I


Mr. Entwhistle betrachtete Dr. Larraby nachdenklich.

Er besaß große Erfahrung im Einschätzen von Menschen und hatte oft schwierige Situationen handhaben oder heikle Themen ansprechen müssen. Mittlerweile war er ein Meister in der Kunst, den richtigen Anfang zu finden. Wie sollte er bei Dr. Larraby beginnen, wo es sich um ein sehr diffiziles Thema handelte und noch dazu um eines, das der Arzt möglicherweise als Angriff auf seine Berufsehre verstehen könnte?

Offenheit, entschied Mr. Entwhistle, oder zumindest ein gewisses Maß an Offenheit. Zu sagen, dass ein Verdacht aufgekommen war, weil eine törichte Frau eine Vermutung in den Raum gestellt hatte, wäre nicht empfehlenswert. Dr. Larraby hatte Cora nicht gekannt.

Mr. Entwhistle räusperte sich und begann beherzt.

«Ich möchte Sie in einer sehr heiklen Angelegenheit um Ihre Meinung bitten», sagte er. «Möglicherweise fühlen Sie sich angegriffen, obwohl ich das unter allen Umständen vermeiden möchte. Sie sind ein Mann der Vernunft und stimmen zweifellos mit mir überein, dass der beste Umgang mit einer ... hm ... absurden Behauptung darin besteht, eine vernünftige Erklärung dafür zu finden und sie nicht rundweg von der Hand zu weisen. Es geht um einen meiner Klienten, den kürzlich verstorbenen Mr. Abernethie. Ich stelle Ihnen meine Frage ganz unverblümt: Sind Sie sicher, absolut sicher, dass er eines natürlichen Todes - wie man so sagt - gestorben ist?»

Dr. Larrabys freundliches, rosiges Gesicht wandte sich dem Notar überrascht zu.

«Was in aller Welt ... Natürlich. Ich habe doch den Totenschein ausgestellt. Wenn ich nicht der Meinung gewesen wäre .»

«Natürlich, selbstverständlich», warf Mr. Entwhistle beschwichtigend ein. «Ich versichere Ihnen, es liegt mir fern, Ihnen etwas Gegenteiliges zu unterstellen. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir das zweifelsfrei bestätigen könnten -angesichts der ... nun ja, Gerüchte, die aufgekommen sind.»

«Gerüchte? Welche Gerüchte denn?»

«Man weiß nie, wie diese Dinge genau entstehen», erklärte Mr. Entwhistle nicht ganz wahrheitsgemäß. «Aber meiner Ansicht nach sollten sie sofort aus der Welt geschafft werden -und zwar ein für alle Mal.»

«Abernethie war ein kranker Mann. Er litt an einer Krankheit, an der er spätestens in zwei Jahren gestorben wäre, würde ich sagen. Möglicherweise auch sehr viel früher. Der Tod seines Sohnes hatte ihm den Lebenswillen genommen und auch seine Widerstandskraft. Zugegeben, ich hatte seinen Tod nicht so bald erwartet, und auch nicht so plötzlich, aber man hat ja schon die ungewöhnlichsten Fälle erlebt. Jeder Mediziner, der eine Aussage darüber macht, wann genau ein Patient sterben wird, wie lange er noch zu leben hat, macht sich unglaubwürdig. Der menschliche Faktor ist unberechenbar. Schwache Menschen besitzen oft unerwartete Reserven, während starke Naturen gelegentlich völlig überraschend sterben.»

«All dessen bin ich mir bewusst. Ich möchte Ihre Diagnose nicht in Zweifel ziehen. Um es etwas melodramatisch auszudrücken - Mr. Abernethies Leben hing an einem seidenen Faden. Meine Frage zielt vielmehr auf Folgendes ab: Ist es denkbar, dass ein Mensch, der weiß oder ahnt, dass er dem Tode geweiht ist, die noch verbleibende Lebensspanne aus eigenem Antrieb verkürzt? Oder dass eine andere Person das für ihn tut?»

Dr. Larraby runzelte die Stirn.

«Sie meinen Selbstmord? Abernethie war kein Mensch, der Selbstmord begeht.»

