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Die Zeitungen von Williamsburg und den benachbarten Bezirken brachten Charlys Foto. Vic, im vollen Genuß der letzten Tage der Thanksgiving-Ferien, achtete kaum darauf. Pastor Whitby dagegen sehr.

Als Charly am letzten Montag im November wieder ins College kam, wurde er schnurstracks ins Büro des Trainers beordert.

Trainer Frascetti, ein untersetzter Mann, kam direkt zur Sache, nachdem er ihm Pastor Whitbys Beschwerde gezeigt hatte, worin Charly und zwei nicht identifizierte Frauen angeführt waren.»Charly, warst du einer von denen, die der Statue der heiligen Jungfrau Maria, äh, Kochklamotten angezogen haben?«Charly machte den Mund auf, doch der Trainer hob die Hand.»Bevor du antwortest, denk dran: Du wirst vor den Dekan zitiert. Wäre die Saison noch in vollem Gang, könnte ich dich auf die Bank setzen, und alle wären zufrieden bis auf mich, dich und die Fans unserer Mannschaft. Klar? Das Mindeste, was dir passieren wird, ist, daß du eine Strafpredigt von Dekan Hansen über Verantwortung und Taktgefühl zu hören kriegst. Das Schlimmste, was dir passieren wird, ist, daß du einen Tritt in den Arsch kriegst und rausfliegst, weil die Verwaltung im Moment besonders empfindlich ist. Aber ich denke, das kann dein Vater einrenken. Du wirst höchstwahrscheinlich gesperrt, und du wirst es an St. Bede wieder gutmachen müssen. Der Pastor wird eine ganze Liste haben mit Dingen, die zu tun sind. Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Ich habe mit Hap Stricker gesprochen, unserem Baseballtrainer. «Ein Funkeln in den Augen des Trainers verriet, daß er sich sehr einfallsreich fand.»Er setzt dich auf seine Mannschaftsliste. Dann sperrt er dich. Du machst einen geknickten Eindruck, und St. Bede ist Genüge getan.«

Charly saß seinem Trainer gegenüber, seine Gedanken rasten. Er war von Natur aus kein Lügner, wollte auch keine Extrabehandlung. Und bei der Vorstellung, daß sein Vater mit dem Dekan eine Vereinbarung traf und einen ansehnlichen Betrag für den Förderverein spendete, wurde ihm flau im Magen.

«Trainer Frascetti, ich hab dabei mitgemacht. Ein Frevel jedoch war nicht beabsichtigt.«

«Okay, ich bin stolz auf dich, weil du es zugibst. Ich werde mit Hap sprechen.«

«Sir, kann ich es mir überlegen? Ich bin Ihnen dankbar für alles, was Sie für mich getan haben, und ich weiß es zu schätzen, daß Stricker sich hierüber Gedanken macht. Ich, hm, wenn Sie mir bis heute Abend Zeit geben könnten. Ich möchte sichergehen, daß ich das Richtige tue.«

«Sechs Uhr. Ruf mich um sechs an. «Frascetti erhob sich von seinem Schreibtischstuhl.»Ich nehme nicht an, daß du katholisch erzogen bist.«

«Nein, Sir. Episkopalisch.«

«Das war's fürs Erste. Und die Muttergottes sah aus, als würde sie sich endlich mal amüsieren. Ruf mich heute Abend an, Charly. Ich deichsel das schon.«

«Ich ruf Sie an, Sir. Danke.«

Charly verließ die Turnhalle und war zwanzig Minuten später in Vics Apartment. Er erzählte ihr von der Unterredung.

«Ich denke, ich sollte zu Dekan Hansen gehen und reinen Tisch machen«, schloß Charly.

