I


«Das Linoleum sieht sehr schön aus, Mrs. Jones. Für Linoleum haben Sie wirklich ein Händchen. Die Teekanne steht auf dem Küchentisch, schenken Sie sich doch eine Tasse ein. Ich setze mich zu Ihnen, sobald ich Mr. Abernethie sein zweites Frühstück gebracht habe.»

Miss Gilchrist stieg mit einem appetitlich gedeckten Tablett in den Händen die Treppe hinauf. Sie klopfte an Timothys Tür, deutete ein Brummen als Aufforderung einzutreten und schritt forsch in den Raum.

«Kaffee und Kekse für Sie, Mr. Abernethie. Hoffentlich geht es Ihnen heute etwas besser. Es ist ein wunderschöner Tag.»

«Hat der Kaffee nicht eine Milchhaut?», murrte Timothy misstrauisch.

«Aber nein, Mr. Abernethie. Ich habe die Haut weggenommen und außerdem ein kleines Sieb mitgebracht für den Fall, dass sich wieder eine bildet. Manche Leute mögen Haut auf dem Kaffee, wissen Sie, sie sagen, das wäre die Sahne.»

«Hohlköpfe!», schimpfte Timothy. «Und was sind das für Kekse?»

«Die guten Vollkornkekse.»

«Vollkornschrott. Ingwerkekse will ich haben! Alles andere ist ungenießbar.»

«Leider gab es beim Kaufmann diese Woche keine. Aber die Vollkornkekse schmecken wirklich gut. Probieren Sie sie doch einmal.»

«Danke, ich weiß genau, wie sie schmecken. Und lassen Sie die Vorhänge, wie sie sind, ja?»

«Ich dachte, ein bisschen Sonne würde Ihnen gut tun. Es ist so ein schöner Tag.»

«Es soll aber dunkel im Zimmer bleiben. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Das kommt von der Farbe. Auf Farbe habe ich immer schon allergisch reagiert. Sie ist Gift für mich.»

Miss Gilchrist schnupperte ein wenig und sagte dann aufmunternd: «Hier riecht man fast gar nichts. Die Handwerker arbeiten auf der anderen Seite.»

«Sie sind eben nicht so empfindsam wie ich. Müssen wirklich alle Bücher, die ich gerade lese, außer Reichweite liegen?»

«Das tut mir Leid, Mr. Abernethie. Ich wusste nicht, dass Sie alle gleichzeitig lesen.»

«Und wo ist meine Frau? Ich habe sie seit mindestens einer Stunde nicht mehr gesehen.»

«Mrs. Abernethie liegt auf dem Sofa und ruht.»

«Sagen Sie ihr, dass sie hier oben ruhen soll.»

«Ich werde es ihr sagen, Mr. Abernethie, aber vielleicht macht sie gerade ein Nickerchen. Sagen wir in einer Viertelstunde?»

«Nein. Sagen Sie ihr, dass ich sie jetzt brauche. Lassen Sie die Finger vom Läufer. Er liegt so, wie ich ihn haben will.»

«Entschuldigung. Ich dachte, er rutscht gleich vom Tisch.»

«Es gefällt mir, wenn er fast hinunterrutscht. Und jetzt schik-ken Sie Maude zu mir. Ich brauche sie.»

Miss Gilchrist ging nach unten und schlich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer, wo Maude Abernethie zurückgelehnt auf dem Sofa saß, das Bein hochgelegt, und einen Roman las.

«Es tut mir sehr Leid, Mrs. Abernethie», sagte Miss Gilchrist entschuldigend. «Mr. Abernethie hat nach Ihnen gefragt.»

Schuldbewusst legte Maude das Buch beiseite.

«Oh. Ich gehe sofort.»

Sie griff nach ihrem Stock.

Sobald sie Timothys Zimmer betrat, rief er: «Da bist du ja endlich!»

«Es tut mir Leid, Liebling. Ich wusste nicht, dass du mich brauchst.»

«Die Frau, die du uns da ins Haus geholt hast, treibt mich noch zum Wahnsinn. Sie plappert endlos und flattert herum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Eine richtige alte Jungfer ist sie.»

«Es tut mir Leid, dass sie dich aufbringt. Sie versucht doch nur freundlich zu sein, mehr nicht.»

«Ich brauche niemanden, der freundlich ist. Ich will keine alte Jungfer, die um mich herumpusselt. Und ihre ewige Betulichkeit .»

«Ein bisschen betulich ist sie wirklich, das stimmt.»

