II


Die Beerdigung war gut besucht, fast das ganze Dorf nahm daran teil. Susan war die einzige Verwandte, aber die anderen Familienmitglieder hatten alle Kränze geschickt. Mr. Entwhistle fragte nach dem Verbleib von Miss Gilchrist. Als Susan ihm im Flüsterton erklärte, was passiert war, hob der Notar die Augenbrauen.

«Das ist doch sehr seltsam, nicht?»

«Ach, heute Morgen geht es ihr schon viel besser. Das Krankenhaus hat angerufen. Manche Leute haben immer wieder Magengeschichten, und einige machen mehr Aufhebens davon als andere.»

Mr. Entwhistle schwieg. Nach der Beerdigung fuhr er gleich wieder nach London.

Susan kehrte ins Cottage zurück. Sie fand ein paar Eier, mit denen sie sich eine Omelette machte, dann ging sie in Coras Zimmer und begann, die Sachen der Toten zu sichten.

Mittendrin kam der Arzt. Er machte ein besorgtes Gesicht. Auf Susans Frage hin erklärte er, es gehe Miss Gilchrist schon wesentlich besser.

«In zwei Tagen ist sie wieder auf dem Damm», sagte er. «Aber es war ein Glück, dass Sie mich gleich geholt haben. Sonst ... Das hätte böse enden können.»

Susan starrte ihn an. «War es wirklich so schlimm?»

«Mrs. Banks, können Sie mir bitte noch einmal genau sagen, was Miss Gilchrist gestern gegessen und getrunken hat? In allen Einzelheiten.»

Nach kurzem Überlegen erstattete Susan ihm ausführlich Bericht über das Essen des vergangenen Tages. Der Arzt schüttelte unzufrieden den Kopf.

«Es muss etwas gewesen sein, was sie gegessen hat und Sie nicht.»

«Da war nichts ... Buttertörtchen, süße Brötchen, Marmelade, Tee - und dann das Abendessen. Nein, etwas anderes fällt mir nicht ein.»

Der Arzt rieb sich die Nase und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.

«War es denn wirklich etwas, das sie gegessen hat?», fragte Susan. «War es wirklich ein verdorbener Magen?»

Der Arzt warf ihr einen prüfenden Blick zu, dann fasste er offenbar einen Entschluss.

«Es war Arsen», sagte er.

«Arsen?» Susan fuhr auf. «Sie meinen, jemand hat ihr Arsen gegeben?»

«Es sieht ganz danach aus.»

«Könnte es sein, dass sie es selbst genommen hat? Ich meine, absichtlich?»

«Selbstmord? Sie sagt nein und sie sollte es wissen. Außerdem, wenn sie wirklich Selbstmord begehen wollte, hätte sie kaum Arsen genommen. Hier im Haus gibt es Schlaftabletten. Sie hätte eine Überdosis nehmen können.»

«Ist es möglich, dass das Arsen aus Versehen in etwas geraten ist?»

«Das frage ich mich auch. Das ist zwar unwahrscheinlich, obwohl solche Dinge vorkommen können. Aber wenn Miss Gilchrist und Sie dasselbe gegessen haben ...»

Susan nickte. «Das klingt alles sehr merkwürdig ...» Jäh brach sie ab. «Aber natürlich, der Hochzeitskuchen!»

«Wie bitte? Der Hochzeitskuchen?»

Susan erklärte, was es damit auf sich hatte. Der Arzt hörte ihr aufmerksam zu.

«Sehr seltsam. Und Sie sagen, Miss Gilchrist hätte nicht genau gewusst, von wem sie ihn bekommen hat? Ist noch etwas davon übrig? Oder die Schachtel, in die er verpackt war?»

«Ich weiß nicht. Ich kann mal nachsehen.»

Nachdem sie sich gemeinsam auf die Suche begeben hatten, entdeckten sie den weißen Karton schließlich auf dem Küchenbüfett; auf dem Boden lagen noch ein paar Krümel. Der Arzt steckte die Schachtel sorgsam weg.

