II


Sobald Mr. Entwhistle nach Enderby zurückkam, wollte er mit Lanscombe reden.

Als Erstes fragte er den alten Buder nach seinen Plänen für die Zukunft.

«Mrs. Leo hat mich gebeten hier zu bleiben, bis das Haus verkauft ist, Sir, und natürlich erfülle ich ihr diesen Wunsch mit Freuden. Wir mögen Mrs. Leo alle sehr gern.» Er seufzte. «Es betrübt mich, dass das Haus verkauft werden muss, wenn ich so frei sein darf das zu sagen, Sir. Ich habe viele, viele Jahre hier verbracht und all die jungen Herrschaften hier aufwachsen gesehen. Ich dachte immer, Mr. Mortimer würde nach seinem Vater hier wohnen und vielleicht eine eigene Familie gründen. Es war vorgesehen, dass ich ins Pförtnerhaus ziehen sollte, wenn ich nicht mehr im Haus arbeitete. Das Pförtnerhaus ist ein hübsches kleines Häuschen ... und ich hatte mich darauf gefreut, es mir schön dort zu machen. Aber damit ist es jetzt wohl vorbei.»

«Ich fürchte, dem ist leider so, Lanscombe. Das Haus muss mit dem Grundstück als Ganzes verkauft werden. Aber mit dem Vermächtnis ...»

«Oh, ich will mich nicht beklagen, Sir; und ich bin mir bewusst, wie großzügig Mr. Abernethie war. Ich werde ein gutes Auskommen haben. Aber heutzutage ist es nicht so einfach, ein Häuschen zum Kaufen zu finden. Meine Nichte, sie ist verheiratet, hat mir vorgeschlagen, bei ihnen zu wohnen, aber das ist natürlich nicht dasselbe wie hier in Enderby.»

«Ich weiß», sagte Mr. Entwhistle. «Für uns alte Knochen ist es nicht leicht, sich mit der neuen Welt zurechtzufinden. Ich wünschte, ich hätte meinen Freund vor seinem Tod öfter gesehen. Wie kam er denn Ihnen vor in den letzten Monaten seines Lebens?»

«Er war nicht mehr derselbe, Sir, seit Mr. Mortimers Tod schon nicht mehr.»

«Ja, das hat ihn gebrochen. Und dann war er krank - und Kranke haben ja manchmal seltsame Ideen. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Mr. Abernethie in den letzten Tagen ähnlich war. Manchmal sprach er von Feinden, dass jemand ihm etwas antun wollte - ist das möglich? Vielleicht dachte er sogar, ihm würde etwas ins Essen getan?»

Der alte Lanscombe sah überrascht aus - überrascht und gekränkt.

«Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern, Sir.»

Entwhistle betrachtete ihn aufmerksam.

«Sie waren ihm ein treuer Butler, Lanscombe, das weiß ich. Aber wenn Mr. Abernethie solche Gedanken gehabt hätte, wäre das ... äh ... völlig bedeutungslos gewesen, ein natürliches Symptom ... bei einigen Krankheiten ist das so.»

«Tatsächlich, Sir? Ich kann nur sagen, dass Mr. Abernethie mir gegenüber nie dergleichen erwähnte, oder auch nur in meiner Hörweite.»

Diplomatisch ging Mr. Entwhistle zu einem anderen Thema über.

«Vor seinem Tod hat er doch einige seiner Verwandten nach Enderby eingeladen, nicht? Seinen Neffen und seine beiden Nichten mit ihren Männern?»

«Ja, Sir, das stimmt.»

«Freute er sich über die Besuche? Oder war er eher enttäuscht?»

Lanscombes Augen nahmen einen distanzierten Ausdruck an, sein steifer Rücken wurde noch steifer.

«Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, Sir.»

«Ich glaube schon, dass Sie das könnten.» Mr. Entwhistles Ton war verständnisvoll. «Was Sie eigentlich sagen wollen, ist doch, dass es Ihnen nicht zusteht, etwas darüber zu sagen. Aber es gibt Zeiten, da muss man seinem Gefühl für Anstand ein wenig Gewalt antun. Ich war einer der ältesten Freunde Ihres gnädigen Herrn. Er stand mir sehr nahe. Sie ihm auch. Deswegen frage ich Sie nach Ihrer Meinung als Mensch, nicht als Butler.»

Lanscombe schwieg einen Moment, dann fragte er in neutraler Stimme: «Geht etwas ... nicht mit rechten Dingen zu, Sir?»

«Ich weiß es nicht», antwortete Mr. Entwhistle aufrichtig. «Ich hoffe nicht. Aber ich möchte gerne Gewissheit haben. Haben Sie selbst auch das Gefühl gehabt, dass etwas nicht ganz . mit rechten Dingen zuging?»

