtungen gegen mich? Sie müssen mich doch hier wegschaffen. Sie haben mich ja ein- laden lassen.«

Ich fand ihre Beweisführung nicht übel.»Sind Sie vielleicht Russin?«fragte ich.

«Nein. Warum?«

«Ich habe bei Russinnen diese prachtvolle Logik, falsche Prämissen und falsche Konklusionen zu einem unanfechtbaren richtigen Anspruch aufzubauen, häufig gefunden. Sehr reizvoll, sehr weiblich und sehr irritierend.«

Sie lachte plötzlich.»Kennen Sie so viele Russinnen?«

«Einige. Allerdings alles Weißrussinnen. Emigranten. Ich habe bemerkt, daß sie Genie darin haben, Männer immerfort ohne Grund falsch zu beschuldigen. Sie finden, es halte die Liebe wach.«

«Was Sie alles wissen!«sagte Mrs. Whymper mit einem langen, verhängten Blick.»Wann gehen wir? Ich habe keine Lust, den falschen Predigten dieses Rotkäppchens weiter zuzuhören.«»Wieso Rotkäppchen?«

«Ein Wolf im Schafskleid.«

«Das war nicht das Märchen von Rotkäppchen. Es ist ein Zitat aus der Bibel, Mrs. Whymper.«

«Danke, Professor, aber bei beiden kommt ein Wolf vor. Wird Ihnen nicht schlecht, wenn Sie diese Herde kleiner und großer Hyänen und Wölfe sehen, die mit ihren Renoirs in den Mäulern herumschleichen?«

«Noch nicht. Ich bin anders als Sie. Ich habe es gern, wenn je mand ernsthaft über etwas redet, von dem er nichts versteht. Es ist so erfrischend kindlich. Fachleute sind immer langweilig.«»Und Ihr Oberpapst, der mit Tränen in den Augen über seine Bilder gerade wie über seine Kinder redet und sie trotzdem gern und mit Profit verkauft, dieser Kinderhändler?«

Ich mußte lachen. Sie hatte einen guten Begriff vom Karussell gewonnen.»Was machen wir hier?«sagte sie.»Bringen Sie mich nach Hause.«

«Ich kann Sie nach Hause fahren, aber dann muß ich wieder hierher zurück.«

«Gut. «Ich hätte wissen sollen, daß sie ihren Chauffeur mit ihrem Wagen vor dem Haus stehen hatte, doch ich hatte es nicht angenommen. Sie sah mein Erstaunen.»Nun, bringen Sie mich schon nach Hause, ich beiße Sie nicht«, sagte sie.»Der Chauffeur kann Sie dann wieder zurückfahren. Ich hasse es, allein zu Hause anzukommen. Sie haben keine Ahnung, wie leer eine Wohnung sein kann.«

«Doch«, erwiderte ich.»Ich weiß es.«

Der Chauffeur hielt und öffnete die Tür. Sie stieg aus und war tete nicht auf mich. Sie ging mir voraus zu ihrer Haustür. Ich folgte ihr ärgerlich.»Es tut mir leid, daß ich wieder zurückfahren muß«, sagte ich.»Sie verstehen sicher, daß es nicht anders geht.«»Doch, es geht anders«, erwiderte sie.»Aber davon wiederum verstehen Sie nichts. Gute Nacht. John, fahren Sie Herrn.. wie war doch Ihr Name?«

Ich starrte sie an.»Martin«, sagte ich ohne Zögern.

Sie verzog keine Miene.»… Martin zurück.«

Ich überlegte einen Augenblick, ob ich das ablehnen sollte. Dann stieg ich ein.»Fahren Sie mich zum nächsten Taxi«, sagte ich zu dem Chauffeur.