«Ich verstehe. Sie können mir also aus medizinischer Sicht versichern, dass eine solche Annahme ausgeschlossen ist.»

Der Doktor zögerte.

«Ich würde nicht das Wort ausgeschlossen verwenden. Nach dem Tod seines Sohnes hatte Abernethie nur noch wenig Interesse am Leben. Ich persönlich glaube nicht, dass ein Selbstmord wahrscheinlich war - aber völlig ausschließen kann ich das nicht.»

«Sie sprechen aus psychologischer Sicht. Als ich medizinisch sagte, meinte ich eigentlich - schließen die Umstände seines Todes eine solche Vermutung aus?»

«Nein. Nein, das könnte ich nicht sagen. Er ist im Schlaf gestorben, wie es ja oft der Fall ist. Es gab keinen Grund, Selbstmord zu vermuten; an seinem Geisteszustand deutete nichts darauf hin. Wenn man jedes Mal eine Autopsie machen müsste, wenn ein Schwerkranker im Schlaf stirbt ...»

Das Gesicht des Arztes hatte eine beängstigend rote Farbe angenommen. Rasch versuchte Mr. Entwhistle, ihn zu beschwichtigen.

«Natürlich, ich verstehe. Aber wenn etwas darauf hindeutete - etwas, von dem Sie selbst gar nichts wissen konnten? Wenn er zum Beispiel jemand anderem gegenüber eine Bemerkung fallen ließ ...»

«Dahin gehend, dass er an Selbstmord dachte? Hat er das denn getan? Ich muss sagen, das überrascht mich.»

«Aber wenn dem so wäre - und ich sage das rein hypothetisch -, könnten Sie die Möglichkeit dann ausschließen?»

Gedehnt antwortete Dr. Larraby: «Nein - ausschließen kann ich das nicht. Aber ich wiederhole, es würde mich sehr überraschen.»

Mr. Entwhistle griff die zögerliche Antwort des Arztes sofort auf.

«Wenn wir also davon ausgehen, dass sein Tod nicht natürlich war - und ich frage das rein hypothetisch -, was könnte ihn verursacht haben? Ich meine, welche Art von Droge?»

«Mehrere. Ein Beruhigungsmittel wäre indiziert. Für eine Zyanose gab es keine Anzeichen, er sah sehr entspannt aus.»

«Hat er regelmäßig ein Schlafmittel genommen?»

«Ja, ich hatte ihm Slumberyl verschrieben - ein sehr sicheres und zuverlässiges Schlafmittel. Er hat es nicht jeden Abend genommen. Und ich habe ihm auch immer nur kleine Packungen verschrieben. Selbst das Drei- oder auch Vierfache der verschriebenen Dosis wäre nicht tödlich gewesen. Ich weiß sogar noch, ich habe das Döschen nach seinem Tod am Waschbecken stehen gesehen, und es war noch fast voll.»

«Hatten Sie ihm noch andere Medikamente verordnet?»

«Mehrere - eines, das eine kleine Dosis Morphium enthielt und das er nehmen sollte, wenn er unter starken Schmerzen litt. Vitaminkapseln. Ein Mittel zur Anregung der Verdauung.»

Mr. Entwhistle unterbrach den Arzt.

«Vitaminkapseln? Ich glaube, ich habe einmal etwas Ähnliches bekommen. Kleine runde Gelatinekapseln.»

«Genau. Sie enthalten Adexolin.»

«Wäre es möglich, den Inhalt der Kapseln durch etwas anderes zu ersetzen?»

«Durch etwas Tödliches, meinen Sie?» Die Miene des Doktors wurde mit jedem Augenblick erstaunter. «Aber es würde doch niemand je ... hören Sie, Entwhistle, worauf wollen Sie hinaus? Mein Gott, wollen Sie vielleicht andeuten, dass es Mord war?»

«Ich weiß nicht genau, was ich andeuten will ... Ich möchte nur wissen, ob es möglich wäre.»

«Aber was wissen Sie, um das auch nur in Erwägung zu ziehen?»

