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Die unterschiedlich breiten Bodendielen, die glatt waren wie polierte Knochen, schimmerten sogar im Dunkeln. Chris versuchte zu schlafen. Die Zettel, die Mignon unentwegt unter der Tür durchschob, trugen dazu bei, daß sie nicht zur Ruhe kam. Die Erinnerung an den Glanz, den Vics Körper ausstrahlte, erledigte den Rest.

Anders als Vic wußte Chris, daß sie für die Sexualität von Frauen empfänglich war. Ihr war sogar schon in den Sinn gekommen, daß sie lesbisch sein könnte, ein Gedanke, den sie unbarmherzig in den hintersten Winkel ihres Gehirns verbannte. Eine Frau zu lieben konnte sie nicht schrecken, wohl aber die Reaktion der Leute.

Sie hatte ältere Frauen gesehen, von denen sie vermutete, daß sie lesbisch waren. Sie kamen ihr nicht gerade glücklich vor, aber wenn sie es recht bedachte, wie viele glückliche ältere Menschen kannte sie denn? Niemand, ob hetero oder homo, läßt sich gern beiseite schieben. Kein Wunder, daß Edward Wallace die Kontrolle fest in der Hand behielt. Geld verlieh ihm Bedeutung, ließ ihn am Ball bleiben, hielt ihn jung.

Chris, die erst zwanzig war, hatte keine Vorstellung davon, was die Jahre anrichten konnten. Sie schrieb jede Falte, jedes Stirnrunzeln im Gesicht eines homosexuellen Menschen dem Umstand zu, daß er oder sie homosexuell war. Sicher, Schwule und Lesben, die von den einen verachtet, von den anderen gehaßt, von wenigen toleriert wurden, erwarteten keine Gerechtigkeit vom Leben. Schmerz ist Schmerz.

Chris vermutete, es sei ein Vorteil des Homosexuellseins, auf Anhieb zu wissen, woher der Schmerz kam und wer ihn zufügte. Schmerz beschlich heterosexuelle Menschen allzu oft. Er war schuld an ihren verstörten Mienen, wenn sie Ende dreißig waren, an dem hektischen Streben nach beruflichem Erfolg, an der Suche nach dem Quell der Jugend, nach geistiger Erfüllung. Aber mit zwanzig konnte Chris nur sehen, daß ihre Möglichkeiten nach außen hin streng begrenzt sein würden, wenn sie auf ihr Herz und ihren Körper hörte. Sie wußte, sie konnte ihren Körper zu allem zwingen, was sie ihm befahl. Ihr Herz, das stand jedoch auf einem anderen Blatt.

Auch hatte sie keine Vorstellung vom Nutzen der Selbsterkenntnis und der Kenntnis der Gesellschaft, die ein homosexueller Mensch erwirbt.

Sie las Mignons letzten Zettel.»Findest du Hojos Fingernägel mit den Sternchen drauf nicht cool? Falls du sie gesehen hast.«

Chris schrieb zurück:»Schwer zu übersehen. Mit den Nägeln könnte Hojo glatt als echter Protz-Mandarin durchgehen. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihr Essen beim Pizza-Dienst bestellt statt zu riskieren, daß beim Kochen ihre Nägel abbrechen.«

Sie hörte Mignon auf der anderen Seite der Tür kichern. Sie hatte zwei ältere Brüder, und sie mochte Mignon, mochte die Vorstellung, eine Schwester zu haben. Schwestern hingen oft sehr aneinander. Wie R. J. und Bunny. Aber dann gab es auch Schwestern wie Sissy und Georgia. Die Energie zwischen Schwestern war so ganz anders als die, die sie bei ihren Brüdern spürte — die sie aufrichtig liebte. Dies zu definieren machte sie konfus. Sie konnte es nicht in Worte fassen, konnte es nur fühlen. Sie fragte sich, ob andere Frauen auch merkten, daß weibliche Energie anders war als männliche. Und was fühlten Männer? Sagten sie ihr die Wahrheit, oder suchten sie sie zu beschützen? Nun ja, es war vielleicht nicht schlecht, beschützt zu werden.

Ein frisches Blatt Papier wurde raschelnd unter der Tür durchgeschoben. Sie und Mignon hatten das erste Blatt bereits voll geschrieben.

Auf diesem stand:»Die Leute sagen, Vic ist die schönste Frau, die sie je gesehen haben. Mom auch. Ich komm mir vor wie ein Esel neben zwei Vollblutpferden. Gib mir einen Rat. Aus dem richtigen Leben.«

Chris legte ein Buch als Unterlage auf ihre Knie. Ein leichter Wind wehte durch das offene Fenster herein. Sie schrieb in ihrer großen, adretten, nach rechts geneigten Handschrift:»Mignon, Schönheit entfaltet sich im Auge des Betrachters. Zunächst. Und du bist im Fohlenstadium. Jetzt siehst du noch nicht so gut aus. Du wirst später viel besser aussehen, wenn du auf dich achtest. Kümmere dich mehr um das, was innen ist als um das, was außen ist. So weit mein Rat. «Sie unterschrieb mit» Die Nicht-Autorität«.

Eine lange Pause folgte, während der Mignon die Antwort verdaute. Schließlich kam die Fortsetzung mit einer Zeichnung von einem Schwein.»Willst du mir sagen, daß ich abnehmen muß?«

Chris schrieb:»Ja. Wenn du klagst und stöhnst, daß Vic und deine Mutter so schön sind, willst du dann neben ihnen weniger vollkommen sein, als du sein könntest? Nun eine Frage an dich: Wie ist Charly?«

Eine Sternschnuppe spannte einen Bogen über den James und zog einen blitzenden Schweif hinter sich her, silbern wie eine Forelle. Chris nahm das als gutes Omen.

Mignons Antwort kam zurück:»Charly ist scharf. Ich wollte, ich hätte einen Freund wie ihn. Klug ist er auch.«

Chris fühlte einen eifersüchtigen Stich, aber sie verdrängte es.»Mignon«, schrieb sie,»du wirst den Freund haben, der für dich der Richtige ist. Wenn du allerdings abnimmst, wer weiß, ob du Charly deiner Schwester nicht ausspannen kannst (ist bloß Spaß)?«

Die Briefchen gingen hin und her, bis Chris abschließend schrieb:»Bin müde. Bis morgen. Träum süß.«

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