«Und redet auf mich ein wie auf ein schwachsinniges Kind! Zum Verrücktwerden ist das!»

«Das glaube ich gerne. Aber bitte, Timothy, bitte sei nicht unhöflich zu ihr. Ich bin immer noch nicht wieder richtig auf den Beinen - und du sagst doch selbst, dass sie gut kochen kann.»

«Kochen kann sie einigermaßen», räumte Timothy Abernethie widerwillig ein. «Doch, ich habe schon schlechter gegessen. Aber sieh zu, dass sie in der Küche bleibt, mehr verlange ich ja nicht. Sie soll bloß nicht zu mir kommen und mich betüteln.»

«Nein, mein Schatz, natürlich. Wie geht es dir?»

«Sehr schlecht. Ich glaube, du solltest Barton kommen lassen, damit er mich untersucht. Diese Farbe greift mein Herz an. Fühl mal meinen Puls - ganz unregelmäßig.»

Maude fühlte seinen Puls, sagte aber nichts.

«Timothy, sollen wir ins Hotel ziehen, bis die Arbeiten am Haus fertig sind?»

«Reine Geldverschwendung.»

«Könnten wir uns das jetzt nicht vielleicht doch leisten?»

«Typisch Frau - hoffnungslos extravagant! Nur weil wir einen lächerlich kleinen Anteil vom Vermögen meines Bruders geerbt haben, glaubst du, wir könnten es uns leisten, bis ans Ende unserer Tage im Ritz zu wohnen.»

«Das habe ich nicht gesagt, Schatz.»

«Jetzt hör mir mal gut zu. Richards Geld bedeutet nicht, dass wir große Sprünge machen können. Da steht schon die Regierung davor. Die nehmen uns aus wie eine Weihnachtsgans. Du wirst schon sehen, das Ganze geht für die Steuern drauf.»

Bekümmert schüttelte Mrs. Abernethie den Kopf.

«Der Kaffee ist kalt», sagte Timothy und schaute angewidert auf die Tasse, von der er noch keinen Schluck genommen hatte. «Warum kann ich nie eine Tasse Kaffee bekommen, die richtig heiß ist?»

«Ich bringe ihn nach unten und wärm ihn dir auf.»

Unten in der Küche saß Miss Gilchrist bei einer Tasse Tee und unterhielt sich leutselig, wenn auch mit einer gewissen Herablassung, mit Mrs. Jones.

«Ich tue mein Bestes, um Mrs. Abernethie so viel wie möglich zu ersparen», sagte sie. «Das ewige Treppensteigen bereitet ihr bestimmt große Schmerzen.»

«Sie bedient ihn von vorne bis hinten», meinte Mrs. Jones und rührte Zucker in ihren Tee.

«Es ist wirklich schlimm, dass er so gebrechlich ist.»

«So gebrechlich ist er gar nicht.» Mrs. Jones klang erbittert. «Es gefällt ihm sehr gut, im Bett zu liegen und nach uns zu läuten und sich Tabletts aufs Zimmer bringen zu lassen. Dabei kann er gut aufstehen und herumlaufen, wenn er will. Ich hab ihn sogar ins Dorf gehen sehen, wenn sie nicht da ist. Im Stechschritt ist er marschiert, sag ich Ihnen. Die Sachen, die er wirklich braucht - seinen Tabak zum Beispiel, oder Briefmarken -, die besorgt er sich selbst. Deswegen hab ich mich auch, als sie bei der Beerdigung war und auf dem Rückweg die Panne hatte und er mir sagte, ich soll abends wiederkommen und die Nacht hier bleiben, geweigert. , hab ich gesagt, Und ich hab mich nicht überreden lassen, nein, nein. Es wird ihm gar nichts schaden, dachte ich mir, in die Küche zu gehen und sich mal selber was warm zu machen. Vielleicht geht ihm ja dann auf, wie viel er sonst bedient wird. Also bin ich stur geblieben, keinen Millimeter hab ich nicht nachgegeben. Aufgeführt hat er sich, als würd die Welt untergehen.»

Mrs. Jones atmete tief durch und nahm einen großen Schluck von dem süßen, starken Tee. «Ah», seufzte sie zufrieden.

Trotz ihres großen Argwohns gegenüber Miss Gilchrist, die in ihren Augen übertrieben heikel war, eine «ehrpusselige alte Jungfer», war sie doch sehr angetan von der Großzügigkeit, mit der Miss Gilchrist die Tee- und Zuckerrationen ihrer Arbeitgeber verwaltete.