Er fuhr an.»Halten Sie hier«, sagte ich zwei Straßen weiter.»Da ist ein Taxi.«

Der Chauffeur drehte sich um.»Warum wollen Sie aussteigen? Es macht mir gar nichts, Sie zurückzufahren.«

«Doch. Für uns schon.«

Er grinste.»Lieber Gott, haben Sie Sorgen!«

Er hielt. Ich gab ihm ein Trinkgeld. Er schüttelte den Kopf, aber er nahm es. Ich fuhr im Taxi zu Silvers zurück. Dann schüttelte auch ich den Kopf. Was für ein Idiot ich bin, dachte ich.»Bitte fahren Sie mich zur 57. Straße, Ecke Zweite Avenue«, sagte ich zum Taxichauffeur.»Nicht zur 62.«

«Wie Sie wollen, Chef. Schöne Nacht, wie?«

«Heiß.«

Ich hielt bei den Stern Brothers. Das Delikatessengeschäft war noch offen. Ein paar Homos wählten sich genießerisch kalten Aufsdmitt als Abendessen aus. Ich rief Natascha an. Sie erwar tete mich erst in zwei bis drei Stunden. Ich zog deshalb vor, sie anzurufen, bevor ich zu ihrer Wohnung ging. Der Tag war überraschend gewesen, und ich wollte weitere Überraschungen ver hüten.

Sie war zu Hause.»Wo bist du?«fragte sie.»Hast du Atempause bei den Sammlern?«

«Nicht bei den Sammlern und nicht bei Mrs. Whymper. Im La den der Brüder Stern, zwischen Krafft-Käse und Salami.«

«Bring ein halbes Pfund Salami und dunkles Brot.«

«Butter auch?«

«Butter haben wir. Aber Edamer können wir brauchen.«

Ich war plötzlich sehr glücklich. Drei Pudel tummelten sich im Laden, als ich aus dem Telefonkasten heraustrat. Ich erkannte Rene und seinen Herrn, den rothaarigen Jasper. Jasper begrüßte mich mit der schlenkrigen Leichtigkeit, die Tucken oft haben.»Wie geht’s, Fremdling? Lange nicht gesehen!«

Ich ließ mir die Salami, den Käse und einen Schokoladenkuchen in einer runden Aluminiumfolie geben.»Nun?«fragte Jasper.»Einkäufe für ein spätes Abendessen?«

Ich sah ihn schweigend an. Zu seinem Glück hat er nicht gefragt, ob es für ein Abendessen mit meiner Freundin sei, ich hätte ihm sonst den Schokoladenkuchen mit dem Aluminium wie eine Krone auf die roten Locken gesetzt.

Er fragte nicht. Er folgte mir aber auf die Straße.»Auch ein biß chen bummeln?«fragte er und fiel in meinen Schritt. Ich sah mich um. Die Zweite Avenue war sehr belebt. Es mußte die Stunde der Abendpromenade sein, die Straße wimmelte förmlich von Tucken, mit und ohne Pudel. Auch eine Anzahl von Zwergdachs hunden war dabei, von denen viele unter dem Arm getragen wurden. Die Atmosphäre war festlich. Man begrüßte sich, rief sich Witze zu, ließ die Hunde am Rande des Trottoirs ihre Be dürfnisse verrichten, beobachtete sich und warf sich Blidte zu. Ich merkte, daß ich Aufmerksamkeit erregte. Jasper schritt stolz winkend neben mir dahin, als hätte er mich bereits gekauft. Ich wurde diskutiert als seine neueste Eroberung. Mir wurde der Kragen eng. Ich drehte mich brüsk um.»Warum haben Sie es so eilig?«fragte Jasper.

«Ich gehen jeden Morgen in die Kirche kommunizieren und muß mich vorbereiten. Guten Tag!«

Jasper hatte einen Augenblick keine Worte. Dann schallte sein Lachen hinter mir her, ein Lachen, das mich schlagartig an Mrs. Whymper erinnerte. Ich blieb am Zeitungskiosk stehen und kaufte das Journal und die News.»Der Auftrieb ist heute abend nicht schlecht, w’e?«fragte Nick und spudcte aus.

«Ist das immer so?«

«Jeden Abend. Die rosa Promenade. Wenn das so weitergeht, gibt es in Amerika Geburtenrückgang.«

Ich fuhr zu Nataschas Wohnung hinauf. In unserem Verhältnis hatte sich etwas geändert, seit sie dort wohnte. Früher hatten wir uns gelegentlich getroffen, jetzt war ich jeden Abend bei ihr.

