«Du hast schon genug Löcher im Kopf«, fuhr Vic Mignon an, die auf dem Rücksitz des Impala klebte.
Sie hatten Jinx, die darüber nicht gerade glücklich war, bei ihrer Mutter abgesetzt und waren jetzt auf dem Weg zu McKenna Dodge. In zwei Stunden wollten sie Jinx wieder abholen. Sie hatte erklärt, länger würde sie es bei ihrer Blutsverwandtschaft nicht aushalten.
Chris schloß die Augen, legte den Kopf zurück und hielt ihn in die Sonne.
Mignon schnellte hoch, den Mund dicht an Vics Ohr.»Du hast auch Löcher in den Ohren.«
«Mignon, keine Diskussion. Wenn du dir Ohrlöcher stechen läßt, dann geht Mom mit dir, nicht ich.«
Jetzt beugte sich Mignon zu Chris hinüber.»Sie ist so egoistisch und gemein. Wenn du eine kleine Schwester hättest, würdest du sie bestimmt hintragen, um ihr Ohrlöcher stechen zu lassen.«
«Bestimmt nicht. «Chris hielt die Augen geschlossen.
«Und die kleine Schwester von jemand anders?«Mignon ließ nicht locker.
Vic parkte unmittelbar vor der Fensterfront des Autohauses. Sie nahm einen großen braunen Umschlag mit Verkaufszahlen vom Armaturenbrett, den Tante Bunny gestern versehentlich im Haus hatte liegen lassen, und stieg aus.»Mignon kann mit den neuen Autos rumgurken.«
Mignon kletterte aus dem Wagen und ging schnurstracks zur Rezeption.
«Sie geht glatt rein und gibt 'ne Bestellung auf. «Chris lachte.»Sie ist sehr witzig. Sie hat mir gestern Abend lauter Briefchen geschickt; manche waren urkomisch.«
«Hat der kleine Racker dich wach gehalten?«
«Wie hätte ich nach dem Wallace-Drama schlafen können?«
«Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte Vic.
Sissy Wallace kam am Arm von Don McKenna herausgeschlendert. Dons glänzende Locken reflektierten das Sonnenlicht.
«Vic!«
«Hey, Onkel Don. Ich wollte das hier gerade für dich abgeben. Chris Carter, mein Onkel Don McKenna. «Sie reichte Don den braunen Umschlag, den er mit der linken Hand nahm.
Mit der rechten schüttelte er Chris herzlich die Hand.»Hatten Sie schon das Vergnügen mit der reizenden Miss Wallace?«
«Gestern Abend«, antwortete Chris.
«Tag, Mädels. «Sissy strahlte. Sie wandte sich an Don.»Erkundige dich bitte, ja?«
«Wird gemacht, Sissy. Ich erkundige mich und du machst keinen Ärger, hörst du?«Er lächelte von einem Ohr zum anderen, ein Lächeln, das Frauen attraktiv fanden.
«Wenn ich weg von dir bin, gibt's keinen Ärger. «Halb hüpfend begab sie sich zu ihrem Plymouth.
Als sie losfuhr, winkten die drei ihr nach.
«Unverbesserlich«, erklärte Don mit einem Lächeln, während er beobachtete, wie sie endlich die Schnellstraße erreichte.
«Versucht sie dich zu verführen, Onkel Don?«
«Andauernd. Andauernd. «Er stieß ein dröhnendes Lachen aus.»Weißt du, was sie will? Sie will, daß ich ihr einen Cadillac zum Einkaufspreis besorge. Ich bin kein General- Motors-Händler, aber sie weiß, daß ich den Cadillac-Händler in Williamsburg oder Virginia Beach oder Norfolk überreden kann, mir einen fabrikneuen Cadillac zum Einkaufspreis zu überlassen.«
«Woher nimmt sie das Geld?«
Er hakte den Daumen in seinen Gürtel.»Sie sagt, früher oder später muß der alte Herr einen Teil von seinem Geld rausrücken. Er hat weiß Gott genug davon.«
Er führte die zwei Frauen in den Ausstellungsraum. Don, einundvierzig Jahre alt, strahlte eine unwiderstehliche Herzlichkeit aus. Er war den Menschen aufrichtig zugetan, insbesondere den Frauen. Und nicht nur wegen Sex — er hatte die Frauen einfach gern.
«Wo ist Hojo?«, fragte er einen Verkäufer.