Sie stellte die Tasse ab und sagte leutselig: «Jetzt werde ich mal schön den Küchenboden schrubben, dann mach ich mich auf den Weg. Die Kartoffeln hab ich schon geschält, meine Liebe. Sie liegen neben dem Spülbecken.»

Miss Gilchrist fühlte sich von der Anrede «meine Liebe» zwar ein wenig auf die Zehen getreten, war aber doch dankbar für den guten Willen, den Mrs. Jones beim Schälen der vielen Kartoffeln an den Tag gelegt hatte.

Bevor sie etwas sagen konnte, klingelte das Telefon, und sie lief in den Flur hinaus. Der Apparat stand wie in den Kindertagen der fernmündlichen Kommunikation weitab in einem zugigen Korridor hinter der Treppe.

Miss Gilchrist sprach noch, als Maude Abernethie oben am Treppenabsatz erschien. Die Hausdame schaute auf. «Mrs. -Leo, nicht wahr? - Abernethie ist am Apparat.»

«Sagen Sie ihr, ich komme gleich.»

Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte Maude die Stufen hinab.

«Es tut mir so Leid, dass Sie sich wieder nach unten quälen müssen, Mrs. Abernethie», wisperte Miss Gilchrist. «Hat Mr. Abernethie den Kaffee schon getrunken? Dann gehe ich rasch nach oben und hole das Tablett.»

Sie lief die Stufen hinauf.

Maude hatte den Hörer entgegengenommen. «Helen? Hier ist Maude.»

Timothy empfing Miss Gilchrist mit einem vorwurfsvollen Blick. «Wer ruft denn da schon wieder an?», fragte er gereizt, als sie nach dem Tablett griff.

«Mrs. Leo Abernethie.»

«Ach ja? Wahrscheinlich quasseln die beiden jetzt mindestens eine Stunde miteinander. Am Telefon verlieren Frauen jedes Zeitgefühl und denken überhaupt nicht an das viele Geld, das die Leitung runterrinnt.»

Fröhlich meinte Miss Gilchrist, in diesem Fall würde Mrs. Leo die Rechnung bezahlen. Timothy brummte nur.

«Ziehen Sie den Vorhang auf, ja? Nein, nicht den, den anderen. Sonst blendet mich doch das Licht. Ja, so. Nur, weil ich krank bin, heißt es noch lange nicht, dass ich den ganzen Tag im Dunkeln verbringen muss.» Dann fuhr er fort: «Und jetzt suchen Sie im Bücherregal mal nach dem grünen ... Was ist denn jetzt schon wieder los? Was stürzen Sie davon?»

«Es hat an der Haustür geklingelt, Mr. Abernethie.»

«Ich hab nichts gehört. Außerdem ist doch diese Frau da unten, oder? Soll sie doch hingehen.»

«Ja, Mr. Abernethie. Welches Buch soll ich für Sie suchen?»

Timothy Abernethie schloss die Augen.

«Jetzt weiß ich es nicht mehr. Sie haben mich aus dem Konzept gebracht. Gehen Sie schon.»

Miss Gilchrist griff nach dem Tablett und verließ rasch das Zimmer. Unten im Flur stellte sie es auf einem Tischchen ab und eilte an Maude Abernethie vorbei, die noch telefonierte, zur Haustür.

Keine Minute später kehrte sie zurück. «Es tut mir Leid, Sie zu stören», flüsterte sie, «aber draußen steht eine Nonne. Die Stiftung Herz Maria, glaube ich. Sie hat eine Spendenliste mit allen Namen. Soweit ich es sehen konnte, geben die Leute meistens drei oder fünf Shilling.»

«Einen Augenblick bitte, Helen», sagte Maude Abernethie ins Telefon. «Für die Katholiken spende ich nicht», klärte sie Miss Gilchrist auf. «Wir haben unsere eigenen kirchlichen Stiftungen.»

Miss Gilchrist hastete wieder davon.

Wenige Minuten später beendete Maude das Gespräch mit den Worten: «Ich werde mit Timothy darüber reden.»

Sie legte den Hörer auf und ging in den vorderen Gang, wo Miss Gilchrist reglos neben der Wohnzimmertür stand. Ihre Stirn war gerunzelt, als dächte sie angestrengt nach, und sie fuhr zusammen, als Maude Abernethie sie ansprach.

«Es ist doch alles in Ordnung, oder nicht, Miss Gilchrist?»