«Wir haben die Modenschau zu dritt veranstaltet. Warum solltest du hingehen?«

«Dein Bild war nicht in der Zeitung. Der Pastor hat gesagt, es waren zwei Mädchen dabei, aber der Trainer hat nicht nachgehakt. Wenn ich Buße tue, wächst Gras drüber.«

«Charly, laß dich von Trainer Stricker auf die Baseballmannschaftsliste setzen. Wirklich. Es lohnt sich nicht zu leiden, bloß weil's dem alten Knacker gegen den Strich geht, wenn Maria 'ne Schürze anhat.«

«Ich weiß nicht.«

«In drei Wochen sind Weihnachtsferien. Bis dahin wird der Pastor drüber weg sein. Warte wenigstens bis — um wieviel Uhr sollst du Frascetti anrufen?«

«Um sechs.«

«Warte bis dahin. Lauf rum, denk drüber nach und ruf mich an, bevor du den Trainer anrufst.«

«Ich dachte, ich kann hier bleiben.«

Das paßte nicht in Vics Plan.»Klar. Aber ich muß Jinx abholen. Hier, nimm meine Schlüssel, falls du weggehen willst. Wenn was ist, leg die Schlüssel unten über den Türstock. Aber warte genau bis zum Termin, ehe du noch mal mit dem Trainer sprichst. Es ist eine schwere Entscheidung, und es gibt keinen Grund, deswegen den Helden zu spielen. Wirklich, Charly, wir haben eigentlich nichts richtig Schlimmes getan. Versprochen?«

«Ja, okay. «Er küßte sie auf den Mund.

«Nimm dir Cola und Cracker. Tut mir Leid, das ist alles, was ich dahabe«, rief sie, während sie die Wohnungstür öffnete.

«Gott, Vic, ich werde genug verdienen müssen, damit wir uns eine Köchin leisten können.«

«Genau«, trällerte sie, schon halb auf der Treppe.

Als sie Charly so von der Zukunft sprechen hörte, verkrampfte sich ihr Magen. Sie wollte später darüber nachdenken. Während sie den Impala anließ, wünschte sie, sie hätte Zeit, um mit Chris zu reden, aber Chris war in einer Vorlesung. Lieber weitermachen mit dem, was sie sich vorgenommen hatte.

Nachdem Marias Metamorphose vollzogen war, hatte Pastor Whitby die Polizei gerufen und dann die Presse benachrichtigt. Er war nicht geneigt, die Sache auf sich beruhen zu lassen, nun, da er Charly erkannt hatte. Nein, es war klipp und klar, daß der Pastor auf Bestrafung bestand.

Als Spitzensportler konnte Charly mit einem von zwei Dingen rechnen: Entweder man ließ ihn davonkommen, oder man statuierte ein Exempel an ihm. Die Footballsaison war vorbei. Charly war entbehrlich, und die Verwaltung würde gut dastehen, wenn sie hart durchgriff. Trainer Frascetti wußte das, behielt es jedoch für sich. Zum Glück hatte er Charly aufrichtig gern, und sein Plan mit Trainer Stricker war gut. Es würde so aussehen, als würde Charly bestraft, die Verwaltung würde gut dastehen, die Sportabteilung würde moralisch verantwortungsvoll scheinen, die Zeitung hätte eine Story und der Pastor könnte sich ins Fäustchen lachen.

Wenn Charlys Vater versuchte, die Verwaltung zu kaufen, könnte auch das in die Zeitungen durchsickern und weitere Peinlichkeiten verursachen.

Vic fuhr auf den Parkplatz hinter dem Verwaltungsgebäude. Sie ging entschlossen die Treppe hinauf und durch den gewienerten Flur zu Greg Hansens Büro.

Die Sekretärin wollte sie abwimmeln, doch Vic überredete sie, sie zu melden, indem sie ihr erklärte, daß es um die St.-Bede- Sache ging.

Kurz darauf wurde sie in ein getäfeltes Büro geführt, komplett mit Ledersesseln, Urkunden an der Wand sowie Greg Hansen, einem schlanken Mann von etwa vierzig, der seine Arbeit mit äußerstem Ernst anging.

«Dekan Hansen, ich weiß es zu schätzen, daß Sie mich so kurzfristig empfangen.«

«Keine Ursache, Victoria. Wir befinden uns in einer heiklen Situation mit der Gemeinde. Wie Sie wissen, sind die Spannungen zwischen dem College und der Stadt ein fester Bestandteil des Universitätslebens. Schon seit dem Mittelalter. «Er lächelte übers ganze Gesicht. Als ehemaliger Geschichtsprofessor genoß er jede Gelegenheit, seine Zuhörer mit mysteriösen historischen Tatsachen zu beeindrucken.

