30

Scharlachrot überflutete die aufgehende Wintersonne das Footballstadion.

Vic hatte die schlafende Chris geküßt und ihr einen Zettel auf den Küchentisch gelegt. Sie mußte Energie verbrennen; sie mußte nachdenken. Die Stadionstufen rauf und runter zu laufen würde ihr gut tun.

Sie war schon zehnmal hinauf- und zurückgetrabt und wollte es noch weitere zwanzig Male tun, als ein Mann in dunkelgrüner Jogginghose auf der Bahn erschien und ihr mit der ihm eigenen Anmut entgegenlief.

Wortlos paßte er sich ihrem Tritt an, und die letzten zwei Absätze der Stadiontreppe liefen sie zusammen. Gerade als sie fertig waren, verwandelte sich der Frost in glitzernden Tau.

Sie umrundeten die Bahn im Gehen, um sich abzukühlen.

«Hast du's dir anders überlegt?«

«Ich dachte, die Sache ist geritzt.«

«Vic, du kannst hier glatt rausfliegen.«

«Ich kriege einen Klaps auf die Hand und muß tausendmal an die Tafel schreiben,>ich werde die heilige Muttergottes nicht an- oder ausziehen.<«

«Nach der Alpha-Tau-Schande wird's wohl mehr als ein Klaps auf die Hand.«

«Charly, mach dir um mich keine Sorgen. Wenn ich morgen hier rausfliege, werd ich's überleben.«

«Schon, aber schau, was ist schon ein einziges Semester?«

«Ich kann das später nachholen, anderswo, ein andermal. Das haben wir doch gestern Abend alles besprochen.«

«Ja, am Telefon. Ich will es Auge in Auge, Baby. «Er gab ihr einen Klaps aufs Hinterteil.»Ich dachte, ich kann's dir — vielleicht ausreden. Es macht mir nichts aus, meine Strafe auf mich zu nehmen.«

«Das ist vollkommen sinnlos.«

«Und wenn ich zu Dekan Hansen gehe und gestehe? Dann kriegen wir beide den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern. Wir fliegen zusammen.«»Nein.«

«Oder ich könnte da reinmarschieren und sagen, du hast mir den Rücken gedeckt.«

«Vergiß es. Keiner will dich aus dem College raushaben, auch Dekan Hansen nicht. Was glaubst du, weswegen der Trainer sich die ganze Mühe gemacht hat? Hör doch auf. Wenn du dann in die Profimannschaft gew.«

«Ich wäre die letzte Wahl. Wir sind hier keine Spitzenmannschaft.«

«Aber du bist Spitze.«

«Danke. «Pause.»Ich werde als Börsenmakler enden. Keiner wird mich wählen.«

«Du kannst Jura studieren.«

«Es gibt zu viele Anwälte auf der Welt. «Er lachte.»Eigentlich bin ich ganz scharf drauf, den Aktienmarkt zu studieren.«

Sie nahm seine Hand.»Schließ nichts aus. Von hier bis zum Examen ist ein weiter Weg. Und sie werden dich wählen. Es sind Beobachter gekommen, um dich spielen zu sehn. Du weißt, daß der Trainer Anrufe gekriegt hat. Wart's nur ab. Du mußt nicht alles annehmen, was dir angeboten wird, aber wäre es nicht lustig, es zu wissen? Nur so zum Spaß?«

Er zog ihre Hand an seine Lippen, küßte die kühle Haut.»Und wenn ich ja sagte und würde von, hm, den Green Bay Packers gewählt? Möchtest du in der eisigen Tundra in Milwaukee leben?«

Sie schluckte schwer.»Es geht nicht darum, was ich möchte, es geht um Chancen, die sich nur wenigen bieten. Die Börse läuft dir nicht weg. Du kannst den Aktienmarkt studieren — vielleicht sogar außerhalb der Saison bei einer Maklerfirma arbeiten. Du kannst mit Football einen Haufen verdienen, einen Haufen Geld zum Investieren.«

«Ich verdiene Geld, ganz gleich, was ich mache. «Er grinste, strahlte Selbstvertrauen aus.

«Das hab ich noch nie von dir gehört.«

«Geld ist das Letzte, worüber man reden soll.«

«Hm. wenn man genug hat, ist es wohl nicht so ein heikles Thema. Ich glaube, Mom hat nur deswegen mit mir darüber gesprochen, weil sie von der ganzen Geschichte noch ziemlich mitgenommen war.«

«So hab ich das nicht gemeint, Schatz.«

«Ich weiß. Ich denke laut vor mich hin. Sollte ich wohl lieber lassen. Ich rede mehr über Geld, als ich sollte. Es geht mir halt dauernd durch den Kopf.«

«Du wirst nie arbeiten müssen, wirst nie Geldsorgen haben. Das verspreche ich dir.«

«Charly, ich will aber arbeiten.«

«Klar doch. Ich weiß, daß du nicht bloß rumsitzen kannst, aber du wirst dir niemals Sorgen machen müssen. Ich kümmere mich um alles. «Er nahm sie in seine Arme.