«Aber ja, Mrs. Abernethie. Ich fürchte, ich war in Gedanken versunken. Dabei gibt es doch so viel zu tun.»

Miss Gilchrist eilte emsig wie eine Ameise davon, während Maude Abernethie sich die Treppe hinauf zum Zimmer ihres Mannes mühte.

«Helen hat gerade angerufen. Wie es scheint, ist das Haus endgültig verkauft - irgendeine Institution für Flüchtlinge .»

Sie verstummte, als Timothy zu einer Erörterung des Themas Flüchtlinge ansetzte und dann zu einem Lamento überging betreffs des Hauses, in dem er aufgewachsen war. «Dieses Land geht den Bach hinunter. Mein altes Zuhause! Es ist einfach nicht zu fassen.»

«Helen ist sich bewusst, was du - was wir - dabei empfinden», griff Maude ihren unterbrochenen Bericht wieder auf. «Sie hat vorgeschlagen, dass wir vielleicht noch einmal nach Enderby fahren möchten, bevor das Haus endgültig verkauft ist. Sie macht sich auch große Sorgen wegen deiner Gesundheit und dass die Farbe dir nicht gut tut. Sie meinte, vielleicht wäre es dir lieber, in Enderby zu wohnen als in einem Hotel. Die Dienstboten sind noch alle dort, also wärst du auch gut versorgt.»

Während Maude sprach, hatte Timothy vor Entrüstung und Zorn den Mund geöffnet, aber jetzt schloss er ihn wieder, und sein Blick bekam auf einmal etwas Durchtriebenes. Er nickte zustimmend.

«Sehr aufmerksam von Helen», sagte er. «Sehr aufmerksam. Ich weiß nicht genau, ich muss es mir noch überlegen ... Natürlich, die Farbe ist Gift für mich, das weiß ich - da ist bestimmt Arsen drin. Ich glaube mich zu erinnern, das auch einmal gehört zu haben. Andererseits könnte es eine große Strapaze für mich sein, nach Enderby zu fahren. Es ist schwer zu entscheiden, was besser für mich wäre.»

«Vielleicht wäre dir ein Hotel lieber, Liebling», meinte Maude. «Ein gutes Hotel ist natürlich sehr teuer, aber wenn es um deine Gesundheit geht -».

Timothy unterbrach sie.

«Ich wünschte, du würdest begreifen, dass wir keine Millionäre sind, Maude. Warum sollten wir in ein Hotel gehen, wo Helen uns freundlicherweise vorgeschlagen hat, nach Enderby zu kommen? Nicht, als stünde es ihr zu, uns einzuladen. Das Haus gehört ihr nicht. Ich kenne mich mit den juristischen Feinheiten nicht aus, aber ich gehe davon aus, dass es uns allen anteilig gehört, bis es verkauft und der Gewinn aufgeteilt ist. Flüchtlinge! Der alte Cornelius würde sich im Grabe umdrehen! Ja», seufzte er. «Doch, ich würde das alte Haus gerne noch einmal sehen, bevor ich das Zeitliche segne.»

Maude spielte ihre letzte Karte geschickt aus.

«Wenn ich es richtig verstehe, hat Mr. Entwhistle vorgeschlagen, dass alle Familienmitglieder sich einige Stücke aussuchen, Möbel oder Geschirr und derlei, bevor alles versteigert wird.»

Timothy richtete sich brüsk auf.

«Dann müssen wir unbedingt hin. Es muss genau aufgeschrieben werden, wer was mitnimmt und in welchem Wert. Diese Männer, die die Mädels geheiratet haben - nach dem, was ich über sie gehört habe, würde ich keinem von ihnen über den Weg trauen. Die könnten versuchen, uns zu behumpsen. Helen ist viel zu gutmütig. Als Familienvorstand ist es meine Pflicht, bei dem Treffen anwesend zu sein!»

Er wuchtete sich aus dem Sessel und ging mit forschen Schritten durchs Zimmer.

«Doch, das ist ein ausgezeichneter Plan. Schreib Helen und sag ihr, dass wir kommen. Dabei denke ich vor allem an dich, meine Liebe. Es wird eine nette Abwechslung für dich werden, und eine Erholung. In letzter Zeit hast du viel zu viel zu tun gehabt. Während wir weg sind, können die Handwerker das Haus fertig streichen und diese Gillespie kann hierbleiben und auf alles aufpassen.»

«Gilchrist», sagte Maude.

Timothy machte eine wegwerfende Geste. «Das läuft doch aufs selbe hinaus», murrte er.

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