«Die nehme ich mit. Haben Sie eine Ahnung, wo das Packpapier sein könnte?»

Dieses Mal blieb ihre Suche vergeblich. Susan meinte, das Papier sei wahrscheinlich in den Küchenherd gewandert.

«Sie reisen doch nicht schon wieder ab, Mrs. Banks?»

Sein Ton klang freundlich, aber er bereitete Susan dennoch ein wenig Unbehagen.

«Nein, ich muss die Sachen meiner Tante sichten. Ich werde noch ein paar Tage hier sein.»

«Gut. Ihnen ist wohl klar, dass die Polizei Ihnen wahrscheinlich ein paar Fragen stellen wird. Sie kennen niemanden, der ... nun ja, der es auf Miss Gilchrist abgesehen haben könnte?»

Susan schüttelte den Kopf.

«Ehrlich gesagt kenne ich sie kaum. Sie arbeitete ein paar Jahre bei meiner Tante - mehr weiß ich nicht.»

«Natürlich. Auf mich machte sie immer einen freundlichen, zurückhaltenden Eindruck, sie hatte nichts Auffälliges an sich. Nicht der Typ, der Feinde hat, würde man meinen. Hochzeitskuchen mit der Post. Das klingt nach einer eifersüchtigen Frau - aber wer sollte auf Miss Gilchrist eifersüchtig sein? Das kommt mir eher unwahrscheinlich vor.»

«Stimmt.»

«Tja, ich muss mich wieder auf den Weg machen. Ich weiß auch nicht, was plötzlich in unserem stillen kleinen Lytchett St. Mary los ist. Zuerst ein brutaler Mord und jetzt ein Giftanschlag per Post. Merkwürdig, die beiden Sachen nacheinander.»

Er ging den Gartenpfad hinab zu seinem Wagen. Susan kam es sehr stickig im Haus vor, deswegen ließ sie die Vordertür weit offen stehen und ging dann langsam wieder nach oben, um weiter Coras Sachen zu sichten.

Cora Lansquenet war weder ordentlich noch methodisch gewesen. In ihren Schubladen herrschte ein buntes Durcheinander. Eine enthielt Toilettenartikel, Briefe, benützte Taschentücher und Pinsel, in einer anderen, vollgestopft mit einem Berg Unterwäsche, entdeckte Susan mehrere alte Briefe und Rechnungen. In einer weiteren lag unter einigen Wollpullovern ein Karton mit zwei unechten Ponyfransen. Fotos und Skizzenbücher füllten wieder eine andere. Eines dieser Bilder betrachtete Susan näher - es war offenbar irgendwo in Frankreich aufgenommen und zeigte eine jüngere, schlankere Cora am Arm eines groß gewachsenen, schlaksigen Mannes mit Ziegenbart und Samtmantel. Susan vermutete, dass es sich dabei um Pierre Lansquenet handelte.

Die Fotos interessierten Susan sehr, aber sie legte sie beiseite, ordnete sämtliche Papiere zu einem Stapel und begann sie methodisch durchzugehen. Etwa ein Viertel hatte sie bereits überflogen, als ihr ein Brief in die Hände fiel. Sie las ihn zweimal durch und starrte immer noch darauf, als eine Stimme hinter ihr sie mit einem Aufschrei herumfahren ließ.

«Und was haben wir da gefunden? Aber Susan, was ist denn?»

Ungehalten mit sich selbst lief Susan rot an. Der Aufschrei war ihr unwillkürlich entwichen. Beschämt stammelte sie eine Erklärung.

«George! Du hast mich erschreckt!»

Ihr Cousin grinste breit.

«Das Gefühl habe ich auch.»

«Wie bist du hergekommen?»

«Na ja, die Haustür stand offen, also bin ich reingegangen.

Und da unten niemand war, bin ich eben raufgekommen. Aber wenn du meinst, warum ich überhaupt hier bin - ich bin heute morgen losgefahren, um zur Beerdigung zu gehen.»

«Ich habe dich aber nicht gesehen.»