«Ich muß ein Bad nehmen«, sagte ich.»Ich bete dich an, aber ich muß ein Bad nehmen. Ich komme mir ziemlich beschmiert vor.«

«Immer los! Man soll Leute nie vom Baden abhalten! Willst du auch Badeöl haben? Nelken von Mary Chess?«

«Lieber nicht. «Ich dachte an Jasper und was geschehen würde, wenn ich ihm im Aufzug begegnete und nach Nelken röche.

«Wie kommt es, daß du so früh wieder hier bist?«

«Ich habe Mrs. Whymper nach Hause gebracht. Silvers hatte sie eingeladen, ohne daß ich etwas davon wußte.«

«Und sie hat dich so rasch wieder laufen lassen? Bravo!«

Ich richtete mich in dem heißen Wasser halb auf.»Sie wollte mich nicht laufen lassen. Woher weißt du, daß das nicht einfach ist?«Sie lachte.»Jeder weiß das.«

«Wer ist jeder?«

«Jeder, der sie kennt. Sie fühlt sich einsam, interessiert sich nicht für Männer ihres Alters, trinkt gerne Martinis und ist harmlos. Armer Robert! Hast du dich gefürchtet?«

Ich ergriff sie an ihrem bunten Batikkleid, um sie in die Bade wanne zu ziehen. Sie schrie auf.»Laß mich los! Das ist ein Mo dellkleid, es gehört mir nicht!«

Ich ließ sie los.»Was gehört uns eigentlich? Die Wohnung nicht, die Kleider nicht, der Schmuck nicht…«

«Wunderbar, wie? Überhaupt keine Verantwortung! War es nicht das, was du wolltest?«

«Ich habe heute einen schlechten Tag«, sagte ich.»Llab’ Erbar men.«

Sie stand auf.»Und du willst mir Vorwürfe wegen Elisa Whym per machen. Du mit deinem berühmten Pakt.«

«Was für einem Pakt?«

«Daß wir uns nicht weh tun wollen. Daß wir zusammen sind, um uns gegenseitig zu helfen, von alten Geschichten loszukommen! Gott, wie du das alles erklärt hast! Zitternd wie Schafe nach einem Gewitter sind wir in eine moderierte Liebe geflohen, um die Wunden zu heilen, die andere uns geschlagen haben!«

Sie tanzte im Badezimmer umher. Ich sah sie überrascht an. Wo her hatte sie nur auf einmal all diese halb vergessenen, blödsin nigen Gespräche, mit denen etwas Emotionelles beginnt? Ich war überzeugt, daß ich das nicht so gesagt hatte, so dumm konnte ich nicht gewesen sein. Es war eher ihre eigene Reaktion — und

wahrscheinlich der Grund, weshalb sie mit mir angefajngen hatte. Ich begann sehr schnell zu denken: Ich wußte, daß es teilweise stimmte; auch wenn ich es nicht zugeben wollte. Was mich über raschte, war nur, daß sie es so genau wußte.

«Gib mir noch einen Wodka«, sagte ich vorsichtig und beschloß, zum Angriff überzugehen. Es war, wenn man ein schlechtes Ge wissen hatte, das einfachste.

«Was wir uns so vorgeschwindelt haben, wie?«fragte sie.

«Tut das nicht jeder?«sagte ich, glücklich, einen Ausweg zu sehen.

«Das weiß ich nicht. Ich vergesse es immer wieder.«

«Immer wieder? Passiert es so oft?«

«Auch das weiß ich nicht mehr. Man ist doch keine Rechenma schine. Du vielleicht, ich nicht.«

«Ich liege in der Badewanne, Natascha. Das ist eine unglückliche Position. Laß uns Frieden schließen.«

«Frieden«, erwiderte sie spöttisch.»Wer will schon Frieden?«

Ich griff nach einem Badetuch und stand auf. Hätte ich gewußt, was mir passieren würde, hätte ich die Badewanne gemieden wie die Cholera. Natascha hatte, sich in eine gefährliche Mischung von Scherz und Ernst hineingesteigert, ich merkte das an ihren Augen, ihren raschen Bewegungen und ihrer mit einemmal helle ren Stimme. Ich mußte aufpassen. Vor allem, weil sie recht hatte. Ich hatte gedacht, in der Offensive zu sein mit Mrs. Whymper, und nun spürte ich plötzlich, daß sich alles gedreht hatte.