«Ich weiß gar nichts», erwiderte Mr. Entwhistle matt. «Mr. Abernethie ist tot - und die Person, mit der er sprach, ist ebenfalls tot. Das Ganze ist ein Gerücht - ein vages, unerfreuliches Gerücht, und ich möchte es, wenn irgend möglich, ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Wenn Sie mir sagen können, dass Abernethie unmöglich ermordet worden sein kann, dann wäre ich überglücklich! Sie würden mir eine große Last von der Seele nehmen, das können Sie mir glauben.»

Dr. Larraby erhob sich und schritt im Zimmer auf und ab.

«Leider kann ich Ihnen das, was Sie von mir hören möchten, nicht sagen», antwortete er schließlich. «Ich wünschte, es wäre anders. Natürlich ist es möglich. Jeder hätte das Öl aus der Kapsel saugen und es durch - sagen wir, reines Nikotin ersetzen können, oder durch ein halbes Dutzend anderer Mittel. Oder jemand hätte ihm etwas ins Essen oder den Tee tun können. Wäre das nicht wahrscheinlicher?»

«Vielleicht. Aber sehen Sie, als er starb, waren nur die Dienstboten im Haus - und ich glaube nicht, dass es einer von ihnen war ... da bin ich mir sogar absolut sicher. Also suche ich nach einem Mittel, das mit Verzögerung wirkt. Gibt es keine Droge, an der man erst Wochen später stirbt?»

«Das wäre praktisch - aber leider nicht machbar.» Der Ton des Doktors war trocken. «Ich weiß, Sie sind ein vernunftbegabter Mann, Entwhistle, aber wer hat dieses Gerücht in die Welt gesetzt? In meinen Ohren klingt das alles sehr weit hergeholt.»

«Hat Abernethie Ihnen gegenüber nie etwas erwähnt? Nie angedeutet, dass einer seiner Verwandten ihn aus dem Weg räumen möchte?»

Der Arzt sah ihn neugierig an.

«Nein, zu mir hat er nichts dergleichen gesagt. Entwhistle, sind Sie sicher, dass niemand nur ... nun, sagen wir, etwas Unfrieden stiften wollte? Es gibt hysterische Menschen, die nach außen hin ganz vernünftig und normal wirken, wissen Sie.»

«Ich hoffe, dass das die Antwort ist. Es ist gut möglich.»

«Dass ich Sie richtig verstehe - jemand behauptet, dass Abernethie ihr - es war eine Frau, vermute ich?»

«Ja, es war eine Frau.»

«Dass Abernethie ihr sagte, jemand wolle ihn töten?»

Derart in die Enge getrieben, fühlte Mr. Entwhistle sich gezwungen, den Hergang von Coras Bemerkung bei der Beerdigung zu schildern. Dr. Larrabys Miene hellte sich auf.

«Mein Lieber, darauf würde ich an Ihrer Stelle nun gar nichts geben! Die Erklärung ist ganz einfach - die Frau macht gerade eine gewisse Phase des Lebens durch - sie will Aufsehen erregen, ist instabil, unzuverlässig - sie sagt das Nächstbeste, das ihr in den Kopf kommt. Das passiert sehr oft, müssen Sie wissen.»

Mr. Entwhistle verdross die undifferenzierte Anmaßung des Arztes. Er selbst hatte nur allzu oft mit sensationslüsternen, hysterischen Frauen zu tun gehabt.

«Vielleicht haben Sie Recht», sagte er. Er erhob sich. «Leider können wir sie nicht näher dazu befragen. Sie ist selbst ermordet worden.»

«Was sagen Sie da? Ermordet?» Dr. Larraby machte den Eindruck, als zweifle er nun an Mr. Entwhistles Geisteszustand.

«Vermutlich haben Sie in der Zeitung darüber gelesen. Mrs. Lansquenet aus Lytchett St. Mary in Berkshire.»

«Natürlich! Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie mit Richard Abernethie verwandt war.» Dr. Larraby war sichtlich erschüttert.

Mit dem Gefühl, sich für die professionelle Überheblichkeit des Arztes revanchiert zu haben, und mit großem Unbehagen, weil sein Verdacht durch diesen Besuch keineswegs ausgeräumt worden war, verabschiedete Mr. Entwhistle sich.

Загрузка...