«Die alte Kiste hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Benzinzufuhr war unterbrochen. Ich habe ein bisschen daran herumgebastelt, und dann hat sie wieder funktioniert. Da war’s dann zu spät für die Beerdigung, aber ich dachte, ich könnte trotzdem herkomm en. Ich hab ja gewusst, dass du hier bist.»

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: «Ich habe nämlich bei euch angerufen, und Greg hat mir gesagt, dass du hergefahren bist, sozusagen um alles in Besitz zu nehmen. Ich dachte, ich könnte dir helfen.»

«Wirst du nicht im Büro gebraucht?», fragte Susan. «Oder kannst du dir nach Lust und Laune frei nehmen?»

«Eine Beerdigung war schon immer ein anerkannter Grund, um blauzumachen. Und diese Beerdigung ist noch dazu eine richtige. Außerdem sind die Leute von einem Mord immer fasziniert. Aber in Zukunft werde ich sowieso nicht mehr oft im Büro sein - als reicher Mann habe ich das nicht mehr nötig. Da werde ich Besseres zu tun haben.» Nach einer Pause fügte er grinsend hinzu: «Wie Greg.»

Susan betrachtete ihren Cousin nachdenklich. Sie hatte ihn bislang nur selten gesehen, und bei den wenigen Begegnungen hatte sie ihn nie richtig ausmachen können.

«Was ist der eigentliche Grund, warum du hergekommen bist, George?», fragte sie.

«Vielleicht, um mich ein bisschen als Detektiv zu betätigen. Ich hab mir über die letzte Beerdigung, auf der wir waren, viel Gedanken gemacht. An dem Tag hat Tante Cora ja ziemlich für Aufruhr gesorgt. Ich würde gerne wissen, ob sie die Worte nur aus Jux und Tollerei in die Runde geworfen hat und aus schierer Lebensfreude, oder ob da wirklich etwas dahinter steckt.

Was steht denn in dem Brief, in den du so vertieft warst, als ich reingekommen bin?»

Susans Antwort kam gedehnt. «Das ist ein Brief, den Onkel Richard ihr geschrieben hatte, nachdem er bei ihr zu Besuch gewesen war.»

Wie schwarz Georges Augen doch waren! Sie hatte immer gedacht, er habe braune Augen, aber sie waren schwarz, und schwarze Augen hatten etwas Undurchdringliches. Sie verbargen die Gedanken, die dahinter lagen.

«Steht was Interessantes drin?», fragte George beiläufig.

«Eigentlich nicht ...»

«Darf ich mal lesen?»

Er streckte die Hand aus. Nach kurzem Zögern reichte sie ihm das Blatt.

Er las den Brief leise und monoton murmelnd vor. «Es hat mich gefreut, dich nach all den Jahren wieder zu sehen ... sahst sehr gut aus ... hatte eine gute Heimreise und war bei der Rückkehr nicht allzu müde ...»

Plötzlich wurde seine Stimme schärfer. «Bitte erwähne niemandem gegenüber, was ich dir gesagt habe. Ich könnte mich täuschen. Dein dich liebender Bruder Richard.»

Er sah zu Susan. «Was meint er damit?»

«Wer weiß? Er könnte sich damit bloß auf seine Gesundheit beziehen. Oder es könnte sich um Klatsch über einen gemeinsamen Bekannten handeln.»

«Natürlich, es könnte alles Mögliche sein. Es ist nicht eindeutig - aber es gibt zu denken ... Was kann er Cora erzählt haben? Weiß jemand, was er ihr gesagt haben könnte?»

«Vielleicht Miss Gilchrist», meinte Susan nachdenklich. «Ich glaube, sie hat mitgehört.»

«Ach ja, die Hausdame. Wo ist sie denn?»

«Im Krankenhaus. Mit Arsenvergiftung.»

George starrte sie an.

«Du machst Witze!»

«Nein. Jemand hat ihr einen vergifteten Hochzeitskuchen geschickt.»

George ließ sich auf einen Stuhl sinken und pfiff durch die Zähne.

«Es sieht ganz so aus, als hätte der gute Onkel Richard sich nicht getäuscht», sagte er.

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