«Das ist ein herrliches Kleid«, sagte ich.»Und ich wollte dich da mit in die Badewanne werfen!«

«Warum hast du es nicht getan?«

«Das Wasser war zu heiß und die Wanne zu eng.«

«Warum ziehst du dich wieder an?«fragte Natascha.

«Es ist mir hier zu kalt.«

«Wir können die Luftzufuhr abstellen.«

«Es geht schon. Sonst wird es dir zu heiß.«

Sie sah mich argwöhnisch an.»Willst du ausreißen, du Feigling?«fragte sie.

«Wozu? Ich werde doch Salami und Edamer nicht im Stich las sen.«

Sie wurde überraschend wütend.»Geh zum Teufel!«schrie sie.»Verschwinde in deinem verdammten Hotelloch! Dahin gehörst du!«

Sie bebte vor Zorn. Ich hob eine Hand, um Aschenbecher abzu fangen, wenn sie werfen sollte. Ich war sicher, daß sie erstklassig treffen würde. Sie sah großartig aus. Wut verzerrte sie nicht, sie machte sie noch schöner. Sie bebte nicht nur vor Zorn, sie bebte vor Leben. Ich wollte sie nehmen, aber etwas in mir warnte: Tu es nicht! Ich hatte einen lichten Augenblick, in dem ich sah, daß es nichts genützt hätte. Die Probleme wären nur verschoben, aber nicht gelöst worden, und ich hätte ein wichtiges emotionelles Ar gument für später verloren. Die Flucht war das Vernünftigste. Dies war mein letzter günstiger Moment.»Wie du willst«, sagte ich, ging rasch auf die Tür zu und verschwand.

Ich mußte auf den Lift warten und horchte. Ich hörte nichts. Viel leicht erwartete sie, ich käme zurüdt.

Bei den Lowy Brothers bestrahlte das Schaufensterlicht franzö sische Messingleuchter mit weißen Prozellanblumen aus dem frü hen 19. Jahrhundert. Ich blieb hier abermals stehen und betrach tete die Auslagen. Ich wanderte weiter an trostlos hellen, leeren >Hamburger-Buden< vorbei, in denen man an einer langen Bar gebratenes Gehacktes oder Würstchen mit Coca-Cola oder Oran gensaft serviert bekam, etwas, an das ich mich bisher noch nicht gewöhnen konnte.

Zum Glück war Melikow an diesem Abend Nachtportier.»Ca- fard?«fragte er.

Ich nickte.»Sieht man mir das an?«

«Auf eine Meile. Willst du etwas trinken?«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich bin noch im ersten Stadium, da macht Alkohol es nur noch schlimmer.«

«Was ist das erste Stadium?«

«Daß man glaubt, sich schlecht, humorlos und dumm benommen zu haben.«

«Ich dachte, du wärst darüber hinaus.«

«Anscheinend nicht.«

«Wann kommt das zweite Stadium?«

«Wenn ich annehme, daß alles für mich zu Ende ist. Durch meine Schuld.«

«Wie wäre es wenigstens mit einem Glas Bier? Setz dich in den Plüschsessel und fechte es aus.«

«Gut.«

Ich versank in exzessive Träumerei, während Melikow Mineral wasserflaschen und später auch Whiskys im Hotel herumschlepp te.»Guten Abend«, sagte eine Stimme hinter mir.

Lachmann! Ich wollte auf stehen und flüchten.»Du hast mir ge rade noch gefehlt«, sagte ich.