«Auf der Toilette, nehme ich an. Sie hat gesagt, sie ist gleich wieder da.«
«Heiß draußen. Eine Cola gefällig?«
«Nein danke.«
«Ich auch nicht«, erwiderte Chris.»Einen imposanten Betrieb haben Sie hier, Mr. McKenna. Sie sind bestimmt stolz darauf.«
«Don, bitte. Mr. McKenna ist mein Vater. «Er lächelte.»Danke. Wir sind sehr stolz auf die Firma. Meine Frau hat mich auf Schritt und Tritt unterstützt.«
Hojo, in eine knallorange Hose gezwängt, kehrte auf ihren Posten zurück. An Samstagen herrschte in der Firma Hochbetrieb, und dann hieß es, alle Mann an Deck.
«Haben Sie Mignon gesehen?«, rief Vic zur Kommandozentrale hinüber.
Hojo lächelte.»Sie ist im Waschraum und macht sich zurecht.«
Vic bemerkte, daß Hojos pflaumenfarbene Fingernägel jetzt Glitzer auf dem Metallic-Lack hatten.
Mignon kam aus der Toilette, lächelte ihrem Onkel kurz zu und ging schnell zum Auto.
«Keine Manieren. Sie hätte herüberkommen und ein paar Worte sagen sollen. «Vic stemmte die Hände in die Hüften.
«Sie kriegt mich oft genug zu sehen, nehme ich an. «Don winkte einem Verkäufer, der seinem Büro zustrebte.»Bin gleich bei Ihnen. «Nach einem Blick auf die Wanduhr wandte er sich Vic wieder zu.»Das Spiel fängt in sechs Stunden an. Wirst du's schaffen?«
«Nein, ich bleib übers Wochenende hier.«
«Möchtest du auf den Endstand wetten?«
«Nein, aber auf die Touchdowns. «Vic strich mit den Händen über ihre Bermuda-Shorts.»Charly Harrison, zwei Touchdowns.«
«Ich laß mich auf keine Wette ein, wenn ich weiß, daß ich sie verlieren werde. «Er klopfte ihr auf den Rücken.»Ihr könnt gern jederzeit wieder vorbeikommen, Mädels.«
Vic setzte sich ans Steuer.»Gott, sind die Sitze heiß.«
Chris pflanzte ihren Allerwertesten vorsichtig auf das rissige Leder.»Schnell in den Schatten.«
Während der Fahrt war Mignon verdächtig schweigsam.
«Wann krieg ich Charly zu sehen? Ich hab irgendwie das Gefühl, als würde ich ihn bereits kennen«, sagte Chris.
«Wenn er das nächste Mal kommt, gebe ich dir Bescheid. Prima Kerl. Wirst ihn mögen.«
Mignon beugte sich vor. Vic mit Charly aufzuziehen war zu schön, um es sich entgehen zu lassen.»Sie schläft mit ihm. Sie gibt es nicht zu, aber ich weiß, daß sie bumsen.«
«Du weißt gar nichts, Mignon.«
«Sexuelle Revolution. Empfängnisverhütung. Die sechziger Jahre«, trällerte sie laut mit ihrer jugendlichen Stimme.
Chris lachte.»Wir sind in den Achtzigern.«
«Ja, die sexuelle Revolution begann in den Sechzigern, und es wird immer besser. Ich kenn mich da aus.«
«Ach, und was machst du?«
«Das sag ich dir, wenn du's mir sagst.«
«Erstens, ich schätze meine Privatsphäre. Zweitens, denk daran, was Großmama Catlett sagt,Männer kaufen keine Kuh, wenn sie die Milch umsonst haben können.<«
«Kraß.«
Just in diesem Augenblick sah Vic in den Rückspiegel.»Mignon!«
Mignon preßte die Lippen zusammen und zog die Augenbrauen hoch.»Du wolltest ja nicht mit mir kommen!«
Vic fuhr an den Rand.
Chris drehte sich um.»Ach, du Schreck.«
«Alle in der Schule haben Löcher in den Ohren. Ich bin die Einzige, die aus der Reihe tanzt, der einzige Schisser. Sogar Buzz Schonfeld hat ein Ohr durchstochen, wie dieser Footballspieler, wie heißt er doch gleich.«
«Du jedenfalls heißt Scheiße. «Vics Gesicht wurde puterrot.»Verdammt noch mal, Mignon, Mom glaubt mir nie, daß ich hier nicht die Hand im Spiel hatte.«
In Mignons Ohren steckten zwei gewachste Strippen; in jede der ebenso winzigen Schlingen war ein winziger Knoten geknüpft.