Darauf drückte sie ihn an sich, legte die Arme um seine Taille. Wie sollte sie ihn jemals gehen lassen? Konnten sie nicht zusammenbleiben und bloß die Heirat vergessen? Sie fragte sich, ob es egoistisch von ihr war, sich körperlich mit beiden vergnügen zu wollen, oder ob es schlicht und einfach menschlich war. Liebe ist Liebe, sexuelle Lust ist sexuelle Lust, sagte sie sich. Tot bist du noch lange genug, drum genieße beides in vollen Zügen, solange du kannst.

«Wenn ich gestehen und mit dir rausgeschmissen würde, könnten wir auf der Stelle heiraten. «Seine Augen blitzten.

Vic überlegte rasch und antwortete:»Und deine Eltern würden mich hassen. Ich hätte sie viel lieber auf meiner Seite als gegen mich. Warum alles noch schwerer machen, als es ist?«

«Sie würden drüber wegkommen. «Aber er wußte, daß sie Recht hatte.

«Nie im Leben. Ich müßte ihnen vier der vollkommensten blonden Kinder der Welt präsentieren, ehe sie mir verzeihen würden.«

«Blond?«

«Genau. Und sie müßten Namen wie Nigel und Clarissa haben. «Vic brach in Lachen aus — sie konnte es sich nicht verkneifen. Sie hatte nichts gegen Charlys Eltern, aber sie waren manchmal schrecklich konservativ, typische Amerikaner der weißen Oberschicht. Zwar gehörte auch sie dieser Schicht an, aber für die Savedges hatte das keine so große Bedeutung.

Charly lachte auch.»Dad würde es noch besser gefallen als Mom. «Er hielt inne, nahm Vics Hand und küßte sie.»Vic, laß uns wieder zu dir gehen.«

Sie wollte mit ihm schlafen. Wenngleich sie wußte, daß es ein Abschied von diesem Teil von ihnen sein würde, wollte sie ihn noch ein einziges Mal glücklich machen.

Vic fuhr zu Jinx' Apartment; sie wußte, daß Jinx in der Vorlesung war. Charly stellte keine Fragen. Vic sagte, es würde aufregend werden, weil es mehr oder weniger verboten sei.

Sie zog ihm das Sweatshirt aus und dann das T-Shirt, das er darunter trug. Sie fuhr mit der Zunge vom Bund seiner Trainingshose hinauf zu seinen Brustmuskeln, seinem Adamsapfel, seinen Lippen.

Sie legte die Hände um seinen straffen Hintern, fühlte die Muskeln, fühlte, wie sein Penis blitzschnell ganz steif wurde. Sie küßte ihn immerzu, während sie mit der linken Hand herumglitt und sie auf sein Suspensorium legte, ihn mit der Hitze ihrer Hand verrückt machte. Dann zog sie ihm Jogginghose und Suspensorium mit einem einzigen Ruck herunter. Sie fühlte die glatte Haut seines Penis, die Hitze, die Spitze. Er küßte sie auf die Stirn, die Nase, den Mund.

Sie warfen sich auf Jinx' ungemachtes Bett, vereinten sich binnen Sekunden, kamen binnen Minuten.

Charly, über ihr, stützte sich auf die Ellbogen, atmete schwer. Sein Penis erschlaffte für einen Moment und wurde wieder steif.

«Können Männer einen Mehrfachorgasmus haben?«, flüsterte er, begeistert von der Möglichkeit.

«Warum nicht?«Sie schob sich unter ihn. Dieses Mal dauerte es länger, war aber nicht weniger vergnüglich.

Danach rollte er sich auf die Seite.

«Für meine erste Million schreibe ich ein Buch über mehrfachorgiastische Männer. «Er streichelte ihren Bauch. Er liebte ihre Waschbrettmuskeln.»Ich brauche nur dich.«

Sie duschten. Vic schrieb Jinx einen Zettel, sie würde ihr alles erklären und sie schulde ihr ein Essen und neue Bettwäsche. Sie zog das Bett ab und bezog es mit Charlys Hilfe frisch. Sie setzte ihn am Wohnheim ab, damit er sich für die Vorlesung umziehen konnte.

Sie fuhr zum Discountladen und kaufte eine Garnitur weiße Baumwoll-Bettwäsche für Jinx und eine herabgesetzte kastanienbraune Decke für sich selbst.

Sie wollte Chris nichts sagen. Es würde ihr nur wehtun. Sie hätte heute Morgen mit Charly Schluß machen sollen, aber sie hatte die Worte nicht herausgebracht. Doch so gut sich Sex mit Charly auch anfühlte, Chris' Liebe war wie eine Brandbombe. Vielleicht hatte sie ein letztes Mal mit Charly gebraucht, um sich zu vergewissern, wohin sie gehörte.

Sie sagte sich, daß es niemanden etwas anging außer sie selbst, aber eine Woge von Schuldgefühl und Verwirrung schlug über ihr zusammen. Sie fühlte sich schuldig, weil sie Chris betrogen hatte, schuldig, weil sie Charly verletzen, schuldig, weil sie ihre Eltern enttäuschen würde.

Sie kämpfte mit den Tränen. Vielleicht lernt der Mensch nur aus dem Schlamassel, den er anrichtet, dachte sie. Sie hatte jedenfalls für ein mordsmäßiges Chaos gesorgt.

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