Er drückte mich beschwörend in meinen Sessel zurück.»Ich will dir nichts vorjammern«, flüsterte er.»Mein Unglück ist zu Ende. Ich will jubeln!«

«Hast du sie erwischt, du Leichenfledderer?«

«Wen?«

Ich hob den Kopf.»Wen? Das ganze Hotel hast du mit deinen Liebesklagen erschüttert, daß die Lampen gezittert haben, und jetzt hast du die Dreistigkeit zu fragen: Wen?«

«Ich habe es hinter mir«, erklärte Lachmann.»Ich vergesse schnell.«

Ich sah ihn interessiert an.»So, du vergißt schnell? Hast du des halb monatelang gejammert?«

«Natürlich! Man vergißt nur schnell, wenn man alles heraus räumt.«

«Wie ein Kanalräumer?«

«Es kommt auf die Bezeichnung nicht an. Ich habe nichts erreicht. Man hat mich betrogen, der Mexikaner und die Donna von Puerto Rico.«

«Niemand hat dich betrogen. Du hast nur nicht erreicht, was du erreichen wolltest. Das ist ein Unterschied.«

«Nach zehn Uhr abends mache ich solche Unterschiede nicht mehr.«

«Du bist sehr munter«, sagte ich mit etwas Neid.»Bei dir scheint es wirklich schnell zu gehen.«

«Ich habe ein Juwel entdeckt«, wisperte Lachmann.»Ich will noch nicht darüber reden. Ein Juwel ohne Mexikaner.«

Melikow winkte von der Theke her.»Telefon, Robert.«

«Wer?«

«Natascha.«

Ich hob den Hörer ab.»Wo bist du?«fragte Natascha.

«Auf Silvers’ Party.«

«Unsinn! Du trinkst mit Melikow Wodka!«

«Ich liege vor einem Plüschsessel auf den Knien, bete dich an und verfluche mein Schicksal. Ich bin zerschmettert.«

Sie lachte.»Komm zurück, Robert.«

«Mit Waffen?«

«Ohne Waffen, du Dummkopf! Du darfst mich nicht allein las sen, das ist alles.«

Ich trat auf die Straße. Sie lag schimmernd im späten Nachtlicht da, sehr friedlich, der Gegensatz zu allen Taifunen, und war voll von Wind, von Träumen und stiller Atemlosigkeit. Sie war mir nie schön vorgekommen, jetzt war sie es beinahe.

«Ich bleibe heute nacht hier«, sagte ich zu Natascha.»Ich gehe nicht ins Hotel zurück. Ich will neben dir schlafen und mit dir zusammen aufwachen. Ich werde Brot und Milch und Eier von den Stern Brothers holen. Es wird das erstemal sein, daß wir zu sammen aufwachen. Ich glaube, unsere Mißverständnisse kom men nur davon, daß wir nicht genug beisammen sind. Wir müs sen uns erst wieder aneinander gewöhnen.«

Sie streckte sich.»Ich habe immer geglaubt, das Leben sei zu lang, um fortwährend beisammen zu sein.«

Ich mußte lachen.»Da ist sicher etwas dran«, sagte ich.»Ich bin nie in die Verlegenheit gekommen, das auszuprobieren. Das Da sein, wie ich es kenne, sorgte stets dafür, daß es zu kurz war.«

«Ich habe ein Gefühl, als seien wir in einem Luftballon«, sagte ich.»Nicht in einem Flugzeug, sondern in einem stillen Luftballon, einer Montgolfiere des frühen 19. Jahrhunderts, gerade hoch ge nug, um nichts mehr zu hören, aber alles noch zu sehen, die Stra ßen, die Spielautos und die Lichtschnüre der Stadt. Gesegnet der unbekannte Wohltäter, der dieses breite Bett hier heraufschaffen ließ, dieses Bett und gegenüber an der Wand den Spiegel, in dem du dich magisch verdoppelst, wenn du durch das Zimmer gehst — ein Zwillingspaar, von dem die eine Hälfte stumm ist.«