Chris faßte sie an.»Ist das Einziehdraht?«»Ich weiß nicht, was sie da rein gesteckt hat. Sie hat gesagt, ich muß es dauernd bewegen. So, siehst du?«Mignon zupfte an der Wachsstrippe, zuckte dabei zusammen.
«Wie viel Geld hast du in deinem gammeligen Portemonnaie?«Vic wollte sich Mignons Portemonnaie schnappen, aber Mignon klammerte schnell ihre Hände darum.
«Diebin. «Dann schrie Mignon so laut sie konnte den vorbeifahrenden Autos zu:»Meine Schwester ist eine Diebin!«
«Halt die Klappe! Ich will dein Geld nicht, aber wie viel hast du?«
«Warum?«
«Weil du Arschbacke Goldstecker kaufen mußt. Sonst entzünden sich deine Ohren. Warte nur, bis ich Hojo zu fassen kriege.«
«Das wird ihr gefallen. Sie geht mit allen ins Bett, und sie ist scharf auf dich. «Ein teuflisches Licht tanzte in Mignons haselnußbraunen Augen.
«Herrgott, Mignon, hast du Hormonwallungen oder was? Du denkst nur an Sex.«
Chris lachte.»Tun das nicht alle?«
«Ich nicht«, antwortete Vic störrisch.
«Du brauchst 'nen Weckruf.«
«Ja, ich laß die Goldstecker sausen und kauf dir einen Wecker von meinen, äh, zwanzig Dollar zweiundachtzig. Warte, dreiundachtzig.«
Schließlich mußte auch Vic lachen.»Okay, wir gehn zu Chowder's. Da kriegen wir Goldstecker.«
Sie fuhren zu dem neuen Einkaufszentrum und parkten vor Chowder's, einem hübschen Juweliergeschäft, das von der Main Street hierher gezogen war.
Zelda Chartreuse kannte die Savedges. Rasch erfaßte sie die Situation.
«Nicht zu groß. Ich will nicht billig aussehen«, sagte Mignon.
«Daß ich nicht lache. «Vic stützte sich mit einem Ellbogen auf die Theke, auf die Zelda ein Tablett mit Ohrringen und Steckern stellte.
«Was kosten die hier?«Mit sicherem Griff langte Mignon nach schlichten goldenen Kugeln, klein, aber sehr hübsch.
«Die kommen auf hundertneun Dollar. Vierzehnkarätiges Gold.«
Mignon machte ein langes Gesicht.»Zelda, ich hab bloß zwanzig Dollar dreiundachtzig.«
«Ich hasse dich. «Vic schob die Hand in die linke Tasche und zog säuberlich gefaltete Geldscheine heraus. Sie zählte sie.»Okay, Mignon. Hier sind fünfzig. Den Rest brauche ich diese Woche für Benzin und Mittagessen.«
«Das wären siebzig Dollar und dreiundachtzig Cents. Die hier kosten zweiundsechzig Dollar. «Zelda zeigte auf ein Paar Stecker, so winzig wie Stecknadelköpfe.
«Nein. «Mignon befühlte die Goldkugelohrringe.
«Herzchen, die silbernen hier sind genauso groß. Ich denke, was die Größe angeht, hast du Recht. Du hast einen guten Geschmack, Mignon. Du weißt genau, was dir steht und auch allen anderen.«
«Zelda, wenn sie die silbernen nimmt, entzünden sich ihre Ohren.«
Zelda stellte fest, wer immer Mignons Ohren durchstochen hatte, hatte es an genau den richtigen Stellen getan.
«Ich hab auch ein bißchen Geld«, verkündete Chris und langte in die Tasche ihrer Shorts.
«Kommt nicht in die Tüte. «Vic faßte sie am Handgelenk.»Du bist der Gast, und die Eskapade meiner kleinen Schwester darf dich nichts kosten.«
«Ich kann ihr Kredit geben. Sie kann ihn abstottern«, schlug Zelda vor.»Ich weiß, daß sie's tun wird. Auf Mignon ist Verlaß.«
«Lisa Baptista hat in der ganzen Stadt Kredit«, sagte Mignon zu Vic.
«Nicht bei uns. «Mehr wollte Zelda nicht sagen.
