Nach der delikaten Hühnercremesuppe und reichlich kalten Fleischplatten, serviert mit einem köstlichen Chablis, hob sich die Stimmung der Trauergesellschaft ein wenig. Niemand war über Richard Abernethies Tod wirklich betrübt, denn niemand war ihm wirklich nahe gestanden. Alle hatten sich gebührend schicklich und gedämpft verhalten (mit Ausnahme von Cora, die keine Hemmungen kannte und unverkennbar Spaß hatte), aber nun herrschte das Gefühl vor, dass dem Anstand Genüge getan war und man zu einer normalen Unterhaltung übergehen konnte. Mr. Entwhistle befürwortete diese Entwicklung durchaus. Er hatte Erfahrung mit Beerdigungen und wusste, wann der Zeitpunkt für eine Lockerung des Tons gekommen war.
Nach dem Essen erklärte Lanscombe, Kaffee werde in der Bibliothek serviert. Das gebot sein Gefühl für Anstand. Die Zeit war gekommen, um das Geschäftliche - in anderen Worten: das Testament - zu besprechen. Dafür bot die Bibliothek mit ihren Bücherschränken und den schweren Vorhängen aus rotem Samt die richtige Atmosphäre. Nachdem er den Kaffee serviert hatte, zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich.
Nach dem Austausch einiger banaler Höflichkeiten richteten sich zögerlich immer mehr Augenpaare auf Mr. Entwhistle. Er griff die Andeutung mit einem Blick auf seine Uhr sofort auf.
«Ich muss den Zug um 3.30 Uhr erreichen», begann er.
Offenbar wollten auch andere diesen Zug nehmen.
«Wie Sie wissen, bin ich Richard Abernethies Testamentsvollstrecker ...»
Er wurde unterbrochen. «Ich habe das nicht gewusst», sagte Cora Lansquenet munter. «Wirklich? Hat er mir etwas vererbt?»
Nicht zum ersten Mal hatte Mr. Entwhistle das Gefühl, dass Cora eine Vorliebe für unpassende Bemerkungen hatte.
Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. «Bis vor einem Jahr war Richard Abernethies Testament sehr einfach», fuhr er fort. «Von einigen Legaten abgesehen, wollte er alles seinem Sohn Mortimer vermachen.»
«Der arme Mortimer», warf Cora ein. «Kinderlähmung ist einfach schrecklich.»
«Mortimers tragischer und plötzlicher Tod war ein schwerer Schlag für Richard. Er brauchte mehrere Monate, um darüber hinwegzukommen. Ich erklärte ihm, dass es vielleicht ratsam wäre, ein neues Testament aufzusetzen.»
Maude Abernethie fragte mit ihrer tiefen Stimme: «Was wäre passiert, wenn er kein neues Testament aufgesetzt hätte? Wäre dann ... wäre dann alles an Timothy gegangen - weil er der nächste Anverwandte war, meine ich?»
Mr. Entwhistle öffnete den Mund, um zu einer Abhandlung über das Thema nächster Anverwandtschaft anzusetzen, sah dann aber doch davon ab. «Auf meinen Rat hin entschied Richard sich, ein neues Testament zu machen», sagte er spitz. «Doch zuerst wollte er die jüngere Generation etwas näher kennen lernen.»
«Er hat uns regelrecht auf Tauglichkeit geprüft.» Susan lachte unvermittelt auf. «Zuerst George, dann Greg und mich und zum Schluss Rosamund und Michael.»
Gregory Banks’ schmales Gesicht wurde rot. «So solltest du das wirklich nicht ausdrücken, Susan.» Sein Ton war schneidend. «Auf Tauglichkeit geprüft! Ich bitte dich!»
«Aber darum ging es doch, oder nicht, Mr. Entwhistle?»
«Hat er mir etwas hinterlassen?», fragte Cora wieder.