«Die stumme ist bequemer, wie?«

«Nein.«

Sie warf sich herum.»Das war die richtige Antwort.«

«Du bist sehr schön«, sagte ich.»Gewöhnlich schaue ich einer Frau immer erst auf die Beine, dann auf den Hintern und zum Schluß ins Gesicht. Bei dir ist es mir umgekehrt ergangen. Bei dir war es erst das Gesicht, dann die Beine, und erst, als ich schon verliebt war, begann ich über den Hintern nachzudenken. Du warst schlank, und es konnte sein, daß du ein abgehungertes, knochiges Mannequin warst mit einem flachen Sattelarsch. Ich war besorgt.«

«Wann hast du gemerkt, daß es nicht so war?«

«Nicht zu spät. Es gibt einfache Mittel, das herauszufinden. Das Sonderbare war, daß es so lange dauerte, bis es mich interessier te.«

«Erzähl mir mehr.«

Sie lag sdmurrend wie eine große Katze faul auf der Decke und lackierte sich mit einem kleinen Pinsel die Zehennägel.»Du kannst mich jetzt nicht vergewaltigen«, sagte sie.»Dieser Firnis muß erst trodenen, sonst bleiben wir überall kleben. Sprich wei ter.«

«Ich habe immer angenommen, ich flöge auf sonnenverbrannte Frauen«, sagte ich.»Wesen, die im Sommer tagelang im Wasser planschen und in der Sonne liegen. Du bist die erste, die so weiß ist, als käme sie nie an die Sonne. Du hast viel vom Mond, auch in den durchsichtigen, grauen Augen, abgesehen natürlich von deinem zornigen Temperament. Du bist eine Nymphe, und ich habe mich selten so geirrt wie in dir. Raketen steigen auf, wo du bist, Feuerwerk und Kanonenschläge, und das Merkwürdige ist, sie sind lautlos.«

«Erzähle mir mehr. Willst du etwas trinken?«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich bin oft in meinem Leben ein bißchen seitab von meinen Emotionen gestanden. Ich nahm sie nicht en face, sondern von der Seite. Sie trafen mich nicht voll. Sie glitten von mir ab. Ich wußte nicht, warum. Vielleicht war es Angst, vielleicht ein Komplex. Bei dir ist das anders. Ich habe gar keine Bedenken bei dir. Alles ist offen wie der Wind. Es ist schön, dich zu lieben, und es ist ebenso schön, mit dir nach der Liebe zusam menzusein, so wie jetzt. Mit vielen Frauen kann man das nicht; man will es auch nicht. Bei dir weiß man nie, was schöner ist. Wenn man dich liebt, denkt man, es gäbe nichts Volleres, und wenn man dann nachher mit dir ganz entspannt auf dem Bett liegt, glaubt man, man liebe dich noch mehr.«

«Meine Nägel sind schon fast trocken«, sagte Natascha.»Erzähl mir mehr.«

Ich sah in das halbdunkle Wohnzimmer.»Es ist schön, mit dir zusammenzusein und zu glauben, daß man unsterblich ist«, sagte ich.»Man glaubt es einen Augenblick so stark, als könne es Wirk lichkeit werden, und deshalb schreien wir uns Worte zu, um es noch tiefer zu spüren, näher heranzurüdten; primitive, gemeine, vulgäre Worte, um uns noch intensiver ineinander zu bohren, um auch die millimeterschmale Distanz, die uns noch trennt, zu über winden, Worte, wie sie Lastwagenchauffeure haben oder Schlächter, Worte wie Peitschen, nur um näher, tiefer ineinander zu kommen.«

Natascha streckte einen Fuß aus und betrachtete ihn. Dann lehn te sie sich zurüdt.»Liebling, mit einer frisierten Schnauze kann man nicht lieben.«

Ich lachte.»Wer weiß das besser als wir Romantiker! Ach, über das Federwolkengeschiebe schwindelhafter Worte! Nicht mit dir. Mit dir braucht man nicht zu lügen.«

«Du lügst schon ganz schön«, sagte Natascha schläfrig.»Du reißt nicht aus, heute nacht?«

«Nur mit dir zusammen.«

«Gut.«

Sie war ein paar Minuten später eingeschlafen. Sie konnte das. Ich deckte sie zu. Ich lag noch lange wach und horchte auf Na- taschas Atem und dachte über viele Dinge nach.

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