«Erst seit der Beerdigung, Sir. Und ich kann Ihnen nicht sagen, was es genau ist. Aber Mrs. Leo und Mrs. Timothy waren auch nicht ganz sie selbst an dem Abend, nachdem die anderen abgefahren waren.»

«Sie kennen die Verfügungen des Testaments?»

«Ja, Sir. Mrs. Leo hat sie mir mitgeteilt; sie dachte, ich würde das vielleicht gerne wissen. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir, in meinen Augen ist das Testament sehr gerecht.»

«Doch, es ist ein gerechtes Testament. Alle Erben werden gleichmäßig bedacht. Aber ich glaube, es ist nicht das Testament, das Mr. Abernethie gleich nach dem Tod seines Sohnes zu machen gedachte. Können Sie mir jetzt die Frage beantworten, die ich Ihnen vorhin stellte?»

«Nach meiner persönlichen Meinung .»

«Das versteht sich von selbst.»

«Nach dem Besuch von Mr. George war Mr. Abernethie sehr enttäuscht, Sir ... Ich glaube, er hatte gehofft, dass Mr. George vielleicht Mr. Mortimer ähnlich wäre. Wenn ich das so sagen darf, Sir, Mr. George genügte nicht seinen Anforderungen. Miss Lauras Ehemann hatte nie den Erwartungen entsprochen, und ich fürchte, Mr. George ist ihm nachgeschlagen.» Lans-combe machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. «Dann kamen die jungen Damen mit ihren Ehemännern. Miss Susan hat ihn sofort beeindruckt - sie ist eine sehr lebhafte und attraktive junge Dame, aber meiner Ansicht nach konnte er ihren Mann nicht leiden. Heutzutage treffen junge Damen oft eine ungewöhnliche Wahl, Sir.»

«Und das andere Paar?»

«Darüber kann ich nicht viel sagen. Ein sehr freundliches und gut aussehendes junges Paar. Ich glaube, der gnädige Herr hat sich über ihren Besuch sehr gefreut - aber ich glaube nicht ...» Der alte Mann zögerte.

«Ja, Lanscombe?»

«Nun ja, der gnädige Herr hatte nie viel vom Theater gehalten. Eines Tages sagte er zu mir:

«Nein, natürlich nicht. Und nach diesen Besuchen ist Mr. Abernethie selbst weggefahren - zuerst zu seinem Bruder und dann zu seiner Schwester, Mrs. Lansquenet.»

«Davon wusste ich nichts, Sir. Ich meine, er erzählte mir, dass er zu Mr. Timothy fahren würde und dann nach Irgendwas St. Mary.»

«Richtig. Erinnern Sie sich, ob er nach seiner Rückkehr von der Reise etwas über seinen Besuch sagte?»

Lanscombe überlegte.

«Ich weiß es nicht ... nicht direkt. Er war sehr froh, wieder hier zu sein. Es hat ihn sehr angestrengt zu reisen und in fremden Häusern zu übernachten - das weiß ich noch, dass er das sagte.»

«Und sonst nichts? Nichts über seine Geschwister?»

Lanscombe runzelte die Stirn.

«Der gnädige Herr hatte die Angewohnheit ... nun, er hat gemurmelt, wenn Sie wissen, was ich meine - er hat mit mir geredet, aber eigentlich mehr zu sich selbst - und hat kaum gemerkt, dass ich überhaupt da war - weil er mich so gut kannte.»

«Weil er Sie kannte und Ihnen vertraute.»

«Ich erinnere mich nicht genau, was er sagte - etwas in der Art, er könne sich gar nicht vorstellen, was er mit seinem Geld gemacht hatte - damit meinte er Mr. Timothy, glaube ich. Und dann sagte er etwas wie: Ach ja, und dann sagte er noch: Und später sagte er noch -aber ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang: Aber ich vermute, dass er dabei an den zweiten Gärtner dachte, Sir - es waren Pfirsiche abhanden gekommen.»

Doch Mr. Entwhistle glaubte nicht, dass Richard Abernethie dabei an den zweiten Gärtner gedacht hatte. Nach einigen weiteren Fragen dankte er Lanscombe und ging davon. Dabei ließ er sich durch den Kopf gehen, was er alles erfahren hatte. Eigentlich nichts - das heißt nichts, das er nicht vorher schon vermutet hatte. Doch es gab einige Hinweise. Richard hatte nicht an seine Schwägerin Maude gedacht, als er sagte, Frauen könnten dumm und gleichzeitig klug sein, sondern an seine Schwester Cora. Und ihr gegenüber hatte er seine «Einbildungen» erwähnt. Und er hatte davon gesprochen, jemandem eine Falle stellen zu müssen. Aber wem?

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