«Sir, ich kann Ihre Probleme mit Pastor Whitby lösen. Ich weiß, daß er Charly Harrison auf einem Foto im Sportteil erkannt hat. Es stimmt, daß Charly dabei war, aber er hat die Statue nicht angerührt. Ich hab ihn überredet, für mich Schmiere zu stehen. Ich war's, und er hat es nicht verdient, für meine Tat bestraft zu werden.«

Dekan Hansen machte ein ernstes Gesicht. Er legte die Hände so aneinander, daß die Fingerspitzen ein kleines Zelt bildeten.»Verstehe.«

«Demnach sollte ich diejenige sein, die bestraft wird.«

«Der Pastor sagt, es war noch ein zweites Mädchen dabei.«

«Sie hat auch nichts gemacht, aber als der Pastor schreiend aus der Haustür kam, sind wir alle weggerannt. Wenn Sie ihn gesehen hätten, Dekan Hansen, wären Sie auch getürmt. Aber glauben Sie mir, ich war es ganz allein.«

Dekan Hansen musterte Vic. Er hatte gehört, daß Charly eine Freundin hatte, das schönste Mädchen auf dem Campus, und er mußte dieser Einschätzung zustimmen. Sie war eine der schönsten Frauen, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Wenn ihre Laufbahn auf dem William and Mary College verpatzt wäre, würde es nicht so schlimm sein. Sie würde Charly heiraten oder einen anderen.

«Nun, Victoria, Sie wissen, daß Sie deswegen vom College verwiesen werden könnten. Wir können eine Religionsangelegenheit nicht unsensibel behandeln, und für Pastor Whitbys Empfinden handelt es sich um einen Frevel. Ich habe mich mit den Leuten der Kardinal-Newman-Gruppe hier auf dem Campus in Verbindung gesetzt, und auch sie sind sehr bestürzt. Ich meine, Sie sollten wissen, was auf Sie zukommen könnte.«

«Das weiß ich. Aber ich kann Charly nicht für etwas büßen lassen das ich getan habe. Um mich zu schützen, wird er sagen, er hat es getan. Dekan Hansen, ich kann nicht erkennen, daß es gut für das William and Mary College ist, den Ruf eines seiner besten Studenten zu ruinieren. Ich muß die Suppe auslöffeln.«

«Das rechne ich Ihnen hoch an. Schön, ich werde den Pastor verständigen«, sagte er, während er in seinem Kalender blätterte.»Ich gebe Ihnen Mittwoch Bescheid, was das Disziplinarkomitee beschließt.«

«Soll ich mich bei der Frauenbeauftragten melden?«

«Nein. «Er schüttelte den Kopf.»Ich kümmere mich darum. Hinterlassen Sie beim Hinausgehen Ihre Telefonnummer bei meiner Sekretärin.«

Sie traf Jinx vor ihrem Apartment an, wo sie Blumenzwiebeln in die Beete steckte. Die Temperatur war auf sechzehn Grad gestiegen.

«Ich helf dir. «Vic kniete sich zu ihr.

«Meine Vermieterin liebt Tulpen, da dachte ich, ich steck ihr ein paar in die Erde. Sie ist so nett. «Jinx wollte sich für die Freundlichkeit ihrer Vermieterin erkenntlich zeigen.

«Ich glaub, ich bin am Arsch.«»Also, wenn das nicht poetisch gesprochen ist. «Jinx deckte sorgfältig Erde über eine Zwiebel, die wie der Turm einer russisch-orthodoxen Kirche geformt war.

«Pastor Whitby weiß, daß Charly bei der Muttergottes war und.«

«Woher?«

«Charlys Bild war ganz groß im Sportteil.«

«Aha.«

«Ja. Da hab ich Dekan Hansen gesagt, ich hätte es getan und ich hätte Charly überredet, für mich Schmiere zu stehen. Stimmt ja auch — mehr oder weniger. Ich hab das organisiert.«

Jinx hatte die Säckchen mit den Zwiebeln nach Farben sortiert ausgelegt. Sie griff nach einer Zwiebel, die sonnengelb erblühen würde.»Weißt du, was du tust?«

«Ich bin Charly etwas schuldig, Jinx. Das Wenigste, was ich tun kann, ist die Schuld auf mich nehmen.«

«Du willst ihn tatsächlich verlassen, ja?«

Vic schluckte schwer.»Ich hab anscheinend nicht den Nerv, es ihm zu sagen.«

«Herrgott, Vic, führst du ein interessantes Leben. «Jinx steckte eine Zwiebel in das Loch.»Und wenn sie dich rausschmeißen?«

«Dann geh ich. «Vic befühlte die papierartige Haut der Zwiebel.