«Mignon, kauf nicht auf Pump. Wenn wir nicht alles auf einmal bezahlen können, mußt du kleinere Ohrringe nehmen.«
«Die sind ja klitzeklein. «Mignon hatte sich auf die goldenen Kugeln versteift, die genau die richtige Größe für ihre Ohren hatten.
«Bitte, nimm mein Geld. Ich schulde es Mignon für die vergnügliche Unterhaltung. «Chris drückte Vic ihr Geld in die Hand und hielt es mit der anderen Hand dort fest.
Ein feuriger Blitz durchzuckte Vic. Sie starrte Chris sprachlos an.
Mignon, die die Reaktion ihrer Schwester beobachtete, sagte:»Chris, wir können dein Geld nicht annehmen. Das ist nicht recht.«
«Ich bestehe darauf. «Chris drückte Vics Hand und ließ sie dann los.
Vic ließ das Geld fallen. Noch nie im Leben hatte sie so etwas gefühlt, weiße Hitze, gepaart mit blauer Kälte. Sie wußte, es war sexuell. Sie wußte, daß sie das bei Charly nie empfunden hatte. Sie wußte nicht, was sie machen sollte, und sie wußte nicht, ob Chris dasselbe fühlte.
Mignon hatte das Geld aufgehoben, fünfzehn Dollar.
Zelda konnte die Savedges gut leiden. Fast jeder mochte sie.»Mignon, wir müssen sie in deine Ohren stecken, bevor es zu spät ist und wehtut. «Sie holte eine Flasche mit Alkohol unter dem Ladentisch hervor.»Chris, behalt dein Geld. Bitte erzählt niemandem von diesem Rabatt. Das ist unser Geheimnis.«
«Zelda. «Vics Stimme brach ab.
«Euer Vater war gut zu mir. Und so wird's gemacht. «Zelda rieb sorgsam die Rückseite des Ohrrings ab. Sie nahm eine kleine Schere aus einer Schublade und schnitt die Wachsstrippen durch.»Hast du die Operation ausgeführt?«, fragte sie Vic.
«Nein. Hojo.«
«Hat sie gut gemacht. Die Frau hält mich beschäftigt. «Sie lachte.»Sie liebt Schmuck.«
«Sie verdient nicht genug, um eure Sachen zu kaufen«, sagte Mignon. Sie zuckte zusammen, als sie versuchte, die Ohrringe durchzustecken.
«Mit einem Spiegel geht's besser, Herzchen. «Zelda legte einen Handspiegel vor sie hin.»Bring's schnell hinter dich, und dann mußt du die Ohrringe immer drehen. Reib sie vorne und hinten mit Alkohol ab, ohne sie rauszunehmen. In einer Woche dürfte alles in Ordnung sein. Wie's aussieht, heilt es bei dir schnell ab.«»Mignon, du weißt nichts über Hojos Finanzen. Du bist diejenige ohne Geld, nicht sie.«
Zelda bewunderte Mignon.»Bildhübsch siehst du aus.«
«Nun übertreib mal nicht«, sagte Vic, die sich einigermaßen von dem Blitzschlag in ihrem Körper erholt hatte.
Während sie zurückfuhren, um Jinx abzuholen, erzählte Vic Chris, daß ihr Vater Urkunden für die Leute aufsetzte, Testamente, was immer gebraucht wurde. Er half oft Leuten, die nicht viel bezahlen konnten.
«Für Dad stehen die Menschen an erster Stelle, Geld an zweiter.«
«Das ist eine großartige Eigenschaft. «Chris drehte sich um, ihre blonden Haare schimmerten im Licht.»Sie stehen dir gut, Mignon.«
Vic mußte Chris dauernd ansehen. Sie schaute auf die Straße und dann wieder zu Chris. Als Chris ihren Blick erwiderte, brach Vic in Lachen aus. Chris lachte auch.
Als Vic, Chris, Mignon und Jinx nach Surry Crossing kamen, hatte R. J. den Grill angeheizt und die Steaks mariniert.
Mignon dachte, sie könnte an ihr vorbeischlüpfen, aber R. J. kannte ihre Jüngste nur zu gut. Mignon war zu still und bewegte sich zu schnell.
«Mignon, komm mal her.«
«Ich wollte deine Rosen düngen«, sagte Mignon, aber als sie den Blick ihrer Mutter bemerkte, trottete sie zu ihr.
«Ach, Mignon.«