Mr. Entwhistle hüstelte und erklärte dann kühl: «Sie alle werden von mir eine Kopie des Testaments erhalten. Ich könnte es Ihnen, wenn Sie möchten, jetzt in ganzer Länge vorlesen, aber die juristische Terminologie könnte Ihnen etwas undurchsichtig erscheinen. Kurz gesagt, umfasst es Folgendes: Von mehreren kleinen Vermächtnissen abgesehen und einer größeren Summe für Lanscombe, mit der er sich eine Leibrente kaufen kann, wird der Großteil des Vermögens - und das ist beträchtlich - in sechs gleiche Teile geteilt. Vier davon gehen nach Abzug aller Steuern an Richards Bruder Timothy, seinen Neffen George Crossfield, seine Nichte Susan Banks und seine Nichte Rosamund Shane. Die anderen beiden Teile werden treuhänderisch verwaltet und das Einkommen daraus kommt Mrs. Helen Abernethie, der Witwe seines Bruders Leo, zugute sowie seiner Schwester Mrs. Cora Lansquenet, und zwar auf Lebenszeit. Nach deren Tod geht das Kapital auf die vier anderen Erben beziehungsweise deren Nachkommen über.»
«Wie schön!», rief Cora Lansquenet sichtlich erfreut. «Ein Einkommen! Wie viel?»
«Ich - äh - das kann ich im Augenblick nicht genau sagen. Die Erbschaftssteuer ist natürlich sehr hoch, und ...»
«Können Sie mir nicht eine Ahnung geben?»
Mr. Entwhistle wurde klar, dass er Coras Neugier befriedigen musste.
«Möglicherweise etwa drei- bis viertausend Pfund pro Jahr.»
«Toll!» Cora war begeistert. «Dann fahre ich nach Capri.»
Helen Abernethie sagte leise: «Das ist wirklich sehr nett von Richard, und sehr großzügig. Seine Aufmerksamkeit berührt mich tief.»
«Er war Ihnen sehr zugetan», erklärte Mr. Entwhistle. «Leo war sein Lieblingsbruder, und dass Sie ihn nach Leos Tod immer noch besuchten, bereitete ihm große Freude.»
«Ich wünschte, mir wäre klar gewesen, wie krank er wirklich war», sagte Helen bedauernd. «Ich habe ihn kurz vor seinem Tod noch einmal besucht. Ich wusste zwar, dass er krank war, aber dass es so schlimm um ihn stand, hatte ich nicht gedacht.»
«Es stand in der Tat schlimm um ihn», erwiderte Mr. Entwhistle. «Aber er wollte nicht, dass darüber gesprochen wurde, und meines Wissens erwartete niemand, dass sein Ende so rasch kommen würde. Ich weiß, dass der Arzt sehr überrascht war.»
«(Plötzlich, auf seinem Wohnsitz>, so hieß es in der Zeitung», meinte Cora und nickte. «Ich habe mich gewundert.»
«Es war für uns alle ein Schock», fügte Maude Abernethie hinzu. «Das hat den armen Timothy sehr mitgenommen. So plötzlich, sagte er immer wieder. So plötzlich.»
«Aber es ist ja alles gut vertuscht worden, oder nicht?», fragte Cora.
Alle starrten sie an, und auf einmal wurde sie unsicher.
«Ich glaube, ihr habt völlig Recht», fuhr sie hastig fort. «Ich meine, es hilft ja nichts, es publik zu machen. Das wäre nur unerfreulich für uns alle. Das sollte wirklich in der Familie bleiben.»
Die Gesichter, die ihr zugewandt waren, blickten noch verständnisloser.
Mr. Entwhistle beugte sich vor. «Cora, leider verstehe ich nicht, was Sie damit sagen wollen.»
Cora Lansquenet sah sich mit weit aufgerissenen Augen im Kreis um. Dann legte sie wie ein Vögelchen den Kopf zur Seite.
«Aber er ist doch ermordet worden, oder nicht?», fragte sie.