«Wenn du wirklich gefeuert wirst, was machst du dann mit Chris? Mit deinen Eltern, deiner Zukunft?«

«Mir einen Job suchen. Arbeiten, bis Chris Examen hat, und dann weitersehen. Mom und Dad werden sich schrecklich aufregen.«

«Was für einen Job?«

«Ich weiß es nicht, Jinx. Alles, was Geld bringt. Mom hat mir erzählt, daß sie und Tante Bunny vielleicht ein Gartenbaugeschäft gründen wollen. Ich weiß nicht, ob sie mich einstellen können, aber so eine Arbeit würde mir Spaß machen.«

«Ist das nicht ein großes Opfer?«

«Wenn ich mein Examen später nachholen will, krieg ich das hin. Hab ja nur noch ein Semester. Kleinigkeit. «Vic hörte sich stärker an, als sie sich fühlte.

«Es ist keine Kleinigkeit, wenn sie dir dein Zeugnis vermasseln.«

«An meinen Zensuren können sie nichts ändern. Ich kann den Abschluß auf einem staatlichen College machen.«

«William and Mary sieht auf einem Zeugnis besser aus.«

«Auf deinem wird's stehen«, sagte Vic, und sie lächelte, obwohl auch sie der Meinung war, daß»William and Mary «auf einem Zeugnis ideal wäre.

Jinx lächelte zurück.»Meinst du, deine Mom und Bunny wollen wirklich ein Geschäft gründen?«

«Ja. «Sie griff nach der nächsten Zwiebel.»Mom hat's ein paar Mal nebenbei erwähnt, aber bei meinem letzten Besuch hat sie mir die Bodenkarten gezeigt, wo sie Weiden und so pflanzen will. Ich glaube, es ist ihr ernst damit. O ja — eh ich's vergesse. Mignon weiß von mir und Chris.«

Jinx stach mit ihrer Pflanzkelle in die Erde.»Ach du lieber Schreck.«

«Sie war ziemlich gelassen.«

«Wie lange?«Jinx zog die Stirn kraus.»Sie wird den Schnabel nicht halten können. Es ist einfach zu schön, und sie ist nur die Erste, die es weiß.«

«Sie wird nichts sagen.«

«Worum wetten wir?«

«Fünf Dollar.«

«Abgemacht.«

«Welche Zeit?«

«Sechs Monate. Ich meine, bis dahin wirst du mit deinen Eltern reden müssen. «Jinx schnippte Erde von ihrem Oberschenkel.

«Früher.«

«Was wirst du ihnen sagen?«

«Die Wahrheit. «Vic sah auf ihre Uhr.»Ich muß zurück.

Ich hab Charly bei mir gelassen und ihm gesagt, er soll nichts unternehmen. «Vic stand auf und wischte sich die Jeans sauber.»Weißt du was?«

«Was?«

«Es tut mir kein bißchen Leid, daß ich Marias Garderobe aufgepeppt habe.«


Charly war nicht in ihrem Apartment. Er hatte einen Zettel hinterlassen, er sei zum Essen gegangen. Kurz vor sechs rief er an. Sie erzählte ihm, was sie getan hatte. Er stritt mit ihr, aber sie erklärte, getan sei getan, und es habe keinen Sinn, daß sie beide noch mehr Schwierigkeiten bekämen. Schließlich gab er nach.

Dann ging sie nach nebenan und erzählte Chris alles.

«Hoffentlich bereust du es später nicht«, meinte Chris besorgt.

«Bestimmt nicht.«

«Kommt Charly wieder, weil er jetzt keine Ausgangssperre mehr hat?«, fragte sie bange.

«Nein, das hab ich ihm ausgeredet.«

Chris wurde leichter zumute.»Ganz schön heftig, das alles.«

«Wenigstens wird uns nicht langweilig.«

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